Hans Fallada – Gesammelte Werke

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6

War es Er­lö­sung ge­we­sen? Hat­te es auch nur Er­leich­te­rung ge­bracht?

In den Näch­ten, in de­nen er sich um Lie­se ge­quält hat­te, hat­te er sich al­les leicht und er­löst ge­dacht, wenn sie nur ein­mal zu ihm ge­kom­men wäre. Nun war sie ge­kom­men – und wo wa­ren Leich­tig­keit und Glück? Wie­der saß er an sei­ner Schreib­ma­schi­ne – die­se Nacht war nun zwei Wo­chen vor­bei – oder gar drei? –, und al­les war ge­nau­so schwer. Oder noch schwe­rer …?

Da sitzt er nun also und tippt. Ein paar Tage lang, di­rekt da­nach, war es bes­ser ge­gan­gen, ja, es war so­gar so gut ge­gan­gen, dass Jauch es auf­ge­ge­ben hat­te, hin­ter sei­nem Stuhl zu ste­hen – nichts mehr zu ma­chen. Dann sack­te er lang­sam wie­der ab. Er riss sich zu­sam­men, er woll­te nicht wie­der der Prü­gel­kna­be wer­den. Zwei- oder drei­mal war Maack schon in die Dik­tat­stu­be ge­holt wor­den – soll­te er ewig über die­sen Adres­sen sit­zen­blei­ben?

Aber es war, als sei sei­ne Kraft von in­nen ge­lähmt: Eben noch war er wach ge­we­sen und mit­ten in der Ar­beit und ei­gent­lich fröh­lich; plötz­lich war es, als ver­sag­te sein Ge­hirn, es war nur noch eine Lee­re da, als gäbe es einen Ku­falt nicht mehr. Kann in ei­nem Hirn eine Ge­fäng­nis­zel­le ste­hen, en­ger Raum mit Git­ter und Schloss, und et­was Ge­stalt­lo­ses dar­in, auf und ab, auf und ab, et­was Ein­ge­sperr­tes, das nie her­aus kann?

»Pass Ach­tung, Mensch!« flüs­tert Maack. Schon ist Jauch da.

»Ich habe hier fünf Ori­gi­nal­zeug­nis­se, Herr Ku­falt. Ab­schrift mit vier Durch­schlä­gen, nor­mal­zei­lig, in ei­ner Stun­de wer­den sie ab­ge­holt. Aber feh­ler­los, wenn ich bit­ten darf, kein Über­tip­pen, kei­ne schwe­ben­den S

»Nein«, sagt Ku­falt.

»Sie sa­gen nein, na­tür­lich sa­gen Sie nein, nun, ich wer­de ja se­hen. Es ist je­den­falls mein letz­ter Ver­such.«

Ku­falt ging groß dar­an, es war sei­ne ers­te qua­li­fi­zier­te Ar­beit, er wür­de zei­gen, die wür­den se­hen, Jauch wür­de stau­nen …! Aber selt­sam, es wa­ren zwei Wor­te oder drei von die­sem Jauch: feh­ler­los, kein Über­tip­pen, kei­ne schwe­ben­den S – je­des Wort wur­de zum Hin­der­nis.

Wa­ren es nur zwei oder drei Hin­der­nis­se? Al­les war Hin­der­nis!

Vier Durch­schlä­ge – wie leicht konn­te man sich ver­zäh­len! Lag das Koh­le­pa­pier rich­tig? Ori­gi­nal­zeug­nis­se – nur kei­nen Fleck dar­auf ma­chen, der Dau­men hat et­was Schwär­ze vom Koh­le­pa­pier ab­be­kom­men, zur Was­ser­lei­tung, drei Mi­nu­ten Schreib­zeit ver­lo­ren – ans Werk!

Lehr­zeug­nis

Elms­horn, den 1. Ok­to­ber 1925

Herr Wal­ter Pu­cke­reit, ge­bo­ren den 21. Juli 1908 als Sohn des Bäcker­meis­ters Wal­ter Pu­cke­reit, hier­selbst, hat vom 1. Ok­to­ber 1922 bis heu­te in mei­nem alt­re­nom­mier­ten Ei­sen­wa­ren­ge­schäft sei­ne Lehr­zeit als …

Und so wei­ter, und so wei­ter.

»Bald fer­tig, Herr Ku­falt?«

»Ja, bald.«

»Sieht nicht so aus. Sa­gen Sie lie­ber gleich, wenn Sie’s nicht kön­nen. Sie kön­nen’s ja doch nicht.«

»Doch, ich kann.«

»Wir wer­den es ja se­hen. Je­den­falls müs­sen Sie bei vier Durch­schlä­gen viel kräf­ti­ger an­schla­gen – las­sen Sie mal se­hen, na ja, wie ich ge­dacht habe, blass, grau. Noch ein­mal von vor­ne …«

Wäh­rend Ku­falt sei­ne Bo­gen neu zu­recht­legt, flüs­tert Maack: »Im­mer Ruhe! Im­mer die Ner­ven be­hal­ten! Der will dich nur ein­schüch­tern!«

Ku­falt lä­chelt ängst­lich und dank­bar, be­ginnt zu tip­pen: »Lehr­zeug­nis« – schreibt man Zeug­nis nicht ei­gent­lich mit ß? Egal, wie’s hier steht, ist’s rich­tig. – Pu­cke­reit, nicht Pa­cke­reit – o Gott! Über­tip­pen? Darf ich nicht. Fünf­mal ra­die­ren? Neu an­fan­gen? Also noch ein­mal neu an­fan­gen! Aber dies­mal muss es wer­den!

Maack sieht nicht mehr hoch, Jauch ist in sein Zim­mer ge­gan­gen, kei­ner sieht hin zu ihm. Oder se­hen sie doch ver­stoh­len hin zu ihm?

Dies­mal kommt er bis zur drit­ten Zei­le des ers­ten Zeug­nis­ses, das schwe­ben­de S (dies­mal ist es ein schwe­ben­des G) bricht ihm den Hals. Wäh­rend er das Durch­schlag­pa­pier mit dem Koh­le­pa­pier neu zu­recht­legt, schielt er nach Maack hin­über, aber Maack sieht nichts, tippt wie wild.

Ach, er reißt sich zu­sam­men, es ge­lingt, Zei­le auf Zei­le, feh­ler­los, gleich­mä­ßig, nun ist so­fort die ers­te Sei­te fer­tig – und eine Ah­nung über­kommt ihn, er sieht nach: Also doch! Er hat das Koh­le­pa­pier falsch her­um ein­ge­legt, Spie­gel­schrift auf vier Blät­tern, das fünf­te, letz­te Blatt ist weiß!

Er sitzt da, es ist zweck­los, da­ge­gen an­zu­ge­hen, es ist ein Teu­fel in ihm, der ge­gen ihn kämpft. Sie ha­ben den in ihm groß­ge­zo­gen fünf Jah­re durch, sie ha­ben ihn un­fä­hig ge­macht. »Geh dort­hin!« ha­ben sie ge­sagt, »tu das und je­nes!« ha­ben sie be­foh­len – und nun drau­ßen hat es ge­schnappt, die Fe­der ist schlaff ge­wor­den –: zweck­los!

Es war am drit­ten Abend da­nach, er war auf den Gang hin­aus­ge­lau­fen, als die Fl­ur­tür ging, er hat­te atem­los ge­sagt: »O mei­ne Süße, ich habe mich so nach dir ge­sehnt!« Er hat­te sie um den Hals ge­fasst … »Was bil­den Sie sich denn ei­gent­lich ein?!« hat­te sie ge­fragt, hat­te sich frei­ge­macht, war schon fort ge­we­sen in der Kü­che bei ih­rer Mut­ter … Zweck­los …

»Gib’s schnell rü­ber, Ku­falt«, flüs­tert Maack. »Ich tipp’s dir. Rasch! Vor­sich­tig, dass es kei­ner sieht, die ma­chen ja alle Lam­pen, die Brü­der! Dan­ke! Tipp du wei­ter Adres­sen.«

Wie die Ma­schi­ne drü­ben schmet­ter­te, häm­mer­te, kling­ling, wei­ter, neue Zei­le, kling­ling, wei­ter, neue Zei­le, kling­ling …

Ging die ver­hass­te Tür da­hin­ten nicht? Noch elf Mi­nu­ten. Maack hat gleich die drit­te Sei­te fer­tig, nein, die Tür ging nicht, höchs­tens noch eine hal­be Sei­te …

»Also ge­ben Sie her, Ku­falt!« Und – höchs­tes Er­stau­nen: »Wie­so …? Wie­so schreibt Herr Maack das? Habe ich ihm die Ar­beit ge­ge­ben oder Ih­nen?«

»Ich …«, stam­melt Ku­falt. »Ich habe ihn ge­be­ten, ich war so ner­vös, ich habe mich ein paar­mal ver­tippt …«

»Sooo«, sagt Herr Jauch. »So! Und warum wen­den Sie sich da nicht an mich? Bin ich Schreib­stu­ben­lei­ter, oder sind Sie es? Je­den­falls wer­de ich den Vor­fall Herrn Pas­tor Dok­tor Mar­ce­tus mel­den. Durch­ste­che­rei­en dul­de ich nicht. Hier einen falschen Ein­druck er­we­cken … Ge­ben Sie her, Herr Maack.«

Weiter­schrei­ben, weiter­schrei­ben, im­mer tüch­tig wei­ter, es bringt nur fünf­zehn Mark die Wo­che, dies­mal nur zwölf viel­leicht, aber heu­te ist Diens­tag, und am Frei­tag erst hält Mar­ce­tus sei­nen all­wö­chent­li­chen Ge­richts­tag ab in der Schreib­stu­be Pre­sto: Man kann nicht ta­ten­los war­ten, man muss wei­ter­tip­pen – Quä­le­rin!

»Mach dir nichts draus, Ku­falt. Mit dem Pfaf­fen wer­de ich schon re­den. Und wenn wir wirk­lich hops ge­hen, ich hab ’ne aus­ge­zeich­ne­te Idee. Nicht, was du denkst, kei­ne Spur, was ganz Re­el­les. Nun, wir wer­den ja se­hen …«

»Und, Herr Pas­tor«, sagt Maack zu dem weiß­haa­ri­gen Dok­tor ho­no­ris cau­sa, »ich bin über­haupt der An­sicht, mit Ein­schüch­tern ist es nicht zu schaf­fen. Se­hen Sie hier, mein Freund, der Ku­falt …«

»Ei­nen Au­gen­blick«, un­ter­bricht Pas­tor Mar­ce­tus und hebt sei­ne wei­ße vol­le Hand. »Ei­nen Au­gen­blick, bit­te! Sie wis­sen, mei­ne Her­ren, sehr ge­nau, dass ich die­se Freund­schaf­ten un­ter Be­straf­ten nicht wün­sche. Ih­nen bei­den ist gra­de dar­um er­laubt wor­den, au­ßer­halb des Heims zu woh­nen, da­mit Sie wie­der An­schluss an die rechts­be­wuss­te bür­ger­li­che Welt fin­den. Und Sie sa­gen: mein Freund, der Ku­falt!« Er sieht die bei­den streng an. »Über­haupt ist, wie Sie wohl wis­sen, das Spre­chen der in den Schreib­stu­ben Be­schäf­tig­ten un­ter­ein­an­der ver­bo­ten. Wo­her ken­nen Sie sich da …?«

Er be­trach­tet sie, die stumm sind.

»Ein­schüch­tern«, grollt der Pas­tor. »Ich ken­ne Herrn Jauch seit zehn Jah­ren, ich habe ihn nie an­ders als freund­lich, pflicht­eif­rig, sei­ner Auf­ga­be hin­ge­ge­ben ge­fun­den. Aber viel­leicht ist es ge­ra­de das, was Sie Ein­schüch­tern nen­nen, dass er pflicht­eif­ri­ge Ar­beit von Ih­nen ver­langt …?«

»Aber …«, setzt Maack ein.

»Ei­nen Au­gen­blick, bit­te. Als Herr Ku­falt zu uns kam, war er al­les an­de­re als ein gu­ter Ar­bei­ter, aber – ich habe das ver­folgt – er hat acht­zehn, zwan­zig, auch ein- oder zwei­mal zwei­und­zwan­zig Mark die Wo­che ver­dient. Von ei­nem ge­wis­sen Zeit­punkt ab sank sei­ne Ar­beits­leis­tung stän­dig. Wie mir Herr Jauch mit­teilt, wird er die­se Wo­che kaum zehn Mark ver­die­nen. Also, Herr Ku­falt …«

Ku­falt setzt an. Es ist ja gar nicht so lan­ge her, dass er groß da­stand vor Pas­tor Mar­ce­tus, er hat­te ihn ge­wis­ser­ma­ßen in der Ta­sche, aber auch vor­her hat­te er mit ihm re­den kön­nen. Wo war das hin?

Zö­gernd sagt er: »Herr Pas­tor, Sie den­ken, es ist, weil ich aus dem Heim raus­ge­gan­gen bin, dass ich jetzt et­was an­de­res im Kopf habe. Aber glau­ben Sie mir, Herr Pas­tor, ich geb mir Mühe, ich geb mir alle Mühe von der Welt. Aber es ist plötz­lich wie Schluss, ich geb mir alle Mühe von der Welt, und dann ist es, als wenn ich krank wäre, nicht rich­tig krank, ver­ste­hen Sie, aber so von dem lan­gen Sit­zen, als könn­te man nichts mehr …«

»So«, sagt der Pas­tor. »So. Sie be­haup­ten also, Sie ha­ben jetzt noch nach­träg­lich so et­was wie eine Haft­psy­cho­se ge­kriegt – es klingt nicht sehr wahr­schein­lich. Wir ha­ben nun wie­der durch Herrn Pe­ter­sen er­mit­telt, dass Ihre Zim­mer­wir­tin eine be­son­ders hüb­sche Toch­ter hat, eine Toch­ter von nicht über­mä­ßig gu­tem Ruf. Ja, Herr Ku­falt …?«

 

Ku­falt steht da. Wenn doch Maack ein Wort sag­te! Aber Maack steht da und schweigt, rückt an sei­ner Bril­le und schweigt. Na­tür­lich ist er wü­tend, weil Ku­falt ihm nie et­was von die­ser Toch­ter ge­sagt hat, ihn hat An­ge­bo­te ma­chen las­sen – und es ist doch al­les ganz an­ders!

»Also«, sagt Mar­ce­tus nach lan­gem Schwei­gen. »Wir ver­su­chen es noch eine Wo­che mit Ih­nen; wenn da Ihre Ar­beit nicht klappt – min­des­tens acht­zehn Mark die Wo­che –, müs­sen wir von ei­ner wei­te­ren Be­schäf­ti­gung ab­se­hen, Herr Ku­falt. Ich wer­de auch Herrn Jauch sa­gen, dass er Sie völ­lig in Ruhe lässt, da­mit nicht wie­der von Ein­schüch­tern die Rede ist. Gu­ten Mor­gen, mei­ne Her­ren. – Ach, einen Au­gen­blick, Herr Maack. – Nein, Sie kön­nen im­mer ge­hen, Herr Ku­falt.«

7

Erst nach Fei­er­abend kann Ku­falt wie­der mit Maack spre­chen: Es sit­zen zu viel Auf­pas­ser und Zwi­schen­trä­ger in der Schreib­stu­be. Sie ge­hen lang­sam im hel­len Son­nen­schein den Als­ter­damm hin­un­ter, über­que­ren den Glo­cken­gie­ßer­wall und sind nun an der Au­ßenals­ter, die schön som­mer­lich von wei­ßen Se­geln und klei­nen Damp­fern be­legt ist.

»Was woll­te er ei­gent­lich noch von dir?« fragt Ku­falt.

»Ach«, sagt Maack, »so das Üb­li­che, was die alle ma­chen, die An­trei­ber: uns ge­gen­ein­an­der auf­het­zen, Neid …«

»Er­zähl schon«, sagt Ku­falt et­was be­trof­fen, ihm wird plötz­lich klar, was die Schreib­stu­be ohne Maack sein wür­de.

»Ich soll mor­gen ’ne Aus­hil­fe krie­gen in ei­nem Ex­port­ge­schäft. Wenn ich mich da ma­che, wer­den die mich für im­mer be­hal­ten. Sagt er.«

»So«, sagt Ku­falt wie­der. »Und du?«

»Dreh dich rasch um!« flüs­tert Maack. »Rasch, rasch.«

Er fasst Ku­falt un­ter dem Arm und zieht ihn hin zu ei­nem Herrn, der, einen Stroh­hut in der Hand, halb hin­ter ei­nem Baum ver­steckt, ge­dan­ken­voll das ham­bur­gi­sche Was­ser­le­ben be­trach­tet.

»Gu­ten Abend, Herr Pat­zig.«

Der lan­ge schlenk­ri­ge Jüng­ling sieht ver­le­gen auf, er grüßt mit der Kreis­sä­ge1 in der Hand, er sagt: »Ach, gu­ten Abend …«

»Das war näm­lich die Haupt­be­din­gung, Ku­falt, für die Aus­hilfs­stel­lung im Ex­port: dass ich den Um­gang mit dir auf­ge­be, Ku­falt. Schickt sich nicht, dass Ver­bre­cher mit Ver­bre­chern um­ge­hen, ler­nen nichts Gu­tes von­ein­an­der, weißt du.«

Die bei­den be­trach­ten ernst den Jüng­ling, der im­mer rö­ter ge­wor­den ist.

»Ich bin wirk­lich hier nur spa­zie­ren­ge­gan­gen«, sagt Pat­zig von der Por­to­kas­se.

»Ja, nun wird der Herr Pat­zig wohl die Aus­hilfs­stel­lung im Ex­port be­kom­men.«

Maack schiebt mit ei­nem Stoß des Zei­ge­fin­gers die Bril­le auf dem Na­sen­rücken zu­recht und reibt dann ge­dan­ken­voll das Kinn. Wenn Maack auch alte Sa­chen an­hat, er sieht im­mer ta­del­los aus, gut ra­siert und mit ge­pfleg­ten Hän­den und die Ho­sen in ta­del­lo­sen Brü­chen.

»Wird ihm viel­leicht doch noch mal sau­er auf­sto­ßen, dem Jun­gen, die Arsch­krie­che­rei, was meinst du?« sagt Maack.

Ku­falt sagt nichts, er be­trach­tet Pat­zig, der nicht mehr rot, son­dern sehr weiß ist.

»Ich bin wirk­lich nur spa­zie­ren­ge­gan­gen«, be­teu­ert der noch ein­mal, »wirk­lich und wahr­haf­tig!«

»Na­tür­lich«, höhnt Maack. »Im­mer fein hin­ter uns her, von der Schreib­stu­be an …«

»Pass auf!« schreit Ku­falt.

Aber Maack hat sei­nen Hieb schon weg, von un­ten her ge­gen das Kinn, gar nicht so schlecht für so ein mick­ri­ges Ge­schöpf, wie es der Pat­zig ist.

»Ihr könnt mir doch alle …!« sagt er und sieht be­frie­digt Maack an, der sich ener­gisch sein Kinn reibt. Dann setzt er ener­gisch den Stroh­hut auf, sagt nun sei­ner­seits »Gu­ten Abend« und will ge­hen.

»Au­gen­blick mal«, sagt Maack. »Au­gen­blick, Pat­zig – sind Sie wirk­lich nur spa­zie­ren­ge­gan­gen?«

»Wenn du noch eine ha­ben willst?«

»Hat dich nicht der Jauch uns nach­ge­schickt oder der Pfaf­fe, dass du uns in die Pfan­ne haust?«

»Ich will euch mal was sa­gen«, er­klärt der Pat­zig und gibt ge­wal­tig an, »ich will euch mal was er­zäh­len! Ihr denkt im­mer, ihr seid was, ihr al­ten Ga­no­ven. Ihr spuckt Bo­gen, noch und noch, weil ihr fünf Jah­re Knast ge­scho­ben habt oder zehn – und weil ich nur ein hal­b­es Jahr ab­ge­ris­sen habe …«

»Halt mal«, sagt Maack.

»Nee, nich halt mal. Aber ein hal­b­es Jahr oder zehn Jahr: Ich hab’s ge­nau­so schwer wie ihr, wie­der rein­zu­kom­men, nee, ich hab’s noch viel schwe­rer, denn ihr habt einen Zu­sam­men­halt, und ich hab gar nichts …«

»Halt, halt, du! Und wie ist es mit dem Ver­pfei­fen?«

»Hab ich dich schon ver­pfif­fen oder den an­de­ren, dei­nen Freund, den Pflau­men­wei­chen? Pass man Ach­tung, dass der dich nicht mal ver­pfeift, der sieht viel eher so aus …«

»Wenn du wie­der kess wirst, Pat­zig …«

»Krieg ich noch eine wie eben?« fragt Pat­zig und grinst. »Na­tür­lich muss ich katz­bu­ckeln und krie­chen vor dem Jauch und dem Pfaf­fen – aber des­we­gen Lam­pen ma­chen – noch lan­ge nicht! Ich habe noch kei­ne ge­macht, im Kitt­chen nicht und hier drau­ßen auch nicht. Aber ihr, ihr denkt im­mer gleich, das ist ein Lin­ker, ihr denkt, ihr habt die So­li­da­ri­tät ge­pach­tet. Ihr seid ja bloß ’ne Cli­que, ihr Brü­der, du denkst, du bist der Bul­le und kannst alle – aber du kannst nur die paar von dei­ner Cli­que, und So­li­da­ri­tät – da­von hast du über­haupt kei­ne Ah­nung, weißt du das!«

Im Ei­fer sei­nes Re­dens hat er sich wie­der den Stroh­hut vom Kopf ge­ris­sen und fuch­telt da­mit dem Maack vorm Ge­sicht rum.

»Säg mir bloß nicht die Glot­zer aus der Kohl­rü­be«, sagt Maack freund­schaft­lich. »Aber ich ver­steh schon: Du willst sie alle be­glücken und bist für Ge­rech­tig­keit und so ’nen Quatsch. Ich geb mich nicht mit Po­li­tik ab, ich denk an mich und mei­ne Olle, und viel­leicht brauch ich den Ku­falt mal und ein paar Jun­gen, die stie­kum sind – da­nach lins ich …«

»Ach, was du schon linst! Gro­ße Sa­che im Gang – und hast noch nichts ge­ro­chen, was?«

Er sieht er­war­tungs­voll die bei­den an und fängt an zu la­chen, als er den Maack rich­tig ver­le­gen ge­macht hat.

»Gro­ße Sa­che?« murrt der. »Ich fass kein Ding mehr an, dass du’s nur weißt, kannst du ru­hig dei­nem Jauch be­stel­len.«

»Komm doch nicht wie­der auf die Tour. Ganz re­el­le Ge­schich­te, großer Auf­trag un­ter­wegs, hast du noch nicht ge­merkt, dass der Jauch je­den Mor­gen te­le­fo­niert und läuft?«

»Na und?« fra­gen die bei­den und ver­ste­hen noch im­mer nichts.

»Zwei­hun­dert­fünf­zig­tau­send Adres­sen un­ter­wegs, viel­leicht so­gar drei­hun­dert­tau­send. Tex­til­ver­sand­fir­ma. Zur Herbst- und Win­ter­sai­son ein biss­chen Pro­pa­gan­da, nicht?«

»Wäre fein, wenn das die Schreib­stu­be krieg­te. Min­des­tens ein Mo­nat Ar­beit«, stimmt Maack zu.

Aber Pat­zig lacht. »Wenn die ihn krieg­te! Jauch ver­langt zwölf fürs Tau­send ein­schließ­lich Ku­ver­tie­ren und Mar­kenkle­ben, und die Schreib­stu­be Cito im Gro­ßen Bur­stah macht’s viel­leicht für elf. Aber die schlu­dern. Wenn da ei­ner käme und täte es für zehn oder viel­leicht gar für neun …«

Er macht eine lan­ge träu­me­ri­sche Pau­se. »Drei­hun­dert­tau­send Adres­sen«, sagt er dann.

»Drei­tau­send Mark Ar­beits­ver­dienst«, sagt Ku­falt hin­ge­ris­sen. »O Jun­ge, Jun­ge …«

»Für zehn Mann einen Mo­nat Ar­beit – macht auf die Nase drei­hun­dert Mark«, rech­net Maack. »O Mensch, Pat­zig!« bricht er plötz­lich aus. »Wenn wir’s krie­gen, ich nehm dich mit, du kannst mit­ma­chen. Du sollst nicht mehr auf So­li­da­ri­tät schimp­fen, Geld ver­die­nen sollst du.«

»Nee, nee«, sagt Pat­zig. »Ich hab’s euch er­zählt, da­mit ihr seht, ich bin gar nicht so. Da­mit ihr ka­piert, was für flaue Köp­pe ihr seid, nichts merkt ihr. Aber ich geh wei­ter zum Jauch, ich denk im­mer, mit den Pfaf­fen fährt man am si­chers­ten.«

»Na schön«, sagt Maack. »Je­der muss wis­sen, wie dumm er ver­trägt. Wir ge­ben dir dann was ab, wenn es so­weit ist, kannst dich mal satt fut­tern auf un­se­re Kos­ten.«

»Ach nee?« fragt Pat­zig. »Darf ich das? Und wisst noch nicht mal den Na­men der Fir­ma? Und habt kei­ne Schreib­ma­schi­nen? Und den Auf­trag auch nicht? Will ich erst mal nach Hau­se ge­hen fut­tern, wenn ich auf euch war­te­te …!«

Und will wirk­lich ge­hen.

Nun, sie krie­gen ihn her­um, ach, wie an­ders ste­hen sie nun vor dem Por­to­kas­sen­jüng­ling. Sie bit­ten und be­schwö­ren ihn: »Nur die Adres­se, bist auch ein fei­ner Kerl, bloß Na­men und Adres­se. Hun­dert Mark ge­ben wir dir.«

»Be­hal­tet man eure hun­dert Mark, könn­te ich schön lan­ge dar­auf war­ten. Klemm­zig und Lan­ge, Ham­bur­ger Stra­ße in Barm­beck. Num­mer 128.«

So – end­lich, uff! Schwein, mi­se­ra­bles, uns so zu quä­len! Der kann sei­nen hun­dert Mark auch lan­ge nach­gu­cken, Stub­ben, der däm­li­che, uns so hoch­zu­neh­men!

1 ge­meint ist na­tür­lich ein Stroh­hut <<<

8

Sie müs­sen schnell han­deln, und sie müs­sen ganz im Ge­hei­men han­deln, so­viel ist si­cher. Sie müs­sen wei­ter brav auf die Schreib­stu­be ge­hen, denn viel­leicht krie­gen sie den Auf­trag doch nicht, und dann bleibt die Schreib­stu­be ein­zi­ge Exis­tenz­mög­lich­keit. Sie müs­sen sich er­kun­di­gen, un­ter wel­chen Be­din­gun­gen Schreib­ma­schi­nen zu kau­fen sind, na­tür­lich auf Ra­ten, sie müs­sen sich nach ei­nem Ge­schäfts­lo­kal um­se­hen – aber den gan­zen Tag müs­sen sie bei Pre­sto an der Ma­schi­ne sit­zen!

Ku­falt und Maack ha­ben sich die Lun­ge aus dem Hals ge­rannt: Es ist ih­nen ge­lun­gen, noch an die­sem denk­wür­di­gen Abend fünf Leu­te von der Schreib­stu­be zu­sam­men­zu­trom­meln, die stie­kum sind: den wil­den Jäns­ch, Sa­ger, Deutsch­mann, Fas­se, Öser.

Sie sit­zen in Maacks Dach­kam­mer auf Bett, Fens­ter­brett, Wasch­kom­mo­de, dem einen Stuhl. Maacks Mäd­chen ha­ben sie hin­aus­ge­schmis­sen. »Geh ein biss­chen auf die Stra­ße, Lies­chen. Tu auch mal was für dei­nen Sü­ßen«, ha­ben sie ge­sagt.

»Gra­de schön!« hat sie geant­wor­tet und mit ih­ren blan­ken Kir­schen­au­gen durch ihre ge­dreh­ten Pfer­de­lo­cken ge­lacht.

»Hier! Je­der gibt ’nen Gro­schen. Kannst ins Café ge­hen, Lies­chen.«

»So dumm! Wenn ich end­lich mal Aus­gang habe! Wann soll ich denn wie­der­kom­men?«

»Hau bloß ab. Du brauchst über­haupt nicht wie­der­zu­kom­men. – Na, sa­gen wir, um zwölf«, sagt Maack.

Zu­erst sind sie alle ge­blen­det von der Aus­sicht auf selbst­stän­di­ge Ar­beit und so viel Geld! Alle re­den sie durch­ein­an­der, sie be­wei­sen sich, dass es geht, dass sie voll­kom­men ge­nug sind zu sie­ben, man wird eben ganz an­ders rein­hau­en in die Ma­schi­nen, neun Stun­den Ar­beit ist nicht, zwölf, vier­zehn, Sonn­tag ist nicht, siehst mal dein Lies­chen vier Wo­chen gar nicht an, du reißt dich zu­sam­men, Ku­falt, geht al­les auf Kip­pe, oder be­zah­len wir wie bei Pre­sto nach dem Tau­send?

»Aber wir ha­ben den Auf­trag noch nicht!«

»Ja, wer holt den Auf­trag rein?«

»Du musst in der Schreib­stu­be Schluss ma­chen, Ku­falt, du fliegst ja doch!«

»Wie­so flie­ge ich? Ich schaff ’s schon. Ich hab’s min­des­tens so nö­tig wie ihr.«

Es zeig­te sich, dass kei­ner von den sie­ben ge­son­nen ist, den Spat­zen in der Hand flie­gen zu las­sen für die Tau­be auf dem Dach.

»Dann müs­sen wir eben je­man­den neh­men, der sich von uns schi­cken lässt.«

»Aber er muss an­stän­dig aus­se­hen.«

»Na­tür­lich kein Ga­no­ve, das wis­sen wir selbst.«

»Und re­den muss er kön­nen.«

»Und fein in Scha­le muss er sein.«

»Ja, wer weiß da einen?«

Kei­ner kei­nen.

»Die müs­sen doch auch Aus­künf­te ein­ho­len kön­nen über den!«

»Ja – ha?«

Sehr ge­dehnt, sehr ge­dehnt.

Es war doch ver­rückt, hier sa­ßen sie, sie­ben Mann, sie brauch­ten nur je­man­den, der einen oder zwei Wege für sie mach­te, je­man­den mit rei­ner Wes­te aus der an­de­ren, der bür­ger­li­chen Welt.

Nein, kei­nen.

Ar­beits­lo­se ge­nug, Vor­be­straf­te ge­nug – aber schickt man so einen zu so was?

»Wenn man es ganz te­le­fo­nisch mach­te?«

 

»Aus­ge­schlos­sen! Die müs­sen uns doch die Brief­mar­ken an­ver­trau­en und die Druck­sa­chen und die Um­schlä­ge – da müs­sen sie doch je­mand Knor­ken zu se­hen krie­gen, was?«

Ja, Vor­schlä­ge ka­men schon, ei­ner ver­dreh­ter als der an­de­re.

»Un­sinn! Ich kenn doch dei­nen Schwa­ger! Der stot­tert ja schon, wenn ihn ein Hund an­bellt!«

»Der Ot­sche? Der hat doch noch nie ’ne hei­le Hose auf dem Arsch ge­habt, den brin­gen sie doch gleich auf die Wa­che!«

Sie sa­ßen da und sa­hen sich stumm an. Schließ­lich stand Jäns­ch lang­sam auf.

»Also ge­hen wir nach Hau­se, Jun­gens. Mit uns wird es doch nie nichts. Schrei­ben wir eben die Adres­sen für Jauch und den fet­ten Pfaf­fen für fünf Mark. Die bei­den fünf Mark, die gan­ze Schreib­stu­be die an­de­ren fünf Mark – ist doch sau­ber Kip­pe ge­macht, nicht?«

Sie ste­hen alle da, noch et­was zö­gernd, es ist so schwer, aus die­sem Traum fort­zu­ge­hen. Ei­ge­ne Ar­beit, ei­ge­ne Un­ter­neh­mer, ei­ge­nes Geld, ei­ge­nes Ge­schäfts­lo­kal, ei­ge­ne Ma­schi­nen – und die Aus­sicht auf Vor­wärts­kom­men, viel­leicht ein­mal eine ei­ge­ne große Schreib­stu­be …

»Also, ad­jüs …«, sagt Jäns­ch.

»Wisst ihr«, sagt Ku­falt lang­sam, »ich hab’s ja nicht sa­gen wol­len, aber viel­leicht weiß ich doch einen. Er ist zwar ein ganz ver­sof­fe­nes Huhn …«

»Kommt gar nicht in Fra­ge.«

»Aber er ist ein rich­ti­ger, ge­bil­de­ter Herr, hat mal stu­diert, der wür­de es viel­leicht fer­tig­brin­gen …«

»Wie heißt er denn?«

»Wo­her kennst du ihn denn?«

»Kannst du ihn gleich ho­len?«

Schwie­rig­kei­ten über Schwie­rig­kei­ten, Beer­boom al­lein weiß die Adres­se vom Bert­hold, und, ab­ge­se­hen da­von, dass sich Ku­falt ge­schwo­ren hat, nie wie­der mit Beer­boom zu­sam­men­zu­kom­men –: Jetzt ist es gleich neun, er müss­te nach Frie­dens­heim zu Beer­boom, ob der da ist, ob dann Bert­hold zu Hau­se ist, ob er mit­kom­men will, ob er ge­ra­de ei­ni­ger­ma­ßen nüch­tern ist …

»Also las­sen wir es«, sagt Ku­falt, ent­mu­tigt von so viel Hin­der­nis­sen.

»Wie­so! Las­sen wir es? Hau ab, Mensch, und in ei­ner Stun­de zit­terst du hier an mit dei­nem Bert­hold …!«

»Wir schmei­ßen dich die Trep­pe run­ter!«

»Los, an­ge­fasst! Läufst du frei­wil­lig, oder sol­len wir dich kopp­heis­tern …?«

Ku­falt läuft schon, es ist ver­rückt, aber er läuft, es ist aus­sichts­los, aber er läuft schon …

Frie­dens­heim, al­tes gu­tes Frie­dens­heim, al­tes sor­gen­lo­ses Frie­dens­heim in der Ap­fel­stra­ße …!

»’n Abend, Min­na! Wol­le-Ted­dy zu Hau­se? Nee, will ihn gar nicht se­hen. Pe­ter­sen da? Im Ge­sell­schafts­zim­mer? Nee, will ihn gar nicht se­hen. Beer­boom da? Nee, nee, ich hol Sie nicht durch den Ka­kao, hab ich nie ge­macht. – Beer­boom da? Oben im Schlaf­saal? Heult? Na schön, las­sen Sie mich mal rauf. Dür­fen Sie nicht? Ach, Min­na, Gold­min­na, sü­ßes Ekel, las­sen Sie mich ein­mal rauf, mich, Ihren al­ten Heim­bru­der! Ich frag ihn nur was, Min­na, ich geh gleich wie­der weg, Sie krie­gen auch einen …«

»Mit wem spre­chen Sie denn da un­ter der Tür, Min­na?« er­tönt kla­gend Frau Sei­den­zopfs Stim­me. »Fan­gen Sie mir bloß das nicht an in mei­nem Hau­se, mit frem­den Her­ren!«

»Ist bloß der Ku­falt, Frau Sei­den­zopf. Will den Beer­boom be­su­chen, ich lass ihn schon nicht rein, Frau Sei­den­zopf …«

Und Min­na schrammt die Tür zu.

Ku­falt steht drau­ßen.

O Gott, o Gott, was mach ich? Lauf ich zu de­nen zu­rück ohne Bert­hold, schimp­fen die bloß … Und noch mal klin­geln? Nach­her er­zählt es Sei­den­zopf dem Mar­ce­tus, und ich flie­ge gleich …

Er steht un­schlüs­sig. Schließ­lich schleicht er durch den Vor­gar­ten, den­sel­ben Vor­gar­ten, in dem ein­mal der heu­te sehn­süch­tig ge­such­te Bert­hold – den Hut im Mun­de – kroch. Ku­falt lugt durch das Fens­ter­git­ter, klopft kräf­tig ge­gen die Schei­be des Ge­sell­schafts­zim­mers.

Es ist rich­tig Pe­ter­sen, der her­aus­schaut, zwei oder drei Köp­fe hin­ter ihm.

»Gu­ten Abend, Herr Pe­ter­sen. Wür­den Sie wohl so freund­lich sein, Herrn Beer­boom ans Fens­ter zu ru­fen? Es han­delt sich um et­was sehr Wich­ti­ges …«

Nun ist es doch so, dass Ku­falt und Pe­ter­sen sich nie wie­der ganz rich­tig aus­ge­söhnt ha­ben, seit je­nem Abend mit dem miss­glück­ten Aus­flug. Also legt Pe­ter­sen sein Ge­sicht in be­denk­li­che Fal­ten. »Sie wis­sen, Ku­falt, Herr Ku­falt, die Haus­ord­nung, ich müss­te erst mal Herrn Sei­den­zopf fra­gen.«

»Ach, sei­en Sie doch nicht so, Herr Pe­ter­sen. Sie wis­sen doch, wie Va­ter Sei­den­zopf ist, der macht doch gleich wie­der um das biss­chen einen Hau­fen Ko­ko­lo­res. Ich ver­spre­che Ih­nen, es dau­ert kei­ne zwei Mi­nu­ten. Sie kön­nen al­les mit an­hö­ren …« Und als er das Ge­sicht des an­de­ren sieht: »Es ist wirk­lich sehr wich­tig für mich und mein Fort­kom­men …«

Pe­ter­sen, Stu­dent Pe­ter­sen, Be­ra­ter und Freund der Straf­ent­las­se­nen, wiegt den Kopf. »Nein, lie­ber Herr Ku­falt, die Haus­ord­nung … na­tür­lich gehe ich ger­ne zu Herrn Sei­den­zopf, wenn Sie es wün­schen …«

»Also lässt du es, du Dus­sel!« brüllt Ku­falt plötz­lich wü­tend, am meis­ten wü­tend, weil er um­sonst ge­bet­telt hat – und geht los.

Der hin­ter ihm ruft plötz­lich mit ganz an­de­rer Stim­me: »Ku­falt! Herr Ku­falt!! Hö­ren Sie mal …«

Ach was, denkt Ku­falt er­bit­tert, »Hö­ren Sie mal« ist ge­nau­so ein Ar­sch­loch wie ich. Erst große Töne und nach­her schlapp. Geh ich nun wie­der zu de­nen, schmei­ßen sie mich die Trep­pe run­ter, Topf voll Brei und kein Löf­fel zu krie­gen. Geh ich nach Hau­se, denk ich an die Lie­se, Topf voll Brei und so wei­ter – geh – ich – aber …

Er hat plötz­lich eine Idee, macht kehrt, rennt am Frie­dens­heim vor­bei (das Fens­ter zum Ge­sell­schafts­raum steht noch of­fen), er­wi­scht eine Elek­tri­sche und fährt hin­un­ter zur Lan­gen Rei­he.

Die Lan­ge Rei­he ist zwar nicht sehr lang, aber auch nicht über­mä­ßig kurz, von Haus zu Haus zu fra­gen wäre ein we­nig schwie­rig. Aber wozu gibt es Knei­pen, in de­nen Bert­hold si­cher gu­ter Gast ist, zu­mal ein Bert­hold, dem es, wie Beer­boom ge­sagt hat, gut geht?

»Bert­hold?« fragt der Mann hin­ter der Ton­bank gleich in der zwei­ten Knei­pe, »Sie mei­nen wohl Herrn Dok­tor Bert­hold? Was wol­len Sie denn von dem? Geld?«

»Ich bin doch auch Dok­tor der Na­tio­nal­öko­no­mie«, sagt Ku­falt vor­wurfs­voll.

»Ach so, ach so, ent­schul­di­gen Sie man, Herr Dok­tor! Herr Dok­tor Bert­hold sitzt im Hin­ter­zim­mer. Da durch!«

»Bert­hold! Herr Bert­hold!« be­schwört Ku­falt den lang­na­si­gen, blei­chen Mann. »Sei­en Sie doch einen Au­gen­blick nüch­tern! Sie kön­nen doch Geld ver­die­nen! Viel Geld. Es han­delt sich um drei­tau­send Mark.«

»Spat­zen«, sagt der Be­trun­ke­ne. »Gar kein Geld. Oder willst du Geld von mir? Dann schmeißt dich der Adi an der Ton­bank gleich raus.«

»Hö­ren Sie ein­mal zu, Herr Bert­hold …«, fängt Ku­falt noch­mals an. »Es han­delt sich dar­um …«

Er er­zählt es noch ein­mal, lang­sam, Wort für Wort, der an­de­re scheint zu­zu­hö­ren, nickt, sagt ein­mal Prost –: »Rich­tig mit Ku­ver­tie­ren und Mar­ken­le­cken, ja, pfui Deu­bel! Magst du ’nen Rum­grog?«

»Und Sie se­hen doch ein, Herr Bert­hold, so was darf man sich nicht ent­ge­hen las­sen, wo so viel Geld zu ver­die­nen ist.«

»Gar kein Geld«, be­harrt Bert­hold und trinkt.

»Aber ich habe Ih­nen doch al­les er­klärt, drei­hun­dert­tau­send Adres­sen, viel­leicht zehn Mark das Tau­send, macht drei­tau­send Mark. Sie sol­len auch gut ab­ha­ben, Herr Bert­hold.«

»An­ge­schis­se­ne Hüh­ner«, grinst Bert­hold. »Ham­bur­ger 128 gib­t’s gar nicht in Barm­beck.«

»Aber wenn ich es Ih­nen doch sage! Jetzt brau­chen Sie auch gar nicht da­hin, jetzt sol­len Sie nur mit mir zu mei­nen Freun­den, um die Sa­che zu be­spre­chen.«

»Adi«, ruft Bert­hold. »Bring ’nen Stadt­plan. Der glaubt hier noch an Ge­druck­tes.« Und zu Ku­falt: »Du Stroh­kopf, ihr Stroh­köp­fe, euch nimmt ja je­der Bau­ern­fän­ger hoch. Ga­no­ven seid ihr? Trot­tel seid ihr, Idio­ten seid ihr, Flach­köp­fe seid ihr …«