Rebellen gegen Arkon

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Stellte sich nur die Frage nach dem Kräfteverhältnis. Es konnte zwei zu eins sein oder tausend zu eins, abhängig davon, ob Pyrius Bit Hilfe von Arkon angefordert hatte.

Irakhem war gerade eingeschlafen, als der Alarm ertönte. Es war das durchdringendste Geräusch, das die billige Bauart der Flottenlautsprecher erlaubte; buchstäblich geeignet, um Tote zu wecken und Schlafende aus einem noch so tiefen Traum zu reißen.

Seine Kabine an Bord der TRAVERSANS EHRE schien ihm plötzlich wie eine dunkle, muffige Gefängniszelle. Er streifte seine Uniform über und stürmte auf den Korridor hinaus. Endlich! Irakhem hatte die Spannung kaum noch ausgehalten.

Das Laufband auf dem Hauptkorridor trug ihn zum zentralen Antigravschacht.

Eine Gruppe von Arbtanen blockierte seinen Sprint. Er stieß sie beiseite und katapultierte sich förmlich in die abwärts führende Röhre. Flüche und Verwünschungen folgten ihm – bis die Arbtane erkannten, wem sie da soeben begegnet waren, und abrupt verstummten.

An ihrer Bestrafung besaß er kein Interesse. Die Männer hatten nichts falsch gemacht, sondern lediglich im Weg gestanden. Irakhem war sich darüber im Klaren, dass er seinem Ruf als ungeduldiger Heißsporn auf diese Weise Nahrung gab. Aber besser das, als am Ende zu viel Zeit zu verlieren.

Der Schacht trug ihn wenige Stockwerke weit. Eines der Privilegien, die er genoss, war die relative Nähe seiner Unterkunft zur Zentrale. Kommandanten mussten rasch an Ort und Stelle sein.

»Pal‘athor! Hier!«

Irakhem wandte sich direkt zum Ortungsstand. Der leitende Orbton winkte ihm aufgeregt.

»Nun?«, fragte er knapp.

Der Ortungsoffizier ließ ein großformatiges Display erscheinen. Irakhem erkannte eine unüberschaubare Anzahl roter Punktreflexe am Rand des Trav-Systems.

Er spürte, wie einen Moment lang die Farbe aus seinem Gesicht wich. Seine Augen fingen zu tränen an; bei Arkoniden ein sicheres Indiz übermäßiger Erregung.

»Wie viele sind es?«

»Nicht so viele, wie es scheint, Pal‘athor! Wir haben exakt hundert Einheiten gezählt.«

»Schlachtschiffe der Imperiumsklasse?«

»Keine«, behauptete der Orbton. »Dafür orten wir dreißig 500-Meter-Schlachtkreuzer der Fusufklasse. Der Rest entfällt auf vierzig Schwere Kreuzer und nochmals dreißig Leichte Kreuzer.«

Irakhem fühlte sich auf der einen Seite erleichtert; Pyrius Bit hatte nicht seine ganze Streitmacht geschickt, sondern nur etwas mehr als die Hälfte. Auf der anderen Seite wusste er, dass die Erleichterung völlig irrational war. Denn sie würden diesen hundert Einheiten zweifellos unterliegen.

Er vergaß nicht eine Sekunde lang, dass er mit neunzig Schiffen gegen nur zwölf Einheiten von Pyrius Bit angetreten war. Trotz der Unterlegenheit hatte der Verband des Sonnenkurs zwanzig Raumer von für Traversan mit in den Untergang genommen.

Diesmal sah das Verhältnis anders aus: siebzig Schiffe für Traversan, hundert für den Sonnenkur.

Nach allem, was er über Pyrius Bit wusste, saß der aufgeschwemmte Fettsack sicher in seinem Stützpunkt auf BRY 24. Die Kastanien ließ er von anderen aus dem Feuer holen.

Irakhem trat in die Mitte der Zentrale. Er blickte die Männer an, die seine Besatzung bildeten, vom Feuerleitstand bis zu den Spezialisten an der Positronik. Aus zahlreichen Augen las er Entschlossenheit, aber auch Furcht. Beides konnte er gut verstehen. Im Gefecht würde nur noch die Entschlossenheit übrigbleiben.

»Kraftwerke hochfahren!«, ordnete er an.

Ein Vibrieren im Infraschallbereich schüttelte den Raumer durch. Irakhem spürte es bis in seine Schädelknochen.

»Impulstriebwerke in den Leerlauf schalten!«

Irakhem schwang sich in den Kommandantensessel auf der Empore in der Mitte der Zentrale. Er überlegte, weshalb Bit wieder nicht seine ganze Streitmacht geschickt hatte, sondern nur die Hälfte.

Nicht, dass die hundert Schiffe nicht genug gewesen wären; doch der Sonnenkur hätte leicht tausend Schiffe zusätzlich vom Imperator erhalten können.

Pyrius Bit stand möglicherweise unter Druck. Vielleicht wollte er nicht zugeben, dass er mit seinen Schwierigkeiten im Brysch-Sektor nicht allein fertig wurde. Oder er wollte nicht riskieren, dass das Flottenzentralkommando einen zusätzlichen Admiral schickte. Dann wäre Bit seine Befehlsgewalt los gewesen. Grund genug, dachte Irakhem, die Sache allein zu regeln.

Hinzu kam eine weitere Überlegung. Pyrius Bit konnte nicht sicher sein, dass die Flotte von Traversan sich offen zum Kampf stellen würde.

Bit rechnet offenbar mit einem Gegenangriff, bestätigte sein Logiksektor. Wenn er BRY 24 vollständig entblößt, ist er bei einem Racheakt ein toter Mann. Deshalb behält er die Hälfte seiner Flotte zurück.

Irakhem kommandierte:

»Startmanöver durchführen! Position im Orbit ansteuern!«

In der TRAVERSANS EHRE brach höllischer Lärm los. Das Schiff erhob sich auf den Strahlen seiner Impulstriebwerke.

Irakhems Blick wanderte zur Panoramagalerie, die wie durch ein Fischaugenobjektiv die abtauchende Hauptstadt Erican zeigte. Er machte sich klar, dass er nicht wiederkehren würde. Sie alle würden innerhalb der nächsten zwanzig Stunden ihr Leben verlieren.

Und dann kam Traversan an die Reihe. Irakhem hoffte, dass die Flotte des Sonnenkurs es bei der Vernichtung der aufständischen Einheiten belassen würde; vielleicht noch ergänzt durch die Vernichtung des Palastes, durch die Auslöschung des Da-Traversan-Adels und seiner Familienmitglieder.

Der Planet selbst würde vielleicht noch einmal davonkommen, auch wenn die Wahrscheinlichkeit dafür nicht sehr groß schien.

Irakhem formierte seine Kräfte eine Lichtstunde jenseits der Planetenbahn.

Kurz darauf kam ein Funkspruch herein. Irakhem sah auf dem Schirm das Bild eines unscheinbaren, kahlköpfigen Mannes mit verkniffenen Augen erscheinen. Er trug die Uniform der Imperiumsflotte. Seine albinotisch roten Augen zeigten, dass er ein reinrassiger Arkonide war, trotz des fehlenden Haupthaars.

»Vere‘athor Troimus ruft unbekannten Befehlshaber. – Vere‘athor Troimus ruft …«

»Hier Pal‘athor Irakhem. Traversanische Raumflotte.«

Der Kahlköpfige setzte einen väterlichen Blick auf.

»Pal‘athor, ich überbringe den Kapitulationsbefehl von BRY 24. Sobald sich die Familie des Nert und die Kommando-Offiziere in Pyrius Bits Hand befinden, wird der Sonnenkur seine neuen Bedingungen nennen.«

Irakhem antwortete höflich:

»Es tut mir leid, Vere‘athor, Ihr Ersuchen ablehnen zu müssen. Wir ziehen es vor, zu kämpfen.«

Der väterliche Ausdruck in Troimus‘ Gesicht verschwand, stattdessen erblickte Irakhem nur noch Zorn.

»So sei es denn, Pal‘athor! Welch eine Verschwendung!«

Die Flotte von BRY 24 näherte sich mit fünfzig Prozent der Lichtgeschwindigkeit. Damit verbuchte Troimus bereits den ersten strategischen Vorteil; denn Irakhem musste nicht nur seine eigene Flotte schützen, sondern in erster Linie den Planeten Traversan gegen durchgebrochene Einheiten sichern.

Bewegten sich zwei Schiffe mit halber Lichtgeschwindigkeit aufeinander zu, dann betrug die heiße Gefechtsphase nur drei oder vier Sekunden. Davor und danach waren die Kontrahenten außer Schussreichweite. Irakhem konnte sich ausrechnen, dass drei oder vier Sekunden zu wenig waren. In dieser Zeit konnte er die Flotte von BRY 24 nicht aufhalten. Troimus würde mit seinen Einheiten unbehelligt Traversan erreichen – und konnte nach Vernichtung des Planeten in aller Ruhe die Verteidigerflotte auslöschen.

Irakhems Schiffe nahmen Fahrt auf.

Sie beschleunigten auf knapp dieselbe Geschwindigkeit wie Troimus‘ Verband und achteten darauf, zusätzlich dieselben Kursvektoren zu halten. Der Abstand zwischen beiden Flotten zehrte sich zusehends auf.

»Zeit bis Feuerreichweite?«, fragte er laut.

Der Orbton an der Positronik antwortete:

»Neunzig Sekunden, Pal‘athor!«

Zehn seiner Schiffe sandte er einige Millionen Kilometer weit voraus, allesamt Leichte Kreuzer. In die eigentliche Schlacht konnten sie damit nicht eingreifen. Ihre Aufgabe bestand darin, eventuell durchgebrochene Einheiten aufzuhalten, bevor sie Traversan erreichten.

Irakhem konnte sich den Verlust im Grunde nicht leisten. Seine Streitmacht reduzierte sich so von siebzig auf sechzig Einheiten. Auf der anderen Seite konnte er Traversan nicht preisgeben – Vorteil Nummer zwei für Troimus.

Zwanzig Lichtminuten vor Erreichen der Planetenbahn kam es zum Zusammenstoß.

Troimus hatte seine Flotte in dreißig kleine Gruppen gegliedert. Jeweils ein Schwerer und ein Leichter Kreuzer flankierten einen 500-Meter-Schlachtkreuzer der Fusufklasse. Ein Verband von zehn Schweren Kreuzern hielt sich abseits vom Kampfgeschehen in sicherer Entfernung.

Anzunehmen, dass Troimus von dort das Kommando führt, behauptete sein Extrasinn.

Damit hatten beide Seiten gleich viele Einheiten aus der Schlacht herausgelöst. Vor- und Nachteile waren egalisiert.

Irakhem befahl:

»Sperrkordon halten! An alle Einheiten: Bei Kernschuss-Reichweite der schweren Impulskanonen automatisch Feuer eröffnen! Erste Raketensalve mit selbstlenkenden Köpfen ausschleusen!«

Es dauerte zehn Sekunden. Irakhem prüfte, ob er an seinen Kontursessel geschnallt war.

»Kanonen 1 bis 8 – feuerklar!«

Er nickte den Männern am Feuerleitstand zu.

In der TRAVERSANS EHRE brach ein Inferno los. Innerhalb eines Atemzuges sah er die Schutzschirmauslastung auf den Rekordwert von 190 Prozent klettern. Die Zahl, so irreal sie schien, bedeutete eine sehr konkrete Lebensgefahr. Es konnte jeden Augenblick zu Ende sein.

 

Ein Blitz schlug von der einen Seite der Zentrale zur anderen. Aggregate fingen zu kohlen an. Am Rand seines Blickfeldes schrien Techniker unverständliche Wortfetzen.

»Gegenschub!«, brüllte er. »Schirme verstärken!«

Irakhem erinnerte sich an die erste Schlacht um Traversan, als er gehofft hatte, dass irgendein wie auch immer gearteter Zufall sich zu ihren Gunsten auswirken würde.

Es wird allmählich Zeit für das Wunder, dachte er.

Sein Logiksektor stimmte zu: Der Meinung bin ich ebenfalls.

Im Kommandosaal des Palastes von Erican versammelten sich zwei Dutzend Personen. Die Blicke aller waren an die Wand gerichtet, auf eine rotierende Holographie, die in komfortabler 3-D-Sicht das Kampfgeschehen abbildete. Allerdings waren keine Fachleute dabei; die Raumfahrer des Systems befanden sich oben, jenseits des Orbits, in einer zum Untergang verurteilten Abwehrflotte.

Ich schaute in gefasste Gesichter. Meiner Versicherung, dass den Personen am Boden nichts geschehen konnte, wurde kein Glauben geschenkt. Selbst Nert Kuriol schien mit dem Leben abgeschlossen zu haben. Ich empfand Verständnis für die Leute; an ihrer Stelle hätte ich kaum anders reagiert.

In diesem Augenblick wurde das Feuer eröffnet.

Das Hologramm explodierte in einer Orgie aus fehlerhaft dargestellten Strahlschüssen und Schiffsbewegungen. Für die Abbildung eines komplexen Kampfgeschehens war es nicht geeignet. Von hier konnten lediglich sehr grobe strategische Entscheidungen getroffen werden.

Ich war sicher, dass der Kapitän zweiter Klasse Irakhem über eine sehr viel differenziertere Sicht der Dinge verfügte. Schließlich hatte ich oft genug selbst in einer Schlacht das Kommando geführt.

Meine Augen fingen zu tränen an. Am Boden waren wir machtlos, wir konnten nichts tun außer zusehen.

Kapitän Irakhem beging seinen ersten Fehler, als er die Raketenwaffen gleich zu Anfang einsetzte. Im Feuersturm der ersten Sekunden erreichte kaum ein Viertel sein Ziel. Damit hatte er sich einer wichtigen taktischen Waffe beraubt, ohne einen Vorteil daraus zu ziehen.

»Atlan!«

»Ich höre«, sagte ich tonlos.

Neben mir stand plötzlich Tamarena. Die Prinzessin trat hilflos von einem Fuß auf den anderen, und sie starrte mit einer Spannung auf das Hologramm, als wolle sie jede Sekunde persönlich in die Kämpfe eingreifen.

»Du darfst das nicht zulassen«, drängte sie mich. »Da oben sterben mit jedem explodierenden Schiff Hunderte von Menschen!«

»Ich kann nichts daran ändern, Tamarena.«

Sie ballte die Hände und starrte mich an, als sei die Schlacht jenseits des Orbits meine Schuld. Mit hilflosem Zorn drehte sie sich um.

Fürst Kuriol trat an meine Seite, und er legte eine Hand auf meine Schulter.

»Nehmen Sie es ihr nicht übel«, sagte er. »Sie kennt Irakhem sehr gut. Ihn und noch einige andere Traversaner in der Flotte.«

Ich versuchte zu erklären:

»Erhabener, ich habe niemals für die Sicherheit der Raumschiffe garantiert. Ich habe nur gesagt, Traversan wird unversehrt bleiben!«

»Das weiß ich.«

»Man hätte die Schiffe in ein anderes System verlegen sollen!«

»Und Traversan ohne Schutz lassen?«

»Es existiert auch so kein Schutz!«, platzte es aus mir heraus. »Die Schiffe da oben sind Kanonenfutter, Nert!«

Kuriol entgegnete nichts darauf. Er winkte seine Tochter heran und versuchte, sie zu beruhigen.

Sie denkt gar nicht daran, behauptete mein Extrasinn. Pass auf diese Frau auf. Sie ist zu jeder Kurzschlussreaktion imstande.

Nebenbei behielt ich Tamarena im Sichtfeld. Der Hauptteil meiner Aufmerksamkeit galt allerdings der Schlacht.

Ich erkannte, dass Irakhem sich nicht ungeschickt anstellte – gemessen an seiner Qualifikation als Pal‘athor. Die vielen kleinen Fehler fielen mir jedoch ins Auge, selbst angesichts des schlecht auflösenden Hologramms.

Dies war das Jahr 12.402 da Ark. Zehntausend Jahre vor der Gegenwart, in die ich gehörte. In dieser Zeit war ich ein Fremdkörper, und ich machte mir immer wieder klar, dass jede Handlung meinerseits für die Gegenwart eine Katastrophe bedeuten konnte. Jeder Fehler konnte dazu führen, dass der Zeitstrom gespalten wurde. In meine Zeit konnte ich dann niemals wieder zurückkehren.

Tamarena riss sich von Kuriol los. Sie baute sich so nahe vor mir auf, dass ich ihren Atem auf meiner Haut spürte:

»Atlan! Ich bitte dich noch einmal um Hilfe! Wir dürfen die Flotte von Traversan nicht untergehen lassen!«

»Für mich ist es längst Vergangenheit!«, erwiderte ich rau. »Ich darf kein Zeitparadoxon auslösen!«

»Du bist ein Feigling!«, warf sie mir vor.

Ihr Gesicht hatte jede Farbe verloren.

»Was stellst du dir vor? Was soll ich konkret tun?«, fragte ich sie. »Ich bin nur ein einzelner Mann! Ich habe keinen schwarzen Zylinder und keine Zaubertricks. Ich kenne nur die Zukunft, das ist alles. Und ich sage euch: Traversan überlebt! Solange ich mich still verhalte! Solange die Kausalität gewahrt bleibt.«

»Bitte!«, drängte sie.

»Wenn ich die Nerven verliere, dann ist alles in Frage gestellt. Dann kann es sein, dass eure Heimat untergeht. Wenn ich eingreife, ist alle Sicherheit dahin, weil man sich auf den Lauf der Geschichte nicht mehr verlassen kann.«

»Du kannst das nicht ernst meinen, Atlan!«

»Stehe ich etwa selbst nicht hier unten? Ich weiß, was passiert, wenn die imperiale Flotte über Traversan erscheint. Dann sterbe auch ich.«

Ich blickte in ihre Augen – von denen ich eine Stunde zuvor noch so intensiv geträumt hatte. In ihren Zügen erkannte ich blanke Ablehnung.

»Diese Männer sterben!«

»Ich … ich kann nichts daran ändern!«

Etwas in ihren Zügen veränderte sich mit einem Mal.

»Du bist wirklich nur ein Schwätzer«, sagte sie abfällig. »Und ich, ich dachte schon …«

Kuriol griff nach ihrem Arm.

»Tamarena.«

Doch die Prinzessin riss sich los, mit einem heftigen Ruck, der den weitaus größeren Nert beinahe ins Straucheln gebracht hätte. Anklagend streckte sie die Hand aus.

»Vater! Ich habe seine Gedanken gelesen! Da ist noch etwas, das ich bis jetzt nicht preisgegeben habe. Dieser Mann …«, ihr Finger zeigte direkt auf mich wie auf einen Angeklagten, »dieser Mann ist ein Admiral! Er ist ein erfahrener Flottenkommandant! Er könnte Irakhem und die anderen jederzeit retten!«

Von einer Sekunde zur anderen trat Stille ein. Das war es also, flüsterte mein Extrasinn. Irgendetwas hat sie verheimlicht, und jetzt ist es heraus. Sie wollte dir wohl Gelegenheit geben, dich selbst zu offenbaren.

Ich blickte in betretene Mienen. Kuriol fragte:

»Ist das wahr, Atlan?«

»Ja, Erhabener. Aber ich versichere Euch, dass es nichts an den Gegebenheiten ändert.«

Der alte Nert schwieg eine Weile. Dann ließ er die Schultern hängen und sprach:

»Ich verstehe Sie.«

Tamarena stieß einen wütenden Schrei aus.

»Du hörst dies, Vater – und du tust nichts?«

»So ist es.«

Die Prinzessin presste die Lippen zusammen. Ich konnte sehen, dass sie in diesem Augenblick einen Entschluss fasste. Aber ich hatte nicht den Schimmer einer Ahnung, um was es sich handelte.

Bevor jemand reagieren konnte, war sie bereits auf dem Weg zum Ausgang. Tamarena stürmte auf den Korridor hinaus. Wir anderen blieben im Kommandosaal zurück. Ich tauschte einen hilflosen Blick mit Nert Kuriol.

Das Hologramm präsentierte immer neue Szenen der Schlacht im Weltraum. Irakhems Fehler wirkten sich langsam, aber sicher aus. Traversan besaß nur noch eine kurze Gnadenfrist.

Aus den Augenwinkeln sah ich eine Ordonnanz. Der Mann eilte herbei und flüsterte etwas in Kuriols Ohr. Ich ahnte, dass es etwas mit der Prinzessin zu tun hatte.

»Tamarena?«, fragte ich den Nert ahnungsvoll.

»Ja. Im Dachhangar des Palastes stehen einige schnelle Leka-Disken. Sie hat einen davon bestiegen.«

Ich spürte, wie mein Mund trocken wurde.

»Hat sie irgendetwas gesagt, wo sie hinfliegen wollte?«

Der alte Nert deutete wortlos nach oben. Ich wusste es auch so. Prinzessin Tamarena war auf dem Weg zur Schlacht.

8.
DER ADMIRAL VON DEN STERNEN

Vergangenheit 5772 v. Chr. / 12.402 da Ark

Narr! Behalte die Nerven!

Die Stimme meines Extrasinns war mir völlig egal.

»Was wirst du nun tun, Atlan?«

»Ich folge ihr. Wo stehen diese Leka-Disken?«

Kuriol ließ mich von demselben Adjutanten, der die Nachricht überbracht hatte, nach oben geleiten. Es dauerte viel zu lange. Der Mann war langsam wie eine Schnecke, aber ohne Führung konnte ich nicht zu den Hangars kommen.

Der Adjutant öffnete eine Tür. Vor mir standen hochkant vier jener Diskusschiffe, aus denen die Terraner in späteren Jahrtausenden die legendären Space-Jets entwickelt hatten. Sie alle trugen die blauen Da-Traversan-Wappen.

Eines der Startgeschirre war leer – Tamarenas Maschine.

»Benötigen Sie einen Piloten?«

Ich stieß ihn unfreundlich beiseite.

»Ganz sicher nicht. Sehen Sie zu, dass Sie aus dem Hangar kommen.«

Ich legte einen Alarmstart hin, wie ihn der ehrwürdige Palast des Nert nie zuvor erlebt hatte. Der Gedanke, Tamarena könnte im Orbit sterben, brachte mich um den Verstand. Der Lauf der Vergangenheit und der Zukunft kümmerte mich nicht mehr. Ich wollte nur noch, dass die Schlacht endete und dass ich hinterher aus einer Schleuse ihre Gestalt auftauchen sah.

Narr.

Du wiederholst dich.

Irakhem sah die Schiffe untergehen, eines nach dem anderen, und er konnte nichts daran ändern. Viele Gesichter, die er kannte, und so viele Namen, die er nie mehr hören würde. Nicht einmal bei der Trauerfeier; denn innerhalb der nächsten Stunde würde er zweifellos bei den Toten sein.

Einer der Schweren Kreuzer wollte die Flucht ergreifen. Irakhem konnte es verstehen. Im entscheidenden Moment kehrte das Schiff jedoch in die Reihen zurück. Einen Moment lang beobachtete Irakhem seinen Kurs: Es geriet zwischen die Fronten und wurde von feindlichem Kreuzfeuer erwischt. Mit versteinertem Gesicht sah der Pal‘athor die Vernichtung an.

Und dann geschah etwas, womit niemand hatte rechnen können. Aus dem Chaos, das niemand außer Irakhem und seinem Feind Troimus überschaute, tauchte ein Leka-Diskus auf. Das Ziel der kleinen Einheit war die TRAVERSANS EHRE.

Irakhem sah bereits den Glutball einer Detonation vor sich. Doch dann kam alles anders. Der Leka-Diskus schaffte es bis in den Hangar – und zum Vorschein kam eine Person, die er niemals an diesem Ort hätte sehen wollen: Prinzessin Tamarena.

Irakhem war viel zu sehr Stratege, als dass er die Gunst des Augenblicks nicht erkannt hätte.

»Verbreitet die Nachricht an alle Schiffe der Traversan-Flotte«, wies er seine Funkoffiziere an.

Die Ankunft der Prinzessin, so hoffte er, würde einen Ruck durch die Truppen gehen lassen. Wenn der Nert seine Tochter schickte, dann musste es Hoffnung geben.

Diese Hoffnung ist eine Lüge, erklärte sein Extrasinn trocken.

Irakhem starrte die schöne Prinzessin in einer Mischung aus Ärger und Freude an.

Das weiß ich, sagte er lautlos. Aber diese Lüge verschafft uns vielleicht eine halbe Stunde.

Ich ließ den Palast in einem verrückten Manöver unter mir zurück. Die Kontrollen schienen mir so vertraut, als hätte ich gestern erst am Steuer eines solchen Fluggefährtes gesessen. Dabei war es mehr als zehntausend Jahre her.

Ich flog den Diskus allein – ohne Syntron, mit minimaler Hilfe der Positronik.

Binnen weniger Sekunden erreichte ich die höheren Schichten der Atmosphäre. Auf dem Orterschirm sah ich einen Kugelraumer auftauchen. Es war ein feindliches Schiff, ein Leichter Kreuzer von 100 Metern Durchmesser. Auf eine noch unbekannte Weise musste es dem Abwehrriegel entgangen sein, der Traversan umgab.

Ich wusste ziemlich genau, was das bedeutete. Wenn es dem Kreuzer gelang, zum Palast durchzustoßen, waren Kuriol und die anderen tot. Die Kraftfeldkuppel würde ihnen gegen schiffsgestützte Thermowaffen wenig nützen.

Da stießen zwei weitere Kreuzer aus den Wolken hervor. Sie nahmen das durchgebrochene Schiff aufs Korn.

 

Bevor ich Gelegenheit fand, etwas zu unternehmen, war das Gefecht bereits vorbei. Der Leichte Kreuzer erhielt mitten im Landeanflug auf Erican zwei verheerende Treffer. Sein Schutzschirm brach zusammen, ein Fangschuss verwandelte die gesamte rechte Flanke in schmelzenden Arkonstahl. Über der Region, die als Garten der Sonne bekannt war, stürzte der Kreuzer ab.

Die hundert Meter durchmessende Kugel entwickelte eine kinetische und energetische Wucht, die sich mit dem Einschlag diverser Atombomben vergleichen ließ. In der Kompressionsphase wurde das Gestein, das unter dem Garten lag, auf ein Drittel seines gewöhnlichen Volumens gestaucht. Der Druck erreichte millionenfache Atmosphärewerte. In der Phase darauf, der physikalischen Druckentlastung, wurden Schmelz- und Trümmergesteine aus einem sich bildenden Hohlraum ausgeworfen.

Vom Observatorium blieb nichts übrig. Ein Inferno kam über die Stadt. Über Erican brachen mehrere Kraftfeldkuppeln zur gleichen Zeit zusammen.

Ich war sicher, dass die Trichterbauten von furchtbaren Erdbeben heimgesucht wurden. Wahrscheinlich verlor jedes freistehende Gewächs im Stadtgebiet seine Blätter.

Der Orterschirm zeigte einen Krater von zwanzig Kilometern Durchmesser an. Ich hoffte, dass Tamarena auf meinen Hinweis das Areal hatte evakuieren lassen.

Vor meinem inneren Auge sah ich den dicht besiedelten Himmelskrater, zehntausend Jahre in der Zukunft; und ich fragte mich, ob mein Eingreifen in die Schlacht um Traversan nicht letzten Endes doch vorgesehen war.

Mittlerweile hatte ich mehrfach in den Zeitstrom eingegriffen, wenn auch nur in Details. Vielleicht existierte eine Schicksalsmacht, die mich dazu ausersehen hatte, den Lauf der Geschichte in die richtige Richtung zu lenken.

Aufmerksam horchte ich in mein Inneres. Der Extrasinn zog es vor, meine Gedanken ohne Kommentar verhallen zu lassen. Wie rücksichtsvoll von ihm …

Der Leka-Diskus schoss durch die oberen Atmosphäreschichten in den freien Weltraum. Mit bloßem Auge war nichts von der Schlacht zu erkennen. Nur die Ortergeräte verrieten dem geübten Auge, was sich an welchem Ort ereignete.

Ich forderte Peilimpulse an. Es dauerte keine zehn Minuten, dann erblickte ich vor mir ein scheinbar antriebslos treibendes, von einem starken Schutzschirm umgebenes Raumschiff. Es war die TRAVERSANS EHRE.

Ein Blick auf die Außenhülle zeigte, dass die 500-Meter-Einheit der Fusufklasse unter schwerem Feuer gelegen hatte. Die Panzerung aus Arkonstahl hatte jedoch dem Überfall standgehalten.

»Leka-Diskus mit Pilot Atlan bittet um Aufnahme!«

Vor mir öffnete sich eine Strukturlücke im Schirm. Ein Traktorstrahl zog mich mit brutaler Wucht ins Innere, in einen halb zerstörten Hangar.

Alarm gellte durch das Schiff. Ich schnallte mich los. Durch den Hangar stürmte ich Richtung Ausgang.

Im letzten möglichen Augenblick erreichte ich den Korridor, dann schleuderte ein mittleres Beben mich an die Decke und zum Boden zurück. Ich konnte froh sein, dass ich keine Knochenbrüche davontrug.

Bis zur Zentrale dauerte es fünf Minuten. Aus dem Antigravschacht rollte ich mitten in den Saal. Ich war der Einzige, der nicht angeschnallt war, und brach deshalb als Einziger zusammen, als einige Gravos Beschleunigung von den Andruckabsorbern nicht abgefangen wurden.

Auf dem Kommandostand sah ich Prinzessin Tamarena sitzen. Ich war erleichtert, sie gesund zu sehen. Mein Herz fing zu klopfen an, und allein ihr Anblick ließ mich glauben, dass ich ein berechtigtes Risiko einging.

»Atlan!«, rief sie. »Ich dachte nicht mehr, dass du kommen würdest!«

»Das dachte ich selbst nicht.«

Wir schauten uns in die Augen. Aber der Moment dauerte nicht lange.

Die Prinzessin wandte sich dem hochgewachsenen jungen Mann zu, der in der Uniform eines Pal‘athor neben ihr hockte, im Kommandantensessel.

»Das ist er, von dem ich dir erzählt habe, Irakhem! Das ist Atlan. Der Mann aus der Zukunft.«

Der junge Mann starrte mich an, als wolle er mein Innerstes bloßlegen. Er umklammerte so fest die Lehnen seines Sessels, dass die Knöchel weiß hervortraten.

»Was wollen Sie hier, Atlan?«, fragte er scheinbar kalt.

»Ich habe die Absicht, das Kommando über Traversans Flotte zu übernehmen.«

Irakhem kämpfte mit sich. Hilflos schaute er auf mich, dann wieder zurück auf die Panoramagalerie, die ein furchtbares Bild des Untergangs zeichnete.

»Also gut. Admiral – wir warten auf Ihre Befehle.«

Ich atmete auf.

»Verlieren wir keine Zeit. Irakhem, Sie waren auf der Galaktonautischen Akademie?«

»So ist es!«

»Dann verlassen Sie nun den Kommandositz. Begeben Sie sich nach vorn und übernehmen Sie den Pilotenstand. Dort werden Sie dringender gebraucht.«

»Das werde ich ganz bestimmt nicht tun …«

Tamarena versetzte ihm einen heftigen Stoß.

Pal‘athor Irakhem presste die Lippen zusammen. Er sprang vom Podest und erreichte mit wenigen Sprüngen die Reihe der Pilotensitze.

Die Methoden der Akademie waren mir bekannt. Mit ihm an der Steuerung fühlte ich mich erheblich wohler.

Die Prinzessin schenkte mir einen unergründlichen Blick. Ich hatte keine Zeit, mich ihr zu widmen, auch wenn sie mir einen Moment lang als der wichtigste Mensch im Universum erschien. Ich hatte eine Schlacht zu gewinnen. Und das, so verriet mir der erste flüchtige Blick, war ein Ding der Unmöglichkeit. Irakhem hatte zu viele Fehler gemacht.

»Hologramme und Schirmflächen vergrößern!«, ordnete ich an. »Abbildungen auf höchste Detailstufe.«

Die Orter der TRAVERSANS EHRE stellten eine Fülle von Informationen zur Verfügung. Zu den Flussdiagrammen und dreidimensionalen Vektorgrafiken kam ein Verfahren, das den wahrscheinlichen Zustand meiner Einheiten ermittelte. Intakte Einheiten wurden grün eingefärbt, beschädigte blau, manövrierunfähige Schiffe erhielten die Farbe Gelb zugeordnet. Grün war kaum zu sehen, Blau dagegen sehr häufig.

Die Schiffe des Feindes behielten ihre rote Kennfarbe. Allerdings hatte die Positronik eine Vielzahl von Treffern aufgezeichnet, auch auf Seiten des Gegners. Ich ließ die Summe der Treffer als Index unterhalb der roten Reflexe einblenden. Vor meinen Augen entwickelte sich ein komplexes Bild.

»Kein Arkonide kann das mehr überschauen!«, flüsterte Tamarena.

»Ein Admiral muss es können. Die Summe der Details gibt stets den Ausschlag.«

Unsere Streitmacht bestand nicht mehr aus siebzig Schiffen wie zu Anfang, sondern war auf 45 Einheiten geschrumpft.

Zehn meiner Schiffe hatten nichts anderes zu tun, als Traversan gegen durchgebrochene Feinde zu schützen. In den eigentlichen Kampf griffen sie zu keiner Zeit ein. Die Geschichte lehrte mich jedoch, dass es zu einem weiteren Durchbruch nicht mehr kommen würde; ich konnte also guten Gewissens auf die letzte Sicherung verzichten.

Vere‘athor Troimus, der Führer der Gegenseite, hatte lediglich zwanzig Verluste zu beklagen. Er verfügte noch über achtzig Einheiten – wobei auch er zehn Raumer aus der Schlacht herausgenommen hatte.

Schwere Schläge erschütterten die TRAVERSANS EHRE. Eine Sekunde lang fiel in der Zentrale die Beleuchtung aus, und in der Dunkelheit glomm allein noch die Galerie der Panoramaschirme. Ich erkannte zwei Schlachtkreuzer der Fusufklasse, die uns unter Feuer genommen hatten.

»Irakhem!«, brüllte ich gegen den Lärm. »Regeln Sie das allein!«

Der Pal‘athor an den Kontrollen machte eine bejahende Geste. Ich versuchte, mich geistig mit seinen Maßnahmen nicht zu befassen.

»Schirmauslastung 120 Prozent!«, hörte ich einen Offizier schreien. »Steigend!«

Die TRAVERSANS EHRE beschleunigte mit maximalen Werten, verzögerte, schüttelte die Schlachtkreuzer ab. Ein Verband Schwerer Kreuzer kam uns von hinten zu Hilfe. Die Thermogeschütze feuerten im Salventakt, positronisch synchronisiert mit den übrigen Einheiten.

Ich entwickelte meinen ersten Plan.

»Die zehn Schiffe über Traversan werden abgezogen!«, kommandierte ich. »Eingliedern in die Kampfverbände!«

»Admiral! Das ist nicht …«

»Befolgen Sie meine Befehle!«, donnerte ich.

Der Orbton, der mich in eine Diskussion hatte verwickeln wollen, hastete wortlos davon.

Ich hatte nicht die Absicht, dem Untergang tatenlos zuzusehen. Wenige Minuten später verfügte ich über sämtliche Einheiten.