Rebellen gegen Arkon

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Biete dem Gegner einen Köder an!, empfahl der Logiksektor. Und dann schlage zu!

Vere‘athor Troimus versuchte, zwei Lichtminuten von Traversan entfernt eine permanente Kampfzone zu schaffen. Bei permanentem Feuer, wenn sich alle Schiffe stets in Schussreichweite befanden, wog die zahlenmäßige Überlegenheit der imperialen Flotte besonders schwer.

Irakhem schickte mir einen warnenden Blick. Ich nickte unmerklich; als Zeichen, dass ich die Gefahr erkannt hatte.

»Atlan«, drängte Tamarena. »Wir brauchen Distanz, sonst geht es zu schnell!«

»Keineswegs. Wir benötigen einen Köder für den Feind.«

»Müssen wir denn selbst dieser Köder sein?«

»Etwas anderes haben wir nicht.«

Troimus ließ eine große Kugelschale aus Raumschiffen bilden. Alle Einheiten vom Stützpunkt BRY 24 hielten denselben Anstand zueinander. Ich ließ es zu, dass die Kugelschale meine Flotte komplett umschloss. Keines meiner Schiffe konnte sich mehr an einen Ort bewegen, an dem es nicht unter Feuer stand. Troimus dachte wahrscheinlich, dass er jetzt gewonnen hatte.

»Atlan!«, drängte Tamarena.

»Still!«

Ein Orbton meldete: »Schutzschirmauslastung 90 Prozent. Steigend! – 100 Prozent. 110! Energiereserven für Antriebssysteme werden abgezapft!«

Ich ordnete an: »Feuer aussetzen bis auf Widerruf! Keine Einheit schießt, es sei denn im absoluten Notfall! Dreierformationen bilden! Jeweils ein Schlachtkreuzer im Zentrum! Zwei kleinere Einheiten rücken in nächste Nähe auf!«

Meine Flotte gruppierte sich um. Keines der Schiffe unternahm einen Ausbruchsversuch. Ein Schwerer Kreuzer und ein Leichter Kreuzer schoben sich bis auf wenige hundert Meter Entfernung an die TRAVERSANS EHRE heran. Troimus‘ Flotte hielt ihre Formation.

Der Extrasinn flüsterte: Man fühlt sich anscheinend siegessicher. Gut für dich und Traversan.

Was nach einem taktischen Vorteil für das Imperium aussah, hatte in Wahrheit ganz andere Folgen.

Gewiss, jede traversanische Einheit lag unter Dauerfeuer. Allerdings waren an diesem Feuer nur fünfzig Prozent der Imperiumsflotte beteiligt. Alle anderen Schiffe sicherten den leeren Raum, den ich durch unser Zusammenrücken freiwillig preisgegeben hatte. Meine Schiffe dagegen befanden sich in bester Schussposition. Rechnerisch herrschte in diesem Moment ein Gleichgewicht der Kräfte.

»An alle Einheiten! Die Positronik der TRAVERSANS EHRE übermittelt in diesem Augenblick eine Liste von zwölf Schlachtkreuzern der Fusufklasse. Diese Einheiten sind nach unseren Informationen absolut feuerklar, aber möglicherweise durch sehr viele Wirkungstreffer angeschlagen.«

Ich betrachtete die Kugelwolke, die aus knapp siebzig roten Punkten gebildet wurde. Zu jedem Reflex gehörte der Trefferindex. Ich hatte die zwölf Schlachtkreuzer mit den höchsten Werten herausgesucht.

»Auf Kommando synchronisiertes Punktfeuer!«, ordnete ich an. »Die Verbände bleiben zusammen! Flüchtige Einheiten werden nicht verfolgt!«

Ich wartete einige Sekunden ab, dann sagte ich laut:

»Jetzt!«

Die TRAVERSANS EHRE tat einen gewaltigen Satz. Alle Energie, die die Reaktoren hergaben, wurde in die Impulstriebwerke geleitet. Kurzzeitig brachen die Schirme zusammen, versagende Andruckabsorber pressten mich in den Kommandosessel.

Die Panoramagalerie zeigte einen jener 500-Meter-Riesen – exakt das Schiff, das ich für unseren Verband als Ziel ausgewählt hatte.

Es dauerte wenige Sekunden. Dann blähte sich der Schlachtkreuzer zu einer sonnenhellen, explodierenden Masse auf.

»Nächstes Ziel!«, donnerte ich. »Einen Schweren Kreuzer wählen! Bevor Troimus schaltet!«

Irakhem und die Piloten der Flankenschiffe leisteten ganze Arbeit. Nach weniger als zwanzig Sekunden trieben drei weitere Glutbälle durch den Weltraum.

Mit tränenden Augen beobachtete ich mein Hologramm. Als das Manöver beendet war, hatte Troimus 33 Einheiten verloren – ich dagegen keine einzige.

Tamarena starrte mich an wie eine Erscheinung. Ich hatte keine Zeit, mich um sie zu kümmern.

Troimus löste die Kugelschale auf. Der Vere‘athor begriff soeben, worauf er sich eingelassen hatte. Das neue Verhältnis lautete 35 zu 37 für Troimus – nicht mitgerechnet die zehn Schiffe, die der Feldherr der Gegenseite aus der Schlacht genommen hatte. Allerdings verfügte Traversan über eine deutliche Übermacht an Schlachtkreuzern der Fusufklasse.

Er wird jetzt persönlich eingreifen, sagte mein Extrasinn voraus.

Damit rechne ich. Der zweite Köder wird bereits vorbereitet.

Troimus‘ Reserve nahm Fahrt auf. Ich zog meine Schiffe weiter zusammen – und entblößte bewusst eine Schneise, die direkt auf Traversan gerichtet war.

Ob der Vere‘athor reagieren würde, war schwer zu sagen. Anfangs schien mein Plan ins Leere zu gehen. Dann aber nahm exakt jener Verband aus zehn Schiffen Fahrt auf. Die Impulstriebwerke sorgten für hohe Beschleunigung, typisch für die 200 Meter durchmessenden Schweren Kreuzer.

»Verfolgen!«, ordnete ich mit kalter Stimme an. »Sämtliche Leichten Kreuzer aus den Verbänden ausscheren!«

Die Leichten Kreuzer besaßen keine große Kampfkraft. Aber sie verfügten über Beschleunigungswerte, die den Schweren Kreuzern hoch überlegen waren.

»Es ist zu spät, Admiral!«, rief Irakhem mit bleichem Gesicht. »Wir können sie vor Traversan nicht mehr erreichen.«

»Das wollen wir auch gar nicht«, belehrte ich ihn.

Irakhem schnappte nach Luft, sagte aber nichts mehr.

Die Schweren Kreuzer näherten sich Traversan. Die Leichten Kreuzer rückten nahe heran, bewirkten aber nichts außer einer bogenförmigen Kurskorrektur des Gegners.

Das hatte ich vorausgesehen.

Der korrigierte Kurs führte nahe an Travs Nachtauge vorbei, dem Mond von Traversan. Als Troimus‘ Schiffe den mondnächsten Punkt ihrer Bahn erreicht hatten, feuerten die Bodenforts.

Es dauerte keine dreißig Sekunden. Von der Flanke kamen die Leichten Kreuzer heran. Troimus wurde zwischen den Fronten zerrieben. Keiner der Schweren Kreuzer kam davon.

»Admiral!«

»Das ist unmöglich!«

Ich blickte in fassungslose Gesichter.

»Damit haben wir ihren Vere‘athor erwischt«, verkündete ich laut. »Aber es ist noch nicht zu Ende.«

Wir stellten uns zum entscheidenden Kampf. Doch die andere Seite hatte keine kompetente Führung mehr. Traversan verfügte außerdem über zwei Drittel aller Schlachtkreuzer, die sich noch im Kampf befanden.

Noch einmal verfolgte ich das bewährte Konzept: Angriff auf die schwächsten Raumer, gezielte Reduzierung der feindlichen Feuerkraft.

Keine Einheit ging mehr verloren. Zumindest nicht auf meiner Seite.

Die erste Welle nahm der Flotte des Imperiums weitere sieben Schiffe.

Die zweite sollte entscheidend sein; im Augenblick der Begegnung schleusten sämtliche Kreuzer ihre Beiboote aus.

Mit einer scheinbar vielfachen Übermacht schlugen wir die Reste der Imperiumsflotte in die Flucht. Es waren nicht mehr als zwanzig Schiffe, teils schwer beschädigt.

»Wir müssen sie verfolgen!«, schrie Irakhem vom Pilotenstand. »Dann kriegen wir sie alle!«

»Nein.«

»Aber … Admiral!«

»Es bleibt beim Nein. Das Imperium kann uns morgen schon tausend Schiffe schicken. Eine Verfolgung wäre kein taktischer Vorteil in diesem Krieg, sondern nur noch Mord.«

Irakhem wollte etwas sagen. Dann aber verstummte er. Mit schiefgelegtem Kopf schien er auf eine innere Stimme zu lauschen, und ich vermutete, dass er ebenso wie ich über einen aktivierten Logiksektor verfügte.

»Ich bitte um Entschuldigung, Erhabener«, brachte er über die Lippen. »Ich sehe meinen Fehler ein.«

Die Schlacht war vorüber.

Ich hörte niemanden jubeln.

Vergangenheit 5772 v. Chr. / 18. Prago des Tedar 12.402 da Ark

An der Seite Kuriols trat ich ins Freie. Es war kühl geworden. Die Terrasse erlaubte einen weiten Blick über die Stadt Erican.

»Kein schönes Bild, Nert.«

»Das ist wahr. Diese Stadt funkelte einmal wie ein Edelstein.«

»Es wird wieder so sein. Ich habe es gesehen. In zehntausend Jahren.«

Erican versank in einem ungewissen Abendschimmer. Die Zerstörungen, die der Absturz des Kreuzers angerichtet hatte, waren nicht zu übersehen.

»Ich habe Ihnen zu danken, Atlan. Ohne Ihr Eingreifen wäre mein Volk jetzt tot. Traversan würde nicht mehr existieren. Wenn ich etwas zum Ausgleich für Sie tun kann, dann lassen Sie es mich wissen.«

Ich hatte Kuriol bereits den defekten Steuerchip mit der Bitte übergeben, seine Experten darauf anzusetzen. Denn ohne den Chip konnte meine Zeitmaschine nicht funktionieren. Kuriol hatte außerdem versichert, er werde die Speicherbatterien der Anlage füllen und warten lassen.

Die Gestalt des alten Nert, sonst so aufrecht, schien mir einen Moment lang hinfällig und schwach. Er trug sein blaues Cape mit der martialischen Zeichnung der She‘Huhan-Sternengötter, und doch wirkte er verletzlicher denn je.

»Danken Sie mir noch nicht, Erhabener. Noch ist nicht klar, wie wir die Krise bewältigen sollen.«

Der Kopf des alten Nert ruckte nach oben.

»Sie verwenden den Ausdruck wir, Atlan?«

»Ja. Mir ist jetzt klar, dass ich nicht einfach verschwinden und Traversan sich selbst überlassen kann. Und das aus zwei Gründen: Erstens ist meine Zeitmaschine vorerst noch ohne Energie, ich muss also warten. Zweitens ist die Balance der Kräfte zerstört.«

Aufmerksam blickte der Nert mich an.

 

»Was wollen Sie damit andeuten?«

»Bislang konnten wir uns darauf verlassen, dass Traversan ganz automatisch gerettet wird. Die Geschichte beweist es ja. Aber nun habe ich als fremdes Element entscheidend eingegriffen. Ob ich einen Fehler begangen habe oder nicht, mag dahingestellt sein.«

Ich dachte an die Prinzessin, und meine innere Stimme sagte mir, ich habe völlig richtig gehandelt. Auch wenn es egoistisch war, auch wenn eine Emotion den Ausschlag gegeben hatte.

»Nun muss ich für Traversan geradestehen«, verkündete ich. »Ich muss aktiv dafür sorgen, dass die Geschichte ihren Gang geht. Wer weiß? Vielleicht kehre ich sonst in meine Gegenwart zurück, und die Methanatmer haben den Krieg doch noch gewonnen.«

Kuriol lachte dröhnend.

»Das steht wohl nicht zur Debatte, Atlan. Aber ich verstehe Ihre Überlegungen.«

Wir schauten eine Weile schweigend über die Stadt. Travs Stern zeigte sich als roter Flammenrand, als verglimmendes Licht über einem Horizont aus Wohntrichtern und verbrannten Parks.

»Die nächste Strafexpedition wird nicht lange auf sich warten lassen«, sagte ich. »Nert, wir müssen die Initiative ergreifen.«

Ich drehte mich und schaute zur anderen Seite, auf die Mauern des Palastes und zum dunklen Himmel, an dem Travs Nachtauge gerade aufgegangen war. Ich fragte mich, ob Prinzessin Tamarena bereits eingeschlafen war.

EPILOG

Gegenwart 6. August 1290 NGZ

Fürst Ligatem ließ seine Leute nach Atlan und der Station der Meister suchen, endlose drei Tage lang. Die Spezialisten der RICO gruben einen halben Quadratkilometer Gelände in der Yssods-Wüste um, ohne eine Spur, ohne eine konkrete Hoffnung.

Ligatem ließ sie gewähren. Leute wie Atlan durfte man nicht verloren geben; sie waren unsterblich, und irgendwie haftete ihnen ein seltsamer Nimbus des Unzerstörbaren an.

Am vierten Tag trat das Ereignis ein, welches alle Probleme potenzierte. Aus dem Hyperraum fiel eine Flotte von Kugelraumern. Es handelte sich um hundert Einheiten, schwer bewaffnete Kampfschiffe des Kristallimperiums. Bostich und seine Schergen hatten von der Krise Wind bekommen.

»Was sollen wir tun, Fürst?«, fragte ein Minister. »Die RICO ist noch im Orbit. Und sie werden ohne Atlan nicht verschwinden.«

Ligatem zögerte kurz mit der Antwort. Die RICO war schwer anzugreifen, der Kommandant verfügte über alle Wunder der Camelot-Technik. Und das schien auch die andere Seite zu wissen; die Zeiten, da man Imperiumssoldaten blindlings in den Tod geschickt hatte, waren lange vorbei.

Ligatem hoffte, dass die Flotte des Kristallimperiums stillhielt.

»Wir müssen auf Zeit spielen«, bekundete er. »Ich hoffe, dass wir Atlan noch finden werden.«

Auf Zeit spielen. Buchstäblich.

ZWEITER ROMAN

1.

Irgendetwas hatte mich aufgeschreckt; ich glaubte ein leises, gepresstes Atmen wahrzunehmen. Jemand stand in der Dunkelheit meiner Kabine und starrte mich an.

Unwillkürlich spannte ich die Muskeln an. Der Raum war gesichert; niemand konnte, ohne Alarm auszulösen, eindringen – zumindest niemand außer Prinzessin Tamarena oder …

Mach dich doch nicht zum Sklaven deiner Hormone!, dröhnte die Stimme des Extrasinns unter meiner Schädeldecke. Lass die Augen zu, verliebter Narr! Atme gleichmäßig weiter!

Wie lange hatte ich geschlafen? Kaum länger als eine halbe Stunde, denn immer noch steckte eine bleierne Schwere in meinen Gliedern. Ich erinnerte mich, geträumt zu haben. Von der siegreich beendeten Raumschlacht und der Gefahr, dass ich durch mein Eingreifen vielleicht die Zukunft verändert hatte. Ich gehörte nicht hierher, nicht in diese Zeit, in der das Große Arkon-Imperium den Zenit seiner Macht bereits überschritten hatte und der Degeneration entgegendämmerte.

In meinen Gedanken entstand das Bild eines Schattens, der gekommen war, um mich ins Jenseits zu befördern. Schlagartig hellwach, zog ich langsam die Beine an.

Drei Schritte vor dir …

Die Lider nur leicht geöffnet, verwünschte ich die Dunkelheit. Der Eindringling hatte die automatische Beleuchtung manipuliert. Ein verhaltenes Rascheln erklang. Diesmal glaubte ich erkennen zu können, wie ein Arm in die Höhe ruckte, und – war da nicht ein eisiges metallisches Blitzen?

Der Vibratorklinge entging ich lediglich, weil ich mich abrupt zur Seite wälzte.

Kein Laut der Überraschung, nichts – mein Gegner reagierte mit der tödlichen Präzision eines Roboters. Seine Hand krallte in mein Gesicht, die Finger bohrten sich in die Augen. Gleichzeitig stieß er wieder zu. Doch ich war abermals schneller. Mein Ellenbogen krachte in einem abwehrenden Dagor-Griff gegen seinen Brustkorb.

Obwohl der Angreifer nach wie vor nur ein Schemen in der Finsternis war, spürte ich, dass er taumelte. Jedoch musste sein Zurückweichen einen anderen Grund haben als meinen Abwehrschlag, denn besonders hart hatte ich ihn nicht getroffen.

Sieh dich vor!

Die Warnung des Extrasinns kam zu spät. Siedendheiß schrammte der Dolch über meinen Arm, und sofort fühlte ich es warm und klebrig auf der Haut. Blut quoll mit jedem Pulsschlag aus der verletzten Ader.

Ich bekam das Handgelenk des Angreifers zu fassen und zerrte ihn, seinen eigenen Schwung ausnutzend, nach vorne. Dumpf war sein Aufprall auf der Wand, doch er federte sofort zurück. Diesmal rammte mein Ellenbogen in seine Magengrube.

Der Dolch klirrte zu Boden.

Eher zufällig trat ich die Klinge zur Seite. Zugleich zerrte ich dem Unbekannten die Arme auf den Rücken und drückte ihn auf die Koje.

»Wer sind Sie?«

Keine Antwort. Er rang nach Luft, als hätte er nicht mehr die Kraft, sich zur Wehr zu setzen – doch zweifellos wartete er nur auf eine Chance, mich zu überrumpeln.

Ich packte fester zu. In meinem verletzten Arm tobten Höllenfeuer. Ich schwitzte und fror gleichzeitig, und aus allen Poren perlte plötzlich eisiger Schweiß.

»Warum wollten Sie mich töten?«

Der Boden schien sich mir entgegen zu wölben. Sekundenlang empfand ich ein seltsames Schwindelgefühl, danach war alles wieder wie zuvor.

Vergiftungssymptome!, stellte der Logiksektor fest. Die Klinge war präpariert.

Es fiel mir schwer, mich zu konzentrieren, quälende Übelkeit stieg in mir auf. Mein Griff lockerte sich, doch ein warnender Aufschrei des Extrasinns entriss mich der beginnenden Lethargie. Bevor der Unbekannte sich herumwälzen konnte, presste ich ihn mit meinem ganzen Gewicht auf die Koje.

»Wer hat Sie … geschickt?«

Stockend kam die Frage über meine Lippen.

Ein kaum verständliches Gurgeln antwortete mir. Nur bruchstückweise reimte ich mir zusammen, was ich da eben gehört hatte. Die Erkenntnis traf mich wie ein Schlag. Im ersten Moment war ich versucht, meinen Gegner niederzuschlagen. Aus Wut und maßloser Enttäuschung.

Warum tust du es nicht, Barbar?

Spöttischer hätte die Bemerkung des Extrasinns nicht sein können.

Ich biss die Zähne zusammen und versuchte mit einem Kopfschütteln, die grässliche Benommenheit zu vertreiben. Trotz der beruhigenden Impulse des Aktivatorchips kämpfte ich bereits gegen eine beginnende Ohnmacht.

»Wer …?«, herrschte ich meinen Gegner an. »Die Wahrheit, oder …«

»Die Prinzessin …«, stieß der Kerl hervor. »Prinzessin Tamarena!«

Er schien förmlich unter mir zu explodieren. Ich spürte seine Reaktion, aber ich reagierte zu langsam. Sein Schädel traf mein Gesicht, ein Tritt in die Magengrube schleuderte mich rückwärts.

Tamarena, hallte ein schreckliches Echo durch meine Gedanken. Obwohl ich sie erst seit wenigen Tagen kannte, schien sie eine der Frauen zu sein, die mir altem Arkoniden durchaus gefährlich werden konnten.

Liebe und Tod lagen schon immer nah beieinander.

Der Kommentar des Extrasinns war bissig wie immer.

Ein Schatten sprang mich an. Vergeblich riss ich die Arme zur Abwehr hoch. Gemeinsam stürzten wir zu Boden und wälzten uns ineinander verkrallt herum. Zwei kräftige Hände umklammerten meinen Hals.

Ich bekam keine Luft mehr. Mein Aufbäumen und der Versuch, den Gegner abzuschütteln, blieben wirkungslos. Er lachte heiser.

»Sie sterben als Erster, Has‘athor. Und nach Ihnen wird Traversan seine gerechte Strafe erhalten.«

Has‘athor nannte er mich, einen Admiral vierter Klasse und Einsonnenträger. Er unterschätzte mich.

Es ist wahrlich beruhigend, mit solchem Wissen in den Tod zu gehen.

Vor meinem inneren Auge explodierten Sonnensysteme. Alles in mir schrie danach, tief und lang anhaltend einzuatmen. Ich konnte es nicht. Dabei schnappte ich wohl nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen, aber die Finger des Gegners lagen wie Schraubzwingen um meine Kehle. Meine Sinne begannen zu schwinden.

Viel zu selten hatte ich mir Gedanken über den eigenen Tod gemacht. Wer wie ich die relative Unsterblichkeit besitzt, der denkt nicht so häufig darüber nach. Mit der Empfindlichkeit einer Mimose müsste ich sonst nach Jahrtausenden auf die eigene körperliche Unversehrtheit achten und die Unsterblichkeit nur noch als Fluch und Behinderung empfinden.

Kämpfe, du Narr! Oder wir sterben beide!

Der Aufschrei des Extrasinns, zum ersten Mal seit langem von Panik erfüllt, reißt mich aus der Lethargie. Aber den stahlharten Griff kann ich nicht abschütteln, ich …

… fühle, verzweifelt um mich tastend, einen kühlen Gegenstand unter meiner Hand. Es ist der Griff der Vibratorklinge. Schon auf dem Grat der Bewusstlosigkeit balancierend, zerre ich die Waffe hoch und stoße zu.

Ein gurgelnder Aufschrei beweist, dass ich getroffen habe. Jäh weicht die Last von mir. Keuchend, hustend und nach Luft ringend wälze ich mich auf die Seite. Der Dolch ist mir schon wieder entglitten, aber das spielt keine Rolle mehr. Wie flüssiges Feuer tobt der Sauerstoff durch meine Lungen. Ich glaube innerlich verbrennen zu müssen und atme dennoch hastig ein, bis ich hustend und mit dem schalen Geschmack von Blut auf den Lippen ins Leben zurückfinde.

»Sie sterben trotzdem«, keucht der Unbekannte.

Egal, wie ich ihn verletzt habe, falls noch Gift an der Klinge war, und das dürfte der Fall gewesen sein, kann er mir kaum noch gefährlich werden. Vielleicht rettet schnelle medizinische Hilfe sein Leben.

»Sie entkommen mir nicht«, bringt er stoßweise hervor.

Ich komme schwankend auf die Beine, versuche das Gefühl zu ignorieren, dass die ganze Welt sich rasend schnell um mich dreht.

»Wir werden gemeinsam zur Hölle fahren, Has‘athor …«

Ich mache einen Schritt, dann einen zweiten – der Kabinenboden wird zur Achterbahn. Er springt mir entgegen und fällt sofort wieder rasend schnell zurück und lässt mich, mit den Armen rudernd, scheinbar im Nichts hängen. Mein Gleichgewichtssinn ist völlig aus den Fugen geraten.

Ein wirres Lachen erklingt. Als es abrupt abbricht, fällt ein Gegenstand zu Boden und rollt einige Meter weit. Trotz meiner Benommenheit höre ich das Geräusch fast überdeutlich. Ein düsterrotes Glimmen entsteht in der Dunkelheit …

… und beginnt zu blinken.

Das ist eine Thermoladung, die ihre Energien freisetzen wird, sobald das Blinken endet. Ich weiß nicht, auf welche Verzögerung sie eingestellt ist. Vielleicht sind es nur wenige Sekunden …

Alles dreht sich und wogt auf und ab. Ich stolpere, spüre eine Wand, habe dennoch das Gefühl, mich im Kreis zu bewegen. Wie viele Sekunden geht das schon? Eine Ewigkeit.

Du hast Zeit, Atlan – genügend Zeit.

Seltsam, aber ich glaube dem Extrasinn nicht.

Endlich, das Schott. Aber es öffnet sich nicht. Zum zweiten Mal schlage ich auf die positronische Verriegelung.

Das Blinken hat aufgehört. Unerbittlich wie das Auge eines Dämons starrt das rote Glühen mich an.

Viel zu langsam gleitet die stählerne Wand auf. Ein schmaler Spalt entsteht. Noch bevor ich mich hindurchzwängen kann, zündet die Thermoladung in einer blendenden Lichtfülle. Schützend reiße ich die Arme hoch, aber das alles verbrennende Feuer ist überall. Ich fühle mich emporgewirbelt und spüre noch die sengende Hitze auf der Haut …

… dann erlischt jede Wahrnehmung.

Ich höre Stimmen. Sie kommen näher. Mehrere Personen reden von Vergeltung. Unsicherheit schwingt in ihren Worten mit, aber auch unbeugsamer arkonidischer Stolz.

 

Vorübergehend gebe ich mich der Illusion hin, zu Hause zu sein.

Du bist ein unverbesserlicher Narr. Der Extrasinn will mich provozieren, aus welchem Grund auch immer. Dies ist nicht deine Gegenwart, ebenso wenig deine Vergangenheit – und das Tai Ark‘Tussan, das Große Arkon-Imperium, wird dir deine Verdienste um Traversan bestimmt nicht in barer Münze vergelten.

»Keon‘athor Atlan ist aus dem Koma erwacht!«, erklingt ein überraschter Ausruf. »Die Gehirnströme zeigen endlich annähernd normale Werte.«

»Könnt Ihr mich verstehen, Admiral?«

Jemand beugt sich über mich und prüft die feste Verbindung etlicher Sensoren mit meiner Haut.

»Es ist ein Wunder, dass Ihr überlebt habt. Der Attentäter benutzte ein tödlich wirkendes Gift. Im Allgemeinen führt es innerhalb weniger Minuten zum Verlust der psychischen Kontrolle. Der Zusammenbruch aller Körperfunktionen und damit der Tod tritt nach knapp einer Stunde ein.«

»Wir vermuten, dass der Attentäter Ihnen unter der Einwirkung des Giftes Informationen entlocken wollte, Admiral Atlan«, fuhr eine zweite Stimme fort. »Kannten Sie den Mann?«

Sie wissen, dass du die Frage verstanden hast, raunte der Extrasinn. Deine Gehirnströme und der Hautwiderstand verraten es ihnen.

Wissen Sie auch, dass ich erfahren habe, wer hinter dem Attentat steht?, fragte ich ebenso lautlos zurück.

Glaubst du diese Lüge? Sie sollte dich verunsichern.

… und falls nicht?

Das nachfolgende Schweigen war bedeutungsvoll. Welches Spiel spielten die Traversan-Arkoniden, nachdem ich ihnen die Kastanien aus dem Feuer geholt hatte? War ich für sie nichts anderes als eine Garrabo-Figur, die man beliebig hin und her schob? Die Saat des Zweifels war aufgegangen und keimte, doch ich durfte nicht zulassen, dass sie wuchs und um sich griff.

Ich schlug endlich die Augen auf. Hologramme ringsum vermittelten den Eindruck einer sonnenüberfluteten Planetenlandschaft. Nur die Bildschirmgalerien und die inmitten einer Hügelkette deplatziert wirkenden medizinischen Geräte störten den Eindruck. Ein Meer von Khasurn, dem kelchförmigen arkonidischen Riesenlotos, bewegte sich sanft im Wind. Zwei Mediziner hantierten in meiner Nähe.

Du vertraust ihnen demnach immer noch, stellte der Logiksektor fest.

Was stört dich daran?

Nichts, großer Arkonidenhäuptling, rein gar nichts.

Dass ich ungefähr drei Stunden ohne Besinnung gewesen war, erfuhr ich, als Tamarena da Traversan erschien. Die Prinzessin war ernsthaft besorgt. Ihre rauchig-dunkle Stimme zitterte, und die hellroten Augen hatten viel von ihrem Glanz verloren. Dafür zeichneten sich dunkle Ringe unter den Lidern ab.

»Es ist für mich unbegreiflich, Atlan. Traversan steht tief in deiner Schuld, das wissen wir alle. Dennoch sind wir nicht einmal fähig, deinen Schlaf zu bewachen. Zwei Sicherheitskräfte wurden heimtückisch ermordet.«

Sie versucht, deine Gedanken zu lesen.

Ich hab‘s bemerkt.

Der Blick ihrer mandelförmigen Augen war wieder ausdrucksstärker geworden. Mittlerweile wusste ich um Tamarenas telepathische Fähigkeiten; doch meine Abschirmung konnte sie nicht durchdringen, wenn ich es nicht wollte. Selbst im geschwächten Zustand hielt mein mentaler Schirm.

»Nert Kuriol braucht sich meinetwegen nicht zu sorgen«, wehrte ich ab.

»Das tut er aber.«

Mit einer heftigen Bewegung streifte Tamarena ihr halblanges platinblondes Haar zurück.

»Niemand hat mit einem Spion des Tai Ark‘Tussan in den eigenen Reihen gerechnet. Deine Kabine ist ausgeglüht. Wir haben den verkohlten Leichnam des Attentäters geborgen oder vielmehr das, was von ihm übrig ist. Seine Identifizierung ist für uns lebenswichtig.«

Ich nickte und versuchte, mich aufzurichten. Aber Tamarena drückte mich sanft, doch unwiderstehlich zurück. Obwohl ich mich noch schwach fühlte, schob ich ihre Hand zur Seite und setzte mich am Rand der antigravgestützten Liege auf.

Nachdenklich ruhte der Blick der Prinzessin auf mir.

»Andere wären an dem Gift gestorben«, sagte sie leise. »Du scheinst nicht einmal unter den Folgen zu leiden.«

»Mir geht es gut.«

Ich stand langsam auf und streifte die Kleidungsstücke über, die für mich bereitlagen. Die Schnittwunde am Oberarm war mit Bioplasma verklebt, ebenso einige verbrannte Hautfetzen. In ein bis zwei Tagen würde alles narbenfrei abgeheilt sein, dafür sorgte schon der Zellaktivator.

»Unkraut vergeht nicht«, fügte ich hinzu.

»Bitte?«

Ich ignorierte ihren verblüfften Blick ebenso wie das amüsierte Kichern des Extrasinns. Natürlich wohnten zwei Seelen in meiner Brust, die arkonidische, aber auch eine terranische, die in Jahrtausenden gewachsen war. Terra war meine zweite Heimat – dass ich irdische Redewendungen benutzte, war für mich selbstverständlich, darüber zerbrach ich mir schon lange nicht mehr den Kopf.

»Wieso wusstest du von dem Gift?«, stellte ich die Gegenfrage.

»Vielleicht eine Vorsehung der She‘ Huhan«, antwortete einer der Mediziner, nachdem die Prinzessin ihn mit einem kaum merklichen Nicken dazu aufgefordert hatte. »Die brennende Kabine, Ihre blutende Armwunde, Admiral – und so gefährlich das Gift auch ist, seine Molekülgruppen sind mit einem Standardtest zu identifizieren. Sie müssen jetzt ruhen …«

»Ich bin weder krank noch gebrechlich«, fuhr ich auf. »Und darüber wünsche ich keine Diskussion.«

Sollte er meine robuste Konstitution ruhig den She‘Huhan, den arkonidischen Sternengöttern, zuschreiben. Der Zellaktivator war und blieb mein persönliches Geheimnis.

Zweieinhalb Stunden später ging die Sonne über der Hauptstadt Erican auf. Travs Nachtauge, der einzige Mond des Planeten, hing als riesiger, rot schimmernder Ball dicht über dem Horizont. Seine gewaltige Größe entsprang aber einzig und allein einer optischen Täuschung, hervorgerufen durch Lichtbrechung und den nahezu waagerechten Standort.

Die holographische Wiedergabe der erwachenden Stadt war trügerisch, sie gaukelte eine Ruhe vor, die es nicht gab. Unter der scheinbar friedlichen Oberfläche brodelte es – wir hatten eine Schlacht gewonnen, nicht jedoch den Krieg.

Nert Kuriol da Traversans Falten in den Augenwinkeln waren tiefer geworden, überhaupt wirkte sein Gesicht heute eingefallen wie nach einer langen Nacht ohne Schlaf. Mit zwei Fingern massierte er seine Nasenwurzel – aber noch schwieg er. Und keiner der Anwesenden wagte es, vor ihm das Wort zu ergreifen.

Wir hatten uns im kleinen Konferenzraum neben der Hauptzentrale des Flaggschiffs eingefunden, das immer noch auf dem Raumhafen von Erican stand. Der Nert war erst vor wenigen Minuten an Bord gekommen. Zu seiner Linken saß die Prinzessin, ihm gegenüber der Kapitän zweiter Klasse Irakhem, Kommandeur des Flaggschiffs und zugleich ranghöchster Offizier von Traversan. Neben ihm Eshveran on Keithy, Kapitän dritter Klasse und Irakhems Stellvertreter als Befehlshaber der Flotte, sowie Lesantre, der Chef des planetaren Geheimdienstes.

Lesantre war gemeinsam mit dem Nert und zwei schwer bewaffneten Uniformierten eingetroffen, die mittlerweile vor dem Konferenzraum Wache standen – Staffage oder Notwendigkeit, ich würde es vermutlich sehr schnell erfahren.

Prinzessin Tamarena blickte aufmerksam in die Runde. Nur meine Gedanken konnte sie nicht erfassen. Immerhin hatte ich mehr Vertrauen in ihre telepathischen Fähigkeiten als in die hochdekorierten Wachen vor dem Schott.

»Für Traversans Ruhm und Ehre«, begann der Nert.

Mit knappen Worten drückte er seine Bestürzung über den heimtückischen Anschlag auf mein Leben aus und zugleich seine Freude, mich nahezu unverletzt zu sehen. Floskeln zwar, aber ehrlich gemeint.

Gegen Nert Kuriol da Traversan wirkte der Geheimdienstchef mit seinen nur 1,75 Metern Größe untersetzt. Ich hatte inzwischen erfahren, dass er einst mit Kuriol auf diesen Planeten gekommen war und den Geheimdienst aus dem Nichts heraus aufgebaut hatte. Lesantre wirkte gelegentlich brutal, er war aufbrausend, doch auf jeden Fall loyal. Auch jetzt betonte er wieder, tief in Nert Kuriols Schuld zu stehen, ohne jedoch Details preiszugeben.

»Keon‘athor Atlan«, er wandte sich mit einer angedeuteten Verbeugung an mich, »ich habe alles unternommen, damit der erschreckende Vorfall ein einmaliges Geschehen bleibt. Außerdem konnten wir den Attentäter bereits aufgrund einer genetischen Analyse identifizieren. Sein Name war Tomaren – ein illegitimer Spross aus der Verbindung des Patriarchen der unbedeutenden Tomar-Sippe mit einer Essoya, einer Nichtadeligen.«