Gott - Offenbarung - Heilswege

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1. Verluste – oder:
Wenn der Wert des Wortes „Gott“ aufgezehrt ist

In der Moderne ist jedoch höchst fragwürdig geworden, ob eine vernunftgeleitete Wirklichkeitserfahrung und -deutung zur Erkenntnis eines innerweltlichen Verweisungszusammenhangs führen kann, der „über die Welt hinaus“ führt, so dass im Rahmen einer Welterklärungstheorie das „erste Unbewegte, aber alles Bewegende“, der letzte und weltjenseitige Grund alles Seienden und als solcher auch der Garant einer Ordnung der Werte und Normen aufscheint, dem in der religiösen Sprache das Wort „Gott“ entspricht. Die Voraussetzungen für solche Füllungen des Wortes „Gott“ sind weitgehend weggebrochen. Jede für unbezweifelbar gehaltene Prämisse menschlichen Denkens, Wollens und Tuns, die etwa in den kosmologischen, wahrheitstheoretischen, axiologischen oder ontologischen Gottesbeweis einging,51 lässt sich seit I. KANTS „Kritik der reinen Vernunft“ (KrV B 620–658) mit guten Gründen in Frage stellen. Seitdem steht die Auffassung, das Bemühen der (theoretischen) Vernunft um eine widerspruchsfreie Beschreibung der Welt und ihres Herkommens könne ohne religiösmetaphysische Zusatzannahmen nicht erfolgreich sein, auf sehr schwachem Fundament. Es ist höchst fraglich, ob die Theologie noch einen objektiven innerweltlichen Sachverhalt oder Tatbestand entdecken kann, über den sie den Gottesglauben hinsichtlich seiner „Gegenstandsfähigkeit“ verifizieren kann.

Gegen diese Möglichkeit spricht auch das normative Selbstverständnis der Moderne und das Resultat von vernunftgeleiteten Modernisierungsprozessen: Für die Erklärung der Entstehung der Welt, für die Begründung moralischer Normen, für die Legitimation politischer Herrschaft, sogar für die Sinnstiftung des Daseins ist Gott bzw. der Rekurs auf Gott nicht mehr notwendig (d. h. unabdingbar, zwingend, alternativenlos), sondern hierfür stehen längst funktionale Äquivalente zur Verfügung.52 Sinnerfüllung lässt sich etwa finden in einem Beruf, der Selbstverwirklichung und soziale Wertschätzung bietet. Manche Menschen sehen eine Sinnperspektive auch darin, sich für ein Projekt zu engagieren, das ihr Leben überdauert. Während für die einen Sinn etwas ist, das man dem Leben selbst geben muss, besteht er für andere darin, etwas vom Leben zu haben: „Handele so, dass du am Ende deines Lebens sagen kannst, das Maximum aus deiner Lebenszeit herausgeholt zu haben!“

In all diesen Bereichen kann der Mensch agieren „etsi deus non daretur“. Für die Moderne gilt es als ausgemacht, dass jetzt für den Menschen die Zeit gekommen ist, sein Leben in die eigenen Hände zu nehmen und sich nicht mehr in der Hand eines anderen zu wissen. Es ist an der Zeit, selbst den Lauf der Welt zu bestimmen, Herr und Meister der Natur zu werden, selbst Geschichte zu schreiben. Diese Überzeugung macht vor der Religion nicht Halt. Es beginnt das Experiment, dass die Grundsituation der Welt zureichend „ohne Gott“ bestimmbar ist. Dieses Experiment erweist sich – auch theologisch – als höchst folgenreich.

2. Konsequenzen – oder:
Wenn Gott im Horizont der Welt nicht mehr nötig ist

Die Moderne weist den Menschen in die Welt zurück, nicht über sie hinaus. Weder für das Denken noch für das Tun des Menschen scheint der Gottesgedanke also etwas zu bezeichnen, das als „conditio sine qua non“ seines Denkens und Handelns angesprochen werden muss. Die Autonomie der Naturerkenntnis und der soziokulturellen Sachbereiche (Wissenschaft, Wirtschaft, Technik) macht die Hypothese „Gott“ zur Erkenntnis und Gestaltung von Natur und Gesellschaft überflüssig. Die Welt versteht sich von selbst und funktioniert ohne sein Eingreifen oder Zutun. Es geht auch ohne ihn. Es ist geradezu ein Unterscheidungsmerkmal moderner und vor-moderner Welterklärungskonzepte, ob darin noch die Größe „Gott“ auftaucht. Aus der Möglichkeit der Weltinterpretation und Weltgestaltung ohne Gott macht die Moderne die Notwendigkeit der Weltbewältigung ohne Gott – um der Autonomie der theoretischen wie der praktischen Vernunft willen. Ein Gott, auf den man für nichts mehr angewiesen ist, ist aber offenkundig kein „göttlicher“ Gott mehr. Wenn es für die Bewältigung innerweltlicher Problemlagen funktionale Äquivalente gibt, ist Gott ersetzbar geworden. Wofür es Ersatz gibt, das ist verzichtbar und entbehrlich. Ein verzichtbarer und entbehrlicher Gott ist aber kein „richtiger“ Gott, und darum kann das Reden von seiner Notwendigkeit auch nicht mehr richtig sein. Wenn Christen angesichts dieses Umstandes dennoch ihre Gottesrede fortsetzen, erbringen sie erst recht den Nachweis, dass sie eigentlich nichts Rechtes zu sagen haben.

Wenn sich die Theologie dieser resignativen Schlussfolgerung nicht anschließen und ihre Frage nach Gott nicht aufgeben will, kommt sie gleichwohl an dem Befund der innerweltlichen Nicht-Notwendigkeit Gottes nicht vorbei. Die Frage nach Gott kann nur im Kontext einer Gott los gewordenen Welt redlich gestellt werden. Ehe theologisch von der Weltzugewandtheit Gottes gesprochen werden kann, will die Gottabgewandtheit der Welt als normative Signatur der Moderne bedacht werden. Die „Gottlosigkeit“ der Moderne und ihr Streben nach Autonomie bedingen einander. Erst in der Verarbeitung dieser Interdependenz ist es möglich, das christliche Reden von Gott wieder denkbar und verantwortbar zu machen. Die Verarbeitung des neuzeitlichen Atheismus und die Formulierung eines christlichen Gottesbegriffs sind somit als zwei voneinander unablösbare Aufgaben zu begreifen.53

47 Vgl. hierzu ausführlicher Ch. BÖTTIGHEIMER, Lehrbuch der Fundamentaltheologie, 320–329 (Lit.); J. WERBICK, Gott verbindlich, 19–37; A. KREINER, Das wahre Antlitz Gottes – oder was wir meinen, wenn wir Gott sagen, Freiburg/Basel/Wien 2006, 17–31, 111–145 (Lit.); DERS., Ende der Wahrheit? Zum Wahrheitsverständnis in Philosophie und Theologie, Freiburg/Basel/Wien 1992, bes. 475–571.

48 Vgl. auch Lateranum IV (1215): „Wir glauben fest und bekennen …, dass es nur einen, wahren, ewigen, unermesslichen und unveränderlichen, unfassbaren, allmächtigen und unaussprechlichen Gott gibt“ (DH 800). In der religionsphilosophischen bzw. religionskritischen Literatur begegnet man nicht selten einem sog. „theistischen“ Gottesverständnis, das auch dem Christentum unterstellt wird. Siehe etwa N. HOERSTER, Die Frage nach Gott, München 2005, 13: „Nach theistischem Verständnis ist Gott das einzige, ewige, personale und körperlose, höchst vollkommene Wesen, das die Welt erschaffen hat sowie erhält und lenkt (…) Gott ist also durch die Summe der folgenden sechs Eigenschaften oder Merkmale definiert: 1. als einzig; 2. als ewig existent; 3. als körperlose Person; 4. als uneingeschränkt vollkommen; 5. als Ursprung der Welt; 6. als Erhalter und Lenker der Welt.“ Mir ist kein liturgischer oder dogmatischer Text bekannt, in dem Christen den Glauben an eine „körperlose Person“ bekennen, was immer mit dieser kruden Wortkombination auch gemeint sein mag. Dass sie das christliche Gottesverständnis zutreffend erfasse, wird geichwohl insinuiert von R. SWINBURNE, Die Existenz Gottes, Stuttgart 1987, 16 ff; J. L. MACKIE, Das Wunder des Theismus, Stuttgart 1985, 9 ff. Kurios mutet an die Notiz von W. LÖFFLER, Einführung in die Religionsphilosophie, Darmstadt 2006, 37 f.: „Theistische Religionen sagen von Gott aus, dass er zwar eine Person ist, aber keinen Körper hat, wie das für menschliche Personen gilt. Zwar gibt es in manchen Religionen Aussagen, wonach sich Gott im Ausnahme-fall menschlich-körperlicher Erscheinungsformen bedient hat, aber dies sind schon aus Sicht des gläubigen Denkens nur Ausnahmen von der Regel. Gottes Unkörperlichkeit hat zur Folge, dass man bestimmte andere Aussagen ebenfalls nicht in genau derselben Weise wie von einem Menschen machen kann: Gottes Erkennen etwa muss ohne Sinnesorgane und ein zentrales Nervensystem, sein Handeln ohne Gliedmaßen und Sprechwerkzeuge vonstatten gehen.“ – Vermutlich handelt es sich bei solchen „körperlosen Personen“ um Gespenster, die in der Welt der Fabel Einhörner züchten. Zur Frage, ob und wann die Philosophie beim Versuch, von Gott zu reden, sicher sein kann, von derjenigen Wirklichkeit zu sprechen, die im religiösen Sprachgebrauch „Gott“ genannt wird, vgl. R. SCHAEFFLER, Philosophisch von Gott reden. Überlegungen zum Verhältnis einer Philosophischen Theologie zur christlichen Glaubensverkündigung, Freiburg/München 2006, 15–60.

49 Aus der Unbegreiflichkeit Gottes ergibt sich nicht seine Unerkennbarkeit oder Unbeschreibbarkeit. Weder wird behauptet, dass von Gott nichts erkannt werden kann, noch wird die These aufgestellt, dass das von Gott Erkennbare sprachlich nicht korrekt bestimmbar sei. Dass Gott „wesenhaft und wirklich von der Welt verschieden“ ist, beschreibt ja eine Erkenntnis bezüglich der Existenz Gottes. Aber diese Erkenntnis impliziert für das Reden von Gott, dass aufgrund seiner ontologischen Verschiedenheit von der Welt keine Aussagen über Gottes „Wesenseigenschaften“ gemacht werden können, ohne zugleich deren wesenhafte Verschiedenheit gegenüber allen Eigenschaftsbestimmungen im Bereich des Geschöpflichen bzw. Welthaften auszudrücken. Auf diese je größere Verschiedenheit ist der Begriff der Unbegreiflichkeit Gottes zu beziehen. Zur näheren Differenzierung zwischen der Unbegreiflichkeit, Unbeschreibbarkeit und Unerkennbarkeit Gottes siehe auch J. HERZGSELL, Die Unbegreiflichkeit Gottes, in: Ders./J. Perčič (Hg), Religion und Rationalität, Freiburg/Basel/Wien 2011, 36–48.

50 Traditionell haben Gottesbeweise die Funktion übernommen, durch rationale Argumentation das dem Glauben Selbstverständliche (= Existenz Gottes) in eine Selbstverständlichkeit des Denkens zu überführen. Zumindest sollte jede/r Denkende der vom Glauben für selbstverständlich gehaltenen Rede von der Existenz Gottes am Ende mit so viel Verständnis begegnen können, dass sie als „nicht unvernünftig“ qualifizierbar erscheint. Zur Konjunktur und Krise dieser Erwartungen siehe R. SCHAEFFLER, Philosophische Einübung in die Theologie. Bd. 1, Freiburg/München 2004, 28–75; Ch. BÖTTIGHEIMER, Lehrbuch der Fundamentaltheologie, 200–232, K. MÜLLER, Glauben – Fragen – Denken. Bd. III, Münster 2010, 521–695; N. SLENCZKA, Gottesbeweis und Gotteserfahrung, in: E. Runggaldier/B. Schick (Hg.), Letztbegründungen und Gott, Berlin/New York 2010, 6–30.

 

51 Zu dieser Typologie der Gottesbeweise siehe J. SCHMIDT, Philosophische Theologie, Stuttgart 2003. Vgl. ferner G. KREIS/J. BROMAND (Hg.), Gottesbeweise von Anselm bis Gödel, Berlin 2011; R. HILTSCHER, Gottesbeweise, Darmstadt 2008.

52 Vgl. hierzu etwa G. ROPOHL, Sinnbausteine für ein gelingendes Leben. Ein weltlicher Katechismus, Leipzig 2003; M. ONFRAY, Die reine Freude am Sein. Wie man ohne Gott glücklich wird, München 2008.

53 Vgl. hierzu ausführlicher H.-J. HÖHN, Der fremde Gott, 22–57; DERS., Gottes Fremde. Theologie in postsäkularen Konstellationen, in: A. Franz/C. Maass (Hg.), Diesseits des Schweigens. Heute von Gott sprechen, Freiburg/Basel/Wien 2011, 177–204.

§ 5 Focussierung:
Von Gott reden im Kontext der „Gottlosigkeit“

Wo die religionskritischen Plausibilitäten der Moderne noch die Möglichkeit einer zeit- und adressatengemäßen Rede von Gott offen lassen, wird vor allem die Aufgabe einer bisherigen Prämisse verlangt, von der man annahm, dass sie die Plausibilität dieser Rede verbürgen könnte: die Annahme der Notwendigkeit Gottes zur Erklärung innerweltlicher Abläufe und Sachverhalte. Von dieser Notwendigkeit her ließen sich Aussagen darüber treffen, „wie“ Gott sei: Die Suche nach einem Grund des Weltgeschehens und für Ausnahmen im vorhersehbaren Weltenlauf erwies ihn als allmächtig. Als Bürge menschlicher Wahrheitssuche musste er allwissend sein. Dass das menschliche Streben nach dem Guten nicht ins Leere lief, verdankte es seiner Allgüte. Aber genau diese Voraussetzung der Welterklärung und Handlungsorientierung hebt die Moderne auf und erweist sie als nicht-notwendig.

Mehr noch: Für die autonome Vernunft ist dies sogar eine falsche Prämisse. Für das Projekt, die Rede von Gott denkerisch, d. h. mit den Mitteln der autonomen Vernunft zu verantworten, gilt dies aber auch. Daher steht die Theologie nunmehr vor der Herausforderung, in dieser falschen Voraussetzung vernünftigen Denkens auch eine falsche Prämisse theologischen Denkens zu erkennen.54 Entfällt die Möglichkeit, von Gott sagen zu können, wofür er innerweltlich notwendig sei, gibt es für eine affirmative Gottesrede keinen unmittelbaren Anlass und Ansatz mehr. Wo man in der Theologie die Vorstellung einer innerweltlichen Notwendigkeit Gottes als einer falschen Prämisse des Redens von Gott ratifiziert, hat der Verzicht auf diese Prämisse aber einen hohen Preis: Ein nicht mehr notwendiger Gott verliert ein entscheidendes Prädikat seiner Göttlichkeit. Fortan ist nicht mehr klar, was einen solchen Gott von einem „Nichts“ oder „Niemand“ unterscheidet.

Unter der Prämisse von Gottes Notwendigkeit zur Erklärung oder Bewältigung innerweltlicher Sachverhalte ist auch die Doppelfrage der „demonstratio religiosa“ nicht mehr lösbar: a) Welche Größe verdient in Wahrheit „Gott“ genannt zu werden? – b) Ist die wahrhaft „Gott“ genannt Größe auch wirklich bzw. welchen Realitätsstatus hat diese Größe? Beim Wegfall der innerweltlichen Notwendigkeit Gottes scheint es zudem die Möglichkeit der indirekten Rede von Gott über die Entzifferung eines innerweltlichen Verweisungszusammenhanges nicht mehr zu geben. Wer Gott mit einer Welt zusammendenken soll, die ohne Gott zu denken ist, kann offensichtlich nur noch Gott und (das) Nichts zusammendenken. Kommt aber dabei etwas anderes als die Nichtigkeit Gottes heraus?

1. Problemverschärfung:
Transzendenz und Unbegreiflichkeit Gottes

Für die Fundamentaltheologie erweist sich der bereits zitierte christliche Gottesbegriff als zusätzlich problemverschärfend. Er beansprucht zwar, Kriterien angeben zu können für die Ermittlung, wer/was es in Wahrheit und in Wirklichkeit verdient, „Gott“ genannt zu werden: Das Wort „Gott“ steht für eine Größe, die „wirklich und wesenhaft von der Welt verschieden“ ist. Von Gott kann demnach gesagt werden: Er ist „über alles unaussprechlich erhaben, was außer ihm ist und gedacht werden kann“. Als solcher ist er „Schöpfer des Himmels und der Erde“ (vgl. DH 3001). Von Gott lässt sich allerdings nur via negativa etwas sagen: Er ist weltimmanent nicht antreffbar, weder ein Teil welthafter Wirklichkeit noch die Summe aller ihrer Teile ( „wesenhaft von der Welt verschieden“). Wenn er nichts davon ist, dann ist er transzendent gegenüber allem, was ist. Affirmativ kann nur von dem gesprochen werden, was Gott nicht ist bzw. nicht Gott ist ( „unaussprechlich erhaben“).55

Gleichwohl erschließt diese Einschränkung, von Gott unmittelbar nicht reden zu können, auch eine Perspektive, um dennoch einen konsistenten Gottesbegriff zu vertreten und auch gegenüber Nichtglaubenden als plausibel aufzuzeigen. Wer/was Gott in Wirklichkeit ist, lässt sich nach christlicher Überzeugung mit dem Hinweis auf die „Geschöpflichkeit“ der Welt angeben: Gott ist der, ohne den nichts (d. h. kein „etwas“) wäre. Er selbst ist (als Schöpfer) weder „etwas“ noch „nichts“.56 Dieser Gottesbegriff erweist sich dann als konsistent, wenn ihm kein immanenter logischer Widerspruch nachgewiesen werden kann und wenn er darüber hinaus widerspruchsfrei anschlussfähig ist für jede andere widerspruchsfreie Aussage über die Welt. Die erste Bedingung ist offenkundig erfüllt. Die semantische Füllung des Wortes „Gott“ als jene Größe, „ohne die nichts ist“, ist immanent logisch widerspruchsfrei, weil keine Prädikate verwandt oder Eigenschaften ausgesagt werden, die zueinander in einem logischen Widerspruchsverhältnis stehen. Die Moderne bestreitet allerdings, dass die Aussage, Gott sei „Schöpfer des Himmels und der Erde“, widerspruchsfrei anschlussfähig für eine philosophisch bzw. naturwissenschaftlich widerspruchsfreie Rekonstruktion von Dasein und Entstehung der Welt sei. Sie insistiert darauf, dass Dasein und Entstehen der Welt „ohne Gott“ gedacht werden müssen. Die Theologie muss daher zeigen, inwiefern die Rede von Gott als „Schöpfer von Himmel und Erde“ kompatibel ist mit einer Verfassung der Welt, die sie „etsi deus non daretur“ zu denken aufgibt.


Angesichts eines um sich greifenden szientistischen Naturalismus, der die Berechtigung jener (metaphysischen) Aussagen bestreitet, deren Thema die Beschreibung ist, was es mit der Welt im Ganzen auf sich hat, ist die Theologie jedoch nicht gut beraten, wenn sie gegen diese Provokation die Alternative „Schöpfung oder Evolution“ aufbietet und vermeintliche Lücken in der Kosmologie oder Evolutionstheorie als Ausgangspunkt eines anti-naturalistischen Ansatzes für eine theologische Weltentstehungstheorie aufsucht. Ein solches Vorhaben ist Ausdruck eines Missverständnisses, was Gegenstand und Ziel der (Schöpfungs)Theologie ausmacht bzw. in der Moderne noch sein kann.

2. Fatale Auswege:
Theologische Weltentstehungstheorien

Wer im naturwissenschaftlichen Verständnis wissen will, was „anfangen“ heißt, erkundigt sich nach einem initium, d. h. nach dem räumlich-zeitlichen „Wovonher“ dessen, was schon ist. Hier geht es um einen Anfang, den man hinter sich lassen und von dem man sich zunehmend entfernen kann. Dagegen richtet sich die religiöse bzw. theologische Frage auf ein principium, d. h. auf das Grundlegende, das zu jeder Zeit gilt. Sie fragt nach einem durch die Zeit „mitlaufenden Anfang“, d. h. nach einer Voraussetzung, von der man immer wieder ausgehen muss, wenn man selbst etwas (an)setzen will.57 Die naturwissenschaftliche Fragestellung betreibt Ursachenforschung, indem sie wissen will: Wie kommt es, dass x aus y hervorgeht? Wie kommt es, dass es immer wieder dazu kommt, dass x aus y hervorgeht? Ihr steht das religiöse bzw. theologische Fragen durchaus nahe, wenn es grundsätzlich wissen will: Wie kommt es überhaupt dazu, dass x aus y hervorgeht? Welche Bedingung muss erfüllt sein, dass es das Hervorgehen geben kann? Wie prinzipiell diese Frage ist, kommt stärker in folgenden Formulierungen zum Ausdruck: Wie kommt es, dass es das überhaupt gibt, dass es zu etwas kommt? Wie kommt es (dazu), dass es das „es gibt“ gibt, bzw. dass es das Geben gibt? Was hat es letztlich damit auf sich, dass es überhaupt etwas gibt und nicht vielmehr nicht(s)? Steckt darin ein Sinn, bietet es einen Anhalt für die Möglichkeit, das Gegebene auch aus freien Stücken anzunehmen und zu bejahen?

So wenig beide Fragestellungen ineinander überführbar sind, so wenig stehen auch ihre Bezugsdisziplinen in einem Konkurrenzverhältnis. Die Theologie entwickelt keine Weltentstehungstheorie, sondern stellt eine Weltakzeptanzreflexion dar. Allerdings besteht die Möglichkeit einer „tangentialen“ Verhältnisbestimmung religiösen und naturwissenschaftlichen Fragens. Hierbei berührt sich die ontologische Leitdifferenz des Schöpfungsglaubens („Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts?“) mit der ontologischen Leitdifferenz des Evolutionsparadigmas („Wie entsteht etwas aus etwas anderem?“) lediglich punktuell. Dieser Berührungspunkt lässt allenfalls zu, durch ihn als Tangente der Kategorien initium und principium eine Linie zu ziehen, auf der nach der Möglichkeit gefragt wird, ob und wie man Schöpfung, Sein und Sinn zusammen denken kann. Und sogleich streben Frage und Erfragtes wieder auseinander: Der Schöpfungsglaube fragt, ob ein zureichender Grund für das „Dass“ des Daseins auch dessen Akzeptanz rechtfertigen kann. Genügt bereits der Hinweis, dass es etwas gibt, dass es das Geben gibt und nicht vielmehr nicht, um derartige Gegebenheiten auch (ohne wenn und aber?) akzeptieren, bejahen und annehmen zu können, anstatt sie bloß hinzunehmen? Das Evolutionstheorem fragt nach zureichenden Gründen, warum das, was ist, so und nicht anders ist. Es will bestimmen, wie es aus etwas anderem hervorging, das wiederum „etwas“ ist. Die Frage der Daseins-, Welt- und Selbstakzeptanz des derart Fragenden ist damit nicht impliziert und mit den Mitteln dieses Fragens auch nicht zureichend beantwortbar.


Die Figur der Tangente ist noch in einer weiteren Hinsicht heuristisch produktiv. Sie schließt zwischen zwei Größen eine Schnittmenge aus; sie hält sie unterscheidbar und macht zugleich eine Zuordnung möglich. Es findet keine Vermischung zweier Sphären statt; jede Größe zieht ihren eigenen Kreis. Die Verschiedenheit beider Größen bleibt gewahrt, ihre Diversität schließt aber nicht aus, dass sie miteinander „zu tun haben“. Damit sind zwei Bedingungen genannt, die auch für die weitere Arbeit an einem adäquaten Gottesbegriff zu beachten sind. Dass das Wort „Gott“ für Christen den „Schöpfer von Himmel und Erde“ meint, der „wesenhaft und wirklich“ von seiner Schöpfung verschieden ist, impliziert, dass ein Verhältnis zwischen Gott und Welt ausgesagt werden kann, das einen Unterschied einschließt, der größer nicht gedacht werden kann.58

Die wichtigsten Kategorien, um von Gott reden zu können, sind demnach „Verhältnis“ und „Unterschied“. Und die wichtigste Aufgabe der Theologie besteht darin, anhand dieser Kategorien deutlich zu machen, welchen Status das mit dem Wort „Gott“ Bezeichnete in Wirklichkeit auszeichnet. Wichtige Hinweise für dieses Unternehmen ergeben sich aus dem christlichen Begriff der Schöpfung und seinem theologischen Gebrauch. Er praktiziert ein unterscheidendes In-Beziehung-Setzen von Gott und Welt, das die Alterität Gottes wahrt. Hierbei steht ein „weder/noch“ im Zentrum: Gott ist weder auf Seiten des Geschöpflichen identifizierbar noch ist er deswegen „nicht(s)“. Sofern die Wirklichkeit Gottes sich ganz und gar von der Wirklichkeit der Welt (und vom Nichts) unterscheidet, gilt: Der Unterschied zwischen Gott und Welt ist ein anderer als der Unterschied, der zwischen Dingen/Entitäten in der Welt oder zwischen Welt und Nichts besteht. Ebenso sind die weltimmanent erprobten Unterscheidungen zweier Größen und die bewährten Formen des unterscheidenden In-Beziehung-Setzens weltimmanenter Größen (z. B. kausale oder konditionale Verknüpfungen: weil x, darum y/immer wenn x, dann auch y) auf das Gott/Welt-Verhältnis nicht gleichsinnig anwendbar. Gott und Welt sind weder nach dem Muster weltimmanenter Beziehungen noch nach dem Muster weltimmanenter Unterschiede zusammen denkbar. Will man dennoch das Wort „Gott“ innerweltlich verständlich machen, muss man sich auf die Suche nach anderen Beziehungsmustern und Unterschieden machen. Ohne Alteritätsbestimmungen ist aber dabei nicht aussagbar, was die Rede von Gott als „Schöpfer des Himmels und der Erde“ meint! Das heißt auch: Mit dem „Schöpfersein“ Gottes ist primär nicht die Angabe einer Urheberschaft oder Autorschaft Gottes (dessen Werk die Welt ist), sondern der Hinweis auf das je größere Verschiedensein von allen weltimmanenten Formen der Urheberschaft und Autorschaft verbunden. Ein solcher Unterschied besteht darin, dass das Schöpfersein Gottes nicht erklärt, was in der Welt ist, sondern ein Verständnis dafür wecken will, was es mit der Welt letztlich auf sich hat.

 

54 Vgl. hierzu auch E. JÜNGEL, Gott als Geheimnis der Welt. Zur Begründung der Theologie des Gekreuzigten im Streit zwischen Theismus und Atheismus, Tübingen 51985, 16–44.

55 Vgl. hierzu bereits THOMAS V. AQUIN, Expositio super librum Boethii de Trinitate, pars 1, q. 2, a.2, ad 2: „Dass wir von Gott wissen, was er nicht ist, tritt bei der Erkenntnis Gottes an die Stelle der Erkenntnis dessen, dass er ist. Denn wir unterscheiden ein Ding von anderen Dingen ebenso dadurch, dass wir wissen, was es nicht ist, wie dadurch, dass wir wissen, was es ist.“ Ähnlich heißt es im Eröffnungssatz der Summa Theologiae (STh I, q.3, prologus): „Wir vermögen nicht zu wissen, was Gott ist, wohl aber, was er nicht ist.“

56 Vgl. hierzu auch P. KNAUER, Eine Alternative zu der Begriffsbildung „Gott als die alles bestimmende Wirklichkeit“, in: ZKTh 124 (2002) 312–325.

57 Zur Verdeutlichung: Wer ein Buch über die Geschichte des Bogenschießens, Fußballspiels, Diskuswerfens oder einer anderen Sportart schreibt, wird sich nach ihren Anfängen und Ursprüngen erkundigen (initium) und eine Chronik anlegen. Wer über die Grundlagen des Bogenschießens oder Fussballspielens schreibt, muss jene elementaren Regeln und Fertigkeiten vorstellen, die es überhaupt und jederzeit ermöglichen, die jeweilige Sportart auszuüben (principium), und wird somit ein Lehr- oder Handbuch für Trainer und Spieler vorlegen.

58 Mehr noch: Es gibt zwischen Schöpfer und Geschöpf keine Ähnlichkeit, die nicht von einer je größeren Unähnlichkeit umgriffen wird. Vgl. Lateranum IV (1215): „quia inter creatorem et creaturam non potest similitudo notari, quin inter eos maior sit dissimilitudo notanda“(DH 806).