Hans Fallada – Gesammelte Werke

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»Sie dür­fen die Tru­del nicht schla­gen! Sie dür­fen das nicht! Oh, lie­ber Gott, hät­te ich doch nie ih­ren Na­men ge­nannt!«

»Sie ha­ben ihn aber ge­nannt! Und Sie ma­chen es Ih­rer Tru­del viel leich­ter, wenn Sie al­les ge­ste­hen! Nun, wie ist es, Frau Quan­gel? Was hat die Tru­del zu den Kar­ten ge­sagt?«

Und spä­ter: »Ich könnt’s von der Tru­del er­fah­ren, aber gra­de will ich, dass Sie es mir jetzt sa­gen. Ich lass nicht eher nach! Sie sol­len’s ler­nen, dass Sie ein­fach ein Dreck sind vor mir. Sie sol­len’s ler­nen, dass alle Ihre Vor­sät­ze, den Mund zu hal­ten, Mist sind vor mir. Sie sol­len ler­nen, dass Sie gar nichts wert sind, Sie mit all Ihrem Ge­re­de von Treue und Nicht­ver­ra­ten­wol­len. Nichts sind Sie! Nun, Frau Quan­gel, wet­ten, dass ich zwi­schen jetzt und ei­ner Stun­de aus Ihrem Mun­de höre, was die Tru­del mit den Post­kar­ten zu tun hat?! Wet­ten?«

»Nein! Nein! Nie!«

Aber na­tür­lich er­fuhr es der Kom­missar Laub, und es dau­er­te nicht mal eine Stun­de.

53. Die betrübten Hergesells

Her­ge­sells mach­ten ih­ren ers­ten Spa­zier­gang nach Tru­dels Fehl­ge­burt. Sie gin­gen die Stra­ße nach Grün­hei­de hin­aus, bo­gen dann aber links in den Fran­ken­weg ein und wan­der­ten am Ufer des Fla­ken­sees auf Wol­ters­dor­fer Schleu­se zu.

Sie gin­gen sehr lang­sam, ab und zu warf Karl einen ra­schen Blick auf Tru­del, die mit ge­senk­tem Blick ne­ben ihm ging.

»Es ist schön im Wal­de«, sag­te er.

»Ja, es ist schön«, ant­wor­te­te sie.

Ein we­nig spä­ter rief er: »Sieh dort die Schwä­ne auf dem See!«

»Ja«, ant­wor­te­te sie. »Schwä­ne …« Und nichts mehr.

»Tru­del«, sag­te er be­sorgt, »warum sprichst du nicht? Wa­rum freut dich nichts mehr?«

»Ich muss im­mer an mein to­tes Kind den­ken«, flüs­ter­te sie.

»Ach, Tru­del«, sag­te er. »Wir wer­den noch vie­le Kin­der ha­ben!«

Sie schüt­tel­te den Kopf. »Ich wer­de nie mehr ein Kind ha­ben.«

Er frag­te ängst­lich: »Hat der Dok­tor dir das ge­sagt?«

»Nein, nicht der Dok­tor. Aber ich füh­le es.«

»Nein«, sag­te er. »So darfst du nicht den­ken, Tru­del. Wir sind doch jung, wir kön­nen noch so vie­le Kin­der ha­ben.«

Wie­der schüt­tel­te sie den Kopf. »Ich den­ke manch­mal, das jetzt war mei­ne Stra­fe.«

»Eine Stra­fe! Wo­für denn, Tru­del? Was ha­ben wir denn ver­bro­chen, dass wir so ge­straft wer­den? Nein, es war ein Zu­fall, bloß ein blin­der, ge­mei­ner Zu­fall!«

»Es war kein Zu­fall, es war eine Stra­fe«, sag­te sie hart­nä­ckig. »Wir sol­len kein Kind ha­ben. Ich muss im­mer dar­an den­ken, was aus dem Klaus ge­wor­den wäre, wenn er äl­ter ge­wor­den wäre. Jung­volk und HJ, SA oder SS …«

»Aber, Tru­del!«, rief er, ganz ver­blüfft von den schwar­zen Ge­dan­ken, mit de­nen sei­ne Frau sich plag­te, »wenn der Klaus grö­ßer ge­wor­den wäre, dann wäre es ja längst mit der gan­zen Hit­le­rei vor­bei ge­we­sen. Die dau­ert nicht mehr lan­ge, ver­lass dich drauf!«

»Ja«, sag­te sie, »und was ha­ben wir dazu ge­tan, dass die Zu­kunft bes­ser wird? Gar nichts! Schlim­mer als nichts: wir ha­ben die gute Sa­che ver­las­sen. Ich muss jetzt so viel an Gri­go­leit und den Säug­ling den­ken … des­we­gen sind wir be­straft …«

»Ach, die­ser elen­de Gri­go­leit!«, sag­te er är­ger­lich.

Er hat­te einen schwe­ren Zorn auf Gri­go­leit, der im­mer noch nicht sei­nen Kof­fer ge­holt hat­te.

Schon ein paar­mal hat­te Her­ge­sell den Ein­lie­fe­rungs­schein er­neu­ern müs­sen.

»Ich den­ke«, sag­te er, »der Gri­go­leit sitzt längst. Man hät­te sonst wohl wie­der et­was von ihm ge­hört.«

»Wenn er sitzt«, be­harr­te sie, »sind wir mit dar­an schuld. Wir ha­ben ihn im Stich ge­las­sen.«

»Tru­del!«, rief er är­ger­lich. »Ich ver­bie­te dir, solch einen Un­sinn auch nur zu den­ken! Wir ha­ben nicht das Zeug zu Ver­schwö­rern. Für uns war es das ein­zig Rich­ti­ge, da­mit auf­zu­hö­ren.«

»Ja«, sag­te sie bit­ter, »aber wir ha­ben das Zeug zu Drücke­ber­gern, zu Feig­lin­gen! Du sagst, der Klaus hät­te nicht mehr in die HJ ge­musst. Aber wenn er es nicht ge­musst hät­te, wenn er sei­ne El­tern hät­te ach­ten und lie­ben dür­fen – was ha­ben wir dazu ge­tan? Was ha­ben wir für eine bes­se­re Zu­kunft ge­tan? Nichts!«

»Es kön­nen nicht alle Ver­schwö­rer spie­len, Tru­del!«

»Nein. Aber man hät­te an­de­res tun kön­nen. Wenn so­gar ein Mann wie mein frü­he­rer Schwie­ger­va­ter, der Otto Quan­gel …« Sie brach ab.

»Nun, was ist mit dem Quan­gel? Was weißt du von ihm?«

»Nein, ich sage dir das lie­ber nicht. Ich habe es ihm auch ver­spro­chen. Aber wenn so­gar ein al­ter Mann wie der Otto Quan­gel ge­gen die­sen Staat ar­bei­tet, so fin­de ich es schmäh­lich, dass wir die Hän­de in den Schoß le­gen!«

»Aber was kön­nen wir denn tun, Tru­del? Nichts! Denk an alle Macht, die der Hit­ler hat, und wir bei­de sind rei­ne gar nichts! Nichts kön­nen wir tun!«

»Wenn alle so däch­ten wie du, wür­de Hit­ler ewig die Macht be­hal­ten. Ei­ner muss ge­gen ihn zu kämp­fen an­fan­gen.«

»Aber was kön­nen wir tun?«

»Was? Al­les! Wir könn­ten Auf­ru­fe schrei­ben und an die Bäu­me hän­gen! Du ar­bei­test in der che­mi­schen Fa­brik, kommst als Elek­tri­ker in je­den Wer­kraum. Du brauchst nur einen Hahn an­ders zu stel­len, die Schrau­be an ei­ner Ma­schi­ne zu lo­ckern, und das Er­geb­nis von vie­len Ta­ge­wer­ken ist ka­putt. Wenn du so was tust, und noch ein paar hun­dert an­de­re, der Hit­ler wür­de sich schön um­se­hen, wo sein Kriegs­ma­te­ri­al bleibt.«

»Ja, und nach dem zwei­ten Mal schon hät­ten sie mich beim Schlips, und ab mit mir zur Hin­rich­tung!«

»Das ist es ja, was ich im­mer sage: wir sind fei­ge. Wir den­ken nur an das, was mit uns ge­sche­hen wird, nie an das, was den an­de­ren ge­schieht. Sieh mal, Kar­li, du bist von der Wehr­macht frei­ge­stellt. Aber wenn du Sol­dat sein müss­test, wä­rest du ja auch je­den Tag in Le­bens­ge­fahr und fän­dest es so­gar selbst­ver­ständ­lich.«

»Ach, bei den Preu­ßen wür­de ich auch schon einen Druck­pos­ten krie­gen!«

»Und wür­dest an­de­re für dich ster­ben las­sen! Al­les, wie ich es sage. Fei­ge sind wir, zu nichts tau­gen wir!«

»Die­se ver­damm­te Trep­pe!«, brach er los. »Wenn das mit dei­ner Fehl­ge­burt nicht ge­kom­men wäre, wir hät­ten so glück­lich wei­ter­ge­lebt!«

»Nein, es wäre kein Glück ge­we­sen, kein rich­ti­ges, Kar­li! Schon seit ich mit dem Klaus ging, habe ich im­mer dar­an den­ken müs­sen, was aus dem Jun­gen wird. Ich hät­te es nicht er­tra­gen, wenn er den rech­ten Arm zum Heil Hit­ler aus­ge­streckt hät­te, ich hät­te ihn nicht im brau­nen Hemd se­hen mö­gen. Wenn wie­der ein­mal ein Sieg ge­fei­ert wäre, hät­te er er­lebt, wie sei­ne El­tern fein ar­tig die Ha­ken­kreuz­fah­ne aus­häng­ten, und er hät­te ge­wusst, dass wir Lüg­ner sind. Nun, das we­nigs­tens ist uns er­spart ge­blie­ben. Wir ha­ben den Klaus nicht ha­ben sol­len, Kar­li!«

Er ging eine Wei­le in fins­te­rem Schwei­gen ne­ben ihr. Sie wa­ren jetzt auf dem Rück­weg, aber sie sa­hen we­der See noch Wald.

Schließ­lich frag­te er: »Du meinst also wirk­lich, wir soll­ten so et­was an­fan­gen? Ich soll in der Fa­brik et­was auf­stel­len?«

»Ge­wiss«, sag­te sie. »Wir müs­sen et­was tun, Kar­li, da­mit wir uns nicht so sehr schä­men müs­sen.«

Er über­leg­te eine Wei­le, dann sag­te er: »Ich kann mir nicht hel­fen, Tru­del, wenn ich mir das so vor­stel­le, wie ich in der Fa­brik her­um­schlei­che und Ma­schi­nen ver­der­be, es passt nicht zu mir.«

»So über­le­ge dir, was zu dir passt! Es wird dir schon ein­fal­len. Es muss ja nicht gleich sein.«

»Und hast du dir schon über­legt, was du tun willst?«

»Ja«, sag­te sie. »Ich weiß eine Jü­din, die sich ver­steckt hält. Sie hat schon ab­trans­por­tiert wer­den sol­len. Aber sie ist bei schlech­ten Leu­ten und fürch­tet je­den Tag Ver­rat. Die wer­de ich zu uns neh­men.«

»Nein!«, sag­te er. »Nein. Das tu nicht, Tru­del! So be­lau­ert, wie wir sind, kommt es so­fort raus. Und dann denk an die Le­bens­mit­tel­kar­ten! Die hat doch be­stimmt kei­ne! Wir kön­nen doch nicht noch einen Men­schen von un­se­ren bei­den Kar­ten er­näh­ren!«

»Kön­nen wir das nicht? Kön­nen wir wirk­lich nicht ein biss­chen hun­gern, wenn da­durch ein Mensch vom Tode er­ret­tet wird? Ach, Kar­li, wenn das so ist, dann hat es der Hit­ler wirk­lich leicht. Dann sind wir alle bloß Dreck, und es ge­schieht uns ganz recht!«

»Aber man wird sie bei uns se­hen! In un­se­rer klei­nen Woh­nung lässt sich nie­mand ver­ste­cken. Nein, das er­lau­be ich nicht!«

»Ich glau­be nicht, Kar­li, dass du mir was zu er­lau­ben hast. Es ist eben­so mei­ne wie dei­ne Woh­nung.«

Sie ge­rie­ten in einen leb­haf­ten Streit dar­über, in den ers­ten wirk­li­chen Streit ih­rer Ehe. Sie sag­te, sie wür­de die Frau, wäh­rend er auf Ar­beit wäre, ein­fach ins Haus brin­gen, und er ver­kün­de­te, er wür­de sie auf der Stel­le raus­schmei­ßen.

»Dann schmeiß mich nur gleich mit raus!«

So weit gin­gen sie. Bei­de wa­ren zor­nig, ge­reizt, böse. Sie leg­ten die Sa­che nicht bei, hier gab es kei­nen Kom­pro­miss. Sie woll­te durch­aus et­was tun, ge­gen den Hit­ler, ge­gen den Krieg. Prin­zi­pi­ell woll­te er auch et­was tun, aber es durf­te kein Ri­si­ko da­bei sein, nicht das ge­rings­te biss­chen Ge­fahr woll­te er lau­fen. Das mit der Jü­din war ein­fach Wahn­sinn. Nie wür­de er es er­lau­ben!

Sie gin­gen schwei­gend durch die Stra­ßen Erkners nach Hau­se. Sie schwie­gen so in­ten­siv, dass es im­mer schwe­rer schi­en, dies Schwei­gen noch zu bre­chen. Sie hat­ten sich nicht mehr un­ter­ge­fasst, ohne Berüh­rung gin­gen sie ne­ben­ein­an­der. Als sich ein­mal zu­fäl­lig die Hän­de streif­ten, zog je­des ei­lig die ei­ge­ne zu­rück, und sie ver­grö­ßer­ten den Ab­stand von­ein­an­der.

 

Sie ach­te­ten nicht dar­auf, dass vor ih­rer Tür ein großes, ge­schlos­se­nes Auto hielt. Sie stie­gen die Trep­pe hin­auf und merk­ten nicht, dass sie aus je­der Tür neu­gie­rig oder ängst­lich an­ge­se­hen wur­den. Karl Her­ge­sell schloss die Woh­nungs­tür auf und ließ die Tru­del vor sich her ein­tre­ten. Noch auf dem Flur merk­ten sie nichts. Erst als sie in der Stu­be den klei­nen, un­ter­setz­ten Mann in ei­ner grü­nen Jop­pe sa­hen, schreck­ten sie zu­sam­men.

»Nanu?«, sag­te Her­ge­sell em­pört. »Was ma­chen Sie denn hier in mei­ner Woh­nung?«

»Kri­mi­nal­kom­missar Laub von der Ge­sta­po, Ber­lin«, stell­te sich der Mann in der grü­nen Jop­pe vor. Er hat­te das Jä­ger­hüt­chen mit dem Ra­sier­pin­sel dar­auf auch in der Stu­be auf dem Kopf.

»Herr Her­ge­sell, nicht wahr? Frau Ger­trud Her­ge­sell, ge­bo­re­ne Bau­mann, ge­nannt Tru­del? Schön! Ich hät­te gern ein­mal ein paar Wor­te mit Ih­rer Frau ge­spro­chen, Herr Her­ge­sell. Vi­el­leicht war­ten Sie so­lan­ge in der Kü­che?«

Sie sa­hen ein­an­der angst­voll in die blass ge­wor­de­nen Ge­sich­ter. Dann lä­chel­te Tru­del plötz­lich. »Also auf Wie­der­se­hen, Kar­li!«, sag­te sie und um­schlang ihn. »Auf ein gu­tes Wie­der­se­hen! Wie dumm es war, uns zu strei­ten! Es kommt doch im­mer an­ders, als man denkt!«

Der Kom­missar Laub räus­per­te sich mah­nend. Sie küss­ten sich. Her­ge­sell ging.

»Sie ha­ben von Ihrem Mann eben Ab­schied ge­nom­men, Frau Her­ge­sell?«

»Ich habe mich mit ihm ver­söhnt, wir hat­ten einen Streit mit­ein­an­der.«

»Wor­über hat­ten sie denn ge­strit­ten?«

»Über den Be­such ei­ner Tan­te von mir. Er war da­ge­gen, ich da­für.«

»Und mein An­blick hat Sie dazu be­stimmt, nach­zu­ge­ben? Merk­wür­dig, sehr sau­ber scheint Ihr Ge­wis­sen nicht zu sein. Au­gen­blick mal! Sie blei­ben hier!«

Sie hör­te ihn in der Kü­che mit Kar­li re­den. Wahr­schein­lich wür­de Kar­li eine an­de­re Ur­sa­che des Strei­tes an­ge­ben, die­se Sa­che lief vom ers­ten An­fang an falsch. Sie hat­te so­fort an Quan­gel ge­dacht. Aber ei­gent­lich sah es Quan­gel we­nig ähn­lich, einen Men­schen zu ver­ra­ten …

Der Kom­missar kam zu­rück. Er sag­te, sich zu­frie­den die Hän­de rei­bend: »Ihr Mann er­klärt, Sie hät­ten sich dar­über ge­strit­ten, ob Sie ein Kind ad­op­tie­ren woll­ten oder nicht. Das ist die ers­te Lüge, bei der ich Sie er­tappt habe. Kei­ne Angst, in ei­ner hal­b­en Stun­de wer­den eine Mas­se Lü­gen von Ih­nen da­zu­ge­kom­men sein, und bei al­len wer­de ich Sie er­tap­pen! Sie ha­ben eine Fehl­ge­burt ge­habt?«

»Ja.«

»Ein biss­chen nach­ge­hol­fen, was? Da­mit der Füh­rer kei­ne Sol­da­ten mehr kriegt, wie?«

»Jetzt ha­ben aber Sie ge­lo­gen! Wenn ich so was ge­wollt hät­te, hät­te ich wohl kaum bis zum fünf­ten Mo­nat ge­war­tet!«

Ein Mann kam her­ein, einen Zet­tel in der Hand.

»Herr Kom­missar, den hat Herr Her­ge­sell eben in der Kü­che ver­bren­nen wol­len.«

»Was ist das? Ein Hin­ter­le­gungs­schein? Frau Her­ge­sell, was ist das für ein Kof­fer, den Ihr Mann auf dem Bahn­hof Alex­an­der­platz hin­ter­legt hat?«

»Ein Kof­fer? Ich habe kei­ne Ah­nung, mir hat mein Mann nie ein Wort da­von ge­sagt.«

»Ho­len Sie den Her­ge­sell rein! Ein Mann soll so­fort mit dem Auto zum Alex­an­der­platz fah­ren und den Kof­fer ho­len!« Ein drit­ter Mann führ­te Karl Her­ge­sell her­ein. Die gan­ze Woh­nung steck­te also voll Po­li­zei, sie wa­ren blind hin­ein­ge­tappt.

»Was ist das für ein Kof­fer, Herr Her­ge­sell, den Sie da auf dem Alex­an­der­platz hin­ter­legt ha­ben?«

»Ich weiß nicht, was drin ist, ich habe nie hin­ein­ge­se­hen. Er ge­hört ei­nem Be­kann­ten. Er sag­te, es ist Wä­sche und Klei­dung dar­in.«

»Sehr wahr­schein­lich! Da­rum woll­ten Sie ja auch den Schein ver­bren­nen, als Sie merk­ten, dass Po­li­zei in der Woh­nung ist!«

Her­ge­sell zö­ger­te, dann sag­te er mit ei­nem ra­schen Blick auf sei­ne Frau: »Das habe ich ge­tan, weil ich dem Be­kann­ten nicht ganz traue. Es könn­te ja auch et­was an­de­res dar­in sein. Der Kof­fer ist sehr schwer.«

»Und was könn­te Ih­rer An­sicht nach wohl in dem Kof­fer drin sein?«

»Vi­el­leicht Druck­schrif­ten. Ich habe mir im­mer Mühe ge­ge­ben, nicht dar­an zu den­ken.«

»Was ist denn das für ein ko­mi­scher Be­kann­ter, der sei­nen Kof­fer nicht selbst zur Auf­be­wah­rung ge­ben kann? Heißt er viel­leicht Karl Her­ge­sell?«

»Nein, er heißt Schmidt, Hein­rich Schmidt.«

»Und wo­her ken­nen Sie ihn, die­sen so­ge­nann­ten Hein­rich Schmidt?«

»Ach, den ken­ne ich schon lan­ge, schon min­des­tens zehn Jah­re.«

»Und wie ka­men Sie auf den Ge­dan­ken, dass es Druck­schrif­ten sein könn­ten? Was war denn die­ser Emil Schulz?«

»Hein­rich Schmidt. Der war So­zi­al­de­mo­krat oder auch Kom­mu­nist. Da­rum bin ich ja auf den Ge­dan­ken ge­kom­men, dass da Druck­schrif­ten drin sind.«

»Wo sind Sie denn ei­gent­lich ge­bo­ren, Herr Her­ge­sell?«

»Ich? Hier in Ber­lin. In Ber­lin-Moa­bit.«

»Und wann?«

»Am 10. April 1920.«

»So, und den Hein­rich Schmidt wol­len Sie seit min­des­tens zehn Jah­ren ken­nen und über sei­ne po­li­ti­sche Ein­stel­lung Be­scheid wis­sen! Da dürf­ten Sie also elf Jah­re alt ge­we­sen sein, Herr Her­ge­sell! Zu dumm dür­fen Sie mich auch nicht an­soh­len, dann wer­de ich näm­lich un­ge­müt­lich, und wenn ich un­ge­müt­lich wer­de, dann tut Ih­nen gleich was weh!«

»Ich habe nicht ge­lo­gen! Al­les, was ich ge­sagt habe, ist wahr.«

»Name Hein­rich Schmidt: ers­te Lüge! In­halt des Kof­fers nie ge­se­hen: zwei­te Lüge! Grund des Auf­be­wah­rens: drit­te Lüge! Nee, mein lie­ber Herr Her­ge­sell, je­der Satz, den Sie ge­sagt ha­ben, ist ge­lo­gen!«

»Nein, es ist al­les wahr. Der Hein­rich Schmidt woll­te nach Kö­nigs­berg fah­ren, und weil ihm der Kof­fer zu schwer war und er ihn auf der Rei­se nicht brauch­te, hat er mich ge­be­ten, ihn ab­zu­ge­ben. Das ist die gan­ze Ge­schich­te!«

»Und macht sich die Mühe, nach Erkner zu fah­ren und sich den Schein bei Ih­nen ab­zu­ho­len, wo er ihn bei sich in der Ta­sche tra­gen kann! Sehr wahr­schein­lich, Ihre gan­ze Ge­schich­te, Herr Her­ge­sell! Na, wir wol­len jetzt erst mal die­se Sa­che auf sich be­ru­hen las­sen. Wir wer­den uns wohl noch öf­ter dar­über un­ter­hal­ten, ich den­ke, Sie wer­den so freund­lich sein und mich ein biss­chen auf die Ge­sta­po be­glei­ten. Was nun Ihre Frau an­geht …«

»Mei­ne Frau weiß von der gan­zen Kof­fer­ge­schich­te nichts!«

»Das sagt sie auch. Aber was sie weiß und was sie nicht weiß, das wer­de ich al­les schon noch er­fah­ren. Aber da ich euch bei­de hüb­schen Schätz­chen jetzt so nett bei­sam­men habe – ihr kennt euch doch seit eu­rer Ar­beit in der Uni­form­fa­brik?«

»Ja …«, sag­ten sie.

»Na, wie ist denn das da ge­we­sen, was habt ihr denn da so an­ge­stellt?«

»Ich war dort Elek­tri­ker …«

»Ich habe Waf­fen­rö­cke zu­ge­schnit­ten …«

»Sehr schön, sehr gut, flei­ßi­ge Men­schen seid ihr. Aber wenn ihr gra­de nicht Stoff ge­schnip­pelt und Draht ge­zo­gen habt – was habt ihr dann ge­macht, mei­ne klei­nen Hüb­schen? Habt ihr da viel­leicht so ’ne klei­ne hüb­sche kom­mu­nis­ti­sche Zel­le ge­bil­det, ihr bei­den, und ein ge­wis­ser Jensch, Säug­ling ge­nannt, und ein Gri­go­leit?«

Sie sa­hen ihn, blass ge­wor­den, an. Wie konn­te der Mann das wis­sen? Sie tausch­ten einen rat­lo­sen Blick.

»Jaha!«, lach­te Laub spöt­tisch. »Nun seid ihr ziem­lich ver­dat­tert, was? Ihr habt da näm­lich un­ter Beo­b­ach­tung ge­stan­den, ihr vier, und wenn ihr euch nicht so schnell ge­trennt hät­tet, wür­de ich eure Be­kannt­schaft schon ein biss­chen frü­her ge­macht ha­ben. Sie ste­hen ja jetzt noch im­mer in Ih­rer Fa­brik hier un­ter Beo­b­ach­tung, Her­ge­sell!«

Sie wa­ren so ver­wirrt, dass sie gar nicht dar­an dach­ten, dem Mann da zu wi­der­spre­chen.

Er be­trach­te­te sie nach­denk­lich, und plötz­lich kam dem Kom­missar ein Ge­dan­ke. »Wem hat denn nun der be­wuss­te Kof­fer ge­hört, Herr Her­ge­sell?«, frag­te er. »Dem Gri­go­leit oder dem Säug­ling?«

»Dem – ach, jetzt ist es ja doch egal, wo Sie al­les schon wis­sen, also der Gri­go­leit hat ihn mir an­ge­dreht. Er woll­te ihn in ei­ner Wo­che wie­der ho­len, aber nun ist das schon so lan­ge her …«

»Wird hops­ge­gan­gen sein, Ihr Gri­go­leit! Nun, den wer­de ich mir schon schnap­pen – wenn er noch lebt, heißt das.«

»Herr Kom­missar, ich möch­te aber fest­stel­len, dass mei­ne Frau und ich, seit wir aus der Zel­le aus­ge­tre­ten sind, uns nicht mehr po­li­tisch be­tä­tigt ha­ben. Ja, wir ha­ben die Zel­le zum Plat­zen ge­bracht, noch ehe ir­gen­det­was ge­ar­bei­tet wur­de. Wir ha­ben näm­lich ge­merkt, dass wir zu so was nicht tau­gen.«

»Ich hab’s auch ge­merkt! Ich auch!«, spot­te­te der Kom­missar.

Aber Karl Her­ge­sell fuhr un­be­irrt fort: »Seit­dem ha­ben wir nur an un­se­re Ar­beit ge­dacht, wir ha­ben nichts ge­gen den Staat ge­tan.«

»Bloß das mit dem Kof­fer, ver­ges­sen Sie doch bloß den Kof­fer nicht, Her­ge­sell! Auf­be­wah­rung kom­mu­nis­ti­scher Druck­schrif­ten, das ist Hoch­ver­rat, das kos­tet Sie das Köpf­chen, mein Lie­ber! Na, Frau Her­ge­sell! Frau Her­ge­sell! Was re­gen Sie sich denn so auf? Fa­bi­an, ma­chen Sie mal die jun­ge Frau von ih­rem Mann los, aber ganz zart, Fa­bi­an, um Got­tes wil­len, Fa­bi­an, tun Sie dem Herz­chen nur nicht weh! Hat gra­de ’ne Fehl­ge­burt ge­habt, die süße Klei­ne, will durch­aus dem Füh­rer kei­ne Sol­da­ten mehr lie­fern!«

»Tru­del!«, bat Her­ge­sell. »Hör doch nicht, was er sagt! Es müs­sen ja gar kei­ne Druck­schrif­ten in dem Kof­fer sein, ich hab es nur manch­mal ge­dacht. Es kann ja wirk­lich Wä­sche und Klei­dung drin sein, Gri­go­leit muss mich ja nicht an­ge­lo­gen ha­ben!«

»So ist’s recht, jun­ger Mann«, lob­te Kom­missar Laub, »ma­chen Sie der jun­gen Frau wie­der ein biss­chen Mut! Ha­ben wir uns ge­fasst, mein Herz­chen? Kön­nen wir uns wei­ter un­ter­hal­ten? Nun wol­len wir vom Hoch­ver­rat des Karl Her­ge­sell auf den Hoch­ver­rat der Tru­del Her­ge­sell, ge­bo­re­ne Bau­mann, über­ge­hen …«

»Mei­ne Frau hat von all die­sen Din­gen nichts ge­wusst! Mei­ne Frau hat nie et­was ge­tan, was ge­gen das Ge­setz ist!«

»Nein, nein, ihr seid alle bei­de bra­ve Na­tio­nal­so­zia­lis­ten ge­we­sen!« Plötz­lich pack­te den Kom­missar Laub der Zorn. »Wisst ihr, was ihr seid? Fei­ge kom­mu­nis­ti­sche Schwei­ne seid ihr! Wühl­rat­ten seid ihr, die in der Schei­ße wüh­len! Aber ich bring euch ans Licht, ich bring euch bei­de an den Gal­gen! Bei­de will ich euch bau­meln se­hen! Dich mit dei­nem Lü­gen­kof­fer! Und dich mit dei­ner Fehl­ge­burt! Vom Tisch da bist du so lan­ge run­ter­ge­huppt, bis es ge­klin­gelt hat! War’s so? War’s so? Sag ja!«

Er hat­te Tru­del ge­fasst und schüt­tel­te die halb Ohn­mäch­ti­ge.

»Las­sen Sie mei­ne Frau in Ruhe! Sie sol­len mei­ne Frau nicht an­fas­sen!« Her­ge­sell hat­te den Kom­missar ge­packt. Ein Faust­schlag von Fa­bi­an traf ihn. Drei Mi­nu­ten spä­ter saß er, mit Hand­fes­seln ver­se­hen, von Fa­bi­an be­wacht, in der Kü­che und wuss­te – wil­de Verzweif­lung im Her­zen – Tru­del ohne sei­nen Bei­stand in den Hän­den des Quä­lers.

Und Laub quäl­te die Tru­del red­lich wei­ter. Sie, die aus Angst um ih­ren Kar­li halb be­sin­nungs­los war, soll­te sich nun zu den Post­kar­ten Quan­gels äu­ßern. Er glaub­te ihr das zu­fäl­li­ge Zu­sam­men­tref­fen nicht, sie hat­te stets in Ver­bin­dung mit den Quan­gels ge­stan­den, fei­ges kom­mu­nis­ti­sches Ver­schwö­rer­pack, und ihr Mann, Kar­li, hat­te auch da­von ge­wusst!

»Wie viel Kar­ten ha­ben Sie denn nun so ab­ge­legt? Was hat auf den Kar­ten ge­stan­den? Was hat Ihr Mann dazu ge­sagt?«

So quäl­te er sie, Stun­de um Stun­de, wäh­rend Her­ge­sell ver­zwei­felt in der Kü­che saß, die Höl­le im Her­zen.

Schließ­lich kam das Auto, kam der Kof­fer, kam das Öff­nen des Kof­fers.

»Tän­deln Sie mir das Ding da mal auf, Fa­bi­an!«, hat­te Kom­missar Laub ge­sagt. Karl Her­ge­sell war nun auch wie­der in der Stu­be, aber be­wacht. Durch die gan­ze Brei­te des Zim­mers von­ein­an­der ge­trennt, sa­hen sich die Her­ge­sells bleich und ver­zwei­felt an.

 

»Hübsch schwer für Wä­sche und Klei­der!«, sag­te der Kom­missar spöt­tisch, wäh­rend Fa­bi­an mit Drahtha­ken am Schloss han­tier­te. »Nun, wir wer­den ja gleich den Salat zu se­hen be­kom­men! Wird, fürch­te ich, ein biss­chen pein­lich für Sie bei­de, oder was mei­nen Sie, Her­ge­sell?«

»Mei­ne Frau hat nie et­was von die­sem Kof­fer ge­wusst, Herr Kom­missar!«, ver­si­cher­te Her­ge­sell wie­der.

»Ja, und Sie ha­ben nichts da­von ge­wusst, dass Ihre Frau für die­sen Quan­gel Post­kar­ten mit hoch­ver­rä­te­rischem In­halt in Trep­pen­häu­sern ab­ge­legt hat! Je­der ein klei­ner Hoch­ver­rä­ter für sich al­lein! Eine fei­ne Ehe, muss ich schon sa­gen!«

»Nein!«, schrie Her­ge­sell. »Nein! Das hast du nicht ge­tan, Tru­del! Sag, dass du es nicht ge­tan hast, Tru­del!«

»Sie hat’s aber ge­stan­den!«

»Nur ein ein­zi­ges Mal, Kar­li, und da war es rei­ner Zu­fall …«

»Ich ver­bie­te Ih­nen jede Un­ter­hal­tung mit­ein­an­der! Noch ein ein­zi­ges Wort, und Sie wan­dern wie­der in die Kü­che ab, Her­ge­sell! Na also, ist das Dings of­fen. Und was ha­ben wir denn da?«

Er stand mit Fa­bi­an so vor dem Kof­fer, dass Her­ge­sells den In­halt nicht se­hen konn­ten. Die bei­den Kri­mi­nal­be­am­ten tu­schel­ten mit­ein­an­der. Dann hob Fa­bi­an schwer den In­halt ans Licht. Eine klei­ne Ma­schi­ne, blin­ken­de Schrau­ben, Fe­dern, Schwär­ze glänz­te …

»Eine Druck­ma­schi­ne!«, sag­te Kom­missar Laub. »Eine hüb­sche klei­ne Druck­ma­schi­ne – für kom­mu­nis­ti­sche Hetz­blät­ter. Das er­le­digt Ihren Fall, Her­ge­sell. Für heu­te und im­mer!«

»Ich habe nicht ge­wusst, was in dem Kof­fer war«, wi­der­sprach Karl Her­ge­sell, aber er war so ver­schreckt, dass die­ser Wi­der­spruch nur schwach klang.

»Als wenn das jetzt nicht ganz gleich wäre! Sie wa­ren ja schon ver­pflich­tet, Ihr Tref­fen mit die­sem Gri­go­leit zu mel­den und den Kof­fer ab­zu­lie­fern! Wir ma­chen hier jetzt Schluss, Fa­bi­an. Pa­cken Sie das Dings wie­der ein. Ich weiß ge­nug und über­ge­nug. Auch die Frau wird ge­fes­selt.«

»Lebe wohl, Kar­li!«, rief Tru­del Her­ge­sell mit star­ker Stim­me. »Lebe wohl, mein Liebs­ter. Du hast mich sehr glück­lich ge­macht …«

»Ma­chen Sie, dass die Frau die Fres­se hält!«, rief der Kom­missar. »Nanu, Her­ge­sell, was soll das?«

Karl Her­ge­sell hat­te sich von sei­nem Wacht­mann los­ge­ris­sen, als an der an­de­ren Stu­ben­wand eine rohe Faust Tru­dels Mund ver­schloss. Ob­wohl er eine Hand­fes­sel trug, war es ihm ge­lun­gen, den Quä­ler Tru­dels zu Bo­den zu rei­ßen. Sie wälz­ten sich an der Erde.

Der Kom­missar hat­te Fa­bi­an nur einen Wink ge­ge­ben. Der stand über den Kämp­fen­den, war­te­te, und nun schlug Fa­bi­an drei-, vier­mal Karl Her­ge­sell auf den Schä­del.

Her­ge­sell ächz­te, sei­ne Glie­der zuck­ten, dann lag er still zu Tru­dels Fü­ßen. Sie sah be­we­gungs­los auf ihn her­ab, ihr Mund blu­te­te.

Wäh­rend der lan­gen Fahrt in die Stadt hoff­te sie ver­ge­bens, er wer­de noch ein­mal auf­wa­chen, sie könn­te ihm noch ein­mal in die Au­gen se­hen. Nein, nichts.

Nichts hat­ten sie ge­tan. Und sie wa­ren doch ver­lo­ren …