Hans Fallada – Gesammelte Werke

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Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

»Das ist nicht dumm. Weißt du denn, wie man das rauf­schreibt?«

»Ich hab doch mal ’nen Me­di­zi­ner ge­kannt! Ich soll das nicht wis­sen. Fein geht das.«

»Da­her kriegst du dein Geld, ol­ler Sauf­kopp! Na war­te, wenn ich …«

Eine Kuh­glo­cke bim­melt.

»Abendes­sen! Kom­men Sie mit …?«

»Lasst mich nur lie­gen, Kin­der. Wenn ich den­ke, ich soll was es­sen, dreht sich al­les in mir um. Mein Ma­gen ist aus Glas.«

»Also bleibst du lie­gen. Aber das sag ich dir, wenn du un­se­re Sa­chen auch nur an­fasst, du ol­les dre­cki­ges Schwein, du …!«

»Ich träu­me, ihr Äff­chen. Was brauch ich Sa­chen? Ich brauch schon lan­ge kei­ne Sa­chen mehr.«

4

Am nächs­ten Mor­gen um halb neun sitzt Ku­falt in der Schreib­stu­be. Er ist noch un­be­schäf­tigt, die an­de­ren ar­bei­ten. Eine gan­ze Men­ge sind ge­kom­men, zehn, zwölf Her­ren, und ha­ben sich an ihre Ti­sche ge­setzt. Nun schrei­ben sie alle, nichts wie Adres­sen, man­che mit der Hand, man­che mit der Ma­schi­ne.

Auch der fah­le Beer­boom sitzt am Tisch ne­ben Ku­falt und schreibt em­sig.

»Tau­send Stück vier Mark fünf­zig«, hat er ge­flüs­tert. »Ich will heu­te min­des­tens fünf­zehn­hun­dert schaf­fen. Zwei Mark fünf­zig Pen­si­on, da habe ich fünf Mark über. Fein, was?«

»Kann man denn fünf­zehn­hun­dert schaf­fen?«

»Klar. Ges­tern habe ich schon fast fünf­hun­dert ge­schafft, und heu­te bin ich doch ein­ge­ar­bei­tet.«

Nun er­scheint Va­ter Sei­den­zopf in ei­nem Lüs­ter­jackett, ge­folgt von ei­nem Mann mit glat­tem Ei­kopf und grau­em Spitz­bart. Er geht einen Gang hin­auf, den an­de­ren hin­un­ter, sagt zwei­mal »Gu­ten Mor­gen« und ver­schwin­det wie­der. Der Ei­kopf stumm hin­ter­her.

Ku­falt sitzt und sieht in den Gar­ten. Schön grün ist es da, und der Ra­sen sieht so frisch aus.

»Ge­hört der zu uns?« fragt er Beer­boom.

»Das tut er, aber rein dür­fen wir nicht. Der ist so da, zur Pa­ra­de, wenn Be­sich­ti­gun­gen kom­men …«

Ku­falt grinst ver­ständ­nis­in­nig.

Ein Lan­ger sagt halb­laut: »Wenn die Adres­sen fer­tig sind, soll die Ar­beit mal wie­der alle sein.«

»Wie viel sind denn noch nach?«

»Drei­ßig­tau­send.«

»Das reicht ja höchs­tens für zwei Tage. Dann sit­zen wir wie­der da.«

»Bis da­hin kommt neue Ar­beit.«

»Da­rauf war­ten Sie man.«

Der Ei­kopf er­scheint von Neu­em und trägt einen Um­schlag in der Hand. »Herr Ku­falt, schrei­ben Sie hier mal Ihre Adres­se auf. Ein­fach Ihre Adres­se: Herrn Wil­li Ku­falt, Ham­burg, Ap­fel­stra­ße, Frie­dens­heim. – Nanu, geht das nicht bes­ser? – Schön, wol­len wir mal se­hen.«

Er ver­schwin­det mit dem Um­schlag, und Ku­falt schaut wie­der in den Gar­ten.

Ei­ner fragt: »Was ma­chen Sie, wenn die Ar­beit hier alle ist?«

»Ich weiß auch nicht, es bleibt nur die Wohl­fahrt.«

»Ich kann viel­leicht ’ne Staub­sau­ger­ver­tre­tung krie­gen.«

»Dann hän­gen Sie sich lie­ber gleich auf. Staub­sau­ger ist noch schlech­ter als Mar­ga­ri­ne.«

Eine neue Stim­me: »Mit Fuß­bo­den­wachs und Zer­stäu­bern ist noch was zu ma­chen.«

»I wo, das war ein­mal. Al­les längst ab­ge­grast.«

Wie­der er­scheint der Ei­kopf, maß­los er­staunt. »Es wird doch hier nicht ge­spro­chen? Ich müss­te aber sehr bit­ten!«

»Hier spricht kei­ner, Herr Mer­gen­thal.«

»Also, ich bit­te sehr nach­drück­lich. Sie wis­sen alle, was das Über­tre­ten der Schreib­stu­ben­ord­nung nach sich zieht. Wenn ei­ner der Her­ren die Stra­ße vor­zieht …?« Vie­le Fe­dern krit­zeln, die Ma­schi­nen schmet­tern. »Herr Ku­falt, Herr Sei­den­zopf lässt Ih­nen sa­gen, Sie hät­ten Dok­tor wer­den sol­len.«

»Ich? Wie­so?«

»Ihre Hand­schrift – voll­kom­men un­brauch­bar. Sind Sie schon mal in Ihrem Le­ben auf ei­nem Büro ge­we­sen? So. Das muss ein ko­mi­sches Büro ge­we­sen sein. – Aber Schreib­ma­schi­ne kön­nen Sie doch schrei­ben?«

»Ja.«

»Das sa­gen Sie. Ich glaub’s des­we­gen aber noch lan­ge nicht.«

»Na­tür­lich kann ich Schreib­ma­schi­ne schrei­ben. Gut so­gar.«

»Zehn­fin­ger­sys­tem?«

Zö­gernd: »Nicht ganz. Aber sechs be­stimmt.«

»Se­hen Sie. Zum Schluss neh­men Sie zwei Fin­ger und sind glück­lich, wenn Sie die rich­ti­ge Tas­te tref­fen. – Sie müs­sen sich erst ein­mal eine Schreib­ma­schi­ne in Ord­nung brin­gen. Aus­ein­an­der­neh­men und rei­ni­gen und ölen. Kön­nen Sie das?«

»Es kommt auf das Sys­tem an.«

»Es ist ’ne Mer­ce­des. Also, denn ma­chen Sie los.«

»Da brauch ich aber Ben­zin und Öl und Lap­pen.«

»Ge­hen Sie zu Herrn Sei­den­zopf, der gibt Ih­nen einen Gro­schen für Ben­zin. Und Min­na hat Lap­pen und Näh­ma­schi­nen­öl.«

Eine hal­be Stun­de spä­ter sitzt Ku­falt vor ei­ner Blech­schüs­sel, in der sämt­li­che Ty­pen­he­bel der Ma­schi­ne in Ben­zin ba­den, sei­ne Fin­ger sind mit ei­nem Über­zug von vio­let­ter Farb­band­far­be und schwar­zem Öldreck be­deckt.

Er fängt ge­ra­de an, die Ty­pen­he­bel rein zu bürs­ten, als Min­na in der Tür er­scheint. »Der Neue soll boh­nern kom­men.«

»Aber das ist doch!« pro­tes­tiert Mer­gen­thal. »Der sitzt jetzt bei ei­ner Ar­beit, wo er nicht weg kann. Herr Beer­boom kann ge­hen.«

»Frau Sei­den­zopf sagt, der Neue soll boh­nern. Beer­boom macht’s nicht or­dent­lich. Und wenn der Neue nicht kommt, sage ich ihr, dass Sie es ihm ver­bo­ten ha­ben!«

»Also ge­hen Sie boh­nern«, sagt Mer­gen­thal. »Wi­schen Sie Ihre Hän­de an dem Lap­pen ab. Sie kom­men ja gleich wie­der.«

Gleich dau­ert an­dert­halb Stun­den. Ku­falt hat sämt­li­che Schlaf­sä­le, den Vor­platz, die Trep­pen zu boh­nern, streng be­auf­sich­tigt von dem Dienst­mäd­chen Schwes­ter Min­na.

»Wa­rum ma­chen Sie das ei­gent­lich nicht?« er­kun­digt sich Ku­falt.

»Ih­nen Ihren Dreck nachräu­men? Ich bin nur für Sei­den­zop­fens da!«

Zum Schluss er­scheint noch Frau Sei­den­zopf, in ei­nem Schlaf­rock zer­flie­ßend, von Ku­falt be­grüßt mit dem Rufe: »Gu­ten Mor­gen, gnä­di­ge Frau, wün­sche wohl ge­ruht zu ha­ben.«

Da Frau Sei­den­zopf kei­nen Sinn für Iro­nie hat, sagt sie ziem­lich gnä­dig: »Für den An­fang geht es. Aber der Mann muss noch bes­ser in die Ecken, Min­na.«

Dann sitzt Ku­falt wie­der vor sei­nen Ty­pen­he­beln und bürs­tet die Ge­lenk­stel­len rein von Schmutz. Er ist ziem­lich fer­tig mit die­ser Ar­beit, als Mer­gen­thal, der schein­bar stän­dig zwi­schen Chef­bü­ro und Schreib­stu­be hin und her pen­delt, auf­taucht mit dem Ruf: »Herr Ku­falt und Herr Beer­boom zu Herrn Sei­den­zopf.«

Der Va­ter al­ler sitzt in sei­nem Lüs­ter­jackett am großen Schreib­tisch. »So, mei­ne jun­gen Freun­de. In der Ar­beit sind wir nun, und möge sie Ih­nen ge­dei­hen. – Wie viel Geld ha­ben Sie, Ku­falt?«

Ku­falt sagt mür­risch, denn dies ist ein sehr wun­der Punkt: »Das wis­sen Sie doch. Drei Mark.«

»Zei­gen Sie mal Ihr Por­te­mon­naie. Rich­tig, se­hen Sie, so ist es recht. Kla­re Geld­ver­hält­nis­se heißt rei­nes Ge­wis­sen. – Und Sie, Beer­boom? Zei­gen Sie her, er­zäh­len Sie nichts. Leer? Wo sind Ihre drei Mark?«

»Die sind mir heu­te früh ins Klo­sett ge­fal­len.«

»Beer­boom! Herr Beer­boom! Mein Sohn Beer­boom, soll ich Ih­nen das glau­ben?«

»Fres­sen tu ich kein Geld«, sagt Beer­boom. »Und über­haupt, ich komm ja gar nicht raus aus dem Stall hier, wo soll ich denn hin mit dem Geld? Den­ken Sie, ich hab’s Ih­rer Min­na ge­ge­ben?«

»Nein, aber dem Bert­hold.«

Ei­nen Au­gen­blick ist Beer­boom ver­le­gen. »Bert­hold? Wel­chem Bert­hold? Ach, dem ol­len Pen­ner? Ich geb doch Be­sof­fe­nen nicht mein ein­zi­ges Geld! Rein­ge­fal­len ist es mir, mit der Hand hab ich noch nach­ge­fasst, Sie kön­nen’s selbst se­hen, den gan­zen Ell­bo­gen hab ich mir zer­schrammt im Rohr.«

Er will sich aus­zie­hen.

»Las­sen Sie«, sagt Sei­den­zopf ziem­lich gif­tig. »Ich weiß Be­scheid. So­bald be­kom­men Sie kein Geld wie­der von mir. – Also, Ku­falt und Beer­boom, ich schi­cke euch jetzt bei­de al­lein in die Stadt …«

»Ja?«

»Wirk­lich?«

»Es ist euer ers­ter Aus­flug in die Frei­heit …«

Die Tür öff­net sich, und ein blon­der, sehr jun­ger Mensch er­scheint. »Ach, ent­schul­di­gen Sie, Herr Sei­den­zopf, ich stö­re wohl …«

»Nein, im Ge­gen­teil, Herr Pe­ter­sen, darf ich Ih­nen un­se­re bei­den neu­en Gäs­te vor­stel­len? Das ist Herr Beer­boom, seit vor­ges­tern hier, und dies Herr Ku­falt, seit ges­tern Abend un­ser Gast. – Bert­hold war auch wie­der da, wie­der habe ich mich er­wei­chen las­sen, und wie­der hat er mich ent­täuscht. Heu­te früh, ich laue­re dar­auf, dass er wie im­mer einen Pump­ver­such bei mir macht, eher geht er doch nie fort – und in ei­nem Mo­ment, wo ich ge­ra­de … wo ich eben … kurz, wo ich ei­nem na­tür­li­chen Be­dürf­nis Fol­ge zu leis­ten ge­zwun­gen war – die­sen Au­gen­blick hat er be­nutzt und ist ent­flo­hen. Und ich fürch­te, mit dem Geld un­se­res Schütz­lings Beer­boom.«

»Ge­stoh­len …?«

»Mein Geld ist ins Klo­sett ge­fal­len!«

»Las­sen wir das. – Mei­ne jun­gen Freun­de, der Herr, den Sie vor sich se­hen, Pe­ter­sen mit Na­men, ist Ihr Freund und Bru­der, Ihr Be­schüt­zer und Be­ra­ter. Er ist …« Sei­den­zopf kommt in Fluss, als sag­te er sorg­fäl­tig Er­lern­tes auf: »Er ist ein so­zi­al in­ter­es­sier­ter, in­ner­lich ge­fes­tig­ter und sitt­lich hoch­ste­hen­der jun­ger Mann, den Sie in Ihre Mit­te auf­neh­men wol­len, der mit Ih­nen zu­sam­men wohnt, die Mahl­zei­ten mit Ih­nen ein­nimmt und Ih­nen in je­der Hin­sicht Freund und Be­ra­ter sein wird. Die Aben­de und die frei­en Sonn­ta­ge ver­bringt er in Ih­rer Ge­sell­schaft, er sucht Sie zu ed­ler Ge­sel­lig­keit an­zu­lei­ten und, so­weit Sie es ihm ge­stat­ten, er­zie­he­risch auf Sie ein­zu­wir­ken. Er hat sei­ne Exa­mi­na als Volks­schul­leh­rer ab­sol­viert und stu­diert jetzt im vier­ten Se­mes­ter Na­tio­nal­öko­no­mie, wozu ihm ne­ben sei­ner Tä­tig­keit im Heim aus­rei­chen­de Zeit zur Ver­fü­gung steht. – Rei­chen Sie ihm die Hand, mei­ne Her­ren.«

 

Sie rei­chen sich die Hän­de.

»Herr Pe­ter­sen, ich ste­he im Be­griff, die bei­den Her­ren al­lein in die Groß­stadt zu schi­cken. Se­hen Sie Be­den­ken?«

»Wenn ich fra­gen darf, zu wel­chem Zweck?«

»Sie sol­len sich auf dem zu­stän­di­gen Po­li­zei­re­vier an­mel­den.«

Der jun­ge Pe­ter­sen lä­chelt. »Nein, Herr Sei­den­zopf, ich sehe da kei­ne Be­den­ken.«

»Und Sie mei­nen, Herr Pas­tor Mar­ce­tus wird mir kei­ne Vor­wür­fe ma­chen? Dass ich etwa zu ver­trau­ens­se­lig bin …?«

»Nein, si­cher nicht. Las­sen Sie die Her­ren ru­hig al­lein ge­hen. Sie wer­den Ihr Ver­trau­en nicht ent­täu­schen.«

5

»Wis­sen Sie«, sagt Beer­boom auf der Stra­ße zu Ku­falt, »das ist doch wie­der nur so ein Auf­pas­ser, ein Spi­on, die­ser Pe­ter­sen oder wie er heißt. Der soll bloß ab­hau­en, der Lam­pen­ma­cher, der!«

»Ich fand ihn ei­gent­lich ganz nett, er hat so hübsch mit den Au­gen ge­lacht bei dem Vor­trag von Va­ter Sei­den­zopf.«

»Ach, der Wol­le-Ted­dy, der kann auch ab­hau­en. Nicht mal das mit mei­nem Geld hat er mir ge­glaubt.«

»Ha­ben Sie’s denn wirk­lich ver­lo­ren?«

»Gar nicht. Dem Bert­hold hab ich’s ge­ge­ben. Glau­ben Sie, dass er es mir wie­der­gibt?«

»Wie­so ha­ben Sie es ihm denn ge­ge­ben?«

»Als Be­triebs­ka­pi­tal. Er holt Mor­phi­um da­für, und den Ge­winn tei­len wir.«

»Auf den Ge­winn wer­den Sie wohl lan­ge war­ten.«

»Ich muss Geld ha­ben, Ku­falt, Geld muss ich in der Ta­sche ha­ben. Wür­den Sie mir ’ne Mark lei­hen?«

»Wozu brau­chen Sie denn jetzt Geld?«

»Nur so. Ich muss Geld in der Ta­sche ha­ben. Wir kön­nen ja auch ein Glas Bier da­von trin­ken, ich hal­te Sie frei.«

»Sie müs­sen doch ’ne Mas­se Geld bei Sei­den­zopf zu ste­hen ha­ben. Bei Ihrem lan­gen Knast.«

»Ja, ’ne Men­ge ist es schon, neun­zig Mark.«

»Was! Nur neun­zig Mark bei elf Jah­ren Knast?«

»Erst war doch die In­fla­ti­on, da ging un­ser gan­zer Ar­beits­ver­dienst flö­ten. Da ha­ben wir nur drei­ßig Mark Auf­wer­tung für all die Jah­re ge­kriegt. Und dann spä­ter habe ich kei­ne Lust mehr ge­habt, ich hab im­mer auf die Am­nes­tie ge­war­tet, und nach­her war es nichts, und dann hat­te ich erst recht kei­ne Lust.«

»Neun­zig Mark sind schnell alle.«

»Neun­zig Mark sind ’ne Mas­se. Ich woll­te, ich hät­te sie, ich gin­ge los. Ha­ben Sie ’ne Ah­nung, was hier die Mäd­chen neh­men? Nicht für ’ne gan­ze Nacht, nur so mal schnell.«

»Kei­ne Ah­nung.«

Sie ge­hen wei­ter. Es weht ein ganz an­ge­neh­mer Wind, die Bäu­me sind gut hell­grün. Dann geht eine Stra­ße schräg ab, die sie ent­lang müs­sen, und es ist hübsch, über den Damm zu ge­hen und die lan­ge bun­te Stra­ße ganz weit hin­un­ter­zu­se­hen. Gleich vor­ne ist eine Tank­stel­le, schar­lach­rot.

»Das Mäd­chen hat mich an­ge­se­hen.«

»Wa­rum soll sie nicht? Sie se­hen doch sehr gut aus.«

»Fin­den Sie? Mei­nen Sie, dass ich ’ne Num­mer bei den Mäd­chen habe? Ich bin doch dun­kel, man sagt doch im­mer, dun­kel mö­gen die Wei­ber ger­ne. Nur mein Teint, mei­nen Sie, dass ich Wol­le-Ted­dy um Geld für Hö­hen­son­ne bit­te? Im Zet ha­ben sie mir ge­sagt, da­von krieg ich einen an­de­ren Teint.«

»Wür­de ich nicht tun. Sie le­ben doch jetzt ganz an­ders wie im Zet, da krie­gen Sie von selbst einen an­de­ren Teint.«

»Se­hen Sie mal, Ku­falt, das Café sieht nett aus. Das ist si­cher mit Wei­ber­be­die­nung. Pum­pen Sie mir zwei Mark, wir ge­hen rein, ich hal­te Sie frei.«

»Jetzt mel­den wir uns erst mal an«, sagt Ku­falt, der sich wei­se und ab­ge­klärt wie ein Opa vor­kommt. »Mit zwei Mark kön­nen wir in ei­nem Wei­ber­café auch nichts ma­chen.«

»Aber viel­leicht ver­liebt sich eine in uns, und wir brau­chen nichts zu zah­len.«

»Um Got­tes wil­len! Nur nicht!«

»Ha­ben Sie denn schon eine? Neh­men Sie mich mit, wenn Sie zu ihr ge­hen?«

»Ich hab doch kei­ne.«

»Aber warum wol­len Sie dann nicht, dass sich eine in Sie ver­liebt?«

»Kei­ne aus sol­chem Café. Ich denk mir was an­de­res.«

»Ach den­ken! Ha­ben will ich eine! Und mög­lichst rasch.«

*

In der Po­li­zei­wa­che ste­hen zwei Be­am­te an zwei Steh­pul­ten und se­hen ein­an­der an. Der eine hat et­was vo­gel­ar­tig Ge­sträub­tes mit sei­nem spit­zen, bors­ti­gen Bart, der ge­krümm­ten Nase, den grel­len Au­gen, der an­de­re ist ein klei­ner blas­ser Mann.

»Ich kann nur sa­gen«, er­klärt der Blas­se, »ich hab ’ne Par­zel­le bei der Hor­ner Renn­bahn. Die ist mein hal­b­es Le­ben. Da gärt­ne­re ich so rum.«

»Gärt­nern«, sagt der ge­sträub­te Vo­gel miss­bil­li­gend, »wenn ich schon so was höre! Sie sind doch kein Gärt­ner. Das ist doch al­les Pfu­scher­kram. Wenn Sie so­weit sind und ern­ten Kohl­ra­bi, dann wird er Ih­nen in den Ge­mü­sehand­lun­gen nach­ge­schmis­sen.«

»Ich ma­che es nicht um Geld«, sagt der Blas­se. »Es macht mir – so – Freu­de, wis­sen Sie.«

»Pfusch«, sagt der Vo­gel. »Nichts wie Pfusch. Se­hen Sie, ich spie­le Skat. Ich ma­che nichts wie Skat spie­len. Man­che Aben­de bring ich zwei, drei Mark nach Hau­se. Ich kann Skat. Kei­ne hal­be Sa­che. Kein Pfusch.«

»Ja, wer das Ge­nie da­für hat«, be­stä­tigt der Blas­se.

»Und wenn Wetts­ka­ten ist um Kar­pfen oder Wurst oder Gän­se, dann geh ich rum, dann bin ich je­den Tag wo­an­ders. Vo­ri­gen Win­ter habe ich sechs Gän­se ge­won­nen! Wenn die Wir­te mich nur se­hen, wird ih­nen das Bier schon sau­er. ›Hau du ab‹, sa­gen sie, ›du nimmst ja un­se­ren Stamm­gäs­ten nur die Gro­schen ab.‹ – ›Wie ist das hier?‹ fra­ge ich. ›Ist das hier ein öf­fent­li­ches Lo­kal? Kriegt hier ein Po­li­zei­se­kre­tär sein Hel­les aus­ge­schenkt? Ist das hier ein of­fe­nes Wetts­ka­ten oder nur für den Stamm?‹ – Dann sind sie ja stil­le, aber Bli­cke, sage ich Ih­nen … Was wol­len Sie denn?« schnauzt er ent­rüs­tet Beer­boom an, der sich durch Hus­ten dring­lich be­merk­bar macht.

»Er­lau­ben Sie bloß, Herr Ober­wacht­meis­ter«, sagt Beer­boom, »wir wol­len uns ein biss­chen an­mel­den.«

»Se­hen Sie da das Pla­kat nicht? Kön­nen Sie nicht le­sen, dass Sie erst die For­mu­la­re aus­fül­len müs­sen?«

»Das geht bei uns nicht so«, sagt Beer­boom und grient zu Ku­falt, denn auf sei­ne Zucht­haus­art, mit Su­bal­tern­be­am­ten um­zu­ge­hen, ist er sehr stolz. »Bei uns gilt das Pla­kat nicht, Herr Leut­nant. Wir sind an­ders wie die an­de­ren.«

»Das sind …«, ver­mit­telt der Blas­se, »si­cher wie­der zwei aus dem …«, er macht eine Kopf­be­we­gung um die Ecke, »Sie wis­sen schon …«

»Na, dann gebt mal eure Zet­tel her, wir wer­den ja se­hen, wer­den ja se­hen …«

»Ach, Herr Se­kre­tär, ist denn das Vor­schrift? Ist das Be­stim­mung hier in Ham­burg? Das hab ich ja noch gar nicht ge­wusst!«

»Was ha­ben Sie nicht ge­wusst? Was ist hier Vor­schrift? Was ist hier Be­stim­mung?« Der Vo­gel wird im­mer wil­der, gleich fängt er an zu krei­schen.

»Dass sol­che wie wir, aus dem …«, Beer­boom wie­der­holt die Kopf­be­we­gung des Blas­sen, »dass sol­che mit ›ih­r‹ an­ge­re­det wer­den müs­sen. Da wer­de ich mal den Re­vier­vor­stand nach­fra­gen. Da will ich mal in sein Zim­mer ge­hen.«

Ei­nen Au­gen­blick Stil­le. Dann: »Ge­ben Sie bit­te Ihren Ent­las­sungs­schein her.«

Beer­boom, ganz fröh­lich: »Aber ge­wiss doch, Herr Se­kre­tär. Mir liegt nichts dar­an, hier lan­ge zu ste­hen. Ich bin nicht ger­ne hier. Sie doch auch nicht? Sie spie­len doch auch lie­ber Skat?«

»Ich hab kei­ne Zeit für pri­va­te Un­ter­hal­tun­gen.«

»Nein, ge­wiss doch. Es ist nur, was man so hört.«

»Was sind Sie?«

»Raub­mör­der. Es steht auf dem Schein, Herr Se­kre­tär. Raub­mör­der.«

»Was Sie vor­her wa­ren, will ich wis­sen.«

»Gar nichts. – Nee, Sol­dat war ich, rich­tig, Va­ter­lands­ver­tei­di­ger war ich, Herr Se­kre­tär. Mei­nen Leut­nant habe ich um­ge­legt.«

»Das in­ter­es­siert hier nicht.«

»Es ist nur, weil Sie frag­ten, Herr Se­kre­tär. Ich dach­te, es in­ter­es­sier­te Sie.«

Der an­de­re hat ge­wühlt in Pa­pier, jetzt bringt er ein Ak­ten­stück. »Ich habe Ih­nen zu er­öff­nen … Vier Jah­re Ih­rer Straf­zeit sind Ih­nen mit drei­jäh­ri­ger Be­wäh­rungs­frist er­las­sen … Sie ste­hen un­ter Po­li­zei­auf­sicht. Sie ha­ben sich je­den Tag in der Zeit zwi­schen sechs und sie­ben Uhr abends hier auf der Wa­che zu mel­den. Wenn Sie ver­zie­hen, ha­ben Sie es vor­her an­zu­mel­den. Un­ter­las­sen Sie die täg­li­che Mel­dung, so wird so­fort Ihre In­haft­nah­me ver­fügt. – Ha­ben Sie ver­stan­den?«

»Wenn ich nun krank wer­de, Herr Se­kre­tär?«

»Dann schi­cken Sie je­man­den mit ei­ner ärzt­li­chen Be­schei­ni­gung hier­her.«

»Von mir lässt sich kei­ner schi­cken.«

»Nun, wir küm­mern uns schon um Sie, wir se­hen schon nach.«

Beer­boom scheint schwer zu grü­beln. »Und es stimmt doch nicht, Herr Se­kre­tär!«

Der Se­kre­tär, sehr ge­reizt: »Was stimmt nicht?«

»Was Sie mir da vor­ge­le­sen ha­ben.«

»Das stimmt, Sie wer­den so­fort ver­haf­tet, wenn Sie sich nicht mel­den.«

»Nee, wer­de ich nicht. Ich wer­de mich über­haupt nicht mel­den.«

Der Be­am­te ist di­rekt vor ei­nem Aus­bruch.

»Ich hab näm­lich ’ne Er­laub­nis vom Po­li­zei­prä­si­di­um, dass ich mich nicht zu mel­den brau­che, weil die näm­lich im Heim die Schutz­auf­sicht über mich ha­ben.« Er kramt in den Ta­schen, gibt dem Se­kre­tär einen Schein.

»Wa­rum ge­ben Sie mir den nicht gleich? Wa­rum las­sen Sie mich hier re­den und re­den? Sie ha­ben mir Ihre sämt­li­chen Pa­pie­re ge­fäl­ligst so­fort zu ge­ben.«

»Alle habe ich nicht hier. Wel­che habe ich noch zu Haus.«

»Was für wel­che?«

»Impf­schein und ein Schul­zeug­nis.«

Nun kreischt der Vo­gel doch: »Sie sind …« Beer­boom grinst er­war­tungs­voll. »Ach was!« Zum Blas­sen ge­wen­det: »Sind Sie mit Ihrem fer­tig? Ja? Schön, Sie kön­nen ge­hen.«

»Ich auch?«

»Ja! Sie auch! Sie auch!«

Sie ste­hen bei­de wie­der auf der Stra­ße, Beer­boom und Ku­falt.

»Wa­rum ma­chen Sie so was? Was hat denn das für einen Zweck?« schimpft Ku­falt los. »Ich habe mich rich­tig ge­schämt für Sie.«

»Sol­che muss man durch den Ka­kao zie­hen. Die sind ja so doof. Das ist mei­ne Haupt­freu­de. Mein Sta­ti­ons­wacht­meis­ter im Zet, sage ich Ih­nen …«

»Ich sage ja nichts, wenn ei­ner ein Aas ist. Aber bloß so … Nee, ich geh mit Ih­nen nicht wie­der auf ein Re­vier.«

»Ich will’s nicht wie­der tun, wenn Sie da­bei sind und es stört Sie. Was soll man denn tun im Bun­ker, all die Jah­re, und nie ist was los …? Da muss man doch stän­kern.«

»Na ja, ich hab auch ge­stän­kert. Aber jetzt sind wir doch drau­ßen.«

»Ich ka­pier es noch im­mer nicht. Wis­sen Sie, in­nen ka­pier ich es nicht, dass ich drau­ßen bin. Und es wird auch schon nicht stim­men. Ich bin bald wie­der drin.«

»Kei­ne Ah­nung.«

»Se­hen Sie das Mäd­chen auf der Bank da mit dem Kin­der­wa­gen? Nett, wie? Soll ich mal hin­ge­hen und die fra­gen: ›Fräu­lein, wol­len Sie nicht auch ein Kind von mir?‹«

»Wa­rum? Was hat Ih­nen die ge­tan? Die ist doch selbst noch ein hal­b­es Kind.«

»Ich weiß nicht. Ich habe sol­che Wut. Auf al­les. Die hat es gut, die weiß noch von nichts. Wa­rum soll sie nichts wis­sen? Alle sind doch ge­mein. Wa­rum die denn nicht? Ach, Ku­falt, ich hab ’nen schreck­li­chen Ka­ter, ich woll­te, ich läge auf mei­nem Bett und könn­te heu­len.«