Hans Fallada – Gesammelte Werke

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6

Die klei­ne schles­wig-hol­stei­ni­sche In­dus­trie­stadt, D-Zug-Hal­te­punkt und mit ei­nem Kanal­ha­fen, liegt in­mit­ten ei­ner fla­chen, baum­lo­sen Ebe­ne, Äcker über Äcker, und ih­ren ein­zi­gen Reiz könn­ten viel­leicht die Knicks aus­ma­chen, die um die Fel­der lau­fen. Busch­be­stan­de­ne Feldrai­ne also.

Es ist eine be­trieb­sa­me Stadt, die­se Stadt, über der als ein­zi­ges Wahr­zei­chen, be­deu­ten­der noch als die Kir­chen, die Fa­bri­ken, der Bau des Zen­tral­ge­fäng­nis­ses in Ze­ment und ro­ten Stei­nen auf­ragt.

Ku­falt liebt die­sen An­blick, die­ses Wahr­zei­chen der klei­nen Stadt, nicht sehr. Er ist eine Art Ge­fan­ge­ner, der frei­wil­lig an den Ort sei­nes Ge­fäng­nis­ses zu­rück­ge­kom­men ist – im­mer, wenn er um eine Ecke kommt, läuft ihm ein Wacht­meis­ter ent­ge­gen und sagt grin­send: »Tag, Herr Ku­falt.« Oder aber die Mau­ern sind da. Die Back­stein­zin­nen, die klei­nen Git­ter in den großen Wän­den.

Wir keh­ren alle wie­der heim zu uns. Im­mer wie­der. Nichts blö­der als das Ge­schwätz von dem neu­en Le­ben, das ei­ner an­fan­gen könn­te, in uns sitzt es. In uns bleibt es. Da hockt er nun in sei­ner Stu­be in der Kö­nigs­tra­ße, an der Pe­ri­phe­rie der Stadt.

Wenn er aus der Tür hin­austritt und sich von der Stadt fort­wen­det, ist der No­vem­ber­wind da, mit dem Blät­ter­ge­trie­be, mit den öden, end­lo­sen Land­stra­ßen, die ir­gend­wo­hin füh­ren, wo es auch nicht an­ders ist. Ist der fau­li­ge Ge­ruch da aus den Chaus­see­grä­ben, von Ster­ben und Ver­ge­hen, ist die Ein­sam­keit da, mit der man nichts an­fan­gen kann, ist al­les, al­les wie­der da, ein ver­fehl­tes Le­ben ohne Aus­sicht, ohne Mut, ohne Ge­duld.

Er sitzt da in sei­nem Zim­mer in der Kö­nigs­tra­ße, es ist ein gut­bür­ger­li­ches Zim­mer, Bruhn hat ein schlech­te­res. Bruhn hat ein Ar­bei­ter­zim­mer, eine Schlaf­ge­le­gen­heit ge­wis­ser­ma­ßen nur. Aber Ku­falt sitzt zwi­schen Ma­ha­go­ni und Plüsch und Nip­pes und Bil­dern, er hat eine Adres­sen­lis­te ne­ben sei­ner Ma­schi­ne, er tippt Brie­fe. Es sind vie­le Brie­fe für einen Mann, der kaum mit ei­nem Men­schen Um­gang hat, zehn oder zwölf etwa, er tippt den letz­ten fer­tig, un­ter­schreibt ihn, ku­ver­tiert ihn, fran­kiert sie alle, alle Stadt­por­to zu acht Pfen­nig, und dann zieht er sei­nen Man­tel an und setzt sei­nen Hut auf. Er nimmt die Brie­fe in die Hand und steht an der Schwel­le.

Es ist elf Uhr vor­mit­tags. Er hat sein Ta­ge­werk ge­wis­ser­ma­ßen voll­bracht. Das Bett­ler­ta­ge­werk der Aus­sichts­lo­sig­keit, und man kann nicht im­mer schla­fen, und man kann nicht im­mer grü­beln. Man hat so sei­ne Sor­gen, wenn man auch ein Ren­tier ist mit vier­hun­dert Mark, mit über vier­hun­dert Mark noch in der Brief­ta­sche.

Er steht an der Schwel­le und zau­dert. Es ist ganz egal, ob die Brie­fe heu­te Mit­tag in den Kas­ten kom­men oder heu­te Abend, wenn es schon dun­kel ge­wor­den ist, es er­folgt doch nichts dar­auf. Es ist ganz egal – aber da ist der klei­ne Emil Bruhn, der grü­belt für sei­nen Freund Ku­falt, der hat ges­tern Abend ge­sagt: »Die Pfaf­fen, Mensch, denk doch bloß an die Pfaf­fen, die müs­sen et­was für dich tun.« Er hat das »müs­sen« so be­tont – und Ku­falt wird heu­te Abend den Bruhn tref­fen, und Bruhn wird fra­gen, ob er auch an die Pfaf­fen ge­dacht hat und zu ih­nen ge­gan­gen ist. Bruhn ist ein Boh­rer, Bruhn wird nicht nach­las­sen, bis Ku­falt das ge­tan hat, was er für rich­tig hält. Also muss Ku­falt jetzt um elf aus sei­nem Zim­mer in die Stadt ge­hen und sich die Adres­sen von den fünf oder sechs Pfaf­fen, die es in die­sem Städt­chen gibt, be­sor­gen.

Ku­falt steht im­mer noch zau­dernd an der Tür. Plötz­lich ent­schließt er sich. Er geht an sei­nen Kof­fer, er schließt den Kof­fer auf, in dem Kof­fer liegt die eine Ant­wort, die er auf alle sei­ne Be­wer­bungs­brie­fe be­kom­men hat. Ein Mann hat sie ge­schrie­ben, der sich Mal­te Scia­lo­ja nennt. Er ist Che­fre­dak­teur ei­ner hie­si­gen Zei­tung, der grö­ße­ren. Der Che­fre­dak­teur der an­de­ren Zei­tung hat gar nicht geant­wor­tet. Nun gut, aber auch die­se Ant­wort sieht nicht sehr hoff­nungs­voll aus. Und doch müss­te man ei­gent­lich mal zu dem Mann hin­ge­hen.

Ku­falt liest den Brief. Er ist nicht lang, ein paar Zei­len nur, er lau­tet:

»Sehr ge­ehr­ter Herr! Wenn mich auch Ihr trau­ri­ges Schick­sal be­küm­mert, so glau­be ich doch nicht, et­was für Sie tun zu kön­nen. Zwar ist die Aus­kunft, die Herr Straf­an­stalts­di­rek­tor über Sie gab, aus­ge­zeich­net, aber Sie wis­sen wohl selbst, wel­che Verant­wor­tung für den lei­ten­den Re­dak­teur da­mit ver­bun­den ist, einen vor­be­straf­ten Mann in sei­nen Be­trieb zu brin­gen. Im­mer­hin wür­de es mich freu­en, wenn Sie mich ein­mal zwi­schen elf und eins auf­su­chen wür­den. – Hochach­tungs­voll …« und so wei­ter.

Ku­falt seufzt, als er die­sen Brief liest. »Aus­sichts­los«, flüs­tert er, »völ­lig aus­sichts­los. Aber wenn ich mir doch die Adres­sen be­sor­ge, kann ich ja auch mal bei dem Man­ne vor­bei­ge­hen.«

Er hat in der einen Hand zwölf Be­wer­bungs­schrei­ben. Mit der an­de­ren steckt er das Schrei­ben des Che­fre­dak­teurs Mal­te Scia­lo­ja in sei­ne Ta­sche. Und nun geht er wirk­lich aus sei­nem Zim­mer auf die Stra­ße.

*

Mal­te ist ein nie­der­deut­scher Vor­na­me, Scia­lo­ja ist ein ita­lie­ni­scher Nach­na­me. Der Mann, der die­se bei­den Na­men trägt, ist der be­rühm­te Hei­mat­schrift­stel­ler Hol­steins, der an der Schol­le hängt und der Bü­cher von Bau­ern schreibt, de­ren Spra­che das Platt ist, das auch er am liebs­ten spricht. Die Sa­che ist nicht so kom­pli­ziert, wie man denkt. Vor hun­dert Jah­ren ein­mal hat ein ita­lie­ni­scher Ma­tro­se in ei­ner der klei­nen Ha­fen­städ­te an der Küs­te Wur­zel ge­schla­gen. Er hat ein frie­si­sches Mäd­chen ge­hei­ra­tet, und sein Uren­kel ist es nun, der dort hin­ter sei­nem Schreib­tisch auf dem Chef­bü­ro sitzt, zwi­schen Pa­pie­ren wühlt, auf das Ra­dio horcht und ei­gent­lich nichts tut. Er ist nicht mehr als ein Aus­hän­ge­schild für die Zei­tung, klüg­lich vom Be­sit­zer zu die­sem Zweck en­ga­giert. Ein­mal in der Wo­che, am Sonn­tag, er­scheint ein sin­ni­ger Ar­ti­kel von ihm im Blatt, in der »Hei­mat­sprak«.

Aber er ist ein wich­ti­ger Mann. Er ist das rohe Ei in der Re­dak­ti­on, das alle sorg­fäl­tig be­han­deln müs­sen, die Leu­te glau­ben an ih­ren ver­son­ne­nen, schwär­me­ri­schen Dich­ter. Das Pub­li­kum will ihn ha­ben.

Da sitzt er zwi­schen sei­nen Pa­pie­ren, ei­gent­lich könn­te er eben­so gut zu Haus sit­zen. Er hört un­ten die große Ro­ta­ti­ons­ma­schi­ne ge­hen, um halb eins ist die Abend­aus­ga­be fer­tig, das geht ihn nichts an. Da­für ha­ben die klei­nen Re­por­ter ihre Sä­chel­chen ge­schrie­ben, das geht ihn nichts an.

Scia­lo­ja ist ein blas­ser Mann mit ei­nem un­ta­de­li­gen dunklen Schei­tel, in ei­nem Lüs­ter­jackett. Er hört auf die Tanz­me­lo­di­en, er liest auch mal ein paar Zei­len aus den Ma­nu­skrip­ten, und dann sieht er sich sei­ne Nä­gel an. Er ist ein großer Mann, er weiß das sehr ge­nau. Es ist nicht ein­fach, das Le­ben ei­nes großen Man­nes zu füh­ren. Man hat sei­ne Ver­pflich­tun­gen. Das hat er im­mer ver­stan­den.

Es klopft an sei­ne Bü­ro­tür. Er ruft un­wirsch: »He­rein.« Er ruft im­mer un­wirsch »her­ein«. Denn er darf nicht zu viel ge­stört wer­den. Er ist ein Mann von großer Tä­tig­keit, mit ei­nem re­gen In­nen­le­ben.

Der Bü­ro­bo­te steht an der Tür. Er mel­det: »Ein Herr Ku­falt möch­te Sie spre­chen. Sie wüss­ten Be­scheid.«

Scia­lo­ja hat einen Blei­stift in der Hand und schreibt. Er sieht kaum auf, als er sagt: »Ich habe zu ar­bei­ten. Ich ken­ne kei­nen Herrn Ku­falt. Ich weiß nicht Be­scheid.«

Die Tür schließt sich wie­der. Herr Scia­lo­ja ist wie­der al­lein. Er hat den Blei­stift wie­der hin­ge­legt. Er horcht auf die Ra­dio­mu­sik. Die spie­len Tän­ze. Es sind jene bö­sen falschen Tän­ze, die dem Volk so scha­den. Es gibt so hüb­sche Bau­ern­tän­ze, all das ist ver­drängt von die­sem As­phalt­kitsch. Aber er horcht dar­auf. Es hört sich nicht schlecht an, aber es ist schlecht.

Schon klopft es wie­der an die Tür. Da ist noch ein­mal die­ser un­aus­steh­li­che Bote. Er sagt vor­sich­tig: »Der Herr sagt, er ist zwi­schen elf und eins zu Ih­nen be­stellt.«

Der Che­fre­dak­teur ant­wor­tet: »Ich habe so vie­le Din­ge im Kopf, ich muss ar­bei­ten, ver­ste­hen Sie das doch! Ich be­stel­le kei­ne Be­su­cher. Schi­cken Sie den Herrn weg.«

Die Tür fällt wie­der zu. Und wie­der die Mu­sik und das Pa­pier, und all die lang­wei­li­gen Ma­nu­skrip­te, die nicht von ihm ge­schrie­ben sind.

Kommt der Bote wirk­lich noch ein­mal wie­der? Wagt er es? Ja, er wagt es! Er hat ein Stück Pa­pier in der Hand, einen Brief also. »Der Herr will nicht ge­hen, Sie hät­ten ihm die­sen Brief ge­schrie­ben.«

Der Bote bleibt un­ter der Tür ste­hen mit dem Brief in der Hand. Scia­lo­ja schreibt. Er sagt scharf: »Ei­nen Au­gen­blick bit­te, ich habe zu ar­bei­ten.«

Und er schreibt eine lan­ge Zeit wei­ter.

Dann legt er den Blei­stift hin. Er seufzt da­bei. Er sagt: »Zei­gen Sie mir also mal den Brief.«

Er liest ihn, ein­mal, zwei­mal, er be­trach­tet die Un­ter­schrift ge­nau. Un­ter­schrif­ten von großen Leu­ten kön­nen ge­fälscht wer­den: So be­trach­tet er die Un­ter­schrift. Dann sagt er: »Füh­ren Sie den Herrn her­ein. Aber sa­gen Sie ihm gleich, dass ich nur eine Mi­nu­te Zeit habe. Ich habe zu ar­bei­ten.«

Nun steht Ku­falt in dem Che­fre­dak­teur­bü­ro, vor dem weiß­ge­sich­ti­gen Mann mit dem dunklen Schei­tel, der schreibt und ihn nicht an­sieht.

Vor ei­ner hal­b­en Stun­de in sei­nem Zim­mer schi­en es Ku­falt noch zwei­fel­haft, ob er den Brief über­haupt be­nut­zen wür­de. Aber mit dem Wi­der­stand wächst der Wi­der­stand: Was du ge­schrie­ben hast, Freund­chen, das tu.

 

»Also – Sie wol­len?« fragt Scia­lo­ja und schreibt wei­ter.

»Ich habe Ih­nen das aus­führ­lich in mei­nem ers­ten Brief aus­ein­an­der­ge­setzt«, ant­wor­tet Ku­falt zö­gernd.

Der Che­fre­dak­teur sieht hoch. Er lä­chelt. »Ich habe so vie­le Din­ge in mei­nem Kopf«, sagt er. »Hun­der­te kom­men um Hil­fe zu mir. Ich bin be­kannt im gan­zen Land. Was wol­len Sie nun also?«

»Eine Stel­lung«, sagt Ku­falt. »Ir­gen­det­was zu ar­bei­ten. Gleich­viel was.«

Und er setzt lei­ser hin­zu: »Ich habe Ih­nen doch ge­schrie­ben, ich bin vor­be­straft. Ich fin­de nichts. Ich dach­te, dass ge­ra­de Sie …«

Das ist ei­gent­lich der rich­ti­ge Ap­pell an den großen Mann: »ge­ra­de Sie«; aber an­de­rer­seits kann er wie­der nicht zu­ge­ben, dass es Fäl­le gibt, die er noch nicht er­lebt hat.

Und so sagt er: »Dut­zen­de von Vor­be­straf­ten kom­men zu mir um Hil­fe, ich sage Ih­nen, Dut­zen­de.«

Er hat mit Schrei­ben auf­ge­hört und sieht Ku­falt freund­lich­kühl an.

Ku­falt steht ab­war­tend.

»Ja«, sagt der große Mann und noch ein­mal: »Ja.«

Ku­falt weiß im­mer noch nicht, was er re­den soll. Und so war­tet er wei­ter.

»Se­hen Sie«, sagt der große Mann, »ich habe zu ar­bei­ten, ich ver­tre­te das Volk, das ein­fa­che Volk, ver­ste­hen Sie? Blut und Schol­le, ver­ste­hen Sie?«

»Ja«, ant­wor­tet Ku­falt ge­dul­dig.

»Ich darf mich nicht zer­split­tern«, sagt der an­de­re wei­ter. »Ich habe einen Be­ruf. Ver­ste­hen Sie, was Be­ru­fung heißt?«

»Ja«, sagt Ku­falt wie­der.

Der Che­fre­dak­teur be­trach­tet den Bitt­stel­ler, als sei nun al­les er­le­digt. Aber Ku­falt fin­det, es ist nichts er­le­digt, man hät­te ihn nicht zwi­schen elf und eins zu be­stel­len brau­chen, da­mit er sich an­hört, ein an­de­rer hat einen Be­ruf, er hat kei­nen.

So steht er wei­ter da.

»Wis­sen Sie«, sagt Herr Scia­lo­ja, »Sie kön­nen ja viel­leicht spä­ter mal wie­der vor­fra­gen. Wie ge­sagt, ich be­dau­re Ihr un­glück­li­ches Schick­sal. Der Straf­an­stalts­di­rek­tor hat mir eine aus­ge­zeich­ne­te Aus­kunft ge­ge­ben.«

Das Erin­nern scheint ihm also wie­der­ge­kom­men zu sein, trotz der tau­send Din­ge, die durch sei­nen Kopf ge­hen. Und so ver­sucht Ku­falt es noch ein­mal.

»Nur ein biss­chen Ar­beit«, sagt er. »Ein, zwei Stun­den täg­lich.« Und er setzt lo­ckend hin­zu: »Ich hab eine ei­ge­ne Schreib­ma­schi­ne.«

Sein Ge­gen­part sieht be­küm­mert aus.

»Ja, ich weiß wirk­lich nicht«, sagt er zö­gernd, »ich lebe ja nur mei­ner Ar­beit. Vi­el­leicht spre­chen Sie ein­mal mit un­se­rem Ge­schäfts­füh­rer.«

»Wür­den Sie mich Ihrem Ge­schäfts­füh­rer emp­feh­len?« fragt Ku­falt.

»Aber mein lie­ber Herr«, sagt der an­de­re, »ich ken­ne Sie ja gar nicht!«

»Aber Sie ha­ben doch mit Herrn Straf­an­stalts­di­rek­tor ge­spro­chen!«

»Der Straf­an­stalts­di­rek­tor«, sagt der Che­fre­dak­teur und ist plötz­lich ganz von die­ser Welt, »emp­fiehlt na­tür­lich all sei­ne ent­las­se­nen Ge­fan­ge­nen, da­mit er die Lau­fe­rei­en nicht mehr hat.«

»Aber warum ha­ben Sie mich hier­her­be­stellt?« fragt Ku­falt.

»Wis­sen Sie was«, sagt der große Mann und hat eine Er­leuch­tung. »Wir ha­ben da so einen Fonds, ich gebe Ih­nen eine An­wei­sung an die Kas­se auf drei Mark, und Sie ver­spre­chen mir, nicht wie­der­zu­kom­men.«

Ku­falt steht einen Au­gen­blick still. Er be­sinnt sich. Dann sagt er plötz­lich und ist gar nicht mehr schüch­tern: »Sie woh­nen doch in der Dot­ti­stra­ße, Herr Scia­lo­ja, in ei­ner Vil­la?«

»Ja«, ant­wor­tet der Che­fre­dak­teur ver­wirrt.

»Na also«, sagt Ku­falt. »Dann klappt es ja. Re­dak­ti­ons­schluss ist doch um sechs?«

»Wie­so?« fragt der an­de­re.

»Weil’s da dun­kel ist«, sagt Ku­falt und lacht. Und la­chend geht er aus dem Chef­bü­ro.

Er lässt einen ziem­lich auf­ge­reg­ten Mann hin­ter sich.

7

Das La­chen, mit dem Ku­falt das Büro ver­las­sen hat­te, hielt nicht lan­ge vor. Ge­wiss war die Dot­ti­stra­ße abends um sechs dun­kel, und ge­wiss war es höchst an­ge­nehm zu wis­sen, dass Herr Scia­lo­ja in der nächs­ten Zeit mit Angst­ge­füh­len nach Hau­se ge­hen wür­de, wahr­schein­lich es­kor­tiert von ir­gend­ei­nem Re­dak­teur oder Set­zer – aber was half das al­les!

Vier­hun­dert­drei­ßig Mark sind nicht so sehr viel Geld, und das Ende war leicht­lich aus­zu­rech­nen. Nun gut, er wür­de zu den sechs Pas­to­ren ge­hen, de­ren Adres­sen er am Schal­ter der Zei­tung ein­ge­se­hen hat­te, aber auch da­bei wür­de nicht viel her­aus­kom­men.

Un­ter den sechs Geist­li­chen war ei­ner, den Ku­falt kann­te. Das war der ka­tho­li­sche Pfar­rer, dem Ku­falt im Ge­fäng­nis den Al­tar hat­te zu­recht­ma­chen müs­sen, ein al­ter stren­ger Mann. Ku­falt hat­te man­chen Streit mit ihm ge­habt, der Pfar­rer hat­te es ihn wohl auch ent­gel­ten las­sen, dass ihm von der Be­am­ten­schaft ein »Evan­ge­li­scher« für die­se Ar­beit auf­ge­zwun­gen wor­den war.

Aber trotz­dem: Jetzt, als Ku­falt auf der Stra­ße geht und den Fall be­denkt, scheint ihm der Mann nicht übel. Er ist eif­rig ge­we­sen für sei­ne Ge­fan­ge­nen, er hat sie wohl an­ge­schnauzt und ge­schol­ten, aber er war im­mer da für sie. Vi­el­leicht ist er auch für Ku­falt da?

Ku­falt ent­schließt sich ganz schnell: Jetzt so­fort, nach die­sem ver­fluch­ten Scia­lo­ja, wird er zum Pfar­rer ge­hen.

Da emp­fängt ihn eine Non­ne oder was das ist, man sieht fast nichts von ih­rem wei­ßen Ge­sicht un­ter der großen Hau­be. Ku­falt muss lan­ge war­ten, er steht da im Vor­platz, das Haus ist to­ten­still. Er steht lan­ge da, aber er hat nichts zu ver­säu­men, wirk­lich gar nichts.

Schließ­lich kommt auch der Pfar­rer. Lang­sam geht der große star­ke Mann auf ihn zu, lang­sam und lei­se fragt er ihn, was er wohl möch­te. Er hat Ku­falt nicht wie­der­er­kannt, und Ku­falt muss ihn erst wie­der ans Kitt­chen er­in­nern.

»Ja so«, sagt der Pfar­rer und er­in­nert sich noch im­mer nicht recht. »Sie se­hen jetzt aber an­ders aus. Sehr or­dent­lich.«

»Die an­de­re Klei­dung«, er­in­nert Ku­falt.

»Ja, ge­wiss«, sagt der Pfar­rer. »An­de­re Klei­dung, ja.«

Er spricht im­mer lang­sam und lei­se, si­cher ist er ein Bau­ern­sohn von der Was­ser­kan­te, da sind sie so lei­se und stark.

»Und was kann ich jetzt für Sie tun?«

Ku­falt er­zählt es, und der Pfar­rer hört zu, fragt auch ein­mal da­zwi­schen, Ku­falt merkt, er ver­steht, wie ei­nem Men­schen zu­mu­te sein kann.

Schließ­lich sagt der Pfar­rer ganz kurz: »Ich gebe Ih­nen ein Schrei­ben an den Pro­ku­ris­ten ei­ner Le­der­fa­brik. Ich sage nicht, dass das Schrei­ben Ih­nen was nützt. Aber ich gebe es Ih­nen.«

Er setzt sich hin und schreibt, ein­mal sieht er hoch und fragt: »Aber von mei­ner Kon­fes­si­on sind Sie nicht?«

Ku­falt möch­te lü­gen, aber dann sagt er doch lei­se: »Nein.«

»Gut«, sagt der Pfar­rer und schreibt wei­ter.

»Also ge­hen Sie gleich«, sagt er dann. »Jetzt wird der Herr zum Es­sen zu Haus sein.« Er wiegt den Kopf. »Ma­chen Sie sich kei­ne Hoff­nung«, sagt er. »Es gibt noch viel schlim­me­res Elend. Geld ha­ben Sie noch?«

»Ja«, sagt Ku­falt.

»Und Klei­dung?«

»Ja«, sagt Ku­falt.

»Nun, viel­leicht kom­men Sie, wenn dies nichts ist, noch ein­mal wie­der. Ich will se­hen, ich will se­hen …«

Er reicht Ku­falt die Hand.

Der gibt den Brief in der Woh­nung des Pro­ku­ris­ten ab und war­tet vor der Tür. Sein Herz klopft ein we­nig, ein gu­ter al­ter Mann, hat ihm kei­ne Hoff­nun­gen ge­macht – aber es kann doch sein?

Das Dienst­mäd­chen kommt zu­rück, es drückt ihm Geld in die Hand, es sagt: »Es ist nicht nö­tig, dass Sie wie­der­kom­men.« Dann schließt sie die Tür.

Er steht ziem­lich trau­rig auf dem Trep­pen­ab­satz, zählt das Geld, es sind drei­ßig Pfen­nig. Er hört das Mäd­chen in der Kü­che han­tie­ren, steckt die drei­ßig Pfen­nig durch den Brief­kas­ten­schlitz und läuft ei­lig die Trep­pe hin­un­ter, als die Gro­schen im Kas­ten klap­pern.

Dann zot­telt er ziem­lich trüb­se­lig und miss­ver­gnügt nach Haus. In ei­nem Ge­schäft in der Kö­nigs­tra­ße kauft er sich noch zwei Bück­lin­ge, Brot war zu Haus, Milch war zu Haus, und so war das All­tags­mit­tages­sen à la Maack kom­plett. Dann konn­te man nach dem Es­sen schla­fen oder nicht schla­fen, wie der Kopf es woll­te, und dann kam der Licht­punkt des Abends: der Be­such bei Emil Bruhn. Und viel­leicht wür­de man so­gar, wenn Emil Bruhn in sei­ner Holz­wa­ren­fa­brik die­se Wo­che gut ver­dient hat­te, auf einen Tanz­bo­den ge­hen. So fan­tas­ti­sche Plä­ne hegt man. Die Bück­lin­ge mit dem fet­ti­gen Per­ga­ment­pa­pier in der Hand, trat Ku­falt in sei­ne Stu­be ein und blieb un­ter der Tür ste­hen.

Am Fens­ter hat­te ein schlan­ker, röt­li­cher Mann mit ei­ner lan­gen Nase ge­ses­sen, in ei­ner Zei­tung ge­le­sen, die er jetzt zu­sam­men­fal­te­te.

»Herr Ku­falt wahr­schein­lich?« sag­te der Mann. »Ent­schul­di­gen Sie, dass ich es mir bei Ih­nen ge­müt­lich ge­macht habe. Ihre Wir­tin hat­te kei­ne Be­den­ken.«

»O bit­te«, sag­te Ku­falt ver­wirrt.

»Mein Name ist näm­lich Diet­rich«, sag­te der Herr und sah Ku­falt freund­lich mit sei­nen ge­schwin­den Mau­seau­gen an, die selt­sam nah am Na­sen­rücken sa­ßen.

»Ku­falt«, stell­te sich Ku­falt ganz un­nö­tig vor. Er wuss­te noch im­mer nicht, wer sein Be­su­cher war.

Das ka­pier­te der so­fort.

»Ach so«, sag­te er. »Sie er­in­nern sich nicht mehr. Sie ha­ben doch an den ›Stadt- und Land­bo­ten‹ ge­schrie­ben we­gen Ar­beit. We­gen Ih­rer un­glück­li­chen Lage. Man hat da hin und her ge­re­det auf der Re­dak­ti­on we­gen Ihres Brie­fes, aber na­tür­lich tut kei­ner von den großen Leu­ten was, und so bin ich hier!«

Er lä­chel­te ein­la­dend und schi­en den Fall für ge­klärt an­zu­se­hen.

Der »Stadt- und Land­bo­te« war die klei­ne­re Kon­kur­renz je­ner grö­ße­ren Zei­tung, de­ren Herrn Scia­lo­ja Ku­falt eben be­sucht hat­te.

»Ja«, sag­te Ku­falt zö­gernd und leg­te die Bück­lin­ge auf den Wasch­tisch. »Und Sie ha­ben also Ar­beit für mich?«

»Vi­el­leicht«, sag­te Herr Diet­rich. »Wer lebt, wird er­le­ben.«

»Und was müss­te ich tun, um viel­leicht Ar­beit zu be­kom­men?«

Sie hat­ten sich bei­de ge­setzt und sa­hen ein­an­der freund­lich an.

»Wis­sen Sie«, sag­te Herr Diet­rich und neig­te sich so nahe zu Ku­falt, dass der fest­stel­len konn­te, Herr Diet­rich hat­te heu­te schon Ko­gnak ge­trun­ken. »Wis­sen Sie, ich bin näm­lich auch nicht an­ge­stellt beim ›Stadt- und Land­bo­ten‹. Ich bin ein frei­er Mann.«

Ku­falt zog sich ein we­nig zu­rück. So­wohl vor dem Atem wie vor der Er­öff­nung.

»Aber«, sag­te Herr Diet­rich – und die­ses Aber hat­te min­des­tens sie­ben a –, »ich habe vie­ler­lei zu tun. Ich habe vie­le Din­ge in mei­nem Kopf.«

Ku­falt glaub­te, das schon ein­mal heu­te ge­hört zu ha­ben, und sah still ab­war­tend da.

»Ers­tens«, er­klär­te Herr Diet­rich und leg­te sei­ne Hand sach­te auf Ku­falts Hand, »ers­tens bin ich Abon­nen­ten­wer­ber für den ›Stadt- und Land­bo­ten‹.«

Er hob sei­ne Hand hoch, be­trach­te­te sie nach­denk­lich. Dass die Nä­gel, so kurz sie auch ab­ge­bis­sen wa­ren, ziem­lich dre­ckig aus­sa­hen, schi­en er nicht zu be­mer­ken. Nach der Be­trach­tung der Hand leg­te er sie ein zwei­tes Mal auf Ku­falt.

»Zwei­tens«, sag­te Herr Diet­rich, »bin ich An­non­cenak­qui­si­teur für die­sel­be Zei­tung.«

Wie­der das­sel­be Ma­nö­ver mit der Hand. Und wie­der kam die Hand zu Ku­falts Hand zu­rück.

»Drit­tens«, sag­te Herr Diet­rich, »wer­be ich für eine frei­wil­li­ge Kran­ken­kas­se Ver­si­cher­te und er­he­be die Bei­trä­ge.«

Die Hand flog wie­der in die Luft und kehr­te wie­der zu Ku­falt zu­rück.

»Vier­tens kas­sie­re ich für die hie­si­ge Gast­wirt­sin­nung die In­nungs­bei­trä­ge.«

Ku­falt war über­zeugt, dass Herr Diet­rich ge­ra­de an die­sem Mor­gen bei den Gast­wir­ten In­nungs­bei­trä­ge kas­siert hat­te. Er wuss­te nicht, wie lan­ge Herr Diet­rich schon in sei­nem Zim­mer ge­ses­sen hat­te. Aber je­den­falls roch das Zim­mer ent­schie­den spi­ri­tu­ös.

»Fünf­tens«, er­klär­te Herr Diet­rich fei­er­lich, »er­he­be ich auch die Mit­glieds­bei­trä­ge beim Turn­ver­ein Alte Ei­che.

 

Sechs­tens bin ich aber auch der Ge­schäfts­füh­rer des hie­si­gen Wirt­schafts- und Ver­kehrs­ver­eins und gebe alle Aus­künf­te, die sonst von dem gan­zen Stab ei­nes Mit­tel­eu­ro­päi­schen Rei­se­bü­ros er­teilt wer­den.«

Ku­falt war­te­te, ob noch Wei­te­res käme, aber die Hand blieb in der Luft und wan­der­te dann in die Ta­sche von Herrn Diet­rich, wo sie mit Sil­ber­geld klim­per­te.

Je­den­falls will er mich nicht an­pum­pen, dach­te Ku­falt.

»Ihr Schick­sal hat mich di­rekt er­schüt­tert«, sag­te Herr Diet­rich über­lei­tend. »Ich ver­si­che­re Ih­nen: di­rekt er­schüt­tert.«

Pau­se.

Ei­gent­lich müss­te Ku­falt nun et­was sa­gen. Aber er sag­te nichts. Herr Diet­rich wand­te sein Ge­sicht plötz­lich scharf sei­nem Ge­sprächs­part­ner zu. »Und was den­ken Sie nun, was ich für Sie tun kann?« frag­te er.

»Ja, ich weiß doch nicht«, sag­te Ku­falt zö­gernd.

»Ge­halt kann ich Ih­nen nicht zah­len«, er­klär­te Diet­rich mit Ent­schie­den­heit. »Aber Sie ha­ben Aus­sich­ten bei mir.«

»So«, sag­te Ku­falt nur.

»Ich will Ih­nen mal was sa­gen«, er­klär­te Herr Diet­rich, »ich will ganz of­fen mit Ih­nen re­den. Ich bin über­haupt ein sehr of­fe­ner Mensch. Mei­ne Of­fen­heit hat mir schon tau­send Mal ge­scha­det …«

Er sah Ku­falt freund­lich lä­chelnd an, wuss­te aber ent­schie­den nicht wei­ter. Dann hat­te er eine Idee.

»Wis­sen Sie was«, sag­te er, »hier gleich an der Ecke hat der Gast­wirt Lem­cke eine Wirt­schaft. Darf ich Sie zu ei­nem Glas Bier und ei­nem Korn ein­la­den? Da spricht es sich viel bes­ser.«

Ku­falt zö­ger­te einen Au­gen­blick. Dann sag­te er: »Ich trink nie was am Vor­mit­tag. Ich ver­trag das nicht.«

»Ich auch nicht«, sag­te Herr Diet­rich, »aber Sie ver­ste­hen, wenn man Kas­sie­rer der Gast­wirt­sin­nung ist …«

Ku­falt hüll­te sich in Schwei­gen. Herr Diet­rich rück­te hin und her, sah un­zu­frie­den sei­ne Zi­gar­re an und sag­te dann, ge­wis­ser­ma­ßen zu die­ser Zi­gar­re: »Zu ei­nem Ent­schluss müs­sen wir kom­men.«

»Ja«, sag­te Ku­falt höf­lich.

Plötz­lich war Herr Diet­rich in Fahrt.

»Wis­sen Sie was, mein lie­ber Herr Ku­falt«, sag­te er, »schließ­lich ken­nen Sie mich nicht, und Ko­gnak habe ich heu­te auch schon ein biss­chen ge­trun­ken. Ge­hen Sie mor­gen um zwölf auf die Re­dak­ti­on. Da sitzt un­ser Ober­mucker­muck, der Free­se, der wird Ih­nen sa­gen, was ich für ein Mann bin. Und dann über­tra­ge ich Ih­nen ge­gen pro­zen­tua­le Be­tei­li­gung das In­kas­so bei al­len Verei­nen und der In­nung. Und Sie kön­nen auch An­non­cen und Abon­nen­ten wer­ben, und wenn Sie sonst eine Ar­beit für mich ma­chen, dann be­zah­le ich sie ex­tra. Was mei­nen Sie dazu?«

»Was könn­te man denn da so ver­die­nen im Mo­nat?« frag­te Ku­falt vor­sich­tig.

»Das hängt ganz von Ih­nen ab«, sag­te Herr Diet­rich. »Wenn Sie zum Bei­spiel hun­dert Abon­nen­ten im Mo­nat wer­ben, pro Abon­nent eine Mark fünf­und­zwan­zig, macht hun­dert­fünf­und­zwan­zig Mark, ein Vier­tel an mich – das ist ge­wis­ser­ma­ßen so ne­ben­bei ver­dien­tes Geld.«

»So«, sag­te Ku­falt, »und das Kas­sie­ren bei den Leu­ten? Die zah­len doch heu­te alle nicht ger­ne ihre Bei­trä­ge.«

»Na ja«, sag­te Herr Diet­rich, »Mil­lio­när wer­den Sie nicht wer­den. Aber Ihr Le­ben ha­ben Sie. Wol­len Sie, oder wol­len Sie nicht?«

»Zu Herrn Free­se will ich schon mal ge­hen«, sag­te Ku­falt.

»Und noch eins, lie­ber Herr Ku­falt«, sag­te Herr Diet­rich und neig­te sich ganz dicht zu Ku­falt hin, so­dass er das gan­ze Aro­ma von ei­nem hal­b­en Dut­zend Ko­gnaks zu spü­ren be­kam. »Wis­sen Sie, das mit dem In­kas­so, da krie­gen Sie doch Hun­der­te von Mark in die Hän­de, und ich muss da­für gra­de­ste­hen.«

Er sah Ku­falt ernst be­sorgt an.

»Ich muss da­für ge­ra­de­ste­hen«, wie­der­hol­te er noch ein­mal.

»Ja«, sag­te Ku­falt und war­te­te. Er wuss­te schon, was da kom­men wür­de, aber er woll­te es dem an­de­ren nicht gar zu leicht­ma­chen.

»Sie wis­sen doch, lie­ber Herr Ku­falt«, sag­te Herr Diet­rich. »Sie ha­ben es mir doch selbst ge­schrie­ben. Das war doch die­sel­be Ge­schich­te, wes­we­gen Sie ins Kitt­chen ka­men, ich mei­ne, wes­we­gen Sie Ihr un­glück­li­ches Schick­sal er­lit­ten.«

»Also kann ich eben nicht kas­sie­ren«, sag­te Ku­falt.

»Doch, doch«, ver­si­cher­te der an­de­re. »Man kann da doch si­cher ir­gend­was ein­rich­ten. Sie sind doch aus gu­ter Fa­mi­lie. Eine Kau­ti­on …«

»Also ich wer­de mor­gen mal zu Herrn Free­se ge­hen«, sag­te Ku­falt und stand auf.

»Sie mei­nen, eine Kau­ti­on käme nicht in Fra­ge? Ich wür­de sie na­tür­lich in je­der Hin­sicht si­cher­stel­len.«

»Was glau­ben Sie denn ei­gent­lich?« rief Ku­falt. »Glau­ben Sie, ich hät­te es nö­tig, Bet­tel­brie­fe zu schrei­ben, wenn ich große Kau­tio­nen stel­len könn­te?«

»Und eine klei­ne­re?« frag­te Herr Diet­rich. »Sie kön­nen ja je­den Tag mit mir ab­rech­nen.«

»Auch eine klei­ne nicht«, ent­schied Ku­falt. »Je­den­falls wer­de ich aber mal Herrn Free­se be­su­chen.«

»Das hat gar kei­nen Sinn«, sag­te Herr Diet­rich und pirsch­te sich ge­gen die Tür. »Free­se ist das gröbs­te Schwein von der Welt. Im Üb­ri­gen«, sag­te er und be­kam die Tür­klin­ke zu fas­sen, »im Üb­ri­gen bin ich doch nur zu Ih­nen ge­kom­men, weil ich von Ihrem Schick­sal er­schüt­tert war, di­rekt er­schüt­tert.«

»Ja, ja«, sag­te Ku­falt ge­dan­ken­los und be­trach­te­te nach­denk­lich sein Ge­gen­über mit der lan­gen Nase. Und plötz­lich hat­te er eine Idee.

»Kön­nen Sie mir nicht viel­leicht mit zwan­zig Mark aus­hel­fen«, sag­te er. »Ich bin näm­lich ziem­lich ab­ge­brannt.« Er lach­te.

Und nun ge­sch­ah das Wun­der­ba­re. Die­ser Diet­rich, die­ser halb be­trun­ke­ne Kerl, der mit dem Sil­ber­geld der Gast­wirt­sin­nung in sei­ner Ta­sche klap­per­te, die­ser Diet­rich fass­te ein­fach in die Ta­sche, hol­te eine Hand­voll Geld her­aus, zähl­te vier Fünf­mark­stücke ab, drück­te sie Ku­falt in die Hand, sag­te: »Quit­tung ist un­nö­tig. Wir ar­bei­ten doch noch mit­ein­an­der.«

Und ver­schwand mit dem sach­ten und vor­sich­ti­gen Schritt der re­gel­mä­ßig Be­trun­ke­nen, die wis­sen, dass sie auf sich auf­zu­pas­sen ha­ben, trepp­ab.