Das Märchen im Drama

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I. Charakteristika von Märchendramen am Beispiel der Werke von Gozzi und Tieck

Elfriede Jelineks Schneewittchen, die versucht, ihrer märchenhaften Rolle auf den Grund zu gehen, Dea Lohers Blaubart, der zur Projektionsfläche weiblicher Fantasien wird, Martin Mosebachs sinnlich-altkluge Rotkäppchen, die sich jeglicher Sozialisierung entziehen möchte1 – all diesen Dramenfiguren ist gemeinsam, dass ihre Geschichte mit dem hohen Wiedererkennungswert der populären Vorlage und den Effekten einer differenten Interpretation spielt. Bemerkenswert viele Märchendramen im Erwachsenentheater fußen auf einem Märchenverständnis, das keine unreflektierte Lesart der bekannten Vorlagen zulässt. Die Dramen bewegen sich dabei zwischen „Widerstand und Wiederholung, zwischen Subversion und Konvention“, wie es treffend zu Jelineks Prinzessinnendramen formuliert worden ist.2 Fraglich ist, ob diese Bearbeitungsstrategie als repräsentativ für deutschsprachige Märchendramen aus über 200 Jahren gelten darf.

Bei der Betrachtung des vorliegenden Korpus von Märchendramen für Erwachsene fällt zunächst eine Neigung hin zur satirischen Bearbeitung auf, die ich einführend an Märchenstücken von Carlo Gozzi und Ludwig Tieck vorstellen möchte. Der satirische Zugriff ist jeweils inhaltlich und formal verschieden, aber oftmals eng verknüpft mit einem intertextuellen Charakter.3 Dies gründet zu großen Teilen auf dem Umstand, dass sowohl der intertextuelle Ansatz als auch die satirische Ausdrucksform tendenziell eine distanzierte Sichtweise auf ihren Bezugspunkt generieren.4 Selbstverständlich liegt per se ein intertextueller Zugriff zugrunde, wenn sich ein Drama auf eine Märchenvorlage bezieht.

Darüber hinaus werden in Märchendramen auffällig oft Anspielungen auf andere Prätexte5 und Kontexte eingeführt, sodass durchaus von einer ausgeprägt intertextuellen Komponente gesprochen werden kann: „Märchendramen verknüpfen drei referentielle Ebenen, ausgehend von den Bezügen zu den vor ihnen liegenden Texten und Diskursen einerseits, zum anderen ihre Ausrichtung auf die eigene Rezeption, und schließlich die Selbstthematisierung als Literatur aus Literatur, als Metatext“6, so schreibt Ruth Petzoldt treffend.

Zu unterscheiden ist demnach zwischen Intertextualität als Dialog bestimmter Texte und als Referenz auf ein System bzw. auf Texttypen und Gattungen.7 Zudem ist eine Neigung hin zur Selbstreflexivität auszumachen, die sich in überdurchschnittlich vielen Märchentexten auffinden lässt. Inwiefern sich Formen der Selbstreflexion aus der betont intertextuellen Bearbeitung und einer satirisch-distanzierten Perspektive ergeben, werde ich in den folgenden Kapiteln erarbeiten. Dabei untersuche ich einerseits, ob und wie die Verfremdung der Märchenvorlagen produktive Brüche der Erwartungen, die das Märchen als Form weckt, zu provozieren vermag. Auf der anderen Seite ist zu beachten, dass auch durch das Märchen selbst eine gattungsbedingte Distanzierung zur Handlung auszumachen ist, denn es gilt die märchentypische Vereinbarung mit den Adressaten, dass dieses nicht wahr ist. Die Rezipienten haben folglich eine größere Distanz zum Geschehen, wenn das Märchen, zum Beispiel durch die stilisierten Eingangs- und Schlussformeln, als solches markiert wird.8

Um die oben genannten generischen Charakteristika der Märchenadaptationen im Rahmen einer poetologischen Einordnung zu erfassen, werde ich eine aspektorientierte Sichtung der vorliegenden Märchendramen vornehmen. Möchte man sich an einer Poetologie des Märchendramas versuchen, bietet sich zunächst ein Blick auf die Anfänge europäischer Märchendramatik an, um mögliche Tendenzen der Bearbeitung im deutschsprachigen Märchendrama besser kontextualisieren zu können. Diese wurden bisher unzulänglich erforscht.

Margarete Kober schlägt den Bogen in Das deutsche Märchendrama (1925) vor allem zu William Shakespeare, um in seinen Stücken einen entscheidenden Impuls für deutschsprachige Märchenadaptationen zu vermuten. Insbesondere dessen Theaterstücke Ein Sommernachtstraum (1595/96) und Der Sturm (1611) weisen märchenhafte Elemente auf, jedoch hat Shakespeare nicht primär bekannte Märchen adaptatiert, sondern vielmehr eigens verfasste märchenhafte Elemente verwendet oder diese nur sporadisch von anderen übernommen.9 Seine Werke werden daher in dieser Arbeit, in der direkte Adaptationen fokussiert werden sollen, vernachlässigt. So stehen Märchendramen, bei denen trotz aller Reinterpretation die märchenhafte Struktur und Vorlage noch erhalten bleiben, im Vordergrund.

Einführend möchte ich daher hier die Märchendramen der Autoren Gozzi und Tieck untersuchen, in deren Werken das Märchen entscheidenden Einfluss auf die Figurenkonzeption und Handlungsdramaturgie ausübt. Durch die Analyse dieser frühen Bearbeitungen versuche ich herauszuarbeiten, ob die Eigenarten der Märchengattung produktiv auf das Drama übertragen werden können. Daran schließt sich die Frage an, ob es zu einer Weiterentwicklung der Gattungsspezifika durch die Adaptationsverfahren kommt.

Signifikant sind die Fiabe teatrali (1761-65) des italienischen Dramatikers Gozzi, in denen die Masken der Commedia dell’arte10 offensiv mit Märchenvorlagen verbunden werden, sodass die intertextuellen Bezüge deutlich hervortreten.11 Auf diese werde ich zu Beginn näher eingehen, um anschließend einen Blick auf Tiecks Märchenadaptationen zu werfen, die sich (wenn auch mit starken Einschränkungen) auf Gozzis Dramen beziehen. Tiecks Märchenbearbeitungen sind insofern von Relevanz, als dass sie die Tradition des modernen Märchendramas in Deutschland begründen. Tieck, so soll gezeigt werden, entwickelt gerade den Aspekt der intertextuell-satirischen Märchenbearbeitung weiter und schafft vielfältige selbstreferentielle Anspielungen, die spätere Märchendramen beeinflusst haben.

Im Folgenden werde ich der Vermutung, dass es eine derartig spezifische Tradition des Märchendramas geben könnte, anhand der frühen Bearbeitungen Tiecks und Gozzis nachgehen. Dies wird auch dienlich sein, um die Bearbeitungen späterer intertextueller Märchenadaptationen, die wiederum Tiecks Dramen und deren selbstreferentiellen und satirischen Anlagen aufgreifen, besser einordnen und voneinander abgrenzen zu können.

I.1 Carlo Gozzis Fiabe teatrali (1761-65)

Gozzis Fiabe teatrali umfassen zehn italienische Märchendramen mit Figuren der Commedia dell’arte, die im Zuge von ästhetischen Erneuerungsbemühungen und im Wettstreit mit Carlo Goldoni entstanden sind.1 Beide Autoren versuchen, der als trivial geltenden Commedia dell’arte einen höheren künstlerischen Stellenwert zu verleihen.2 Bis auf wenige Ausnahmen sind die Quellen von Gozzis Märchenadaptationen bekannt; seine Dramen gehen unter anderem auf Texte aus Tausend und eine Nacht zurück.3

Die Verwendung populärer Märchen verschafft Gozzi seinerzeit ein breites Publikum, denn die märchenhaften Inhalte und Figuren konnten als bekannt vorausgesetzt werden, was die Neugier auf eine dramatische Umsetzung sicher verstärkt hat.4 Den Märchenfiguren, die bei Gozzi grundsätzlich adelig sind, wird dabei der tragische Handlungsverlauf zugeordnet; die aus der Commedia dell’arte adaptatierten Masken übernehmen die burlesken und komischen Szenen. Auch verbal äußert sich dieser Kontrast, indem sich die märchenhaften Figuren einer elaborierten Verssprache bedienen und die Masken in einer von Dialekten geprägten Prosa sprechen.5

Durch die Verwendung bereits bekannter Figuren und ihre auf Kontrasteffekte ausgelegte Zusammenführung innerhalb eines Märchendramas stellt sich die Frage nach den dramaturgischen Veränderungen, die Gozzi vorgenommen hat. Anhand einzelner Textbeispiele aus den Fiabe werde ich nun die inhaltlichen und strukturellen Modifikationen, die Gozzis Märchenadaptationen mitunter einen satirischen Charakter verleihen, exemplarisch nachvollziehen. Weiterhin stellt sich die Frage, ob sich diese satirische Distanzierung aus der intertextuellen Herangehensweise speist und ob sie bereits selbstreferentielle Züge trägt.

Über den Modus der Märchenbearbeitung

In der Vorrede zu seinem ersten Märchenstück L’amore delle tre melarance (dt. Auszug aus dem Märchen. Die Liebe zu den drei Pomeranzen, 1761)1 erläutert Gozzi, dass er auf Grundlage eines bekannten Kindermärchens „im Grunde nichts anderes als eine übertriebene comische Parodie der Werke von Chiari und Goldoni“2 schaffen wolle. Er wählt demnach das Märchen als Gattung und die Spielform der Commedia dell’arte als Folie, um Kritik an seinen Konkurrenten zu formulieren.3 Die Märchenhandlung wird hierfür um effektvolle Szenen mit spektakulären Bühnenverwandlungen und fantastischen Ungeheuern ergänzt.4 Dabei steht weniger eine ausgefeilte Dramaturgie oder eine sublime Darstellung, sondern vielmehr der Unterhaltungswert im Vordergrund, was die Trivialität, die Gozzi dem Märchen und der Commedia dell’arte unterstellt, noch betont.5

Das Märchen wird bei Gozzi einerseits auf seine unrealistische Darstellung und einen allein dem Amüsement dienenden Wert reduziert, zugleich wird es im Zuge einer Sinnerweiterung instrumentalisiert. Der satirische Zugriff dient laut Gozzi selbst der künstlerischen Aufwertung: „Ohne die Masken aus diesem Mährchen zu vertreiben, die ich vielmehr auf dem Theater erhalten […] wollte, hab ich aus diesem kindischen Subject ein ernsthaft comisches Stück für das Theater gemacht.“6

Laut Helmut Feldmann nutzt Gozzi Texte aus Märchensammlungen, „um das Märchen im Dienste einer literarisch-ideologischen Satire der Lächerlichkeit preiszugeben“7; er spricht von einer „Haßliebe“8 Gozzis gegenüber Märchen und Commedia dell’arte als bloßen Unterhaltungsformen. Tatsächlich scheint Gozzi insofern fasziniert von den Möglichkeiten der dramatischen Märchenadaptation zu sein, als dass sie sein Hauptwerk ausmachen; zugleich äußert er sich zu der Märchenform, wie Feldmann richtig erfasst, kritisch und distanziert. Daraus jedoch die Konklusion zu ziehen, dass das Märchen und die Commedia dell’arte allein gewählt wurden, um sie besonders trivial erscheinen zu lassen, würde den Fiabe in ihrer transformierenden Dimension nicht gerecht werden.

 

Denn neben dem Versuch, die Werke seiner Kollegen ins Lächerliche zu ziehen, lässt sich an Gozzis Märchendramen auch ein künstlerischer Mehrwert ablesen: Wenn auch unbeholfen und oftmals grob, gelingt es Gozzi, eine neue dramatische Gattung zu generieren.9 Auch Feldmann betont, dass das Märchen bei Gozzi immerhin zum ersten Mal für einen dramatischen Handlungsverlauf entscheidend ist, auch wenn er nicht so weit geht, dessen Fiabe daher als Werke einer neuen Gattung zu bezeichnen.10 Neben solchen gattungstheoretischen Fragen interessiert in Hinblick auf die Charakteristika des Märchendramas vor allem, aus welchem Grund Gozzi gerade bei der Gattung des Märchens (und der Commedia dell’arte als Aufführungsform) davon ausgegangen ist, dass sie sich in besonderer Weise anbietet, um eine parodistische Kritik an der damaligen Theaterkultur zu üben.

Dies führt zu meiner anfangs formulierten Vermutung zurück, dass sich in Gozzis Werk nicht zufällig eine multiple intertextuelle und satirische Struktur nachweisen lässt, sondern dass es sich um eine Bearbeitung handelt, die für das Märchendrama typisch ist bzw. werden wird. Im Weiteren versuche ich, dieser für das Märchendrama womöglich spezifischen Transformation auf den Grund zu gehen, indem ich am Beispiel von Gozzis Behandlung der Commedia dell’arte die Verwandtschaft von Märchencharakteristika und theatralen Momenten11 betrachte.

Gozzis Bearbeitung der Märchen und ihre Synthese mit dem Theatralen

Auffällig sind die vielfältigen Gemeinsamkeiten, die das Märchen und die formalen Eigenarten der Commedia dell’arte bereits vor ihrer Fusion in Gozzis Werk aufweisen.1 In der Commedia dell’arte finden sich vor allem Typen und Masken, die sich stets wiederholen und in ihren stereotypen Eigenarten bekannt sind, wie die Diener oder die Alten.2 Hier lässt sich eine Parallele zu Märchenfiguren ziehen, die ebenfalls entindividualisiert und stereotyp sind.3 In beiden Fällen wird eine Charakterisierung durch Kontraste vorgenommen, die sich auf verschiedenen Ebenen manifestieren.

Während im Märchen Dualismen wie gut und böse, schön und hässlich oder vornehm und niedrig etabliert werden, bestehen in der Commedia dell’arte die Kontraste eher auf der Figurenebene Junge und Alte, Diener und Herren oder Verliebte und Nicht-Verliebte. Optisch zeichnet sich der Dualismus an den maskierten und unmaskierten Schauspielern, formal in der gehobenen Sprache der Adeligen, die sich von dem ‚niederen’ Dialekt und der groben Wortwahl der Diener distanziert, ab. Dass etwa Truffaldino und Smeraldina sehr derb miteinander sprechen, während die Aristokraten einen feineren Umgang miteinander pflegen, zeigt bereits ein Vergleich ihrer Sprache.

So soll Truffaldino laut Textanweisung seine Verlobte Smeraldina „con violenza“ verspotten.4 Der König Deramo hingegen spricht seine zukünftige Braut Angela mit ausgewählten Worten an: „Veneta donna, / Esempio d’amor vero, che smentisce / Le indegne lingue, che pel mondo vanno / Predicando incostanza, ed amor finto, / E volubilità nel sesso molle. / Che adorna l’Adria tua.”5

Auch in den bewusst eingesetzten schnellen Wechseln von Komik zu Ernst, dem dramaturgischen Gegenüber von handlungstreibenden und retardierenden Elementen sowie in den gegensätzlichen Tempi in der Rezitation und Improvisation setzt sich die Kontrastierung fort.6 Die Handlungsmotivationen und Charakterzüge der Figuren werden in beiden Fällen nicht weiter psychologisiert, sondern als gegeben gesetzt. Die bekannten Erzählmuster und Typen ermöglichen eine größere Kenntnis und einen höheren Wiedererkennungswert bei den Rezipienten.7 Auch Märchen werden durch formelhafte Wiederholungen und ihre typisierten Helden besser erinnert und verinnerlicht. Im Allgemeinen ist die Darstellung der Geschichte handlungsbetont und folgt typischen Erzählmustern wie dem Dreierrhythmus und den fest geprägten Anfängen und Enden: Populäre Märchenphrasen wie „Es war einmal“ und „Wenn sie nicht gestorben sind“ spiegeln sich in den ritualisierten Schlussformeln mit Bitte um Applaus in der Commedia dell’arte und in den sich wiederholenden Phrasen bei den Masken.8

Aufschlussreich ist nun, in welcher Weise Gozzi diese bereits existenten Kontraststrukturen, die sowohl das Märchen als auch die Commedia dell’arte grundlegend charakterisieren, miteinander verbindet und sich für seine Märchendramen zu eigen macht. In den Fiabe ist zu beobachten, dass die dem Märchen entlehnten Figuren die ernsten, tragischen und handlungsbetonten Szenen und die Figuren der Commedia dell’arte die komischen, retardierenden Szenen übernehmen.9

Märchenfiguren und Masken werden folglich aneinander angepasst: Aus allgemein gehaltenen Märchenhelden werden personifizierte Typen. Dies stellt einen massiven dramaturgischen Eingriff dar, da Märchenfiguren üblicherweise weder lustig noch tragisch sind, sondern jenseits dieser Eigenschaften stehen.10 Gozzis Märchenfiguren sind insofern stark modifiziert, wenn sie die ernsten Rollen übernehmen. Diese Umbesetzung ist wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass Gozzi stärkere Publikumsreaktionen provozieren wollte. Um den Spannungsbogen der Dramenhandlung aufrecht zu erhalten, wird die Lakonie des Märchens durch konfliktreiche, das eigene Schicksal infrage stellende und erörternde Mono- und Dialoge der Märchenprotagonisten außer Kraft gesetzt. So reflektiert etwa der König in König Hirsch nach seiner Verwandlung von einem Hirsch in einen alten Mann seine Situation:

DERAMO Il ciel non m’abbandona; e sono ancora / In corpo uman; potrò cercar vendetta. (specchiasi nel fiume) / Ma qual figura d’orridezza miro / Specchiandomi in quest’acque! Io son Deramo! / Dov’è il mio corpo? oh Dio! Deramo io sono? / In qual stato son io! crudo ministro, / Traditor, empio. È questa ricompensa / A tanti benefizi, ch’io ti feci, / Traendoti dal fango? Ah, cieco io fui, / Che non dovea fidarmi, e maledico / Il punto, in cui ti volli fare a parte / Del geloso secreto. Ah, che tant’anni / Di sperienza di fedel servigio / Ingannarmi dovean; ma un punto solo / Fece veder di quanta scelleraggine, / Di quanta iniquità fosti capace. /Angela mia perduta! Angela mia!… (smanioso) / Oh Dio! parmi vederti fra le braccia, / Ingannata, dell’empio. (in atto di partire) Affretto il passo… / M’introduco alla corte… Alla consorte… (si ferma) / Ma che? come farò, perch’ella creda, / Ch’io sono il suo Deramo, se l’infame / Ministro nel mio corpo or l’è pur donna / E più bel corpo con iniquo spirto, / Che gentil spirto in orridezza chiuso / Vorrà, seguendo il femminil costume. / Stanche membra, coraggio. Angela forse / Non è, com’altre son. Tutte le forze / Raccolgo, ed alla Reggia m’introduco. / Morte non manca, e il ciel non abbandona. (entra)11

Dabei wird das Eingreifen übersinnlicher Mächte dennoch nicht reflektiert.12 Anders verhält es sich in diesem Fall bei den Masken, die das Erscheinen rätselhafter magischer Elemente durchaus kritisch thematisieren. Beispielsweise ist in Die Frau eine Schlange die Märchenfigur Farruscad nicht überrascht von dem magischen Erscheinen des mit Essen beladenen ‚Tischlein-deck-dich’. Sein Kompagnon Tartaglia hingegen schon:

TART. (in dietro) Quella mensa non c’era. Chi l’ha portata? mi sento morire di fame. Se potessi di nascosto prendere qualche cibo. (si va avvicinando con timore alla mensa di nascosto)

(Una voce di dentro) Farruscad, cibo prendi, e ti nodrisci.

TART. (spaventato) Che voce è questa! Dove diavolo m’hanno lasciato? (corre a nascondersi dall’altra parte).

FAR. Voce, tu non sei già della consorte.

Voce crudele, ho di morir risolto,

Se i figli miei, se la mia sposa amata

Più non deggio veder.

VOCE. No, non morrai.

Disubbidente, impara, quanto costi

Il trasgredir della tua sposa i cenni.

TART. (di nuovo s’avvicina di nascosto alla mensa per prendere qualche cibo. La mensa sparisce. Tartaglia spaventato fugge a nascondersi dall’altra parte)13

Im Unterschied zu den Märchenfiguren, die diesbezüglich völlig unreflektiert sind, distanzieren sich die Masken partiell von den übernatürlichen Phänomenen der Handlung. Auf diese Weise teilen sie die Position des Zuschauers, der wahrscheinlich ebenfalls mit Staunen auf die märchenhaften Ereignisse reagiert. Das Selbstverständliche des Wunderbaren im Märchen gilt also nicht für die Masken, der Kontrast zwischen beiden Figurengruppen wird an dieser Stelle eher betont.

Auch vom sprachlichen Gestus her sind die Masken dem Publikum vertrauter; die derbe Prosa der Masken zerstört die Märchenillusion kontinuierlich.14 Zwar spielen die Stücke meist an nicht genauer definierten Orten, doch werden teils zeitgenössische Ereignisse aufgegriffen oder Bezüge zu lokalen Personen hergestellt. Diese werden ganz im Sinne der traditionellen Commedia dell’arte ironisch kommentiert.15 Ein eindrückliches Beispiel für eine Verbindung von fiktivem Inhalt und tatsächlichen Begebenheiten findet sich etwa im Blauen Ungeheuer: Hier wird der Hauptmann Brigella von seiner Schwester Smeraldina, die er lange nicht mehr gesehen hat und die nun zum Opfer der Hydra auserkoren wurde, wie folgt verflucht:

SMER. (furiosa) Ah, tiranno, disumanato fratello. (in tuon tragico)

Morirò dunque, e morirò costante;

Ma di tanta barbarie invendicata

Non vorrà ’l ciel ch’io sia. Dopo la morte

Ombra seguace, irata, furibonda

M’avrai, non più sorella, ma consorte. (entra fra l’arme)*

Nota dell’edizione del 1772: „La servetta, che faceva quella part, era moglie da vero del Brighella.“16

Indem die Schauspielerin der Smeraldina tatsächlich die Ehefrau des Brigella-Darstellers ist, entsteht für das informierte Publikum ein komisches Moment, das sich aus dem Zusammenspiel der Fiktion des Stückes mit realen Begebenheiten ergibt. Die Masken in Gozzis Fiabe übernehmen in dieser Weise durch ihre Haltung bzw. den Duktus und Inhalt ihrer Rede eine Brückenfunktion zwischen Märchenwelt und Rezipienten.17 Absichtliche Brüche mit der Märchenillusion und Bezüge zu gegenwärtigen Ereignissen und Personen lassen sich auch in späteren Märchendramen wiederfinden.18 Der ironische Kommentar scheint als Kunstgriff typisch für Märchenbearbeitungen im Drama zu sein – eine Hypothese, die ich bei der Sichtung der anderen Märchendramen überprüfen werde. Eine Folge der ironischen Kommentarebene, die man als märchenuntypisch einordnen könnte, besteht mitunter darin, dass keine unmittelbare Identifikation mit den Figuren des Dramas entstehen kann.

Der Rezipient wird stets darauf hingewiesen (im Fall von Gozzis Fiabe vorwiegend indirekt, in späteren Dramen öfters auch explizit), dass das Märchendrama durch zwei unnatürliche Rahmungen konstituiert wird: das Drama und das Märchen. Dies fasst Susanne Winter pointiert zusammen: „Es lädt nicht zur einfachen Identifikation ein und bietet kein dekoratives Lokalkolorit, sondern es holt die Zuschauer immer wieder aus der Evasion zurück und bewirkt ein Oszillieren zwischen dem Wiedererkennen des Vertrauten und dem Bewußtsein seiner komischen Verfremdung auf der Bühne.“19 Besonders deutlich wird das in einer Szene von Die Frau eine Schlange, auf die ich hier beispielhaft verweisen möchte. Dort sprechen (von Gozzi als vorgegebene Improvisationsvorlage geschrieben) Truffaldino und Brigella über den Effekt von Masken auf der Bühne. Unter anderem diskutieren sie, dass die Behauptung, höhere Schichten würden nicht über diese ‚niedere’ Komik lachen, heuchlerisch sei:

TRUFF. Adduceva il gran disturbo de’ servi nelle commedie, che piacevano a’ padroni, e a’ servi no. A lui piaceva l’Arlecchino, a’ padroni no. Lo faceva ridere; i padroni dicevano, che il ridere delle buffonate di quel personaggio era una scioccheria. Se dovesse ficcarsi degli aghi nelle natiche per non ridere a ciò, che lo faceva ridere. BRIG. Che certo quello era un gran disturbo. Che quando le maschere dicevano nella commedia delle cose, che lo facevano ridere, conveniva per la vergogna, ch’egli ridesse sotto al tabarro. TRUFF. Ch’egli aveva vedute moltissime Dame, e moltissimi Cavalieri ridere senza vergognarsi; che tuttavia è contento d’esser partito da un mondo, che sosteneva un’incomoda serietà in apparenza, e in sostanza era assai ridicolo. Quella solitudine gli piaceva, etc.20

 

Derartige Kommentare zum Märchengeschehen und zur Theatersituation schaffen eine ironische Distanz zur dramatischen Handlung, aus der die Figuren jedoch dennoch nicht gänzlich heraustreten – es kommt demnach zwar zur Verwunderung, doch nie zur Infragestellung des Dramas oder des Märchens.21 Dies verändert sich erst in späteren Märchendramen, wo kritische Kommentare zu den märchenhaften Geschehnissen als metareflexive Infragestellung der Märchenform potenziert werden. Die Distanz zum Märchengeschehen, das somit seine prekäre und weltfremde Atmosphäre beibehalten darf, und die ironische Kommentierung einer Märchen(un)logik und von zeitgenössischen Ereignissen verleihen der Fiabe zumindest aber indirekt selbstreferentielle Züge. Dies bestätigt vorerst die Teilhypothese, dass hier ein charakteristischer Zug dramatischer Märchenbearbeitungen vorliegt.22 Inwiefern die Reflexion der eigenen Form bereits im Märchen selbst angelegt ist, werde ich in den folgenden Kapiteln genauer untersuchen.

Grundlegend lässt sich sagen, dass Gozzi das Märchen und die Commedia dell’arte durch die verspielte und kontrastierende Übertreibung der dramatischen Darstellung in eine tendenziell selbstreflektierende Zuspitzung von Theatralität transformiert. Seine Kritik an den trivialen Formen und an der Arbeit seiner Kollegen führt zu einer wirkungsästhetischen Verweigerung, die das Märchendrama trotz der teils wenig ausgefeilten Bearbeitung und Effekthascherei als eine mögliche neue Gattung konstituiert.23 Mithilfe satirischer Eingriffe scheint nicht die Abbildung von Wirklichkeit, sondern ein betont künstlicher und indirekter Bezug zur Wirklichkeit intendiert zu werden.24 Dazu macht sich Gozzi, wie Friedrich Wolfzettel es nennt, die „märchenhafte Reduktion der Psychologie“25 der Vorlagen zu eigen und ergänzt sie damit wirksam um die stereotype Darstellung der Commedia dell’arte.

Gozzis intertextuelle Satire wendet sich letztlich nicht primär gegen die Märchenform und die Commedia dell’arte als solche, sondern gegen eine unreflektierte Normativität theatraler Darstellung. Seine Aneignung des Märchens im Drama wird greifbarer, wenn man die intertextuelle Synthese erkennt, die sich aus seiner satirischen Betrachtung ergibt. Trotz des signifikanten Charakters seiner Märchendramen verharrt Gozzi mit den Techniken der superioritären Kontrastierung aber bei einem Komödienverständnis, das zur Denunzierung des Stoffes neigt.

Deutlich vielschichtiger und offensiver als Carlo Gozzi verfasst Ludwig Tieck seine Märchensatiren.26 Sind bei Gozzi die selbstreferentiellen Anteile nur angelegt (vor allem durch die anfängliche Kritik an seinen Theaterkollegen und deren Ästhetik), werden diese bei Tieck dominanter. Die intertextuellen Bezüge und eine satirische Sichtweise werden jedoch ebenso wie bei Gozzi durch eine explizit markierte Adaptation der Märchenprätexte gewahrt.27 Vergleichbar mit Gozzis Werk ist vor allem, dass die Kritik an zeitgenössischen Diskursen mithilfe der Adaptation des Märchens im Drama vorgenommen wird. Inwiefern gerade das Märchen als Gattung in spezifischer Weise für eine satirische Betrachtung von gesellschaftlichen und künstlerischen Normen geeignet ist, versuche ich im Folgenden, mithilfe von Tiecks Märchendramen nachzuweisen.