Hans Fallada – Gesammelte Werke

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6

Es ist ge­gen zehn Uhr vor­mit­tags.

In der Schreib­stu­be Cito-Pre­sto ste­hen die sechs Schreib­ma­schi­nen schreib­be­reit. Ne­ben je­der sind auf­ge­häuft Stö­ße von blau­en Um­schlä­gen; Käs­ten mit blau­en, grü­nen, ro­ten, gel­ben Kar­to­thek­kar­ten sind ge­öff­net, aus je­dem ist eine An­zahl Blät­ter her­aus­ge­nom­men und liegt da, sich in Adres­sen zu ver­wan­deln. Vor den Ma­schi­nen sit­zen sechs Mann, die Hän­de ru­hen noch ta­ten­los auf dem Tisch oder im Schoß.

An ei­nem Eck­tisch sit­zen Ku­falt und Mon­te, die Druck­sa­chen sind auf­ge­sta­pelt, die Kar­ten sind noch säu­ber­lich ge­bün­delt, die Falz­mes­ser lie­gen be­reit.

Er­war­tungs­vol­le Stil­le herrscht.

Nun steht Maack auf, er schiebt die Bril­le zu­recht, er setzt an: »Mei­ne Her­ren …«

Schon hält er inne, er wird ein we­nig rot, als er sich ver­bes­sert: »Ka­me­ra­den!«

Er sieht sie alle der Rei­he nach an, und der Rei­he nach er­wi­dern sie sei­nen Blick.

»Ka­me­ra­den«, sagt Maack, und sei­ne Stim­me wird fri­scher, »gleich wer­den wir an­fan­gen zu schrei­ben, was wir seit Jahr und Tag ge­schrie­ben ha­ben: Adres­sen. Und doch ge­hen wir heu­te an eine neue hoff­nungs­vol­le Ar­beit: Wir ar­bei­ten al­lein für uns selbst!«

Er macht eine Pau­se.

Er sagt: »Wenn wir er­fül­len wol­len, was wir über­nom­men ha­ben, muss je­der von uns bei der Stan­ge blei­ben. Je­der von uns kann in die­sem Mo­nat viel Geld ver­die­nen. Ka­me­ra­den, spart es euch auf. Kei­ne Mäd­chen, kein Kino, kei­ne Trin­ke­rei, die­sen einen Mo­nat lang. Vi­el­leicht ge­lingt es uns dann.«

Wie­der eine Pau­se …

Maack hält inne, lä­chelt, er sagt: »Wir ha­ben ge­wis­ser­ma­ßen einen Mo­nat Be­wäh­rungs­frist, es wird mit uns noch ein­mal ver­sucht, wir ver­su­chen es mit uns noch ein­mal …«

Er steht da und lä­chelt noch im­mer. Dann ver­geht das Lä­cheln lang­sam, er sieht sich um, er sagt: »Ich den­ke, wir kön­nen mit Ar­bei­ten an­fan­gen.«

»Ei­nen Au­gen­blick, bit­te«, ruft Jäns­ch. »Ich will einen An­trag stel­len.«

»Ja?«

»Ich be­an­tra­ge, dass wir für die ei­gent­li­che Ar­beits­zeit ein Sprech­ver­bot ein­füh­ren. Jede Über­tre­tung wird mit ei­nem Gro­schen Stra­fe zu­guns­ten ei­ner Ge­mein­schafts­kas­se be­legt.«

Maack sieht sich fra­gend um. »Ich den­ke, das ist ein ver­nünf­ti­ger Vor­schlag. Ist je­mand da­ge­gen?«

»Aber …«, sagt Mon­te.

»Du hältst den Mund, Mon­te, du hast hier gar nichts mit­zu­re­den«, sagt Jäns­ch.

»Wenn ich hier mit­ar­bei­ten soll, will ich auch mit­re­den«, sagt Mon­te trot­zig.

»Klap­pe! sage ich dir«, sagt Jäns­ch dro­hend. »Oder …« Er hebt sei­ne Hän­de.

»Ich stel­le fest, dass der An­trag an­ge­nom­men ist«, sagt Maack. »Noch et­was?«

»Ja«, sagt Deutsch­mann, »ich be­an­tra­ge, dass un­ter den­sel­ben Be­din­gun­gen ein Rauch­ver­bot er­las­sen wird.«

Be­tre­te­nes Schwei­gen, denn fast alle sind lei­den­schaft­li­che Rau­cher.

»Rau­chen kos­tet nur Geld«, sagt Deutsch­mann über­re­dend, »hält in der Ar­beit auf, und so groß ist der Raum auch nicht, dass acht Mann un­un­ter­bro­chen qual­men kön­nen.«

»Das wird ja hier das rei­ne Kitt­chen«, sagt Öser un­zu­frie­den.

»Wenn ich nicht qual­men darf, macht mir der gan­ze Krem­pel kei­nen Spaß«, er­klärt Fas­se.

»Aber ver­nünf­tig ist es«, sagt Deutsch­mann.

»Fin­de ich auch«, sagt Maack. »Schließ­lich kann je­der, der will, eine auf dem Lo­kus sto­ßen.«

»Dann geht’s von der Ar­beits­zeit ab«, wi­der­spricht Sa­ger. »So kann man wäh­rend der Ar­beit rau­chen.«

Ver­dros­se­nes Schwei­gen.

»Soll ich ab­stim­men las­sen?« fragt Maack zö­gernd.

»Ich hab einen an­de­ren Vor­schlag«, sagt Ku­falt eif­rig, »alle zwei Stun­den oder mei­net­hal­ben alle an­dert­halb Stun­den darf je­der eine Zi­ga­ret­te rau­chen. Maack gibt das Si­gnal. Dann freut man sich im­mer drauf und ar­bei­tet umso schnel­ler.«

»Gut, der Mann! Sehr gut!« lobt ei­ner.

»Das ist ver­nünf­tig.«

»Bes­ser noch alle Stun­de!«

»Alle hal­be Stun­de!«

»Wa­rum nicht alle zehn Mi­nu­ten, du Dus­sel?«

»Ich den­ke also: alle an­dert­halb Stun­den«, sagt Maack. »Wer da­ge­gen ist, hebe die Hand. – Kei­ner. Der Vor­schlag Deutsch­mann-Ku­falt ist an­ge­nom­men. Noch ein Vor­schlag?«

Ei­nen Au­gen­blick Stil­le, dann sagt Jäns­ch: »Ich schla­ge vor, dass wir end­lich mit der Ar­beit an­fan­gen. Es ist schon zehn Uhr zwan­zig.«

»Los!« sagt Maack scharf. »An die Ar­beit, Ka­me­ra­den, an un­se­re Ar­beit.«

Und im glei­chen Au­gen­blick ist der Raum er­füllt von dem schar­fen, schmet­tern­den Klap­pern der Ma­schi­nen, die Glöck­chen klin­geln, die Wa­gen ras­seln, Um­schlag um Um­schlag, das fliegt!

Ku­falt falzt und falzt. »Bes­te deut­sche Qua­li­täts­wa­re aus der Fir­ma Emil Gnutz­mann – Stie­lings Nach­fol­ger, Tex­til-Ver­sand«, liest er auf dem Pro­spekt.

Ob ich je dazu kom­men wer­de, den In­halt zu le­sen? – Der Mon­te falzt nicht schlecht, er macht es min­des­tens eben­so schnell wie ich – man muss eben erst warm wer­den und den Dreh her­aus­ha­ben. – Fein habe ich das hin­ge­kriegt, ei­gent­lich ist al­les mein Werk, der Auf­trag und die Ma­schi­nen. – Na, im schlimms­ten Fal­le gebe ich die in ei­nem Mo­nat zu­rück …

Mon­te neigt sich zu ihm und flüs­tert: »Der hat aber an­ge­ge­ben, der Maack, für so ’ne Mist­ar­beit so ’ne Rede!«

»Maack«, sagt Ku­falt laut, »der Mon­te will dir einen Gro­schen ge­ben, we­gen Flüs­tern …«

Mon­te will pro­tes­tie­ren, aber Jäns­ch sagt: »Schnau­ze, du Aas!«

Worauf Maack sagt: »Jäns­ch, bit­te auch einen Gro­schen.«

Ge­läch­ter. Wei­ter. Wei­ter. Die ers­ten Hun­der­te sind fer­tig. Ku­falt holt sie, no­tiert sie für je­den (sie ar­bei­ten je­der für sich im Ak­kord), das Ein­ste­cken der ge­falz­ten Druck­sa­chen fängt an. Erst liegt nur ein klei­ner Hau­fen in der Zim­me­r­e­cke, dann wächst er, wächst, brei­tet sich aus, türmt sich hö­her …

»Elf Uhr fünf­zig«, sagt Maack. »Eine Zi­ga­ret­te.«

Und dann wie­der Schmet­tern, Fal­zen, Schmet­tern, Ein­ste­cken. Drau­ßen ist der Him­mel blau. Und so viel Son­ne … Sie sit­zen in ei­ner großen Dach­kam­mer, es wird heiß und hei­ßer. Wort­los macht Maack das Fens­ter auf, spä­ter öff­net Deutsch­mann die Tür. Jäns­ch zieht zu­erst die Ja­cke aus, dann fol­gen ihm die an­de­ren. Jäns­ch zieht zu­erst Kra­gen und Schlips ab, dann fol­gen ihm die an­de­ren. Jäns­ch zieht zu­erst das Hemd aus und schreibt mit bloßem Ober­kör­per –: brül­len­des Ge­läch­ter. Dann fol­gen ihm die an­de­ren.

Und Schmet­tern, Fal­zen, Schmet­tern, Ein­ste­cken.

»Ein Uhr zwan­zig«, sagt Maack. »Eine hal­be Stun­de Mit­tags­pau­se. Sprech­pau­se.«

Sie sind sehr auf­ge­regt, sie rech­nen, wie viel sie ge­schafft ha­ben, wie lan­ge sie wer­den ar­bei­ten müs­sen, um heu­te zehn­tau­send zu schaf­fen.

»Zwölf wird’s wohl wer­den«, sagt Maack sor­gen­voll.

»I wo«, ant­wor­tet Jäns­ch. »Man muss nur erst rich­tig rein­kom­men. Nicht spä­ter als elf.«

»Fei­ne Bude«, lacht Deutsch­mann. »Das soll­te Jauch se­hen, uns nack­te Män­ner.«

»Be­kommt aber der Ar­beit gut.«

»Kicks, Pu­pen­jun­ge«, schreit Fas­se.

»Ich ver­bit­te mir das«, kreischt Mon­te.

»An die Ar­beit«, ruft Maack. »Sprech­sper­re.« –

Um neun Uhr zwan­zig sagt Ku­falt fei­er­lich: »Zehn­tau­send Stück, mei­ne Her­ren, die ers­ten Zehn­tau­send.«

»Hur­ra!«

»Heil!«

Und die krei­schen­de Stim­me Mon­tes: »Ku­falt zahlt einen Gro­schen.«

»Tu ich. Mach ich«, sagt Ku­falt. Und die Fin­ger re­ckend: »O Kin­der, bin ich glück­lich!«

»Mor­gen früh um acht!« ruft Maack.

»Al­les all right«, schreit Sa­ger.

»Gu­ten Abend, die Her­ren.«

»… Ober­pie­pen­knor­ke …«

7

»Sie wer­den wohl un­so­li­de, Herr Ku­falt?« fragt Lie­se.

Sie steht auf dem dunklen Vor­platz, es ist zehn Uhr nachts, er ahnt ihr Ge­sicht mehr, als dass er es sieht. Deut­lich aber hört er den Spott in ih­rer Stim­me.

»Ja«, sagt er kurz und geht in sein Zim­mer.

»Sie sind wohl noch böse mit mir?« lacht sie und folgt ihm.

Er tritt ein, knipst das Licht an, legt sei­ne Map­pe auf einen Stuhl und zieht das Jackett aus.

»Ich bin müde, Fräu­lein Behn«, sagt er. »Ich möch­te gleich schla­fen ge­hen.«

Er wagt nicht mehr als einen flüch­ti­gen Blick auf sie, die un­ter der Tür steht. Si­cher hat sie schon im Bett ge­le­gen, sie hat einen Ba­de­man­tel an, ein hel­les, fröh­li­ches Ding aus Weiß und Gelb, ihre Bei­ne sind bloß, ihre Füße sind in klei­nen blau­en Schuh­chen.

»Män­ner …«, sagt sie, »sind ko­misch. Sie den­ken, wenn sie ein­mal mit ei­ner Frau ge­schla­fen ha­ben, ha­ben sie das Recht auf im­mer.«

Ihm wird heiß. Er spürt es schon wie­der wie eine glü­hen­de Wol­ke von ihr zu ihm. Aber er will nicht – wie hat Maack ge­sagt? Und einen Mo­nat kei­ne Mäd­chen. Ei­nen Mo­nat Be­wäh­rungs­frist. Und na­tür­lich: Heu­te kommt sie, am ers­ten Tag die­ses neu­en Mo­nats – Quä­le­rin, die!

»Ich den­ke gar nichts«, sagt er böse. »Ich bin müde, ich habe den gan­zen Tag schwer ge­ar­bei­tet, ich will schla­fen ge­hen – al­lein.« Er be­sinnt sich, will ein­hal­ten, und dann kommt doch wie­der die rote Wel­le über ihn, er sieht sie an. »Au­ßer­dem ha­ben Sie nicht mit mir ge­schla­fen, son­dern mit Beer­boom.«

»Zie­hen Sie sich ru­hig aus«, sagt sie. »Sie wer­den sich doch nicht vor mir ge­nie­ren?!«

 

»Nein«, sagt er und setzt sich in einen Stuhl am Fens­ter, so­dass er sie nicht sieht.

Ja, Stil­le. Ja, nichts.

Drau­ßen die Glei­se glän­zen im Licht, die La­ter­nen sind da, bald rot, bald grün, die große Schei­be ei­nes Vor­si­gnals fällt mit ei­nem leich­ten Klap­pen um, ein ei­li­ger Zug fährt schlank, in sei­nen Kup­pe­lun­gen klap­pernd, mit er­hell­ten Fens­tern vor­bei. Ja, es ist Nacht, es ist wei­che Som­mer­nacht, da sind die Bäu­me un­ten, sie bers­ten vor Wach­sen, al­les treibt, wird vol­ler, strömt über, als gäbe es nie Käl­te, Ver­wel­ken, Ende – gibt es nicht ein Lied: »Dies ist die Nacht der Lie­be …«?

Nein, nein, nein, nein, sie ist die Böse. Sie ist die Quä­le­rin. Heu­te so und mor­gen an­ders. Und alle Zeit nicht zu hal­ten … Ja, sie hat lei­se ge­ra­schelt, ein- oder zwei­mal, si­cher ist sie wei­ter ins Zim­mer ge­gan­gen – hat das sach­te zu­ge­zo­ge­ne Tür­schloss nicht ge­knackt? Vi­el­leicht steht sie schon hin­ter ihm, viel­leicht streckt sie schon ihre Hand nach sei­nem Haar aus, sei­nen Kopf zu­rück­zu­bie­gen zum Kuss, viel­leicht kommt sie schon zu ihm – wo bleibt sie?

Die­se Nacht, durch die im­mer­zu Züge fah­ren, ist so still! Es ist, als hiel­te al­les den Atem an, in ei­ner großen Er­war­tung. Ar­mes, ir­ren­des, schwa­ches Herz – ein neu­es Le­ben? Wa­rum auch war sie in je­ner Nacht in den Ham­mer Park ge­gan­gen, hat­te auf der­sel­ben Bank mit ihm ge­ses­sen, bei ei­nem an­de­ren Mann?

Aber er war nicht zu ihr ge­gan­gen! Bei ganz je­mand an­ders hat­te er ge­mie­tet. Und dann wie­der, in über­stürz­ter Hast, bei ganz je­mand an­ders. Und dort war sie ge­we­sen – Zu­fall? Und ent­ging man die­sem Zu­fall, der so gut Fal­len stell­te, nie? War al­les Weh­ren um­sonst?

Stil­le, ru­hi­ge Zel­le. Pen­sum stri­cken, Zu­satz­nah­rung, ein Topf mit Schmalz, aus­ge­bra­ten von den Schnei­dern, zwei Bü­cher die Wo­che. Man könn­te hin­aus­ge­hen aus dem Zim­mer, auf die Mön­cke­berg­stra­ße zum Bei­spiel, da ist im­mer Schu­po, man könn­te einen Schau­kas­ten ein­schla­gen, ir­gen­det­was her­aus­neh­men, eine Hand­ta­sche, einen Fo­to­ap­pa­rat, man wur­de ge­kitscht, und die gute große Ruhe kam, kei­ne Pro­ble­me, kei­ne Sor­gen, kein Kampf mehr.

Rief sie nicht eben: Komm?

Nein, er kam nicht. Noch nicht, viel­leicht nie.

Das hat­ten die an­de­ren Men­schen nicht, da­von wuss­ten sie nicht, dass es solch einen Aus­weg gab. Sie mach­ten den Gas­hahn auf, häng­ten sich in eine Seil­sch­lin­ge, schluck­ten Gift und ver­reck­ten mit auf­ge­trie­be­nen Bäu­chen, ver­dreh­ten Au­gen, im ei­ge­nen Dreck – er ging ein­fach hin und klau­te was, und schon war er in der Ruhe, in der ewi­gen Ge­duld, in der Wind­stil­le, auf der an­de­ren Wet­ter­sei­te des Le­bens.

Maack wuss­te auch dar­um, Mon­te wuss­te dar­um, Jäns­ch, Öser, Deutsch­mann, Fas­se – je­der von ih­nen! Die an­de­ren ver­stan­den es nie. Die be­grif­fen nicht, warum Be­straf­te so wa­ren, dass die Ge­fäng­nis­luft sie ver­än­dert hat­te, et­was war zer­setzt in ih­rem Blut, das Ge­hirn ver­än­dert. All das Le­ben hier drau­ßen war eine Sa­che auf Wi­der­ruf – jede Se­kun­de konn­te man wi­der­ru­fen.

Man konn­te die Lie­se tot­schla­gen, oder auch ihre Mut­ter, für die an­de­ren war so et­was un­aus­denk­bar – aber wie­so denn?! Aber warum denn?! –: Für ihn war es ganz in Ord­nung. Er hat­te fünf Jah­re mit sol­chen ge­lebt, mit Zu­häl­tern, Mör­dern, Die­ben – er wuss­te, sehr gut war so et­was zu ma­chen, es war nicht schwie­ri­ger als tau­send an­de­re Din­ge im Le­ben, si­cher war es leich­ter als Auf­hän­gen.

Sie wa­ren so ko­misch, die­se Men­schen drau­ßen, ir­gend­wie ka­pier­ten sie et­was nicht, von dem je­der Be­straf­te wuss­te. Le­bens­un­tüch­tig, ver­korkst, ein Schäd­ling, Feind der Ge­sell­schaft – nun ja. Nun ja. Hier saß er, Wil­li Ku­falt, um die Drei­ßig, aber ent­schlos­sen wie ein Vier­zehn­jäh­ri­ger in der Pu­ber­tät, vor je­dem Pro­blem Reiß­aus zu neh­men. War er so ge­we­sen? Nein, so war er ge­wor­den, so war er ge­macht wor­den! So hat­ten sie ihn fer­tig­ge­macht! Du spinnst ja, die kommt aus dem Kitt­chen, die Re­dens­art, im Kitt­chen hat­ten sie wohl frü­her ge­spon­nen. Sie hat­ten wei­ter nichts ge­macht als Spin­nen, eine Ar­beit, eine ganz nor­ma­le Hand­ar­beit, wenn man sie nicht in der Kitt­chen­luft macht, aber dort eben wur­de dar­aus: Du spinnst ja. Bei ihm, bei Ku­falt muss­te es hei­ßen: Du strickst ja. Er hat­te fünf Jah­re ge­strickt. Nun strick­te er. Sein Le­ben lang. Sein – Le­ben – lang.

Hat­te sie nicht eben ge­flüs­tert: Nun komm doch end­lich …? Ja, schön, er wür­de kom­men, oder er wür­de auch nicht kom­men, aber na­tür­lich wür­de er kom­men. Er tat, was ihm be­geg­net, was man von ihm er­war­te­te, er wür­de im­mer tun, was man von ihm ver­lang­te. Das hat­te man ihn ge­lehrt, das saß fest: »Geh durch die Tür … Schreib heu­te Brief …«

Schön, schön.

Aber jetzt saß er erst ein­mal hier, ganz be­hag­lich un­ter­ge­bracht am Fens­ter. Moch­te sie war­ten, auch er hat­te war­ten müs­sen, erst fünf Jah­re, dann drei­ei­ne­hal­be und vier Wo­chen auf die jun­ge Dame, die ihn in sei­nem Bett be­such­te.

Rauch und Haar und Fleisch.

Gut. Rauch und Haar und Fleisch.

Es war Un­sinn, das mit der ei­ge­nen Schreib­stu­be, er hat­te Maack her­um­ge­re­det, er konn­te sich einen Schwung ge­ben, dass er sechs Schreib­ma­schi­nen­händ­ler nach­ein­an­der über­re­de­te, ihm je eine Schreib­ma­schi­ne auf die ein­zi­ge Si­cher­heit im­mer des glei­chen po­li­zei­li­chen Mel­de­scheins auf Ra­ten zu ver­kau­fen – aber sich selbst konn­te er nichts vor­ma­chen. Es saß in ihm. Man schrieb Dok­tor mit c, man müss­te ein ein­fa­ches Mäd­chen ha­ben, und man häng­te sich an eine Lie­se …

»Du, Lie­se …«, sagt er.

Nichts.

Si­cher war sie – wie da­mals – in sein Bett ge­kro­chen, viel­leicht schlief sie schon. Ach, der leicht­ge­bo­ge­ne Na­cken, durch des­sen Haut kaum merk­lich die Hals­wir­bel­kno­chen tra­ten …

»Lie­se – liebs­te Lie­se …«

Er sieht sich um.

Na­tür­lich, das Bett ist leer, das Zim­mer ist leer, von au­ßen wur­de die Tür zu­ge­macht.

Und er hat es ge­wusst, er hat es na­tür­lich die gan­ze Zeit ge­wusst, er hat sich ein Thea­ter vor­ge­spielt. War es nicht bei­na­he sehr gut, dass sie ge­gan­gen war? Sehn­sucht ist bes­ser als Er­fül­lung – im Kitt­chen ge­lernt; ein Weib zu be­geh­ren ist bes­ser, als es zu be­sit­zen – im Kitt­chen ge­lernt; Er­fül­lung im Hirn ist bes­ser als Er­fül­lung im Fleisch – dito Kitt­chen.

Ei­nen Au­gen­blick steht er ent­schluss­los in der Mit­te des Zim­mers, dann fängt er lang­sam an, sich aus­zu­zie­hen. Er legt sei­ne Wä­sche säu­ber­lich auf den Stuhl, hängt Ja­cke und Wes­te über den Bü­gel, macht die Ho­sen im Span­ner fest. Er wäscht sich Ge­sicht und Hän­de, spült den Mund …

… Und er nimmt De­cke und Kopf­kis­sen aus dem Bett, mit nack­ten, lei­sen Fü­ßen schleicht er auf den Vor­platz vor die Tür ih­res Zim­mers, dort legt er sein Bett­zeug hin, geht noch ein­mal in sein Zim­mer zu­rück, um das Licht zu lö­schen. Dann packt er sich hin vor ihre Türe, wi­ckelt sich in sei­ne De­cke.

Es ist schon dun­kel in ih­rem Zim­mer, kein Licht­schein dringt durch die Tür­rit­ze, sie schläft wohl schon, kein Laut kommt aus dem Raum.

Da liegt er, er schläft nicht, durch sein Hirn und Herz geht es: Da lie­ge ich, bit­te, komm nicht, hebe mich nicht auf. Es ist so schön, vor dir zu lie­gen und ver­ach­tet zu sein …

Und schließ­lich schläft er dann wohl ein …

Er wacht auf von ih­rem Blick. Sie kniet ne­ben ihm, sie hat den Arm un­ter sei­nen Hals ge­scho­ben, den Kopf an ihre Brust ge­zo­gen.

»O mein Lie­ber«, flüs­tert sie. »Mein Lie­ber – ist es so schwer?«

»Süß ist es«, flüs­tert er, noch halb in Traum und Schlaf. »Sehr süß ist es.«

»Es ist schon so spät, Lie­ber«, flüs­tert sie. »Du musst gleich auf­ste­hen. Und ich muss auch fort aufs Büro. – Aber heu­te Abend, nicht wahr, heu­te Abend …?!«

»Lass es so, Lie­se, lass es so, Quä­le­rin.«

»Schön soll es sein«, flüs­tert sie wie­der. »So schön will ich es für dich ma­chen. Nicht wahr, du wirst früh hier sein. Ich war­te auf dich.«

»Lass es so. Lass es so.«

»Wirst du früh kom­men? Ganz früh?«

Oh, der gute Duft aus ih­rer Brust!

»Ich will se­hen … so früh es geht … so früh ich im­mer kann …«

»Oh, du mein Liebs­ter!«

8

»Na, schön«, sagt Herr Bär, »na, ganz schön.«

Er macht Stich­pro­ben in der ers­ten Zehn­tau­sen­der-Ab­lie­fe­rung, nimmt hier, dort einen Um­schlag aus den Stö­ßen und prüft ihn.

»Wenn Sie so da­beiblei­ben, wer­den wir kei­nen Streit krie­gen.«

Ku­falt ver­beugt sich und er­klärt: »Das wird noch viel bes­ser. Wir müs­sen uns nur erst rich­tig ein­schrei­ben.«

»Na, schön, Herr Mei­er­beer«, sagt Herr Bär noch ein­mal und sieht Ku­falt freund­lich an. »Dann also gu­ten Mor­gen.«

Aber Ku­falt weicht nicht, und auch Mon­te sieht ihn vor­wurfs­voll an. »Ein biss­chen Geld, Herr Bär, nur ’ne Klei­nig­keit.«

»Schön, schön«, sagt Herr Bär. »Sie wol­len also wirk­lich täg­lich Ihr Geld ha­ben? Mei­net­hal­ben. Wie viel macht es doch?«

»Drei­und­neun­zig fünf­zig«, sagt Ku­falt.

»Gut. Hier ha­ben Sie eine An­wei­sung auf die Kas­se. Las­sen Sie sich das Geld ge­ben. Gu­ten Mor­gen.«

»Schö­nen Dank. Und gu­ten Mor­gen.«

Sie wan­dern ge­mein­sam ver­gnügt aus dem Haus, macht pro Nee­se bei­nah zwölf Mark, o Jun­ge, Jun­ge, für einen ein­zi­gen Tag Ar­beit …

»Halt! Da guckt wer um die An­schlag­säu­le! Los, lauf doch los, Mon­te!«

Sie lau­fen, sie um­run­den die An­schlag­säu­le von bei­den Sei­ten: nichts!

»Wie man sich ir­ren kann. Ich hät­te ge­schwo­ren, der Ja­blon­ski, weißt du, der so ein biss­chen hin­kt, aus der Pre­sto, lins­te nach uns.«

»Hast ge­träumt.«

»Scheint so. Ko­misch, wenn man ein schlech­tes Ge­wis­sen hat, sieht man im­mer was. Und ich brauch doch gar kein schlech­tes Ge­wis­sen zu ha­ben, nicht wahr?«

La­tri­nen­pa­ro­len gib­t’s nicht nur beim Mi­li­tär und im Kitt­chen: Als die bei­den zu­rück­ka­men, war die Schreib­stu­be voll da­von, dass die Fir­ma Gnutz­mann nicht zah­len könn­te, nicht zah­len woll­te, dass der Ku­falt ohne Geld, mit ei­nem fau­len Wech­sel, ei­nem un­ge­deck­ten Scheck, mit Ver­trös­tun­gen, nein, mit Ar­beits­ab­bruch zu­rück­käme.

Dar­über hat­ten sie sich ge­strit­ten, er­ei­fert, ein­an­der mies­ge­macht, trotz des Pro­tes­tes von zwei­en oder drei­en war das Sprech­ver­bot auf­ge­ho­ben ge­we­sen. Es war ge­raucht wor­den, Jäns­ch hat­te sich drei Fla­schen Bier ge­holt, Öser eine sau­re Gur­ke, es wa­ren kei­ne tau­send Adres­sen in der Zeit von acht bis halb elf ge­schrie­ben wor­den …

Und nun kam Ku­falt mit Kas­se, bar Kas­se, mit Ma­rie.

Es war bei­na­he eine Ent­täu­schung.

»Na also – wer hat denn nun den Mist wie­der auf­ge­bracht?!«

»Du doch selbst, Mensch, gib hier bloß nicht ’ne Stan­ge an, von we­gen Him­mel­blau!«

»Du hast ge­sagt, wenn die Brü­der nun nicht zah­len …?«

»Ich …«

»Stil­le«, sagt Maack. »Jetzt wird los­ge­schrie­ben. Wir ha­ben zwei Stun­den auf­zu­ho­len, sonst wird es wie­der zehn. Jäns­ch, weg mit dei­nem Bier. Sprech­ver­bot!«

»Wenn ich Bier trin­ke, spre­che ich doch nicht«, knurrt Jäns­ch, fängt aber an zu tip­pen.

Sie fan­gen alle an, man­che zö­gern noch, trö­deln einen Au­gen­blick, aber der Rhyth­mus der an­de­ren, die ewi­ge Rou­ti­ne, das kön­nen sie ja nun, tip­pen und da­bei den­ken, tip­pen und da­bei sich fort­träu­men in eine Wun­schwelt …

Auch beim Fal­zen lässt sich’s träu­men, beim Ku­ver­tie­ren, selbst beim Ab­zäh­len der Adres­sen. Ku­falt träumt sich weit fort:

Dass es nur heu­te Abend nicht so spät wird! Sie war­tet auf ihn – wie hat sie ge­sagt? Lie­ber? Liebs­ter? Vi­el­leicht wird noch al­les gut, viel­leicht ist es das, was sei­nem Le­ben in all den Jah­ren ge­fehlt hat: et­was, auf das man sich ein biss­chen freu­en kann!

Er freut sich auf den Abend, sie war so an­ders heu­te früh, ganz sanft. Si­cher sitzt sie und war­tet schon in sei­nem Zim­mer auf ihn …

Wer aber auf ihn ge­war­tet hat, wer sich im fast dunklen Zim­mer in die So­fae­cke ge­setzt hat, wer nicht ein­mal auf­steht, son­dern ihn nur an­sieht, abends kurz vor zehn, das ist nicht Lie­se – Beer­boom ist es!

 

Ku­falt knipst das Licht an, er ist so wü­tend, dass er den Mann kaum an­sieht im Sofa, er sagt nur: »Was wol­len Sie hier? Ich will Sie hier nicht mehr ha­ben!«

Denn Beer­boom ist der böse Geist, er war der schwar­ze, schlim­me Stern, der über der ers­ten Lie­bes­nacht stand, kommt er nun auch – Ge­heim­nis! – zu der zwei­ten? Denn schon öff­net sich die Tür.

Lie­se tritt ein. Sie trägt ein wei­ßes Kleid, über das klei­ne, bun­te Blüm­chen ge­streut sind, sie sieht so fröh­lich aus, sie bie­tet ihm frank und frei die Hand, sie sagt: »Gu­ten Abend.«

»Gu­ten Abend, Lie­se.«

Er denkt nur dar­an, dass der an­de­re ge­hen soll, wäre er nicht hier, könn­te er sie schon in sei­ne Arme zie­hen.

»Herr Beer­boom hat ge­be­ten, dass er hier war­ten darf. Es ist sehr wich­tig, hat er ge­sagt.« Sie macht eine klei­ne Pau­se und setzt vor­sich­tig hin­zu: »Ich hab ihn hier al­lein sit­zen las­sen. So­gar Licht zu ma­chen habe ich ver­ges­sen.«

»Also, was ist denn, Beer­boom?« fragt Ku­falt.

»Ach nichts«, sagt Beer­boom. »Ich gehe schon.«

Aber er bleibt sit­zen.

Der Klang von Beer­booms Stim­me ist so ver­än­dert, dass Ku­falt sich sei­nen Kla­ge­bru­der von dun­ne­mals auf­merk­sam be­schaut.

Beer­boom hat im­mer eine fah­le, le­der­ar­ti­ge Haut ge­habt, aber heu­te scheint es, als bren­ne eine Glut hin­ter die­ser Haut. Die Haa­re sind ver­klebt wie von Schweiß, die Au­gen fla­ckern und glän­zen …

Er kann die Hän­de nicht ru­hig hal­ten, sie flie­gen im­mer­zu hin und her, bald auf den Tisch, bald su­chen sie in den Ta­schen her­um, bald be­fin­gert er sein Ge­sicht, sucht et­was, was er nicht fin­det …

»Also, was ist?« fragt Ku­falt. Und mit ei­nem Blick auf die Uhr: »Du wirst zu spät ins Heim kom­men, es ist gleich zehn.«

»Kom­me nicht zu spät ins Heim.«

»Wie­so? Hast du etwa Schluss ge­macht, da?«

»Schluss ge­macht da? Raus­ge­schmis­sen bin ich!«

»Ach so«, sagt Ku­falt ge­dehnt und fragt dann: »Dei­ne Sa­chen?«

»Sind noch da. Ich er­zähl dir doch, sie ha­ben mich raus­ge­schmis­sen, zehn, zwölf Mann über mich her und raus­ge­schmis­sen.«

»Aber warum denn?« fragt Ku­falt. »Wie­so denn das? So sind die doch auch wie­der nicht.«

»Hab die Schreib­ma­schi­ne zer­schla­gen«, sagt Beer­boom. »Konn­te es nicht mehr se­hen, das Dings, das mich an­bleckt: Hun­dert Adres­sen, fünf­hun­dert Adres­sen, tau­send Adres­sen.« Er steht auf, sieht sich einen Au­gen­blick um, setzt sich wie­der hin, sagt: »Is ja al­les egal. Was kommt, kommt.«

»Du, hör mal«, sagt Ku­falt ent­schie­den, »das stimmt nicht, was du er­zählst. Das stimmt tod­si­cher nicht, dass die an­de­ren dich des­we­gen raus­ge­schmis­sen ha­ben, weil du ’ne Schreib­ma­schi­ne zer­kloppt hast. Sei­den­zopf schon, aber die an­de­ren nicht. – Wo­mit hast du sie denn zer­kloppt?«

»Mit ’nem Ham­mer.«

»Wo hast du denn den Ham­mer her?«

»Hab ich mir ge­klaut. Nee, hab ich mir ge­kauft.«

»Stimmt nicht«, sagt Ku­falt. »Stimmt al­les nicht. Die an­de­ren freu­en sich doch, wenn du den Speck­jä­gern ’ne Schreib­ma­schi­ne zer­haust. Dass Wol­le-Ted­dy dich dar­um raus­schmeißt, ver­ste­he ich schon, aber die an­de­ren dich dar­um ver­kei­len – aus­ge­schlos­sen!«

»Ich hab doch auch de­nen ihre Ar­beit de­mo­liert. Mit ’nem Mi­ni­max. Hab al­les voll­ge­spritzt. Da ha­ben sie mich raus­ge­schmis­sen. Ver­dro­schen und raus­ge­schmis­sen.«

»Und Va­ter Sei­den­zopf?«

»Den hab ich in die Fres­se ge­schla­gen.«

»Der lässt dich doch nicht so ein­fach ge­hen, nach so was. Der ruft doch die Po­len­te.«

»Ruf man, da war ich schon weg.«

»Ach, du bist also nicht raus­ge­schmis­sen, du bist ge­türmt?«

»Is ja al­les egal«, sagt Beer­boom brum­mig, steht auf und geht ans of­fe­ne Fens­ter. Plötz­lich fragt er sehr leb­haft: »Ob man wohl tot ist, wenn man da run­ter­hopst auf die Glei­se?«

Und er setzt einen Fuß aufs Fens­ter­brett.

»Mach bloß kei­nen Quatsch«, sagt Ku­falt. »Ich will kei­ne Sche­re­rei­en ha­ben dei­net­we­gen.«

Er hält Beer­boom fest. Aber wenn der ernst­lich woll­te, nütz­te Fest­hal­ten gar nichts. Lie­se ist es, die ihn zu­rück­hält. Mit ih­rer leich­ten Hand.

»Wa­rum ha­ben Sie denn das al­les auf der Schreib­stu­be ge­macht, Herr Beer­boom?« fragt sie.

»Hat den wil­den Mann mar­kiert, kenn ich aus dem Kitt­chen«, er­klärt Ku­falt.

»Hat mich al­les an­ge­kotzt«, sagt Beer­boom, sieht das jun­ge Mäd­chen an und tritt wie­der so weit zu­rück in die­se Welt, dass er das Bein vom Fens­ter­brett nimmt. »Im­mer schrei­ben, schrei­ben, schrei­ben, und da drin­nen ver­dreht es sich im­mer mehr.«

»Aber«, sagt Lie­se, »das hat Sie doch schon lan­ge an­ge­kotzt? Wa­rum jetzt plötz­lich?«

»Weil es so­weit ist, Fräu­lein«, er­klärt Beer­boom. »Ein­mal hat man den Mumm, dann ist es so­weit.«

»Was ist so­weit?«

»Ach«, sagt Beer­boom böse, »Sie wol­len ja doch nicht da­von hö­ren, Fräu­lein. Sie schrei­en ja doch bloß wie­der: Mör­der.«

Ziem­lich lan­ge Stil­le.

Dann sagt er: »Ich hab ge­dacht, die brin­gen mich in ’ne Klaps­müh­le, aber die ha­ben bloß das Über­fall­kom­man­do an­ge­ru­fen. Da hab ich ge­dacht: geh stif­ten.« Er lacht plötz­lich schal­lend. »Der Min­na an der Tür hab ich eine auf die Nase ge­setzt, das Na­sen­bein ist be­stimmt hin.«

Lie­se ist et­was von ihm weg­ge­gan­gen, sie steht un­ter der Tür, wie fer­tig zur Flucht, aber sie nimmt kei­nen Blick von ihm.

Ku­falt steht ziem­lich nahe bei ihm, der noch im­mer am Fens­ter­kreuz lehnt.

»Und was ma­chen wir nun mit dir?«

»Ach …«, sagt Beer­boom ge­dehnt, »viel­leicht da run­ter?«

Er beugt sich sehr weit hin­aus.

»Halt!« ruft Ku­falt.

Aber er braucht sich wirk­lich kei­ne Sor­gen zu ma­chen. Beer­boom kommt mit dem Kopf zu­rück ins Zim­mer. Er grinst. »Das könn­te de­nen so pas­sen, al­len de­nen, die mich fer­tig­ge­macht ha­ben; mei­nen El­tern und den Rich­tern und den Staats­an­wäl­ten und den Pfaf­fen und den Bul­len im Kitt­chen, dass ich so be­quem für die ab­haue! Das glaub ich! Das möch­ten die. Nee …« Und er er­ei­fert sich. »Ei­nen Rie­sen­stunk will ich erst mal ma­chen, ich will de­nen schon was wei­sen. Fer­tig­ma­chen, schön – aber dann will ich we­nigs­tens ’ne große Ge­richts­ver­hand­lung ha­ben, mit zwei Spal­ten je­den Tag in je­der Zei­tung, und es de­nen zei­gen … Flie­gen sol­len sie alle, die Speck­jä­ger! Und der Wol­le-Ted­dy zu­erst!« Er fängt plötz­lich wie­der an zu la­chen, es schüt­telt ihn da­bei wie ein Krampf. »Dem hab ich den hal­b­en Bart aus­ge­ris­sen, hat der ge­schri­en, wie ’ne Kat­ze …!«

Die bei­den se­hen den drit­ten ernst an, miss­bil­li­gend. Aber dem ist al­ler Ernst und alle Miss­bil­li­gung jetzt gänz­lich schnup­pe. »Hast ’ne Zi­ga­ret­te für mich, Wil­li?« fragt er. »Ich hab nichts mehr. Kei­nen Pfen­nig. Gar nichts.«

Ku­falt gibt ihm eine Zi­ga­ret­te. »Und was denkst du, was nun wird?« fragt er.

»Fin­det sich al­les«, sagt Beer­boom und raucht mit Be­geis­te­rung.

»Hö­ren Sie ein­mal zu, Herr Beer­boom«, sagt nach ei­ner Wei­le Lie­se.

»Ja?« sagt Beer­boom, sieht sie an und grinst böse. »Sie sind auch nur ein Fet­zen Fleisch, wenn Sie sich schon je­den Tag wa­schen, Fräu­lein. Sie stin­ken auch.«

Lie­se will nichts ge­hört ha­ben. »Sie ha­ben doch vor­hin was ge­sagt, Sie hät­ten ge­dacht, die wür­den Sie in ’ne Ir­ren­an­stalt brin­gen? – Ge­hen Sie doch frei­wil­lig da­hin!«

»Das ist nicht schlecht, Beer­boom«, lobt Ku­falt.

Beer­boom denkt nach, ziem­lich lan­ge. »Wenn mich die nun nicht neh­men, wenn die mich ein­fach der Po­li­zei über­ge­ben?« Und hart­nä­ckig: »Wenn ich doch auf die Po­li­zei soll, dann ma­che ich vor­her eine ganz große Sa­che. Drei Mo­na­te we­gen Sach­be­schä­di­gung und Kör­per­ver­let­zung ist nichts.«

»Wir könn­ten’s gut hin­deich­seln«, sagt der plä­ne­rei­che Ku­falt. »Wir sa­gen, du wohnst bei uns, du hast ’nen Tob­suchts­an­fall ge­habt, bist auf uns los­ge­gan­gen. Jetzt bist du ru­hig, aber du hast Angst, es kann wie­der los­ge­hen. Sie sol­len dich nur ein, zwei Tage be­hal­ten.«