Klimachaos

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7.

Josefina hatte längst Kontakte zu Politikern in der EU geschlossen, und jetzt löste sie ein Versprechen ein, das sie sich selbst gegeben hatte. Sie sprach mit EU-Abgeordneten und Politikern in Tschechien, und sie erreichte, dass Gelder locker gemacht wurden für einen geplanten Ausbau des Hochwasserschutzes im Prager Becken. Am Oberlauf der Moldau gab es bereits große Stauseen, um Prag vor Überflutungen zu schützen, aber die hatten im Ernstfall nie gereicht. Weil aber die Regenfälle rund um das Prager Becken sich in die Flüsse Moldau, Berunka und Sazava ergiessen, die alle in die Elbe fließen, erreichte Josefina, dass an all diesen Flüssen weitere Stau- und Rückhaltebecken mit Geldern der EU gebaut werden konnten. Das Bauvorhaben dauerte 10 Jahre. In drei der Rückhaltebecken, eins vor Budweis (Moldau), eins vor Pilsen und eins vor Kolin (an der Elbe) steckte Josefina sogar eigene Gelder der Stiftung, die sie vorher durch Aufrufe gesammelt hatte. Zu Ihren Ehren trug das Rückhaltebecken vor Pilsen jetzt den Namen Vargas-Staubecken.

Der Erfolg dieser Rückhaltebecken wirkte unmittelbar. Als wieder so eine Jahrhundertflut im Jahr 2032 ihren Lauf nahm, blieben die Städte Pilsen, Budweis, Prag, Melnik, Usti und Bad Schandau, Pirna und Dresden verschont. Erst ab Dessau, wo die Mulde in die Elbe fließt, aber auch an der Saale, an der Elster und anderen Nebenflüssen der Elbe gab es wieder extreme Hochwasser, und nun begriffen immer mehr Menschen, dass man viel großräumiger denken musste, um solche Katastrophen langfristig zu verhindern. Josefinas Ruf stieg und stieg, und weil sie über nationale Grenzen hinausdachte, wurde sie nun immer öfter um Rat gefragt. Warum, dachte sich Josefina, soll ich diesen Ruf nicht ausnutzen. Sie scharte ein Team aus Fachleuten um sich, nannte das neumodisch, aber ansonsten unverbindlich das „Vargas-Umwelt-Kompetenzteam“ und sie schloss nun einzelne Beraterverträge ab, deren Gelder sie wiederum in die Stiftungen steckte, um sie dem Umweltschutz zugute kommen zu lassen. Dieses Engagement brachte ihr im Jahr 2038 sogar das Bundesverdienstkreuz am Band ein. Das war ein Punkt, bei dem schon längst klar war, dass der ökologische Kollaps nicht mehr aufzuhalten war. Die Menschheit hatte angesichts der sich verschärfenden Umweltproblematik bereits angefangen umzudenken, aber wie so oft, war das Kind sinnbildlich schon längst in den Brunnen gefallen.Bei all diesem öffentlich zur Schau getragenen Engagement war Josefina eine geschickte Taktikerin. Einnahmen wurden in Stiftungsgeldern und Beteiligungsgesellschaften angelegt und so an der Steuer vorbei eingesetzt, vieles davon ganz legal.Über ein Netz aus Verflechtungen wurden die verschiedenen Konten rechtlich einwandfrei dem Zugriff der Finanzämter entzogen. Josefina beschäftigte zwei Handvoll guter Anwälte, damit das auch so bleibt. Sie führte das Geld einem guten Zweck zu. Sie machte sich aber auch Gedanken darüber, was passieren würde, wenn diese Machenschaften einmal aufgedeckt würden, obwohl das nicht sehr wahrscheinlich war, weil ihr guter Ruf allem vorauseilte, was Josefina anpackte. Im Sinne des Ganzen musste das alles unter der Decke des Schweigens bleiben. Jeder, der ihr da gefährlich werden würde, den würde sie unerbittlich verfolgen, und sie lernte auch solche Männer kennen, die ihr dabei helfen würden, dieses Interesse mit allen Mitteln durchzusetzen.

8.

Die Kinder wurden groß. Ihre Tochter Carmelita studierte Rechtswissenschaften, heiratete einen Bänker und kaufte sich eine angesehene Frankfurter Anwaltskanzlei für Wirtschaftsrecht ein. Lasse wurde Ingenieur für Wasserkraftwerke, Bernhard (Bernie) wurde Biochemiker und Lore wurde Biologin, wie ihre Mutter, und nun begann sich der kleine Familienclan unter der Leitung von Josefina zu entwickeln und zu verbreitern.Josefina achtete sehr darauf, dass die Familie zusammenhielt. Ihre Kinder, die Ehegatten und die Kinder ihrer Kinder. Als heimliche Eigentümerin der Stiftungen und der Beteiligungsgesellschaften, und als die Biologin, die sie war, wollte sie diesen Einfluss mehren. Umwelttechnologie war für Josefina kein Wort, das man nur als Alibi im Mund führte. Um den Kreis der engeren Familie hatte sich schon längst eine Schar aus Gleichgesinnten gesellt, die Josefina und ihre Familie bei ihren Projekten unterstützten.Josefina begann ihren Einfluss auszudehnen. Sie überzeugte Kapitalgeber und Politiker. Mit dem einen oder anderen teilte sie gelegentlich das Bett, selbst wenn sie manchmal nicht auf ihre Kosten kam. Sie hatte da keine Skrupel. Hauptsache, die Männer taten, um was Josefina sie bat. Macht macht schön, und weil sie selbst im Alter von 50 noch knackig aussah, hatte sie genug Verehrer.Horst wusste inzwischen davon, aber er war einer der Nutznießer, und er hatte längst ein Verhältnis mit einer Jüngeren, obwohl er Josefina verehrte, und obwohl die beiden das Bett von Zeit zu Zeit miteinander teilten.

9.

Energie ist eine der Schlüsselindustrien der modernen Industriegesellschaft. Bereits im Jahr 2022 waren Josefinas Beteiligungsgesellschaften in das Geschäft der Gezeitenkraftwerke eingestiegen. Das gab es ja bisher schon, aber der Bau war bis zu diesem Zeitpunkt einfach zu teuer gewesen. Die ersten Gezeitenmühlen waren sogar schon im 17. Jahrhundert entstanden, aber moderne Kraftwerke, wie es sie z.B. in Kanada oder China gab, standen im Ruf, höllisch teuer und vergleichsweise wenig effektiv zu sein. Es gab Kleine, die etwa 10 Megawatt im Jahr erzeugten, unter anderem in China und England. Das größte davon stand in St.Malo, an der Flussmündung der Rance, und erzeugte immerhin 240 Megawatt. Ein weiterer Gezeitenpark stand in Pentland Firth in Nord Schottland und erzeugte 200 Megawatt im Jahr. Das war wenig, etwa im Vergleich zu einem Kohlekraftwerk, bei dem ein einziger Block mit viel weniger Anfangskosten problemlos 600 Megawatt erzeugen konnte.

Die Maierhauser Ingeniering hatte nach der Auswertung erster Versuchsanlagen schließlich 2029 ein neues Verfahren entwickelt, solche Kraftwerke kostengünstiger und zugleich noch viel effektiver zu errichten, so dass die 1000 Megawattgrenze nun deutlich überschritten wurde. Das waren zunächst noch Anfänge, aber das entwickelte sich wenige Jahre später zu einem gigantischen Geschäft, nachdem die Technologie ausgereift war. Es ist ja bekannt, dass Ebbe und Flut gewaltige Drücke und Söge erzeugen, und diese Kraft aus Tausenden von Megatonnen wurde in diesen Energieparks genutzt. Man verbaute in diesen Kraftwerken jetzt Hochgeschwindigkeitsrotoren aus deutscher Produktion in einer bisher nicht gekannten Effizienzklasse. Sie unterschieden sich schon technisch völlig von allen bisherigen Anlagen. Es war ein Quantensprung in der Energieerzeugung. Spätestens, seit diese veränderte Kraftwerkstechnologie reibungslos funktionierte, waren Kernkraftwerke überflüssig geworden. Man schaltete die letzten Atom-Meiler jetzt Stück für Stück ab. Was blieb, war die Gefahr der legalen und der illegalen Endlagerung des Atommülls. Daran würde man noch Jahrtausende knabbern.

Man musste den Strom von den Küsten zu den Verbrauchern befördern, und dafür brauchte man neue Überlandleitungen und Umspannwerke, viel mehr noch als von den Windparks vor den Küsten. Das erste dieser neuen Kraftwerke hatte man vor der französischen Küste gebaut, um die nordfranzösische Industrie zu versorgen. Weitere waren gefolgt, zunächst in England, in Kanada, in den USA, in Australien und in China.

Nur ein paar Jahre später hatte man bei Maierhauser Ingeniering neue Technologien für Wellenkraftwerke und leistungsfähige Meerwasserentsalzungsanlagen erfunden, auch das mit Geldern der Stiftungen und der Beteiligungsgesellschaften, in denen nun auch die Gelder vieler anderer Finanziers steckten. Schon längst war der Standort Böblingen nur noch eine Forschungs-, Beratungs- und Verwaltungszentrale, die aber rechtlich nur als Vermittler von Dienstleistungen und von Anlagegeldern funktionierte, um nicht in den Verdacht von Gewinnen zu kommen, die es offiziell nicht gab. Es gab Produktionsstätten in Spanien, Brandenburg, Mittelengland, Kanada, Thailand, Australien und in China, die aber rechtlich als Töchter der Beteiligungsgesellschaften liefen, mit Sitz in einer der Steueroasen.

Das ganze System der Energiegewinnung und der Süßwasserproduktion wurde geradezu revolutioniert, und jetzt begann die Familie auch in weiteren Bereichen zu investieren: Nahrungsmittel, Fastfoodläden, Pharmazie, eine eigene Discounterkette und das Recycling von Rohstoffen. Man ließ einige davon sogar unter dem Namen von Josefina laufen. Vargas-Foodland-Company, Vargas-Pharmazeutical-Industries, Vargas-Drugs & Beauty International, und die Vargas-Recycling Inc, alle mit Sitz auf den Bermudas oder in anderen Steueroasen. Der Wandel in der Automobilindustrie bescherte Josefina eine weitere Einnahmequelle. Die zwangsweise Umstellung von Verbrennungsmotoren auf Elektromotoren bewirkte einen totalen Wandel der Wirtschaft. Als großer Stromerzeuger lag es nahe, dieses Reservoir sinnvoll auszuschöpfen, und so entstanden überall Stromtankstellen. Auf Großparkplätzen von Supermärkten, in Parkhäusern, auf Parkstreifen. Selbst als die Solarenergie auf Dächern und Motorhauben von Fahrzeugen weitestgehend ausgereift war, benötigte man solche Stromlieferanten, um den Individualverkehr am Laufen zu halten. Josefinas Firmenkonsortien verdienten an diesem Trend kräftig mit. Es gab Milliarden von Verbrauchern, die ihre Fahrzeuge aus der Steckdose betankten.

Auch nachdem effektive Wasserstoffmotoren gefunden worden waren, hörte dieser Trend nicht auf. Es gab wieder zwei Antriebsarten, wie früher einmal Benzin und Gas, oft miteinander gemischt. Dual eben.Natürlich zahlten die Unternehmen von Josefina Lohnsteuer, Mehrwertsteuer und Verbrauchssteuern. Das waren ja keine illegalen Unternehmen. Man weidete eben nur den Spielraum aus, den man rechtlich, und vor allem steuerrechtlich hatte. Alle Unternehmen machen das so, und lassen das von einem Heer aus Anwälten wasserfest machen. Außerdem gab es lukrative Übernahme- und Abschreibungsfirmen, die alle von Josefinas Namen getrennt waren, um nicht in Verruf zu kommen. Josefina war offen für fast alles, was Geld brachte.

 

Dabei blieb ihr Gespür für Gerechtigkeit erhalten. Es gab nun einmal Projekte, die sie regelrecht anwiderten, etwa die Ausweidung von Mietobjekten im Wohnungsbau. Sie wusste, dass dort mit der Not der Menschen viel Schindluder getrieben wird. Sie tat das nicht, und sie unterstützte sogar heimlich drei Kanzleien in Berlin, Hamburg und in Frankfurt, um die Rechte solcher Opfer von Wohnungspolitik zu stärken.Nach außen war alles rechtlich einwandfrei. Aus diesem Grund gab es auch eine perfekte Buchführung über die Spendeneinnahmen. Sie wurden den Finanzämtern der jeweiligen Länder vorgelegt, und dann über ein Anderkonto auf die Stiftungsgesellschaften mit Sitz in den Steueroasen transferiert. Josefina bekam ihr Gehalt, das sie selbstverständlich korrekt versteuerte. Die Beteiligungen der Stiftungen in Deutschland wurden peinlich genau verzeichnet. Steuerfrei, wie sich das gehört. Das regelte das Heer der Anwälte.Tatsächlich war Josefina die Eigentümerin all dieser Gesellschaften und Stiftungen, aber das wussten nur ein paar wenige Eingeweihte, und Josefina hatte stets einen Koffer bereitstehen, um notfalls schnell zu verschwinden. In Holland lag unter fremdem Namen eine Yacht, die immer vollgetankt war, und von den sicheren Appartements in Amsterdam, Bremerhaven, Limerick, und in den Steueroasen wusste nicht einmal Horst etwas.

10.

In all diesen Jahren verschlechterte sich das Klima immer mehr. Es heizte sich auf, es entstanden neue Krankheiten, andere bereits Bekannte breiteten sich rasant aus, manche epidemisch. Dazu gehörten auch die durch den Eichenspinner ausgelösten Allergien und Erstickungsanfälle, die durch die feinen und mit Widerhaken versehenen Härchen ausgelöst wurden, die diese Schmetterlingsraupe bei der Verpuppung massenhaft ausstößt. Man mag darüber lächeln, aber diese Allergien traten nun massenhaft auf, und sie waren wirklich lebensbedrohlich, weil diese Härchen in der Lunge allenfalls durch Antialergika gemildert werden konnten, und oft zum plötzlichen Erstickungstod führten.Der Meeresspiegel wuchs um über einen Meter an. Mit dem Abtauen der Gletscher taute auch der Permafrost auf, und all das hatte gewaltige Auswirkungen, etwas, was man „Global Weirding“ nennt. Unvorhersehbare und gewaltige Naturkatastrophen, Krankheitsausbrüche und eine gigantische Veränderung bei Insekten, Milben und Virenstämmen. Die Landwirtschaft stöhnte, und es mussten völlig neue und resistente Anbausorten gefunden werden, die trotz der wechselnden klimatischen Einflüsse Erträge abwarfen.

Die Familienunternehmen hatten sich längst zu einem Geflecht aus multinationalen und globalen Unternehmen gemausert, die im Bereich der Umwelttechnologien aktiv waren. Einerseits war das ideell, andererseits war das äußerst lukrativ, aber Josefina wusste längst, dass sie der Entwicklung nur hinterherrennt, um sinnbildlich die schlimmsten Brandherde zu bekämpfen.Die wohl schlimmste Bedrohung war die anfangs beschriebene Pandemie mit dem Namen KIS, die im Jahr 2040 ausbrach und über 20 Jahre lang wütete. Man forschte schon frühzeitig nach Gegenmitteln, aber die Krankheit war nicht aufzuhalten. In diesen 20 Jahren starb die Hälfte der Weltbevölkerung, und für die Wissenschaftler war das der letzte Anstoß, endlich ein totales und globales Umdenken zu fordern. Es konnte mit der Ausbeutung und Verschwendung der Rohstoffe und der Zerstörung der natürlichen Schutzschilde nicht mehr so weitergehen, wie bisher.Josefina hatte sich für die Erforschung von Gegenmitteln stark gemacht, und sie hatte selbst viel Geld zugeschossen, aber Josefina wurde 2065 ein spätes Opfer dieser Pandemie. Sie hatte längst eine weltweite und feste Fangemeinde, und die trauerte um Josefina, wie um eine Heldin.Josefinas Tochter Carmelita war aber längst in Josefinas Fußstapfen getreten, und so gab es keinen Stillstand, aber ich greife der Geschichte hier etwa vor. Soweit war es noch nicht.

11.

Natürlich hatte es zu Lebzeiten Josefinas Kriege gegeben. Lokal und regional und oft mit der Gefahr eines Flächenbrandes. In Ostasien, in Afrika, in Südamerika, in ehemaligen Staaten der Sowjetrepublik und vor allem im nahen Osten, der seit der Besetzung Palästinas durch die Juden schon immer ein Pulverfass war. Dazu waren die Auseinandersetzungen gekommen, die zwischen Schiiten und Sunniten und radikalen Gotteskriegern geführt wurden.In solche Geschehnisse konnte Josefina nicht eingreifen. Sie konnte an die Vernunft appellieren, aber in militärischen Konflikten, in denen es um Rohstoffe, Verkehrswege, um Wasser oder um politische Macht geht, da sind Patriotismus und Fanatismus gefragt, nicht aber kluge Entscheidungen zum Überleben der Spezies. So wurden ganze Regionen vermint, andere mit Giftgas verseucht oder mit tausenden von Granaten beschossen. Die Zivilbevölkerung war immer der Leidtragende, und auch die Natur, von der in solchen Konflikten niemand mehr sprach.Immerhin war es Josefina gelungen, über ihre Kontakte in der UN solche Kriege zu ächten, aber was nutzte das schon, wenn sich einzelne Länder nicht an solche Abmachungen hielten.

12.

Josefinas Stiftungen dienten der privaten Bereicherung, der Steuerhinterziehung und der Geldwäsche, aber eben nicht nur, und genau dieses Engagement für die Umwelt hatte Josefina öffentlich immer wieder und wieder unter Beweis gestellt. Sie bediente sich dabei geschickt der Medien. Einer ihrer ersten großen Erfolge war damals die Rettung des Tasmanischen Teufels vor dem Aussterben gewesen. Das ist eigentlich ein Raubtier, das vorwiegend von Aas lebt, und das nur noch auf der Australien vorgelagerten Insel Tasmanien beheimatet ist. Es gab keine natürlichen Feinde, aber der Bestand war durch eine Krankheit ernsthaft gefährdet, die mit DFTD abgekürzt wird. Das ist eine Krebserkrankung, die genetische Veränderungen hervorruft und letztlich durch den fortwährenden Inzest dieser isoliert auftretenden Spezies ausgelöst wurde. Nun sorgt dieses Tier aus der Familie der Raubbeutler für ein Gleichgewicht innerhalb der verschiedenen Spezies auf der immerhin 300x300 Km großen Insel und es ist zugleich das Wappentier Tasmaniens. Bereits im Jahr 2012 hatte Josefina erstmals die Forschungen einer amerikanischen Forscherin unterstützt, einer Dr. Mary Goldmann. Damals hatte Rudolfo noch gelebt. Im Zuge der Untersuchungen hatte Marys Team aus Biologen und Ärzten herausgefunden, dass man diese Krankheit durch Veränderungen des genetischen Codes besiegen konnte. Man muss das hier nicht vertiefen, aber nachdem der Bestand 2025 auf wenige gesunde Überlebende geschrumpft war, gelang es diese Krankheit zu überwinden. Seit dieser Zeit war der Bestand wieder regelmäßig angewachsen. Josefina hatte sich dadurch vor allem in den Ländern des Commonwealth und in den USA einen Namen gemacht. Die Universität in Melbourne hatte ihr und Dr. Mary Goldmann gar einen Ehrendoktortitel verliehen.

Es gab anderes, wie den Schutz von Großsäugern im Meer, vor allem von Walen, Delphinen und Robben, oder einer zumindest teilweisen Rettung des Regenwaldes in Indonesien. Anders als in Tasmanien waren das Projekte, welche die Gewinn- und Verwertungsinteressen von großen Industriefirmen tangierten. Bei der Suche nach Erdgas und Erdöl am Meeresboden hatte es sich eingebürgert, gewaltige Druckwellen unter Wasser zu erzeugen, um dann durch seismische Messungen solche Vorkommen aufzuspüren. Das löst bei Säugern Taubheit, Mittelohrblutungen und eine Schädigung des Gleichgewichtssinns aus, und führt direkt oder indirekt zum Tod. Josefinas Stiftungen hatten sich schon früh dafür eingesetzt, Schutzabkommen und umweltschonende Maßnahmen zu entwickeln und anzuwenden. Sie bediente sich dazu der Hilfe von Politikern der unterschiedlichen Couleur, der Hilfe von Umweltverbänden und Wissenschaftlern, und stieß bis in die Vorstandsetagen der Erdöl- und Erdgasgesellschaften vor. Auch bei der teilweisen Rettung des Regenwaldes in Indonesien und Südamerika war die Stiftung geschickt vorgegangen. Sie hatte sich der Hilfe pharmazeutischer Konzerne bedient, die immer ein Interesse haben, Heilpflanzen und -Mittel zu finden, die es nur im Urwald gibt.So konnten wenigstens einige geschützte Reste des Regenwaldes vor der Brandrodung und der Abholzung gerettet werden. Es waren Projekte, die vor allem von Taktik und Überzeugungsarbeit lebten, und die Josefinas Ruf bei Umweltschützern und an Hochschulen immer weiter förderten. Dabei verfügte Josefina über eine enorme Sachkenntnis, und sie suchte sich stets ihren eigenen Weg, begleitet von ihrem engagierten Team aus Helfern.

13.

In den ganzen Jahren hatten sich die Steuerbehörden mehrfach und turnusgemäß für diese Stiftungen interessiert, aber die Behörde war permanent unterbesetzt, und die Anwälte sorgten dafür, dass nach außen alles perfekt war. Es hätte schon einen Insidertipp gebraucht, damit da etwas auffliegt. Die Stiftungen von Josefina hatten einen unzweifelhaften Ruf. So war es nur natürlich, dass sogar die Großen in der Politik sich gerne an der Seite von Josefina zeigten. Es gab in Deutschland eine jährliche Umwelt-Gala, die zusammen mit einer großen Illustrierten ausgerichtet wurde. Es gab Fernsehberichte. Es gab öffentliche Spendenaufrufe in Europa, dem Commonwealth, in den USA und sogar in China. Josefina hatte beste Kontakte zum englischen und zum schwedischen Königshaus. Einer der US-Präsidenten hatte Josefina im Jahr 2035 quasi geadelt, indem er ihr bescheinigte, den Umweltgedanken zu einer Art weltweitem Unternehmen gemacht zu haben, das langfristig dem Überleben der Spezies Mensch dient, aber das war nur ein weiterer Baustein in der langen Liste öffentlicher Ehrungen, die Josefina bis zu ihrem Tod zuteil wurden. Um ihre Investoren nicht zu verprellen, bewegte sich Josefina mit ihren Projekten und in ihrer Öffentlichkeitsarbeit nie in der Nähe irgendwelcher Demonstrationen, oder von spektakulären Umweltaktionen, wie sie etwa von Robin Wood oder von Greenpeace durchgeführt wurden. Gewalt lehnte sie strikt ab. Manche Umweltaktivisten nahmen ihr diese Abgrenzung übel, aber sie kamen auch nicht umhin, Josefinas Erfolge neidlos anzuerkennen. Solche Aktivisten gab es seit dem zunehmenden Wetterchaos immer mehr. Einmal wurde sogar Josefina Opfer eines gezielten Farbbeutel-Anschlags. Danach hatte sie in die Mikrophone der bereitstehenden Presse geseufzt, sie verstehe ja die Wut vieler Bürger. Es sei an der Zeit, mehr für die Umwelt zu tun, aber das müsse auf dem Wege von Gesetzen, Verordnungen und der Grundlage wissenschaftlicher Forschung geschehen.

Tatsächlich unterstützte sie über Mittelsmänner mehrere solcher Aktivistengruppen heimlich mit Geldern. Es gab in solchen Fällen auch nie irgendwelche Überweisungen oder Papiere, die das beweisen würden. Barspenden sind nicht nachvollziehbar, wenn du nicht zufällig dabei beobachtet wirst. So bestiegen einmal Aktivisten die Schornsteine eines Chemieriesen in den USA, der für die Verseuchung eines ganzen Gebiets in Indien verantwortlich gewesen war. Sie hängten Transparente auf. Sie ketteten sich fest, und sie konnten erst nach sieben Tagen durch Spezialkräfte mit Hubschraubern runtergeholt werden. Die Aktion hatte für großes Aufsehen gesorgt und die Aktivisten landeten erst im Gefängnis, und dann vor dem Richter. Es waren auch ein paar Details, welche in der Presse viel Wiederhall fanden. Wenn du da sieben Tage am Schornstein hängst, dann musst du essen, trinken, pissen und kacken. Die Aktivisten hatten vorgesorgt. Spezialkleidung, Urinbeutel, Kotbeutel und Rucksäcke mit Astronautennahrung. Sie waren mit Masken ausgerüstet, gegen Gasangriffe der Polizei, und hatten Helme und Schutzkleidung, um sich gegen Schlagstöcke zu schützen, von denen die Spezialkräfte reichlich Gebrauch gemacht hatten. Auch das war im Fernsehen übertragen worden, und hatte zu einem Sturm der Entrüstung geführt, als man sah, wie die Einsatzkräfte an Seilen unter dem Hubschrauber hingen, um Elektroschocker und Pfefferspray einzusetzen, und sogar um mit Eisenketten und Schlagstöcken auf die Aktivisten einzuprügeln. Einem der Aktivisten war dabei der Helm zerbrochen, aber die Sicherheitskräfte hatten nicht aufgehört, und der Mann brach schließlich blutüberströmt zusammen, während die Bodenkräfte die Bildjournalisten brachial zurückdrängten, um solche Bilder der Gewalt zu verhindern. Mehrere Kameras gingen dabei zu Bruch. Drei große Kanzleien eisten die Aktivisten schließlich los und sorgten sogar dafür, dass die Beteiligten mit einer Geldstrafe davon kamen.

 

Niemand wusste, dass Josefinas Stiftung diese Anwälte bezahlt hatte. Im Zuge der Aktion bildete sich sogar eine Bürgerinitiative, die durch einen spektakulären Prozess dafür sorgte, dass der Chemieriese den Opfern schließlich eine angemessene Entschädigung zahlen musste. Die Aktivisten erhielten indes keine Entschädigung, auch die Verletzten Demonstranten nicht, und sie wurden seit dieser Zeit in den Akten des CIA als Ökoterroristen gelistet. Zwei von ihnen verloren ihre Arbeit. Die Polizisten wurden nicht einmal belangt. Josefina kannte solche Fakten, aber sie blieb bei ihren Unterstützungsaktionen für Aktivisten stets im Hintergrund. Sie war hypervorsichtig. Sie vertrat nie öffentlich die Interessen dieser Aktivisten. Nach außen war die glänzende Fassade perfekt, die das ganze System ihrer verzweigten Aktivitäten schützte.Die von dem Chemieriesen verseuchte Landschaft in Indien wurde durch die Verurteilung des Konzerns allerdings nicht wiederhergestellt. Das Trinkwasser der Region war noch viele Jahre später unbrauchbar, und verursachte Missbildungen und Krebserkrankungen.Auch die vielen toten Meeressäuger und die bei der Vernichtung von Regenwald ausgestorbenen Arten wurden durch solche Aktionen nicht mehr lebendig. Josefina wusste das und sie nutzte deshalb solche Aktionen immer wieder und immer wieder, um auf das Denken und Verhalten der Menschen Einfluss zu nehmen. Sie benutzte diese Aktivisten als Forum für Öffentlichkeitsarbeit, aber sie machte dieses Engagement nie öffentlich.Das Gleichgewicht der Arten ist nun einmal genauso wichtig, wie die Sauberkeit von Erde, Wasser und Luft, und manchmal sind aufrüttelnde Aktionen notwendig, dachte sich Josefina, wenn man die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit gewinnen will.

So hatte man aus Experimenten in verschiedenen Naturparks gelernt, dass es durch die Wiederansiedlung von Bibern, Wölfen, Bären, Bisons und anderen Tieren innerhalb der gesamten Tier- und Pflanzenwelt regional wieder zu einem Gleichgewicht der Arten kommen kann, das sich sogar auf die Sauberkeit des Wassers, und einen gesunden Ausgleich zwischen Insekten, Pflanzen, Fischen und Vögeln auswirkt.Solche regionalen Erfolge und solche sanften Maßnahmen gab es, und das Engagement in solchen Projekten ließ sich auch hervorragend vermarkten.

Fast immer waren diese Projekte aktiven Umweltschützern und Wissenschaftlern zu verdanken und Josefinas Büro stand mit vielen der Verantwortlichen in ständigem Kontakt, wie etwa mit der Verwaltung und den Rangern der Lake Itaska Area oder des Blackhawk Parks am Oberlauf des Mississippi. Solche Fortschritte konnten nicht verhindern, dass sich das Weltklima global gesehen immer mehr verschlechterte. Ist der Kreislauf der Zerstörung erst einmal eingeleitet, und wird der Tipping Point schließlich überschritten, so beginnt dieser Mechanismus der Zerstörung selbsttätig zu laufen. Schlimm ist auch, wenn Radioaktivität fortwährend freigesetzt wird, und verbuddelte Umweltgifte durch Umwelteinflüsse oder menschliche Schlamperei plötzlich wieder an die Oberfläche gespült werden. Sie sind ja nicht weg, nur weil man sie vergräbt, und sie hören auch im Verborgenen nicht damit auf, ihre zerstörerische Wirkung zu entfalten. Es ist ein Prozess, den man als schleichend bezeichnet, und der erst nach vielen Jahren eine Situation herbeiführt, die dann für viele Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte nicht mehr umkehrbar ist.

Reden wir zunächst einmal von einem Problem, das zwar auf das Weltklima wenig Einfluss hatte, wohl aber auf die Lebensbedingungen von Mensch und Tier, nämlich die radioaktive Strahlung. Es ist ja bekannt, dass nukleare Prozesse - wenn sie einmal freigesetzt worden sind - über Tausende von Jahren weiterreagieren, und wir reden hier nicht von Supergaus (auch die gab es), sondern von den sich fast täglich ereignenden kleinen und ungewollten Strahlungsaustritten bei der Erzeugung von Atomstrom, und von der legalen und illegalen Endlagerung. Man sieht, riecht und schmeckt diese Strahlung nicht, aber sie ist da, und sie verändert das Leben auf der Erde.Springen wir anschließend einige Jahrzehnte in der Zeitrechnung weiter in eine Epoche, in dem der ökologische Kollaps wirklich allgegenwärtig war, auch wenn es Nischen gab, in denen man gut leben konnte, und ich spreche hier nicht von Phantasie-Kolonien der Superreichen auf fernen Gestirnen und von den Arbeiter-Erdlingen, die der Natur hilflos ausgesetzt sind, so wie das in Phantasy-Geschichten vielleicht zum Thema gemacht werden würde. Josefina und ihre Nachkommen erlebten das anders, obwohl es solche Kolonien der Superreichen hier auf unserer Erde natürlich gab, in den USA, in Russland, in China, in Südamerika und anderswo, aber trotz aller Abkapselung durch Mauern, Ärzte und Wachdienste waren sie denselben Gefahren durch den Ökokollaps ausgesetzt, wie alle anderen auch. So ist dies eine Geschichte von Bedrohungen und Gefahren, aber auch von der Suche nach persönlichem Glück und Selbstverwirklichung.