Der Clan der Auserwählten

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Die Lage der bewohnten Planeten im Kantron-Sonnensystem erklärt die gewaltige Entfernung zwischen dem Planeten der Xorx (Robotron) und dem Planeten Cantara. Allein die Entfernung zwischen Cantara und der Sonne beträgt rund 8 Lichtjahre.





Es gibt noch viel mehr Planeten in diesem Sonnensystem, aber es ist ein Zufall der Geschichte, warum sich gerade auf 20 Planeten intelligentes Leben entwickelt hat, und warum diese Planeten alle auf einer Seite der Sonne liegen, bis auf einen. Diese Lage und die gewaltige Entfernung erklärt auch, dass die Cantara in den letzten Jahrtausenden von der Entwicklung auf den anderen Planeten isoliert waren. Es interessierte sie schon seit langem nicht mehr, was dort passiert, weil sie geglaubt haben, dass ihnen nichts passieren kann. Aber nichts in unserem Universum ist von Bestand. Die Cantara hätten das besser wissen können. Vertrauen ist trügerisch.










Das Kantron Sonnensystem





1.1.3.

 Ein zweiter Kundschafter von Artemis' Gruppe kommt zurück und berichtet von den Zerstörungen und den Truppen der Xorx. Er ist geschickter gewesen als der erste. Er hatte sich gut getarnt, und war auf den Wärmebildkameras der Xorx unsichtbar geblieben.





Den Kordon an Energie, den die Cantara schon seit hunderttausenden von Jahren um ihren Planeten gebildet haben, um das Eindringen von Kometen, aber auch eine denkbare feindliche Übernahme zu verhindern, den gibt es nicht mehr, weil er mit den sterbenden Cantara zerbrochen ist.





Was soll die kleine Gruppe um Artemis tun? Den Kampf gegen die Übermacht aufnehmen?





Die Cantara hatten den Lauf der Sterne seit hunderttausenden von Jahren studiert. Sie hatten in früherer Zeit einmal Späher ausgeschickt, um das All jenseits ihres Sonnensystems zu erforschen. Ihr eigenes Sonnensystem war damals noch friedlich gewesen. Überall. Die evolutionäre Entwicklung auf den anderen Planeten hatte sich noch in einem primitiven Anfangsstadium befunden. Völlig ungefährlich.





Auf unserer Erde würde man das Studium der Gestirne "Neugierde" nennen, aber das trifft dieses Interesse nach wissenschaftlicher Kenntnis nicht, weil die Cantara weit weg davon sind, so etwas wie Gier nach Neuem zu entwickeln. Sie wollen sich nicht bereichern. Sie müssen nicht imponieren. Es gibt auch keine Geschlechtertrennung, so dass man einen Geschlechtspartner erobern müsste. Sie sind eins mit ihrem Planeten. Sie sind die Wächter ihres Planeten. Sie waren es zumindest, bis zu diesem fatalen Angriff der Xorx-Flotte.





Die Späher hatten damals ihr Sonnensystem auf direktem Wege verlassen, weg von ihrer Sonne. Sie hatten in einer weit entfernten Galaxis einen bewohnbaren Planeten entdeckt, den die Bewohner heute die Erde nennen. Es hatte dort Urzeitmenschen gegeben, die der Jagd nachgingen, in Höhlen oder in Hütten lebten. Sie hatten dort eine Weile gelebt, hatten die Lebensformen auf der Erde studiert und Energie aufgetankt. Sie hatten sich vermehrt. Sie hatten den Menschen geholfen, Faustkeile und Speerspitzen aus Stein herzustellen, hatten die primitiven Methoden dieser Gattung für den Lebensunterhalt beobachtet, und waren zu der Erkenntnis gekommen, dass diese Menschen ihnen niemals gefährlich werden können.





Die damaligen Menschen verehrten das Volk der Cantara wie Götter. In einigen Höhlen findet man heute noch neben Tier-, Geschlechts-, und Feuerdarstellungen seltsame Wolkengebilde, so wie die Cantara damals den Menschen erschienen sind.





Nach einigen Jahrzehnten hatten sich die Cantara geschlossen auf den Rückweg gemacht. Sie hatten sich die Route zu diesem Sternensystem gemerkt, und sie hatten diese Kenntnis als Erbinformation abgespeichert.





Sie ist schon viele tausend Jahre alt, diese Information. Damals hatte es die andern Völker in ihrem eigenen Sonnensystem auch nur rudimentär gegeben, auf einer wenig entwickelten Stufe. Die Krieger der Xorx, so wie sie heute den Planeten Cantara überfallen, die waren damals noch ungefährlich gewesen. Sie hatten nicht einmal ihren Planeten verlassen können, vergleichbar den Höhlenmenschen auf unserer Erde.





Nach der Rückkehr der Kundschaftergruppe hatten sich die Cantara wieder ganz auf ihren eigenen Planeten konzentriert, und sie waren dort weiter glücklich gewesen. Immerhin ist diese Erbinformation eine Chance, einen letzten Zufluchtsort zu finden, wenn der eigene Planetensystem einmal stirbt, oder wenn eine Situation eintritt, die das weitere Überleben unwahrscheinlich macht, also etwa dann, wenn ihre eigene Sonne erlischt.





Vielleicht gibt es in den Weiten des Alls noch andere Planeten, die durch einen Zufall der Geschichte Lebensbedingungen herausgebildet haben, und die in einem bestimmten Zeitfenster von mehreren hunderttausend oder Millionen Jahren pflanzliches und tierischen Leben ermöglichen, aber die Cantara wissen nur von diesem einen Planeten jenseits ihrer eigenen Galaxis, den ihre Bewohner heute die Erde nennen.





Sie hätten sich im Anschluss an diese Reise besser um die anderen Bewohner ihres eigenen Sonnensystems kümmern sollen, das durch einen Zufall ermöglicht hat, dass sich gleich auf mehreren Planeten intelligentes Leben entwickelt. Dann hätten sie rechtzeitig entdeckt, dass es da auf der sonnenabgewandten Seite ihres Planetensystems eine Art gibt, die sich zu einer dominanten Spezies entwickelt, die auch den Cantara gefährlich werden kann.





Tatsächlich hatten die Krieger der Xorx in den letzten Jahrzehnten mehrfach versucht, den Planeten Cantata zu entern, waren aber jedesmal an dem Schutzgürtel gescheitert. Die Cantara hatten fest darauf gebaut, das dies für immer so bleibt, im Vertrauen auf ihre Fähigkeiten und ihre überragende Intelligenz. Jedenfalls hatten die Cantara es versäumt, auf den anderen Planeten ihres eigenen Sonnensystem für Ordnung zu sorgen, aber die Cantara sind keine Raumgleiter, ständig auf der Suche nach neuen Erkenntnissen im All. Sie fühlen sich auf ihrem Planeten wohl. Sie sind hier verwurzelt, und die damalige Fernreise war nur ein Einzelfall.





Es war ein fataler Fehler, der nur durch die Friedlichkeit der Cantara erklärbar ist.





Tatsächlich haben die Cantara Fähigkeiten, die allen andern Lebewesen auf ihrem Sonnensystem weit überlegen sind, auch denen der Xorx-Krieger. Sie hätten also in ihrem Sonnensystem schon frühzeitig für eine multiglobale Ordnung sorgen können. Immerhin können sich die Cantara im All mit vielfacher Lichtgeschwindigkeit fortbewegen, und sie können im All viele Jahre überleben, ohne ein schützendes Raumschiff. Eine Fähigkeit, die wohl bisher kein anderes Volk ausgebildet hat. Es wäre also ein Leichtes gewesen, die Völker in ihrem eigenen Sonnensystem ständig zu beobachten und zu überwachen, dann hätte es diesen Überfall nie gegeben.





Artemis glaubt, dass er der letzte Überlebende seines Volkes ist, und die kleine Gruppe um Artemis entscheidet sich jetzt für die Flucht.







1. 2. Die Reise durch die Galaxis







Die Bodentruppen der Xorx werden ihre Höhle über kurz oder lang entdecken. Es ist hier nicht mehr sicher.





Artemis versammelt seine ihm verbliebenen Cantara um sich und verbindet sich mit ihnen zu einer gemeinsamen Masse.





Sie schlüpfen durch den halb verschütteten Ausgang. Sie machen sich unsichtbar für die Wärmebildkameras der Xorx.





Was sie sehen, als sie die Höhle verlassen, ist ein Werk der Zerstörung. Die niederen Büsche stehen noch, aber sie sind nahezu blattlos. Die Luft ist angereichert mit dem Geruch von Verwesung. Vor allem aber ist es totenstill. Kein Ruf. Kein Zwitschern. Kein Flügelschlagen. Nur der Wind bricht sich an den Berghängen. Manchmal säuselt er, manchmal pfeift er, und er treibt Schwaden von Staub vor sich her, der sich auf die niederen Moose und Grase legt.





Die Cantara durchforsten die Umgebung, nehmen soviel Nahrung auf, wie sie können, in Form von Pflanzen, Aas, Wasser und Gestein. Dann lassen sie sich mit dem Wind tragen und fliegen hinaus in die Atmosphäre. Sie suchen sich einen Weg durch die Flotte der Raumschiffe hinaus zum Weltraum. Sie schalten ihre Energie weitgehend ab, um nicht aufgespürt zu werden, und sie fliehen von ihrem Heimatplaneten in unbekannte Welten. Tatsächlich hatten sie Glück, weil ihre Höhle in einem toten Winkel zu den Beobachtungsinstrumenten der Xorx-Flotte lag, so dass es uneinsehbar war, und von dem Beschuss nicht direkt getroffen wurde.





Zurück bleibt ein verwüsteter Planet, auf dem fast nur Insekten, Amöben und einige Kleintiere überlebt haben, und auch einige weitere Cantara, aber zu denen hat Artemis keinen Kontakt, sonst wäre die Entscheidung wohl anders ausgefallen.





Die Weltraumtemperatur ist kalt. Sehr kalt. Minus 273 Grad.





Die fliehenden Cantara verbinden sich jetzt zu einer Kugel, um den geringsten Widerstand zu bieten und sie bewegen sich zunächst auf ihre Sonne zu, um ein letztes Mal ihre wärmenden Strahlen in sich aufzunehmen. Energie in Form von Neutronen, Protonen, Gasen, Licht und Wärme. Erst dann kehren sie um, bevor sie der Sonne zu nahe kommen, die sie verbennen würde, und sie folgen dem eingezeichneten Weg in ihren Erbinformationen, der sie aus ihrer eigenen Galaxis herausführt, gestärkt für diese Reise ins Ungewisse.





Es ist wie bei einer Herde Pinguine, die in einem Wintersturm ausharren. Ein Ring aus Pinguinen mit einem warmen Kern aus Energie. Immer wieder werden die äußeren Tiere durch andere ersetzt und in die Mitte genommen. So kann die Herde in eisigem Sturm lange überleben, ohne Verluste.

 





Auch die Cantara wenden diese einfache Methode des Überlebens an.





Sie haben das Ziel ihrer Reise in ihrem kollektiven Gedächtnis gespeichert. Es wird auf dem langen Weg andere Sonnen geben, und sie werden deren Nähe immer wieder suchen, um Wärme und Energie zu tanken. Energie in Form von Gasen, die von Sonnen ins Weltall geschleudert werden. Energie in Form von Licht, das die Photosynthese ermöglicht, Chlorophyll und Sauerstoff erzeugt. Energie auch, die in Form von Neutronenbeschuss erfolgt. Das ist eine Fähigkeit, die bei den Cantara seit langem bekannt ist. Nur so kann man im Weltraum überleben, ohne ein schützendes Raumschiff.





Die Energie der Sonnen werden sie nutzen, um ihre Fortbewegung gewaltig zu beschleunigen. Sie werden irgendwann langsamer werden, je weiter sie sich von einer Sonne entfernten und auch, weil sie mit ihrer Energie haushalten müssen, und sie werden jede Sonne ansteuern, um neue Energie zu tanken, und wieder Fahrt aufzunehmen, auch wenn das gewaltige Umwege bedeutet.





Es gibt andere Formen im All, die Ihnen Nahrung geben. Spiralnebel, Sternenstaubwolken, sie werden wohl nicht verhungern, aber es ist ein langer Weg zur Erde. In der Zeitrechnung der Menschen dauert er einige Jahrhunderte.





Es ist eine einzigartige Leistung, zu der bisher kein anderes Volk gefunden hat. Wir Menschen können uns das nicht vorstellen, wie die Cantara das fertigbringen, weil wir ihnen an Intelligenzleistung weit unterlegen sind, und weil für uns die Lichtgeschwindigkeit als schnellste Form der Fortbewegung gilt. Selbst die Xorx Krieger, die gelernt haben, ihre Raumschiffe fast auf Lichtgeschwindigkeit zu beschleunigen, die reichen nicht an die Fähigkeiten der Cantara heran, auch wenn sie es geschafft haben, durch das Überraschungsmoment nahezu das ganze Volk der Cantara auszulöschen.





Die Gruppe von Artemis schützt sich gegenseitig. Sie schützen Artemis, der ihr Anführer ist. Sie stellen sich ihm zur Verfügung. Er nimmt ihre Energie Stück für Stück in sich auf. Er isst die Mitglieder seiner Sippe im Laufe der Reise quasi auf, nur um selbst als Gattung zu überleben, und er findet tatsächlich diese Erde.





Er steuert ein letztes Mal eine Sonne an. In dem Moment, wo er zum ersten Mal die wärmenden Strahlen der Sonne spürt, lebt er auf. Er nimmt die Energie in sich auf, um das Eindringen in den Schutzgürtel der Erde zu überleben, und fliegt dann in Richtung des bewohnten Planeten, so, wie das in seinen Erbinformationen gespeichert ist.





Es gelingt ihm, den äußeren Schutzschild zu durchdringen.





Er ist der letzte seiner Gruppe, und er ist sehr kraftlos geworden, aber er lebt.





Niemand auf der Erde bemerkt dieses Eindringen dieser fremden Intelligenz. Wie auch. Es gibt keinen physisch auffälligen Flugkörper, den die Tentakeln der Luftbehörden, der NASA oder der militärischen Abwehr hätte entdecken können. Nur eine leuchtende Kugel, die einem winzig kleinen Meteoriten sehr ähnlich sieht. Normalerweise verglühen solche Partikel in der Atmosphäre. Man kennt dieses Phänomen als Sternschnuppe oder als Kometenschweif. So etwas gibt es andauernd. Es ist nicht weiter erwähnenswert, und es ist erst recht nicht beunruhigend.





Tatsächlich haben einige wenige Menschen einen schwach leuchtenden Kometenschweif am Nachthimmel gesehen, der kurz darauf erlosch, und einige haben sich in diesem Moment etwas gewünscht. Es ist ein netter Glaube, ich weiß nicht einmal, wie der entstanden ist.





Artemis ist in der Umlaufbahn der Erde nicht verglüht, aber es hat seine letzte Kraft gekostet, die Erdatmosphäre unbeschadet zu durchqueren. Seine äußere Gesteinshülle hat sich dabei nahezu aufgelöst, aber die Reibungsenergie hat ihm letztlich das Leben gerettet, denn auch Reibung bedeutet Wärme.







Teil 2. Kapitel 2.







Zuflucht Erde









2.1. Memphis / Nebraska (USA)







Artemis landet an einem See in der Nähe von Memphis / Nebraska. Er fühlt sich sehr schwach, als er auf dem weichen Boden aufschlägt. Für Menschen ist er quasi unsichtbar. Nur ein gallertartiger Klumpen aus Restenergie, mit einer (selbstgebildeten) Außenhaut aus Kobalt, Rhodium und einem Gemisch aus verschiedenem harten und weichen Gestein. Er löst diese Schutzhülle auf, als er den Boden berührt, und nimmt seine ursprüngliche gallertartige Form wieder an, die besser geeignet ist, um mit der Umgebung Kontakt aufzunehmen.





Artemis weiß nicht, dass die anderen überlebenden Cantara den Kampf gegen die Xorx schon lange erfolgreich überstanden haben. Er ist weit weg von seinem Heimatplaneten, und er wird diesen Planeten Erde nutzen, um sich hier neu einzurichten, wenn die Lebensbedingungen das erlauben, und danach sieht es wirklich aus.





Zunächst bleibt Artemis wie betäubt liegen. Er "atmet" Sauerstoff und Stickstoff. Er nimmt Verbindung mit dem Grün der Wiese und den Nährstoffen im Boden auf. Er freut sich, als ein Regenschauer über das Land fegt, und nimmt das Süßwasser in sich auf. Artemis kommt langsam wieder zu Kräften.





Es gibt hier auch Vögel, die versuchen an diesem Gallertklumpen zu picken, aber das lassen sie schnell sein, denn die Stromschläge beim berühren dieser vermeintlichen Nahrung sind äußerst schmerzhaft.





Es gibt hier Felder, es gibt hier Wald und es gibt hier ein stehendes Gewässer. Dort findet Artemis Schwebeteilchen, kleine Krebse, Fliegenlarven, Kalk, Moose und Algen. Die Pflanzen enthalten Säfte und ätherische Stoffe, Chlorophyll und mineralische Substanzen. Nahrung gibt es hier genug, und es gibt auch Sonnenstrahlen, die Energie liefern.





Die nächsten zwei Wochen verbringt er an diesem See. Er staunt über den Wechsel von Tag und Nacht. Das Wissen ist zwar in seinen Erbinformationen enthalten, aber er hat die Dunkelheit der Nacht und die damit einhergehende Temperaturänderung noch nie erlebt. Auch die Taubildung ist ihm fremd, die sich in den frühen Morgenstunden erfrischend über ihn legt.





Es gibt hier ein reichhaltiges Maß an Vegetation und Tieren, und er nimmt Verbindung dazu auf. Er erkundet diesen Mikrokosmos und entwickelt langsam ein Gefühl für diese fruchtbare Erde unter ihm, für Spurenelemente, für Käfer und für pflanzliche Lebewesen und ihre Art der Kommunikation. Immerhin ist hier alles neu, denn sein historisches Gedächtnis erzählt ihm von ganz anderen Tieren und einer ganz anderen Vegetation.





Er ist jetzt hier auf der Erde angekommen, und er wird das Beste aus der Situation machen. Vielleicht bietet sich die Möglichkeit, in einigen hundert oder auch tausend Jahren zu seinem eigenen Planeten zurückzukehren, wenn davon überhaupt noch etwas übrig ist. Er, oder einer seiner Nachkommen, die er problemlos durch Zellteilung abspalten kann, wenn er wieder zu Kräften gekommen ist. Bei seiner Gattung ist das eben anders, als bei anderen hochentwickelten Lebewesen. In seiner Gattung gibt keinen Mann und keine Frau. Jeder Cantara ist ein gleichgeschlechtliches Wesen, das sich jederzeit vermehren kann, wenn dies als notwendig erachtet wird. Daran ist im Moment aber nicht zu denken.





Erst nach zwei Wochen macht er sich auf den Weg, um andere Lebensformen kennenzulernen. Er ist vorsichtig. Er verwandelt sich wieder in eine Wolke aus Gasen und Wasser und läßt sich mit dem Wind treiben.





Er sieht auf seinem Weg seltsame Gefährte. Landmaschinen, Boote, Hubschrauber und Autos, und er nimmt Kontakt zu diesen Stoffen auf. So etwas hat er schließlich noch nie zuvor gesehen, und in seinen Erbinformationen ist so etwas nicht gespeichert. Immerhin begreift er, dass so eine Landmaschine auch ihm gefährlich werden könnte. Ein Pflug würde ihn glatt in viele Teile zerschneiden, wenn er zwischen die Messer gerät. Nun ja, nicht in seiner jetzigen gasförmigen Gestalt, aber als gallertartiger Klumpen, der seine Urform ist.





Er besucht die Stadt Memphis, manchmal gasförmig, manchmal dockt er sich irgendwo an, unsichtbar für die Bewohner dieses Planeten, und er staunt. Was er sieht, ist mit seinen Erbinformationen nicht vereinbar. Er sieht zum ersten Mal Menschen, die sich völlig von dem unterscheiden, was er als Urform dieser Spezies gespeichert hat. Er sieht zum erstenmal ein Imbissrestaurant und er schlüpft hinein.





Er nimmt Kontakt auf zu den Spezies, die er hier vorfindet. Menschen, Tiere, Insekten. Er probiert die Speisen, die es hier gibt, und die Bedienung wundert sich, weil sie den Tresen mit einem vollen Teller verläßt, und plötzlich mit einem leeren Teller vor dem Gast steht. Sie bekommt gewaltigen Ärger.





Artemis schaut sich diese Auseinandersetzungen an. So etwas kennt er ja auch nicht. Diese Art von Streit, und er beginnt sich an der Theke zu bedienen. Er sucht Kontakt zur Küche, beginnt von den Fritten und dem heißen Fett zu naschen. Er nimmt Salatblätter und Fleischklopse in sich auf.





Es ist eine fremde Welt, die sich da zeigt, und Artemis sucht den Kontakt zu all diesen Stoffen und den Energieströmen, die zwischen Menschen und Tieren hin- und herlaufen.





Es gibt hier Kakerlaken, Fliegen, Schimmelpilze, vereinzelte Hunde und hunderte mikroskopisch kleiner Erkältungsviren. Es dauerte nicht lange, dann kennt er ihre Sprache und ihre Form der Verständigung, und er wundert sich, warum diese Menschen es nicht schaffen, sich mit den anderen Lebewesen in deren Sprache zu verständigen. Diese Menschen sind äußerst simpel gestrickt, trotz dieser Bauwerke und dieser technischen Hilfsmittel, die sie da entwickelt haben.





Artemis versteht schon bald diese Laute, welche die Menschen verwenden. Er hat zwar keine Ohren, aber empfängt die Atemstöße, die Absonderungen des Schweißes, die Wärmeabstrahlungen und die elektromagnetischen Impulse, die von den Gehirnen und Körpern dieser Menschen ausgehen, und er kann schon bald mühelos verstehen, was sich die Menschen da in ihrer Sprache zuwerfen. Immerhin erkennt er diese Gattung als eine Spezies, die in ihrem Lebensraum eine Führungsposition beansprucht. Nun ja. Es gibt konkurrierende Arten, aber zwischen Insekten, Viren und den Menschen besteht eine Art Symbiose, wie ein Kreislauf des Lebens.





Artemis ist vorsichtig. Er schlüpft zunächst nicht in die Körper der verschiedenen Arten. Er beobachtet nur.





Dieses Lokal ist für Artemis eine reine Fundgrube. Es ist mit einer Tankstelle verbunden, und hier fahren viele Gefährte ein- und aus. Lastwagen, Pickups, Limousinen, Motorräder.





Er hat keine Ahnung, was das bedeutet, aber er lernt sehr schnell. Er kriecht schon bald in die Köpfe dieser Menschen und sieht sich in ihren Gehirnen um. Es ist wie ein Buch. Ein Fundus von Wissen, und Artemis spürt noch andere Dinge auf. Impulse, die Zuneigung, Aufmerksamkeit, Liebe, Gleichgültigkeit, Neugier, Hass, Angst, Neid, oder Gier ausdrücken. Auch das ist ihm fremd, und er nimmt das erstaunt zur Kenntnis.





Da ist noch etwas, das er bereits von den Tieren seiner Heimat kennt. Diese Menschen können Gerüche und Geschmacksrichtungen unterscheiden. Sie verfügen über Tast-Sensoren und ein Sehvermögen. Die Gattung hat Muskeln und ein Skelett. Im Verhältnis zu anderen Spezies ist das Gehirn viel größer ausgebildet, auch wenn das im Vergleich zu den Cantara als sehr gering zu bezeichnen ist. Diese Gattung hat von allem etwas, aber das reicht dieser Spezies offenbar, um einen Anspruch über ihren Herrschaftsanspruch über ihren Planeten zu begründen.





Diese Menschen sind ganz anders als sein Volk der Cantara, das beinahe ausgelöscht worden ist, und auch ganz anders, als alles, was er aus seiner Heimat kennt. Er vergleicht das mit all seinen Erbinformationen, und er kommt zu dem vorläufigen Schluss, dass ihm diese Spezies in ihrer heutigen Entwicklungsstufe nicht gefährlich werden kann.







2.2. Die Reise durch Amerika







Es gibt hier Gefährte, die von den Menschen als Motorhome bezeichnet werden. Fahrende Blechkästen, in denen es nicht nur Möbel gibt in Form von Gestühl, wie bei einem Lastwagen, es gibt dort auch Kühlschränke, Matratzen, einen Kocher und vor allem Nahrung.





Als einer dieser Camper von der Tankstelle auf den Parkplatz fährt, folgt Artemis der kleinen Gruppe aus drei Personen. Er hat schon gelernt, dass es bei den Menschen weibliche und männliche Exemplare gibt. Er sieht ihnen beim Pissen zu. Er beobachtet ihre spezifischen Körpersprache, nein, er nimmt sie amüsiert zur Kenntnis. Es gibt auch Kinder in verschiedenen Größen, manche mit hohen, fast piepsigen Stimmen, manche geradezu kleinwüchsig.

 





Auch die Kleidung, die sie tragen ist seltsam. Wozu braucht man so etwas? Aber Artemis kriecht in die Körper dieser Menschen und er spürt, dass sie diese Stoffe brauchen, um sich vor Kälte und Hitze zu schützen. Dann gibt es da noch etwas, was er zuerst nicht begreift. Die Kleidung ist ein Signal. Sieh her. Beachte mich. Nimm mich zur Kenntnis. Sei aufmerksam zu mir. Bewundere mich. Ich will mich ver-mehren. Manche drücken noch etwas ganz anderes aus. Ich bin sehr lässig. Ich bin cool. Du kannst mir nichts. Wieder andere explodieren geradezu vor Aggression und Verdrängung. Sie haben eine mächtige Aura um sich gelegt. Er studiert diese Signale aufmerksam. Diese Wesen sondieren auch Körpergerüche ab, welche ähnliche Signale signalisieren, oder sie sprayen sich mit seltsamen Duft- und Lockstoffen ein.





Nun also verfolgt er diese kleine Gruppe aus drei Personen. Sie sprechen anders, als die anderen Menschen hier. Nein, nicht immer, nur dann, wenn sie sich miteinander unterhalten. Sonst sprechen sie die Sprache der Anderen, aber irgendwie ungeübt, und es gelingt ihnen nicht alles so auszudrücken, wie sie es wollen, obwohl sie diese Sprache ziemlich gut beherrschen. Nur die Körpersprache ist dieselbe, und sie kennzeichnet diese Gruppe aus als Menschen, so wie die anderen. Er hat auch schon festgestellt, dass Menschen eine unterschiedliche Hautfarbe haben, und dass dies manchmal eine soziale Rangordnung symbolisiert.





Für Artemis ist das eine neue Information, und nachdem die kleine Gruppe gegessen und sich frisch gemacht hat, folgt er ihnen in dieses Motorhome, das sich kurz darauf in Bewegung setzt.





Artemis hat schon mitbekommen, dass diese kleine Gruppe etwas macht, was sie als Urlaub bezeichnet. Die Eltern des Kindes erfüllten sich einen lang gehegten Traum, einmal quer durch die USA zu reisen. Die Nebenstraße hier hat die Nummer 66, nicht zu verwechseln mit der legendären historischen Route 66, die von Chicago nach Los Angeles verläuft. Sie waren in New York gestartet, waren auf der Interstate 80 quer durch Michigan gefahren, über Cleveland, Chicago und im Süden der großen Seen, die Kanada und die USA voneinader trennen. Sie hatten Omaha passiert und sie sind jetzt auf dem Weg nach Chayenne, Salt Lake City und Sacramento bis zu ihrem Ziel in San Franzisco. Dort werden sie einen Flieger besteigen und zurück nach Deutschland fliegen. Artemis findet das alles sehr spannend.





Er nimmt diese Reise als willkommenes Geschenk, um mehr von diesem Planeten zu lernen. Er dockt sich einfach an diese Stoffe an, die von den Menschen als Kleidung bezeichnet werden. Unsichtbar. Er lebt von den Salzen, die von den Menschen ausgeschieden werden, von Aminosäuren, von ihrer Wärme, von Fett und von in Zellen abgelagertem Wasser, von ihrem Urin, dem Speichel, dem Kot und den Schuppen, die er als abgestorbene Haut identifiziert, von den Gasen, die sie absondern, aber auch von der Umgebungs-Luft. Für Artemis sind das alles nur Zell- und Energieformen, die ihn am Leben erhalten. So etwas wie Ekel ist ihm fremd. Er begreift schnell, dass die Menschen das anders sehen als er, und auch das erstaunt ihn. Die Menschen haben zu ihrer Körperlichkeit und zu ihrer Umgebung eine seltsam gestörte Verbindung. Sie waschen sich mit Seife, um ihren Schweiß loszuwerden. Sie putzen sich die Zähne, um ihren Atem frisch zu machen, sie waschen sich mehrfach am Tag ihre Hände, angeblich, um sie von Schmutz zu befreien, oder beträufeln sich mit Duftstoffen, die sie Parfüm und Rasierwasser nennen.





Manchmal gehen sie in eines der Motels entlang dieser über 5.000 Km langen Fernstraße, nur um ausgiebig warm zu duschen. Sehr oft verlassen sie die Interstate 80, um kleine Orte und Städte, Seen oder Flusslandschaften anzufahren. Mit Hilfe des von ihnen genutzten Navigationsgerätes ist das sehr bequem, und Artemis kann diese elektronische Hilfe schon nach kurzer Zeit entschlüsseln.





Die Eltern des Mädchens machen aber auch etwas, was Artemis als Akt der Fortpflanzung erkennt. Sie tun das nur heimlich, wenn ihre Tochter bereits schläft, und Artemis beobachtet sie dabei. Er kriecht in ihre Köpfe und in ihre Körper und sieht die männlichen Samenzellen, die in die Vagina der Frau gespritzt werden. Er sieht auch, wenn die Frau geschlechtsreif wird, und er sieht, dass sie täglich Pillen schluckt, um die Fruchtbarkeit zu verhindern. So dumm ist das nicht, findet er. Es schützt vor einer ungehemmten Vermehrung. Er versteht anfangs nur nicht, warum sie das heimlich tun. Zellteilung und Zellvermehrung ist