Evangelisches Kirchenrecht in Bayern

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–Gemäß Art. 18 des als Bundesrecht gemäß Art. 123 Abs. 2 GG fortwirkenden und insoweit aus Paritätsgründen auch für die evangelischen Kirchen maßgeblichen Reichskonkordats60 bedarf die Ausarbeitung der für die Ablösung aufzustellenden Grundsätze der vorherigen Herstellung eines Einvernehmens mit den Kirchen.


–Die Ablösung braucht nicht in einer einmaligen Geldzahlung, sondern kann auch in Raten oder durch die Überlassung von Grundstücken oder Wertpapieren folgen.61

Unter diesen Voraussetzungen erscheint eine Ablösung der Staatsleistungen – trotz der genannten beachtlichen Größenordnung – bei nüchterner Betrachtung als möglich, wenn der politische Wille dafür vorhanden ist.62

Weiterführende Literatur:
Zu 1.-3.:

A. von Campenhausen/H. de Wall, Staatskirchenrecht (A.), § 17;

H. de Wall, Das Staatskirchenrecht des Grundgesetzes: Zeitgemäß und zukunftssicher? Rechtliche Perspektiven, in: Ph. W. Hildmann/Stefan Rößle (Hrsg.), Staat und Kirche im 21. Jahrhundert, Hanns-Seidel-Stiftung, Berichte und Studien 96 (www.hss.de), S. 27–58;

A. Endrös, Entstehung und Entwicklung des Begriffs Körperschaft des öffentlichen Rechts, Wien 1985; ders., Finis rerum sacrarum 11.8.1919? Zur Entstehungsgeschichte der Art. 137 V und 138 II der Weimarer Reichsverfassung, ZevKR 33 (1988), S. 285–305;

H. M. Heinig, Öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften. Studien zur Rechtsstellung der nach Art. 137 Abs. 5 WRV korporierten Religionsgesellschaften in Deutschland und in der Europäischen Union, Berlin 2003;

P. Kirchhof, Die Kirchen und Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts, in: HdbStKirchR Bd. 1 (A.), S. 651–687;

B. Lindner, Entstehung und Untergang von Körperschaften des öffentlichen Rechts, Frankfurt/M. 2002;

St. Magen, Körperschaftsstatus und Religionsfreiheit, Jus Eccl. 75, Tübingen 2004;

St. Mückl, Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg)., HdbStR Bd. 7 (Freiheitsrechte), 3. Aufl. Heidelberg 2009, § 159;

P. Unruh, Religionsverfassungsrecht (A.), § 9;

O. Voll, Handbuch des Bayerischen Staatskirchenrechts, München 1985, insbesondere S. 59 ff.

H. Weber, Die Religionsgesellschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts im System des Grundgesetzes, Berlin 1966.

Zu 4.:

M. Droege, Vermögensverwaltungsrecht, in: HevKR (A.), § 27, S. 926–961.

M. Germann, Die kirchliche Vermögensverantwortung nach evangelischem Kirchenrecht, in: Essener Gespräche 47 (2013), S. 57–97;

S. Grundmann, Die Kirchengemeinde u. das kirchliche Vermögensrecht: FS Smend z. 80. Geb., Tübingen 1962, 309–330; = ders., Abhandlungen z. Kirchenrecht, K-W 1969, 177–198;

J. Heckel, Kirchengut u. Staatsgewalt: FS Smend z. 70. Geb., Gö 1952, 103–143; = ders., Das blinde undeutliche Wort „Kirche“, K 1964, 328–370;

H.-P. Hübner, Art. Kirchenvermögen, in: LKRR, 2. Band (A.), S. 537 f.;

K.-H. Kästner, Die Verfassungsgarantie des kirchlichen Vermögens, in: HdbStKirchR Bd. 1 (A.), 821–906;

A. Kupke, Finanzverwaltungsrecht, in: HevKR (A.), § 26, S. 898–925;

R. Mainusch, Die öffentlichen Sachen der Religions- u. Weltanschauungsgemeinschaften, Jus Eccl. 54, Tübingen 1995;

Chr. Meyer, Die Vermögensverwaltung und das Stiftungsrecht im Bereich der evangelischen Kirche: in: HdbStKirchR Bd. 1 (A.), 907–946;

J. Müller-Volbehr, Körperschaftsstatus und Sachenrecht der Kirchen, ZevKR 33 (1988) 153–183;

Th. P. Wehdeking, Die Kirchengutsgarantien und die Bestimmungen über Leistungen der öffentlichen Hand an die Religionsgesellschaften im Verfassungsrecht des Bundes u. der Länder, Jus Eccl. 12, München 1971.

Zu 5.:

M. Droege, Staatsleistungen an Religionsgemeinschaften im säkularen Kultur- und Sozialstaat, Berlin 2004;

G. Ebers, Staat und Kirche im neuen Deutschland, München 1933, insbesondere S. 218–252 (Staatsleistungen).

J. Isensee, Staatsleistungen an die Kirchen und Religionsgemeinschaften, in: HdbStKirchR Bd. 1 (A.), S. 1009–1063;

V. Knöppel, Aktuelle Überlegungen zum Ablösegebot der Staatsleistungen nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 138 Abs. 1 WRV, ZevKR 58 (2013), S. 188–200;

J. Reisgies, „Die Grundsätze hierfür stellt das Reich auf“ – zum Grundsätze-Gesetz gem. Art. 140 GG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 S. 2 WRV, ZevKR 58 (2013), S. 280–313;

W. Rießbeck, Beibehalten oder ablösen? Zur Diskussion über die Staatsleistungen an die Kirchen, in: Nachrichten der ELKB 2011, S. 97–104.

1A. v. Campenhausen/H. de Wall, Staatskirchenrecht (A.), S. 127 f. m. w. N.; vgl. auch H. Weber, Religionsgesellschaften (W.), S. 50 ff. Beispiele öffentlich-rechtlicher Körperschaften sind der Staat, die Kommunen, sonstige Gebietskörperschaften (Landkreise, Regierungsbezirke), Universitäten, Industrie- und Handelskammern, Rechtsanwalts-, Ärztekammern u. ä.

2H. Weber, Religionsgesellschaften (W.), S. 52.

3A. v. Campenhausen/H. de Wall, Staatskirchenrecht (A.), S. 130.

4BVerfGE 19, 129/134.

5Vgl. Wortlaut: „Die Religionsgemeinschaften bleiben Körperschaften des öffentlichen Rechts, soweit sie solche bisher waren. Anderen Religionsgemeinschaften sind auf ihren Antrag gleiche Rechte zu gewähren ...“

In Bayern hatten bis zum Inkrafttreten der WRV die drei großen Konfessionen (Katholiken, Lutheraner, Reformierte) die Stellung einer „öffentlichen Kirchengesellschaft“ und damit einer öffentlichen Korporation. Andere Konfessionen dagegen waren bloße „Privat-Kirchengesellschaften“ und hatten z. B. nicht das Recht, öffentliche Gottesdienste abzuhalten oder Glocken zu gebrauchen.

6Zur Bedeutung von Art. 137 Abs. 4 WRV: J. Jurina, Die Religionsgemeinschaften mit privatrechtlichem Rechtsstatus, in: HdbStKR Bd. 1 (A.), S. 689–713; A. v. Campenhausen/H. de Wall, Staatskirchenrecht (A.), S. 117 ff.; P. Unruh, Religionsverfassungsrecht (A.), § 7 Rz. 248 ff. m. w. N.; vgl. ferner BVerfGE 83, 341.

7BVerfGE 19, 129/134; 70, 138/164.

8A. v. Campenhausen/H. de Wall, Staatskirchenrecht (A.), S.129 ff.; A. Hollerbach, Grundlagen des Staatskirchenrechts, HdbStR VI, § 138, Rdnr. 128 (S. 540); vgl. auch BVerfGE 42, 312/332.

9A. v. Campenhausen/H. de Wall, Staatskirchenrecht (A.), S. 130 f.; A. Hollerbach a. a. O.

10BVerfGE 30, 415/428; 18, 385/386 ff.; 102, 370/387; 139, 321/350.

11H. Weber, Verleihung der Körperschaftsrechte, ZevKR 34 (1988) S. 350 ff. Als Mindestbestandszeit ist in der Regel von 30 Jahren auszugehen (Weber a. a. O. S. 352; O. Voll, HdbBayStKirchR (W.), S. 76).

12In der Praxis gilt zwar die Regel von einem Tausendstel der Bevölkerung des betreffenden Bundeslandes. Dies wären in Bayern mindestens 13.000 Mitglieder. Ähnlich wie bei der Mindestbestandszeit sind aber im Einzelfall Abweichungen nach unten möglich.

13H. Weber, a. a. O. (Fn. 11); VG München, ZevKR 29 (1984), S. 628 m. Anm. J. Störle (zur Anerkennung der Baptisten als Körperschaft des öffentlichen Rechts in Bayern).

14BVerfGE 102, 370/392; 139, 321/351.

15Die – grundsätzlich mögliche – Anerkennung des Islam als Körperschaft des öffentlichen Rechts scheiterte bis jetzt regelmäßig an einem zu geringen Maß an rechtlicher Organisation und Struktur. Zur rechtlichen Stellung des Islam in Deutschland grundlegend: H. Marré/J. Stüting, (Hrsg.), Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Bd. 20: Der Islam in der Bundesrepublik Deutschland, Münster 1986, mit Beiträgen von B. Johansen, A. Albrecht und W. Loschelder, sowie St. Muckel, Muslimische Gemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts, DÖV 1995, S. 311 ff.

16Vgl. dazu O. Voll, HdbBayStKirchR (W.), S. 73.

17Bek. des BayStMUK vom 12. August 2009 (KWMBl S. 285), zuletzt geändert durch Bek. vom 7. März 2018 (KWMBl S. 138).

 

18P. Unruh, Religionsverfassungsrecht (A.), § 9 Rz. 297 ff.; H. Weber (Fn. 1) S. 108 ff.; O. Voll, HdbBayStKirchR (W.), S. 71; Hollerbach (W.) § 138, Rdnr. 133 ff. (S 542 ff.) und § 139 (Der verfassungsrechtliche Schutz kirchlicher Organisationen) Rdnr. 13 ff. (S. 564 ff.), jew. m. w. N.

19Hierzu u. § 18.

20Zu der von der Regelung beim Staat und den meisten anderen Kirchen abweichenden Einbeziehung der gesetzlichen Rentenversicherung in die Versorgung innerhalb der ELKB vgl. u. § 27.3.

21Zur Ausgestaltung dieses Verfahrens vgl. o. § 18.5 und DiszG – RS 960. Die disziplinarischen Maßnahmen reichen vom Verweis bis zur Entfernung aus dem Dienst.

22Wie Kirchengemeinden, Gesamtkirchengemeinden, Dekanatsbezirke, kirchliche Zweckverbände; vgl. hierzu o. § 5.

23Z. B. selbstständige Stiftungen; vgl. hierzu auch o. § 5.1 unter „Beachte“. Vgl. ferner u. § 54. Zur eigenen Rechtsfähigkeit nach staatlichem Recht bedürfen neuerrichtete kirchliche Rechtspersönlichkeiten der Mitwirkung staatlicher Stellen. So wird neuerrichteten Kirchengemeinden die Eigenschaft einer Körperschaft des öffentlichen Rechts eigens verliehen (vgl. Art. 8 Abs. 2 KVerf; § 4 KGO).

24Einzelheiten u. § 14.

Diese automatische Zugehörigkeit zur Wohnsitz-Kirchengemeinde (vgl. Art. 9 Abs. 2 KVerf und § 5 Abs. 1 KGO) trifft allerdings nur einen Teilinhalt des Begriffs „Parochialrecht“. Daneben bedeutet er auch die Zuordnung von Pfarrer und Gemeinde, die parochialrechtliche Zuständigkeit des Ortspfarrers (PfG §§ 31 ff., hierzu u. § 20, 2).

25Vgl. hierzu – wenn auch in wesentlich eingeschränkterem Maße – im privatrechtlichen Bereich die Vereinsautonomie.

26Einzelheiten u. §§ 66 ff.

27So kann z. B. der Eigentümer einer Schlosskapelle, die mit seiner Zustimmung dem evangelischen Kultus gewidmet worden ist, nicht mehr ohne weiteres frei über deren Verwendung verfügen. Will er sie für widmungsfremde Zwecke, z. B. für anderskonfessionelle Trauungen oder für Konzerte zur Verfügung stellen, so geht dies nur mit Zustimmung des betreffenden Kirchenvorstandes. Vgl. zur Beschränkung der Verfügungsbefugnis des Eigentümers durch die res sacra-Eigenschaft einer Kirche vor allem BayObLGZ 1967, 93 und 1980, 381 (= BayVBl 1981, S. 438).

28H. Weber, Religionsgesellschaften (W.), S. 124. Als Folge hiervon wird z.B. vom Bundesverfassungsgericht bei Klagen im Zusammenhang mit dem Gebrauch von res sacrae oder kirchlichen öffentlichen Sachen der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten als gegeben angesehen, z. B. bei Klagen gegen kirchliches Glockengeläut (BVerwGE 68, 62).

29Neueste Zusammenstellung bei P. Unruh, Religionsverfassungsrecht (A.), § 9 Rz. 313 ff.

30Vgl. BVerfGE 66, 1: Konkursunfähigkeit korporierter Religionsgemeinschaften.

31§ 1 Abs. 5 Nr. 6 Baugesetzbuch: Berücksichtigung der Erfordernisse für Gottesdienst und Seelsorge bei der Aufstellung von Bauleitplänen.

32Sozialgesetzbuch (SGB) Achtes Buch (VIII): Kinder- und Jugendhilfe § 75 Abs. 3.

33§ 10 Abs. 1 des Bundessozialhilfegesetzes.

34Hierzu A. v. Campenhausen/J. E. Christoph, Amtliche Beglaubigungen der öffentlich-rechtlichen korporierten Kirchen im weltlichen Recht, DVBl 1987, S. 984 ff.

35BVerwG ZevKR 36 (1991) S. 56 m. Anm. v. R. Mainusch. Vgl. etwa auch Art. 18 des Staatskirchenvertrages; RS 110.

36Ausführlich dazu u. § 54.

37Näher dazu §§ 37.3 g und 49.

38Aber auch andere, kleinere Religionsgemeinschaften erhalten zum Teil derartige Leistungen, vgl. A. v. Campenhausen/H. de Wall, Staatskirchenrecht (A.), S. 281 f.

39M. Simon, Evangelische Kirchengeschichte Bayerns, 2. Aufl. Nürnberg 1952, S. 549.

40E. Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte, Nachdruck Darmstadt 2019, S. 596 f.

41V. Knöppel, Aktuelle Überlegungen zum Ablösegebot der Staatsleistungen (W.), S. 198 f.

42Hierzu u. § 39.2 a Fn. 22.

43Hierzu u. § 40.4.

44J. Isensee, Staatsleistungen an die Kirchen und Religionsgemeinschaften (W.), S. 1025; P. Unruh, Religionsverfassungsrecht (A.), § 15 Rz. 519.

45Vgl. Art. 21 ff. des Kirchenvertrages – RS 110, und die Staatsleistungsvereinbarung in RS 115. Hierzu u. § 12.

Zu Art. 138 Abs. 1 und 2 WRV allgemein vgl. v. a. A. v. Campenhausen/H. de Wall, Staatskirchenrecht (A.), S. 281 ff.; J. Isensee, Staatsleistungen an die Kirchen und Religionsgemeinschaften (W.), S. 1031 ff., jew. m. w. N.

46J. Isensee, Staatsleistungen an die Kirchen und Religionsgemeinschaften (W.), S. 1031 ff. m. w. N.; A. v. Campenhausen/H. de Wall, Staatskirchenrecht (A.), S. 283; P. Unruh, Artikel Staatsleistungen, in: 100 Begriffe aus dem Staatskirchenrecht (A.), S. 256–259 (257); ders., Religionsverfassungsrecht (A.), § 15 Rz. 525. Auf jeden Fall wären die Leistungen der politischen Gemeinden über Art. 138 Abs. 2 (Kirchengutsgarantie) verfassungsrechtlich gewährleistet. Vgl. hierzu auch Art. 145 Abs. 1 BV.

47Vgl. Art. 21 bis 25 Vertrag zwischen dem Bayerischen Staate und der ELKB (RS 110).

48Vgl. z.B. Art. 13 des Vertrages des Freistaates Thüringen mit den Evangelischen Kirchen in Thüringen vom 15. März 1994. Allgemein dazu V. Knöppel, Aktuelle Überlegungen zum Ablösegebot der Staatsleistungen (W.), S. 190 ff.

49Dazu M. Germann, Staatskirchenrechtliche Aspekte der Staatsleistungen – (unveröff.) Referat vom 7. Juni 2005, S. 5 f.

50Abgedruckt u. a. in: Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht Bd. 58 (2013), S. 303–313.

51Dazu V. Knöppel, Aktuelle Überlegungen zum Ablösegebot der Staatsleistungen (W.), S.194; J. Reisgies, Zum Grundsätzegesetz (W.), S. 289 f.

52J. Reisgies, Zum Grundsätzegesetz (W.), S. 292 f.

53A. v. Campenhausen/H. de Wall, Staatskirchenrecht (A.), S. 288 f.

54V. Knöppel, Aktuelle Überlegungen zum Ablösegebot der Staatsleistungen (W.), S.193 f., 197.

55In diesem SinneA. v. Campenhausen/H. de Wall, Staatskirchenrecht (A.), S. 286 f.; J. Isensee, Staatsleistungen an die Kirchen und Religionsgemeinschaften (W.), S. 1035; V. Knöppel, Aktuelle Überlegungen zum Ablösegebot der Staatsleistungen (W.), S.197 f.

56So M. Droege, Staatsleistungen (W.), S. 210 ff.; P. Unruh, Religionsverfassungsrecht (A.), § 15 Rz. 527.

57Vgl. Begründung zum Vorentwurf eines Gesetzes über die Ablösung der Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften (1924), abgedruckt u. a. in: ZevKR 58 (2013), S. 303–313 (309).

58So Gesetzentwurf 2012 der Fraktion „DIE LINKE“ (BT-Drs. 17/8791).

59H. de Wall, Das Staatskirchenrecht des Grundgesetzes (W.), S. 54; V. Knöppel, Aktuelle Überlegungen zum Ablösegebot der Staatsleistungen (W.), S.198; P. Unruh, Religionsverfassungsrecht (A.), § 15 Rz. 527.

60BVerfGE 6, 309.

61Im Einzelnen dazu V. Knöppel, Aktuelle Überlegungen zum Ablösegebot der Staatsleistungen, a. a. O., S. 197 ff.

62In diesem Sinne H. de Wall, Das Staatskirchenrecht des Grundgesetzes (W.), S. 54 f.

§ 11Gemeinsame Angelegenheiten von Staat und Kirche, insbesondere der Religionsunterricht; Sonn- und Feiertagsrecht
1.Allgemeines

Neben den Angelegenheiten, die nur der staatlichen Zuständigkeit unterliegen, und den Angelegenheiten, die jede Religionsgemeinschaft im Rahmen ihres Selbstbestimmungsrechts selbstständig regelt („eigene Angelegenheiten“ i.S. von Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV), gibt es Sachbereiche, in denen beide, Staat und Kirche, eine Zuständigkeit beanspruchen. Bei diesen gemeinsamen Angelegenheiten handelt es sich um Sachbereiche, die sowohl zum Staat als auch zur Kirche in einer selbstständigen Zweckbeziehung stehen.1 Zwar sind sie jeweils sowohl staatliche als auch kirchliche Angelegenheiten, zählen aber weder zu den ausschließlich staatlichen noch zu den ausschließlich eigenen kirchlichen Angelegenheiten i.S. von Art. 137 Abs. 3 WRV. Vielmehr sind sie durch ein „Sowohl als Auch“ charakterisiert.2 Diese Überschneidung staatlicher und kirchlicher Aufgaben bedingt zwangsläufig ein Zusammenwirken. Freilich reicht ein beiderseitiges bloßes Interesse an einer Angelegenheit nicht aus, um diese zu einer gemeinsamen zu machen, denn es gibt kaum eine kirchliche Maßnahme, die nicht auch Auswirkungen im Bereich des Gesellschaftlichen – und damit im Ordnungsbereich des Staates – hat (BVerfGE 42, 334), wie auch umgekehrt. Auch ein gemeinschaftliches Tätigwerden (im Sinne eines Nebeneinanders) in einem bestimmten Bereich, z.B. der Wohlfahrtspflege, macht diesen Bereich noch nicht zu einer gemeinsamen Angelegenheit. So nehmen die Kirchen und Religionsgemeinschaften in ihrer diakonisch-karitativen Tätigkeit genuin kirchliche, also eigene Aufgaben war.3 Ebenso nimmt der moderne Wohlfahrtsstaat in diesem Bereich eigene Aufgaben wahr. Staat und Kirche können hier – abgesehen von einer staatlicherseits selbst auferlegten Subsidiarität4 – unabhängig nebeneinander tätig werden. Ein Zusammenwirken ist nicht zwingend geboten, was freilich eine gegenseitige Berücksichtigung der Belange der jeweils anderen Seite nicht ausschließt.5

Gemeinsame Angelegenheiten liegen nur dort vor, wo ein Zusammenwirken von Staat und Kirche rechtlich notwendige Voraussetzung für die Wahrnehmung der betreffenden Angelegenheit ist, weil wegen ihres gleichzeitigen und untrennbaren religiösen und staatlichen Bezuges weder der Staat noch die Kirchen oder Religionsgemeinschaften allein tätig werden können.6

 

Hierzu zählen namentlich die Anstalts- und Militärseelsorge, der Religionsunterricht, die Theologischen Fakultäten, kommunale Friedhöfe und die Kirchensteuer.7 Gerade diese gemeinsamen Angelegenheiten sind ein sinnfälliges Beispiel dafür, dass der Grundsatz des Art. 137 Abs. 1 Weimarer Reichsverfassung keine strikte und absolute Trennung zwischen Staat und Kirche darstellt, sondern eine partielle und begrenzte Verbindung bzw. Zusammenarbeit bei gegenseitiger Unabhängigkeit durchaus zulässt, ja wegen des Einmischungsverbotes in religiöse Dinge sogar gebietet.

2.Anstaltsseelsorge

Aus Art. 4 GG folgt, dass der einzelne ein Recht auf die Verwirklichung seiner Religionsfreiheit, also ein Recht auf Religionsausübung hat. Nur nützt Schülern, Soldaten, Gefängnisinsassen oder Patienten in Kranken- oder Pflegeanstalten die „allgemeine Proklamierung“ dieses Grundrechts wenig. Da der Staat verpflichtet ist, dafür zu sorgen, dass seine Bürger auch innerhalb öffentlicher Anstalten ihre Grundrechte ausüben können8, hat er positive Vorkehrungen zu treffen, damit das Grundrecht der Religionsfreiheit auch unter den besonderen, zum Teil freiheitsbeschränkenden Bedingungen des Anstaltsverhältnisses tatsächlich verwirklicht werden kann.9

Zu den „gemeinsamen Angelegenheiten“ zählt die Anstaltsseelsorge deshalb, weil Angelegenheit des Staates bzw. des öffentlichen Anstaltsträgers hier die Leitung der betreffenden Anstalt und die Verantwortung für sie ist, Sache der Kirche dagegen die dort geübte Seelsorge und das Feiern von Gottesdiensten.10 Dies bedingt ein notwendiges Zusammenwirken. In Art. 140 GG i. V. m. Art. 141 WRV ist daher festgehalten, dass die Religionsgemeinschaften zur Vornahme religiöser Handlungen zuzulassen sind, „soweit das Bedürfnis nach Gottesdienst und Seelsorge im Heer, in Krankenhäusern, Strafanstalten oder sonstigen öffentlichen Anstalten besteht“, wobei – das folgt bereits aus der positiven wie negativen Religionsfreiheit – jeder Zwang fernzuhalten ist.11 Dem Grundrecht der einzelnen Anstaltsinsassen nach Art. 4 GG korrespondiert somit ein Recht der Religionsgemeinschaften auf Zutritt zu den genannten öffentlichen Anstalten.12

Ein Bedürfnis im Sinne von Art. 141 WRV ist immer schon dann anzunehmen, wenn sich Angehörige der betreffenden Konfession in der jeweiligen Anstalt befinden und eine religiöse Betreuung nicht ausdrücklich abgelehnt haben.13

So kann z.B. die Leitung eines Krankenhauses die Seelsorge in dieser Anstalt nicht davon abhängig machen, dass von den Patienten ausdrücklich danach verlangt wird. Bereits die Angabe der Konfessionszugehörigkeit bei Aufnahme kann seitens der Patienten ein Indiz für ein derartiges Bedürfnis sein. Selbst bei Verweigerung der Konfessionsangabe14 ist immer noch das (ebenfalls auf Art. 4 GG beruhende) Bedürfnis der betreffenden Religionsgemeinschaft auf Betreuung der eigenen Konfessionsangehörigen zu beachten.

Die in Art. 141 WRV gewährleistete Anstaltsseelsorge15 ist als institutionelle Garantie eine wichtige Ergänzung zur Religionsfreiheit des Art. 4 GG. Dies schließt nicht aus, dass gewisse Beschränkungen in der Religionsausübung bestehen können, z. B. als Folge der nach Art. 104 GG zulässigen Einschränkung der persönlichen Freiheit, so etwa in der Straf- oder Untersuchungshaft.16

Die Einzelheiten der Ausübung der Anstaltsseelsorge sind häufig Gegenstand von Vereinbarungen von Staat und Kirche.17