Guy de Maupassant – Gesammelte Werke

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»Und Fräu­lein Hen­ri­et­te, wie geht es ihr?« frag­te er dann.

»Dan­ke, sehr gut, sie ist ver­hei­ra­tet.«

»Ah! …«

»Und mit wem?« fuhr er fort, müh­sam sei­ne Be­we­gung un­ter­drückend.

»Nun, mit dem jun­gen Mann, wis­sen Sie, der uns da­mals be­glei­te­te; er über­nimmt spä­ter das Ge­schäft.«

»Ah, jetzt ver­ste­he ich.«

Als er fort­ging fühl­te er un­will­kür­lich eine ge­wis­se Trau­rig­keit. Ma­da­me Du­four rief ihn zu­rück.

»Wie geht es Ihrem Freun­de?« frag­te sie.

»Dan­ke, recht gut.«

»Grüs­sen Sie ihn von uns; aber nicht ver­ges­sen! Und er möch­te uns doch mal be­su­chen, wenn er vor­bei käme …«

»Es wür­de mich be­son­ders freu­en, sa­gen Sie ihm das« füg­te sie hin­zu.

»Wer­de nicht ver­feh­len. Adieu!« ent­geg­ne­te Hen­ri.

»Nein, nicht Adieu! Auf bal­di­ges Wie­der­se­hen!«

*

Ei­nes Sonn­ta­ges im nächs­ten Jah­re, als es wie­der ein­mal sehr heiss war, tra­ten Hen­ri alle die un­ver­ge­ss­li­chen Ein­zeln­hei­ten die­ses Aben­teu­ers plötz­lich wie­der so deut­lich und be­geh­rens­wert vor die See­le, dass er, wie von ei­ner dunklen Ah­nung ge­trie­ben, al­lein nach dem al­ten Ver­steck im Ge­hölz ru­der­te.

Er prall­te beim Ein­tritt er­staunt zu­rück. Sie war da, sie sass mit trau­ri­ger Mie­ne im Gra­se, wäh­rend ne­ben ihr nur in Hemds­är­meln ihr Gat­te, je­ner jun­ge Mann mit dem Flachs­haar, schlief und wie ein Maulesel schnarch­te.

Als sie Hen­ri er­blick­te, wur­de sie krei­de­bleich, so­dass er glaub­te, sie wür­de ohn­mäch­tig. Dann be­gan­nen sie ganz harm­los mit­ein­an­der zu plau­dern, als sei nie­mals et­was zwi­schen ih­nen bei­den vor­ge­fal­len.

Als er ihr aber er­zähl­te, wie lieb ihm die­ses Plätz­chen sei, und dass er Sonn­tags oft hier­her käme, um an süs­sen Erin­ne­run­gen zu zeh­ren, sah sie ihm lan­ge und tief in die Au­gen.

»Es ver­geht kei­ne Nacht, wo ich nicht dar­an den­ke« sag­te sie.

»Komm, Lie­be,« sag­te ihr Mann mun­ter wer­dend, »es ist Zeit, glau­be ich, nach Hau­se zu ge­hen.«

*

Im Frühling

Wenn die ers­ten schö­nen Tage er­schei­nen, wo die er­wa­chen­de Erde sich in neu­es Grün klei­det, wo blu­mi­ge Düf­te un­se­re Sin­ne um­schmei­cheln und uns so­zu­sa­gen bis zum Her­zen drin­gen, dann er­greift uns ein dunkles Seh­nen nach un­nenn­ba­rem Glücke, ein Ver­lan­gen, hin­aus­zu­stür­men aufs ge­ra­de Wohl, und Aben­teu­er zu su­chen, mit ei­nem Wort: Früh­lings­luft zu schlür­fen.

Nach­dem der har­te Win­ter des ver­flos­se­nen Jah­res ver­flo­gen, er­griff mich ei­nes Ta­ges im Mai die­ses Seh­nen nach Won­ne und Be­ha­gen, wie ein trun­ke­ner Tau­mel, wie das Über­quel­len ei­nes gä­ren­den Saf­tes.

Als ich am Mor­gen er­wacht war, sah ich durch mein Fens­ter, wie über den Dä­chern der Nach­bar­häu­ser den blau­en Him­mel im Glan­ze des Son­nen­lich­tes lach­te. Die Ka­na­ri­en­vö­gel auf dem Fens­ter­brett tril­ler­ten ihr Lied­chen, in al­len Stu­ben und Kam­mern san­gen die Dienst­mäd­chen, ein fröh­li­ches Ge­wim­mel drang von der Stras­se her zu mir her­auf, und ich ging hin­aus, ohne ein be­stimm­tes Ziel, fest­li­che Stim­mung im Her­zen.

Über­all, wo­hin das Auge blick­te, traf man ver­gnüg­te Ge­sich­ter; ein Hauch in­ne­rer Glück­se­lig­keit weh­te in dem war­men Schim­mer des wie­der­keh­ren­den Früh­lings. Man hät­te glau­ben sol­len, eine Wol­ke von ent­fes­sel­ter Lie­be sei über der Stadt ge­la­gert; und die jun­gen Mäd­chen, wel­che zier­li­chen Schrit­tes in ih­ren Mor­gen­ko­stü­men an mir vor­über­schrit­ten und in de­ren Au­gen ver­bor­ge­ne Lie­bes­glut schim­mer­te, setz­ten mein Herz ganz in Flam­men.

Ohne recht zu wis­sen, wie und warum, war ich schliess­lich an’s Ufer der Sei­ne ge­langt. Dampf­boo­te glit­ten auf der Fahrt nach Su­res­nes vor­über und ihr An­blick er­weck­te plötz­lich in mir das un­wi­der­steh­li­che Ver­lan­gen, mich ein­mal nach Her­zens­lust im Wal­de zu er­ge­hen.

Das Ver­deck der »Mou­che« wim­mel­te von Pas­sa­gie­ren; denn der ers­te Son­nen­strahl lockt einen un­wei­ger­lich aus dem Hau­se und al­les, was Le­ben hat, flu­tet heu­te auf den Dampf­schif­fen ab und zu un­ter be­hag­li­chem Ge­plau­der mit dem Nach­barn oder der Nach­ba­rin.

Ich hat­te eine Nach­ba­rin, eine klei­ne Ar­bei­te­rin ohne Zwei­fel, ganz mit dem ech­ten Pa­ri­ser Chik; ihr nied­li­ches Köpf­chen wies eine Fül­le von blon­dem an den Schlä­fen ge­lock­ten Haar auf. Die­se Haa­re, die wie fri­sier­tes Licht aus­sa­hen, fie­len über die Ohren auf den Na­cken her­ab, und tanz­ten im Win­de; wei­ter un­ten wur­den sie so fein wie ein Flaum, so leicht, so blond, dass man sie kaum noch sah. Aber zu­gleich spür­te man ein un­be­zwing­li­ches Ver­lan­gen eine Flut von Küs­sen dar­auf zu pres­sen.

Un­ter mei­nem bren­nen­den Bli­cke wand­te sie mir un­be­wusst ihr Ge­sicht zu, senk­te aber so­fort ihre Au­gen, wäh­rend um ihre Mund­win­kel sich eine leich­te Fal­te, wie ein hal­b­ent­ste­hen­des Lä­cheln, leg­te. Da­bei ent­deck­te ich auch auf ih­rer Ober­lip­pe die­sen duf­ti­gen wei­chen Flaum, den das Son­nen­licht ein we­nig ver­gol­de­te.

Ru­hig und schwer wälz­te sich der Strom da­hin. Ein war­mer Frie­den lag in der Luft und stil­le Le­bens­lust zit­ter­te durch die At­mo­sphä­re. Mei­ne Nach­ba­rin schlug die Au­gen wie­der auf und die­ses­mal, als ich sie wie­der be­harr­lich an­starr­te, lä­chel­te sie ganz ent­schie­den. Sie sah rei­zend aus bei die­sem Au­gen­auf­schlag, und in ih­rem flüch­ti­gen Bli­cke ent­deck­te ich tau­send bis da­hin mir frem­de Din­ge. Ich sah dort un­be­kann­te Tie­fen, den gan­zen Reiz der Lie­be, die gan­ze Poe­sie un­se­rer Träu­me, das gan­ze Glück, nach dem wir un­auf­hör­lich su­chen. Ich fühl­te ein un­sin­ni­ges Ver­lan­gen die Arme zu öff­nen, sie ir­gend­wo­hin zu ent­füh­ren, um ihr die süs­sen Töne der Lie­be ins Ohr zu flüs­tern.

Im Be­griff den Mund zu öff­nen und sie an­zu­re­den, fühl­te ich plötz­lich einen leich­ten Schlag auf mei­ne Schul­ter. Über­rascht und un­wil­lig sah ich auf und be­merk­te vor mir einen Mann von ge­wöhn­li­chem Aus­se­hen, we­der jung noch alt, der mich mit me­lan­cho­li­schem Blick be­trach­te­te.

»Ich möch­te ih­nen et­was sa­gen,« be­merk­te er.

»Es ist sehr wich­tig,« füg­te er hin­zu, da er mir die Un­ge­duld am Ge­sich­te ab­le­sen moch­te.

Ich stand auf und folg­te ihm an’s an­de­re Ende des Schif­fes.

»Mein Herr!« be­gann er wie­der, »wenn der Win­ter mit sei­nen Frös­ten, mit Re­gen und Schnee, sich naht, so sagt Ih­nen täg­lich der Arzt: »Hal­ten Sie sich die Füs­se recht warm; hü­ten Sie sich vor Er­käl­tun­gen, vor Schnup­fen, Hus­ten und Lun­gen­ent­zün­dung.« Nun gut; Sie tref­fen al­ler­hand Vor­sichts­mass­re­geln, Sie tra­gen Fla­nell, di­cke Über­zie­her, war­me Schu­he und an­de­res mehr; aber trotz­dem brin­gen Sie min­des­tens zwei Mo­na­te der Zeit im Bet­te zu. Aber wenn der Früh­ling mit neu­en Blü­ten und Blät­tern, mit sei­nen war­men und wei­chen Win­den, mit je­nem Duft der wie­der­er­wa­chen­den Na­tur sich naht, der Ihr Herz in Flam­men setzt und sie ohne eine be­stimm­te Ur­sa­che zu zärt­li­chen Re­gun­gen treibt, dann sagt Ih­nen nie­mand: »Freund, hüte Dich vor der Lie­be! Sie lau­ert über­all ver­bor­gen, sie hockt in al­len Win­keln. Alle ihre Pfei­le sind ge­spitzt, ihre Waf­fen ge­schärft, ihre List be­reit. Hüte Dich vor der Lie­be! … Ja hüte Dich vor ihr! Sie ist ge­fähr­li­cher als Schnup­fen, Hus­ten oder Rheu­ma­tis­mus! Sie kennt kein Er­bar­men und treibt Dich zu den gröss­ten und un­wi­der­ruf­lichs­ten Toll­hei­ten.« Ja, mein Herr, ich sage, die Re­gie­rung soll­te je­des Jahr in großen Let­tern die Wor­te an­schla­gen las­sen: »Ach­tung vor dem Früh­ling! Bür­ger Frank­reichs! Hü­tet Euch vor der Lie­be!« eben­so gut wie man an die Hau­stü­ren schreibt: »Ach­tung! Frisch an­ge­stri­chen!« Da nun die Re­gie­rung so et­was nicht macht, so tre­te ich an ihre Stel­le und sage Ih­nen: »Hü­ten Sie sich vor der Lie­be! sie ist im Be­griff Sie an­zu­ste­cken, und ich habe die Pf­licht, Sie zu war­nen, so gut, wie man in Russ­land je­man­den warnt, der im Be­griff ist, sich die Nase zu er­frie­ren.«

Ich stand ganz er­staunt vor die­sem son­der­ba­ren Kauz und sag­te schliess­lich mit ab­weh­ren­der Mie­ne:

»Sie schei­nen sich ei­gent­lich in Din­ge zu mi­schen, mein Herr, die Sie gar­nichts an­ge­hen.«

Er mach­te eine un­ge­dul­di­ge Be­we­gung.

»Ach, mein Herr! mein lie­ber Herr!« sag­te er »wenn ich be­mer­ke, dass ein Mann sich in eine ihm frem­de Ge­fahr stür­zen woll­te, soll­te ich ihn dann um­kom­men las­sen? Ich bit­te Sie, hö­ren Sie mei­ne ei­ge­ne Ge­schich­te, und Sie wer­den be­grei­fen, warum ich so zu Ih­nen zu spre­chen wage.«

»Es war vo­ri­ges Jah­res zur näm­li­chen Zeit. Ich muss­te Ih­nen zu­nächst sa­gen, dass ich Be­am­ter im Ma­ri­ne-Mi­nis­te­ri­um bin, wo un­se­re Chefs die Kom­missa­re, al­len Erns­tes ihre Stel­lung so auf­fas­sen, dass sie uns als Last­tie­re be­han­deln. – Ja, wenn alle Chefs aus dem Zi­vil­stan­de wä­ren. – Doch wei­ter: Ich konn­te von mei­nem Büro aus einen klei­nen Strei­fen des blau­en Him­mels wahr­neh­men, und es pack­te mich die Lust, mit­ten un­ter mei­nen stau­bi­gen Ak­ten­bün­del um­her­zu­tan­zen.

Mein Wunsch nach Frei­heit wuchs der­ar­tig, dass ich, trotz al­ler Scheu, es schliess­lich wag­te, mei­nen Chef auf­zu­su­chen. Es war ein klei­ner Ty­rann, der aus dem Jäh­zorn nicht her­aus­kam. Ich mel­de­te mich krank. Er sah mir ins Ge­sicht und schrie:

»Ich glau­be nichts der­glei­chen, mein Herr! Nun gut, ge­hen Sie! Aber den­ken Sie, dass ein Büro mit ähn­li­chen Leu­ten, wie Sie, be­ste­hen kann?«

 

Ich ging in­des­sen und be­gab mich an die Sei­ne. Es war ein Wet­ter wie heu­te und be­nutz­te eben­falls die »Mou­che,« um eine Fahrt nach Saint-Cloud zu ma­chen.

Ach, mein Herr! hät­te der Chef mir doch den Ur­laub ab­ge­schla­gen!

Es war mir zu Mute, als leb­te ich un­ter der Son­ne neu auf. Ich be­gann al­les zu lie­ben, das Schiff, den Fluss, die Bäu­me, die Häu­ser, mei­ne Nach­barn, al­les! Ich muss­te ir­gen­det­was küs­sen, was es auch sein moch­te. Das war die Lie­be, die ihre Sch­lin­gen aus­brei­te­te.

Beim Tro­ca­de­ro stieg plötz­lich ein jun­ges Mäd­chen mit ei­nem klei­nen Packet in der Hand, auf und setz­te sich mir ge­gen­über.

Sie war hübsch, ja mein Herr! sie war sehr hübsch. Aber es ist merk­wür­dig wie viel bes­ser ei­nem die Wei­ber im Früh­ling ge­fal­len, wenn das Wet­ter hübsch ist. Sie ha­ben dann et­was Be­son­de­res, einen Reiz ganz ei­ge­ner Art. Es ist das un­ge­fähr, wie wenn man auf ein Stück Käse einen Schluck gu­ten Wein trinkt.

Ich sah sie an und sie schau­te mich an – aber nur von Zeit zu Zeit, ganz wie ihre da. Nach­dem wir uns so eine Wei­le ge­gen­sei­tig be­trach­tet hat­ten, dach­te ich, wir kenn­ten uns nun hin­rei­chend, um ein Ge­spräch an­zu­knüp­fen, und ich be­gann die Un­ter­hal­tung, sie ant­wor­te­te. Von Mi­nu­te zu Mi­nu­te wur­de sie ge­sprä­chi­ger, und ich für mei­nen Teil wur­de ein­fach wie ein Trun­ke­ner; das kann ich Ih­nen ver­si­chern, mein Herr!

In Saint-Cloud, wo sie eine Be­stel­lung ab­zu­lie­fern hat­te, stieg sie aus – ich na­tür­lich mit ihr. Als sie wie­der­kam, fuhr das Dampf­schiff ge­ra­de ab. Ich ging ne­ben ihr her und wir so­gen bei­de mit Be­ha­gen die fri­sche, wür­zi­ge Früh­lings­luft ein.

»Ich glau­be, im Wal­de wür­de es herr­lich sein,« sag­te ich.

»Ach ja!« ant­wor­te­te sie.

»Hät­ten Sie nicht Lust einen Spa­zier­gang dort­hin zu ma­chen, Fräu­lein?«

Sie streif­te mich von un­ten her mit ei­nem ra­schen Blick, als woll­te sie sich über mei­ne Ab­sich­ten ver­ge­wis­sern; dann wil­lig­te sie nach kur­z­em Zö­gern ein. Bald be­fan­den wir uns un­ter den grü­nen­den Bäu­men. Noch lag hier und dort das fah­le Laub des ver­gan­ge­nen Herbs­tes auf dem Bo­den, aber un­ter ihm spross­te duf­ti­ges Grün her­vor, strah­lend im zit­tern­den Son­nen­lich­te, be­lebt von un­zäh­li­gen klei­nen und großen We­sen, die sich im Rau­sche er­wa­chen­der Früh­lings­lust tum­mel­ten, wäh­rend der viel­stim­mi­ge Ge­sang der Vö­gel die Luft er­füll­te. Da be­gann mei­ne Ge­fähr­tin, von Früh­lings­duft und Wald­wür­ze be­rauscht, in lus­ti­gen Sprün­gen da­von­zu­lau­fen, und ich folg­te ihr scher­zend in­dem ich eben­falls aus­ge­las­se­ne Sprün­ge mach­te. Man wird zu­wei­len wie­der zum Kin­de, mein Herr!

Hier­auf stimm­te sie über­mü­tig ein Lied­chen an, Opern-Me­lo­di­en, den Ge­sang der Mu­set­te! Wie poe­tisch klang es mir da­mals! … Ich wein­te fast. Alle die­se Scher­ze mach­ten mich ganz toll da­mals. Neh­men Sie nie­mals eine Frau, die auf ei­ner Land­par­tie singt, zu­mal wenn sie das Lied der Mu­set­te singt.

Bald wur­de mei­ne Ge­fähr­tin müde und setz­te sich auf einen grü­nen Hü­gel. Ich ließ mich zu ih­ren Füs­sen nie­der und fass­te ihre Hän­de, die­se nied­li­chen klei­nen Hän­de, die von Na­del­sti­chen über­sä­et wa­ren und de­ren An­blick mich ganz zärt­lich stimm­te. »Das sind die hei­li­gen Nar­ben der Ar­beit,« sag­te ich bei mir. Ach, mein Herr! mein gu­ter Herr! wis­sen Sie, was das be­deu­tet, die hei­li­gen Nar­ben der Ar­beit? Das be­deu­tet das gan­ze Ge­klat­sche des Ar­beits­saa­l­es, die ge­flüs­ter­ten heim­li­chen Zwei­deu­tig­kei­ten, die Be­fle­ckung der See­le durch all die schmut­zi­gen Ge­schich­ten, die Un­ter­gra­bung der Keusch­heit, die gan­ze Ge­mein­heit je­nes Ge­schwät­zes, das gan­ze Elend des täg­li­chen Le­bens, die gan­ze Be­schränkt­heit des weib­li­chen Ide­en­gan­ges, die auf je­nen las­tet, wel­che an den Fin­ger­spit­zen die hei­li­gen Nar­ben der Ar­beit tra­gen.

Dann sa­hen wir uns lan­ge in die Au­gen. Ach, die­ses Auge des Wei­bes! Wel­che Macht liegt doch in ihm! Wie be­tört, wie reizt, wie un­ter­jocht und be­herrscht es! Wie tief, wie un­er­gründ­lich er­scheint es, wie so vol­ler Ver­spre­chen. Man nennt das: Auf dem Grund der See­le le­sen! Ach, mein Herr! Welch ein Blöd­sinn! Könn­te man dem Wei­be in die See­le schau­en, man wäre wahr­haf­tig ver­nünf­ti­ger.

Sch­liess­lich war ich ganz in ih­ren Ban­den, ich war när­risch und woll­te sie in mei­ne Arme schlies­sen. »Hän­de weg!« war ihre Ant­wort.

Ich knie­te vor ihr nie­der und schüt­te­te ihr mein Herz aus; ich flüs­ter­te in ih­ren Schoss alle Zärt­lich­kei­ten, die ich emp­fand. Sie schi­en über den Wech­sel mei­nes Be­neh­mens sehr er­staunt und sah mich mit ei­nem ver­steck­ten Blick an, als sprä­che sie zu sich selbst:

»Aha! so muss man mit Dir spie­len, mein Bes­ter! Schön, wir wer­den ja se­hen.«

Sie wäre mein ge­we­sen, ohne Zwei­fel; ich habe spä­ter mei­ne Tor­heit ein­ge­se­hen; aber was ich da­mals such­te, war nicht sinn­li­cher Ge­nuss, son­dern et­was Idea­le­res: Mich ver­lang­te nach Zärt­lich­keit. Ich war sen­ti­men­tal, statt mei­ne Zeit auf et­was Bes­se­res zu ver­wen­den.

Als sie an mei­nen Lie­bes­be­teue­run­gen ge­nug hat­te, er­hob sie sich, und wir be­ga­ben uns nach Saint-Cloud zu­rück; erst in Pa­ris trenn­ten wir uns. Seit­dem wir uns auf dem Heim­we­ge be­fan­den, hat­te sie eine so trau­ri­ge Mie­ne, dass ich nicht um­hin konn­te, sie um die Ur­sa­che zu be­fra­gen.

»Ich den­ke dar­an,« ant­wor­te­te sie »dass es nicht vie­le Tage im Le­ben gibt, so schön wie die­ser.«

Mein Herz pocht zum Zer­sprin­gen.

Ich sah sie am nächs­ten Sonn­tag wie­der, und am fol­gen­den gleich­falls und so fort alle Sonn­ta­ge. Ich führ­te sie aus, nach Bou­gi­val, Saint-Ger­main, Mai­sons-Laf­fit­te, Pois­sy über­all hin, wo sich die Schä­fer­stun­den in der Um­ge­bung der Stadt ab­zu­spie­len pfle­gen.

Die klei­ne Hexe ih­rer­seits ver­stand es treff­lich, mich zur vol­len Ra­se­rei zu trei­ben.

Ich ver­lor end­lich den Kopf und drei Mo­na­te spä­ter war sie mei­ne Frau.

Was wol­len Sie, mein Herr; man ist Be­am­ter, al­lein in der Welt, ohne Fa­mi­lie, ohne Be­ra­ten. Man bil­det sich ein, das Le­ben mit ei­ner Frau müs­se pa­ra­die­sisch sein. Und man hei­ra­tet drauf los!

Von da an wer­den Sie von früh bis Abend ge­quält und ge­är­gert; die Frau hat für nichts ein Ver­ständ­nis, weiß von nichts, plap­pert ohne Un­ter­lass, singt bis zur Verzweif­lung das Lied der Mu­set­te (Ach das Lied der Mu­set­te, welch eine Qual!) strei­tet sich mit dem Koh­len­händ­ler, er­zählt der Haus­meis­te­rin alle Ge­heim­nis­se des Haus­halts, ver­traut dem Dienst­mäd­chen des Nach­barn alle Vor­gän­ge im Schlaf­zim­mer an, stürzt den Gat­ten bei sämt­li­chen Lie­fe­ran­ten in Schul­den, und hat den Kopf so voll Schrul­len, voll blöd­sin­ni­gen Ide­en, haar­sträu­ben­den An­sich­ten, und al­ber­nen Vor­ur­tei­len, dass man vor Verzweif­lung wei­nen könn­te. Ja, mein Herr! Ich habe ge­weint, je­des Mal schliess­lich wenn ich mit ihr sprach.«


Er schwieg und schöpf­te sicht­lich er­regt tief Atem. Ich sah ihn an voll Mit­leid mit die­sem ar­men harm­lo­sen Teu­fel, und woll­te ihm ge­ra­de et­was ant­wor­ten, als das Dampf­schiff an­hielt. Wir wa­ren in Saint Cloud.

Das jun­ge Mäd­chen, des­sen An­blick mich so er­regt hat­te, stand auf um ab­zu­stei­gen. Sie ging nahe an mir vor­über und warf mir einen Blick zu, mit ei­nem flüch­ti­gen Lä­cheln, je­nem Lä­cheln, das einen när­risch ma­chen kann.

Ich woll­te vor­stür­zen um ihr zu fol­gen; aber mein Beglei­ter hielt mich an der Hand fest. Mit ei­ner hef­ti­gen Be­we­gung riss ich mich los. Da griff er mich an mei­ne Rock­schös­se und zog mich zu­rück, wo­bei er im­mer­fort rief: »Sie dür­fen nicht ge­hen; Sie dür­fen nicht!« und zwar mit so lau­ter Stim­me, dass sich al­les nach uns um­wand­te.

Ein Ge­läch­ter er­hob sich rings­um und ich stand fest­ge­wur­zelt, wü­tend, aber mut­los ge­gen­über der Furcht vor die­ser lä­cher­li­chen Sze­ne.

Das Dampf­schiff fuhr wei­ter.

Das jun­ge Mäd­chen war auf der Lan­dungs­brücke ste­hen ge­blie­ben und sah mit ent­täusch­ter Mie­ne, wie ich wei­ter­fuhr. Mein Beglei­ter aber rieb sich ver­gnügt die Hän­de und flüs­ter­te mir ins Ohr:

»Ich habe Ih­nen wirk­lich einen treff­li­chen Dienst er­wie­sen. Las­sen Sie es nur gut sein.«

*

Mamsell Fifi

Schloss Uville in der Nor­man­die hat­te seit drei Mo­na­ten preus­si­sche Ein­quar­tie­rung. In dem Ka­mi­ne ei­nes ele­gan­ten Zim­mers brann­te ein lus­ti­ges Feu­er. Vor dem­sel­ben lehn­te, in ei­nem Ses­sel be­hag­lich aus­ge­streckt, der De­ta­che­ments-Kom­man­deur Ma­jor Graf Farls­berg und stu­dier­te die neues­ten Zei­tun­gen und Brief­schaf­ten, die ihm sein Bü­roschrei­ber kurz zu­vor ge­bracht hat­te. Sei­ne be­sporn­ten Stie­fel ruh­ten auf dem präch­ti­gen Mar­mor, mit dem der Herd ein­ge­fasst war und in des­sen glat­ter Flä­che sie all­mäh­lich zwei tie­fe Ril­len ein­ge­kratzt hat­ten.

Ne­ben ihm auf ei­nem ein­ge­leg­ten Tisch­chen dampf­te eine Tas­se Kaf­fee. Das zier­li­che Mö­bel­stück trug jetzt die Spu­ren von ver­schüt­te­tem Ko­gnak, Brand­fle­cken von rück­sichts­los zur Sei­te ge­leg­ten Zi­gar­ren­stum­meln und Krit­zer von dem Fe­der­mes­ser des feind­li­chen Of­fi­ziers, der ge­le­gent­lich auch mit dem ge­spitz­ten Blei­stift ir­gend ein Wort oder eine Zahl, die ihm ge­ra­de ein­fie­len, dar­auf ein­zu­gra­ben pfleg­te.

Nach­dem der Graf mit sei­ner Le­sung zu Ende war, er­hob er sich und warf ei­ni­ge Stücke grü­nes Holz auf das Feu­er. Die Her­ren Preus­sen lich­te­ten näm­lich zur Be­schaf­fung von Brenn­ma­te­ri­al all­mäh­lich den herr­li­chen Holz­be­stand des Par­kes.

Der Re­gen floss in Strö­men, ein echt nor­män­ni­scher Re­gen, sprit­zend, peit­schend, al­les durch­ein­an­der; wie von ra­sen­der Hand im Zick­zack aus­ge­schüt­tet, bil­de­te eine Art schräg­ge­streif­ten Vor­hang. Nur in der Um­ge­bung von Rou­en, die­ser Kloa­ke Frank­reichs konn­te ein sol­cher Re­gen fal­len.

Lan­ge be­trach­te­te der Of­fi­zier die durch­weich­ten Ra­sen­flä­chen und wei­ter un­ten die hoch­an­ge­schwol­le­ne ihre Ufer über­flu­ten­de An­del­le, wäh­rend er den neues­ten Rhein-Wal­zer auf den Schei­ben trom­mel­te. Ein Geräusch an der Türe ver­an­lass­te ihn, sich um­zu­wen­den. Es war der Haupt­mann Baron Hel­fen­stein nach dem Kom­man­deur, der rangäl­tes­te Of­fi­zier, der so­eben ein­trat.

Der Ma­jor war ein breit­schult­ri­ger Rie­se, mit ei­nem fä­cher­ar­ti­gen über der Brust her­ab­wal­ten­den Bar­te. Sei­ne hohe Ge­stalt mit der fei­er­li­chen Hal­tung er­weck­te un­will­kür­lich die Vor­stel­lung von ei­nem krie­ge­ri­schen Pfau, der den brei­ten Schweif un­ter dem Kinn ent­fal­tet hat. Er hat­te blaue Au­gen und einen ru­hi­gen Blick. Quer über die rech­te Wan­ge lief eine Sä­bel­nar­be, ein An­den­ken aus dem ös­ter­rei­chi­schen Feld­zu­ge. Es heisst, er sei ein eben so wack­rer Mensch wie tapf­rer Of­fi­zier.

Der Haupt­mann war ein kurz un­ter­setz­ter röt­lich auf­ge­dun­se­ner stark ge­schnür­ter Mann, des­sen flam­men­der kurz ge­schnit­te­ner Bart bei ei­ner ge­wis­sen Be­leuch­tung den Ein­druck er­weck­te, als sei das Ge­sicht mit Phos­phor ein­ge­rie­ben. Er hat­te bei ir­gend ei­ner leicht­sin­ni­gen Ge­le­gen­heit, dar­an er selbst sich nicht mehr ge­nau er­in­nern konn­te, zwei Zäh­ne ver­lo­ren. In­fol­ge des­sen stiess er die Wor­te et­was un­deut­lich her­vor, so­dass man ihn zu­wei­len kaum ver­ste­hen konn­te. Auf sei­nem Haup­te sah es ziem­lich kahl aus; er trug eine große Plat­te wie ein Mönch, die von ei­nem Kranz gold­lo­cki­ger glän­zen­der Här­chen ein­ge­fasst war.

Der Kom­man­deur schüt­tel­te ihm die Hand, und trank auf einen Zug sei­ne Kaf­fee­tas­se (die sechs­te seit dem Mor­gen) aus, wäh­rend er den Rap­port über die neues­ten dienst­li­chen Vor­komm­nis­se ent­ge­gen­nahm. Dann tra­ten bei­de wie­der an das Fens­ter, um ih­rem Un­mu­te über die Wit­te­rung Luft zu ma­chen. Der Ma­jor, ein ru­hi­ger Mann, der zu Hau­se Weib und Kind hat­te, wuss­te sich leicht in al­les zu fin­den; aber der Haupt­mann war ein ech­ter Le­be­mann, der dem Ba­chus wie der Ve­nus gleich eif­rig diente und je­der Schür­ze nach­jag­te, war aus­ser sich, dass er nun schon drei Mo­na­te auf die­sem ver­lo­re­nen Pos­ten der Ent­halt­sam­keit pfle­gen muss­te.

 

Es klopf­te, und auf das »He­rein« des Ma­jors er­schi­en ein Mann in der Türe, ei­ner ih­rer au­to­ma­ti­schen Sol­da­ten­fi­gu­ren, um durch sei­ne blos­se An­we­sen­heit zu mel­den, dass das Früh­stück be­reit sei.

Im Spei­se­zim­mer fan­den sie die drei Su­bal­tern-Of­fi­zie­re: Den Pre­mier­lieu­ten­ant Otto von Groß­ling und die zwei Se­kon­de­lieu­ten­ants Fritz Schön­burg und Wil­helm Frei­herr von Ey­rich. Letz­te­rer war ein klei­ner Blond­kopf, derb und roh mit sei­nen ei­ge­nen Leu­ten, hart ge­gen die Be­sieg­ten und ex­plo­siv von Cha­rak­ter wie ein ge­la­de­nes Ge­wehr. Seit ih­rem Ein­marsch in Frank­reich nann­ten sei­ne Ka­me­ra­den ihn nur »Mam­sell Fifi« we­gen sei­nes ge­schnie­gel­ten We­sens, sei­ner zier­li­chen wie von ei­nem Kor­sett ge­hal­te­nen Tail­le und sei­nem zar­ten Ge­sicht­chen, auf dem sich kaum der ers­te An­flug von Schnurr­bart zeig­te. Aus­ser­dem hat­te er die Ge­wohn­heit an­ge­nom­men, sei­ne sou­ve­rä­ne Ver­ach­tung al­ler Per­so­nen und Din­ge durch den fran­zö­si­schen Aus­druck »Fi, fi donc« zu be­zeu­gen, den er mit ei­nem leich­ten Zi­schen her­vors­tiess.

Der Spei­se­saal im Schlos­se Uville war ein lang­ge­streck­ter ma­je­stä­ti­scher Raum, des­sen präch­ti­ge von Ku­geln durch­lö­cher­te alte Spie­gel­schei­ben, eben­so wie die von Sä­bel­hie­ben zer­fetz­ten hier und dort her­ab­hän­gen­den herr­li­chen fland­ri­schen Sti­cke­rei­en Zeug­nis da­von ab­leg­ten, wo­mit sich Ma­da­me Fifi in ih­ren Mus­se­stun­den be­schäf­tig­te.

An den Wän­den hin­gen vier Fa­mi­li­en­por­träts, von de­nen die drei ers­ten ei­sen­ge­pan­zer­ten Krie­ger, einen Kar­di­nal und einen ho­hen Staats­be­am­ten dar­stell­ten. Man hat­te je­dem der­sel­ben eine lan­ge Ton­pfei­fe in den Mund ge­steckt, wäh­rend man das stol­ze Ant­litz der vor­neh­men Dame mit der ho­hen Brust in ih­rem durch die Zeit ver­blass­ten Rah­men durch einen mäch­ti­gen Schnurr­bart mit­tels Koh­le ver­un­ziert hat­te.

Das Früh­stück der Of­fi­zie­re ver­lief in die­sem ver­wüs­te­ten von den Hän­den der Sie­ger ent­stell­ten Räu­me, des­sen ei­che­nes Par­ket jetzt dem Bo­den ei­ner Knei­pe glich, bei dem strö­men­den Platz­re­gen ziem­lich ein­sil­big.

Als nach dem Es­sen die Pfei­fe in Brand ge­setzt wa­ren und das ei­gent­li­che Trin­ken be­gann, un­ter­hiel­ten sie sich, wie alle Tage, über ihre ent­setz­li­che Lan­ge­wei­le. Die Ko­gnak- und Li­queur­fla­schen wan­der­ten von Hand zu Hand. Be­quem in ihre Ses­sel zu­rück­ge­lehnt nah­men die Her­ren im­mer wie­der einen Schluck, wäh­rend aus ei­nem Mund­win­kel das ge­bo­ge­ne Pfei­fen­rohr hing mit dem Por­zel­lan­kopf dar­an, des­sen Be­ma­lung ei­nem Hot­ten­tot­ten Freu­de ge­macht hät­te.

Mit läs­si­ger Hand­be­we­gung füll­ten sie die kaum ge­leer­ten Glä­ser stets aufs Neue. Nur Mam­sell Fifi zer­brach alle Au­gen­bli­cke das ih­ri­ge, wor­auf ein Sol­dat so­fort ein fri­sches brach­te.

Von ei­ner beis­sen­den Ta­baks­wol­ke ver­hüllt schie­nen sie sich je­ner schläf­ri­gen trau­ri­gen Trun­ken­heit je­ner stumpf­sin­ni­gen Be­sof­fen­heit hin­zu­ge­ben, wel­che Leu­te an sich ha­ben, die nicht wis­sen, was sie an­fan­gen sol­len. Plötz­lich sprang der Baron Hel­fen­stein auf; ein in­ne­rer Wi­der­wil­le schi­en ihn zu er­schüt­tern. »Teu­fel auch!« fluch­te er »so kann’s nicht wei­ter ge­hen. Wir müs­sen end­lich was aus­fin­den.«

»Aber was, Herr Haupt­mann?« rie­fen die Lieu­ten­ants Fritz und Otto, zwei Deut­sche, de­nen man ihre Ab­stam­mung an den schwer­fäl­li­gen plum­pen Mie­nen auf hun­dert Schritt an­sah, wie aus ei­nem Mun­de.

»Was!« ent­geg­ne­te der Baron, nach kur­z­em Nach­den­ken. »Sehr ein­fach: Wir müs­sen ein Fest ar­ran­gie­ren, wenn es der Herr Ma­jor ge­stat­tet.«

»Was für ein Fest?« frag­te der Ma­jor, die Pfei­fe aus dem Mun­de neh­mend.

»Ich neh­me al­les auf mich, Herr Ma­jor,« sag­te der Haupt­mann sich ihm nä­hernd. »Ich wer­de den Quar­tier­meis­ter nach Rou­en schi­cken, um uns von dort Da­men zu ho­len, ich weiß schon, wo sie zu fin­den sind. In­zwi­schen tref­fen wir hier die Vor­be­rei­tun­gen zu ei­nem so­len­nen Sou­per. Im Üb­ri­gen ha­ben wir an nichts Man­gel und wer­den we­nigs­tens einen fi­de­len Abend ver­le­ben.«

»Aber Herr Haupt­mann«; sag­te der Graf Farls­berg ach­sel­zu­ckend »das geht doch et­was zu weit.«

In­des­sen wa­ren alle Of­fi­zie­re auf­ge­sprun­gen. »Las­sen Sie den Herrn Haupt­mann nur ma­chen, Herr Ma­jor«; ba­ten sie »es ist zu lang­wei­lig hier.«

Sch­liess­lich gab der Ma­jor nach. »Also mei­net­we­gen denn!« sag­te er, und so­gleich wur­de der Quar­tier­meis­ter ge­ru­fen. Es war dies ein al­ter Un­ter­of­fi­zier, den man nie­mals hat­te la­chen se­hen. Er war ge­wohnt, alle Be­feh­le sei­ner Vor­ge­setz­ten ohne Zö­gern zu er­fül­len, moch­ten sie lau­ten, wie sie woll­ten.

In stram­mer Hal­tung, ohne eine Mie­ne zu ver­zie­hen, emp­fing er die An­wei­sun­gen des Barons. We­ni­ge Mi­nu­ten spä­ter fuhr ein Re­qui­si­ti­ons-Wa­gen, mit ei­ner Mül­ler-Pla­ne über­spannt und von vier mun­tren Pfer­den ge­zo­gen im Ga­lopp durch den strö­men­den Re­gen nach Rou­en.

Es war, als ob der Plan des Haupt­man­nes die Geis­ter neu be­lebt hät­te. Man rich­te­te sich aus der nach­läs­si­gen Hal­tung auf, die Ge­sich­ter er­hell­ten sich und ein lus­ti­ges Ge­plau­der be­gann.

Ob­schon der Re­gen nach wie vor in Strö­men fiel, woll­te der Ma­jor be­mer­ken, dass es we­ni­ger düs­ter sei; und der Lieu­ten­ant Otto ver­si­cher­te so­fort im Tone der Über­zeu­gung, dass der Him­mel sich auf­klä­re. Auch Mam­sell Fifi dul­de­te es nicht län­ger auf ih­rem Plat­ze. Bald sprang sie auf, bald setz­te sie sich wie­der hin. Ihr hel­ler kla­rer Blick such­te nach ei­nem ge­eig­ne­ten Ge­gen­stand für ihre Zer­stö­rungs­lust. Plötz­lich zog der jun­ge Of­fi­zier, das Auge auf die Dame mit dem Schnurr­bart hef­tend, sei­nen Re­vol­ver. »Du sollst das heu­te Abend nicht mehr se­hen,« mur­mel­te er für sich hin, und ziel­te, ohne sei­nen Platz zu ver­las­sen. Zwei Ku­geln durch­lö­cher­ten hin­ter­ein­an­der die bei­den Au­gen des Bil­des.

»Le­gen wir eine Mine« rief er dann. Und plötz­lich brach jede Un­ter­hal­tung ab, als ob ein neu­es ge­wal­ti­ges In­ter­es­se sich der gan­zen Ge­sell­schaft be­mäch­tigt hät­te.

Die »Mine« war sei­ne Er­fin­dung, sei­ne Art zu zer­stö­ren, sei­ne be­son­de­re Lieb­ha­be­rei.

Graf Fer­di­nand d’A­moys d’Uville hat­te beim Ver­las­sen des Schlos­ses nicht Zeit ge­fun­den, aus­ser­dem in ei­nem Mau­er­loch ver­senk­ten Sil­ber­zeug, ir­gen­det­was zu ber­gen oder mit­zu­neh­men. So bot bei sei­nem großen Reich­tum und sei­ner Sam­mel­lust, der weit­läu­fi­ge Saal in Uville, wel­cher an den Spei­se­saal an­s­tiess, auch nach sei­ner has­ti­gen Flucht den An­blick ei­nes klei­nen Kunst­mu­se­ums. An den Wän­den hin­gen wert­vol­le Öl­ge­mäl­de, Zeich­nun­gen und Aqua­rel­le, wäh­rend auf den Mö­beln auf Eta­ge­ren und in ge­schmack­vol­len Glas­schrän­ken sich tau­sen­der­lei Nipp­sa­chen, Va­sen, Sta­tu­et­ten, Meiss­ner Fi­gür­chen, chi­ne­si­sche Tel­ler, al­tes El­fen­bein und Ve­ne­tia­ni­sches Glas sich ver­ein­ten, um dem wei­ten Rau­me ein eben­so kost­ba­res wie selt­sa­mes Ge­prä­ge zu ver­lei­hen.

Jetzt war so gut wie nichts mehr da­von üb­rig. Nicht als ob man et­was ge­stoh­len hät­te; das wür­de der Ma­jor Graf Farls­berg nicht ge­dul­det ha­ben. Aber Mam­sell Fifi leg­te dort hin und wie­der eine »Mine« und alle Of­fi­zie­re fan­den dann je­des Mal für ei­ni­ge Zeit ihr Ver­gnü­gen da­bei.

Der klei­ne Lieu­ten­ant be­gab sich in den Sa­lon, um zu su­chen, was er brauch­te. Bald kam er mit ei­ner zier­li­chen chi­ne­si­schen Tee­kan­ne wie­der, die er mit Schiess­pul­ver an­füll­te. Durch den Schna­bel steck­te er vor­sich­tig ein lan­ges Stück Pfei­fen­schwamm, zün­de­te es an, und leg­te die­ses höl­li­sche Zer­stö­rungs­in­stru­ment schleu­nigst im Sa­lon wie­der nie­der.