Baumeister Karl der Große

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„Wala, an welche zusätzlichen Einfügungen in einen neuen Eidestext hast du denn dabei gedacht?“, unterbrach Karl hier seinen Vetter.

„Der neue Eidestext sollte auch beinhalten, dass jeder deiner Untertanen seine ganze Persönlichkeit in den Dienst Gottes stellt. Meineid, List, Betrug und Unterschlagung muss darin untersagt sein. Ebenso ist der Raub oder anderes Unrecht an der Kirche, an Witwen, Waisen und Fremden zu verurteilen. Dem Heerbann und überhaupt allen Anordnungen des Königs ist Folge zu leisten. Jeder muss seine Abgabe pünktlich entrichten. Niemand darf die Gerechtigkeit hemmen, Gefälligkeits- oder gar gekaufte Urteile sind im Eidestext untersagt“, sprudelten all die hehren Gedanken aus Wala heraus.

„Deine Forderungen kann ich voll unterstreichen, und ich würde mit solchen Bestimmungen gerne die richtige Ordnung wiederherstellen, doch ich fürchte, für die Herstellung einer solchen neuen Wirklichkeit ist die Zeit noch nicht reif“, entgegnete der König.

„Wala, wie beurteilst du die Notwendigkeit von Zwischengewalten in Form eines Herzogtums, einer Präfektur oder eines Unterkönigtums, wie das beispielsweise von meinem Sohn Pippin, dem Unterkönig von Italien?“

Es war eine Weile still, während der König geduldig auf Walas Antwort wartete. Wala bohrte die Spitze seines Messers in das Käseeckchen, das vor ihm auf dem Tisch lag, und zerschnitt es in zwei Hälften. Die Hälften teilte er wieder. Als die Krümel so klein waren, dass sie sich nicht weiter zerschneiden ließen, nahm er sich ein Stück Brotrinde vor. Schließlich antwortete er. „Karl, ich erkenne wie du zwar die Notwendigkeit in Form von Provinzen, Präfekturen, Diözesen oder wie immer man sie bezeichnen mag, ein Bindeglied zwischen Zentralverwaltung und unseren Grafschaften, Bistümern und Klöstern zu schaffen, aber ich warne gleichzeitig vor einer zu schnellen Umsetzung, da uns hierzu einfach die gebildeten Menschen, die Beamten, Notare, Schreiber fehlen. Wir dürfen einfach nicht der Gefahr unterliegen, uns mit dem gewaltigen beamteten Regierungs- und Verwaltungsapparat Konstantinopels zu vergleichen.“

„Ja, Wala, das ist auch in den Gesprächen mit Alkuin und deinem Halbbruder Adalhard sehr deutlich angeklungen. Wo würdest du denn die Schwerpunkte erster Reformansätze vornehmen?“

„Wenn ich in unserem Reich das Sagen hätte“, und jetzt musste Wala lachen, „würde ich nicht zulassen, dass du dich jedes Jahr auf dem Rücken eines Pferdes als Feldherr eines großen Heeres gegen Sachsen, Slawen, Muselmanen und andere Feinde herumschlägst und die Nächte in feuchten Zelten verbringst. Du, der fränkische König, gehörst vielmehr als der Organisator eines mächtigen fränkischen Staatswesens in eine ständige Residenz mit Verwaltungsgebäuden für Ministerien, Bibliotheken, Archive, heizbare Gemächer, Hallen für den Empfang hoher Gäste, einen Dom, um Gott zu ehren, Klöster für die Mönche, die am Hof dienen. Du hast Anspruch auf eine königliche Residenz zum Beten, Essen, Trinken, Schlafen, Jagen, Spielen, Richten, Urkunden. Außerdem solltest du den Armen Gutes tun und bei einer überwiegend mündlich geprägten Regierungsweise über eine repräsentative Königsaula für die Einberufung der Hoftage und Synoden sorgen“, forderte Karls Vetter.

„Mir schweben befestigte Straßen, Höfe, Reitställe, Säulengänge, ein Tierpark, Schwimmbäder und vieles mehr vor. Die Wahl des Ortes, von dem diese Monumentalpfalz als ein neues bescheideneres nova Roma entstehen soll, ist zweitrangig, wenn eine halbwegs ordentliche Verkehrsanbindung gewährleistet ist. So kann ich auch dem Vorschlag des Paulus Diaconus, Ingelheim oder Worms zur Regierungsresidenz auszubauen, durchaus etwas abgewinnen. Aber auch das Pariser Becken mit der Ile de France böte sich als Mittelpunkt und Hauptstadt des Reichs an, weil auch hier die Lebensgrundlage leicht sicherzustellen ist und die Verkehrsanbindungen ausgezeichnet sind. Außerdem befinden sich im Kloster St. Denis die Grablegen deiner Vorfahren und schließlich hast du selbst angeordnet, dass auch du hier einmal bestattet werden willst“, erinnerte Wala den fränkischen König an eine Weisung, die Karl in der Tat zu Beginn seiner Regierung gegeben hatte.

„Und ich füge hinzu, ohne eine solche Regierungsmetropole, ob nun in Ingelheim, Worms, Paris oder wie mein Bruder Adalhard angedacht hat in Pavia, mit all ihren notwendigen baulichen Voraussetzungen wird eine gedeihliche Umsetzung der Reformen nicht möglich sein.“

„Wala, wie beurteilst du die Bereitschaft des Adels zu einem solch kostspieligen und langjährigen Unterfangen?“, fragte der König, ohne auf die Standortfrage seiner zukünftigen Residenz einzugehen.

„Nach meiner ganz persönlichen Einschätzung erwarte ich im Gegensatz zu anderen Reformansätzen gerade beim Bau einer Regierungsresidenz ein hohes Maß an materieller Hilfestellung durch unseren Adel, wollen sich doch unsere hohen Herren sicherlich auch selbst mit einer repräsentativen Regierungsmetropole schmücken“, entgegnete Wala und grinste dabei.

„Deine Einschätzung in Gottes Ohr“, bemerkte Karl darauf spitz.

„Wenn ich dir einen weiteren Rat geben darf, Karl, so sollten alle unsere Schritte zunächst behutsam in die richtige Richtung gehen, Wegweisungen aufzeigen, die auch in einer angemessenen Zeit durchführbar sind. Hüte dich, mein König, vor zu viel Einfluss der Geistlichkeit in deinem Beraterkreis, denn sie wird voraussichtlich den Kulturabstand, der sie von den Zeiten Vergils, ja Augustinus trennt, in nur wenigen Jahren zu überwinden trachten. Veränderungen anstreben ist das eine, Utopien im Bereich der Politik, des sozialen und wirtschaftlichen Lebens anstoßen das andere“, dämpfte Wala erst einmal unangemessene Euphorien. „Deine angestrebten Veränderungen im Bildungs- und Landwirtschaftsbereich sind nach meinem Dafürhalten sehr vernünftig angelegt, wenngleich sie eine Menge an Improvisationen erwarten lassen. Und sie zeigen zu Recht den hohen Stellenwert, den du unseren Klöstern bei der Umsetzung von Reformen offensichtlich einräumst“, fügte Wala mit Bedacht hinzu. „Es muss eines deiner wichtigsten und erklärten Ziele sein, dass sich so schreckliche Hungersnöte wie in der Vergangenheit nicht mehr wiederholen, sondern wir neben der bereits angesprochenen Verbesserung unserer Landwirtschaft auch unsere Möglichkeiten in Handwerk und Handel erheblich steigern müssen, um eine Ernährungssicherheit für jedermann zu erreichen. Die in deinem erst kürzlich fertiggestellten Capitular de villis getroffenen Anordnungen stärken die Landwirtschaft schlechthin und die Staatseinkünfte beträchtlich. So bildet das Königsgut, zusammengesetzt aus Familienerbe und ehemals merowingischem Besitz die Basis des königlichen Haushalts, was letztlich ja mit den Staatseinkünften identisch ist. Ich rate dir, mein König, das Hofamt des Kämmerers in ein eigenständiges Ministerium für die Staatsfinanzen mit tüchtigen und ehrlichen Beamten umzuwandeln. Es sollte dir daran gelegen sein, zu den Erträgen aus den eigenen Domänen, dem aus Kriegsbeute, Jahresgaben und Geschenken angehäuften Staatsschatz noch weitere Einkunftsarten zu erschließen.“

„An welche Möglichkeiten hast du denn so gedacht?“, fragte jetzt der fränkische König.

„Zunächst sollten wir uns der Ehrlichkeit halber eingestehen, dass unser Fränkisches Reich zwar eine politische, doch keine wirtschaftliche Großmacht darstellt. Das Frankenreich ist vielmehr ein reiner Agrarstaat, zwar zentralistisch gelenkt, aber in viele Einzelgebiete zerfallen, die man weder schnell erreichen noch überschauen kann und denen eine wechselseitige Verklammerung fehlt. Inbegriff der politischen und staatlichen Ordnung sind die großen und kleinen Grundherrschaften. Der Grundherr übt über seine Abhängige, die Hörigen, die Hintersassen und Holden die Ordnung, Zwangsgewalt und Obrigkeit schlechthin aus. Damit übt der Grundherr über seine meist unfreien Bauern gewissermaßen staatliche Rechte aus, in die der König im Allgemeinen nicht eingreift. Allenfalls bleibt die hohe Gerichtsbarkeit über die wenigen freien Bauern dem König und seinen staatlichen Organen vorbehalten. Für die Unfreien hingegen aber gilt im Frankenreich die Herrschaft des Grundherrn uneingeschränkt“, beschrieb Wala die staatliche Ordnung sehr zutreffend.

„Die Verbindung des Königs und seiner Regierung mit den Bevölkerungen dieser Gebiete ist unzureichend und bedarf daher dringend einer wesentlich besseren Kontrolle der oft zu Eigenmächtigkeiten neigenden Verantwortungsträger der Grafschaften und Grundherrschaften“, analysierte Wala richtig. „Dein Reichtum beruht zu einem Großteil auf den geraubten Schätzen der Langobarden, der Sachsen sowie tributärer Verträge, wie beispielsweise jene mit dem Herzogtum Benevent und kleinerer slawischer Völkerschaften“, fuhr Wala fort. „Ich bin daher der Meinung, dass wir die slawischen Völker nach Osten hin, die Abodriten, Wilzen, Redarier, Heveller, Sorben, Böhmen und wie sie alle heißen und im Besonderen die sehr reichen Awaren mittels unserer überlegenen Militärmacht unterwerfen und tributpflichtig machen sollten, um auch über entsprechende finanzielle Mittel für den Aufbau umfangreicher Reformen zu verfügen. Mit dem eroberten Land im Osten könntest du auch Teile unseres Militärs besolden, wie es ja vor dir schon römische Kaiser gemacht haben.“

„Zunächst, Wala“, antwortete der König, „gilt es im Osten unseres Reichs Erreichtes zu festigen. Die nasse Grenze der Elbe soll bis auf Weiteres unser Hoheitsgebiet begrenzen, was ja Kontakte und auch Bündnisse mit den Völkern jenseits der Elbe nicht ausschließt. Landgewinn und Missionierung stehen in absehbarer Zeit im Osten nicht auf meinem Wunschzettel. Anders beurteile ich den Konflikt mit den Awaren. Hier wird es wohl zwangsläufig in den nächsten Jahren zu einem Kräftemessen kommen“, prophezeite der König.

 

„Und wie denkst du über Spanien, Karl, das in fremder, muslimischer Hand ist? Trotz unseres missglückten Heereszugs in spanische Grenzregionen anno 778 vertrete ich die Ansicht, dass Spanien für das Christentum wiedererobert werden muss.“

„Ich habe keine Absichten mit Spanien“, erwiderte Karl darauf barsch. „Weder die Westgoten noch die Mauren und Sarazenen würden in unser Reich passen.“

„Und was ist mit Asturien?“, fragte Wala herausfordernd. „Hat sich nicht diese christliche Enklave im Nordwesten Spaniens deinen Schutz verdient?“

„Ihr König Alfonso, den sie den Keuschen nennen, sagt doch nur aus Höflichkeit und Warnung an die Araber, dass er Vasall der Franken werden möchte“, meinte Karl mit einer wegwerfenden Handbewegung. „Also lassen wir das“, fuhr er mürrisch fort, „ich bin derzeit nicht an Ländern interessiert, die nur über den Pass von Roncevalles erreichbar sind“, grämte sich Karl offensichtlich immer noch über die vernichtende Niederlage des Markgrafen Roland aus der Bretagne und vieler edler Männer, die dort im August anno 778 beim Rückzug aus dem Spanienfeldzug in einen feigen Hinterhalt der Basken geraten waren.

„Im Innenbereich unseres Staatswesens muss der Schlagsatz aus der Münzprägung, was seit alters her Vorrecht des Königs ist, die Vergabe von Prägeanstalten, das gesamte staatliche Münzwesen ausschließlich in die Verfügungsgewalt des Königs und damit des Staates fallen“, setzte Wala seine Vorstellungen über Einnahmemöglichkeiten des Königs und damit des Staatwesens fort. „Nach meinem Verständnis muss die Verhüttung aller Metalle und auch der Handel mit jeglichem Metall durch ein gesondertes Ministerium gesteuert werden“, fuhr Wala fort. „Genauso sollte der Waffenhandel mit unseren Brünnen, Schwertern und Lanzen, die ja in aller Welt begehrt sind, dann der Salz- und Getreidehandel ausschließlich unter die Obhut eines neu zu begründenden Ministeriums fallen.“

„Wala, du willst mir doch nicht allen Ernstes die Ausfuhr von Waffen empfehlen, die sich irgendwann gegen unser Reich richten könnten?“, unterbrach hier der König und schaute seinen Vetter dabei verwundert an.

„Nein, Karl, die Ausfuhr von Waffen und auch Getreide sollte unter Strafe gestellt werden, andererseits müssen auch unsere Händler in unseren Nachbarländern etwas anzubieten haben, was dort auf Interesse stößt“, gab Wala dem König zur Antwort und fuhr dann fort: „Alle freigestellten Erzeugnisse aus unserem Reich sollten beim Verlassen der Landesgrenze erhebliche Zölle für die Krone auslösen. Ich denke, dass wir mit unseren Kleidungsstücken, Lederzeug, Pelzwerk, flämischer Wolle, thüringischen Webstoffen, Arbeiten aus Glas und Metall, Glocken, Bleiplatten für Bedachungszwecke, auch mit unseren starkknochigen Pferden und wilden Jagdhunden durchaus bestehen können. Es wird aber auch nötig sein, dass wir im Inland Zölle auf Handelsgüter und verstärkt Wege-, Hafen- und Brückenabgaben, Gerichts- und Bußgelder erheben, um damit wiederum wichtige öffentliche Aufgaben zu finanzieren“, bemerkte Wala und fügte mit Blick auf seinen Vetter Karl noch hinzu: „Um ein solch großes wirtschaftliches Aufbauwerk im Frankenreich umzusetzen, muss zwingend eine sorgfältige buchhalterische Überwachung dieser Einnahmen durch ein solches von mir hier vorgeschlagenes Ministerium für Staatsfinanzen erfolgen. Um all die vielen angedachten Veränderungen, die im Raume stehen, finanzieren zu können, bedarf es nach meiner persönlichen Einschätzung jedenfalls eines leistungsfähigen Steuersystems und einer aktiven, auf Gewinn orientierten Wirtschaftspolitik“, vertrat Wala hier eindeutig Position.

„Wenn du, mein König, nicht um den heißen Brei reden willst, wirst du all den großen und kleinen Grundherrn, den landbesitzenden Bistümern und Klöstern, all deinen Krongütern schon bald offenbaren müssen, dass sie zur Bestreitung einer Vielzahl öffentlicher Aufgaben einen steuerlichen Beitrag nach dem Umfang von Fläche und Ertrag, also ihres jeweiligen Leistungsvermögens, erbringen müssen. Daran führt nun mal kein Weg vorbei“, schloss Wala mit unverkennbarer Aufgeregtheit in der Stimme zunächst einmal seine Darlegungen.

„Wenn wir eine solche Lösung hinbekämen, könnten wir das Zehntgebot an die Gotteshäuser aufheben und stattdessen unsere Kirchen aus einem solchen allgemeinen Steueraufkommen unterstützen“, sinnierte der König schon weiter und folgerte zugleich: „Was wiederum entsprechende schreibkundige Beamte notwendig macht, die wir nicht haben“, brummte Karl und schüttelte dabei mit dem Kopf. „Auch sollten wir ein altes jüdisches Sprichwort befolgen, dass besagt, dass ein guter Hirte seine Schafe zwar schert, ihnen aber nicht das Fell abziehen soll“, fügte Karl noch spöttisch hinzu.

„Vergiss nicht, mein König, die Macht und der Reichtum der Phönezier, dann Karthagos und später des römischen Weltreichs beruhten auf einem länderübergreifenden Handel. Wenn wir jedoch von Handel sprechen, müssen wir notwendigerweise die Zinsnahme und den Zugewinn nicht als schändlichen Wucher verurteilen, sondern vielmehr vonseiten des Staates einen gewinnorientierten Geschäftsverkehr mit Gütern und Waren unterstützen“, rüttelte Wala mit seinen Worten an aus seiner Sicht überholten Vorstellungen des fränkischen Königtums. „Und wenn wir das so wollen“, legte Wala noch nach, „ist der regionale und auch überregionale Handel und Warenaustausch ohne das Vorhandensein von Bewertungsmaßstäben und Preisen einfach nicht denkbar. Und ich füge hinzu, eine Vereinheitlichung unserer Maßeinheiten und Gewichte ist unumgänglich.“

„Starke Worte, die unseren Väterzitaten, den Kirchenkonzilen und kirchlichen Erlassen widersprechen und doch viel Wahrheit beinhalten“, antwortete darauf Karl, schürzte für einen Moment die Lippen und fuhr mit zerfurchter Stirn, mürrisch in den Raum schauend, fort: „Ja, sicherlich hast du mit deiner Einschätzung sogar recht, Wala, und doch hättest du eigentlich neben deiner berechtigten Forderung nach Ausweitung von Handwerk und Handel auch gleich die Verbesserung unseres maroden Verkehrswesens anmahnen müssen“, antwortete darauf Karl und ergänzte: „Ich erkenne auch die Notwendigkeit der Kreditvergabe gegen einen angemessenen Zins an. Was ich aber nicht will sind Spekulationsgeschäfte, die sich an der Not der ärmsten Menschen bereichern. Wer zur Zeit der Ernte und der Lese ohne Not, nur aus reiner Habsucht, Getreide oder Wein zu zwei Denaren das Scheffel kauft und hortet, bis er es zu vier oder sechs oder noch mehr verkaufen kann, macht einen Schandgewinn, der unter härteste Strafen gestellt werden muss“, forderte Karl hier einschneidene Maßnahmen. „Und zum Handel innerhalb unseres Reichs gehört nun einmal auch ein einheitliches Münzsystem in einem einheitlichen Wirtschaftsraum mit möglichst einheitlichen Maßen und Gewichten. Ich gehe sogar so weit zu behaupten, dass ein solch modernes System der Wirtschafts- und Steuerpolitik nicht mit unserem weit verbreiteten System des Naturalientauschs denkbar ist“, stöhnte Karl sichtlich und sprach:

„Aus diesem Grund muss der Geldumlauf deutlich an Volumen zunehmen, damit die Steuerlast nicht mehr in Arbeitskraft und Naturalien beglichen wird, sondern in wesentlich leichter zu transportierenden Münzen mit unterschiedlichen Wertigkeiten.“

„Ja, Karl, die Neuordnung des Geldwesens ist gefragt“, stellte Wala eine klare Forderung an den König. „Und da kaum noch genügend Gold für Münzprägungen vorhanden ist, werden wir als Ersatz für das Gold wohl Silber zum Maß der Waren und Dienstleistungen machen müssen.“

„Ich weiß, ich weiß“, sagte der König immer wieder. „Jedermann warnt mich, weil Gold das wertvollste der Metalle ist und bleiben wird. Aber ich kann es mir nicht aus den Rippen schneiden“, stöhnte König Karl und fuhr in leidgeprüfter Tonlage fort: „Wenn wir darüber hinaus wie die Kaufleute von Venedig Handel mit fremden Völkern treiben wollen, so brauchen wir dazu entsprechende Handelsschiffe.“

„Ja, Handlungs- und Veränderungsbedarf ist in allen Lebensbereichen unseres Gemeinwesens gegeben,“ entgegnete Wala auf Karls Einlassungen, „trotzdem warne ich vor einem zum Scheitern verurteilten unüberlegten Aktionismus, mehr noch einem Gigantismus, der unnötigerweise deine auf die Einheit unserer Völkerschaften ausgerichtete Herrschaft gefährden könnte.“

„Das sind die gleichen Warnungen, die auch schon Alkuin an mich gerichtet hat“, entgegnete der König darauf mit einem Griemeln in seinem Gesicht.

„Das gilt übrigens auch für den Bau einer Regierungsmetropole, der uns alle zum Gigantismus verführen könnte“, legte Wala nach. „Die beste Durchdringung königlicher Herrschaft und damit auch Umsetzung angestrebter Reformen in deinen so verschiedenen Völkerschaften erzielst du nach meiner Meinung zunächst mit unseren fast siebenhundert Klöstern. Von hier nimmst du ohne jeglichen Zweifel den größten Einfluss auf Kultur und die zivilisatorische Entwicklung unserer christlichen Völker. Die Klöster sind nun einmal Inseln des Glaubens und der Kultur in einer im Vergleich zur Antike doch sehr unterentwickelten Gesellschaft. Im Bereich von Landwirtschaft und Handwerk sind sie darüber hinaus ein Lehrmodell für die bäuerliche Bevölkerung. Eine Kultur lebt vor allem in der Mannigfaltigkeit ihrer Berufe. Und vergiss nicht, Karl, die Mönche sind es, die aus Ödland immer wieder neues Kulturland schaffen. Die Regula Benedikti ist die Hauptordnung des abendländischen Mönchtums“, legte Wala ungebremst in seinen Ausführungen los. „Die Regeln Benedikts von Nursia sind so angelegt, dass nach Armut, Gehorsam und Keuschheit nach seinem Motto Ora et labora auch die Arbeit nicht vergessen wird. Diese autarken Produktions- und Konsumgemeinschaften gilt es weiterhin verstärkt zu unterstützen. Und wenn ich das so sagen darf“, hob Wala jetzt ein wenig die Stimme, „würde ich als fränkischer König eine wahre Klöster-Gründerwelle einläuten. Vergessen wir nicht: die Mönche bewahren uns das Wissen der Antike und die Weisheit der Alten, sie sind die vornehmsten Träger einer Bildungsreform. Unsere Mönche verfügen über großartige handwerkliche Fähigkeiten, sie unterhalten zum Teil schon respektable Schulen, leistungsfähige Skriptorien und in ihren Bibliotheken sammeln sie das Wissen unserer Zeit. Die Bauern, die von unseren Klöstern angesiedelt und ihnen dienstverpflichtet sind, lernen wie man Weinberge anlegt, den Boden gründlicher düngt, besseres landwirtschaftliches Gerät nutzt, widerstandsfähiges Vieh züchtet, die Milcherträge erhöht, das Korn gut ausmahlt und so fort. Damit aber nicht genug“, war Wala in seinem Redeschwall auch vom König nicht zu bremsen, der gerade anhob etwas zu sagen, es dann aber unterließ, sodass er fortfahren konnte: „In den Klostergärten werden die Bauern mit der Veredlung von Obstbäumen vertraut gemacht, mit dem Anbau neuer Gemüsesorten und, nicht zuletzt, mit der Aussaat von Kräutern, die nicht nur würzen, sondern auch heilende Wirkung haben.“

„Wenn man dich so hört, Wala, könnte man meinen, an dir sei der Abt eines großen Reichsklosters verloren gegangen oder du bewirbst dich bei deinem König um das Amt des Ministers für Landwirtschaft“, unterbrach Karl den Redefluss seines Gegenübers und griemelte schmunzelnd in den Bart. Auch Wala musste grinsen, trotzdem ließ er sich nicht aufhalten: „Ich rate dir, Überlegungen anzustellen, den Klöstern mehr Verwaltungsautonomie zu geben und ihnen vielleicht sogar eine unterhalb der Grafschaften angesiedelte Gerichtsbarkeit für minder schwere Fälle zuzubilligen. Konsequenterweise bedeutet ein solches Vorgehen aber, dass die Klöster aus dem Einflussbereich des Papsttums herausgelöst werden müssen und dir zukünftig als eine eigenständige und zuverlässige Machtsäule des fränkischen Königtums dienen.“

„Das heißt im Umkehrschluss, mein lieber Wala, dass alle Klöster in direkte Rechtsbeziehung zum fränkischen König gebracht und zu reinen Reichsklöstern umgewandelt werden müssen.“

„Ja, so ist es in der Tat, es wird einen ersten Kraftakt zwischen dir und den mächtigen Adelsfamilien geben, deren Haus- und Stiftsklöster wohl nicht entschädigungslos von dir einverleibt werden können.“

„Wo guter Wille der an solchem Handel Beteiligten ist, wird man auch einen Weg im Rahmen der Kompensation mit anderen von mir zu vergebenden Privilegien finden, denn schließlich will ich mich nicht persönlich bereichern, sondern unsere Verwaltungsstrukturen verbessern“, gab sich Karl in diesem Punkt sehr selbstbewusst.

„Es sollte nicht unerwähnt bleiben, dass die Klöster auch sehr wichtig als Nahrungslieferanten für den Hof und jedem fränkischen König unersetzbare Hilfen als Erfassungsstellen für das militärische Aufgebot sind“, führte Wala noch ergänzend an. „Wenn du gestattest, Karl, möchte ich noch einige Worte zu dem Verhältnis des fränkischen Königtums zum Bischof von Rom oder wie Paulus Diaconus sich ausgedrückt hat zum Verhältnis zwischen Thron und römischkatholischer Kirche verlieren“, begann Wala ein neues, sehr brisantes politisches Thema. „Mit Bonifatius hat der Kampf des Papsttums um Macht und Einfluss innerhalb des Fränkischen Reichs begonnen“, begann Wala seine Ausführungen. „Bonifatius war es, der Papst Gregor II. über dem Grab des heiligen Apostels Petrus einen Huldigungseid geschworen hat, durch welchen er sich dem Papsttum, nicht dem Christentum, mit Leib und Seele unterwarf. Gegen den Widerstand deines Vaters Pippin ist es aber Bonifatius gelungen, dass im Jahre 744 alle von ihm im östlichen Teil unseres Reichs ernannten Bischöfe dem römischen Stuhl beständigen Gehorsam gelobten. Selbst über die urfränkischen Bischöfe versuchten die Päpste in Rom eine Art Oberhoheit zu erreichen und über die gesamte Kirche wollen sie die gesetzgebende Gewalt erlangen.“

 

Wala machte jetzt eine Pause, sammelte sich kurz und fuhr dann mit Blick auf Karl fort: „Es kann nicht im Sinne eines fränkischen Königs sein, wenn der Papst sich zum unumschränkten Kirchenmonarchen erhebt, die Synodalgewalt an sich reißt, die Bischöfe unterwirft, sich von aller weltlichen Gerichtsbarkeit unabhängig machen will und den Einfluss des fränkischen Königtums auf kirchliche Angelegenheiten verneint.“

„Ja, du hast recht, Wala“, antwortete darauf Karl, „wenn man unseren Kirchenfürsten den kleinen Finger reicht, wollen sie gleich die ganze Hand.“

„Nach der Standortbeschreibung des heiligen Augustinus“, fuhr Wala fort, „steht dem weltlichen Herrscher eine Art Lehr- und Richteramt zu, während der Papst, die Bischöfe und Priester das Vorrecht haben, die Mysterien zu hüten. König Karl, du musst dem Papst mit drohendem Unterton vor Augen führen, wo die Grenzen seiner Einflussmöglichkeiten verlaufen“, forderte Wala.

„Du strebst also eine klare Arbeitsteilung an“, lachte Karl, „hier die Fäuste, die den Schwertgriff umklammern, dort die Hände der Geistlichkeit, die das Kreuz emporhalten und wie Moses im Kampf gegen die Amakeliter mit flehender Gebärde die Hilfe Gottes erbitten.“

„Ja, das meine ich“, gab Wala zurück, „und außerdem sehe ich nicht ein, warum die Rolle des Papstes nicht geschmälert wird und wie die des oströmischen Patriarchen Tarasios anzusehen ist.“

„Unbestritten ist jedoch Vetter Wala“, fuhr der König mit sorgenvoller Miene fort, „dass ein gesellschaftliches und staatliches Gemeinwesen ohne unsere christliche Religion nicht denkbar ist. Und die christliche Religion benötigt zwingend eine geistliche Autorität, wie sie von allen unseren bisherigen Päpsten mal mehr und mal weniger beansprucht wird.“

König Karl machte eine kurze Pause, um seine Gedanken zu ordnen und sprach dann mit ernstem Gesichtsausdruck seinem Vetter Wala zugewandt: „Die Probleme erwachsen uns dadurch, dass die Päpste eine politische Unabhängigkeit als Voraussetzung für ihre geistliche Autorität anstreben. Wenn wir hier nicht bald zu einvernehmlichen Regelungen kommen, sind in Zukunft die Konflikte, mehr noch die Zerreißproben zwischen dem Papsttum und dem fränkischen Königtum und auch allen anderen christlichen Herrschern vorhersehbar. Ich strebe daher innerhalb einer baldigen Synode an, in einem Vertragswerk die Zuständigkeiten zwischen Kirche und Staat neu zu ordnen und vor allem für das fränkische Königtum mehr Einfluss bei der Wahl eines Papstes einzufordern“, beendete Karl dieses ausgesprochen sensible Thema.

„Aber jetzt wollen wir zu dir kommen, mein verehrter Vetter, an welcher zukünftigen Schaltstelle der Macht gedenkst du mir nach deiner persönlichen Einschätzung am besten dienen zu können? Dein Bruder Adalhard, mit dem ich vor Tagen auch ein solch persönliches Gespräch geführt habe, hat dich als Minister für innere Angelegenheiten empfohlen, der mit der entsprechenden Gewalt ausgestattet, seinem König im Inneren des Reichs den Rücken für die meist schmerzhaften Reformen freihalten soll“, lächelte der König.

Wala schien gar nicht von einer solchen Frage überrumpelt zu sein, denn er antwortete sehr diplomatisch, aber auch selbstbewusst: „Ich habe keine besonderen Neigungen auf ein bestimmtes Amt und werde dir überall dort treu dienen, wo du, mein König, mich benötigen wirst.“

Die beiden Männer fassten sich an die Arme, blickten sich fest in die Augen und wussten, dass sie sich auch weiterhin aufeinander verlassen konnten.

Der Arzt Pardulf von Laon, den Karl für das Gesundheitswesen zu leiten, hatte durch einen Boten dem fränkischen König mitteilen lassen, dass eine von ihm eingesetzte Kommission erste Vorschläge zum Aufbau und der Finanzierung eines Medizinzentrums in Aquisgranum unterbreiten wolle. Der fränkische König hatte, wie es seine Art war, schon im Vorfeld in Einzelgesprächen sowohl auf die Zusammensetzung der Kommission als auch auf die inhaltliche Gestaltung der zu unterbreitenden Vorschläge entsprechenden Einfluss genommen. Karl hatte sich mit dem kurzfristig anberaumten Termin einverstanden erklärt und so fanden sich, wie schon so häufig, die in diesem Winter in Ingelheim anwesenden Entscheidungsträger und Großen des Fränkischen Reichs in der Königshalle wieder zusammen.

Nach dem üblichen Begrüßungszeremoniell und einer durch Karl angemahnten Ruhe erhob Pardulf von Laon das Wort: „Auf Anweisung unseres Königs habe ich eine Kommission, bestehend aus den Äbten Grimald, Baugulf, Richbot, Maginarius, den Bischöfen Arno von Salzburg, Angilram von Metz, dem Notarius Gerold von Regensburg, den Ärzten Johannes von Padua, Grahamannus, Wintar sowie den Grafen Gerold von der Bertholdsbar, Cancor und Meginfred gebildet. Das Ergebnis unserer Beratungen wird wie immer von den hier anwesenden Schreibern festgehalten werden. Unsere Zielvorgabe war das Erarbeiten einer realistischen Machbarkeitsstudie für ein zukünftiges Medizinzentrum in Aquisgranum“, trug er vor.

„Wie ihr wisst, hat unser König Karl der heißen Quellen und eines guten wirtschaftlichen Umfelds wegen Aquisgranum als Standort ausgesucht. Ich habe das Beratungsgremium aus Gründen einer besseren Effizienz bewusst klein gehalten. Für alle jene unter euch, die in dieser Kommission nicht mitgewirkt haben, verbietet es sich daher auch den Eindruck zu gewinnen, als sei euer Rat nicht gefragt gewesen“, beugte Pardulf etwaigen Verärgerungen vor und grinste bei diesen Worten.

„Nein, ganz im Gegenteil, ihr werdet Gelegenheit haben zu unseren Vorschlägen hier und heute Stellung zu beziehen“, gab er allen Teilnehmern ein Gefühl der Bedeutung.

Er nahm einen Schluck Holundertee zu sich, kramte in den vor ihm liegenden Pergamentrollen und wandte sich dann wieder an seine Zuhörer: „Wir haben für eine Reihe der zu erstellenden Gebäulichkeiten entsprechende Skizzen und Planungsvorgaben für ein Medizinzentrum aufgezeichnet. Bei unseren diesbezüglichen Überlegungen haben wir Ärzte naturgemäß den Ton angegeben und uns von einer höchstmöglichen Funktionalität der medizinischen Versorgung bei allen baulichen An- und Zuordnungen leiten lassen. Ich denke es würde zu weit führen, dies hier im Einzelnen zu erläutern.“

„Ja, Pardulf, lassen wir uns auf das Wesentliche eurer diesbezüglichen Überlegungen beschränken“, stimmte der König dem zu. „Nach reiflichen Überlegungen sind wir zu dem Ergebnis gekommen, dass wir dieses Vorhaben mit geballter Kraft als eine Gemeinschaftsleistung all unserer Völkerschaften angehen sollten“, fuhr Pardulf in seinen Ausführungen fort.