Klimachaos

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8.

Claudio lernte in dieser Schule allerdings auch, dass man das Leben genießen musste, solange das ging. Also machte Claudio nach dem Abitur mit Anton und einigen Freunden erst mal einen längeren Segeltörn. Im Herbst absolvierte er dann ein ausgedehntes Praktikum in der ehemaligen Firma seines Vaters, und im Winter hospitierte er bei seiner Mutter. Zum Frühjahrs-Semester schrieb er sich schließlich in Hamburg ein, um Deich-, Schleusen-und Sperrwerksbau zu studieren. Während seiner Segeltörns mit Anton hatte er erfahren, wie wichtig der Schutz der Küstengebiete geworden war. Es gab inzwischen Mörderwellen, die eine Stadt glatt überrollen konnten. Nach dem Vordiplom ging Claudio an die Universität in Kiel, die in Punkto Sperrwerksbau als vorbildlich galt. In den alten Fabriksgeländen der ehemaligen Schiffswerften wurden heute riesige Schleusentore produziert. Das hatte der Stadt Kiel nach dem Niedergang der Werftindustrie einen wirtschaftlichen Aufschwung beschert.

An der Kieler Uni traf er Susi, Benni und Anton wieder.Kiel und Hamburg sind Städte, die durch die Erhöhung des Meeresspiegels und durch gewaltige Sturmfluten wohl längst untergegangen wären, hätte man nicht gewaltige Deiche, Sperrwerke und Schleusen gebaut. Andere Regionen an der Nord- und Ostsee waren allerdings fast komplett überspült worden, wie etwa die früher einmal beliebten Ferieninseln Fehmarn, Rügen, Zingst, Sylt und Norderney, oder auch die Halligen im Wattenmeer, sehr zum Bedauern von Vogelschützern, Touristen und friesischen Traditionalisten. Auch die Shetland Inseln und viele Küstengebiete waren (zumindest teilweise) ein Opfer des Anstiegs der Weltmeere geworden. Es gab dort nur noch einige Felsen, die aus dem Wasser ragten. Die küstennahen Städte Rostock, Bremen, Hamburg, Amsterdam, Rotterdam, Oslo und London hatte man mit viel Aufwand und mit noch mehr Geld gerade noch erhalten können. Kopenhagen hatte man dagegen völlig ins Binnenland umsiedeln müssen. Die Altstadt war überflutet worden. Viele kleinere Städte waren komplett abgesoffen, weil sich der Aufwand eines umfassenden Schutzes einfach nicht lohnte, etwa das frühere englische Seebad Brighton, Le Havre oder Brest. Bei einigen Weltstädten waren die flachen und am Meer liegenden Teile trotz aller Schutzmaßnahmen in Sturmfluten versunken. Etwa in Rio, Buenos Aires, Bangkok, oder Hongkong.Auch Emden war mehrmals durch Sturmfluten zerstört worden, bis man die Dollard-Bucht, den Jadebusen, die Kieler Förde und all die großen Flüsse, wie Weser, Elbe oder Themse mit gewaltigen Sperrwerken versah. Emden war hinter diesem Sperrwerk auf einer künstlich angeschütteten Anhöhe neu gebaut worden.

Diese Sperrwerke waren technische Meisterleistungen mit Schleusen, Windmühlen zur Stromerzeugung, Pumpen und Fischtreppen. Hinter manchen Sperrwerken waren große Binnenseen entstanden, die durch ständigen Austausch mit Frischwasser versorgt werden mussten, damit sie nicht wegen Sauerstoffarmut umkippen.Es gab am Boden verankerte frei schwimmende Bojen, die über Solarenergie ständig Sauerstoff in die tieferen Gewässerschichten pumpten, um der Algenbildung vorzubeugen. Innerhalb dieser Binnenseen hatte sich sogar ein neuer Fischreichtum entwickelt und das Angeln und Segeln war zum neuen Freizeitsport geworden. Allerdings war dieses Biotop äußerst fragil. Bei großer Hitze trieben die Fische von Zeit zu Zeit mit dem Bauch nach oben auf der Wasseroberfläche. Viele Küstenregionen lagen jetzt unterhalb des Meeresspiegels, geschützt nur durch gewaltige Deichanlagen. Wenn so ein Deich brach, dann wurden viele hundert Quadratkilometer Land unter Wasser gesetzt.Der Beruf des Deich-und Sperrwerkbauers war für die Wirtschaften des Landes und das Überleben der Menschen genauso überlebenswichtig geworden, wie viele andere Berufe rund um das Recycling von Rohstoffen, und die Erzeugung von Energie. Dazu gehörten auch Wasserwirte, Forstwirte, Agraringenieure und Biologen zur Rettung der Tier- und Pflanzenwelt. Man brauchte einfach Technologien und Verfahren zum Schutz der Lebensräume (der biologischen Kreisläufe), der Erzeugung von Nahrung und der Rückgewinnung von Wertstoffen. Es war ein guter Beruf, und Claudio würde wohl sein Leben lang sein Auskommen haben.

Auch das Binnenland war betroffen. England war immer wieder von Regenfällen geradezu überschwemmt worden. In anderen Regionen kam es zu anhaltenden Trockenheiten, Schneefällen oder orkanartigen Stürmen, die alles lahmlegten. Claudio war in eine schwierige Zeit hineingeboren worden. Eine Zeit, in der eine Natur- und Umweltkathastrophe durch die nächste abgelöst wurde, alles in schneller Folge. Tatsächlich gab es seit über 70 Jahren auch große Fortschritte in der Bekämpfung der umweltschädlichen Ursachen, aber das konnte die einmal eingetretenen Schäden nicht ungeschehen machen. Die Weltgemeinschaft hatte inzwischen verinnerlicht, dass man gemeinsam etwas gegen dieses Chaos unternehmen musste, das nicht nur aus hohlen Absichtserklärungen bestand.Es gab immer noch die wirtschaftliche Ausbeutung von Resourcen und organisierte Umweltsünder zerstörten die Umwelt massenhaft weiter, aus Profitgier oder Dummheit.Dennoch hatte die Menschheit insgesamt gelernt. Es gab inzwischen Abteilungen unter der Ägide der UN, die zumindest streckenweise die Einhaltung von Umweltgesetzen kontrollierte und Verstöße auch ahndete.

9.

Kluge Köpfe hatten der Menschheit stets vorgeworfen, dass die kollektive Dummheit grenzenlos sei, so wie z.B. der Philosoph Adorno, und das bedeutet übersetzt soviel, dass der Mensch kollektiv nicht lernfähig ist. Als Einzelner mag er ein vernunftsbegabtes Wesen sein, aber eben nicht im Kollektiv, und schon gar nicht, wenn radikale Fundamentalisten (gleich welcher Couleur) ihre Anhänger mobilisieren, und die Ausschaltung jeder Vernunft zum Ziel erheben. Das ist dann übertragen so, wie bei den Lemmingen, die nach irgendeinem geheimen Signal zu Tausenden irgendwohin rennen, um dann über die Klippe ins Meer zu stürzen. Ein kollektiver Selbstmord. Man kann sie nicht aufhalten. Adornos Theorie war nicht unumstritten, und er war schon in seiner Zeit nur unter den kritischen Wissenschaftlern hochgeachtet, aber seit 2030 war tatsächlich so etwas entstanden wie eine rationale Auseinandersetzung mit der Krise. Ein Quantensprung in der Geschichte? Wohl kaum. Eher ein Zufall. Ein Seitensprung. Ein Abweichen von der Regel. Ein Innehalten, Nachdenken und tief Einatmen. Ja, es war tatsächlich ein Wunder. Die Bedingungen erforderten auch spontanen und kreativen Einsatz und dynamisches, leidenschaftliches Handeln mit Herz und Verstand, etwas, was man auch mit dem Begriff Empathie fasst.

Jede Gesellschaft bringt solche Strömungen hervor, besonders dann, wenn die Not am Größten ist. Die Menschheit hatte spätestens seit 2040 mehrheitlich ein neues Denken verinnerlicht: „wenn wir nicht massiv gegensteuern, so werden wir als Gattung Mensch aussterben.“ Mehrheitlich bedeutet nicht, dass dies nun immer so ist und bleibt, sondern nur, dass der physikalischen Masse eine gewaltige zeitlich begrenzte Bewegungsenergie entgegengestemmt wird, die sie in eine bestimmte Richtung umlenkt, bis sie noch einmal umgeleitet wird, durch andere Energien. Aber natürlich war es so, wie zu allen Zeiten: Es gab eine richtungsweisende Gruppe, die in allen Erdteilen anzufinden war, es gab eine große Masse von Mitläufern.Es gab Widersacher, Unwissende, Gedankenlose, Gleichgültige, aber auch kriminelle Elemente, Panik-. und Geschäftemacher, korrupte Politiker, irregeführte Geheimdienste, übereifrige Polizisten, karrierebewusste Kader, und sendungsbewußte Geistliche. Es gab entgegengesetzte Theorien, die immer noch ein Spiel der freien Kräfte forderten. Damit hielten sie, in übertragenem Sinne, den Lauf der Lemminge in den Tod in Bewegung. So etwas wird es immer geben, aber irgendwie hatte ein glücklicher Umstand ausgelöst, dass sich der kollektive Schutzgedanke breit machte. Es gab entscheidende Impulse für diese Entwicklung, aber es war auch wirklich Glück. Es war eine Situation, die jederzeit umschlagen kann, wenn man die Kontrolle über die Entwicklung verliert.

In vielen Schulen wurden jetzt neue Dinge gelehrt, etwa der schonende Umgang mit Resourcen, und natürlich gab es auch Gebote, Verbote und Strafen bei Nichtbeachtung, die in Einzelfällen ziemlich drastisch waren. Alles das kam nicht über Nacht. Schauen wir einmal zurück ins Jahr 2002, als die Geschichte von Josefinas Familie begann, die von Claudio inzwischen als “Tante” bezeichnet wurde. Damals schien die Welt noch einigermaßen in Ordnung, wenn man auch die Augen vor den drohenden Gefahren mehrheitlich verschloss. Gehen wir dabei systematisch und chronologisch vor. Damals, vor 70 Jahren, hatte Rudolfo Vargas damit begonnen, ein Vermögen zu begründen. Josefina, ihre Kinder und ein dicht gesponnenes Geflecht aus vielen Freunden hatten das später gewinnbringend angelegt. Das hat nun scheinbar so gar nichts mit dem späteren Wetterchaos zu tun, das Claudios Leben einmal komplett bestimmen sollte, aber schauen wir einmal ganz genau hin. Die globale Entwicklung wäre wohl anders verlaufen, wenn es damals Rudolfo und Josefina nicht gegeben hätte.

Teil 1/ Kapitel 2.

Rudolfo, Josefina, das Erbe und die Maierhauser Ingeniering

1.

Die vorliegende Geschichte beginnt historisch mit Rudolfo Vargas, der im Jahr 2002 neben seinem Studium damit begonnen hatte für eine Bank zu arbeiten. Rudolfo studierte Betriebswirtschaft, aber er schloss sein Studium nicht ab, weil die Bank ihm eine goldene Zukunft bot. Er war ehrgeizig und intelligent, und er war ein Spieler. Er handelte im Auftrag der Bank mit Wertpapieren, Obligationen, Warentermingeschäften und sogenannten Hedgefonds. Er hatte den richtigen Riecher, und er war extrem produktiv und aggressiv. Bei einem solchen Job verzockst du dich des öfteren. Entscheidend ist, was unter dem Strich herauskommt, und Rudolfo war äußerst erfolgreich. In der Großbank, in der arbeitete, gab es nur noch drei andere, die genauso gut waren, und die lieferten sich tägliche Duelle, um sich gegenseitig zu übertreffen. Das Jahresgehalt wurde noch bei weitem übertroffen durch die Boni, die sie für ihre Gewinne einsackten. Die Bank achtete darauf, dass sie ihre besten Mitarbeiter bei der Stange hielt. Es gab genug Headhunter. Rudolfo hatte aber zwei Schwächen. Er dachte nicht im Traum daran, der Steuer irgendetwas abgeben zu wollen. Da war er kein Einzeltäter, sondern das galt damals als Sport. Er war ein Alphatier. Ein Rüde, der nach der Unterwerfung anderer unter seinen Willen strebte, und so hatte er auch einen unerschöpflichen Bedarf an Frauen. Das letztere änderte sich zumindest teilweise, als er 2007 die Biologiestudentin Josefina Ellenwang kennenlernte. Josefina war hochintelligent, sie war sexuell äußerst agil, und sie hatte bereits gelernt, dass es gut ist, ein Ziel zu haben. Eigentlich standen sie auf zwei verschiedenen Seiten. Als Biologin beschäftigte sich Josefina mit bedrohten Pflanzen und Tierarten, und so etwas ging Rudolfo am Arsch vorbei. Naja. Er hatte bisher keinen einzigen Gedanken an so etwas Sinnloses verschwendet.Trotzdem passierte zwischen den Beiden etwas, was man als seltenen Zufall bezeichnet. Vom ersten Augenblick an gab es eine gewaltige erotische und intellektuelle Spannung, die zu einer völligen gegenseitigen Abhängigkeit führte. Rudolfo verzichtete irgendwann sogar fast ganz auf seine sonstigen Techtelmechtel, aber nur fast. Er hörte nie ganz auf damit.

 

Rudolfo hatte schon früh damit begonnen, sein Geld auf die sichere Seite zu bringen. Es gibt immer Möglichkeiten für einen geschickten Anleger, Einnahmen an der Steuer vorbei zu lavieren. Rudolfo wollte zwar das Leben genießen, aber er wusste, dass es auf einen Schlag vorbei sein konnte mit dem Abzocken. Meist ist das in seinem Beruf mit 35 Jahren der Fall. Dann geht die Spannkraft plötzlich und rapide zurück. Für dieses Ereignis musste man Vorsorge treffen. Zusammen mit Josefina entwickelte er den Plan, eine Stiftung „Animal in Pain“ auf den Seychellen zu gründen, zum Schutz der bedrohten Tierwelt, und eine auf den Kaiman Inseln mit dem Namen „HELP AID“. Außerdem hatte er bereits zwei Beteiligungsgesellschaften gegründet, ebenfalls in Steueroasen. Er spendete jetzt seine gesamten Boni an diese Stiftungen, die unter einem Strohmann liefen, der keinen Zugriff auf die Konten hatte, und diese Stiftungen überwiesen das Geld an die Briefkastenfirmen. Josefina hatte damit gar keine Probleme. Noch bevor sie ihr Studium abgeschlossen hatte, begann sie sich im Charity Bereich zu organisieren. Es ist besser zu vermarkten, wenn solche Stiftungen auf viele unterschiedliche Spender zurückgreifen können. Für kleine hungrige Seerobben, Langohreulen, Biber, Wölfe oder hungernde Babys in Indien konnte man solche Abende problemlos organisieren, um Spenden zu sammeln und ein paar Projekte zu unterstützen, die man öffentlich wunderbar vermarkten konnte. Für Rudolfo war das ein Alibi, um das eigene Geld sicher und unauffindbar anzulegen, für Josefina war das eine Herzensangelegenheit, um die gesammelten Gelder nutzbringend einzusetzen, und so hatten beide etwas Gemeinsames, zumal das äußerst lukrativ war, weil sich diese Konten immer mehr füllten.

Als Josefina dann 2009 (mit 24 Jahren) schwanger wurde, und weil die erotische Anziehungskraft immer noch so überwältigend und ungestüm war, heirateten die beiden, und jetzt konnten sie ihre gegenseitigen Geschäfte noch viel besser abwickeln. Josefina machte sich langsam einen Namen. Sie wurde von Mitgliedern der Umweltverbände und der Grünen zwar nicht unbedingt hofiert, aber sie galt als dazugehörig, und auch in der Welt der Finanzjongleure, machte sich das gut. Solche Hilfsprojekte haben Alibifunktion, um in der Öffentlichkeit sein gutes Herz zu demonstrieren und das eigene hohe Einkommen zu rechtfertigen. Man demonstriert öffentlich, dass man ein Guter ist. Auch als Bänker, Industrieller, oder gutbezahlter Anwalt konnte man demonstrativ Herz beweisen und immagefördernd spenden. Seit 2013 zogen sich die rechtlichen Rahmenbedingungen langsam zu, innerhalb derer man solche Boni problemlos einsacken konnte. Die Schweiz erließ ein Gesetz zur steuerlichen Abschöpfung solcher Gewinne, mehrere Staaten beschlossen, das Bankgeheimnis aufzuheben, und Rudolfo überlegte bereits, Deutschland zu verlassen und nach London oder New York zu übersiedeln, aber dann hatte Rudolfo (der gerne und schnell Motorrad fuhr) zu Beginn der Motorradsaison 2013 auf regennasser Straße einen Unfall, den er nicht überlebte. Er war gerademal 35 Jahre alt geworden.Josefina wurde von einer auf die andere Minute ziemlich wohlhabend. Sie hatten nicht nur über zweihundert Millionen Euro im Ausland gebunkert, in Geld und in gewinnbringenden Beteiligungen. Josefina bekam jetzt auch eine Witwenrente und die Auszahlung einer Lebensversicherung über vier Millionen Euro. Das war zusammengenommen eine äußerst gesunde Basis, um in Zukunft sorgenfrei leben zu können, auch mit ihrer kleinen Tochter Carmelita. Noch besser war, dass Claudio ihr gezeigt hatte, wie man solche Millionen anlegt, so dass sie sich auch vermehren.

Im Rückblick konnte Josefina sogar sagen, dass es für beide vielleicht gut war, was da geschehen war. Rudolfo hatte den Knick nicht erleben müssen, der in den nächsten Jahren unweigerlich gekommen wäre, diesen plötzlichen und nur schwer verkraftbaren radikalen Abfall der Leistung, mit allen psychischen Folgen eines Burnouts, der viele Zocker Mitte Dreißig befällt. Vielleicht hätte sich Rudolfo in den neuen Firmen wiedergefunden, in die er sein Geld angelegt hatte, aber das wäre unwahrscheinlich gewesen, denn Rudolfo dachte in schnellen Vermarktungskategorien einer „Heuschrecke“, und nicht in den Kategorien einer langfristigen und sinnvollen, aber zähen Produktion. Wahrscheinlich wäre sogar ihre Liebe zueinander an dieser unterschiedlichen Haltung langfristig zerbrochen. So war dieses Erbe für Josefina ein Sprungbrett, um sich selbst zu entdecken. Sie musste sich plötzlich und unerwartet ganz auf ihre eigenen Stärken besinnen. Sie konnte ihren eigenen Weg gehen, ohne auf einen Partner Rücksicht nehmen zu müssen. Sie konnte sich auf ihre Stiftungen konzentrieren, und das gebunkerte Geld erst einmal in Ruhe arbeiten lassen.

2.

Josefina hatte von Rudolfo gelernt, dass Geld sehr schnell versickern kann, wenn man unvorsichtig ist. Vom tatsächlichen Eigentümer der Stiftungen und ihrer Gelder wussten die deutschen Behörden allerdings nichts, und von den Briefkastenfirmen im Ausland schon gar nicht. Josefina würde von den Stiftungen nach außen hin nur als Repräsentantin in leitender Position geführt. Die Beteiligungsgesellschaften liefen über Treuhänder, die Gelder waren in Steueroasen geparkt, und Josefina hatte längst Prokura. In der Trauerphase (Rudolfo fehlte ihr wirklich, denn der Verzicht auf die sexuellen Ausschweifungen machten Josefina schwer zu schaffen) wurde Josefina von verschiedenen Freunden getröstet, manche vom BUND, von Greenpeace und von mehreren Abgeordneten der Grünen. Sie wurde gebeten, ihre Arbeit mit den Stiftungen weiterzuführen, und wenn es auch nur in Andenken an Rudolfo sein würde. Über die geheimen Konten wusste ja auch hier niemand Bescheid. In dieser Zeit ereigneten sich auch diese neuerlichen Jahrhundertfluten an Donau, Elbe und ihren Nebenflüssen. Sie fuhr nach Regensburg, Wasserburg, Bad Schandau und nach Wittenberg. Sie sah sich das Desaster an. Sie sprach mit Grünenpolitikern und Experten in Sachen Wasserbau, die jetzt aber alle Hände voll zu tun hatten, und sie beschloss, dass man da langfristig etwas tun müsse, für Mensch, Pflanzen und Tier.Erst mal war sie noch geschockt von Rudolfos plötzlichem Tod. Sie würde sich zunächst nur darum kümmern, ihr Erbe ordentlich zu verwalten, bevor sie sich Hals über Kopf in ein neues Projekt stürzen würde, das bodenlos schien, denn soviel war ihr klar geworden, der Hochwasserschutz musste schon in den Alpen, in Tschechien und Polen beginnen, bevor er in Deutschland sinnvoll fortgesetzt wird. Auch in Deutschland gibt es Länderhoheiten. Wenn man etwas erreichen wollte, gab es Verwaltungsakte und Kompetenzrangeleien, an denen sich schon andere die Zähne ausgebissen hatten. Also verschob sie eventuelle Pläne auf einen späteren Zeitpunkt, und das war wohl eine sehr weise Entscheidung.

3.

Über ihre Kontakte lernte Josefina jetzt einen Ingenieur für Formenbau kennen, einen Horst Maierhauser in Baden Württemberg.2013 war das Jahr der Bundestagswahl in Deutschland, es war aber auch eine Art Zäsur, weil sich nach der sogenannten Energiewende in Deutschland diverse Volksvertreter unter anderem in der Pflicht sahen, für den Ausbau der Windkraft eine Lanze zu brechen, auch wenn das viele nur aus wahltaktischen Gründen taten. Horst hatte nach intensiver Forschung ein Verbundverfahren entwickelt, das den gesamten Aufbau und die Oberflächen der Flügel bei Windrädern veredelte. Die Flügel wurden um ein vielfaches leichter und gleichzeitig stabiler und windschlüpfriger, so dass weniger Energie verloren ging, beim Antrieb der Windräder.Horst war vorsichtig gewesen. Er hatte das Verfahren nicht öffentlich zugänglich gemacht, und er bot das nun verschiedenen Herstellern von Windkraftwerken an, ohne sich in Details zu verlieren, aber er war kein Kaufmann, und er hatte nicht mit der menschlichen Gier gerechnet. Man war gerne bereit, das Verfahren zu übernehmen, aber man würde das wohl in der Versenkung verschwinden lassen, wie viele gute Innovationen zuvor, man denke nur einmal an den Wankel-Motor. Man war gerne bereit, die Anwendung für ein paar Euro zu übernehmen oder gar zu stehlen, damit das kein anderer verwertet. Unternehmer sind nicht unbedingt die besseren Menschen, wenn sie im Bereich der alternativen Technologien tätig sind.

Horst hatte aber ein paar gute Freunde. Sein Vater, der eine kleine, aber exportintensive Maschinenfabrik führte, und für den er offiziell arbeitete, um Formteile zu entwickeln, hatte ihn bisher gesponsert, aber es fehlte das Kapital, um das Projekt von Horst auch umzusetzen. Horst war nicht bereit, sich bei den Banken hoch zu verschulden. Allein das Versprechen und die Aussicht um ein gewinnbringendes Verfahren bringt die Banken noch lange nicht dazu, dir das notwendige Geld auch vorzuschießen. Der Zinssatz liegt bei solchen Risikofinanzierungen in der Regel unanständig hoch. Nun kannte Horsts Vater aber durch alte Seilschaften den grünen Ministerpräsidenten von Baden Württemberg, und irgendwann trafen die beiden anlässlich einer Regionalmesse mal zu einem Glas Wein zusammen.Dieser Ministerpräsident wiederum kannte Josefina und er vermittelte ein Gespräch.So kam es, dass Josefina und Horst eines schönen Sonntags im Spätherbst 2013 zusammen durch den Bad Vilbeler Stadtwald wanderten, der vor den Toren von Frankfurt liegt.Josefina hörte sich in Ruhe an, was Horst zu erzählen hatte.Sie waren sich gegenseitig sympathisch, aber mehr passierte an diesem Tag nicht. Josefina versprach zumindest, darüber nachzudenken und mit Horst in Verbindung zu bleiben. Sie bat ihn aber noch ein paar Wochen zu warten, bevor er irgendwelche Entscheidungen über die Aufnahme von Geldern trifft.Für Horst war das Gespräch letztlich unverbindlich. Er hatte sich insgeheim mehr erhofft, und er hatte sich wieder ins Auto gesetzt und war an diesem Abend enttäuscht nach Böblingen zurückgefahren, wo er wohnte.

4.

Josefina hatte nichts versprechen wollen. Das war so ganz anders, als ihre bisherigen Projekte, aber sie hatte in Frankfurt einige gute Kontakte. Sie begann im Internet und in Bibliotheken zu recherchieren, und vier Wochen später rief sie bei Horst an, ob sie ihn nicht einmal besuchen dürfe.Natürlich würde sie auch ihre Tochter Carmelita mitbringen. Sie sprach an diesem Tag mit Horst und seinen Eltern. Sie ließ sich die Vorteile des Verfahrens noch einmal genau erklären und sie nickte dazu. Was sie freute, war, dass Horst und die kleine Carmelita Gefallen aneinander gefunden hatten. Sie bat darum, einmal konkrete Zahlen vorzulegen für eine Fertigung solcher Flügel, und wenn die anderen Hersteller von Windkraftwerken nicht bereit wären, das in ihre Anlagen gewinnbringend einzubauen, so müsse man überlegen, ob der Bau ganzer Windkraftparks in Frage kommt. „Rechnet mir das einmal durch.“ Sie trafen sich noch einmal, diesmal in ihrer Wohnung in Bad Vilbel, dann ließ sich Josefina die Zahlen geben und ging zu einem befreundeten Bänker.„Schau dir mal die Zahlen an, und sage mir die Risiken und Schwächen des Modells.“ Danach machte sie dasselbe mit einem Steueranwalt und nahm Kontakt zu einem Professor an der TU Darmstadt auf. All das zog sich hin, Josefina telefonierte ein paar Mal mit Horst und vertröstete ihn, und im Frühjahr 2014 hatte Josefina ein recht verlässliches Wirtschaftsmodell vorliegen.

 

Inzwischen war noch etwas geschehen. Der Weltklimarat hatte in einer umfangreichen Stellungnahme vor den Folgen einer weltweiten Resourcenverschwendung gewarnt und das Ende der Gattung Mensch prognostiziert, wenn nicht bald Modelle zum Schutz der Umwelt entwickelt und durchgesetzt werden würden. Josefina ließ sich die Studie kommen und sie war schwer beeindruckt. Sie kannte bereits die Studien des Club of Rome und andere Papiere, und sie beschloss, Gelder in Zukunftsprojekte zu investieren. Man kann das jetzt abkürzen. Josefina vereinbarte mit Horst, dass eine ihrer Stiftungen die Anschubfinanzierung zur Verfügung stellen würde, um solche Flügel zu bauen. Weitere Gelder würde es aber nur geben, wenn Horst die Kraftwerksbauer und Betreiber überzeugen könne, dieses Verfahren anzuwenden. Im selben Zug ließ sie Horst das Verfahren weltweit patentieren. Diese Investition von mehr als 160.000 Euro würde sich bald als sinnvoll erweisen. Horsts Vater ließ eine Fertigungshalle an seine kleine Fabrik anbauen (wobei ihm zugute kam, dass er das umliegende Land einmal geerbt hatte) und noch im Jahr 2015 begann Horst mit der Produktion. Die Stiftung hatte das Darlehen vergeben, im Vertrauen auf Berechnungen, die versprachen, dass diese Flügel erheblich leiser, effektiver und umweltfreundlicher sein würden, als bisherige.

Die Kraftwerksbetreiber standen nicht gerade Schlange, weil das aufwendige Verfahren aus synthetischen Polymeren ein gutes Stück teurer war als die Standardflügel, aber nachdem das erste Kraftwerk eingeweiht worden war, zeigte sich schnell, dass Horst nicht übertrieben hatte.Die Energieausbeute sprang bei gleicher Rotorenausstattung um 15 Prozent hoch und die Windemissionen nahmen im gleichen Atemzug um 60 Prozent ab. Als dann die Hannovermesse 2016 um war, waren die Auftragsbücher voll.Das war Josefinas Einstieg in die Produktion umweltfreundlicher Technologien. Weil sich Horst und Josefina in der ganzen Zeit gut verstanden, weil sich beide als zuverlässig und als kompetent zeigten, und weil Horst und die kleine Carmelita stets ein herzliches Verhältnis hatten, begann sich zwischen Horst und Josefina eine lockere sexuelles Beziehung zu entwickeln. Sie behielten ihre jeweiligen Wohnorte bei. Josefina in Bad Vilbel und Horst in Böblingen, und dann wurde Josefina von Horst schwanger. Sie heirateten im August 2017, aber Josefina behielt ihre Eigentumswohnung in Bad Vilbel. Schließlich hatte sie in Frankfurt viele Freunde, und dieser Wohnort war einfach genial nah am Brennpunkt der Finanzwelt Frankfurt. Diese Metropole ist neben Hamburg, Berlin, München, Stuttgart und Düsseldorf eines der großen Machtzentren, in denen in Deutschland fast alles entschieden wird.

5.

Josefina bekam noch zwei Kinder von Horst, wobei sie sich sicher war, dass eines der beiden Kinder von einem befreundeten Bänker in Frankfurt stammte. Horst erfuhr davon jedoch nichts. Sie nannte sich jetzt Maierhauser-Vargas, weil der Name Vargas in der Finanzwelt immer noch gut und bekannt war. Zusammen mit Horst begann Josefina nun ein Imperium für alternative Technologien zu begründen. Es blieb nicht bei Windmühlenflügeln.

Jetzt zeigte sich auch, wie klug es von Josefina gewesen war, das Verfahren weltweit zu schützen. Eine amerikanische Firma hatte das Patent verletzt und wenig später auch eine koreanische. Die Anwälte wurden in Bewegung gesetzt und die beiden Firmen mussten klein beigeben. Die Schadenersatzsumme belief sich insgesamt auf mehr als 850 Millionen, die sie für die Ausweitung ihres Unternehmens gut gebrauchen konnten.

Josefina war zwar ihrem wilden Rudolfo stets treu gewesen, aber sie hatte damals von ihm gelernt, dass sexuelle Beziehungen Türen öffnen können. Sie war zwar mit Horst verheiratet, das war aber eher ein beiderseitiges braves Agreement, bei dem die wilde Lust fehlte, die Josefinas und Rudolfos Verhältnis ausgezeichnet hatte. Bei solchen Projekten, wie alternative Technologien musst du Politiker und Finanzjongleure auf deiner Seite haben, und Josefina hatte längst damit begonnen, mit taktischem Geschick und mit sexuellen Versprechen ein System der privaten Geflechte aufzubauen. Gleichzeitig bewies sie sich als gute Ehefrau und als Mutter, die ihre Brut bewacht und fördert. So wie du mit Geld vorsichtig umgehen musst, damit es sich stets vermehrt, so musst du auch deine Brut liebevoll umsorgen, damit aus ihr was wird.Man darf sich das jetzt nicht so vorstellen, dass Josefina durch die Betten tingelte. Sie suchte sich ihre Kontakte genau aus, viele davon rein platonisch, und sie schuf sich ein Netz aus Freunden und Mitstreitern in Finanz-, Industrie-, und Umweltkreisen.

Durch diese Freunde lernte Josefina einerseits viel mehr über die verzwickten Mechanismen, welche die Ausbreitung sanfter Technologien entweder beschleunigen oder hemmen konnten, und sie lernte andererseits, Gelder noch viel besser zu verstecken als bisher, denn spätestens seit 2013 waren immer mehr Länder gegen sogenannte Steueroasen vorgegangen und hatten Schlupflöcher geschlossen. Josefina praktizierte aber auch gelegentliche erotische Exzesse, die ihr Horst nicht bieten konnte. Männer sind gerne bereit mit einer schönen Frau zu plaudern, die gut zuhören kann, die vorzeigbar und intellektuell prickelnd ist, und die zudem auch noch sexuellen Hochgenuss verschafft. Anlässe gab es genug, etwa auf Konferenzen, Messen oder nach Galaabenden. Josefina verschenkte sich dabei nicht, sondern sie gewährte solche sexuellen Exzesse wie einen Gunstbeweis an einen ausgesuchten Kreis. Diese Männer gaben Josefina die nötigen Geheimtipps, oft durch schlichtes verplappern, kurz: für Josefina waren diese Liebschaften lebensnotwendig, und es dauerte nicht lange, da betrieben die mit den Stiftungen verbundenen Anlagegesellschaften mehrere Windparks im In- und Ausland. Josefina blieb dabei stets vorsichtig und diskret. Sie brüskierte auch Horst niemals, und nun stiegen Josefina und Horst auch in andere Technologien ein.

6.

Da Josefina als Leiterin „Projekte und Öffentlichkeitsarbeit“ offiziell immer die Repräsentantin der Stiftungen blieb, war sie befreit von einem Alltagsrhytmus, der dir sonst durch feste Arbeitszeiten im Angestelltenverhältnis aufgezwängt wird. Es gab ein Büro mit Sekretärin, ein Kindermädchen und eine Hausangestellte, die sie entlasteten. Sie teilte sich ihre Zeit selbst ein. Sie machte weiter in Charity. Sie traf sich mit Männern und ihrem inzwischen großen Freundeskreis der Gleichgesinnten. Sie rief jetzt öffentlich dazu auf, Umweltprojekte hier und in der dritten Welt zu fördern und zu unterstützen. Nicht nur im Bereich der Energiegewinnung. Sie setzte sich nicht nur für den Schutz der Tiere ein. Als Biologin wusste sie, dass es viele Wirtstiere gibt, die gefährliche Krankheiten übertragen. Eine dieser Gattungen ist die Zecke. Es gibt viele verschiedene Arten davon, wie den gemeinen Holzbock, oder die Auwaldzecke, und eine der Viruserrankungen, die da übertragen wurden, war Lymeborreliose. Josefina hatte sich schon während ihres Studiums damit beschäftigt, und damals war es schon bekannt, dass Rinder offenbar ein Gegenmittel gegen solche Bakterien entwickelt haben. Durch Josefinas Fürsprache und finanzielle Unterstützung wurden mehrere Institute gefördert, die sich mit solchen möglichen Gegenmitteln beschäftigten, und tatsächlich gelang es 2022, dieses Gegenmittel zu isolieren und einen Impfstoff herzustellen. Mit dem Einnahmen aus den Verkäufen des Impfstoffes wiederum wurden nun weitere Forschungen finanziert. Josefina machte sich dadurch in Deutschland und in Europa einen Namen. Sie hatte zwar nicht selbst geforscht, aber sie hatte auch hier für die Anschubfinanzierung gesorgt und ein paar entscheidende Ideen beigesteuert.In der Folge galt Josefina in Wissenschaftskreisen als Fachautorität und als eine Art Spürnase. Aus ihrer bisherigen Beschäftigung mit der Materie wusste sie allerdings, dass dies nur ein kleiner Baustein war, um der wachsenden Gefahr von neuen epidemischen Gefahren und einem möglichen ökologischen Kollaps zu begegnen. Da würde noch viel zu tun sein.Josefina schickte ihre Kinder auf Eliteschulen und schärfte ihnen ein, Liebeleien seien wichtig, aber Seilschaften und die Familie haben Vorrang. Josefina war eine Glucke und sie würde die Fäden für den Familienzusammenhalt nicht aus der Hand geben. In solchen Schulen schmiedet man Kontakte, dort werden aber auch Theorien gelehrt, die zwar viel mit Geldverdienen, aber eben nicht viel mit dem Umweltgedanken zu tun haben.Josefina teilte die Achtung der Indianer vor der Natur, aber sie wollte sich nicht der Gewalt ökonomischer Zwangsläufigkeiten ausliefern, und sie nutzte jede Gelegenheit ihre Kinder dahingehend zu beeinflussen, dass die Gesetze der Natur geachtet werden müssen, ohne selbst schutzlos zu werden.