»Das ist nicht dumm. Weißt du denn, wie man das raufschreibt?«
»Ich hab doch mal ’nen Mediziner gekannt! Ich soll das nicht wissen. Fein geht das.«
»Daher kriegst du dein Geld, oller Saufkopp! Na warte, wenn ich …«
Eine Kuhglocke bimmelt.
»Abendessen! Kommen Sie mit …?«
»Lasst mich nur liegen, Kinder. Wenn ich denke, ich soll was essen, dreht sich alles in mir um. Mein Magen ist aus Glas.«
»Also bleibst du liegen. Aber das sag ich dir, wenn du unsere Sachen auch nur anfasst, du olles dreckiges Schwein, du …!«
»Ich träume, ihr Äffchen. Was brauch ich Sachen? Ich brauch schon lange keine Sachen mehr.«
Am nächsten Morgen um halb neun sitzt Kufalt in der Schreibstube. Er ist noch unbeschäftigt, die anderen arbeiten. Eine ganze Menge sind gekommen, zehn, zwölf Herren, und haben sich an ihre Tische gesetzt. Nun schreiben sie alle, nichts wie Adressen, manche mit der Hand, manche mit der Maschine.
Auch der fahle Beerboom sitzt am Tisch neben Kufalt und schreibt emsig.
»Tausend Stück vier Mark fünfzig«, hat er geflüstert. »Ich will heute mindestens fünfzehnhundert schaffen. Zwei Mark fünfzig Pension, da habe ich fünf Mark über. Fein, was?«
»Kann man denn fünfzehnhundert schaffen?«
»Klar. Gestern habe ich schon fast fünfhundert geschafft, und heute bin ich doch eingearbeitet.«
Nun erscheint Vater Seidenzopf in einem Lüsterjackett, gefolgt von einem Mann mit glattem Eikopf und grauem Spitzbart. Er geht einen Gang hinauf, den anderen hinunter, sagt zweimal »Guten Morgen« und verschwindet wieder. Der Eikopf stumm hinterher.
Kufalt sitzt und sieht in den Garten. Schön grün ist es da, und der Rasen sieht so frisch aus.
»Gehört der zu uns?« fragt er Beerboom.
»Das tut er, aber rein dürfen wir nicht. Der ist so da, zur Parade, wenn Besichtigungen kommen …«
Kufalt grinst verständnisinnig.
Ein Langer sagt halblaut: »Wenn die Adressen fertig sind, soll die Arbeit mal wieder alle sein.«
»Wie viel sind denn noch nach?«
»Dreißigtausend.«
»Das reicht ja höchstens für zwei Tage. Dann sitzen wir wieder da.«
»Bis dahin kommt neue Arbeit.«
»Darauf warten Sie man.«
Der Eikopf erscheint von Neuem und trägt einen Umschlag in der Hand. »Herr Kufalt, schreiben Sie hier mal Ihre Adresse auf. Einfach Ihre Adresse: Herrn Willi Kufalt, Hamburg, Apfelstraße, Friedensheim. – Nanu, geht das nicht besser? – Schön, wollen wir mal sehen.«
Er verschwindet mit dem Umschlag, und Kufalt schaut wieder in den Garten.
Einer fragt: »Was machen Sie, wenn die Arbeit hier alle ist?«
»Ich weiß auch nicht, es bleibt nur die Wohlfahrt.«
»Ich kann vielleicht ’ne Staubsaugervertretung kriegen.«
»Dann hängen Sie sich lieber gleich auf. Staubsauger ist noch schlechter als Margarine.«
Eine neue Stimme: »Mit Fußbodenwachs und Zerstäubern ist noch was zu machen.«
»I wo, das war einmal. Alles längst abgegrast.«
Wieder erscheint der Eikopf, maßlos erstaunt. »Es wird doch hier nicht gesprochen? Ich müsste aber sehr bitten!«
»Hier spricht keiner, Herr Mergenthal.«
»Also, ich bitte sehr nachdrücklich. Sie wissen alle, was das Übertreten der Schreibstubenordnung nach sich zieht. Wenn einer der Herren die Straße vorzieht …?« Viele Federn kritzeln, die Maschinen schmettern. »Herr Kufalt, Herr Seidenzopf lässt Ihnen sagen, Sie hätten Doktor werden sollen.«
»Ich? Wieso?«
»Ihre Handschrift – vollkommen unbrauchbar. Sind Sie schon mal in Ihrem Leben auf einem Büro gewesen? So. Das muss ein komisches Büro gewesen sein. – Aber Schreibmaschine können Sie doch schreiben?«
»Ja.«
»Das sagen Sie. Ich glaub’s deswegen aber noch lange nicht.«
»Natürlich kann ich Schreibmaschine schreiben. Gut sogar.«
»Zehnfingersystem?«
Zögernd: »Nicht ganz. Aber sechs bestimmt.«
»Sehen Sie. Zum Schluss nehmen Sie zwei Finger und sind glücklich, wenn Sie die richtige Taste treffen. – Sie müssen sich erst einmal eine Schreibmaschine in Ordnung bringen. Auseinandernehmen und reinigen und ölen. Können Sie das?«
»Es kommt auf das System an.«
»Es ist ’ne Mercedes. Also, denn machen Sie los.«
»Da brauch ich aber Benzin und Öl und Lappen.«
»Gehen Sie zu Herrn Seidenzopf, der gibt Ihnen einen Groschen für Benzin. Und Minna hat Lappen und Nähmaschinenöl.«
Eine halbe Stunde später sitzt Kufalt vor einer Blechschüssel, in der sämtliche Typenhebel der Maschine in Benzin baden, seine Finger sind mit einem Überzug von violetter Farbbandfarbe und schwarzem Öldreck bedeckt.
Er fängt gerade an, die Typenhebel rein zu bürsten, als Minna in der Tür erscheint. »Der Neue soll bohnern kommen.«
»Aber das ist doch!« protestiert Mergenthal. »Der sitzt jetzt bei einer Arbeit, wo er nicht weg kann. Herr Beerboom kann gehen.«
»Frau Seidenzopf sagt, der Neue soll bohnern. Beerboom macht’s nicht ordentlich. Und wenn der Neue nicht kommt, sage ich ihr, dass Sie es ihm verboten haben!«
»Also gehen Sie bohnern«, sagt Mergenthal. »Wischen Sie Ihre Hände an dem Lappen ab. Sie kommen ja gleich wieder.«
Gleich dauert anderthalb Stunden. Kufalt hat sämtliche Schlafsäle, den Vorplatz, die Treppen zu bohnern, streng beaufsichtigt von dem Dienstmädchen Schwester Minna.
»Warum machen Sie das eigentlich nicht?« erkundigt sich Kufalt.
»Ihnen Ihren Dreck nachräumen? Ich bin nur für Seidenzopfens da!«
Zum Schluss erscheint noch Frau Seidenzopf, in einem Schlafrock zerfließend, von Kufalt begrüßt mit dem Rufe: »Guten Morgen, gnädige Frau, wünsche wohl geruht zu haben.«
Da Frau Seidenzopf keinen Sinn für Ironie hat, sagt sie ziemlich gnädig: »Für den Anfang geht es. Aber der Mann muss noch besser in die Ecken, Minna.«
Dann sitzt Kufalt wieder vor seinen Typenhebeln und bürstet die Gelenkstellen rein von Schmutz. Er ist ziemlich fertig mit dieser Arbeit, als Mergenthal, der scheinbar ständig zwischen Chefbüro und Schreibstube hin und her pendelt, auftaucht mit dem Ruf: »Herr Kufalt und Herr Beerboom zu Herrn Seidenzopf.«
Der Vater aller sitzt in seinem Lüsterjackett am großen Schreibtisch. »So, meine jungen Freunde. In der Arbeit sind wir nun, und möge sie Ihnen gedeihen. – Wie viel Geld haben Sie, Kufalt?«
Kufalt sagt mürrisch, denn dies ist ein sehr wunder Punkt: »Das wissen Sie doch. Drei Mark.«
»Zeigen Sie mal Ihr Portemonnaie. Richtig, sehen Sie, so ist es recht. Klare Geldverhältnisse heißt reines Gewissen. – Und Sie, Beerboom? Zeigen Sie her, erzählen Sie nichts. Leer? Wo sind Ihre drei Mark?«
»Die sind mir heute früh ins Klosett gefallen.«
»Beerboom! Herr Beerboom! Mein Sohn Beerboom, soll ich Ihnen das glauben?«
»Fressen tu ich kein Geld«, sagt Beerboom. »Und überhaupt, ich komm ja gar nicht raus aus dem Stall hier, wo soll ich denn hin mit dem Geld? Denken Sie, ich hab’s Ihrer Minna gegeben?«
»Nein, aber dem Berthold.«
Einen Augenblick ist Beerboom verlegen. »Berthold? Welchem Berthold? Ach, dem ollen Penner? Ich geb doch Besoffenen nicht mein einziges Geld! Reingefallen ist es mir, mit der Hand hab ich noch nachgefasst, Sie können’s selbst sehen, den ganzen Ellbogen hab ich mir zerschrammt im Rohr.«
Er will sich ausziehen.
»Lassen Sie«, sagt Seidenzopf ziemlich giftig. »Ich weiß Bescheid. Sobald bekommen Sie kein Geld wieder von mir. – Also, Kufalt und Beerboom, ich schicke euch jetzt beide allein in die Stadt …«
»Ja?«
»Wirklich?«
»Es ist euer erster Ausflug in die Freiheit …«
Die Tür öffnet sich, und ein blonder, sehr junger Mensch erscheint. »Ach, entschuldigen Sie, Herr Seidenzopf, ich störe wohl …«
»Nein, im Gegenteil, Herr Petersen, darf ich Ihnen unsere beiden neuen Gäste vorstellen? Das ist Herr Beerboom, seit vorgestern hier, und dies Herr Kufalt, seit gestern Abend unser Gast. – Berthold war auch wieder da, wieder habe ich mich erweichen lassen, und wieder hat er mich enttäuscht. Heute früh, ich lauere darauf, dass er wie immer einen Pumpversuch bei mir macht, eher geht er doch nie fort – und in einem Moment, wo ich gerade … wo ich eben … kurz, wo ich einem natürlichen Bedürfnis Folge zu leisten gezwungen war – diesen Augenblick hat er benutzt und ist entflohen. Und ich fürchte, mit dem Geld unseres Schützlings Beerboom.«
»Gestohlen …?«
»Mein Geld ist ins Klosett gefallen!«
»Lassen wir das. – Meine jungen Freunde, der Herr, den Sie vor sich sehen, Petersen mit Namen, ist Ihr Freund und Bruder, Ihr Beschützer und Berater. Er ist …« Seidenzopf kommt in Fluss, als sagte er sorgfältig Erlerntes auf: »Er ist ein sozial interessierter, innerlich gefestigter und sittlich hochstehender junger Mann, den Sie in Ihre Mitte aufnehmen wollen, der mit Ihnen zusammen wohnt, die Mahlzeiten mit Ihnen einnimmt und Ihnen in jeder Hinsicht Freund und Berater sein wird. Die Abende und die freien Sonntage verbringt er in Ihrer Gesellschaft, er sucht Sie zu edler Geselligkeit anzuleiten und, soweit Sie es ihm gestatten, erzieherisch auf Sie einzuwirken. Er hat seine Examina als Volksschullehrer absolviert und studiert jetzt im vierten Semester Nationalökonomie, wozu ihm neben seiner Tätigkeit im Heim ausreichende Zeit zur Verfügung steht. – Reichen Sie ihm die Hand, meine Herren.«
Sie reichen sich die Hände.
»Herr Petersen, ich stehe im Begriff, die beiden Herren allein in die Großstadt zu schicken. Sehen Sie Bedenken?«
»Wenn ich fragen darf, zu welchem Zweck?«
»Sie sollen sich auf dem zuständigen Polizeirevier anmelden.«
Der junge Petersen lächelt. »Nein, Herr Seidenzopf, ich sehe da keine Bedenken.«
»Und Sie meinen, Herr Pastor Marcetus wird mir keine Vorwürfe machen? Dass ich etwa zu vertrauensselig bin …?«
»Nein, sicher nicht. Lassen Sie die Herren ruhig allein gehen. Sie werden Ihr Vertrauen nicht enttäuschen.«
»Wissen Sie«, sagt Beerboom auf der Straße zu Kufalt, »das ist doch wieder nur so ein Aufpasser, ein Spion, dieser Petersen oder wie er heißt. Der soll bloß abhauen, der Lampenmacher, der!«
»Ich fand ihn eigentlich ganz nett, er hat so hübsch mit den Augen gelacht bei dem Vortrag von Vater Seidenzopf.«
»Ach, der Wolle-Teddy, der kann auch abhauen. Nicht mal das mit meinem Geld hat er mir geglaubt.«
»Haben Sie’s denn wirklich verloren?«
»Gar nicht. Dem Berthold hab ich’s gegeben. Glauben Sie, dass er es mir wiedergibt?«
»Wieso haben Sie es ihm denn gegeben?«
»Als Betriebskapital. Er holt Morphium dafür, und den Gewinn teilen wir.«
»Auf den Gewinn werden Sie wohl lange warten.«
»Ich muss Geld haben, Kufalt, Geld muss ich in der Tasche haben. Würden Sie mir ’ne Mark leihen?«
»Wozu brauchen Sie denn jetzt Geld?«
»Nur so. Ich muss Geld in der Tasche haben. Wir können ja auch ein Glas Bier davon trinken, ich halte Sie frei.«
»Sie müssen doch ’ne Masse Geld bei Seidenzopf zu stehen haben. Bei Ihrem langen Knast.«
»Ja, ’ne Menge ist es schon, neunzig Mark.«
»Was! Nur neunzig Mark bei elf Jahren Knast?«
»Erst war doch die Inflation, da ging unser ganzer Arbeitsverdienst flöten. Da haben wir nur dreißig Mark Aufwertung für all die Jahre gekriegt. Und dann später habe ich keine Lust mehr gehabt, ich hab immer auf die Amnestie gewartet, und nachher war es nichts, und dann hatte ich erst recht keine Lust.«
»Neunzig Mark sind schnell alle.«
»Neunzig Mark sind ’ne Masse. Ich wollte, ich hätte sie, ich ginge los. Haben Sie ’ne Ahnung, was hier die Mädchen nehmen? Nicht für ’ne ganze Nacht, nur so mal schnell.«
»Keine Ahnung.«
Sie gehen weiter. Es weht ein ganz angenehmer Wind, die Bäume sind gut hellgrün. Dann geht eine Straße schräg ab, die sie entlang müssen, und es ist hübsch, über den Damm zu gehen und die lange bunte Straße ganz weit hinunterzusehen. Gleich vorne ist eine Tankstelle, scharlachrot.
»Das Mädchen hat mich angesehen.«
»Warum soll sie nicht? Sie sehen doch sehr gut aus.«
»Finden Sie? Meinen Sie, dass ich ’ne Nummer bei den Mädchen habe? Ich bin doch dunkel, man sagt doch immer, dunkel mögen die Weiber gerne. Nur mein Teint, meinen Sie, dass ich Wolle-Teddy um Geld für Höhensonne bitte? Im Zet haben sie mir gesagt, davon krieg ich einen anderen Teint.«
»Würde ich nicht tun. Sie leben doch jetzt ganz anders wie im Zet, da kriegen Sie von selbst einen anderen Teint.«
»Sehen Sie mal, Kufalt, das Café sieht nett aus. Das ist sicher mit Weiberbedienung. Pumpen Sie mir zwei Mark, wir gehen rein, ich halte Sie frei.«
»Jetzt melden wir uns erst mal an«, sagt Kufalt, der sich weise und abgeklärt wie ein Opa vorkommt. »Mit zwei Mark können wir in einem Weibercafé auch nichts machen.«
»Aber vielleicht verliebt sich eine in uns, und wir brauchen nichts zu zahlen.«
»Um Gottes willen! Nur nicht!«
»Haben Sie denn schon eine? Nehmen Sie mich mit, wenn Sie zu ihr gehen?«
»Ich hab doch keine.«
»Aber warum wollen Sie dann nicht, dass sich eine in Sie verliebt?«
»Keine aus solchem Café. Ich denk mir was anderes.«
»Ach denken! Haben will ich eine! Und möglichst rasch.«
*
In der Polizeiwache stehen zwei Beamte an zwei Stehpulten und sehen einander an. Der eine hat etwas vogelartig Gesträubtes mit seinem spitzen, borstigen Bart, der gekrümmten Nase, den grellen Augen, der andere ist ein kleiner blasser Mann.
»Ich kann nur sagen«, erklärt der Blasse, »ich hab ’ne Parzelle bei der Horner Rennbahn. Die ist mein halbes Leben. Da gärtnere ich so rum.«
»Gärtnern«, sagt der gesträubte Vogel missbilligend, »wenn ich schon so was höre! Sie sind doch kein Gärtner. Das ist doch alles Pfuscherkram. Wenn Sie soweit sind und ernten Kohlrabi, dann wird er Ihnen in den Gemüsehandlungen nachgeschmissen.«
»Ich mache es nicht um Geld«, sagt der Blasse. »Es macht mir – so – Freude, wissen Sie.«
»Pfusch«, sagt der Vogel. »Nichts wie Pfusch. Sehen Sie, ich spiele Skat. Ich mache nichts wie Skat spielen. Manche Abende bring ich zwei, drei Mark nach Hause. Ich kann Skat. Keine halbe Sache. Kein Pfusch.«
»Ja, wer das Genie dafür hat«, bestätigt der Blasse.
»Und wenn Wettskaten ist um Karpfen oder Wurst oder Gänse, dann geh ich rum, dann bin ich jeden Tag woanders. Vorigen Winter habe ich sechs Gänse gewonnen! Wenn die Wirte mich nur sehen, wird ihnen das Bier schon sauer. ›Hau du ab‹, sagen sie, ›du nimmst ja unseren Stammgästen nur die Groschen ab.‹ – ›Wie ist das hier?‹ frage ich. ›Ist das hier ein öffentliches Lokal? Kriegt hier ein Polizeisekretär sein Helles ausgeschenkt? Ist das hier ein offenes Wettskaten oder nur für den Stamm?‹ – Dann sind sie ja stille, aber Blicke, sage ich Ihnen … Was wollen Sie denn?« schnauzt er entrüstet Beerboom an, der sich durch Husten dringlich bemerkbar macht.
»Erlauben Sie bloß, Herr Oberwachtmeister«, sagt Beerboom, »wir wollen uns ein bisschen anmelden.«
»Sehen Sie da das Plakat nicht? Können Sie nicht lesen, dass Sie erst die Formulare ausfüllen müssen?«
»Das geht bei uns nicht so«, sagt Beerboom und grient zu Kufalt, denn auf seine Zuchthausart, mit Subalternbeamten umzugehen, ist er sehr stolz. »Bei uns gilt das Plakat nicht, Herr Leutnant. Wir sind anders wie die anderen.«
»Das sind …«, vermittelt der Blasse, »sicher wieder zwei aus dem …«, er macht eine Kopfbewegung um die Ecke, »Sie wissen schon …«
»Na, dann gebt mal eure Zettel her, wir werden ja sehen, werden ja sehen …«
»Ach, Herr Sekretär, ist denn das Vorschrift? Ist das Bestimmung hier in Hamburg? Das hab ich ja noch gar nicht gewusst!«
»Was haben Sie nicht gewusst? Was ist hier Vorschrift? Was ist hier Bestimmung?« Der Vogel wird immer wilder, gleich fängt er an zu kreischen.
»Dass solche wie wir, aus dem …«, Beerboom wiederholt die Kopfbewegung des Blassen, »dass solche mit ›ihr‹ angeredet werden müssen. Da werde ich mal den Reviervorstand nachfragen. Da will ich mal in sein Zimmer gehen.«
Einen Augenblick Stille. Dann: »Geben Sie bitte Ihren Entlassungsschein her.«
Beerboom, ganz fröhlich: »Aber gewiss doch, Herr Sekretär. Mir liegt nichts daran, hier lange zu stehen. Ich bin nicht gerne hier. Sie doch auch nicht? Sie spielen doch auch lieber Skat?«
»Ich hab keine Zeit für private Unterhaltungen.«
»Nein, gewiss doch. Es ist nur, was man so hört.«
»Was sind Sie?«
»Raubmörder. Es steht auf dem Schein, Herr Sekretär. Raubmörder.«
»Was Sie vorher waren, will ich wissen.«
»Gar nichts. – Nee, Soldat war ich, richtig, Vaterlandsverteidiger war ich, Herr Sekretär. Meinen Leutnant habe ich umgelegt.«
»Das interessiert hier nicht.«
»Es ist nur, weil Sie fragten, Herr Sekretär. Ich dachte, es interessierte Sie.«
Der andere hat gewühlt in Papier, jetzt bringt er ein Aktenstück. »Ich habe Ihnen zu eröffnen … Vier Jahre Ihrer Strafzeit sind Ihnen mit dreijähriger Bewährungsfrist erlassen … Sie stehen unter Polizeiaufsicht. Sie haben sich jeden Tag in der Zeit zwischen sechs und sieben Uhr abends hier auf der Wache zu melden. Wenn Sie verziehen, haben Sie es vorher anzumelden. Unterlassen Sie die tägliche Meldung, so wird sofort Ihre Inhaftnahme verfügt. – Haben Sie verstanden?«
»Wenn ich nun krank werde, Herr Sekretär?«
»Dann schicken Sie jemanden mit einer ärztlichen Bescheinigung hierher.«
»Von mir lässt sich keiner schicken.«
»Nun, wir kümmern uns schon um Sie, wir sehen schon nach.«
Beerboom scheint schwer zu grübeln. »Und es stimmt doch nicht, Herr Sekretär!«
Der Sekretär, sehr gereizt: »Was stimmt nicht?«
»Was Sie mir da vorgelesen haben.«
»Das stimmt, Sie werden sofort verhaftet, wenn Sie sich nicht melden.«
»Nee, werde ich nicht. Ich werde mich überhaupt nicht melden.«
Der Beamte ist direkt vor einem Ausbruch.
»Ich hab nämlich ’ne Erlaubnis vom Polizeipräsidium, dass ich mich nicht zu melden brauche, weil die nämlich im Heim die Schutzaufsicht über mich haben.« Er kramt in den Taschen, gibt dem Sekretär einen Schein.
»Warum geben Sie mir den nicht gleich? Warum lassen Sie mich hier reden und reden? Sie haben mir Ihre sämtlichen Papiere gefälligst sofort zu geben.«
»Alle habe ich nicht hier. Welche habe ich noch zu Haus.«
»Was für welche?«
»Impfschein und ein Schulzeugnis.«
Nun kreischt der Vogel doch: »Sie sind …« Beerboom grinst erwartungsvoll. »Ach was!« Zum Blassen gewendet: »Sind Sie mit Ihrem fertig? Ja? Schön, Sie können gehen.«
»Ich auch?«
»Ja! Sie auch! Sie auch!«
Sie stehen beide wieder auf der Straße, Beerboom und Kufalt.
»Warum machen Sie so was? Was hat denn das für einen Zweck?« schimpft Kufalt los. »Ich habe mich richtig geschämt für Sie.«
»Solche muss man durch den Kakao ziehen. Die sind ja so doof. Das ist meine Hauptfreude. Mein Stationswachtmeister im Zet, sage ich Ihnen …«
»Ich sage ja nichts, wenn einer ein Aas ist. Aber bloß so … Nee, ich geh mit Ihnen nicht wieder auf ein Revier.«
»Ich will’s nicht wieder tun, wenn Sie dabei sind und es stört Sie. Was soll man denn tun im Bunker, all die Jahre, und nie ist was los …? Da muss man doch stänkern.«
»Na ja, ich hab auch gestänkert. Aber jetzt sind wir doch draußen.«
»Ich kapier es noch immer nicht. Wissen Sie, innen kapier ich es nicht, dass ich draußen bin. Und es wird auch schon nicht stimmen. Ich bin bald wieder drin.«
»Keine Ahnung.«
»Sehen Sie das Mädchen auf der Bank da mit dem Kinderwagen? Nett, wie? Soll ich mal hingehen und die fragen: ›Fräulein, wollen Sie nicht auch ein Kind von mir?‹«
»Warum? Was hat Ihnen die getan? Die ist doch selbst noch ein halbes Kind.«
»Ich weiß nicht. Ich habe solche Wut. Auf alles. Die hat es gut, die weiß noch von nichts. Warum soll sie nichts wissen? Alle sind doch gemein. Warum die denn nicht? Ach, Kufalt, ich hab ’nen schrecklichen Kater, ich wollte, ich läge auf meinem Bett und könnte heulen.«