Hans Fallada – Gesammelte Werke

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24. Das Verhör

Wenn der Kri­mi­nal­as­sis­tent trotz sei­ner fes­ten Über­zeu­gung, der Enno Klu­ge kom­me we­der als Schrei­ber noch als Ver­brei­ter der Kar­ten in Fra­ge, wenn er trotz­dem in sei­ner te­le­fo­ni­schen Mel­dung beim Kom­missar Esche­rich durch­bli­cken ließ, der Klu­ge sei doch wohl Ver­brei­ter die­ser Pam­phle­te, so tat er es dar­um, weil ein klu­ger Un­ter­ge­be­ner nie die An­sich­ten sei­nes Vor­ge­setz­ten vor­weg­neh­men soll. Ge­gen den Klu­ge lag eine fes­te An­zei­ge der Sprech­stun­den­hil­fe Fräu­lein Kie­sow vor, und ob die nun be­grün­det war oder nicht, das moch­te der Herr Kom­missar sel­ber her­aus­fin­den.

War sie be­grün­det, so war der As­sis­tent ein fä­hi­ger Mann und des Wohl­wol­lens des Kom­missars si­cher. War sie aber nicht be­grün­det, so war der Kom­missar klü­ger als der As­sis­tent, und so ein Klü­ger­sein des Vor­ge­setz­ten ist für den Un­ter­ge­be­nen oft be­kömm­li­cher als alle Tüch­tig­keit.

»Nun?«, sag­te der lan­ge, graue Esche­rich und storch­te hin­ein in das Re­vier. »Nun, Kol­le­ge Schrö­der? Wo ha­ben Sie denn Ihren Fang?«

»In der hin­ters­ten Zel­le links, Herr Kom­missar.«

»Hat der Kla­bau­ter­mann ge­stan­den?«

»Wer? Kla­bau­ter­mann? Ach so, ich ver­ste­he! Nein, Herr Kom­missar, ich habe ihn na­tür­lich nach un­serm Te­le­fon­ge­spräch so­fort ab­füh­ren las­sen.«

»Gut!«, lob­te Esche­rich. »Und was weiß er von den Kar­ten?«

»Ich habe«, sag­te der As­sis­tent vor­sich­tig, »ihn die auf­ge­fun­de­ne Kar­te ein­mal vor­le­sen las­sen. Den An­fang, heißt das.«

»Ein­druck?«

»Ich möch­te da nicht vor­grei­fen, Herr Kom­missar«, sag­te der As­sis­tent vor­sich­tig.

»Nicht zu ängst­lich, Kol­le­ge Schrö­der! Ein­druck?«

»Mir er­scheint es je­den­falls un­wahr­schein­lich, dass er der Schrei­ber die­ser Kar­te ist.«

»Wa­rum?«

»Ist nicht sehr hel­le. Au­ßer­dem furcht­bar ver­ängs­tigt.«

Der Kom­missar Esche­rich strich un­zu­frie­den über sei­nen sand­far­be­nen Schnurr­bart. »Nicht sehr hel­le – furcht­bar ver­ängs­tigt«, wie­der­hol­te er. »Na, mein Kla­bau­ter­mann ist hel­le und be­stimmt nicht ver­ängs­tigt. Wie­so glau­ben Sie, dass Sie den Rech­ten ge­fasst ha­ben? Be­rich­ten Sie mal!«

Der As­sis­tent Schrö­der tat es. Vor al­len Din­gen wie­der­hol­te er stark die Be­schul­di­gun­gen der Sprech­stun­den­hil­fe und be­ton­te auch den Flucht­ver­such. »Ich konn­te es nicht an­ders ma­chen, Herr Kom­missar. Nach den er­gan­ge­nen Be­feh­len muss­te ich ihn fest­hal­ten.«

»Rich­tig, Kol­le­ge Schrö­der. Ganz rich­tig ge­han­delt. Hätt ich auch nicht an­ders ge­macht.«

Esche­richs Mut hat­te sich durch die­sen Be­richt wie­der et­was ver­stärkt. Der klang bes­ser als »nicht sehr hel­le« und »stark ver­ängs­tigt«. Vi­el­leicht ein Kar­ten­ver­tei­ler, trotz­dem der Kom­missar bis­her ei­gent­lich fest an­ge­nom­men hat­te, der Kla­bau­ter­mann habe kei­ne Mit­wis­ser.

»Ha­ben Sie sei­ne Pa­pie­re schon durch­ge­se­hen?«

»Hier lie­gen sie. Be­stä­ti­gen im All­ge­mei­nen, was er sagt. Ich habe den Ein­druck, Herr Kom­missar, das ist so ein Ar­beits­scheu­er, Angst vor der Front, kei­ne Lust zum Ar­bei­ten, Pfer­de­wet­ter ist er auch – ich habe einen gan­zen Pa­cken Renn­zei­tun­gen und Be­rech­nun­gen bei ihm ge­fun­den. Und dann noch ziem­lich ge­wöhn­li­che Brie­fe von kom­mu­nen Wei­bern, so ein Frücht­chen, ver­ste­hen Sie, Herr Kom­missar. Aber im­mer­hin an die Fünf­zig her­an.«

»Schön, schön«, sag­te der Kom­missar, fand es aber gar nicht schön. We­der der Kar­ten­schrei­ber noch ein et­wai­ger Ver­tei­ler konn­te viel mit Wei­bern zu tun ha­ben. Das stand für ihn fest. Sei­ne eben erst wie­der­be­leb­te Hoff­nung be­gann von neu­em schwä­cher zu wer­den. Aber dann dach­te Esche­rich an sei­nen Vor­ge­setz­ten, den Ober­grup­pen­füh­rer Prall, und an die noch hö­he­ren Vor­ge­setz­ten bis zu Himm­ler hin­auf. Die wür­den ihm in der nächs­ten Zeit das Le­ben ver­dammt schwer­ma­chen, wenn gar kei­ne Spur vor­lag. Hier aber war eine Spur, we­nigs­tens la­gen hier star­ke Be­schul­di­gun­gen und ver­däch­ti­ges Be­neh­men vor. Man konn­te die­se Spur ver­fol­gen, auch wenn man sie im ge­heims­ten In­nern nicht ganz für die rich­ti­ge hielt. Man ge­wann Zeit, wei­ter ge­dul­dig war­ten zu kön­nen. Nie­mand ge­sch­ah ein Leid da­durch. Was kam es schließ­lich auf solch ein Frücht­chen an!

Esche­rich stand auf. »Ich geh mal hin­ten zu den Zel­len, Schrö­der. Ge­ben Sie mir mal die neue Kar­te, und war­ten Sie hier.«

Der Kom­missar ging ganz lei­se, er hielt die Schlüs­sel fest in der Hand, da­mit sie nicht klap­per­ten. Ganz vor­sich­tig schob er die Blen­de vom Spi­on und sah in die Zel­le.

Der In­haf­tier­te saß auf ei­nem Sche­mel. Er hat­te den Kopf in die Hand ge­stützt und sei­ne Au­gen auf die Tür ge­rich­tet. Es mach­te ganz den Ein­druck, als sähe der Mann gra­de in das lau­ern­de Auge des Kom­missars. Aber der Ge­sichts­aus­druck Klu­ges ver­riet, dass er nichts sah. Der Mann war nicht zu­sam­men­ge­schreckt, als die Blen­de be­wegt wor­den war, sein Ge­sicht hat­te auch nichts Ge­spann­tes, wie es sonst stets bei ei­nem ist, der sich be­ob­ach­tet fühlt. Son­dern er sah so ein­fach vor sich hin, kaum in Ge­dan­ken ver­lo­ren, eher dö­send, von trü­ben Ah­nun­gen voll.

Der Kom­missar am Guck­loch wuss­te es jetzt mit Be­stimmt­heit: Dies war we­der der Kla­bau­ter­mann noch ein Hel­fers­hel­fer. Son­dern dies war ein­fach ein Miss­griff – die Be­schul­di­gun­gen moch­ten ge­lau­tet ha­ben, wie sie woll­ten, und das Ver­hal­ten moch­te noch so ver­däch­tig ge­we­sen sein.

Aber Esche­rich dach­te auch wie­der an sei­ne Vor­ge­setz­ten, er kau­te an sei­nem Bart, er über­leg­te, wie man die­se Sa­che recht lan­ge hin­zie­hen könn­te, bis ent­deckt wur­de, dies war der Fal­sche. Bla­mie­ren durf­te er sich ja auch nicht da­bei.

Er schloss mit ei­nem Ruck die Zel­le auf und trat ein. Der Ver­haf­te­te war bei dem Klir­ren des Schlos­ses zu­sam­men­ge­fah­ren, starr­te erst ver­wirrt auf den Ein­tre­ten­den, dann mach­te er einen Ver­such auf­zu­ste­hen.

Aber Esche­rich drück­te ihn gleich auf den Sche­mel zu­rück.

»Blei­ben Sie sit­zen, Herr Klu­ge, blei­ben Sie sit­zen. In un­serm Al­ter kommt man nicht mehr so leicht hin­ten hoch!«

Er lach­te, und die­ser Klu­ge mach­te auch An­stal­ten, mit­zu­lä­cheln, aus pu­rer Höf­lich­keit ein biss­chen kläg­lich mit­zu­lä­cheln.

Der Kom­missar klapp­te das Bett von der Wand und setz­te sich dar­auf. »Na, Herr Klu­ge«, sag­te er und sah auf­merk­sam in das blas­se Ge­sicht mit dem schwa­chen Kinn, dem merk­wür­dig dic­klip­pi­gen ro­ten Mund und den hel­len Au­gen, die stän­dig zwin­ker­ten. »Na, Herr Klu­ge, und nun er­zäh­len Sie mal, was Sie auf dem Her­zen ha­ben. Ich bin der Kom­missar Esche­rich von der Ge­hei­men Staats­po­li­zei.« Er fuhr sanft zu­re­dend fort, als er den an­de­ren schon bei der Nen­nung der Ge­hei­men Staats­po­li­zei ängst­lich zu­rück­zu­cken sah: »Sie brau­chen kei­ne Angst zu ha­ben. Wir fres­sen kei­ne klei­nen Kin­der. Und Sie sind doch bloß ein klei­nes Kind, das sehe ich doch …«

Bei dem Hauch von An­teil­nah­me, der aus die­sen Wor­ten ver­nehm­lich wur­de, füll­ten sich Klu­ges Au­gen so­fort wie­der mit Trä­nen, sein Ge­sicht zuck­te, die Ba­cken­mus­keln ar­bei­te­ten krampf­haft.

»Na, na!«, sag­te Esche­rich und leg­te sei­ne Hand auf die des klei­nen Man­nes. »So schlimm wird’s ja nicht sein. Oder ist es so schlimm?«

»Es ist al­les ver­lo­ren!«, rief Enno Klu­ge ver­zwei­felt. »Ich bin ja doch hin! Ich hab kei­nen Kran­ken­schein, und ich müss­te zur Ar­beit. Und hier sit­ze ich fest, und da schi­cken die mich ins KZ, da gehe ich gleich hops, das hal­te ich kei­ne vier­zehn Tage aus!«

»Nu, nu!«, sag­te der Kom­missar wie­der wie zu ei­nem Kind. »Das mit Ih­rer Fa­brik, das wird sich ja re­geln las­sen. Wenn wir je­mand fest­hal­ten und es stellt sich her­aus, es ist ein or­dent­li­cher Mann, so sor­gen wir auch da­für, dass er kei­nen Scha­den von dem Fest­hal­ten hat. Sie sind doch ein or­dent­li­cher Kerl, Herr Klu­ge – was?«

Wie­der ar­bei­te­te es in Klu­ges Ge­sicht, dann ent­schloss er sich die­sem sym­pa­thi­schen Mann ge­gen­über zu ei­nem Teil­ge­ständ­nis. »Ich ar­bei­te de­nen ja nicht ge­nug!«

»Na, und was mei­nen Sie selbst, Herr Klu­ge? Ar­bei­ten Sie Ih­rer An­sicht nach ge­nug – oder?«

Wie­der über­leg­te Klu­ge. »Ich bin doch so viel krank«, sag­te er schließ­lich kläg­lich. »Aber die sa­gen nur, jetzt ist kei­ne Zeit zum Krank­sein.«

»Sie sind doch nicht im­mer krank? Nun, und wenn Sie nun nicht krank sind und ar­bei­ten – tun Sie dann ge­nug? Wie den­ken Sie dar­über, Herr Klu­ge?«

Wie­der ent­schloss sich Klu­ge. »Ach Gott, Herr Kom­missar«, klag­te er an, »die Wei­ber lau­fen mir doch so nach!«

Es klang eben­so kläg­lich wie ei­tel.

Der Kom­missar schüt­tel­te be­dau­ernd mit dem Kopf hin und her, als sei das frei­lich schlimm.

»Das ist nicht gut, Herr Klu­ge«, mein­te er dann. »In un­sern Jah­ren lässt man ja nicht ger­ne was aus, nicht wahr?«

Klu­ge sah ihn nur mit ei­nem schwa­chen Lä­cheln an, froh, bei die­sem Mann Ver­ständ­nis ge­fun­den zu ha­ben.

»Ja«, sag­te der Kom­missar. »Und wie steht’s da mit der Kas­se?«

»Ich wett manch­mal ein biss­chen«, ge­stand Klu­ge. »Nicht viel und nicht hoch, Herr Kom­missar. Nie mehr als höchs­tens mal fünf Mark, wenn ein Tipp ganz si­cher ist, das schwö­re ich Ih­nen, Herr Kom­missar!«

»Und wo­von be­zah­len Sie das, Herr Klu­ge, die Wei­ber und die Wet­ten? Wenn Sie doch nicht viel ar­bei­ten?«

 

»Aber die Wei­ber be­zah­len doch mich, Herr Kom­missar!«, sag­te Klu­ge, fast ein we­nig ge­kränkt über so viel Un­ver­stand. Er lä­chel­te ei­tel. »Weil ich doch so tüch­tig bin!«, setz­te er hin­zu.

In die­sem Au­gen­blick leg­te der Kom­missar Esche­rich die Be­schul­di­gung, die­ser Enno Klu­ge habe auch nur das Ge­rings­te mit der Ab­fas­sung oder Ver­brei­tung der Kar­ten zu tun, end­gül­tig zu den Ak­ten. Die­ser Klu­ge war zu so was ein­fach nicht im­stan­de, alle Voraus­set­zun­gen fehl­ten ihm da­für. Aber be­fra­gen muss­te er ihn des­we­gen doch, denn er muss­te ja ein Pro­to­koll an­fer­ti­gen über die­ses Ver­hör, ein Pro­to­koll für die Her­ren Vor­ge­setz­ten, da­mit die erst mal Ruhe hiel­ten, ein Pro­to­koll, das den Klu­ge wei­ter un­ter Ver­dacht hielt, Schrit­te ge­gen ihn be­grün­de­te …

So zog er denn die Kar­te aus der Ta­sche, leg­te sie vor Klu­ge hin und sag­te ganz gleich­gül­tig: »Sie ken­nen die­se Kar­te, Herr Klu­ge?«

»Ja«, sag­te Enno Klu­ge erst ganz ge­dan­ken­los, aber zu­sam­men­schre­ckend ver­bes­ser­te er sich: »Das heißt na­tür­lich, nein. Ich habe sie vor­hin vor­le­sen müs­sen, den An­fang, heißt das. Sonst kenn ich die Kar­te nicht! Hei­lig wahr, Herr Kom­missar!«

»Na, na!«, tat Esche­rich zweif­le­risch. »Herr Klu­ge, wo wir über so ’ne große Sa­che wie über Ihre Ar­bei­te­rei und das KZ klar­ge­wor­den sind, wo ich selbst zu Ihren Her­ren hin­ge­hen und die Sa­che für Sie ord­nen wer­de, da wer­den wir uns doch über so ’ne klei­ne Sa­che wie die­se Kar­te ei­nig wer­den!«

»Ich hab nichts da­mit zu tun, gar nichts, Herr Kom­missar!«

»Ich geh ja nicht so weit, Herr Klu­ge«, sag­te der Kom­missar, un­ge­rührt von die­sen Be­teue­run­gen, »ich geh ja nicht so weit wie mein Kol­le­ge, der Sie für den Kar­ten­schrei­ber hält und der Sie durch­aus vor den Volks­ge­richts­hof schlep­pen will, und dann: Rübe ab, Herr Klu­ge!«

Der klei­ne Mann er­zit­ter­te, und sein Ge­sicht wur­de asch­fahl.

»Nein«, sag­te der Kom­missar be­ru­hi­gend und leg­te sei­ne Hand wie­der auf die des an­de­ren. »Nein, für den Kar­ten­schrei­ber hal­te ich Sie nicht. Aber, dass die Kar­te da auf dem Flur des Arz­tes lag, und Sie ha­ben sich doch ver­däch­tig viel auf dem Flur zu schaf­fen ge­macht, und dann Ihre Un­ru­he, Ihr Weg­lau­fen. Und für al­les sind gute Zeu­gen da – nein, Herr Klu­ge, es ist schon bes­ser, Sie sa­gen mir die Wahr­heit. Ich möch­te doch nicht, dass Sie sich selbst ins Un­glück stür­zen!«

»Die Kar­te muss von au­ßen rein­ge­steckt sein, Herr Kom­missar. Ich habe mit ihr nichts zu schaf­fen, hei­lig wahr, Herr Kom­missar!«

»Kann ja gar nicht von au­ßen rein­ge­steckt sein, so wie die ge­le­gen hat! Und fünf Mi­nu­ten vor­her ist sie noch nicht da­ge­we­sen, das wird das Fräu­lein vom Arzt be­schwö­ren. In der Zwi­schen­zeit wa­ren Sie aber auf der Toi­let­te. Oder wol­len Sie be­haup­ten, es war noch je­mand an­ders aus dem War­te­zim­mer auf dem Klo?«

»Nein, glau­be ich nicht, Herr Kom­missar. Nein, be­stimmt nicht. Wenn’s um fünf Mi­nu­ten geht, dann be­stimmt nicht. Ich woll­te näm­lich schon eine gan­ze Wei­le rau­chen, und dar­um habe ich auf­ge­passt, ob ei­ner auf die Toi­let­te ging.«

»Na also!«, sag­te der Kom­missar, an­schei­nend sehr be­frie­digt, »da sa­gen Sie es ja selbst: Nur Sie, nur Sie al­lein kön­nen die Kar­te auf den Flur ge­legt ha­ben!«

Klu­ge starr­te ihn mit weit auf­ge­ris­se­nen, jetzt wie­der völ­lig er­schreck­ten Au­gen an.

»Nach­dem Sie das also ein­ge­stan­den ha­ben …«

»Ich habe nichts ein­ge­stan­den, nichts! Ich habe nur ge­sagt, in den letz­ten fünf Mi­nu­ten ist nie­mand vor mir auf dem Klo ge­we­sen!«

Klu­ge schrie das fast.

»Aber, aber!«, sag­te der Kom­missar und schüt­tel­te miss­bil­li­gend den Kopf. »Sie wer­den doch ein eben ab­ge­leg­tes Ge­ständ­nis nicht gleich wi­der­ru­fen wol­len, da­für sind Sie doch ein viel zu ver­nünf­ti­ger Mann. Ich müss­te den Wi­der­ruf auch ins Pro­to­koll neh­men, Herr Klu­ge, und so was sieht nie hübsch aus.«

Klu­ge starr­te ihn ver­zwei­felt an. »Ich habe doch nichts ge­stan­den …«, flüs­ter­te er ton­los.

»Wir wer­den uns dar­über schon noch ei­nig wer­den«, mein­te Esche­rich be­ru­hi­gend. »Nun sa­gen Sie mir erst mal: Wer hat Ih­nen die Kar­te zur Abla­ge ge­ge­ben? War’s ein gu­ter Be­kann­ter, ein Freund, oder hat Sie je­mand auf der Stra­ße an­ge­spro­chen und Ih­nen ein paar Mark da­für ge­ge­ben?«

»Nichts! Nichts!«, schrie wie­der Klu­ge. »Ich habe die Kar­te nicht in der Hand ge­habt, mit kei­nem Auge habe ich sie ge­se­hen, ehe sie mir Ihr Kol­le­ge gab!«

»Aber, aber, Herr Klu­ge! Sie ha­ben vor­hin sel­ber zu­ge­ge­ben, dass Sie die Kar­te auf den Flur ge­legt ha­ben …«

»Nichts habe ich zu­ge­ge­ben! So was habe ich nie ge­sagt!«

»Nein«, sag­te Esche­rich, strich sich über den Bart und wisch­te da­mit ein Lä­cheln fort. Es mach­te ihm jetzt schon viel Ver­gnü­gen, die­sen fei­gen, jam­mern­den Hund ein biss­chen tan­zen zu las­sen. Das wur­de noch ein ganz net­tes Pro­to­koll mit star­kem Ver­dacht – für die Vor­ge­setz­ten. »Nein«, sag­te er. »In der Form ha­ben Sie es nicht ge­sagt. Son­dern Sie ha­ben nur ge­sagt, dass nur Sie die Kar­te dort ab­ge­legt ha­ben kön­nen, dass nie­mand au­ßer Ih­nen dort ge­we­sen ist, und das be­deu­tet wohl eben­so viel.«

Enno starr­te ihn mit weit of­fe­nen Au­gen an. Dann sag­te er plötz­lich mür­risch: »Das habe ich auch nicht ge­sagt. Es kön­nen üb­ri­gens auch an­de­re Leu­te auf die Toi­let­te ge­gan­gen sein, nicht nur die vom War­te­zim­mer.«

Er setz­te sich wie­der; in der Er­re­gung vor­hin, bei den falschen Be­schul­di­gun­gen war er auf­ge­sprun­gen.

»Aber ich sage gar nichts mehr aus. Ich ver­lan­ge einen An­walt. Und ein Pro­to­koll un­ter­schrei­be ich auch nicht.«

»Aber, aber«, sag­te Esche­rich. »Habe ich denn schon von Ih­nen ver­langt, Herr Klu­ge, dass Sie ein Pro­to­koll un­ter­schrei­ben? Habe ich mir auch nur eine No­tiz ge­macht von dem, was Sie aus­ge­sagt ha­ben? Wir sit­zen doch hier wie zwei alte Freun­de, was wir hier re­den, geht kei­nen was an.«

Er stand auf, öff­ne­te die Zel­len­tür weit.

»Se­hen Sie, nie­mand auf dem Gang, der horcht. Und da ma­chen Sie mir sol­che Schwie­rig­kei­ten we­gen so ei­ner al­ber­nen Kar­te? Se­hen Sie, ich lege ja gar kei­nen Wert auf die­se Kar­te. Das ist ja ein Idi­ot, der die ge­schrie­ben hat! Aber wo die Sprech­stun­den­hil­fe und mein Kol­le­ge doch so viel Auf­he­bens da­von ma­chen, muss ich der Sa­che ein­fach nach­ge­hen! Sei­en Sie kein Frosch, Herr Klu­ge, sa­gen Sie mir ein­fach: Ein Herr auf der Frank­fur­ter Al­lee hat sie mir ge­ge­ben, er will dem Dok­tor einen klei­nen Streich spie­len, hat er ge­sagt. Und zehn Mark hat er Ih­nen da­für ge­zahlt. Sie ha­ben doch einen ganz neu­en Zehn­mär­ker in der Ta­sche ge­habt, den habe ich doch schon ge­se­hen. Se­hen Sie, wenn Sie mir das jetzt er­zäh­len, dann sind Sie mein Mann. Dann ma­chen Sie mir kei­ne Schwie­rig­kei­ten, dann kann ich be­ru­higt nach Haus ge­hen.«

»Und ich? Wo­hin geh ich? In die Plöt­ze! Und dann Kopf ab! Nee, Herr Kom­missar, das sage ich nie und nie aus!«

»Sie, wo­hin Sie ge­hen, Herr Klu­ge, wenn ich nach Haus gehe? Sie ge­hen doch auch nach Haus, ha­ben Sie das denn im­mer noch nicht be­grif­fen? Sie sind frei, so oder so, ich lass Sie lau­fen …«

»Wahr, Herr Kom­missar, hei­lig wahr? Ich kann ge­hen auch ohne Aus­sa­ge, ohne Pro­to­koll?«

»Aber na­tür­lich kön­nen Sie ge­hen, Herr Klu­ge, jetzt auf der Stel­le kön­nen Sie ge­hen. Nur ei­nes über­le­gen Sie sich noch mal, ehe Sie ge­hen …«

Und er tipp­te dem er­regt Auf­ge­sprun­ge­nen, schon nach der Tür Hin­ge­wen­de­ten auf die Schul­ter.

»Se­hen Sie, ich re­gle das in Ih­rer Fa­brik für Sie, den Ge­fal­len tu ich Ih­nen. Das habe ich Ih­nen ver­spro­chen, und ich hal­te Wort. Aber nun den­ken Sie auch mal einen Au­gen­blick an mich, Herr Klu­ge. Den­ken Sie mal an all die vie­len Schwie­rig­kei­ten, die ich von mei­nem Kol­le­gen krie­ge, wenn ich Sie lau­fen­las­se. Der ver­klatscht mich doch bei mei­nen Vor­ge­setz­ten, ich kann die größ­ten Schwie­rig­kei­ten da­von ha­ben. Es wäre wirk­lich an­stän­dig von Ih­nen, Herr Klu­ge, wenn Sie mir das von dem Mann in der Frank­fur­ter Al­lee un­ter­schrei­ben wür­den, da ist doch für Sie gar kein Ri­si­ko da­bei. Der Mann kann ja gar nicht auf­ge­fun­den wer­den, also, Herr Klu­ge!«

So sanft boh­ren­dem Zu­re­den war Enno Klu­ge ei­gent­lich nie in sei­nem Le­ben ge­wach­sen ge­we­sen. Er stand zwei­felnd da. Die Frei­heit lock­te, und mit der Fa­brik wür­de auch al­les in Ord­nung kom­men, wenn er die­sen Mann da nicht vor den Kopf stieß. Er hat­te eine schreck­li­che Angst da­vor, die­sen net­ten Kom­missar vor den Kopf zu sto­ßen. Dann be­ar­bei­te­te wo­mög­lich der Bul­le den Fall wei­ter, und der wür­de ihn ei­nes Ta­ges doch noch dazu brin­gen, den Ein­bruch bei der Ro­sen­thal zu ge­ste­hen. Dann war Enno Klu­ge ver­lo­ren, der SS-Mann Per­si­cke …

Er konn­te wirk­lich dem Kom­missar den Ge­fal­len tun – was war ei­gent­lich da­bei? Es war so ’ne Quatsch­kar­te, ir­gend­was Po­li­ti­sches, mit dem er nie was zu tun ge­habt hat­te, wo­von er nichts ver­stand. Und der Mann in der Frank­fur­ter Al­lee wür­de wirk­lich nie zu fin­den sein, weil es ihn ein­fach nicht gab. Ja, er woll­te dem Kom­missar den Ge­fal­len tun und un­ter­schrei­ben.

Aber dann warn­te ihn wie­der sei­ne an­ge­bo­re­ne Vor­sicht, sei­ne Ängst­lich­keit. »Ja«, sag­te er, »und wenn ich un­ter­schrie­ben habe, dann las­sen Sie mich doch nicht frei.«

»Aber! Aber!«, sag­te der Kom­missar Esche­rich und sah sein Spiel schon so gut wie ge­won­nen. »We­gen so ’ner Drecks­kar­te, und wo Sie mir doch einen Ge­fal­len tun. Ich gebe Ih­nen mein Ehren­wort, Herr Klu­ge, als Kri­mi­nal­kom­missar und als Mensch: So­bald Sie das Pro­to­koll un­ter­schrie­ben ha­ben, sind Sie frei.«

»Und wenn ich nicht un­ter­schrei­be?«

»Sind Sie na­tür­lich auch frei!«

Enno Klu­ge ent­schloss sich. »Also, ich werd es un­ter­schrei­ben, Herr Kom­missar, da­mit Sie kei­ne Unan­nehm­lich­kei­ten ha­ben, und ich tu Ih­nen auch mal einen Ge­fal­len. Aber Sie ver­ges­sen das nicht mit mei­ner Fa­brik?«

»Wird heu­te noch er­le­digt, Herr Klu­ge. Heu­te noch! Las­sen Sie sich da mor­gen mal ein biss­chen se­hen, und un­ter­las­sen Sie über­haupt die­se blö­de Krank­schrei­be­rei! Mal einen Tag blau, sa­gen wir ein­mal in der Wo­che, da wird nie­mand mehr ein Wort sa­gen, wenn ich mit de­nen ge­spro­chen habe. Soll es so recht sein, Herr Klu­ge?«

»Aber na­tür­lich! Ich bin Ih­nen sehr dank­bar, Herr Kom­missar!«

So spre­chend, wa­ren sie über den Zel­len­gang wie­der in der Stu­be an­ge­langt, wo der As­sis­tent Schrö­der war­tend saß, ge­spannt, wie das Ver­hör aus­ge­fal­len sein wür­de, und im Voraus schon in sein Schick­sal er­ge­ben, wenn es doch et­was setz­te. Er sprang auf, als die bei­den ein­tra­ten.

»Na, Schrö­der«, sag­te der Kom­missar lä­chelnd und deu­te­te mit dem Kopf auf Klu­ge, der klein und ängst­lich bei ihm stand, denn der Bul­le sah ihn schon wie­der so furcht­ein­flö­ßend an. »Da ha­ben Sie un­sern Freund. Er hat mir eben zu­ge­ge­ben, dass er die Kar­te bei dem Dok­tor auf den Flur ge­legt hat, er hat sie von ei­nem Herrn auf der Frank­fur­ter Al­lee be­kom­men …«

Der Brust des As­sis­ten­ten ent­rang sich ein Laut wie Stöh­nen. »Den Don­ner!«, sag­te er dann. »Aber er kann doch gar nicht …«

»Und jetzt«, fuhr der Kom­missar un­be­rührt fort, »und jetzt ma­chen wir bei­de hier nur ein klei­nes Pro­to­koll, und dann geht der Herr Klu­ge nach Haus. Ist frei. Stimm­t’s, Herr Klu­ge, oder stimm­t’s nicht?«

»Ja«, ant­wor­te­te Klu­ge, aber nur ganz lei­se, denn die Ge­gen­wart des Bul­len flö­ßte ihm im­mer neue Be­den­ken und neue Angst ein.

Der As­sis­tent aber stand ganz däm­lich da. Der Klu­ge hat­te die Kar­te nicht hin­ge­legt, nie und nie im Le­ben, das stand für ihn fest. Und nun war der Klu­ge doch be­reit, das Ge­gen­teil zu un­ter­schrei­ben.

Was für ein Fuchs, die­ser Esche­rich! Wie er das wohl er­reicht ha­ben moch­te? Schrö­der ge­stand sich – nicht ohne Neid – ein, dass die­ser Esche­rich ihm weit über­le­gen war. Und dann, nach sol­chem Ge­ständ­nis, den Bur­schen auch noch frei­las­sen! Nicht zu ver­ste­hen, nicht zu durch­schau­en! Na, es gab eben im­mer noch Klü­ge­re, so schlau man sich auch vor­kam.

»Hö­ren Sie, Kol­le­ge«, sag­te Esche­rich, der jetzt die Ver­blüf­fung des As­sis­ten­ten ge­nug ge­nos­sen hat­te, »Sie könn­ten ei­gent­lich einen Gang für mich tun, jetzt gleich, aufs Prä­si­di­um.«

 

»Zu Be­fehl, Herr Kom­missar!«

»Sie wis­sen, ich habe da doch die­sen Fall – wie hieß er doch gleich? –, ach ja, die­sen Fall Kla­bau­ter­mann. Sie er­in­nern sich doch, Kol­le­ge?«

Die Au­gen bei­der tra­fen sich und ver­stan­den sich.

»Also, Herr Schrö­der, Sie ge­hen für mich aufs Prä­si­di­um und sa­gen dem Kol­le­gen Lin­ke – aber set­zen Sie sich doch, Herr Klu­ge, ent­schul­di­gen Sie, ich will dem Kol­le­gen nur noch ein paar Wor­te sa­gen.«

Er ging mit dem As­sis­ten­ten zur Tür. Er flüs­ter­te: »For­dern Sie dort zwei Leu­te an. Sol­len so­fort hier­her­kom­men, tüch­ti­ge Leu­te zum Be­schat­ten. Die­ser Klu­ge wird vom Ver­las­sen des Re­viers an ohne Un­ter­bre­chung be­schat­tet. Mel­dung über sei­ne Wege alle zwei, drei Stun­den, wie’s passt, te­le­fo­nisch zu mir auf die Ge­sta­po. Deck­wort: Kla­bau­ter­mann. Zei­gen Sie den bei­den Leu­ten den Mann, sie sol­len sich ab­lö­sen. Und kom­men Sie wie­der hier rein, wenn die Män­ner be­reit­ste­hen. Dann lass ich das Häs­chen hier lau­fen.«

»Geht al­les in Ord­nung, Herr Kom­missar. Heil Hit­ler!«

Die Tür klapp­te, der Bul­le war ge­gan­gen. Ne­ben Enno Klu­ge setz­te sich der Kom­missar und sag­te: »Also den wä­ren wir los! Den mö­gen Sie wohl nicht sehr ger­ne, Herr Klu­ge?«

»Nicht so sehr wie Sie, Herr Kom­missar!«

»Ha­ben Sie ge­se­hen, was der für Au­gen mach­te, als er hör­te, ich las­se Sie lau­fen? Der hat jetzt eine schö­ne Wut im Bauch! Des­we­gen habe ich ihn ja gra­de weg­ge­schickt, den kann ich bei un­serm klei­nen Pro­to­koll nicht brau­chen. Hät­te uns im­mer­zu rein­ge­re­det. Ich las­se nicht mal ein Tipp­fräu­lein kom­men, klie­re die paar Zei­len lie­ber al­lein. Ist ja doch nur eine Ab­ma­chung un­ter uns, da­mit ich vor mei­nen Vor­ge­setz­ten we­gen Ih­rer Frei­las­sung ein biss­chen ge­deckt bin.«

Und nach­dem er so den klei­nen Angst­pe­ter wie­der ein biss­chen be­ru­higt hat­te, nahm er die Fe­der und be­gann zu schrei­ben. Manch­mal sag­te er laut und deut­lich, was er schrieb (wenn er das schrieb, was er laut sag­te, was bei ei­nem so ge­ris­se­nen Kri­mi­na­lis­ten, wie es der Esche­rich war, nicht ein­mal so ganz si­cher war), manch­mal mur­mel­te er nur. Klu­ge konn­te nicht recht ver­ste­hen, was er sag­te.

Er sah nur, es wur­den nicht nur ein paar Zei­len, es wur­den drei, es wur­den fast vier Ak­ten­sei­ten. Aber das in­ter­es­sier­te ihn im Au­gen­blick noch nicht ein­mal so sehr, ihn in­ter­es­sier­te bloß, ob er jetzt wirk­lich gleich frei­kam. Er sah nach der Tür hin. Mit ei­nem ra­schen Ent­schluss stand er auf, ging zu ihr hin und öff­ne­te sie ein we­nig …

»Klu­ge!«, rief es hin­ter ihm, aber nicht be­feh­lend. »Herr Klu­ge, ach bit­te!«

»Ja?«, frag­te er und sah zu­rück. »Ich darf wohl doch nicht ge­hen?« Er lä­chel­te ängst­lich.

Der Kom­missar sah ihn, den Fe­der­hal­ter in der Hand, mit ei­nem Lä­cheln an. »Also reut Sie’s schon wie­der, Herr Klu­ge, was wir be­spro­chen hat­ten? Was Sie mir fest ver­spro­chen hat­ten? Nun schön, habe ich den Kohl um­sonst ge­kliert!« Er leg­te die Fe­der ener­gisch weg. »Aber ge­hen Sie doch, Klu­ge – frei­lich, das sehe ich nun, dass Sie kein Mann von Wort sind. Also ge­hen Sie schon, ich weiß doch, Sie un­ter­schrei­ben nicht! Ist auch gut, mei­net­hal­ben …«

Und auf die­se Wei­se er­reich­te es der Kom­missar, dass Enno Klu­ge wirk­lich das Pro­to­koll un­ter­schrieb. Ja, Klu­ge ver­lang­te nicht ein­mal, dass es ihm vor­her laut und deut­lich vor­ge­le­sen wur­de. Er un­ter­schrieb ah­nungs­los.

»Und jetzt darf ich ge­hen, Herr Kom­missar?«

»Na­tür­lich. Bes­ten Dank auch, Herr Klu­ge, ha­ben Sie gut ge­macht. Auf Wie­der­se­hen. Das heißt, bes­ser nicht hier, bes­ser nicht an die­ser Stel­le. Ach, einen Au­gen­blick noch, Herr Klu­ge …«

»Ich darf also doch nicht ge­hen?«

Im Ge­sicht Klu­ges zit­ter­te es schon wie­der.

»Aber ge­wiss doch! Trau­en Sie mir schon wie­der nicht mehr? Sind Sie aber ein miss­traui­scher Mensch, Herr Klu­ge! Doch ich den­ke, Sie wür­den ger­ne Ihre Pa­pie­re und Ihr Geld mit­neh­men? Na, se­hen Sie! Also wol­len wir mal schau­en, ob auch al­les da ist, Herr Klu­ge …«

Und sie fin­gen an zu ver­glei­chen: Ar­beits­buch, Wehr­pass, Ge­burts­ur­kun­de, Trau­schein …

»Wozu schlep­pen Sie ei­gent­lich all die Pa­pie­re mit sich rum, Klu­ge? Wenn die Ih­nen mal ver­lo­ren­gehn!«

… Po­li­zei­li­che An­mel­dung, vier Lohn­tü­ten …

»Viel ver­die­nen Sie aber nicht, Herr Klu­ge! Ach so, ja rich­tig, ich sehe, jede Wo­che nur drei, vier Tage ge­ar­bei­tet, Sie klei­ner Drücke­ber­ger, Sie!«

… Drei Brie­fe …

»Nee, las­sen Sie nur, die in­ter­es­sie­ren mich gar nicht!«

… 37 Reichs­mark in Schei­nen und 65 Reichs­pfen­nig in Mün­zen …

»Se­hen Sie, da ha­ben wir ja auch den Zehn­mark­schein, den Sie von dem Herrn be­kom­men ha­ben, den neh­me ich wohl lie­ber zu den Ak­ten. Aber, war­ten Sie, Sie sol­len da­durch kei­nen Ver­lust ha­ben, ich gebe Ih­nen zehn Mark von mir als Er­satz …«

So trieb es der Kom­missar so lan­ge, bis der As­sis­tent Schrö­der wie­der her­ein­kam: »Be­fehl aus­ge­führt, Herr Kom­missar. Und ich soll mel­den, der Kom­missar Lin­ke möch­te Sie auch noch ger­ne we­gen des Falls Kla­bau­ter­mann spre­chen.«

»Schön, schön. Dan­ke auch bes­tens, Kol­le­ge. Ja, wir hier sind fer­tig. Also denn auf Wie­der­se­hen, Herr Klu­ge. Schrö­der, zei­gen Sie dem Herrn Klu­ge doch mal den Weg. Also, Herr Schrö­der geht mit durch die Re­vier­stu­be. Noch­mals auf Wie­der­se­hen, Herr Klu­ge. Die Fa­brik ver­ges­se ich nicht. Nein, nein! Heil Hit­ler!«

»Na, denn nichts für un­gut, Herr Klu­ge«, sag­te Schrö­der, stand auf der Frank­fur­ter Al­lee und schüt­tel­te ihm die Hand. »Sie wis­sen, Be­ruf ist Be­ruf, und manch­mal müs­sen wir auch ein biss­chen der­be zu­fas­sen. Aber ich habe Ih­nen gleich wie­der die Hand­fes­sel ab­neh­men las­sen. Von dem Puff, den Ih­nen der Wacht­meis­ter gab, spü­ren Sie doch nichts mehr?«

»Nein, gar nichts. Und ich ver­ste­he auch al­les … Ent­schul­di­gen Sie bloß die Mühe, die ich Ih­nen ge­macht habe, Herr Kom­missar.«

»Also denn: Heil Hit­ler, Herr Klu­ge!«

»Heil Hit­ler, Herr Kom­missar!«

Und der klei­ne, schmäch­ti­ge Enno Klu­ge trab­te los. Er lief in ei­nem rich­ti­gen Zu­ckel­trab durch die Men­schen auf der Frank­fur­ter Al­lee, und der As­sis­tent Schrö­der sah ihm nach. Er über­zeug­te sich noch, dass die bei­den Leu­te, die er an­ge­setzt hat­te, rich­tig auf sei­ner Spur wa­ren, nick­te dann und ging zu­rück auf die Wa­che.