Hans Fallada – Gesammelte Werke

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

6

Die Hand­ta­sche ist ein ärm­li­ches, ab­ge­grif­fe­nes Ding aus ir­gend­ei­nem schwar­zen Stoff, ohne je­den Geld­in­halt. Aber sie riecht stark nach ir­gend­ei­nem Par­füm. Sie hat ihm die Träu­me und Be­gier­den ein­ge­ge­ben, die das Mäd­chen nicht hat­te her­vor­ru­fen kön­nen.

Er ist sehr zei­tig ins Bett ge­gan­gen. Nein, er will nicht mehr aus­ge­hen. Es wird al­les zu ge­fähr­lich. Er muss nun bald ir­gend­wel­che Be­schlüs­se fas­sen, aber nicht heu­te Abend mehr. Vi­el­leicht mor­gen früh. Heu­te Abend hat er zu viel ge­trun­ken. Es dreht sich an­ge­nehm lang­sam in sei­nem Kopf. Er legt ihn auf die Hand­ta­sche, und nun ist ihm ganz so, als füh­re er in ei­ner Schiffs­ka­jü­te nach fer­nen Lan­den. Das Schiff schwankt lei­se, er meint, die Wel­len sanft ge­gen die Bullau­gen klat­schen zu hö­ren, und nun riecht er auch den Duft von je­nen fer­nen, blü­hen­den Ko­kos­in­seln, de­nen er zu­fährt.

Dar­über schläft er fest ein.

Dann ist es ihm, als sprä­chen Män­ner drau­ßen. Er weiß nicht ge­nau, ist es auf dem Schiff oder wo er ist – ach, rich­tig, er ist im Kitt­chen, und die Nacht­wa­che quas­selt vor sei­ner Zel­le. Aber er kann auch weiter­schla­fen.

Dann kann er es doch nicht. Denn eine Stim­me, die ihn völ­lig wach macht, sagt ne­ben ihm: »Wa­chen Sie ge­fäl­ligst auf!«

Er möch­te das Öff­nen der Au­gen hin­aus­schie­ben, aber ganz rück­sichts­los wird ihm die Bett­de­cke fort­ge­zo­gen, und wie er auf­fährt, steht der Kri­mi­nal­be­am­te von ges­tern vor ihm. Der net­te­re von bei­den. Aber heu­te sieht er nicht nett aus.

»Los, los! Wer­den Sie wach, Mensch! Wir ha­ben noch viel vor.«

Ku­falt sieht ihn an. »Wie kom­men Sie denn hier­her?« fragt er. »Sie ha­ben mir doch Ihr Ehren­wort ge­ge­ben.«

»Ach was, Ehren­wort«, sagt der an­de­re. »Le­sen Sie das mal.«

Und er hält ihm ein Zei­tungs­blatt un­ter die Nase.

Zu­erst denkt Ku­falt, es ist sein neues­ter Hand­ta­schen­dieb­stahl. Aber dann ist es ein großes In­se­rat, mit der Schlag­zei­le »An die ge­ehr­ten Her­ren Ein­bre­cher«. Und Herr Wos­sid­lo kün­digt dar­in sei­nen Wunsch an, sich di­rekt mit den Her­ren Ein­bre­chern in Ver­bin­dung zu set­zen. Er gibt ih­nen sein Ehren­wort, sie nicht bei der Po­li­zei an­zu­zei­gen, und er­klärt sich be­reit, ih­nen zehn Pro­zent vom Wert der ge­stoh­le­nen Ware zu be­zah­len. »Mehr als Ih­nen je­der Heh­ler be­zahlt. Mit der noch­ma­li­gen Zu­si­che­rung mei­ner un­ver­brüch­li­chen Ver­schwie­gen­heit, für die ich mit mei­nem Na­men als ehr­li­cher Ham­bur­ger Kauf­mann ein­ste­he, Her­mann Wos­sid­lo.«

»Und nu los«, sagt der Kri­mi­nal­be­am­te. »Wo wohnt der Batz­ke?«

»Batz­ke?« fragt Ku­falt ge­dehnt.

»Fan­gen Sie nicht noch ein­mal mit Ihren Ge­schich­ten an«, sagt der Be­am­te är­ger­lich. »Jetzt kommt es auf Mi­nu­ten an. Vi­el­leicht tref­fen sich die noch heu­te früh. Wir las­sen zwar Te­le­fon, Post und La­den über­wa­chen. Und der Wos­sid­lo kommt uns auch nicht aus den Au­gen. Aber wer weiß, was die für Wege fin­den, sich in Ver­bin­dung zu set­zen.«

»Glau­ben Sie denn«, sagt Ku­falt ganz er­staunt, »dass der Batz­ke dar­auf ein­ge­hen wird?«

»Aber na­tür­lich«, ruft der Be­am­te. »Kein Schwär­zer gibt ihm mehr als drei- oder vier­tau­send Mark. Der geht hin – es ist eine Ge­mein­heit von die­sem Wos­sid­lo! Uns Po­li­zei will er vor ganz Ham­burg lä­cher­lich ma­chen. Dass er in vier­und­zwan­zig Stun­den sich sei­ne Rin­ge wie­der­schafft. Also los, wo wohnt Batz­ke?«

»Ich weiß es nicht«, sagt Ku­falt schüch­tern. »Er wohnt jede Nacht bei an­de­ren Mäd­chen.«

»Aber Sie ken­nen ihn?«

»Ja, das schon.«

»Wie ste­hen Sie mit ihm? Los, Men­schens­kind, zie­hen Sie sich doch an, wäh­rend wir re­den!«

»Nicht gut«, sagt Ku­falt und fängt mit An­zie­hen an.

»Hat Sie aus­ge­schifft bei der Sa­che? Na, ich will Sie nichts fra­gen. Ge­hen Sie so­fort los, Sie wis­sen doch, wo er ver­kehrt, nicht wahr?«

»Ja«, sagt Ku­falt lei­se.

»Also in drei Stun­den müs­sen Sie spä­tes­tens sei­ne Adres­se ha­ben. Ru­fen Sie mich so­fort an. Ap­pa­rat 274. Las­sen Sie ihn nicht aus dem Auge. Ich fin­de Sie dann schon, Mensch!«

Der Be­am­te ist ganz auf­ge­regt. »Den­ken Sie doch bloß, die Bla­ma­ge, wenn heu­te in den Abend­zei­tun­gen steht, der Wos­sid­lo ist mit den Ein­bre­chern zu­sam­men­ge­kom­men und hat sei­nen Schmuck wie­der. Ge­ben Sie sich Mühe. Sie sol­len eine Num­mer bei uns ha­ben! Und ich schin­de Ih­nen be­stimmt Geld raus. Sie sol­len nicht zu kla­gen ha­ben. Wie hei­ßen Sie üb­ri­gens?«

»Le­de­rer«, sagt Ku­falt. »Ernst Le­de­rer.«

»Hau­en Sie ab, Mensch«, sagt der Be­am­te wü­tend. »Den­ken Sie, Sie kön­nen mir den Un­sinn vom Schau­spie­ler auf­bin­den, den Sie Ih­rer Pas­to­rin er­zählt ha­ben? Wie Sie hei­ßen, will ich wis­sen.«

»Bruhn«, sagt Ku­falt. »Emil Bruhn.«

»Und wes­we­gen wa­ren Sie drin?«

»Raub­mord«, sagt Ku­falt lei­se.

»Sie?« sagt der Be­am­te. »Sie!«

»Es war ei­gent­lich nur Tot­schlag«, sagt Ku­falt zö­gernd.

»So. Klingt auch nicht sehr wahr­schein­lich, wenn man Sie an­sieht. Aber wenn Sie wie­der ge­lo­gen ha­ben! – Sind Sie üb­ri­gens Fe­ti­schist?«

»Was?« sagt Ku­falt.

»Ob Sie Fe­ti­schist sind, fra­ge ich! – Wa­rum schla­fen Sie denn mit ’ner Da­men­hand­ta­sche?« Er deu­tet auf die schwar­ze Ta­sche, die auf dem Kopf­kis­sen liegt.

»Nein, nein«, sagt Ku­falt ver­wirrt. »Die ist von mei­ner Braut. Die hat sie lie­gen­las­sen, ges­tern Abend.«

»Hier bei der Pas­to­rin ’ne Braut im Bett?« sagt der Kri­mi­nal­be­am­te. »Ich glau­be, Bruhn, oder wie Sie hei­ßen, Sie wer­den sich die nächs­ten Stun­den mäch­tig Mühe ge­ben müs­sen, dass wir Sie nicht ein biss­chen sehr nahe an­gu­cken. Jetzt aber weg mit Ih­nen. Ru­fen Sie mich min­des­tens alle Stun­den ein­mal an. Wo ge­hen Sie hin?«

»Ins Gän­ge­vier­tel«, sagt Ku­falt.

»Zu wem da?«

»Zu Lütt. Ku­gels Ort.«

»Na schön«, sagt der Be­am­te et­was mil­der. »Das klingt doch, als ob’s wahr sein könn­te. Also jetzt weg mit Ih­nen. Und glau­ben Sie nicht, dass Sie tür­men kön­nen. Sie grei­fe ich un­ter al­len Um­stän­den.«

Ku­falt geht. Und weiß, der zu­rück­blei­ben­de Be­am­te wird nicht zö­gern, den Hand­kof­fer zu öff­nen.

Er geht so­zu­sa­gen auf im­mer.

7

Ku­falt geht wirk­lich di­rekt ins Gän­ge­vier­tel.

Es hat kei­nen Sinn, jetzt schon zu ver­su­chen, fort­zu­kom­men, denn si­cher wird er be­schat­tet. Es hat auch kei­nen Sinn, sich um­zu­dre­hen und her­aus­zu­be­kom­men, wer ihn be­schat­tet. Er macht die Leu­te nur miss­trau­isch und geht erst recht hops.

Er muss sie in Si­cher­heit wie­gen. Er muss ih­nen wirk­li­che Diens­te leis­ten. Dann las­sen sie ihm noch Schon­zeit. Das weiß er, wenn er erst den Batz­ke oder die Beu­te oder bei­des für die er­wi­scht hat, dann las­sen sie ihn hoch­ge­hen, von we­gen der Hand­ta­schen. Dann ist von Dank kei­ne Rede mehr. Ja, in Klei­nig­kei­ten sind sie groß. Aber so­bald es sich wirk­lich um et­was Grö­ße­res han­delt …

Je­den­falls hat er sei­nen bes­ten An­zug an, sei­nen neu­en Man­tel und Hut und dazu bei­na­he sie­ben­hun­dert Mark in der Ta­sche. Da­mit kann man fort­kom­men. Nur erst fort­kom­men!

Es ist ko­misch. Wäh­rend er so läuft, ist al­les weg, was ihn die letz­ten Wo­chen be­herrscht hat. Nie­der­ge­drückt­sein, Ra­che­ge­fühl, Gier auf Geld. Weg! Nur das Ge­fühl be­herrscht ihn, noch ein­mal los­zu­kom­men, noch ein­mal den Grei­fern zu ent­ge­hen, noch ein­mal Wo­chen in Frei­heit zu ver­brin­gen.

Und wenn gar nichts ge­schieht in die­sen Wo­chen, wenn er nur spa­zie­ren­lau­fen kann und ir­gend­wo es­sen und ein Glas Bier trin­ken und sich in ein sau­ber be­zo­ge­nes wei­ßes Bett le­gen – nur nicht der Bun­ker – nur jetzt noch nicht der Bun­ker!

Er kommt ins Gän­ge­vier­tel und läuft so­fort nach Ku­gels Ort, in die Lütt­sche Wirt­schaft. Die ist noch leer an die­sem Mor­gen. Es ist ja erst zehn Uhr. Auch Lütt schläft noch. Ku­falt macht die Frau des Wir­tes mo­bil. Er er­reicht, dass er in die Schlaf­kam­mer ge­führt wird, wo Lütt un­ter ei­nem rot­ge­wür­fel­ten Deck­bett schnauft.

Aber Lütt ist heu­te Mor­gen un­gnä­dig. Er hat na­tür­lich kei­ne Ah­nung, wo Batz­ke sein könn­te. Er will auch kei­ne Ah­nung ha­ben.

»Las­sen Sie mich nur zu­frie­den mit Ihren halb­sei­de­nen Ge­schich­ten. Ich will nichts mit dir zu tun ha­ben. Hau du bloß ab. Hei­de­priem! Du bist jetzt wohl an­ge­stellt bei der Po­len­te?«

Ver­dros­sen klet­tert Ku­falt die Trep­pe hin­un­ter. Un­ten geht er noch an die The­ke und trinkt zwei, drei Schnäp­se mit der Wir­tin, die ihn miss­trau­isch mus­tert. Si­cher hat sie oben an der Tür be­lauscht, was er mit Va­ter Lütt ge­spro­chen hat.

Ei­gent­lich weiß er schon nicht mehr wei­ter. Wo in al­ler Welt soll er Batz­ke su­chen? Flüch­tig fällt ihm die Ree­ders­wit­we in Har­ve­ste­hu­de ein. Aber an die glaubt er nun doch nicht mehr.

Er ver­lässt die Wirt­schaft, pil­gert zum Gro­ßen Neu­markt, trinkt wie­der einen Schnaps und te­le­fo­niert mit dem Ap­pa­rat 274. Nein, er weiß noch nichts Be­stimm­tes. Aber er ver­folgt eine Spur. Er muss erst ein­mal zu ei­nem Mäd­chen. Emma heißt sie.

Und wäh­rend er te­le­fo­niert, über­legt er krampf­haft, wie er die Adres­se die­ses Mäd­chens Emma er­fah­ren soll, mit der Batz­ke in letz­ter Zeit öf­ter zu­sam­men ge­we­sen ist. Man müss­te die an­de­ren Hu­ren hier in der Ge­gend fra­gen. Aber er weiß nicht, wo sie woh­nen, und um die­se Mor­gen­stun­de ist nicht eine auf der Stra­ße zu tref­fen.

 

Er taucht wie­der im Gän­ge­vier­tel un­ter. Er geht ziel­los hin und her. Dann quatscht er einen jun­gen Bri­ten an, der ihm nur dumm kommt.

Schon ist er im Be­griff, es auf­zu­ge­ben und es mit Tür­men zu ver­su­chen, da fällt ihm das Mäd­chen Ilse ein. An sie hät­te er zu­erst den­ken müs­sen. Sie steht mit Batz­ke in Ver­bin­dung. Von ihr ist noch am ehe­s­ten et­was zu er­fah­ren.

Er nimmt sich ein Auto und fährt nach dem Stein­damm hin­aus. Er klin­gelt. Aber die Wir­tin be­dau­ert, Fräu­lein Ilse ist weg­ge­gan­gen.

(Si­cher hat sie einen Mann auf der Bude.)

»Aber Sie ken­nen mich doch, Frau Ma­schioll. Ich bin doch Il­ses Bräu­ti­gam. Ru­fen Sie sie nur einen Au­gen­blick auf den Flur. Ich schen­ke Ih­nen auch zehn Mark.«

So et­was zieht. Aber wo nichts ist, ist doch nichts. »Sie kön­nen sich ger­ne sel­ber über­zeu­gen, mein Herr. Ge­hen Sie doch in das Zim­mer von Fräu­lein Ilse. Sie ist wirk­lich weg. Se­hen Sie doch.«

Und sie stößt die Tür auf.

Ja, sie ist fort. Ku­falt sagt ver­zwei­felt: »Aber sie geht doch nie mor­gens so früh weg. Ich hat­te mich doch mit ihr ver­ab­re­det.«

»Ach, da wa­ren Sie es«, sagt die Wir­tin, »der so früh schon an­ge­ru­fen hat.«

»Na­tür­lich habe ich an­ge­ru­fen«, sagt er. »Sie soll­te doch hier auf mich war­ten.«

»Nein«, sagt Frau Ma­schioll, »mir hat sie ge­sagt, sie muss in den Stadt­park. Sie hat­te da ganz was Wich­ti­ges. Und sie woll­te mir auch hun­dert Mark schen­ken, wenn al­les gut geht.«

»Rich­tig, im Stadt­park«, sagt Ku­falt ge­dan­ken­voll. »Wie man das so ver­quat­schen kann.«

Und ist schon fort.

Das Be­zah­len der zehn Mark schiebt er fürs nächs­te Mal auf, trotz­dem ihn die Wir­tin die gan­ze Trep­pe hin­un­ter mit ih­rem Ge­schrei ver­folgt.

Ei­gent­lich müss­te er jetzt wie­der te­le­fo­nie­ren und die Po­li­zei in den Stadt­park be­stel­len. Aber ein­mal hat er kei­ne Zeit zu ver­lie­ren, und dann däm­mert eine klei­ne neue Hoff­nung in ihm auf, er könn­te die Beu­te al­lein fas­sen. Al­len Ruhm für sich ern­ten und frei­kom­men.

Oder aber viel­leicht viel Geld er­ben. Kip­pe oder Lam­pen zieht in sol­cher Lage im­mer.

Er ist groß­zü­gig. Er nimmt sich wie­der ein Auto und fährt die lan­ge Stre­cke bis zum Stadt­park. Da­bei sieht er im­mer wie­der hin­ten aus dem Fens­ter, ob er nicht ver­folgt wird, aber es kommt ihm nicht so vor. Vi­el­leicht ha­ben die sei­ne Geld­mit­tel un­ter­schätzt und ihm je­mand auf die Fer­sen ge­setzt, der kein Geld fürs Auto hat. Oder sie ha­ben sei­ne Spur im Gän­ge­vier­tel ver­lo­ren. Ober aber sie trau­en ihm ein­fach.

Er über­legt sich fie­ber­haft, wo es sein könn­te, dass die sich im Stadt­park tref­fen. Der Stadt­park ist groß, und wenn Batz­ke auch mu­tig ist, un­vor­sich­tig ist er kei­nes­falls. Da mag solch ein Herr Wos­sid­lo zehn­mal sein Ham­bur­ger-Groß­kauf­manns-Ehren­wort ins Blätt­chen set­zen. Das zieht bei dem noch lan­ge nicht. Der wird sich schön in acht neh­men, an ir­gend­ei­nen Platz zu ge­hen, wo die Po­li­zei ihn über­rum­peln kann.

Nein, Batz­ke hat es si­cher nicht um­sonst so ei­lig ge­habt. Selbst wenn die Po­li­zei be­nach­rich­tigt wird, hat sie kei­ne Zeit mehr, den gan­zen Stadt­park ab­zu­sper­ren. Er wird sich eine schö­ne, große, wei­te Flä­che aus­su­chen, wo er im­mer weg kann, selbst wenn zwei, drei Grei­fer im Hin­ter­grund ste­hen.

Ku­falt steigt bei der Stadt­hal­le aus und be­zahlt das Auto. Dann geht er los. Erst durch das Park­café, in dem kaum Gäs­te sit­zen, dann um den Park­see her­um, und nun hat er die große Flä­che der Fest­wie­se vor sich. Hier ist es ein­sam. Er geht im­mer hin­ter den Bü­schen, am Ran­de des We­ges, und sieht auf die Wie­sen­flä­che, die mit ei­nem leich­ten Neuschnee be­deckt ist.

Plötz­lich bleibt er ste­hen, und sein Herz fängt an, schnell und freu­dig zu klop­fen. Nein, er ist nicht zu spät ge­kom­men. Dort auf der Wie­sen­flä­che steht ein großer Mann in hel­lem Über­zie­her, und – Ku­falt fängt an zu grin­sen – Batz­ke ist doch im­mer ein schlau­es Aas!

Da hat er sich einen Fo­to­ap­pa­rat mit Sta­tiv mit­ge­bracht. Er ist da­bei, ihn hübsch auf­zu­bau­en, und sei­ne Braut (Ist das nicht Ilse? Na­tür­lich ist das Ilse!) steht an ei­nem schnee­be­la­de­nen Baum, in ei­ner hüb­schen Fo­to­gra­fier­po­se.

Aus­ge­zeich­net, denk Ku­falt, so un­ver­däch­tig wie nur mög­lich!

Und et­was wie Stolz und Rüh­rung über den tüch­ti­gen Kol­le­gen kom­men ihn an. Den ha­ben die Bul­len noch lan­ge nicht, und wenn sie hin­ter je­dem Busch ste­hen. Der lässt sich so leicht nicht grei­fen!

Drü­ben von der an­de­ren Sei­te kommt ein großer Mann mit ei­ner Ak­ten­ta­sche über die Wie­se ge­gan­gen, auf das Pär­chen zu. Er trägt eine Horn­bril­le und einen grau­me­lier­ten Spitz­bart. Er geht harm­los und schlen­dernd durch den leich­ten Neuschnee auf die Grup­pe zu, bleibt ein paar Schritt da­von hal­ten, da­mit er nicht ins Bild kommt, und scheint et­was zu fra­gen.

Was er fragt, kann Ku­falt nicht hö­ren, dazu ist es zu weit. Er steht gut hin­ter sei­nem Busch. Aber schein­bar ist es de­nen da auch ganz egal, ob Leu­te hin­ter Bü­schen ste­hen. Sie se­hen sich nicht ein­mal um.

Die Ilse bleibt ru­hig wei­ter bei ih­rem Baum. Aber nein, leicht­sin­nig ist Batz­ke nicht. Ku­falt sieht, dass sie die eine Hand in die Ta­sche ge­steckt hat, et­was ge­zwun­gen, mit ge­win­kel­tem Ell­bo­gen. Die­se Be­we­gung kennt er. Si­cher hat Batz­ke sei­ne Braut für die­sen Weg mit ei­ner Ka­no­ne aus­ge­rüs­tet.

Un­ter­des sind die bei­den Her­ren ins Ge­spräch ge­kom­men.

Sie ste­hen im­mer ar­tig in drei Schritt Ab­stand von­ein­an­der. Ei­ni­gen Re­spekt scheint doch je­der vor sei­nem Part­ner zu ha­ben. Batz­ke hat das Han­tie­ren am Ap­pa­rat auf­ge­ge­ben. Er hat sich in den Schnee ge­bückt und ist nun da­bei, ein run­des Pa­ket aus­zu­wi­ckeln. Kei­ne über­mä­ßig glän­zen­de Ver­pa­ckung für hun­dert­fünf­zig­tau­send Mark Wert, scheint es Ku­falt. Es wird eine rich­ti­ge alte Kon­ser­ven­do­se in Zei­tungs­pa­pier sein, so­viel er er­kennt.

Batz­ke ist ver­flucht we­nig ängst­lich. Ku­falt hät­te sich den­ken kön­nen, dass ihm der Aus­tausch der Wa­ren: hier Rin­ge – dort Geld, ei­ni­ge Schwie­rig­kei­ten be­rei­tet hät­te. Aber Batz­ke reicht ru­hig sei­ne Kon­ser­ven­büch­se dem Herrn im Spitz­bart hin­über. Dann frei­lich greift auch er in sei­ne Man­tel­ta­sche.

Doch der Herr sagt lä­chelnd et­was, und Batz­ke nimmt die Hand wie­der aus der Ta­sche und sieht ge­müt­lich zu, wie der Herr Stück auf Stück aus der Kon­ser­ven­do­se nimmt, be­trach­tet und in sei­ne Ak­ten­ta­sche wirft.

Ja, eine Mi­nu­te spä­ter sind die bei­den Ge­schäfts­leu­te nun schon so weit, dass der Ga­no­ve Batz­ke dem Groß­kauf­mann Wos­sid­lo die Ak­ten­ta­sche hält. Es macht sich bes­ser so, und es geht auch schnel­ler.

Dann wirft der Herr die Kon­ser­ven­büch­se in den Schnee, greift in sei­ne Man­tel­ta­sche, holt ein Bün­del Pa­pier her­aus und gibt es Batz­ke. Batz­ke klemmt die Ak­ten­ta­sche un­ter den Arm und fängt an zu zäh­len. Die­ser Groß­kauf­mann Wos­sid­lo scheint ein an­stän­di­ger Kerl zu sein. Er hat so­gar dar­an ge­dacht, nicht Tau­send­mark­schei­ne mit­zu­brin­gen, mit de­ren Wech­seln Ga­no­ven im­mer Schwie­rig­kei­ten ha­ben, son­dern klei­ne­re Schei­ne, denn Batz­ke zählt ziem­lich lan­ge.

Dann wech­selt die Ak­ten­ta­sche end­gül­tig ih­ren Be­sit­zer. Ilse ver­lässt ih­ren Baum und tritt zu den bei­den. Sie­he da, der Herr Wos­sid­lo lüf­tet rich­tig sei­nen stei­fen Schwar­zen, und jetzt tren­nen sich die Par­tei­en wirk­lich. Herr Wos­sid­lo wan­delt zu­rück zum an­de­ren Rand der Fest­wie­se. Batz­ke aber, Arm in Arm mit sei­ner Braut, auf den Ku­falt­schen Ge­büschsaum zu.

Ein­sam und ver­las­sen, ein schwar­zer Fleck in der Schnee­wüs­te, bleibt der Fo­to­ap­pa­rat auf der Wie­se ste­hen, ein­zi­ges Zei­chen da­für, dass Herr Batz­ke es viel­leicht doch et­was ei­lig hat.

Die Mög­lich­keit, Herrn Wos­sid­lo auf ei­nem Um­weg zu er­rei­chen und ihn noch­mals durch einen küh­nen Griff nach der Ak­ten­ta­sche um die Bril­lant­rin­ge zu er­leich­tern, ver­wirft Ku­falt so­fort. Der Ab­satz sol­cher Din­ge scheint schwie­ri­ger, als er ge­glaubt. Und Bar­geld lacht im­mer. Be­son­ders, wenn man nicht mehr in sei­ne Woh­nung zu­rück kann.

Also Batz­ke. Batz­ke ist si­cher kein leich­ter Bis­sen, aber so et­was hat Ku­falt ja nun schon ein­mal bei ihm ver­sucht, und er ist über­zeugt da­von, dass es auch dies­mal glatt­ge­hen wird. Er will auch kei­ne über­mä­ßi­gen An­sprü­che stel­len. Er will von den fünf­zehn nicht mehr als drei- oder vier­tau­send ha­ben. Eine Sum­me, auf die Batz­ke glatt ein­ge­hen wird.

Das Paar kommt, mehr zur Stadt­hal­le hin, auf Ku­falts Weg. Ku­falt muss rasch ge­hen, um ihm nach­zu­kom­men. Ganz gleich­gül­tig sind die bei­den, ganz si­cher füh­len sie sich, sie se­hen nicht ein­mal um die klei­ne Weg­bie­gung, die Ku­falt ih­ren Bli­cken ent­zieht.

So kann er denn wirk­lich ganz über­ra­schend ne­ben ih­nen auf­tau­chen und sa­gen: »Mor­gen, Batz­ke. Mor­gen, Ilse. Schö­ner Mor­gen heu­te Mor­gen.«

Batz­ke ist nicht die Spur über­rascht, wäh­rend Ilse lei­se auf­schreit.

»Na, also«, sagt Batz­ke bes­ter Lau­ne. »Bist du auch da, Wil­li? Wie viel? Ich hab’s näm­lich sehr ei­lig.«

»Ver­steh ich«, be­stä­tigt Ku­falt. »Ich dito.« Und da er Batz­ke in so glän­zen­der Stim­mung sieht, sagt er leicht­hin: »Fünf­tau­send.«

»Acht­hun­dert, wie aus­ge­macht«, sagt Batz­ke.

»Acht­hun­dert wa­ren bei fünf­tau­send aus­ge­macht«, sagt Ku­falt, »und die Sa­che liegt jetzt et­was an­ders.«

»Also zwei«, sagt Batz­ke, »da­mit ich mei­ne Ruhe habe.«

»Vier«, sagt Ku­falt hart­nä­ckig.

»Drei«, sagt Batz­ke ab­schlie­ßend.

»Du wirst doch nicht so däm­lich sein!« pro­tes­tiert Ilse wü­tend.

»Halt die Klap­pe«, sagt Batz­ke, nimmt das di­cke Geld­pa­ket aus der Ta­sche, sieht sich um, sagt be­frie­digt: »Die Luft ist rein«, und ver­setzt im sel­ben Au­gen­blick Ku­falt einen Faust­schlag von un­ten her ge­gen das Kinn, dass der zu­rück­tau­melt, die Hän­de hoch­hebt …

Aber schon fal­len an­de­re Hie­be wie Ham­mer­schlä­ge auf sei­nen Kopf, al­les wird vor sei­nen Au­gen erst rot, dann schwarz, und er stürzt zu­sam­men.