Und nun wurde es wirklich und wahrhaftig die herrlichste Sache von der Welt.
Es zeigte sich, dass – von dem immer schmierig aussehenden Öser und von dem ewig pupenjungenhaft gekleideten Monte abgesehen –, dass alle anderen Würde und Ernst der Stunde begriffen hatten: Nicht nur das Geld brachten sie mit, nein, auch umgekleidet hatten sie sich. Selbst der wilde Jänsch sah nahezu elegant und fast glatt rasiert aus, und Deutschmann kam sogar, trotz des glühenden Sommernachmittags, im Cut und mit einem schwarzen steifen Hut.
Sie umstanden ihn und stimmten einen Brummgesang an:
»Die Melone …«
»Und der Judenhelm …«
»Ach, dein süßer, steifer Schwarzer …« (Natürlich Monte.)
»Mit dem Bibi, kleiner Schelm …«
Deutschmann ertrug diese etwas lärmende Bewunderung mit lächelnder Gelassenheit. Maack belohnte ihn. »Du, Deutschmann, gehst mit Fasse und mietest uns ein Geschäftslokal. Möglichst in der Nähe von der Firma – wie heißt sie doch?«
»Emil Gnutzmann, Stielings Nachfolger«, half Kufalt aus.
»Also schön. Ein Zimmer genügt. Meinethalben unterm Dach. Gutes Licht. Nicht mehr als dreißig Mark …«
»Ob ich das schaffe?«
»Keinesfalls mehr als dreißig Mark!!! Hier hast du Geld, unterschreib die Quittung. Und lass dir eine von unserem neuen Hauswirt geben …«
»In Ordnung«, sagt Deutschmann. »Mach ich. Wer sorgt für Lampen?«
»Wart’s ab. Sie, Herr Jänsch …«
»Hör bloß mit dem Getu auf! Hier nennen wir uns jetzt alle du, wo wir schon unser Geld zusammengeschmissen haben.«
Maack sagt höflich: »Danke schön, Jänsch. Also, ich bitte dich, geh mit Sager und Monte los und besorg die Möbel. Vielleicht kriegt ihr Leihmöbel, sonst kauft ihr einfach Böcke, über die man Bretter nageln kann. Dazu drei, vier alte Ziehlampen. Hier ist Geld und Quittung. Und bitte Belege mitbringen.«
»Versteht sich alles. Sabbel bloß nicht so viel.«
»Ich geh mit Kufalt und besorg die Maschinen. Um sieben Uhr dreißig treffen wir uns hier bei Kufalt wieder und melden, wie alles erledigt ist.« Mit ernster Besorgnis: »Aber, Jungens, ihr wisst, es muss klappen, morgen müssen wir unbedingt sitzen und tippen.«
»Besorg du nur die Maschinen, ich schaff die Möbel schon an.«
»Und ich die Wohnung.«
»Und was mach ich?« fragt Öser.
»Ja, du«, sagt Maack und wird von einer fast verlegenen Feierlichkeit ergriffen. »Für dich hab ich einen Spezialauftrag …«
»Quatsch dich rein aus. Dass ich die dreckigste Arbeit machen soll, ist mir schon klar.«
»Gar nicht. Nur, ich weiß nicht, ob es dir unangenehm ist. Ich muss dich was fragen, ich habe mal so was gehört …«
»Nu aber los, Maack«, sagt Jänsch.
»Ich hör zu«, sagt Öser. »Zuhören kann man, man muss nicht gleich hauen.«
»Also, ich hab so was gehört, Öser«, fängt Maack wieder an, »aber es kann natürlich Gesabbel gewesen sein …«
»Jetzt hau ich aber gleich!« erklärt Jänsch.
»Falschmünzerei?« fragt Maack.
Öser ist ein langer, schlenkriger Mann, Mitte der Dreißiger, mit einem kantigen, scharfen Gesicht, fuchsroten Haaren, langen Händen mit komischen Fingern, die überall Buckel zu haben scheinen.
»Sabbel nur weiter«, sagt er. »Ich hör schon zu …«
»Ihr wisst doch, der Kufalt soll morgen eine Bestätigung abgeben über die Vereinbarung zwischen unserer und deren Firma. Nun haben wir doch keine Briefbogen mit Firmeneindruck und kriegen so schnell keine und wissen noch nicht mal, wo wir wohnen. – Ob du das wohl kannst, dass du uns einen oder zwei Briefbogen machst, mit der Hand, weißt du, dass sie genauso wie gedruckt aussehen? Hast du mal die von Presto gesehen …?«
»Red nur weiter, ich schlag dir schon zur rechten Zeit hinter die Löffel.«
Aber Öser grinst.
Darum fährt Maack auch eifriger fort: »Briefbogen müssen wir haben, es macht sonst einen zu schlechten Eindruck. Und, weißt du, es müsste ein bisschen nett aussehen, so was Modernes, vielleicht ein junges Mädchen an der Schreibmaschine, Schreibstube Cito-Presto, modernster Betrieb des Kontinents, und dann noch: Unerhört rasch – unerhört billig – unerhört genau, und ein Blitz vielleicht durch alles. Weil wir so schnell arbeiten. Aber es müsste genau wie Gedrucktes aussehen …«
»Arschloch!« brüllt Öser los, aber begeistert, »Hund, dämlicher! Ich habe Zwanzigmarkscheine gemacht, mit den Guillochelinien, das sind die ganz feinen verschlungenen Linien, die kein Mensch nachmachen kann, und ich hab sie nachgemacht, und kein Mensch hat’s gemerkt, und die Reichsbank hat sie in Zahlung genommen – und ich soll nicht so ’nen Pimpel-Pampel-Pumpel-Druck-Briefbogen nachmachen können?!!! Kohlköppe ihr, von wegen Blitz, weil wir so schnell arbeiten! Haut bloß alle ab, lasst mich allein, und heute Abend um sieben Uhr dreißig sollt ihr Bauklötzer husten! Gib fünf Mark her, ich unterschreib, kriegst nachher die Belege … Geht doch los, ihr, glotzt nicht so – Kindersch, so ’ne Arbeit, das ist doch ’ne Arbeit für ’nen Facharbeiter! Ich hab immer gedacht (glotzt nicht so!), wenn ich so ’ne Arbeit noch mal im Leben kriege, aber solide, solide, denn bei mir stinkt’s immer nach Zet … ach, haut bloß ab, lasst ’nen Arbeiter seine Arbeit alleine arbeiten … Haut bloß ab!«
»Der ist ja rein durchgedreht!«
»Na, mach’s gut, Öser!«
»Mach man bloß keine Zwanzigmarkscheine auf die Bogen!«
Und lachend ziehen sie los.
Sicher war die Aufgabe keiner Abteilung ganz leicht, aber ebenso sicher – darüber waren sich Maack und Kufalt ganz einig –: Ihre Aufgabe war die schwerste. Sechs Schreibmaschinen für hundertachtzig borgen, leihen, kaufen – das war schon so eine Sache.
Sie hatten ihre Hoffnung auf Herrn Louis Grünspohm gesetzt.
Louis Grünspohm inserierte regelmäßig in den Hamburger Zeitungen, dass man auf seinem unerhört reichhaltigen Lager gebrauchte und neue Maschinen, die modernsten Maschinen aller Systeme, kaufen könne. In Monatsraten von zehn Mark an!
Es erwies sich, dass das Geschäftslokal des Herrn Grünspohm in einer etwas abgelegenen, dunklen Trödelgasse lag, dass Herr Grünspohm ein langer, bleicher, strubbelbärtiger Mann war, der über Schreibmaschinen aller Modelle seit Erfindung der Schreibmaschine an befehligte, dass man aber mindestens einen Ministerpräsidenten oder Bankdirektor als Referenz aufgeben musste, um in den Genuss einer Monatsrate von zehn Mark zu gelangen.
Grünspohm sah die beiden Kunden mit seinen eiligen, trüben, schwarzen Äuglein unverwandt an und sagte dabei: »Nehmen Sie doch die! So eine schöne Maschine! Neunzig Mark, zwei Drittel Anzahlung bar, der Rest auf Vierteljahreswechsel mit einem guten, sicheren Giranten.«
Die beiden sahen die schöne Maschine an: Sie trug auf ihrer Stirn eine Tabelle mit Buchstaben, eine Nadel tippte den gewünschten Buchstaben, eine Walze kam ins Trudeln und wackelte gegen das Papier, oho, oho, schon stand ein Buchstabe auf dem Papier – Kufalt und Maack bewegten die Schultern.
»So ein schönes Maschinchen«, versicherte Herr Grünspohm. »Wie eine Puppe schreibt es, wie eine Puppe!« (Und das war nicht einmal gelogen.)
»Ich will Ihnen was sagen«, erklärte Maack. »Wir machen eine Schreibstube auf, wir sind eine junge Firma, wir haben gute Aufträge, wir haben sogar glänzende Aufträge. Aber wir brauchen innerhalb drei Stunden sechs Maschinen, große, moderne Büromaschinen, verstehen Sie! Wir zahlen Ihnen pro Maschine dreißig Mark an und den Rest in Monatsraten von dreißig – nun, was meinst du? – von vierzig Mark.«
Kufalt nickt beistimmend, Herr Grünspohm bewegt nachdenklich den Kopf. »Von wem sind denn die großen, glänzenden Aufträge, wenn ich die Herren fragen darf?«
Kufalt und Maack wechseln einen Blick.
Kufalt sagt: »Zum Beispiel von einer Textilfirma. Emil Gnutzmann, Stielings Nachfolger.«
Grünspohm nickt beistimmend. »Eine schöne Firma. Eine solide Firma. Schreibt Adler, kauft direkt beim Vertreter. Ich hab ihr ein paar alte Maschinen abgekauft – handeln kann der Herr Bär – grausig!«
»Da haben Sie recht«, lacht Kufalt. »Mit mir hat er auch so gehandelt. Hab ich geschwitzt, bis ich den Auftrag hatte!«
Herr Grünspohm ist fröhlicher geworden, ist nicht mehr so bekümmert. »Und wie groß ist der Auftrag, wenn ich die Herren fragen darf?«
»Ungefähr dreitausend Mark reiner Arbeitsverdienst«, sagt Maack feierlich.
Herr Grünspohm denkt nach. Er geht hin und her, dann hat er einen Entschluss gefasst, er bleibt vor den beiden stehen.
»Weil Sie jung sind, und Sie wollen arbeiten, und Sie sehen ehrlich aus und anständig, will ich Ihnen ein Angebot machen: Ich liefere Ihnen morgen früh um zehn sechs Maschinen, so gut wie neu …«
»Nicht so gut wie neu – neu!« sagt Maack.
»So gut wie neu«, sagt Herr Grünspohm unbeugsam. »Gute Ware: Mercedes, Adler, Underwood, AEG … Sie zahlen mir dreihundert Mark an und bringen mir eine Bescheinigung von Herrn Bär, dass ich mir heut in einem Monat tausendfünfhundert Mark von Ihrem Arbeitsverdienst abholen kann …«
»Ausgeschlossen!« schreit Kufalt. »Wovon sollen wir denn leben?«
»Das sind dreihundert Mark für ’ne alte Maschine! Sie sind ja nicht ganz in Ordnung!« protestiert Maack.
»Sie schneiden uns den Hals ab, weil Sie merken, wir haben den Auftrag und keine Maschinen.«
»Nu, nu«, sagt Grünspohm. »Es ist ein Angebot. Gehen Sie durch ganz Hamburg, und horchen Sie, ob Ihnen noch jemand so ein Angebot macht.«
»Das glaub ich«, höhnt Kufalt. »So was riskiert keiner!«
»Überlegen Sie sich’s, die Herren«, sagt Grünspohm. »Eine schöne, nette Bescheinigung von der Firma Gnutzmann, mit dem Namen des Herrn Bär, und ich will …«, er gibt sich einen Stoß, »… ich will nicht so sein, ich will sagen, zweihundert Anzahlung.«
»Das möchten Sie«, sagt Kufalt.
Aber Maack, plötzlich sehr höflich: »Also guten Tag, Herr Grünspohm, vielleicht überlegen wir es uns wirklich.«
»Maack …!« sagt Kufalt.
»Guten Tag, die Herren«, sagt Grünspohm. »Sie kommen.« Er geleitet sie zur Tür. »Sie kommen wieder. Und ich gebe Ihnen auch wirklich schöne Maschinchen …«
*
Sie sitzen auf einer Bank und rauchen.
»Ich versteh dich nicht, Maack«, sagt Kufalt, »wenn wir zwölfhundert Mark abtreten und ziehen dann noch dreihundertzwanzig Mark ab, die wir für die Unkosten aufgebracht haben, dann bleiben kaum noch dreizehnhundert Mark Arbeitslohn für uns, das macht auf die Nase …«
Er rechnet.
»Hundertsechzig Mark und eine bezahlte Schreibmaschine«, sagt Maack. »Das ist gar nicht schlecht, wenn man eine eigene Schreibmaschine hat.«
»Aber wir sind acht, und es sind nur sechs Maschinen«, beharrt Kufalt.
»Der Monte guckt in den Mond, der Dussel – wozu drängt er sich auf?«
»Und ich …?!«
»Dir geben wir deinen Anteil in Geld.«
»Da kann ich lange drauf warten, da seh ich auch in den Mond«, sagt Kufalt bitter.
Eine Weile schwiegen sie.
»Und ich geh nicht zu Bär«, ruft Kufalt plötzlich. »Und ich hol mir die Bescheinigung nicht. Der schmeißt mich einfach raus, wenn er erfährt, ich hab den Auftrag geholt, und wir haben nicht einmal Maschinen. Ich geh nicht hin! Ich tu’s und tu’s nicht.«
»Sollst du auch nicht«, sagt Maack langsam.
»Wieso?«
»Ich sag: sollst du auch nicht.«
»Wieso …?!«
»Öser kriegt so ’ne Bestätigung schon hin.«
Lange, lange Stille. Sie sehen sich nicht an.
Da sitzen sie auf ihrer Bank, sie sind eigentlich sehr nett gekleidet, sie sehen gar nicht übel aus, die beiden, an diesem schönen Sommernachmittag. Sie rauchen Juno, sie sind Menschen mit Arbeitskraft und Hirn, zu was zu brauchen, äußerlich sieht man ihnen nichts an.
»Öser …«, hat Maack gesagt.
Nein, sie sind gehandikapte Menschen, verkorkste Menschen, in ihnen sitzt – mit einer Straftat fing es an, im Kittchen ging es weiter, nach der Entlassung wurde es vollendet –, in ihnen sitzt das Gefühl, dass sie es doch auf dem normalen Wege nicht schaffen, dass sie nie, nie wieder in ein ruhiges, bürgerliches Leben zurück können. Sie leben am Rande des Daseins, jeder Klatsch bedroht sie, jeder Schutzmann, jeder von der Krimpo,1 Briefe bedrohen sie, Kittchengenossen bedrohen sie, Reden im Schlaf bedroht sie, der Beamte auf dem Wohlfahrtsamt bedroht sie – am schlimmsten bedroht sie ihr eigenes Ich. Sie glauben nicht mehr an sich, sie trauen sich nicht mehr – es geht ja doch einmal schief, wer einmal aus dem Blechnapf frisst, frisst immer wieder daraus.
»Öser«, hat Maack gesagt.
Und nun setzt er eilig hinzu: »Versteh doch, wir wollen den ollen Grünspohm ja gar nicht bescheißen. Der kriegt sein Geld am Monatsende eben von uns. Das kann ihm doch egal sein, von wem er sein Geld kriegt. Oder wir geben ihm die Maschinen zurück. Das können wir dann alles sehen, ein Monat ist eine lange Zeit.«
»Warum eigentlich?« fragt Kufalt. »Wir können es doch in anderen Geschäften noch mal versuchen.«
»Nein«, sagt Maack hartnäckig. »So ist es sicher am besten. Man weiß dann immer, dass man noch tun kann, was man will.«
»Das sagst du!« sagt Kufalt. »Maack, du hast gesagt, du willst nichts anfassen, und jetzt, wo wir Arbeit kriegen, willst du doch was anfassen? Ich versteh dich nicht.«
Maack brennt sich eine Zigarette an. Er blinzelt etwas, aber er sagt ganz ruhig: »Dussel du, ich sag dir doch, ich will nichts anfassen. Ich will nur sehen, wie es am Monatsende ist.«
»Ich will dir sagen, was du möchtest«, schreit Kufalt plötzlich erleuchtet, »du willst die Maschinen verscheuern und willst stiftengehen mit dem Gelde!«
Maack ist keine Spur beleidigt. Er rückt die Brille zurecht, spuckt etwas Tabak aus und sagt: »Und ich will dir sagen, was mit dir ist: Du hast hier eine, und darum hast du keine Traute.«
»Und du? Und deine Liese?« fragt Kufalt aufgeregt und denkt an das nette Ding mit den grellen Kirschenaugen und den Korkzieherlocken.
»Ach, die Weiber!« sagt Maack. »Weiber gibt’s überall.«
Er ist still und setzt dann hinzu: »Übrigens hat’s bei meiner geschnappt.«
Kufalt schweigt bestürzt still. Denn das ist schlimm für Maack, da verliert das kleine Lieschen seine Stellung – und was machen die beiden dann zu dreien? Aber – und er denkt immer hastiger – warum hat denn der Maack gerade jetzt seine Stellung in der Schreibstube aufgegeben – die war doch wenigstens was Sicheres, so glänzend, wie der schrieb!
Und plötzlich durchschießt ein Gedanke seinen Kopf, und er sagt aufgeregt: »O Maack, ich weiß es jetzt: Du hast uns alle bescheißen wollen um das ganze Geld! Wie du es hast machen wollen, weiß ich noch nicht. Aber du hast’s gewollt und hast abhauen wollen damit!«
»Ein bisschen hätte ich euch schon gelassen«, sagt Maack und grinst.
»Und warum erzählst du es mir jetzt« fragt Kufalt verblüfft.
»Weil ich es überhabe!« schreit der stille, selbstbeherrschte Maack plötzlich. »Weil ich es zum Kotzen überhabe! Das ganze Leben hier draußen stinkt mich an. Siehste, Kufalt, ich spiele immer den großen Ganoven, aber ich hab nur drei Monate abgerissen, noch weniger als der Patzig – und vier Jahre ist das schon her, und ich strample mich ab und arbeite wie ein Vieh und gönne mir nichts – und komme nicht weiter und komme nicht weiter! Sorgen über Sorgen, und der Jauch, das Schwein, und der scheinheilige Marcetus – alle treten sie rum auf einem, und zweimal hab ich ’ne Stellung gehabt und denke: Nun geht’s los mit Anständigkeit und aufwärts. Aber dann erfährt’s doch irgendeiner, und dann geht das los mit den schiefen Gesichtern und den Stichelreden, und dann sagt einer, sein Gummi ist weg, kann nur der Maack haben, und dem anderen fehlt Geld aus der Manteltasche – natürlich der Maack, der Maack, nur der Maack …«
Er ist aufgestanden und schreit beinahe. Vorübergehende gucken. Kufalt zieht ihn wieder auf die Bank und redet ihm zu.
Der Maack reißt die Brille ab und trocknet sich die Stirn.
»Und dann lässt einen der Chef kommen und sagt: ›Sie sehen selbst, es geht nicht. Ich will Ihnen nichts vorwerfen, aber Sie sehen selbst ein, nicht wahr?‹ Und nun, wo mein Mädchen den dicken Bauch hat, und sie sagt, sie lässt es sich nicht wegmachen, sie freut sich noch, das dämliche Aas, weil es von mir ist, ausgerechnet von mir …«
Maack schluckt, Kufalt sagt gar nichts.
»Und gestern früh, wo ich die Stellung im Export haben sollte, freue ich mich noch wie ein Stint und denke: Alles geht gut, und ich kann mit Lieschen irgendwo unterkriechen, und wir können ein Kind haben wie alle anderen …«
Er schluckt wieder. Und dann sagt er noch: »Und wie mir die wieder aus der Nase gegangen ist, weil bloß die Arschkriecher vorwärtskommen, da hab ich gedacht: Nun ist mir alles egal, jetzt sehe ich, dass ich schnell ein bisschen Geld ranschaffe, ganz egal wie. Da sorge ich doch noch ein bisschen fürs Lieschen, dass sie auch was vom Sitzen hat.«
Er hockt da, auf einer Bank im Grünen, zwischen den Bäumen des Zoos leuchtet die Sonne.
»Ich will dir was sagen, Peter«, sagt Kufalt, »jetzt sehen wir im Branchentelefonbuch nach, was es alles für Schreibmaschinenfirmen gibt. Und die klappere ich ganz allein ab, und du sollst sehen: Um sieben habe ich meine Schreibmaschinen …«
Maack schüttelt den Kopf.
»Doch! Doch!« protestiert Kufalt eifrig. Er lächelt.
»Ich glaube, es ist gar nicht so schwer. Wir haben bloß den Fehler gemacht, dass wir gleich alle sechs auf einmal verlangt haben. Du sollst sehen, wie schön es mit unserer Schreibstube klappen wird, und wir werden neue Aufträge bekommen, und du wirst noch mal ganz richtiger Schreibstubenvorsteher mit Gehalt bei uns und kotzt uns alle an, genau wie der Jauch. Und dein Lieschen kriegt ihr Kind, sollste sehen!«
1 Kriminalpolizei <<<
Es ist ein strahlender Sommermorgen, gegen neun Uhr, als die ganze Schreibstube Cito-Presto auf das Gnutzmannsche Textilwarenhaus anmarschiert. Die Herren Fasse und Monte ziehen einen vom neuen Hauswirt entliehenen Handwagen, den Herr Öser nachschiebt.
Auf dem Bürgersteig, etwas vor dem Wagen, gehen die Herren Maack und Kufalt, auf gleicher Höhe mit dem Gefährt. Herr Jänsch, der Weisungen wegen Verhaltens im Straßenverkehr gibt, befindet sich kurz vor den Herren Sager und Deutschmann. So ziehen sie dahin, kaum ein Wort wird gesprochen, höchstens dass Jänsch einmal ruft: »Steck den rechten Arm aus, wenn du um die rechte Ecke willst, Mensch, Monte« – also, eine ruhige Sache ist es, aber der Bedeutung dieser Stunde sind sich alle bewusst.
»Knorke, was?« fragt Deutschmann.
Und Herr Sager, dieser listige, überhöfliche Fuchs, sagt uneingeschränkt begeistert über solchen Aufzug: »Oberpiepenknorke!«
Sie langen an vor dem Textilhaus, und kurz und knapp trifft Herr Schreibstubenvorsteher Maack seine Anordnungen:
»Fasse, Monte – jeder an eine Straßenecke. Kommt Jauch oder jemand von Presto in Sicht, so pfeift ihr wie verabredet und geht in Deckung!«
»Sager, du hältst dich im Hausflur –: Ertönt der Pfiff, so stürmst du die Treppe hinauf und warnst uns.«
»Jänsch, Deutschmann, Öser, mit uns zum Verladen der Umschläge und des Adressenmaterials …«
»Kufalt, du stellst mich Herrn Bär vor. Wir übergeben ihm gemeinsam die Bestätigung.«
»Da will ich dabeisein«, bittet Öser. »Nur zusehen, Maack!«
»In Ordnung«, sagt Maack. »Los!«
Das Fräulein in der Anmeldung weiß schon Bescheid. »Da stehen die Umschläge. Erst mal hunderttausend. Die Adressen sind auf den Kartothekkarten in diesen Kästen – aber dass Sie uns keine Unordnung machen!«
»I wo, Fräulein«, sagt Jänsch. »Wir sind sooo genau!«
»Passt auf beim Runtertragen«, sagt Maack.
»Kartothekadressen – schreibt sich prima«, sagt Deutschmann.
»Könnten wir wohl Herrn Bär sprechen, Fräulein?« bittet Kufalt.
»Einen Augenblick, will mal nachsehen.« Und sie verschwindet.
»Nehmt mich mit«, fleht Öser.
»Wenn’s geht«, sagt Maack.
»Herr Bär lässt bitten«, verkündet das rückkehrende Fräulein.
Kufalt voran, Maack hinterdrein, nach ihnen quetscht sich noch Öser durch.
»Ich wollte mir erlauben, Ihnen unseren Schreibstubenvorsteher Maack vorzustellen, Herr Bär. – Herr Maack, Herr Bär …« Hinten starkes Räuspern. »Ach ja, Herr Öser, einer unserer Mitarbeiter …«
»Darf ich Ihnen die Bestätigung des uns gütigst erteilten Auftrages überreichen?« fragt Maack und entnimmt einer Brieftasche einen blütenweißen Umschlag, den er Herrn Bär hinter seinem Schreibtisch überreicht.
Der nimmt ihn achtlos, hält ihn in der Hand und sagt dabei: »Ihre Schreibstube kennt aber kein Aas, Herr Meierbeer.«
»Wir sind ein ganz junges Unternehmen«, sagt Maack.
»In einem halben Jahr wird ganz Hamburg unsere Schreibstube kennen«, behauptet stolz Kufalt.
»So«, sagt Herr Bär trocken und entfaltet den Brief.
Öser sagt gar nichts, aber aus brennenden Augen, mit Augen, die ihm fast aus dem Kopf treten, mit Stielaugen also, beobachtet er Herrn Bär und das Briefblatt in seiner Hand.
Aber Herr Bär sieht es noch nicht an. Er sagt lächelnd: »Euch Jungens kenne ich doch.«
Den dreien bleibt das Herz stehen. Schließlich rafft sich Kufalt auf, er räuspert sich und sagt mit merkwürdig rauer Stimme: »Wieso – Herr Bär?«
Herr Bär sagt gemütlich: »Na verzeihen Sie bloß. Sie sind ja ganz entgeistert. Aber dass Sie Arbeitslose sind, die irgendwie Wind von unserem Auftrag bekommen haben, und dass ich Sie für acht Mark auch gekriegt hätte, das habe ich nun mittlerweile kapiert.«
Drei Herzen schlagen wieder schneller.
»Na«, sagt Herr Bär abschließend, »mir kann’s jetzt egal sein. Die Hauptsache, der Auftrag wird tadellos erledigt. Und das wird er doch?«
»Jawohl, Herr Bär«, sagen drei glückliche Stimmen.
»Und dass ich keine Scherereien mit dem Arbeitsamt kriege, von wegen Schwarzarbeit und widerrechtlich Stempeln«, sagt Herr Bär und wendet sich dem Briefe zu.
»Ausgeschlossen«, sagt Maack. »Wir beziehen alle nichts.«
»Aber wirklich hübsch!« sagt Herr Bär und betrachtet den Briefbogen. »Aber wirklich wunderhübsch.«
Öser läuft vor Glück dunkelrot an.
Nein, er hat nichts gemacht von Blitz und so ’nem Quatsch (»als wenn wir ’ne Blitzableiterfirma wären!«): Oben steht hübsch in Druckschrift »Schreibstube Cito-Presto« – darunter kleiner: »Erledigung aller Büroarbeiten« – darunter wieder größer: »Unerreicht billig – unerreicht schnell – unerreicht exakt – unerreicht diskret« – Ort und Datum, alles wie sonst, alles wie üblich. Aber den ganzen linken Rand runter sind Zeichnungen: Oben sitzt ein Mädchen an der Schreibmaschine, sie hat getippt und reicht ihren Brief einem jungen Mann, der etwas tiefer steht. Und der reicht mit der anderen Hand ein ganzes Paket Briefe einem großen, breiten, bärtigen Mann, der – wieder tiefer – hinter einer Art Packtisch steht.
»Hübsch«, sagt Herr Bär noch mal. »Den Briefbogen heb ich mir auf, wenn er mal erledigt ist.« Er kann sich noch nicht trennen. Er grübelt. »Aber die Dame muss ich kennen, das Mädchen da an der Maschine. – Und den jungen Mann auch! – Und den Kerl mit dem Bart ja auch! Sagen Sie mal, wo haben Sie die her?«
»Ich weiß wirklich nicht«, sagt Maack. »Das hat ein Herr für uns gezeichnet.«
»Komisch«, sagt Herr Bär, legt den Brief hin und drückt auf eine Klingel. »Ich komm noch dahinter. Gesehen habe ich die bestimmt schon.«
Und als das Fräulein eintritt: »Schreiben Sie eine Bestätigung an die Schreibstube Cito-Presto, hier ist der Vorgang dazu. – Vorsicht damit! Nicht knittern, keine Flecke … ›Mit Ihrem Schreiben vom 15. 1. M. gehen wir konform und so weiter. Hochachtungsvoll.‹ So, und nun danke ich Ihnen, hoffentlich klappt alles.«
Die Fuhre zieht zurück zur Schreibstube Cito-Presto: hunderttausend Umschläge und Drucksachen, Kartothekkarten für dreihunderttausend Adressen, acht Glückliche.
»Du, Öser, komm doch mal«, ruft Kufalt plötzlich.
Öser kommt. »Nu?«
»Sag mal, Öser, wir, der Maack und ich, grübeln und grübeln, wir kennen die Leute auf dem Briefbogen auch, und wir kommen und kommen nicht darauf. Wer ist das Mädchen bloß?«
Öser erglänzt wieder vor Stolz, sagt aber nur kurz: »Elisabeth Holbein, geborene Schmidt, aus Basel.«
»Wie …?« fragen die beiden langgezogen und verstehen vorerst gar nichts. »War das ’ne Schönheitskönigin?«
»Ich sage es doch«, erklärt Öser unschuldig. »Und der junge Mann ist Dietrich Born, Kaufmann, und der mit dem Bart ist Hermann Hillebrandt Wedigh aus Köln!«
»Nie gehört. Wieso kennen wir die?«
»O ihr Ochsen«, bricht Öser plötzlich triumphierend aus. »Ihr Rindviecher! Das Mädchen, das ist das Mädchen aus dem Zwanzigmarkschein. Und der Jüngling ist aus dem Zehnmarkschein. Und der mit dem Bart ist aus dem Tausendmarkschein, und ich hab ihnen nur die Mützen und Hauben abgenommen, und alle sind nach Gemälden von Holbein – und keiner sieht’s! Und keiner sieht’s!!«
Er knufft die beiden Verblüfften in die Seite. »O Kinder, Kinder, bin ich glücklich … so was machen, und alle damit durch den Kakao ziehen …«
»Du bist ein schönes Schwein«, sagt Maack streng. »Du hast überhaupt nicht durch den Kakao zu ziehen. Adressen hast du zu schreiben!«
»Aber die muss ich doch kennen, das Mädchen an der Maschine!« ahmt Öser in den höchsten Tönen Herrn Bär nach.
Und alle drei brechen in ein tolles Gelächter aus.