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Teil 1/ Kapitel 3. Die atomare Verseuchung

1.

Ayaka Yutamadai lebte knapp 45 Kilometer vom Kraftwerk Fokushima-Daini entfernt in der Provinz Tamura, als im Jahr 2011 die Erde bebte. Es waren mehrere Beben hintereinander, welche die Küste südlich vor Japan und die Insel selbst erschütterten. Die Hauswände wackelten bedrohlich und mehrere ihrer Lieblingstassen fielen aus dem Schrank, als die Türen aufsprangen. Ayaka schnappte sich ihren Mann Haruto und ihren 4-jährigen Sohn Shiro und sie verließ in dieser Nacht mehrfach das Haus. Es war eine kleine Stadt von 20.000 Einwohnern. Es gab hier mehrere Fabriken, mehrere Tennisplätze, Schulen und Kindergärten, und sie hatten hier ein eigenes Haus. Haruta arbeitete in einer dieser Fabriken, und es ging ihnen recht gut. Ayaka war im dritten Monat schwanger, und sie war vorsichtig gewesen.Erdbeben gibt es in Japan oft. Man hat sich daran gewöhnt und alle möglichen Vorsichtsmaßnahmen wurden immer wieder und immer wieder eintrainiert. Weil der Distrikt landeinwärts liegt, bekamen sie die Auswirkungen des Seebebens zunächst nur als Erschütterungen mit. Die 10 Minuten später an die Küste schwappende 7 Meter hohe Flutwelle betraf sie nicht unmittelbar, und sie hörten erst später davon.

Diese Welle traf die Kraftwerksblöcke von Fukushima, und die Elektronik schaltete die Blöcke automatisch ab. Soweit so gut. Niemand rechnete damit, dass die Pumpen für Tage ausfallen sollten, die für die Kühlung der Reaktorblöcke und der Brennelemente notwendig waren. In den Tagen danach hörten Ayaka und Haruto von diesem Unglück, aber sie vertrauten der Stärke Japans, das bisher immer mit Havarien, Unglücken, oder gar Katastrophen fertig geworden war, und gestärkt aus solchen Situationen hervorging.Dann fielen die Telefone für Tage aus, sogar das Handynetz brach zusammen, aber sie hatten kabelgebundenes Internet, und sahen und hörten, was sich da an der Küste ereignet hatte. Eine Sicherheitszone von 20 Km wurde eingerichtet und später auf 30 und 40 Km erweitert. Sie waren außerhalb dieser Zone und das bedeutete ja wohl, dass es für sie ungefährlich war. Wenn man dem Staat misstraut, ist man kein guter Japaner, und als gute Japaner fühlten sich Ayaka und Haruto. Deshalb meldete sich Haruto auch freiwillig, um an Säuberungs- und Hilfsmaßnahmen rund um das Kraftwerk teilzunehmen. Er bekam eine blaue Montur, Arbeitsstiefel, einen Mundschutz aus Gaze für den Notfall, und Arbeitshandschuhe aus Leder, dann wurde er mit anderen in Kleinbussen direkt zum Kraftwerk gefahren, um zu löschen und um die Pumpen wieder in Gang zu setzen. Sie hatten nichts als ihre blaue Montur, und bekamen nicht einmal Gummistiefel, als sie in dieses Kühlwasser geschickt wurden, das aus dem Reaktor austrat. Das war doch nur Wasser. Es war radioaktiv verseucht, aber das sagte man nicht. Sie hatten nicht gewusst, was sie da erwartet. Sie taten alles, um die Pumpen wieder in Gang zu setzen, und weil sie nicht einmal mehr Strom hatten, wurde der mit Hilfe von Generatoren erzeugt. Nach drei Tagen, in denen sie die Nächte durchgearbeitet hatten bis auf 4 Stunden Schlaf, konnten sie nicht mehr. Sie wurden unter die Dusche gesteckt, zum Schweigen verpflichtet und nach Hause geschickt. Wie andere Kollegen auch war Haruto in diesen Tagen völlig verstrahlt worden. Es hatte nicht einmal Geigerzähler gegeben, um die Strahlen in Siewert zu messen.

So verstrahlt wie er war, kehrte Haruto (versehen mit einem warmen Händedruck) in sein Haus und zu seiner Familie zurück. Er war todmüde und die Müdigkeit fiel auch in den nächsten Tagen nicht von ihm ab. Er fühlte sich schwach, ihm war übel, und bald begannen sich seltsame rote Flecken auf der Haut zu zeigen. Er ging zum Arzt, und der schickte ihn ins Gesundheitszentrum. Dort wurde Haruto untersucht, dann gab man ihm eine Salbe gegen die Flecken und schickte ihn wieder nach Hause. Die Müdigkeit und die Schwäche blieben. Eine Woche später raffte er sich auf, und er wurde in seiner Firma mit anderen Kollegen für seinen Einsatz geehrt. Man erwartete jetzt, dass er wieder an die Arbeit geht, aber Haruto konnte nicht. Erst Wochen später, als Haruto schon im Sterben lag, wurde Hautkrebs und Schilddrüsenkrebs diagnostiziert. Seine Frau Ayaka war inzwischen im fünften Monat schwanger und sie ging jetzt erstmals zu einer Voruntersuchung. Es schien alles in Ordnung. Haruto erlebte die Geburt seiner Tochter Teiko nicht mehr, und das war vielleicht gut so, denn die kleine Teiko war seit ihrer Geburt nicht gesund. Sie hatte immer wieder Fieber. Sie trank schlecht, sie war appetitlos, und als man sie schließlich gründlich untersuchte, wurde festgestellt, dass Teiko an Blutkrebs litt. Ayaka meldete beim Staat Ansprüche an, aber die Bearbeitung verzögerte sich und verzögerte sich. Als Ayaka schließlich das Bestätigungsschreiben in den Händen hielt, starrte sie nur stumm auf diese Zeilen. Nicht einmal die Behandlungskosten für ihre Tochter Teiko wurden in vollem Umfang ersetzt. Mit derselben Post kam ein Dankesschreiben des Ministeriums für den mutigen und heldenhaften Einsatz ihres Mannes bei der Bekämpfung der Schäden im Reaktor. Ayaka war traurig und geschockt. Sie war von ihrem Mann verstrahlt worden, und sie fühlte sich matt und hilflos.

2.

So wie Ayaka ging es vielen andern auch. Die Behörden mauerten. Es gab nicht wirklich eine Protestbewegung. Eingereichte Klagen wurden auf die lange Bank geschoben, und auf die Kläger wurde mit langen Fingern gezeigt. Knapp zwei Jahre nach dem Unglück beschloss die Japanische Regierung nach weltweiten Protesten, die Kernkraftwerke nur noch bis zum Jahr 2040 laufen zu lassen, und dann den Betrieb einzustellen. Es waren aber bereits wieder vier neue Kraftwerke im Bau, und man würde die auch hochfahren. Bis 2040 war ja noch lange hin.An alternative Technologien dachte man nicht, obwohl man wusste, dass Japan ein erdbeben- und tsunamigefährdetes Gebiet ist. Der Mensch ist vergesslich, und weil in Japan die Auswirkungen der Katastrophe von Fukushima immer wieder und immer wieder unterdrückt und totgeschwiegen wurden, gewöhnte man sich an den Status Quo. Noch Jahre später war radioaktiv verseuchtes Wasser aus den Reaktoren ausgetreten, oder wurde klammheimlich ins Meer gepumpt. Wo sollte es denn auch sonst hin. Das Wasser verdünnte sich auch nicht einfach, sondern Meerespflanzen, Krebse, Muscheln und Fische nahmen diese Strahlung auf, und das sorgte für krankhafte Wucherungen bei Tieren und zur Ansammlung von radioaktivem Cäsium und Strontium in den Algen, die in Japan traditionell zum Verzehr genutzt werden.

Japan ist ein Land, in dem viel Fisch gegessen wird, nicht nur Sushi. Auch Riesengarnelen, Seeigel, Muscheln und Krabben. Das Fleisch der Fische wird weltweit exportiert. Zunächst kam es aber in Japan selbst immer mehr zu den bekannten Krankheiten, die durch die Belastung mit radioaktiven Abfällen entstehen, vor allem Krebs und Immunschwäche. Eine direkte Verbindung lässt sich nur schwer nachweisen, und so wurden diese Zahlen oft nicht einmal statistisch erfasst. Man hätte in Japan gut und gerne so weiterleben können, aber im August 2024 bebte die Erde wieder und diesmal gab es eine Flutwelle, die gleich drei AKW’s mit insgesamt mehr als 12 Reaktoren traf. Diesmal traf die Mörderwelle die Japanische Küste auf der Höhe von Mihama und Takamana. Auch diesmal hielten die äußeren Ummantellungen, aber wieder fielen Kühlpumpen und Notstromaggregate aus. In der Folge kam es zur Kernschmelze, und diesmal wurde das Herz Japans von der gewaltigen nuklearen Wolke direkt getroffen. Im März 2011 hatte Japan noch Glück gehabt, weil die Winde die Wolke nach Süden, aufs offene Meer geweht hatten, wo sie irgendwann abgeregnet war. Diesmal traf diese nukleare Wolke das Hinterland, um das Zentrum der Insel, und verseuchte die Regionen Kyoto, Osaka und Aichi. Dieses Mal geriet Japan wirklich an den Rand des Kollapses. Die Auswirkungen waren ein Vielfaches der Atombomben von Hiroshima und Nagasaki, und diesmal wurden Millionenstädte und Kernindustrien in Mitleidenschaft gezogen. Die Toten gingen zunächst in die Tausende, und diesmal konnte man die Tragödie nicht mehr totschweigen. Japan beschloss, alle Kernkraftwerke innerhalb von 2 Jahren stillzulegen und die Weltgemeinschaft zu bitten, ihr am Aufbau von alternativer Windenergie zu helfen. Küsten und Wind gibt es in Japan ja genug.Die Folge war, dass sich auch viele andere Länder dazu entschlossen, sich von dieser gefährlichen Technologie zu verabschieden.Im Zuge dieser Entwicklung wurden tatsächlich 50 Prozent aller Kernkraftwerke innerhalb von acht Jahren abgeschaltet und der Rest wurde bis 2060 durch regenerative Energien vollständig ersetzt.

3.

Das Problem war noch lange nicht gelöst. Immer noch gab es Behälter mit mittel oder schwachradioaktivem Müll. Tatsächlich stieg die Rate der Krebserkrankungen durch die ständigen Belastungen in den nächsten Jahrzehnten immer weiter und weiter an, aber was sollte man tun, um diesen einmal in Gang gesetzten Teufelskreis endlich zu stoppen.Die Atomunglücke in Japan waren nur die sichtbaren Katastrophen einer Fehlentwicklung.Bei jeder atomaren Spaltung entsteht nicht nur Wärme, die man in Energie umwandeln kann, sondern auch radioaktive Strahlung und radioaktiver Abfall. Dies war das eigentliche Problem, wenn man ein Atomkraftwerk abschaltete. Irgendwo musste der giftige Müll hin.In Japan hatte man überirdisch Endlager errichtet, in Deutschland hatte man Salzbergwerke in Müllhalden verwandelt, und in Norwegen hatte man Höhlen in Granitgestein entweiht. In anderen Ländern wurden atomare Abfälle im Meer versenkt, oder einfach in unbewohnte Landschaften geworfen. Na, so ganz unbewohnt sind Landschaften nie. Es gibt da Tiere und Pflanzen, welche die Strahlung aufnehmen, den Wind, der die Strahlung weiterträgt, oder das Grundwasser, das verseucht wird. In Russland gab es ganze Wälder, die durch atomare Verseuchung abgestorben waren. Bei einem Brand würde eine radioaktive Wolke freigesetzt, die den Ruß in die Erdumlaufbahn schleudern würde.Das letzte AKW wurde 2058 abgeschaltet, aber die legalen und illegalen Mülldeponien blieben und gaben ihre Schadstoffe Stück für Stück an die Umwelt ab. Unmerklich eigentlich, denn atomare Strahlung ist nicht sichtbar, nicht zu riechen und nicht zu schmecken. Sie manifestiert sich “nur” in vielerlei Krankheiten, u.a in Knochenmarkskrebs und einer Schwächung des Immunsystems. Irgendwann würde die Strahlung die Menschheit ernsthaft bedrohen, und man arbeitete in verschiedenen Instituten an Stoffen, welche solche Strahlung unschädlich machen können. Algen, Viren, Einzeller, welche die Radioaktivität praktisch auffressen und unschädlich machen. Es gab da verschiedene Ansätze, aber die Berichte, die man an die Öffentlichkeit gab, dienten allenfalls der Beruhigung von latenten Ängsten. Wirksam waren die Methoden nicht.

 

Teil 1/ Kapitel 4. Claudio, Katie, und die Stiftung zum Schutz der Küstengebiete

1.

Claudio Weidner war 2050 geboren und er war - wie schon erwähnt - erst nach Hamburg und dann nach Kiel gegangen, um dort Deichbau und Schleusentechnik zu studieren. Claudio war inzwischen ein Mitglied der Freunde des Vargas Clans und Josefinas Tochter Carmelita hielt dieses Geflecht aus Familienmitgliedern und Freunden zusammen. Claudio war bereits fest in Aufgaben eingebunden. Dafür hatten seine Tante Carola und seine Mutter gesorgt. In Kiel hatte Claudio schließlich ein Mädchen kennengelernt, das Katie hieß. Sie war eine "echte Kieler Sprotte" und sie studierte Journalistik und Medienwissenschaften. Claudio hängte seine soziale Herkunft nicht an die große Glocke, aber er hatte diese Eliteschule durchlaufen, und er hatte bereits mit 22 Jahren ein äußerst weltmännisches Auftreten. Katie wiederum war knackig, mit langen schlanken Beinen, Wespentaille, einer sichtbaren Oberweite und langen blonden Haaren, die sie wellig über die Schultern fallen ließ. Sie hatte eine feine glatte Haut, eine kecke Nase mit Sommersprossen, und die Männer lagen ihr zu Füssen. Katie wusste um ihre Schönheit und sie spielte damit, wie auf den Tasten eines Akkordeons. Katie war aber nicht nur eine selbstbewusste kleine Chickse. Sie hatte an ihrer Ausbildung Feuer gefangen, und sie war sich auch der Macht bewusst, die der Beruf des Journalisten, verbunden mit ihrem Aussehen und einem kecken Mundwerk mit sich bringt. Diese Ausbildung ließ sie hinter die Kulissen blicken und Zusammenhänge erkennen, die nicht jedermann sofort zugänglich sind. Gleichwohl war Katie weder „links“ noch „grün“. Natürlich kannte sie solche Begriffe, wie Global Weirding. Natürlich hatte auch sie diese gewaltige Krise erlebt, die durch die Pandemie KIS ausgelöst worden war. In den letzten Jahren waren genug Unwetter über Deutschland hereingebrochen, so dass Katie die konkreten Auswirkungen dieser Umwelteinflüsse schon leidvoll erfahren hatte, und natürlich konnte sich auch Katie den Einflüssen nicht entziehen, die durch die ständige Erhöhung der durchschnittlichen Welttemperatur resultierten. Sie kannte auch radikale Umweltschützer. An Ihrer Uni gab es genug davon. Sie verschloss die Augen nicht, aber sie war auf diesem Gebiet einfach inaktiv.

Katie wollte das Leben genießen, das sich ihr in jungen Jahren bot, solange sie gesund war, und solange das ging. Als Journalist sollst du ja auch neutral bleiben, hatte sie gelernt, damit Berichte ausgewogen sind. Nun ja. Viele hielten sich nicht an solche Ansprüche. Schaut man genau hin, ist die Presseberichterstattung nur ein Spiegel der jeweiligen Machtverhältnisse in einem Land, und man kann von Glück sagen, wenn es einige kritische Berichterstatter und Journale gibt. So etwas wie investigativer Journalismus ist selten. Katie gehörte eindeutig nicht zu diesen Leuten. Katie lernte Claudio auf einer dieser Studentenpartys kennen. Sie hatte sich mit einer ihrer Freundinnen etwas zum Trinken bestellt. Dann wurde sie von einem dieser Jungs angebaggert. So etwas konnte sich im günstigsten Fall schnell zu einem One-night-stand entwickeln, das war ja einer der Gründe, warum man auf solche Partys ging, aber jetzt mischte sich ein anderer ein und plötzlich entstand eine kleine Rangelei. Katie erhielt einen unbeabsichtigten heftigen Stoß. Das Orange-Bourbon-Glas in ihrer Hand fing an zu schwappen und ergoss sich in ihren Ausschnitt. Katie wankte, und stieß heftig an ihren Hintermann, der völlig unbeteiligt in ein Gespräch vertieft war. Noch bevor sie hinfallen konnte, wurde sie plötzlich von zwei Armen festgehalten und gestützt. Sie drehte sich um und sah dem jungen Mann in die Augen. Er lächelte bloß und meinte „das ist ja noch mal gut gegangen“, und Katie hatte ihn in ihrem Schreck angefaucht, „und der Drink? Guck dir mal meine Bluse an.“„Hmmm“, machte der Fremde bloß, als er kurz auf ihre großen Brüste hinuntersah, die bei dem schummrigen Licht mehr zu erahnen, als zu sehen waren. Dann nahm er ihr das Glas aus der Hand und führte sie energisch durch die Menschenmenge zu den Toiletten. Er wartete brav, während Katie versuchte, sich den süßen Saft von der Haut zu waschen. Die Bluse stank nach Bourbon und klebte an ihr. Sie hatte an diesem Abend nicht einmal einen BH an und sie fluchte, weil jetzt alles zu sehen war, wie durch eine leicht beschlagene Glasscheibe. Im Prinzip hatte sie ja nichts dagegen, aber sie hätte das Geschehen gerne selbst beeinflusst, und konnte auf dumme Sprüche gut und gerne verzichten.Als sie aus der Toilette kam, wartete der Fremde immer noch. Er sah sie kurz und musternd an. „Beim Tanzen verdunstet das“, und als er ihre innere Wut über den Vorfall und den durchdringlichen Geruch des Bourbons sah, fügte er hinzu, „ich wohne nicht weit. Soll ich dir mit einem T-Shirt aushelfen? Vielleicht leiht dir auch meine Mitbewohnerin eine ihrer Blusen.“ Weil Katie unschlüssig wirkte, fasste sie der Fremde freundschaftlich am Arm. „Na komm. Ich bin übrigens Claudio.“

Katie ging tatsächlich mit diesem Claudio, der nur drei Straßen weiter in einer WG unterm Dach wohnte. Eine Altbauwohnung, schön eingerichtet, und tatsächlich gab es da auch eine Mitbewohnerin, die Susi hieß. Als sie in der Wohnung ankamen, poppte Susi gerade mit einem Jungen. Sie hörten diese Geräusche. Claudio hob bedauernd die Schultern, dann bat er sie kurz zu warten, ging in sein Zimmer, zog ein T-Shirt aus der Kommode und schickte sie damit ins Badezimmer. „Du kannst duschen und das T-Shirt schenke ich dir. Das rote Badehandtuch ist für die Gäste.“ Dann schloss er die Tür diskret von außen. Katie sprang unter die Dusche und zog sich dann das T-Shirt über, das viel zu weit war. Dann ging sie zu Claudios Zimmer und klopfte zaghaft an. „Bin in der Küche“, rief er. Später gab ihr Claudio einen Pullover und sie machten einen Nachtspaziergang. Claudio war höflich, zuvorkommend und eloquent, und er machte sie nicht an. Er hatte einen spürbaren Humor, und er hatte keine Skrupel, Körperkontakt herzustellen. Freundschaftlich, warm und fürsorglich, und scheinbar ohne Nebengedanken. In dieser Nacht ging Katie alleine in ihr Bett. Katie hatte immer noch den Pullover und das T-shirt von Claudio. Sie wusste, wo er wohnte, aber sie hatte weder eine Telefonnummer, noch einen Nachnamen.

Zwei Tage später traf sie Claudio zufällig in der Mensa. Sie verstanden sich, sie verabredeten sich für den Abend, und in dieser Nacht landeten die beiden in der Kiste. Es war heftig und es war schön, was beim ersten Mal recht selten ist. Katie hatte Witz und Esprit, Claudio hatte eine seltene Gelassenheit, und eine dahinter verborgene explosionsartige Wildheit, die man ihm nicht sofort ansah. „Am Wochenende muss ich lernen“, meinte Claudio. „Nächste Woche habe ich eine Klausur.“ Da war keine Liebe und Katie verbrachte das Wochende mit einem ihrer Lover. Am Mittwoch sahen sie sich wieder und Claudio schlug vor, „am Wochenende will ich segeln. Kommst du mit?“

Als echte Kieler Sprotte hatte Katie selbstverständlich einen Segelschein und sie war einverstanden. In der Nacht von Freitag auf Samstag regnete es heftig und es blies viel Wind. Am Samstag morgen jagten die Wolken immer noch über den Himmel, und es würde wohl noch heftige Schauer geben. Katie rief an und wollte schon absagen, aber Claudio meinte bloß, „mach dir mal keine Sorgen, der Kahn ist wetterfest. Zieh dir nur was Ordentliches an. Windjacke, Mütze und Handschuhe und ein bisschen Wechselkleidung.“ Als Katie zum Pier kam staunte sie nicht schlecht. Das war nicht irgendeine Jolle. Claudio hatte da einen hochseetüchtigen und sehr eleganten Zweimaster stehen, und er war nicht alleine. „Das da sind Susi, Robert, Benni, Tim, Jonny, Alexa und Madi“, stellte er vor, „Freunde von mir.“ Sie verstauten Katies Tasche unter Deck, wo es eine Pantry, einen Salon mit Mahagonieholz, vier geräumige Schlafkojen, vier zusätzliche Notbetten, und sogar eine Sauna gab. Katie erhielt eine Schwimmweste. Sie machten die Leinen los, warfen den Motor an, der mit einem tiefen Grollen ansprang, und sie fuhren durch die 40 Meter hohe Kieler Schleuse, welche die Kieler Bucht heute von der Ostsee trennt.Als sie die Schleuse verließen, traf sie der Wind brutal aus Nordost, und nun zeigten die Freunde, dass sie von Seefahrt etwas verstanden. Sie segelten hart am Wind und machten fünfzehn Knoten. Es gab da seitliche Auffangnetze, die man herausfahren konnte, um die durch Winddruck entstehende Schräglage bei voller Beseglung und Fahrt durch das Gewicht der Besatzung auszugleichen. Obwohl die Segel vollautomatisch gesteuert wurden, war das eine heftige Mischung aus Arbeit und Sport, bei der sie die Aufmerksamkeit nie schleifen lassen durften. Benni stand am Steuer und schrie über Lautsprecher Anweisungen. Die andern lagen da in diesen Netzen. Unter ihnen schäumte die Gischt und manchmal mussten sie blitzschnell von Backbord nach Steuerbord wechseln, damit der Kahn bei dem heftigen Windwechsel nicht kenterte. Die Wellen waren ziemlich hoch für die Ostsee, die Wellenkämme schwappten über die Aufbauten, aber die Oyster war für solches Wetter gebaut. Sie war sicher schon vierzig Jahre alt, aber sie war gut im Schuss. Katie kannte sich damit aus. Das war nicht irgendein Boot. Diese Yacht stammte aus einer kleinen Serie, die Oyster mal für Blauwasserfreunde gebaut hatte, die Liebe am Schnellsegeln haben. Sie war aus dem Rennsport abgeleitet und sie kostete ein Vermögen. „Die gehört Freunden“, sagte Claudio nur, als er mit Katie in den Netzen lag, „wir dürfen sie ab und zu benutzen.“ Er musste schreien, um das Heulen des Windes zu übertönen.Später klarte das Wetter auf und gegen Abend brach die Sonne durch. Die Nacht verbrachten sie in Warnemünde, das durch eine ähnliche Schleusenanlage gesichert war, wie Kiel, Bremen oder Hamburg. Sie schlenderten am Yachthafen entlang und aßen in der Fischerhütte zu Abend. Dann gingen sie wieder an Deck. Sie brauchten jetzt ihren Schlaf.

Der Sonntag begann mit einem wunderbaren Sonnenaufgang. Es wehte eine leichte Brise und Benni weckte alle auf. „Los, kommt in die Puschen, das wird ein Traumtag.“ Nach einem schnellen Frühstück stachen sie wieder in See, und das wurde einer der schönsten und lustigsten Tage, die Katie seit langem erlebt hatte. Am Abend kamen sie nach Kiel zurück. Katie hatte Feuer gefangen, und in dieser Nacht blieb Katie bei Claudio. Sie genoss in dieser Nacht diese, sich explosionsartig entladende Lust, und diesen sich mehrfach wiederholenden Orgasmus, der ein Markenzeichen ihrer künftigen Beziehung zueinander werden sollte. Seit diesem Wochenende waren die beiden so etwas wie ein Paar. Claudio genoss Katies Esprit, ihren Körper, und diese Fähigkeit, sich emotional zu steigern um sich dann fallen zu lassen. Er wusste schon, dass Katie nicht das hatte, was man „ökologische Überzeugung“ nennt, aber Katie war agil. Sie war sportlich. Sie war lernfähig, und sie hatte gute regionale Verbindungen. Sie war ausgesucht schön, und man konnte sich überall mit ihr sehen lassen. An so etwas, wie eine Heirat dachte Claudio nicht. Er genoss einfach nur dieses Gefühl, mit Katie sexuell zusammen zu kommen und sich intellektuell an ihr zu reiben. Schließlich war auch Claudio dafür, das Leben zu genießen, solange man jung, gesund und agil war, trotz seiner ökologischen Überzeugung.

Katie wiederum hatte an diesem Wochenende einiges aufgeschnappt. Die Familien von Benni und Claudio waren wohl ziemlich wohlhabend, Susis Eltern hatten eine große Kanzlei, aber Robert und die anderen Freunde waren eher wie sie. Sie war nicht arm, aber sie war auch nicht reich. Sie lief in diesem Team einfach mit, und es gab da wohl noch andere, die in dieser Clique mitschwammen, einfach nur, weil sie herzlich, geschickt und offen waren. Benni hatte nur mit den Schultern gezuckt, als Katie eine diesbezügliche Frage stellte. „Bei uns gibt es keine sozialen Grenzen.“ „Und die Oyster? Die kostet doch sicher fünf Millionen?“ Benni hatte nur gelacht. „Mach dir deshalb keinen Kopf. Uns gehört sie ja nicht, aber es ist eine Ehre, dass wir sie benutzen dürfen. Wir wissen diese Ehre zu schätzen, und wir geben sie in erstklassigem Zustand zurück.“

 

Sie hatte schon viele Männer gehabt, aber dieser Claudio hatte eine ungewöhnliche innere Kraft, und eine kontrollierte Spontaneität. Sie wusste um diese weltweit und massenhaft auftretenden Störungen der Sexualität bei Männern und Frauen. In ihrem Studium hatte sie sich schon damit beschäftigt, weil man um dieses Thema wundervolle Geschichten stricken konnte, aber sie war glücklicherweise davon nicht betroffen. Sie hatte schon einige Jungs gehabt, wo es Orgasmusstörungen gab. Es gab andere, die seltsame sexuelle Praktiken forderten, die in ihren Augen pervers waren. Es gab Männer, die forderten brutale Unterwerfung, um ihr Unvermögen zu kaschieren, auf die Wünsche einer Frau einzugehen. Sie hatte sich immer wieder schnell von ihnen getrennt. Es gab auch Männer mit Handicaps, wie Asthma. Krankheiten, wie Diabetes, Blutkrebs, oder Allergien waren weit verbreitet, aber dieser Claudio, der sprühte vor Gesundheit, Aufmerksamkeit und Freude. Nachdem das Stadium der ersten vorsichtigen Annäherung erst einmal überwunden war, zeigte er eine sexuelle Agilität und Neugier, die Katie beeindruckte. Es machte einfach Spaß. Was an Claudio so besonders war: er konnte Dankbarkeit zeigen. Dankbarkeit, dass sie die Freuden erwiderte, die er ihr schenkte, ohne sich selbst zu verleugnen. Später lernte sie auch Anton Semowitch kennen, einen weißrussischen Freund von Claudio. Seinem Vater gehörte diese Yacht. An diesem Wochenende hatte er keine Zeit gehabt. „Familiäre Verpflichtungen“, hatte er gegrinst.

Katie hatte ihre eigene Freundesclique, aber Claudio und seine Freunde waren schon genial, und sie blieb bei Claudio. Claudio hatte wohl genug Geld, um ihr etwas Besonderes bieten zu können, aber er hängte das nie raus. „Geld kann dir das Leben erleichtern oder auch erschweren. Es ist gut, wenn man etwas davon hat. Wichtiger sind die Freunde, eine gute Ausbildung und die Familie. Auch die ist mir wichtig.“ Sie wusste zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass Claudio einen Teil seiner Familie verloren hatte. Sie war sehr beeindruckt, als er ihr das irgendwann erzählte. “Und deine Mutter, und dein Stiefvater, wie waren die?” Claudio hatte nur gesagt, “die haben mir die beste Ausbildung ermöglicht, die es für Geld zu kaufen gibt, und sie waren mir eine fürsorgliche Familie.” Dann sah er sie einen Moment schweigend an. “Familie ist für mich mehr. Ich habe ein Netz aus Freunden, und die sind mir eine wirkliche Familie.” Es war nicht das einzige, was sie an Claudio faszinierte. Es war diese angeborene Wildheit, die sich hinter dem klaren Verstand und dem herzlichen Äußeren verbarg. Wenn Claudio explodierte, dann brach er Dämme. Auch dann, wenn er mit Widerstand konfrontiert wurde, den er mit Ruhe und Gelassenheit nicht alleine in den Griff bekam. Dabei konnte er kühl und berechnend bleiben, sarkastisch und ätzend werden, und sich sogar in einen sehr kontrollierten Wutanfall steigern, aber das passierte selten. Ihr gegenüber war er stets höflich und zuvorkommend, aber er konnte dieses Element spielerisch einsetzen, wie ein Ringkampf mit Gefühlen, Worten und Gesten. Sie waren sich darin ebenbürtig. Auch Katie liebte dieses Spiel, und sie setzte auch ihre Schönheit und das von ihr ausgehende erotische Feuer ein. Claudio akzeptierte auch ihren eigenen Freundeskreis vorbehaltlos. Er kannte keine Berührungsängste, aber er hatte gelernt, sich abzugrenzen, wenn ihm etwas nicht passte, und Konflikte offen anzugehen. Worüber Claudio nicht redete, das war die Notwendigkeit bestimmter politischer und wirtschaftlicher Verbindungen, aber darüber wollte er vorläufig nicht sprechen. In so einer Eliteschule (in der er gewesen war), da lernst du eben auch taktisch zu denken. Du lernst die Söhne und Töchter von Politikern und Industriellen kennen, und der eine oder andere Spross aus dem Hochadel ist auch dabei. In Claudios Familie war es wichtig, solche Verbindungen zu pflegen. Katie kam aus einer Politikerfamilie, und Katie würde ihm vielleicht eine Reihe von Türen öffnen, die ihm sonst verschlossen wären. Solches Denken war ihm bereits in Fleisch und Blut übergegangen.

Claudio musste immer mal wieder im Auftrag seiner Familie verreisen. Es gab in Tante Josefinas Clan Geschäfte, in die er eingebunden wurde, und über die er nicht mit Katie sprach. Dann hatte sich Katie von ihm vernachlässigt gefühlt. Sie hatte sich beschwert und weil das nichts half, hatte Katie immer wieder mal Verhältnisse mit anderen Jungs. Sie hatte sich ein paar Mal von Claudio getrennt, aber sie war immer wieder zu ihm zurückgekommen. Claudio wusste von diesen Seitensprüngen. Er empfand das als unangenehm, aber er mochte Katie nicht aufgeben.Schließlich machten die beiden ihr Examen. Katie war längst ein Teil der Clique geworden, und dennoch ließ sie es von Zeit zu Zeit auch mit anderen krachen. Sie brauchte das.

2.

Während Claudio nach dem Studium vier Jahre lang als Ingenieur bei einem großen Bauunternehmen arbeitete, mit Schwerpunkt Sperrwerke, (in die man auch Gezeitenkraftwerke einbaute), hospitierte Katie in mehreren Orten. Sie absolvierte verschiedene Praktika, und sie probierte immer wieder einmal andere Männer, in schnellem Wechsel. Sie war kurz beim Westdeutschen Rundfunk und auch mal beim Privatfernsehen. Am Ende ging sie bei den Kieler Nachrichten zum Lokalteil. Beim Fernsehen hätte sie mit ihrem Aussehen und ihrem Esprit sicher eine große Zukunft haben können, aber sie zog dieses Lokalblatt vor. Sie wollte soliden Nachrichtenjournalismus, ganz nah am Menschen. Gedruckt und auch via Internet. Da gab es inzwischen irre Möglichkeiten. Sie konnte sogar ein Filmteam anfordern, etwa für Liveberichterstattungen bei der Kieler Woche oder für Debatten im Landtag. Als echtes Kieler Gewächs kannte sie ohnehin all diese Sportvereine und Events. Über ihren Vater, der einer der vielen Abgeordneten im Kieler Landtag war, kannte sie eine Menge Politiker, Verwaltungsbeamte, Vereinsvorsitzende und Lobbyisten. Katies Vater hatte wirklich gute regionalpolitische Verbindungen. Für den Lokalteil der Kieler Nachrichten war Katie genau genommen ein Glücksgriff. Auch Katie musste klein anfangen, um sich dann hochzuarbeiten, wie alle andern auch, trotz ihres Könnens, ihrer Herkunft und ihrer vielseitigen Talente. Es gab Interviews bei Kaninchenzüchtern, bei Ruderclubs, mit Eignern von Traditionsseglern, oder mit Musikern, die bei der Kieler Woche auftraten. Die Landes-, oder gar Bundespolitik musste sie zunächst andern überlassen, und erst recht die Kolumnen. Was da in den Redaktionen abgeht, das hatte sie in diesen Jahren gelernt, diese Hektik, diese Abhängigkeit vom Tagesgeschäft und die Launen der Anzeigenkunden, die heute mehr im Internet als im stark geschrumpften Printbereich inserierten. Dann hatte Claudio ihr gesagt, dass er in einer der Stiftungen von Freunden anheuert und sich zukünftig um die Schutzgemeinschaft Marsch in Friesland kümmern wolle. „Ganz brav und ganz langweilig“, hatte er noch grinsend hinzugefügt. Katie war verblüfft, denn davon hatte Claudio bisher nur wenig erzählt, aber das bedeute ja wohl auch, dass Claudio diese Herumreiserei für die Firma aufgeben würde, für die er arbeitete, und die mit dem Beruf des Sperrwerkbauers einherging. Mal ein Sperrwerk am Nil, mal eins am Mississippi, mal am Ganges. Das war sicher ein interessantes Leben, und als Bauleiter wurdest du bei solchen Großprojekten gut bezahlt, sehr gut sogar. Diese Zukunft wollte Claudio jetzt also aufgeben?

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