Hans Fallada – Gesammelte Werke

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Nein, ein oder zwei Tage muss­te sie ihm schon Zeit las­sen, ein neu­es Quar­tier zu su­chen. Wenn er da­bei der Ge­sta­po in die Hän­de fällt – sie muss es dar­auf an­kom­men las­sen. Er lässt es ja auch dar­auf an­kom­men – we­gen ei­ner Renn­wet­te! Nein, sie muss sich von ihm frei­ma­chen, sie kann nie wie­der Ver­trau­en zu ihm fin­den. Al­lein muss sie für sich le­ben, von nun an bis zu ih­rem Tode! Und bei die­sem Ge­dan­ken wird ihr angst.

Aber trotz die­ser Angst sagt sie nach dem Abendes­sen zu ihm: »Ich habe mir al­les über­legt, Enno, wir müs­sen uns tren­nen. Du bist ein net­ter Mann, du bist auch ein lie­ber Mann, aber du siehst die Welt zu sehr mit an­de­ren Au­gen an, auf die Dau­er könn­ten wir uns nicht ver­tra­gen.«

Er blickt starr auf sie, die wie zur Be­kräf­ti­gung ih­rer Wor­te ihm das Bett auf dem Sofa rich­tet. Er will erst sei­nen Ohren nicht trau­en, und dann wim­mert er los: »O Gott, Hete, das kannst du doch nicht wirk­lich mei­nen! Wo wir bei­de uns doch so lieb­ha­ben! Das kannst du doch nicht wol­len, mich auf die Stra­ße und der Ge­sta­po in die Arme zu ja­gen!«

»Ach!«, sagt sie und will sich durch die ei­ge­nen Wor­te be­ru­hi­gen. »Das mit der Ge­sta­po wird auch nur halb so schlimm sein, sonst wä­rest du heu­te nicht den hal­b­en Tag in der Stadt her­um­ge­lau­fen!«

Aber er bricht in die Knie. Wahr­haf­tig, er rutscht auf den Kni­en zu ihr hin. Die Furcht hat ihn ganz be­sin­nungs­los ge­macht. »Hete! Hete!«, schreit und schluchzt er. »Du willst mich doch nicht tö­ten? Du musst mich hier­be­hal­ten! Wo soll ich denn hin? Ach, Hete, hab mich doch ein biss­chen lieb, ich bin ja so un­glück­lich …«

Heu­len und Ge­schrei, ein klei­ner, vor Angst win­seln­der Hund!

Er will ihre Bei­ne um­klam­mern, er fasst nach ih­ren Hän­den. Sie flieht vor ihm in ihr Schlaf­zim­mer, sie rie­gelt sich ein. Aber die gan­ze Nacht hört sie ihn im­mer wie­der ge­gen die Tür sto­ßen, die Klin­ke pro­bie­ren, wim­mern und bet­teln …

Sie liegt ganz still. Sie sam­melt in sich alle Kraft, nicht nach­zu­ge­ben, sich nicht weich ma­chen zu las­sen von ih­rem ei­ge­nen Her­zen und dem Ge­bet­tel da drau­ßen! Sie bleibt fest bei ih­rem Ent­schluss, nicht wei­ter mit ihm zu­sam­men­zu­le­ben.

Beim Früh­stück sit­zen sie ein­an­der mit blei­chen, über­näch­tig­ten Ge­sich­tern ge­gen­über. Sie spre­chen kaum ein Wort mit­ein­an­der. Sie tun, als ob die Aus­ein­an­der­set­zung nie ge­we­sen wäre.

Aber er weiß jetzt Be­scheid, denkt sie, und wenn er sich heu­te kein Zim­mer sucht, mor­gen Abend muss er mir doch aus dem Haus. Mor­gen Mit­tag sage ich es ihm noch ein­mal. Wir müs­sen uns tren­nen!

O ja, Frau Hete Hä­ber­le ist eine eben­so mu­ti­ge wie an­stän­di­ge Frau. Und dass sie ih­ren Ent­schluss dann doch nicht durch­führt, dass sie den Enno doch nicht von sich stößt, das liegt nicht an ihr, das liegt an Men­schen, die sie noch gar nicht kennt. Zum Bei­spiel an dem Kom­missar Esche­rich und dem Herrn Bark­hau­sen.

1 Die Kom­mu­nis­ti­sche Par­tei Deutsch­lands ent­stand am Jah­res­en­de 1918 aus ei­nem Zu­sam­menschluss des Spar­ta­kus­bun­des mit klei­ne­ren links­ra­di­ka­len Grup­pen. <<<

28. Emil Barkhausen macht sich nützlich

Wäh­rend Enno Klu­ge und Frau Hä­ber­le sich zu ei­ner Le­bens­ge­mein­schaft ver­ein­ten, die so schnell wie­der zer­brach, hat­te Kom­missar Esche­rich schwe­re Zei­ten hin­ter sich. Er hat­te es ver­schmäht, sei­nem Vor­ge­setz­ten Prall zu ver­heim­li­chen, dass Enno Klu­ge sei­nen Be­schat­tern so schnell wie­der ent­ron­nen und, ohne eine Spur zu hin­ter­las­sen, im Meer der Groß­stadt un­ter­ge­taucht war.

Kom­missar Esche­rich hat­te er­ge­ben all die Be­schimp­fun­gen auf sich her­ab­ha­geln las­sen, die in­fol­ge die­ses Ge­ständ­nis­ses fäl­lig wa­ren: er war ein Idi­ot, er war ein Nichts­kön­ner, man wür­de ihn ein­lo­chen, die­se Schlaf­müt­ze, die es in fast ei­nem Jah­re nicht mal fer­tig­ge­bracht hat­te, einen blö­den Post­kar­ten­schrei­ber zu er­mit­teln!

Und hat­te er mal eine Spur, so ließ er den Kerl wie­der lau­fen, Trot­tel, der er war! Ei­gent­lich hat­te Kom­missar Esche­rich Bei­hil­fe zum Hoch­ver­rat ge­leis­tet, und da­nach wür­de man auch mit ihm ver­fah­ren, wenn er nicht bin­nen heu­te und ei­ner Wo­che die­sen Enno Klu­ge dem Ober­grup­pen­füh­rer Prall vor­führ­te.

Ja, Kom­missar Esche­rich hat­te die­se Be­schimp­fun­gen er­ge­ben an­ge­hört. Aber sie hat­ten eine selt­sa­me Wir­kung auf ihn: trotz­dem er doch ge­nau wuss­te, dass die­ser Enno Klu­ge nicht das Ge­rings­te mit den Post­kar­ten zu tun hat­te, dass er ihm nicht einen Schritt wei­ter auf dem Wege zur Fest­stel­lung des wirk­li­chen Tä­ters hel­fen konn­te, trotz­dem kon­zen­trier­te sich plötz­lich das In­ter­es­se des Kom­missars fast nur auf die Fest­stel­lung des klei­nen, be­deu­tungs­lo­sen Enno Klu­ge. Es war doch auch wirk­lich zu är­ger­lich, dass die­se Wan­ze, mit der er sei­nen Vor­ge­setz­ten so schön hat­te hin­hal­ten wol­len, ihm durch die Fin­ger ge­schlüpft war. In die­ser Wo­che war der Kla­bau­ter­mann be­son­ders flei­ßig ge­we­sen: drei Kar­ten von ihm lan­de­ten auf dem Schreib­tisch des Kom­missars. Aber zum ers­ten Mal, seit er die­se Sa­che be­ar­bei­te­te, in­ter­es­sier­ten Esche­rich die Kar­ten und der Schrei­ber über­haupt nicht. Er ver­gaß so­gar, auf sei­nem Stadt­plan von Ber­lin die Fund­stel­le mit Fähn­chen zu mar­kie­ren.

Nein, erst ein­mal woll­te er die­sen Enno Klu­ge wie­der­ha­ben, und Kom­missar Esche­rich mach­te wirk­lich un­ge­wöhn­li­che An­stren­gun­gen, den Mann zu krie­gen. Er fuhr so­gar ins Rup­pin­sche, zu Eva Klu­ge, für alle Even­tua­li­tä­ten mit ei­nem Haft­be­fehl ge­gen sie und ge­gen ihn aus­ge­rüs­tet. Aber er sah doch bald, dass die­se Frau wirk­lich nicht das Ge­rings­te mehr mit dem Man­ne zu tun hat­te und dass sie sehr we­nig von sei­nem Le­ben im letz­ten Jah­re wuss­te.

Was sie wuss­te, er­zähl­te sie dem Kom­missar, nicht be­son­ders be­reit­wil­lig und nicht gra­de wi­der­spens­tig, son­dern völ­lig gleich­gül­tig. Die­ser Frau war es er­sicht­lich ganz gleich­gül­tig, was mit dem Mann wur­de, was er ge­tan hat­te oder nicht ge­tan hat­te. Der Kom­missar er­fuhr von ihr nur die Na­men von zwei oder drei Lo­ka­len, in de­nen Enno Klu­ge frü­her ver­kehrt hat­te, er hör­te von sei­ner Wett­lei­den­schaft und er­fuhr auch die Adres­se ei­ner ge­wis­sen Tut­ti He­be­kreuz, von der mal ein Brief in die Woh­nung ge­kom­men war. In die­sem Brief war Enno Klu­ge be­schul­digt wor­den, der He­be­kreuz Geld und Le­bens­mit­tel­kar­ten ge­stoh­len zu ha­ben. Nein, Frau Klu­ge hat­te dem Mann, als sie ihn das letz­te Mal sah, we­der den Brief aus­ge­hän­digt noch zu ihm da­von ge­spro­chen. Nur die Adres­se hat­te sie zu­fäl­lig be­hal­ten, als Brief­trä­ge­rin hat­te sie für Adres­sen ein be­son­ders gu­tes Ge­dächt­nis.

Mit die­sem Wis­sen aus­ge­rüs­tet, war Kom­missar Esche­rich wie­der nach Ber­lin zu­rück­ge­kehrt. Er hat­te na­tür­lich, ge­treu sei­nem Grund­satz, Fra­gen zu stel­len, aber kei­ne zu be­ant­wor­ten, kein Wis­sen wei­ter­zu­ge­ben, ge­treu die­sem Grund­satz also hat­te Kom­missar Esche­rich sich ge­hü­tet, der Frau Eva Klu­ge eine An­deu­tung von dem Ver­fah­ren zu ma­chen, das ge­gen sie in Ber­lin lief. Das ging ihn nichts an. Viel brach­te er also nicht mit nach Hau­se, aber es war doch ein An­fang ge­macht, die Spur ei­ner Spur ge­wis­ser­ma­ßen – und er konn­te dem Prall doch zei­gen, dass er et­was tat, nicht nur war­te­te. Da­rauf kam es den Her­ren oben doch al­lein an, dass et­was ge­tan wur­de, moch­te es auch das Fal­sche sein, wie ja der gan­ze Fall Klu­ge falsch war. Aber War­ten ver­tru­gen die Her­ren nicht.

Die Er­kun­di­gun­gen bei der He­be­kreuz ver­lie­fen er­folg­los. Sie hat­te den Klu­ge in ei­nem Café ken­nen­ge­lernt, sie kann­te auch sei­ne Ar­beits­stel­le. Er hat­te zwei­mal ei­ni­ge Wo­chen bei ihr lo­giert, ja­wohl, das war rich­tig, sie hat­te ihm we­gen Geld und Le­bens­mit­tel­kar­ten ge­schrie­ben. Aber das hat­te er bei sei­nem zwei­ten Be­such auf­ge­klärt, die hat­te ein an­de­rer Un­ter­mie­ter ge­klaut, nicht der Enno.

Dann war er wie­der ab­ge­hau­en, ohne ihr was zu sa­gen, wohl zu ir­gend­ei­nem Weib, das war so En­nos Art. Nein, sie hat­te na­tür­lich nie et­was mit ihm ge­habt. Nein, sie hat­te kei­ne Ah­nung, wo­hin er ge­zo­gen war. Aber hier in die­ser Ge­gend war er be­stimmt nicht, sonst hät­te sie längst mal von ihm ge­hört.

In den bei­den Knei­pen war er be­kannt un­ter dem Na­men Enno, ja­wohl. Er hat­te sich lan­ge nicht se­hen las­sen, nein, aber er kam im­mer mal wie­der. Ja­wohl, Herr Kom­missar, wir las­sen uns nichts mer­ken. Wir sind so­li­de Knei­piers, bei uns ver­keh­ren nur an­stän­di­ge Leu­te, die In­ter­es­se für den ed­len Rennsport ha­ben. Wir wer­den Ih­nen so­fort einen Wink ge­ben, wenn er wie­der auf­taucht. Heil Hit­ler, Herr Kom­missar!

Kom­missar Esche­rich setz­te zehn Leu­te an, die bei al­len Buch­ma­chern und Knei­piers im Nor­den und Os­ten Ber­lins Nach­fra­ge nach Enno Klu­ge hal­ten soll­ten. Und wäh­rend Esche­rich das Er­geb­nis die­ser Ak­ti­on ab­war­te­te, ge­sch­ah ihm das zwei­te Merk­wür­di­ge: plötz­lich schi­en es ihm nicht mehr ganz aus­ge­schlos­sen, dass die­ser Enno Klu­ge doch et­was mit den Kar­ten zu tun hat­te. Zu merk­wür­di­ge Zu­sam­men­hän­ge geis­ter­ten um die­sen Bur­schen: die beim Arzt ge­fun­de­ne Kar­te, und dann die Ehe­frau, erst glü­hen­de Na­zis­tin und dann plötz­lich die­ser An­trag, aus der Par­tei aus­tre­ten zu dür­fen, ver­mut­lich, weil der Sohn in der SS et­was ge­tan hat­te, was der Mut­ter nicht ge­fiel. Al­les um die­sen klei­nen Kerl en­de­te ir­gend­wie im Po­lit­schen, und Esche­rich hat­te gra­de ihn für po­li­tisch völ­lig gleich­gül­tig ge­hal­ten. Vi­el­leicht war der Enno Klu­ge viel ge­rie­be­ner, als der Kom­missar ge­dacht hat­te, viel­leicht hat­te er auch an­de­ren Dreck am Ste­cken als die­se Kar­te, aber Dreck hat­te er zu ver­schar­ren, das schi­en fast si­cher.

 

Dies be­stä­tig­te auch der As­sis­tent Schrö­der, mit dem der Kom­missar zur Auf­fri­schung sei­nes Ge­dächt­nis­ses den gan­zen Fall noch ein­mal lang­sam durch­sprach. Auch der As­sis­tent Schrö­der hat­te das Ge­fühl ge­habt, mit dem Klu­ge stimm­te was nicht, er ver­barg et­was. Nun, man wür­de ja se­hen, in die­ser Sa­che wür­de bald et­was er­fol­gen. Der Kom­missar hat­te das im Ge­fühl, und in sol­chen Din­gen täusch­te ihn sein Ge­fühl nur sel­ten.

Und die­ses Mal täusch­te es ihn wirk­lich nicht. Es ge­sch­ah in die­sen Ta­gen der Be­dro­hung und des Är­gers, dass dem Kom­missar ge­mel­det wur­de, ein ge­wis­ser Bark­hau­sen bit­te, ihn spre­chen zu dür­fen.

Bark­hau­sen?, frag­te sich Kom­missar Esche­rich. Bark­hau­sen? Was soll denn das für ein Bark­hau­sen sein? Ach so, ich weiß schon, die­ser klei­ne Spit­zel, der für acht Gro­schen sei­ne Mut­ter ver­ra­ten wür­de.

Und laut: »Soll rein­kom­men!« Als der Bark­hau­sen aber ein­trat, sag­te er zu ihm: »Wenn Sie mir aber nur was über die Per­sickes er­zäh­len wol­len, kön­nen Sie gleich wie­der kehrt­ma­chen!«

Der Bark­hau­sen sah den Kom­missar fest an und schwieg. Er tat so dar, dass er doch be­ab­sich­tig­te, über die Per­sickes zu re­den.

»Na also!«, sag­te der Kom­missar. »Wa­rum ma­chen Sie nicht kehrt, Bark­hau­sen?«

»Der Per­si­cke hat doch den Ra­dio von der Ro­sen­thal, Herr Kom­missar«, sag­te er vor­wurfs­voll. »Ich weiß es jetzt ge­nau, ich habe …«

»Die Ro­sen­thal?«, frag­te Esche­rich. »Das ist doch die olle Jüd­sche, die in der Ja­blons­ki­stra­ße aus dem Fens­ter ge­sprun­gen ist?«

»Das ist sie!«, be­stä­tig­te Bark­hau­sen. »Und den Ra­dio hat er ihr ein­fach ge­klaut, das heißt, da war sie schon tot, aber aus der Woh­nung …«

»Nun will ich Ih­nen mal was sa­gen, Bark­hau­sen«, er­klär­te Esche­rich. »Ich habe mich mit dem Kom­missar Rusch über den Fall be­spro­chen. Wenn Sie da­mit nicht auf­hö­ren, ge­gen die Per­sickes stän­dig an­zu­stän­kern, so fah­ren wir hier mit Ih­nen Schlit­ten. Wir wol­len von die­ser Ge­schich­te kein Wort mehr hö­ren – und von Ih­nen schon gar nicht! Sie sind der Al­ler­letz­te, der in die­ser Sa­che rum­sto­chern dürf­te. Ja, Sie, Bark­hau­sen!«

»Aber er hat den Ra­dio doch ge­klaut …«, fing Bark­hau­sen mit je­ner stu­ren Hart­nä­ckig­keit wie­der an, die nur blin­der Hass ver­leiht. »Wo ich es ihm doch di­rekt be­wei­sen kann …«

»Jetzt nur noch raus, Bark­hau­sen, oder ich las­se Sie ab­füh­ren, hier bei uns in den Kel­ler!«

»Dann gehe ich aufs Prä­si­di­um am Alex!«, er­klär­te Bark­hau­sen tief ge­kränkt. »Was Recht ist, muss Recht blei­ben, und ge­klaut ist ge­klaut …«

Aber Esche­rich war et­was an­de­res ein­ge­fal­len, näm­lich sein Fall Kla­bau­ter­mann, der fast stän­dig sei­ne Ge­dan­ken be­schäf­tig­te. Er hör­te gar nicht mehr auf den Idio­ten. »Sa­gen Sie mal, Bark­hau­sen«, sag­te er, »Sie ken­nen doch auch einen Hau­fen Leu­te und ge­hen viel in die Knei­pen? Ken­nen Sie viel­leicht einen ge­wis­sen Enno Klu­ge?«

Bark­hau­sen, der ein Ge­schäft wit­ter­te, sag­te noch ver­dros­sen: »Ei­nen ge­wis­sen Enno ken­ne ich. Ob er wei­ter Klu­ge heißt, so viel ist mir nicht be­kannt. Ich hab ei­gent­lich im­mer ge­dacht, Enno wäre sein Nach­na­me.«

»Klei­ner, schmäch­ti­ger Mann, blass, lei­se und schüch­tern?«

»Das könn­te auf mei­nen stim­men, Herr Kom­missar.«

»Hel­ler Pa­le­tot, groß­ka­rier­te brau­ne Sport­müt­ze?«

»So ken­ne ich ihn.«

»Hat ewig Wei­ber­ge­schich­ten?«

»Von Wei­ber­ge­schich­ten ist mir bei mei­nem nichts be­kannt. Wo ich den ge­se­hen habe, da ver­keh­ren kei­ne Wei­ber.«

»Klei­ner Pfer­de­wet­ter –«

»Stimmt, Herr Kom­missar.«

»Lo­ka­le: ›Fer­ner lie­fen‹ und ›Vor dem Star­t‹?«

»Der­sel­be, Herr Kom­missar. Ihr Enno Klu­ge, das ist mein Enno!«

»Den müs­sen Sie mir fin­den, Bark­hau­sen! Hän­gen Sie den gan­zen blö­den Per­si­cke-Rum­mel an den Na­gel, der trägt Ih­nen bloß noch KZ ein! Krie­gen Sie mir lie­ber raus, wo der Enno Klu­ge steckt!«

»Aber das ist doch kein Fisch für Sie, Herr Kom­missar!«, rief Bark­hau­sen ab­weh­rend. »Das ist doch ein ganz klei­ner Pin­kel! Ein rei­ner Neb­bich ist das! Was wol­len Sie denn mit sol­chem Idio­ten, Herr Kom­missar?«

»Das las­sen Sie nur mei­ne Sa­che sein, Bark­hau­sen! Wenn ich durch Sie den Enno Klu­ge krie­ge, sol­len Sie fünf­hun­dert Mark ver­dient ha­ben!«

»Fünf­hun­dert Mark, Herr Kom­missar? Fünf­hun­dert Mark sind zehn von mei­nen En­nos noch nicht wert! Da muss ein Irr­tum vor­lie­gen.«

»Vi­el­leicht liegt da so­gar wirk­lich ein Irr­tum vor, aber das geht Sie nichts an, Bark­hau­sen. Sie krie­gen Ihre fünf­hun­dert Eier – so und so!«

»Na denn! Wenn Sie’s sa­gen, Herr Kom­missar, dann will ich mal se­hen, dass ich den Enno fas­se. Aber ich zei­ge Ih­nen den Mann bloß, ich brin­ge ihn nicht her. Mit so ei­nem rede ich ja gar nicht …«

»Was habt ihr bei­de denn mit­ein­an­der ge­habt? Sonst bist du doch nicht so emp­find­lich, Bark­hau­sen! Si­cher habt ihr ir­gend­ei­nen Mist zu­sam­men ver­gra­ben. Aber ich will nicht in eure zar­ten Ge­heim­nis­se drin­gen, schwimm ab, Bark­hau­sen, und stell mir den Klu­ge!«

»Ich möch­te noch um einen klei­nen Vor­schuss ge­be­ten ha­ben, Herr Kom­missar. Nein, um kei­nen Vor­schuss«, ver­bes­ser­te er sich, »son­dern um Geld für mei­ne Spe­sen.«

»Was hast du denn für Spe­sen, Bark­hau­sen? Das wür­de mich doch in­ter­es­sie­ren.«

»Ich muss doch mit der Bahn fah­ren, in al­len mög­li­chen Knei­pen muss ich rum­ste­hen, hier eine Mol­le, da eine Run­de aus­ge­ben, das läuft doch ins Geld, Herr Kom­missar! Aber ich den­ke, fünf­zig Mark wer­den ge­nü­gen.«

»Ja, wenn der groß­mäch­ti­ge Bark­hau­sen aus­geht, da war­ten alle schon, dass er was aus­gibt! Na, ich will dir zehn Mark ge­ben, und nun hau wirk­lich ab. Glaubst du, ich habe nichts an­de­res zu tun, als mit dir rum­zu­quat­schen?«

Bark­hau­sen war tat­säch­lich der An­sicht, dass so ein Kom­missar nichts an­de­res zu tun hat­te, als den Leu­ten die Wür­mer aus der Nase zu zie­hen und an­de­re für sich ar­bei­ten zu las­sen. Aber er hü­te­te sich wohl, das aus­zu­spre­chen. Er ging nun wirk­lich zur Tür, wo­bei er sag­te: »Aber wenn ich Ih­nen den Klu­ge schaf­fe, müs­sen Sie mir auch bei den Per­sickes hel­fen. Die Brü­der ha­ben mich zu sehr in Rage ge­bracht …«

Mit ei­nem Satz war Esche­rich hin­ter ihm drein, pack­te ihn an der Schul­ter und hielt ihm die Faust un­ter die Nase.

»Siehst du die?«, schrie er wü­tend. »Wills­te mal rie­chen an der Knos­pe, du däm­li­cher Hund? Noch ein Wort von den Per­sickes, und ich schi­cke dich in den Bun­ker, und wenn auch alle Enno Klu­ges von der Welt frei rum­lau­fen!«

Da­mit gab er dem Über­rasch­ten einen Stoß mit dem Knie in den Hin­tern, dass er wie eine Ka­no­nen­ku­gel in den Gang schoss. Er war aber gra­de auf eine SS-Or­don­nanz ab­ge­schos­sen, die ihm einen wei­te­ren kräf­ti­gen Tritt ver­setz­te …

Der Lärm, den die­se zwei Ab­schüs­se ver­ur­sach­ten, hat­te zwei SS-Pos­ten am Trep­pen­po­dest auf­mer­ken las­sen. Sie nah­men den noch tau­meln­den Bark­hau­sen in Empfang und war­fen ihn die Trep­pe hin­ab, ge­nau wie einen Kar­tof­fel­sack, drun­ter und drü­ber, ganz egal, wie’s gra­de kam.

Und als Bark­hau­sen un­ten äch­zend und ein we­nig blu­tend lie­gen blieb, aber nur we­nig, noch ganz be­täubt von dem Sturz, fass­te ihn der nächs­te Pos­ten beim Kra­gen, schrie: »Willst du Schwein uns hier den schö­nen Fuß­bo­den voll­sau­en?«, schlepp­te ihn zum Aus­gang und warf ihn auf die Stra­ße.

Der Kom­missar Esche­rich hat­te den An­fang die­ses Stur­zes, bis die Trep­pe ihn sei­nen Bli­cken ent­zog, mit Be­ha­gen an­ge­se­hen.

Die Vor­über­ge­hen­den auf der Prinz-Al­brecht-Stra­ße ver­mie­den es ängst­lich, den im Dreck lie­gen­den Un­glück­li­chen an­zu­se­hen, denn sie wuss­ten es ja, aus wel­chem ge­fähr­li­chen Hau­se er hin­aus­ge­wor­fen war. Es war viel­leicht schon ein Ver­bre­chen, sol­chen Ve­r­un­glück­ten mit­lei­dig an­zu­se­hen, hel­fen durf­te man ihm schon gar nicht. Der Pos­ten aber, der mit schwe­ren Schrit­ten jetzt wie­der am Aus­gang auf­tauch­te, sag­te: »Wenn du Schwein in drei Mi­nu­ten noch un­se­re Fassa­de schän­dest, dann ma­che ich dir Bei­ne, und das nicht zu knapp!«

Das half. Bark­hau­sen raff­te sich auf und tau­mel­te mit schwe­ren, schmer­zen­den Glie­dern nach Hau­se. In­ner­lich aber brann­te er mal wie­der vor hilflo­sem Hass und Zorn, und die­ser Hass brann­te ihn stär­ker, als sei­ne Ver­let­zun­gen weh ta­ten. Er war fest ent­schlos­sen, für die­sen Schur­ken von Kom­missar kei­ne Hand zu rüh­ren, der soll­te sich sei­nen Enno Klu­ge al­lein su­chen!

Aber am nächs­ten Tage, als der Zorn et­was ge­lin­der ge­wor­den war und die Stim­me der Ver­nunft wie­der zu spre­chen an­fing, sag­te er sich, dass er ers­tens vom Kom­missar Esche­rich zehn Mark be­kom­men hat­te, und für die muss­te er ar­bei­ten, sonst be­kam er un­wei­ger­lich eine Be­trugs­an­zei­ge. Und zwei­tens war es über­haupt nicht gut, es mit so ho­hen Her­ren ganz zu ver­der­ben. Die hat­ten nun mal die Macht, und wer klein war, der muss­te sich fü­gen. Das mit dem Raus­schmiss ges­tern, das hat­te sich schließ­lich ganz von selbst er­ge­ben. Wäre er nicht ge­gen die Or­don­nanz ge­prallt, wäre es ganz ge­lin­de ab­ge­gan­gen. Sie sa­hen es wohl als einen Witz an, und wenn Bark­hau­sen ge­se­hen hät­te, dass man einen an­de­ren so be­han­delt, hät­te er auch herz­lich ge­lacht, zum Bei­spiel über einen glei­cher­wei­se ab­ge­feu­er­ten Enno Klu­ge.

Ja, das war der drit­te Grund, warum Bark­hau­sen den Auf­trag doch lie­ber aus­führ­te: er konn­te da­mit dem Enno Klu­ge eins aus­wi­schen, der ihm durch sei­ne blö­de Sau­fe­rei das gan­ze schö­ne Ge­schäft ver­mas­selt hat­te.

So be­gab sich Bark­hau­sen also, wenn auch mit schmer­zen­den Kno­chen, so doch gu­ten Wil­lens voll, in jene bei­den Lo­ka­le, die auch der Kom­missar Esche­rich auf­ge­sucht hat­te, und in ei­ni­ge wei­te­re noch. Er frag­te nicht nach Enno bei den Wir­ten, er stand nur da und lüm­mel­te sich, er trank lang­sam, über eine Stun­de, an ei­ner Mol­le, re­de­te auch ein biss­chen von Pfer­den, über die er durch das ewi­ge Zu­hö­ren so­gar et­was wuss­te (war aber gänz­lich von je­der Wett­lei­den­schaft frei) – und ging dann in das nächs­te Lo­kal, um es dort ge­nau­so zu ma­chen. Er hat­te Ge­duld, der Bark­hau­sen, er konn­te es so gan­ze Tage trei­ben, ihm kam es nicht dar­auf an.

Aber er brauch­te gar nicht viel Ge­duld zu ha­ben, denn schon am zwei­ten Tag sah er den Enno im Lo­kal »Fer­ner lie­fen«. Er er­leb­te den Ade­bar-Tri­umph des Schmäch­ti­gen und emp­fand einen hef­ti­gen Neid we­gen des Mas­sels, den solch ein Idi­ot ent­wi­ckel­te. Au­ßer­dem wun­der­te ihn der Fünf­zig­mark­schein, den Klu­ge dem Buch­ma­cher ge­ge­ben hat­te. Durch Ar­beit war der nicht er­wor­ben, das roch Bark­hau­sen so­fort. Der muss­te sich ganz hübsch ge­bet­tet ha­ben, der klei­ne Schlei­cher, der!

Es ist ganz selbst­ver­ständ­lich, dass die Her­ren Bark­hau­sen und Klu­ge ein­an­der nicht kann­ten, sie sa­hen sich nicht ein­mal.

Nicht ganz so selbst­ver­ständ­lich ist es, dass der Knei­pier den Kom­missar Esche­rich nicht an­rief, trotz sei­nes fes­ten Ver­spre­chens. Aber das war ja nun so, dass man die Ge­sta­po fürch­te­te und in stän­di­ger Angst vor ihr leb­te, aber et­was an­de­res war es, ihr Hand­lan­ger­diens­te zu tun. Nein, so weit ging es auf der an­de­ren Sei­te auch nicht, dass Enno Klu­ge ge­warnt wur­de, aber je­den­falls wur­de er nicht ver­ra­ten.

Üb­ri­gens ver­gaß der Kom­missar Esche­rich nicht die­sen un­ter­las­se­nen An­ruf. Er gab ei­ner be­stimm­ten Ab­tei­lung dar­über Nach­richt, wor­auf dort über den Knei­pier eine Kar­to­thek­kar­te an­ge­legt wur­de, auf der das Wort »Un­zu­ver­läs­sig« stand. Ei­nes Ta­ges, frü­her oder spä­ter, wür­de es der Knei­pier schon zu spü­ren be­kom­men, was das hieß, bei der Ge­sta­po für un­zu­ver­läs­sig zu gel­ten.

Von den bei­den Her­ren ver­ließ Bark­hau­sen zu­erst das Lo­kal. Er ging aber nicht weit, son­dern bau­te sich hin­ter ei­ner Lit­fass­säu­le auf, wo er in hei­te­rer Ruhe den Ab­gang des Klei­nen er­war­te­te. Bark­hau­sen war ein Be­schat­ter, der sein Op­fer so leicht nicht aus dem Auge ver­lor, und die­ses Op­fer schon gar nicht. Er brach­te es so­gar fer­tig, sich auf der U-Bahn in den glei­chen Wa­gen mit ihm zu quet­schen, und ob­wohl Bark­hau­sen lang war, sah ihn Enno Klu­ge doch nicht.

 

Enno Klu­ge dach­te nur an sei­nen Tri­umph mit Ade­bar, an das Geld, das end­lich wie­der ein­mal reich­lich in sei­ner Ta­sche knis­ter­te, und dann dach­te er an Hete, bei der er es doch ei­gent­lich sehr gut hat­te. Mit Lie­be und Rüh­rung dach­te er an die gute, ält­li­che Zer­flie­ßen­de, aber er dach­te nicht dar­an, dass er sie vor ein paar Stun­den be­lo­gen und be­stoh­len hat­te.

Frei­lich, als er dann vor dem La­den an­kam und sah, der Roll­la­den war hoch­ge­zo­gen, und sie wirk­te schon wie­der im Ge­schäft, und sie hat­te ihm sein Weg­lau­fen be­stimmt übel­ge­nom­men, da sank sei­ne gute Stim­mung wie­der. Aber mit dem Fa­ta­lis­mus, mit dem sich Leu­te sei­nes Schla­ges auch in das Wi­d­rigs­te fü­gen, be­trat er den La­den und ging sei­ner Abrei­bung ent­ge­gen. Dass er aber, mit sol­chen Ge­dan­ken be­schäf­tigt, nicht gra­de sehr ge­nau dar­auf ach­te­te, wer ihm auf den Fer­sen saß, das kann nie­man­den wun­der­neh­men.

Der Bark­hau­sen hat­te den Klu­ge im La­den ver­schwin­den se­hen. Er stand et­was ab in ei­nem Tor­weg, denn er nahm na­tür­lich an, Klu­ge wol­le dort et­was kau­fen und wer­de gleich wie­der her­aus­kom­men. Aber die Kun­den gin­gen und ka­men, gin­gen und ka­men, und Bark­hau­sen wur­de schon ganz ner­vös. Wenn er Klu­ges Heraus­kom­men über­se­hen hat­te – er hat­te die fünf­hun­dert Eier schon ganz si­cher in sei­ner Ta­sche ge­fühlt, die­sen Abend noch.

Nun ging laut der Roll­la­den her­un­ter, und jetzt war es si­cher: der Enno hat­te sich ir­gend­wie ver­drückt. Vi­el­leicht hat­te er doch Wit­te­rung von sei­nem Be­schat­ter ge­habt, war un­ter ir­gend­ei­nem Vor­wand durch den La­den in das Haus ge­gan­gen und durch die Haus­tür wie­der her­aus. Bark­hau­sen ver­fluch­te sich ob sei­ner Dumm­heit, nicht auch die Haus­tür im Auge be­hal­ten zu ha­ben. Im­mer hat­te er nur auf die La­den­tür ge­glotzt, Ka­mel, das er war!

Nun, es gab ja die Mög­lich­keit, Enno mor­gen oder über­mor­gen wie­der in dem Lo­kal zu tref­fen. Jetzt, wo er durch Ade­bar so einen Rei­bach ge­macht hat­te, wür­de sein Wett­fim­mel ihm schon kei­ne Ruhe las­sen. Er wür­de je­den Tag kom­men und so lan­ge wet­ten, bis das Geld alle war. Ein Au­ßen­sei­ter wie Ade­bar lief nicht alle Wo­chen, und wenn er lief, hat­te man nicht auf ihn ge­setzt. Der Enno wür­de sein Geld schon rasch los­wer­den.

Der Bark­hau­sen schob auf sei­nem Heim­weg noch nahe an dem klei­nen Tier­la­den vor­bei. Da sah er plötz­lich durch die Schau­fens­ter­schei­be (nur die La­den­tür war durch den Roll­la­den ver­sperrt), dass ein ein­sa­mes Licht im La­den brann­te, und wie er nun die Nase an der Schei­be platt­drück­te und über die Aqua­ri­en durch die Vo­gel­kä­fi­ge lins­te, da sah er, dass noch zwei Ge­stal­ten im La­den wirk­ten: ein auf­ge­gan­ge­ner Pud­ding von ei­ner Al­ten im ge­fähr­lichs­ten Al­ter, wie er gleich rich­tig schätz­te, und dazu sein Freund Enno. Enno in Hemds­är­meln und ei­ner blau­en Schür­ze, Enno, der flei­ßig Fut­ter­näp­fe füll­te, Was­ser ein­goss, einen Scotch putz­te.

Was für einen Du­sel solch ein Idi­ot wie der Enno doch hat­te! Was die Wei­ber an dem nur sa­hen? Er, der Bark­hau­sen, saß fest mit der Otti und fünf Bla­gen, und so ein ol­ler Knacker, der kam da­her und setz­te sich gleich in eine gan­ze Tier­hand­lung, kom­plett mit Frau, Fi­schen und Vö­geln.

Verächt­lich spuck­te Bark­hau­sen aus. Was für eine sau­blö­de Welt das war, die dem Bark­hau­sen al­les Gute vor­ent­hielt, um es ei­nem sol­chen Idio­ten in den Schoß zu wer­fen!

Aber je län­ger Bark­hau­sen guck­te, umso kla­rer wur­de ihm, dass um das Paar da drin­nen kein Lie­bes­zau­ber blüh­te. Son­dern sie re­de­ten kaum mit­ein­an­der, sie sa­hen sich fast nie an, und es war sehr mög­lich, dass der klei­ne Enno Klu­ge nichts dar­stell­te als einen Ar­bei­ter, der die Frau da drin­nen beim Auf­räu­men des La­dens un­ter­stütz­te. Dann muss­te er in ab­seh­ba­rer Zeit aus dem Haus her­aus­kom­men.

Bark­hau­sen zog sich also von neu­em auf sei­nen Beo­b­ach­tungs­pos­ten im Tor­weg zu­rück. Da der Roll­la­den ge­schlos­sen war, wür­de Klu­ge aus der Haus­tür kom­men, und so be­hielt Bark­hau­sen die im Auge. Aber das Licht im La­den war er­lo­schen, und Klu­ge war noch im­mer nicht ge­kom­men. Da ent­schloss sich Bark­hau­sen, viel zu wa­gen. Auf die Ge­fahr hin, den Enno im Trep­pen­haus zu tref­fen, schlich er sich in das Haus, das noch nicht ab­ge­schlos­sen war. Es war aber solch Miets­haus mit zwei oder gar drei Hö­fen, das meist über­haupt nicht ab­ge­schlos­sen wird, weil zu viel Par­tei­en dar­in woh­nen.

Bark­hau­sen no­tier­te zu­erst den Na­men »H. Hä­ber­le« in sei­nem Hirn und schlich dann auf den Hof hin­aus. Und sie­he, er hat­te Glück, sie hat­ten noch nicht ver­dun­kelt, trotz­dem es jetzt schon nach acht Uhr war, und an ei­nem schief hän­gen­den Sto­re vor­beibli­ckend, konn­te Bark­hau­sen die Stu­be bes­tens über­se­hen. Was er da aber sah, das über­rasch­te ihn der­art, dass er fast einen Schreck be­kam.

Denn da knie­te sein Freund Enno auf der Erde, kni­end rutsch­te er hin­ter der di­cken Frau her, die mit ängst­lich an­ge­zo­ge­nen Rö­cken Schritt für Schritt vor ihm zu­rück­wich. En­no­chen aber hat­te die Ärm­chen er­ho­ben, er schi­en zu wei­nen und Kla­ge­lau­te aus­zu­sto­ßen.

Ihr lie­ben Leu­te!, dach­te Bark­hau­sen und trat auf sei­nem Beo­b­ach­tungs­pos­ten vor Ent­zücken von ei­nem Bein auf das an­de­re, ihr lie­ben Leu­te, wenn ihr euch so Ap­pe­tit auf die Nacht macht, dann pros­te Mahl­zeit, dann seid ihr ja ver­dammt ul­ki­ge Kru­ken! Da will ich ger­ne hier die hal­be Nacht ste­hen und euch zu­kie­ken.

Aber da schlug die Tür hin­ter der Al­ten zu, und der Enno stand an der Tür, be­weg­te die Klin­ke auf und ab und schi­en wei­ter zu flen­nen und zu be­schwö­ren.

Vi­el­leicht war’s nicht nur so ’ne klei­ne Vor­fei­er für die Nacht, dach­te Bark­hau­sen. Vi­el­leicht ha­ben sie sich ge­strit­ten, oder Enno hat was von ihr ha­ben wol­len, was sie ihm nicht gibt, oder sie will über­haupt von dem ver­lieb­ten al­ten Go­ckel nichts wis­sen … Was geht es mich an? Je­den­falls bleibt er hier zur Nacht, wozu wäre ihm sonst auf dem Sofa ein so schö­nes wei­ßes Bett­chen zu­recht­ge­macht?

Der Enno Klu­ge stand gra­de vor dem Bett­chen. Bark­hau­sen konn­te das Ge­sicht sei­nes ehe­ma­li­gen Kum­pels ganz deut­lich se­hen. Es war zum Ver­wun­dern, wie es jetzt aus­schau­te. Eben noch Wei­nen und Weh­kla­gen, und nun grins­te der Mann, sah zur Tür, grins­te wie­der …

Der hat der Al­ten also nur ein Thea­ter vor­ge­spielt. Na, denn also, mein Jun­ge, viel Glück! Ich fürch­te nur, der Esche­rich spuckt dir in dei­ne Sup­pe!

Der Klu­ge hat­te sich eine Zi­ga­ret­te an­ge­steckt. Nun ging er di­rekt auf das Fens­ter zu, durch das Bark­hau­sen späh­te. Der fuhr er­schro­cken zur Sei­te, ins Dunkle – das Ver­dunk­lungs­rou­leau saus­te her­un­ter, und Bark­hau­sen konn­te ru­hig sei­nen Beo­b­ach­tungs­pos­ten für die­se Nacht auf­ge­ben. Gro­ße Auf­re­gun­gen wa­ren nicht mehr zu er­war­ten, we­nigs­tens wür­de er da­von nichts mehr zu se­hen be­kom­men. Der Enno aber war ihm für die­se Nacht erst ein­mal si­cher …

Ei­gent­lich war mit dem Kom­missar Esche­rich ver­ein­bart wor­den, dass Bark­hau­sen ihn so­fort nach der Ent­de­ckung Enno Klu­ges an­ru­fen soll­te, ei­ner­lei ob Tag oder Nacht. Aber wie Bark­hau­sen da in der Nacht im­mer wei­ter vom Kö­nigs­tor fort­ging, wur­de im­mer zwei­fel­haf­ter, ob ein so­for­ti­ger An­ruf wirk­lich das Rich­ti­ge war, das für Bark­hau­sens Nut­zen rich­tig ist. Ihm war ein­ge­fal­len, dass es in die­ser Sa­che doch zwei Par­tei­en gab, dass er also ei­gent­lich von bei­den Nut­zen zie­hen konn­te.