Ehe ich endgültig zu meinen eigenen Erlebnissen zurückkehre, muss ich noch eines Mannes gedenken, einer schillernden Gestalt, der während der ersten Zeit meines Aufenthaltes für kurze Tage bei uns auftauchte, um dann für immer zu entschwinden, ein Gruß aus der großen, mir so fremden Welt.
Ich hatte schon am ersten Tage von einem Gefangenen gehört, der wegen einer Schlägerei schon die achte Woche im strengen Arrest saß, bei Wasser und spärlichem Brot und bei hartem Lager. Wenn ich überhaupt – mit einem Schauder über die mir unerträglich scheinende Dauer des Isolierarrestes – an diesen Mann dachte, so stellte ich mir einen Kerl wie den etwa dreißigjährigen Liesmann vor, einen Kerl mit brutalem, scharfem Gesicht, der über dem einen Auge einen schwarzen Lappen trug, und der wortlos und finster auf der Station lebte. Jeder ging ihm aus dem Wege, auch die Streitsüchtigsten wagten nicht, Händel mit Liesmann anzuknüpfen, der bekannt dafür war, auch nur bei einer Andeutung eines kränkenden Wortes sofort zuzuschlagen und nicht eher mit Schlagen aufzuhören, bis der andere völlig erledigt war.
Und dann tauchte Hans Hagen auf unserer Station auf, ein schöner, blühend aussehender, noch junger Mann von dreißig Jahren, mit der trainierten Gestalt des Sportsmannes, tiefschwarzem, leicht gewelltem, zurückgekämmtem Haar und einem elfenbeinfarbenen Gesicht von so klassisch reinen Linien und so überraschender Schönheit, dass man unwillkürlich – besonders in diesem Haus der Missgestalten – vor Bewunderung verging. Er hatte vom Oberpfleger ganz neue Tracht bekommen statt der Lumpen, die die anderen tragen mussten, und er trug diese braune Manchesterhose und schilffarbene Jacke mit einer solchen Eleganz, als hätte ihm der erste Schneider einen Anzug angemessen. Jede Bewegung von ihm war rasch, zielsicher, schön. Wie er redete, und seine dunklen Augen leuchteten dabei, wie er auch dem belanglosesten Wort Reiz und Liebenswürdigkeit zu geben vermochte, das war in diesem Elendsmilieu einfach hinreißend.
›Wie kommt dieser junge Gott in solche Hölle?‹, fragte ich mich. Und laut: »Ein Zugang?«
»Nein«, wurde mir geantwortet. »Das ist der Gefangene, der acht Wochen wegen einer Schlägerei im Arrest gesessen hat!« Ich konnte es nicht glauben, ich wollte es nicht. Ich bin später manchmal für kurze Minuten auf dem Gang der Station oder im Grasgarten mit Hans Hagen spazieren gegangen und habe mit immer neuem Entzücken seinem Geplauder gelauscht, sei es nun, dass er von seinen Jugendstreichen in Rochester berichtete – er war jahrelang in England erzogen – oder dass er von seinen kühnen Segelfahrten bis zum Nordkap hinauf berichtete. Seiner Erzählung mir gegenüber nach hat ihm diese Leidenschaft fürs Segeln den Hals gebrochen, er kaufte sich immer größere und schönere Jachten und scheint bei der letzten Jacht einen Versicherungsbetrug begangen zu haben, der ihn mit dem Gesetz in Konflikt, zuerst ins Gefängnis und dann in dieses traurige Haus brachte. Wie gesagt, dies war die Version, die er ganz beiläufig und leichthin mir erzählte.
Wie ich später erfuhr, war er anderen Gefangenen gegenüber offenherziger und ehrlicher gewesen. Er war einer von drei Söhnen eines Rostocker Kaufmanns, der ein sehr gutes Sportartikelgeschäft besaß, eines vermögenden Mannes, der seinen Söhnen eine gute Erziehung geben konnte. Aber mit dem Jüngsten, eben dem Hans, wollte und wollte es nicht gut gehen. Schon in seiner Gymnasialzeit machten Vorkommnisse in der Stadt seine eilige Entfernung aus Deutschland und seine Reise nach England notwendig. Auch dort scheint er nicht gerade ein solides, der Arbeit geweihtes Leben geführt zu haben; mir erzählte er von nächtlichen Ausbrüchen aus Rochester in die Vorstädte Londons und war er gut gelaunt, sang mir Hans Hagen leise, mit hübscher Tenorstimme, kleine Negerlieder vor, die er dort in den Bars und auf den Tanzdielen aufgeschnappt hatte. Auf Englisch natürlich – aber ich fand es doch hübsch, welche Mühe er sich gab, mich zu unterhalten und aufzuheitern.
Endlich nach Rostock wieder heimgekehrt, widmete er sich offiziell dem Studium der Medizin, in Wirklichkeit aber entdeckte er seine Leidenschaft für die See und das Segeln. Er kaufte sich seine erste Jacht, und ich glaube kaum, dass es sein Vater war, der diesen Kauf finanzierte. Auch ein gut gehendes Sportartikelgeschäft kann nicht für einen Sohn von Dreien Zehntausende aufwenden, denn die Jacht war ja nur ein Mittel zum Zweck: Hans Hagen wollte auf ihr auch gut leben, mit seinen Freundinnen weite, kostspielige Reisen machen, im Heimathafen jede Nacht ausgehen und nie nach dem Gelde sehen.
In dieser Zeit entdeckte er, wie leicht ein gut aussehender junger Mann der guten Gesellschaft Geschäfte machen kann, auch wenn er keinen Pfennig Geschäftskapital besitzt. Er makelte Häuser, besorgte Effekten, vermittelte Autos, schloss Lebensversicherungen ab, ließ sich Provisionen von rechts und von links geben. Sein glänzender, findiger, blitzschneller Kopf ließ ihn jede Gelegenheit zu guten Geschäften ausspähen, rasch handeln. Bedenkenlos benutzte er seine Gewalt über Frauen, es gab auch nicht viele Männer, die seinem Charme widerstehen konnten.
Aber mit den reichlich fließenden Einnahmen stiegen auch seine Bedürfnisse; immer lagen sie einen Schritt vor den Einnahmen, und seine Kasse war immer leer. Er aber wusste nur eines: Dass er dieses ihm allein zusagende Leben des Genusses um jeden Preis fortsetzen wollte, immer unbedenklicher wurde er in der Wahl der Mittel, die ihm Geld verschaffen mussten: Er stahl Autos von der Straße, vergriff sich sogar an den Handtaschen mit ihm tanzender Damen – kurz, er wurde ein Hochstapler und ein Dieb. Lange konnte das nicht gut gehen.
Ein erster Fall wurde vertuscht, da er doch der Sohn eines angesehenen Vaters war, ein zweiter brachte ihn ins Gefängnis und aus dem Gefängnis in dieses traurige Haus, in dem er schon sechs Jahre lebte.
Sechs Jahre – ich wollte meinen Ohren nicht trauen! Dieser junge Mann lebte schon sechs lange Jahre in dieser trostlosen Umwelt, und er hatte sich alle Spannkraft und allen Zauber der Jugend bewahrt! Nichts von der hoffnungslosen Trauer, nichts von dem hässlichen Neid hier hatte auf ihn abgefärbt, wie ein flüchtiger Gast wirkte er, eben erst gekommen, schon wieder im Begriff zu gehen, allen Zauber blühender Welt um sich! Welche Kräfte mussten in diesem Hans Hagen wirken, welche unzerstörbaren Energien, dass ein Mann nach diesen sechs Jahren, nach acht Wochen scharfen Arrestes noch immer nichts von seiner Kraft verloren, noch immer den Schimmer der großen Welt mit sich trug! Es war mir ein Rätsel, ich war schon von ein paar Tagen Aufenthalt hier völlig zermürbt und niedergedrückt. Ich habe später lange über Hans Hagen nachgedacht, und ich glaube, ich habe die Gründe gefunden, die ihn so unverändert stark sein ließen.
Zum Ersten drang nichts tief in ihn ein, so konnte ihn auch nichts tief verletzen. Er lebte so auf der Oberfläche, seine glänzende Begabung lockte ihn hierhin und dorthin, immer betätigte er sich, aber nichts tat er. Er konnte alles, auch hier im Bau, den Wachtmeistern machte er »Fassonschnitt«, er schnitt ihnen die Haare auf eine ungewohnt kühne, elegante Art, er mauerte besser als ein Maurer, er gab Unterricht in Stenografie, Englisch, Französisch, Russisch, er arbeitete schwer in der Fabrik, er tischlerte und hatte auch schon die Schweine versorgt – er konnte alles, aber er konnte alles auf eine unverbindliche, schillernde Art, er war die Unzuverlässigkeit in Person, nichts haftete.
Aber der Hauptgrund seiner Unveränderlichkeit, seiner unbesiegbaren Jugend war der, dass er hier im Totenhaus eigentlich kaum anders lebte als draußen. Gewiss, die Umwelt hatte sich verändert, aber Hans Hagen nicht mit ihr. Wenn er draußen die Frauen bezaubert hatte, so hier die kranken Männer. Auch den Stumpfesten ließ er nicht außer Acht, er ruhte nicht, bis ein Schimmer seines Charmes ihn berührt hatte. Es war einfach lächerlich, wie sie alle aufblühten, wenn er mit ihnen sprach.
Ich sehe sie noch zusammenstehen: den fetten Mecklenburger Bauern Reddemin, den sie wegen Querulantentums in diesem Haus untergebracht hatten, Bezieher unwahrscheinlicher Fettpakete, und Hans Hagen, der sich einmal selbst in einem unbedachten Augenblick als »Tangojüngling« bezeichnet hatte. Gegensätzlicheres war schlechthin nicht denkbar. Es schien keine Brücke zwischen den beiden zu geben: dem flachen Genussmenschen und dem zähen, alten, fast siebzigjährigen Bauern mit dem Bullenkopf, den das unermüdliche Beharren auf einem vermeintlichen Recht in diese Mauern gebracht hatte. Und doch strahlte der alte, sonst so finstere Mann, da der Genießer mit ihm sprach; seine Augen funkelten, er lachte dröhnend, er klopfte dem anderen freundlich-hingerissen auf die Schultern.
Er war der wahre König dieses Hauses, der Hans Hagen, und die Verwaltung wusste das auch. Blindlings taten die Kranken, was er ihnen riet. Er schrieb ihnen nicht nur ihre Anträge und Gesuche, machte ihnen Hoffnungen auf Entlassung oder vertröstete sie, er begutachtete nicht nur als »ehemaliger Mediziner« ihre Schweinsbeulen und Arbeitsverletzungen und erzählte ihnen, welche Verbandmittel und Medikamente sie beim Arzt fordern sollten, er spendete nicht nur juristischen Rat wie der findigste Anwalt, nein, er zettelte auch kleine vorsichtige Verschwörungen an gegen die Habsucht der Kalfaktoren, die Tyrannei der Vorgesetzten, den schmutzigen Geiz der Verwaltung. Er hatte seine Hände in allem, und diese klugen sehnigen Hände konnten sehr erfolgreich sein; viel machte Hans Hagen der Verwaltung zu schaffen, dieser Totenkönig im Totenhaus.
Und wie ein König zog er seine Tribute ein – genau wie draußen. Genau, wie er draußen die Mädchen und Frauen bezaubert und unbedenklich jedes Geschenk von ihnen angenommen hatte, so machte er es auch hier. Ich habe nie gesehen, dass Hans Hagen etwas verlangte, um etwas bat. Das hatte er auch gar nicht nötig, seine Anhänger sorgten auch so für ihn. Ein Wachtmeister erzählte mir, dass, solange Hans Hagen in der Arrestzelle saß, ein ständiges Kommen und Gehen dort war, jeden unbewachten Augenblick lauerten sie ab, um ihm etwas zuzustecken. Ständig wurde an dem Spion geflüstert, dessen Scheibe man zerbrochen hatte, um ihm das kostbarste Gut in der Anstalt, Streichhölzer, hineinzureichen.
Lag ein anderer Kamerad im Arrest, so war er vergessen, niemand dachte mehr an ihn. Sein Wiederauftauchen wurde ebenso gleichgültig hingenommen wie sein Verschwinden. Nicht so bei Hans Hagen. Ich habe es selbst gesehen, oft und oft, wie sie zu ihm kamen, diese Ärmsten der Armen, die der Hunger in den Eingeweiden kniff. Ein Außenarbeiter brachte ihm eine Gurke, ein anderer eine Tasche voll Pellkartoffeln, hier ein Stückchen Brot, eine Zwiebel, ein paar Stängel Petersilie, Mohrrüben, Falläpfel, Salz, eine Handvoll aufgesammelter Zigarettenstummel. Und all das sind große, schwer errungene Kostbarkeiten in diesem Bau, keiner ist da, der von seinem Überfluss abgeben kann, alle opfern sie aus dem Notwendigsten. Und Hans Hagen nahm alles, alles. Er lächelte, er dankte, er machte einen Scherz. Er konnte so reizend danken. Und dann drehte er den Rücken, und der Geber war vergessen.
Mir hat Hans Hagen manchmal von seinem Überfluss abgegeben, genau in der raschen, spontanen Art, die ihm eigen war. Ich saß trübselig vor meiner Wassersuppe, und Hans Hagen rief: »Da, Sommer, fangen Sie auf!« Und vom Nebentisch flog ein Stück Brot zu mir herüber, und er lachte herzlich, wenn ich es mir ungeschickt auffing; über dem Lachen schon hatte er ganz vergessen, dass er mir eben etwas sehr Kostbares geschenkt hatte, für das ich ihm dankbar zu sein hatte. So war er; ohne Erinnerung. So steht er vor mir: ohne Vergangenheit und Zukunft, nur dem Tage lebend, dem Tag hingegeben, in der Minute weilend.
Mir aber machte es Kummer, dass ich mich so von ihm beschenken ließ, dass ich seine Gesellschaft, sein liebenswürdiges Geplauder hinnahm, ohne irgendwie meine tiefe Dankbarkeit zu zeigen. Wer war ich schon? Ein kleiner, mittelmäßiger, entgleister Kaufmann! Ja, keine drei Tage, und ich gehörte zu den ergebensten Bewunderern Hans Hagens. Nicht zu seinen blindesten – ich durchschaute ihn schnell genug. Ich schlief schlecht, ich hatte jede Nacht viele Stunden, über Hans Hagen nachzudenken, ich war es müde, immer nur über Magda und mein trauriges Schicksal zu grübeln. Ja, ich zerbrach mir den Kopf, wie ich ihm danken könnte, aber ich hatte ja nichts, gar nichts. Ich war der Allerärmste im Bau. So bin ich für immer in Hans Hagens Schuld geblieben.
Es gehörte zu den Unbegreiflichkeiten unserer Verwaltung, dass sie in dieser Schar von sechsundfünfzig abgelebten, tierischen und verbrecherischen Männern auch zwei junge Burschen leben ließ, einen Siebzehn- und einen Achtzehnjährigen. Man hätte denken sollen, dass dieses Haus, dessen Wände ständig von Zoten, Flüchen, Streitereien widerhallten, dessen Atmosphäre von Hass und Niedertracht getränkt war, alles andere als ein geeigneter Erziehungsort für Jugendliche war, vor denen noch ein ganzes Leben lag. Aber sie waren unter uns, nicht nur vorübergehend, sondern für die Dauer, sie teilten unseren Schlafsaal, unseren Tisch und unsere Arbeit. Ich zweifele auch nicht daran, dass sie unsere Art zu denken und zu fühlen teilten, und wenn sie etwas von uns Älteren unterschied, so dies, dass ihre Schlechtigkeit wohl von einem Schimmer der Jugend verklärt, aber berechnender und feiler war als die unsere.
Es waren beides hübsche Jungen; der eine, Kolzer mit Namen, scheidet hier bei meinem Bericht über Hans Hagens seltsame Lebensumstände ganz aus, vielleicht spreche ich später in anderem Zusammenhang noch von ihm. Der andere, der Achtzehnjährige, Schmeidler hieß er, gehörte zu Hans Hagens engstem Kreis. Weiter gehörte zu diesem engsten Kreis noch der schon oben erwähnte Liesmann, der finstere wortkarge Schläger mit dem schwarzen Lederlappen vor dem rechten Auge, und, auch zu diesem Kreis gehörig, eine lange, seltsame, etwas donquichottehafte Figur von neunundzwanzig Jahren, ein halber Pole, Brachowiak mit Namen.
All diesen Dreien war, im Gegensatz zu Hans Hagen, gemeinsam, dass sie seit ihrem sechsten Jahre in öffentlichen Anstalten gewesen waren. Sie waren im Waisenhaus untergebracht gewesen und in der Fürsorgeerziehung, sie hatten ins Gefängnis gemusst und waren schließlich in diesem Hause gelandet. Obwohl sie sich immer gegen seinen Zwang auflehnten und über ihn murrten, fühlten sie sich doch nur wohl in solchen Häusern, ihre vergiftete Atmosphäre war ihnen Lebensatem. Alle drei waren schon mehrfach probeweise in die Freiheit entlassen worden, und alle drei hatten sich in ihr nicht bewährt: Schon nach vier, sechs Wochen waren sie wieder in die festen Häuser zurückgekehrt, meist zuerst in ein Gefängnis, da sie draußen jede Arbeit scheuten und nur von Diebstahl leben wollten.
Mit einem ungläubigen Erstaunen hörte ich zuerst, dass Liesmann, den ich ständig in des strahlenden Hagen Nähe sah, der sein vertrautester Freund war, mit dem alles geteilt wurde, dass also Liesmann derjenige war, mit dem sich der König Hagen so wild geschlagen hatte, dass ihm das acht Wochen strengen Arrest eingetragen hatte. Aber ich musste es glauben, ich hörte es vom Oberpfleger selbst, dass, von kleineren Schlägereien abgesehen, Hagen sich schon dreimal »erfolgreich« mit Liesmann geprügelt hatte: Einmal hatte er ihm die Kinnlade ausgerenkt, einmal die Hand durchstochen und beim letzten Mal ihm das Auge so verletzt, dass Liesmann die Sehkraft darauf fast völlig eingebüßt hatte.
Ja, ich musste es schon glauben, denn Hagen selbst war es, der einmal die schwarze Klappe von Liesmanns Auge fortzog, mir das starre, finstere Auge zeigte und sagte: »Da habe ich dem Hein reingeschlagen. – Kannst du jetzt schon wieder ein bisschen sehen, Heini?« Rührend besorgt klang das.
»So, als hätte ich zu lange in die Sonne gesehen …«, antwortete Liesmann friedlich.
Ja, sie waren die besten Freunde, sie sorgten füreinander. Liesmann ging los und schaffte Tabak an, er erpresste die Schwächeren bedenkenlos, schlug sie, und den Raub teilten sie sich dann. Sie sorgten füreinander, und dann schlugen sie sich, schlugen sich nicht nur soso, sondern auf Tod und Leben, auf »du musst verrecken«, von einer blinden, wütenden Eifersucht angetrieben. Denn da war dieser kleine, hübsche, achtzehnjährige Bengel Schmeidler, diese männliche Hure, die im Allgemeinen friedlich zwischen den beiden geteilt wurde. Und dann hatte der Georg, der Otsche Schmeidler, den einen von beiden ein bisschen bevorzugt, so entbrannte der Kampf.
Es war alles wie draußen, wie in der schönen Freiheit, es hätte ja nicht der Hans Hagen sein müssen, wenn er sich nicht auch in diesem Totenhaus die Genüsse der Liebe verschafft hätte, einer verderbten, finsteren Liebe, aber doch der Liebe, mit allen ihren Wonnen und Gefahren. Dieser Junge mit dem blonden gewellten Haar, den blauen Augen, einem fast griechischen Profil mit steiler Nase und festem Kinn, da lief er zwischen diesen Männern umher, im kurzen Hemd tüffelte er morgens in den Waschsaal, seine schlanken weißen Glieder befleckte noch keine Schweinsbeule – sie wendeten die Köpfe nach ihm, in ihre Augen kam ein Leuchten, ihr Herz pochte schneller – im trostlosen Haus war dieser Tag wieder nicht ganz trostlos! Die Liebe, auf dem Müllhaufen eine Blume, sie verwirrte dieses Haus; andere Männer strichen lüstern am Rande dieses Kreises und wagten sich nur nicht zu nähern, weil sie die rohe Gewalt Liesmanns und die listigen Jiu-Jitsu-Griffe Hagens fürchteten.
Schmeidler aber, das Kind, die Hure, ließ auch diese fernen, stummen Verehrer nicht außer Acht. Er »kochte sie ab«, er nahm ihren letzten Tabak, für ein Lächeln bekam er Brot, für einen raschen zärtlichen Griff das beste Stück aus dem eben angekommenen Fresspaket. Oh, er sorgte auch für den gemeinsamen Haushalt, der Otsche Schmeidler, er ließ sich nicht nur aushalten, er steuerte auch bei. Und seine beiden Freunde waren großzügig, sie waren Lebemänner, sie drückten ein Auge zu, kurz gesagt, auch der charmante Hans Hagen war ein Zuhälter, nichts mehr und nichts weniger. Er ließ seine Jungenshure laufen, wenn sie nur anschaffte. Habe ich nicht gesagt, dass wir in einer Hölle lebten? Es fehlte nichts in dieser Hölle, auch die Liebe nicht, aber auch die Liebe war verderbt, sie stank!