Der Clan der Auserwählten

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Diese Eigenschaften entwickeln sich Stück für Stück, damit Leon sie mit Bedacht anwendet, ohne sie zu missbrauchen. Ein Teil dieser Fähigkeiten ist in dem Jungen bereits verankert, ein Teil liefert Artemis dazu. Er hat erkannt, dass er dieser Spezies seine gewaltigen Kräfte nicht unbegrenzt zur Verfügung stellen darf, weil diese Menschen in ihrer Art unvollkommen sind. Macht verführt dazu, solche Kräfte ungehemmt anzuwenden und zu missbrauchen. Das ist das Letzte, was Artemis im Sinn hat. Er will diesen Menschen in seinem Sinn beeinflussen, so dass er sich der Philosophie der Cantara unterordnet. Dieser Junge soll ein Wächter des Lebens werden.

Da ist noch etwas, was Leon zunächst nicht versteht, aber es ist von Anfang an da. Wenn er nicht weiter weiß, dann tut sich vor ihm eine Art Tunnel auf, in den er hineinschlüpfen kann, wie in die Röhren der U-Bahn. Er findet dort eine Stimme, die mit ihm spricht, ihm Mut zuredet oder ihm Lösungen vorschlägt. Diese Stimme spricht in diesem Kauderwelsch aus Lauten, das nicht menschlicher Natur ist, und das aus nichts anderem besteht als reiner Energie.

Früher hat Leon noch nie etwas von solchen Kräften gespürt. Sie sind ganz plötzlich über ihn gekommen, wie ein unerwartetes Geschenk, das man auspackt, um es dann sorgsam und für immer in Besitz zu nehmen. Stück für Stück, aber auch seine Gedächtnisleistung ist enorm angestiegen. Er kann sich problemlos Ereignisse, Details, Gesichter und Zahlen merken. Er entwickelt ein ungeheures Gespür für die Analyse von Situationen und die Fähigkeiten von einzelnen Personen.

Artemis hat ihm nur einen Bruchteil seiner eigenen Kraft zur Verfügung gestellt, aber der Junge nutzt diese Energie sehr effektiv. Es gelingt ihm, Teile seines Gehirns zu aktivieren, die zuvor völlig brach gelegen haben. Viel mehr muss zunächst nicht sein, findet Artemis, und er hat immer die Kontrolle darüber, was der Junge tut. Er ist es, der Leon erlaubt, seine Fähigkeiten zu erweitern und auf der Leiter der Möglichkeiten einige Stufen hinaufzuklettern.

Leon befreundet sich eng mit Roy, Kathy und Bea. Er lernt Spek kennen und begleitet ihn hin und wieder auf seinen Raubzügen. Er lernt sich im Gewühl der Menschen so unscheinbar zu machen, dass er anderen Menschen unauffällig folgen kann, um sie zu beschatten.

Artemis hilft Leon bei all diesen Tätigkeiten. Er ist sich sicher, dass aus diesem Jungen einmal etwas Großes werden wird. Auch für Artemis ist diese Symbiose von Vorteil. Er bedient sich der Sinne dieses jungen Leon. Artemis lernt unter anderem Freude, Angst, Gleichgültigkeit oder Anspannung zu fühlen. Eine höchst interessante Erfahrung. Er nimmt diese Impulse in sein historisches Gedächtnis auf, und wird sie an seine Nachkommen weitergeben.

Leon wiederum erlernt die Fähigkeit, Talente aufzuspüren, und ihnen in ihrer Entwicklung zu helfen. Mit elf Jahren ist Leon bereits ein geschickter Drahtzieher, der viele Fäden in seiner Hand vereint. Wir Menschen sagen dazu ein Wunderkind, das die Facetten der sozialen Interaktion und der Fähigkeit, sich verständlich auszudrücken, spielend beherrscht.

Weil dieser Junge Artemis zu so vielen Erkenntnissen verhilft, beschließt Artemis sich erneut zu teilen, und seine Nachkommen in die Kopfe von Bea, Roy, Spek und Kathy zu schicken, damit sie dort beobachten, und diesen Menschen helfen, ihre menschlichen Fähigkeiten weiter zu entwickeln, als sie das aus eigener Kraft tun können. Artemis kann ihnen jederzeit weitere Kräfte zur Verfügung stellen, wenn er nur will.

Die Kinder dieser Menschen werden Mutanten sein, und Kräfte in sich tragen, die größer sind, als bei normalen Menschen. Sie werden vor allem lernen, den Codex von Artemis' Volk zu übernehmen.

2.6. Reisen mit dem Wirt und weitere Zellteilungen

2.6.1. Leon verbirgt die Freundschaft zu Bea und Katharina Zuhause nicht. Bea, Katharina und seine Freunde aus seiner Kindergartenzeit sind oft bei ihm Zuhause. Das bringt ihm viele Vorteile. Bea bringt auch manchmal ihre Geige mit, und spielt den Freunden vor. So kann Leon leicht erklären, was er an den Nachmittagen und den Wochenenden so treibt. Über Roy, Spek und die Kids im Berliner Untergrund spricht er allerdings nicht. Die Eltern müssen nicht alles wissen. Der Vater ist Lehrer für spanisch und französisch an einer Berliner Eliteschule für Kinder von Diplomaten. Die Mutter ist Dozentin für Anthropologie an der Universität. Sie unterstützen das, was sie glauben, was Leon da treibt. Sie erkennen schnell, dass er ein besonderes Gespür dafür hat, Bea bei ihrer jugendlichen Karriere zu fördern, und sie wissen, dass er in seiner Schule als eine Art Genie gilt, der locker eine Klasse überspringen könnte. Es macht sie stolz. Die Zensuren freuen sie, und die Lehrer sind hochzufrieden, weil dieser Schüler ein echter Teamplayer ist, der Konflikte in der Klasse spielend in eine sachliche Streitkultur verwandeln kann. Sie denken, dass dies ihre Gene sind. Alle Eltern sind stolz, wenn sich das eigene Kind prächtig entwickelt. Sie bekommen auch mit, dass Kathy und Leon zusammen kommen, als sie 14 sind, und auch das finden sie gut. Vielleicht ein bisschen früh, aber so ist das in dieser die Zeit, in der sie leben. Sie wissen natürlich von Kathys Eltern. Gegen wohlhabende Eltern ist nichts einzuwenden. Irgendwie passen Leons Freunde wirklich gut zusammen, jedenfalls die, von denen Leons Eltern wissen. Es ist eine gute Truppe, und Freundschaft muss man unterstützen, wenn das die richtigen Freunde sind. Daran haben die Eltern keinen Zweifel.

Während Kathy, Roy und Spek ihrem Berlin und ihrer Gruppe aus Kindern und Jugendlichen regional verbunden sind, macht Beatrice schnell Karriere. Bea gibt Konzerte in Berlin, Dresden, München und Wiesbaden. Sie gewinnt Nachwuchswettbewerbe und wird von den Berliner Philharmonikern gefördert. Für Bea ist das ein Sprungbrett für eine internationale Karriere. Das erste Konzert hat sie zusammen mit den Berliner Philharmonikern in der Karnegie Hall in London. Später folgen Paris, Mailand, Barcelona, New York, Mexiko City und Tokio. Sie fliegt nach Peking, und Sydney. Sie hat Bewunderer ihrer Kunst in Moskau, Kapstadt und San Franzisko.

Leons Eltern genehmigen, dass Leon seine Freundin Bea in den Ferien zu ihren Auslandsreisen begleitet. Bea zahlt. Leon, der seinen Freunden mittlerweile als genialer Scout zählt, reist mit Bea zu vielen ihrer Auftritte.

Ein Schlüsselerlebnis für Bea und Leon ist, als sie in den Sommerferien zusammen nach China und in die Mongolei fahren. Sie sind gerademal sechzehn. Für Leon öffnet sich eine Art kulturelles Zeitfenster, und er wieder Zuhause ist, beginnt er im Internet zu recherchieren.

Zwei Jahre später hat Bea ihr Abitur in der Tasche. Bea hat eine Reihe von Auftritten in Süd- und Mittelamerika, und Leon begleitet sie in den Sommerferien auf ihrer Konzertreise. In Chile, Bolivien und Peru spüren die Beiden in einer Musikpause das auf, was Leon als die "Seele der Musik" bezeichnet. Manchmal sagt er auch "das Geheimnis der Musik" dazu. Es ist eine Mischung aus nativen traditionellen südamerikanischen Klängen, der europäischen höfischen Musik der Gotik, der Renaissance, des Barock und der Romantik, und ihrer einmaligen Technik und dem Klang ihrer Geige.

Leon und Bea entdecken diese Klänge im Bergland von Bolivien und Peru. Bea spielt vor Flamingos, Andenkamelen, Käfern, Gräsern oder Schneefeldern. Sie lernt, die Oberfläche von Seen in Kräuselbewegungen zu versetzen, oder Gräser in Wellenbewegungen, wie sie sonst nur der Wind erzeugt. Bea lernt sogar, mit ihrer Musik Lawinen auszulösen oder wilde Tiere zu zähmen.

Sie spielt vor Hochzeitern und auf Karnevalsfeiern. Sie entdeckt einen Panflötenspieler, den sie sofort verpflichtet, um mit ihm zusammen die Musik der Anden einzufangen. Sie nimmt ihn einfach mit zu ihren nächsten Konzerten in Santiago de Chile, Buenos Aires und Montevideo, und überredet ihre Konzertagentur, dort Zusatzkonzert-Termine zu buchen für diese neue Synthese zwischen den nativen indianischen Volksweisen und Beas europäischem Musikverständnis. Bea und Armando rufen in Süd- und Mittelamerika wahre Begeisterungsstürme hervor. Die Welle schwappt schon sehr bald auf die USA, Europa und Asien über.

Bea besitzt inzwischen mehrere Meistergeigen. Eine davon bezeichnet sie als ihre "Zaubergeige", weil sie in ihren Händen Klänge erzeugen kann, die weit über das sonstige Repertoire einer Geige hinausgehen. Bea kann damit Stimmungen erzeugen, die Menschen in einen Taumel versetzen. Glücksgefühle, tiefe Trauer, Andacht oder explosive Wut. Bea ist mit dieser Geige wie eine Zauberin, welche die Gefühle der Menschen lenkt und sie tausendfach verstärkt. Es ist ihre bevorzugte Geige für diese neue Art der Musik.

Leon begleitet Bea allerdings nicht über die ganze Tour. Nach den Auftritten in Buenos Aires und Rio verlässt er Bea und kehrt nach Peru zurück. Eine innere Stimme sagt ihm, dass er sich der Geschichte von Peru widmen müsse, die als Wiege der Hochkulturen der südamerikanischen Indianer gilt.

Er besucht diverse Museen. Er besucht Maccu Piccu, die Felsenburg der Inkas in 2.350 Metern Höhe, und die alte Inkahochburg Cusco, die unter den Inka-Herrschern zuletzt eine Ausdehnung von 50 Hektar hatte.

Artemis begreift, dass hier eine der Wiegen der Menschheit steht, und dass in Peru noch viel mehr zu finden sein muss, verborgen unter Bergen von Erde und dichtem Urwald.

Und jetzt spürt Leon mit der Hilfe von Artemis Dinge auf, die sein ganzes Leben und seine Zukunft prägen werden. Leon entdeckt die Überbleibsel einer antiken Königsstadt von der Kultur der Peruche, von der bisher noch nie jemand gehört hat, und er entdeckt mehrere Goldminen.

 

Er weiß nicht, dass Artemis ihm diese Funde erst ermöglicht hat, Artemis, der glaubt, die Zeit sei reif, diesem Jungen und seinen Freunden jetzt einen Grundstock an Vermögen zur Verfügung zu stellen, um ihren Anspruch auf Durchsetzung der Maxime der Cantara zum Erfolg zu verhelfen.

Die Ausbeute aus der Ersten seiner Goldminen bringt Leon in das Vermögen seiner Freunde in Berlin ein, und mit diesem Geld gründet er zusammen mit seinen Freunden fernmündlich eine "interkulturelle Stiftung für Kultur und Kommunikation". Diese Stiftung wird in Peru schon bald eine besondere Rolle spielen.

Leon lernt aber auch, ganz in der Natur aufzugehen. Er lernt Tiere kennen, mit denen er sich nie zuvor beschäftigt hat, wie Milben, Tausendfüssler oder Fadenwürmer. Er lernt Heilkräuter kennen, und zwischen den verschiedenen Kartoffelsorten der Anden zu unterscheiden. Seltsamerweise wird Leon nie krank, obwohl es hier tausenderlei Gefahren gibt. Er sammelt Beeren und Blüten. Artemis zeigt ihm, welche Blätter, Rinden oder Früchte er essen muss, um Abwehrstoffe zu entwickeln und sein Immunsystem zu stärken. Er lernt die indianische Sprache, und er perfektioniert das Spanisch, das er von seinem Vater gelernt hat.

Artemis tut in Südamerika noch viel mehr, aber davon weiß Leon nichts. Er löst sich manchmal von Leon los, um später wieder in ihn hineinzuschlüpfen. Er nimmt Kontakt zu all den Arten auf, die er hier vorfindet. Adler, Kormorane, Fische, Gürteltiere, Insekten. Er lernt ihre Eigenschaften kennen, ihre Art, sich zu vermehren, ihre Schutzmechanismen, aber auch ihre Fressgewohnheiten, ihre Gifte, ihren Geruchssinn, ihre Art der Verständigung durch Farben, Gerüche, Elektroimpulse, Schallwellen. Viele dieser Arten sind dem Menschen weit überlegen, findet Artemis, weil sie einzigartige Fähigkeiten besitzen, oder weil sie besonders anpassungsfähig sind. Andere Arten können nur unter bestimmten Bedingungen leben, die ihnen von Licht, Nahrung, oder der Zusammensetzung von Wasser, Erde und Luft geboten werden. Sie sind hochspezialisiert und gehen ein, wenn sich der Lebensraum nur geringfügig verändert. Innerhalb des Lebensraums hat jede Spezies ihre wichtige Stellung im Ordnungsgefüge. Es ist ein Kreislauf. Eine gegenseitige Abhängigkeit. Das Aussehen, die Größe und die Form der einzelnen Gattungen unterscheiden sich von dem Leben auf dem Planeten Cantara, aber im Grunde ist der Kreislauf der Natur nicht anders als das, was Artemis in seinem historischen Gedächtnis gespeichert hat.

Es ist hier anders, als in den Städten, und an den Tankstellen, die er in den USA kennengelernt hat, oder auch in Berlin, in den U-Bahnschächten und den Wohnsiedlungen, voll von Dingen, die vom Menschen gemacht sind, und voll von Menschen, die dicht gedrängt auf engem Raum zusammenleben. Hier gibt es fast keine Menschen. Der Mensch ist nur ein verschwindend kleiner Baustein im Naturkreislauf. Es ist eine andere Welt. Anders auch als die Naturparks, die Artemis in den Rocky Mountains kennengelernt hat, und die weitgehend durch den Menschen geprägt sind. Das wird Artemis auf dieser Reise bewusst. Es gibt hier einen erhaltenswerten Zustand. Ein Gleichgewicht der Arten. Artemis fühlt sich sehr an seinen Heimatplaneten erinnert, bevor dieser Vernichtungsschlag der Xorx-Krieger alles zerstört hat.

Seine ersten Funde aus der historischen Königsstadt bringt Leon zu den archäologischen Museen in Lima und in La Paz. La Paz deshalb, weil sich die Indios in Bolivien einmal in einem Befreiungskrieg gegen die weißen Herrscher erhoben haben, und in Bolivien am ehesten für eine Unterstützung des indianischen Erbes zu denken ist. Lima deswegen, weil alle Grabungen in Peru von den zuständigen Archäologischen Stellen genehmigt werden müssen. Er entfacht dort einen wahren Begeisterungssturm. Noch nie hat jemand Artefakte aus dieser Zeit gesehen, und vor allem nicht in diesem Erhaltungszustand. Knochen, Zähne, Ziegel mit unbekannten Schriftsymbolen und ein massives Goldgefäß mit Sonnensymbolen, das Zeugnis für eine hochentwickelte Kultur ist.

Während das Alter der Stücke noch genau untersucht wird, ist Leon schon wieder unterwegs. Zunächst noch heimlich, unerkannt und ohne Genehmigung. Diesmal hat er die Hilfe einer jungen Archäologin mit dem Namen Mila, die er in Bolivien kennengelernt hat, und sie lernen auf ihrer Reise einen jungen begabten indianischen Führer kennen, der ihnen hilft, weitere Funde zu sichern. Leon spürt zugleich, dass da noch viel mehr ist. Mauerreste, ein Kanalsystem, Tongefäße, Schmuck, und die Reste antiker Waffen.

Inzwischen ist das Alter der Scherben, der Knochen und des Gefäßes bestimmt, und es ist sicher, dass die Stadt mindestens 3.200 Jahre alt ist. Auch das ist eine Sensation. Bisher galt die Stadt Caral im Westen Perus als älteste antike Stadt, etwa von 2.630 vor Christus, also vor über 4600 Jahren. Sie hatte damals eine Einwohnerzahl von rund 300 Menschen. Die nächstälteste bekannte Kultur war die der Moche, die etwa 800 nach Christus zerfallen war. Es gab eine lange unerforschte Zeitspanne zwischen diesen beiden Kulturen von fast 2000 Jahren. Die ersten Artefakte, die Leon den Archäologen zur Verfügung stellt, die deuten auf eine eigenständige und bedeutende Kultur. Diese Funde sind das lange gesuchte Bindeglied zwischen zwei Hochkulturen der Anden.

Leons zweiter Fund, den er nach seiner Rückkehr nach Lima den dortigen Archäologen präsentiert, ist eine noch größere Sensation. Er bestätigt die ersten Untersuchungsergebnisse, und Artemis hilft Leon dabei, die Regierungen von Bolivien und Peru zu überzeugen, Gelder für eine gemeinsame Ausgrabung zu bewilligen. Ein Vertrag wird aufgesetzt. Bolivien ist bereit, sich finanziell zu beteiligen. Leon hat die Stelle als Vertreter seiner Stiftung gefunden, und er ist erst bereit, die Lage der Fundstelle preiszugeben, wenn ein Vertrag regelt, was mit den möglicherweise zu erwartenden Gewinneinnahmen geschieht. Peru ist natürlich mit von der Partie, weil die Grabungsstelle in Peru liegt.

Als die ersten Infrarotaufnahmen die wahre Größe dieser antiken Stadt aufzeigen, sind die Archäologen von den Socken. Die Stadt muss mehrere zehntausend Menschen beherbergt haben, wenn nicht gar hunderttausend. Sie ist für damalige Verhältnisse riesig und zeugt für die Macht und den Reichtum des Reiches. Warum bloss hat man früher noch nie etwas davon gefunden?

Leon selbst sichert seiner Stiftung jetzt mehrere Grundstücke im Umfeld der alten Königsstadt. Warum soll er nicht ausnutzen, was ihm da quasi in den Schoß fällt. Er denkt dabei nicht an persönlichen Reichtum, sondern er denkt als der Teamplayer und der Scout, der er ist. Er wird alle möglichen Gewinne mit seiner Clique teilen, und er wird zu erwartende Gewinne für soziale Zwecke einsetzen. Wie, das weiß er am Anfang auch noch nicht.

Artemis teilt sich erneut, und er schickt jeweils einen seiner Nachkommen in die Köpfe der Archäologin Mila und von Nakoma, jenem jungen indianischen Führer. Er sorgt dafür, dass sie Geheimnisse bewahren und sich zu Wächtern des Lebens entwickeln. Er verhilft Nakoma zugleich zu Kräften der Cantara, so dass Nakoma schon bald einen ähnlichen Energieschub verspürt, wie seinerzeit der junge Leon.

Artemis und sein junger Nachkomme, der jetzt in Nakomas Körper lebt, sind ab sofort über ihren Energiestrom miteinander vernetzt.

Auch Milas Sinne schärfen sich deutlich, aber Artemis verschenkt seine Fähigkeiten nicht unbegrenzt. Einer seiner Nachkommen wird vorerst nur als Wächter in Milas Kopf sitzen und ihre menschlichen Eigenschaften verbessern, wie Leistungsfähigkeit, Kommunikationsfähigkeit, oder die Fähigkeit zur Analyse.

Artemis teilt sich noch einmal, und er schickt seinen Nachkommen diesmal in den Kopf von Claudio da Silva, den Leiter der archäologischen Abteilung in Lima, der für die Auswertung, Restaurierung und den Fundus aller ausgegrabenen Schätze der Königsstadt zuständig ist. Mila wird die Chefarchäologin vor Ort. Sie koordiniert alle Ausgrabungen und den sicheren Transport der Fundstücke, aber auch die Beschaffung und Verwendung von Geldern und den Schutz der Ausgrabung.

Leon übernimmt den Vorsitz der neu gegründeten Firma, die sich der Ausgrabung der Königsstadt verschreibt. Zwischen den Staaten von Peru, Bolivien und der Stiftung gibt es jetzt einen neuen Vertrag, demzufolge alle künftigen Einnahmen aus der Ausgrabung zu je einem Drittel zwischen den beteiligten Instituten aufgeteilt werden.

Leon verkauft dieses Goldgefäß aus seinem ersten Fund jetzt an das archäologische Museum in Lima und erhält dafür 150.000 Euro. Sicher ist der archäologische Wert weit höher anzusetzen, aber Leon schenkt diesen Mehrwert dem Museum und erhält für sein Entgegenkommen viel Bereitschaft, mit ihm in Zukunft auf ehrlicher Basis zusammenzuarbeiten. Das ist nicht zu unterschätzen, findet Leon. Freundschaft ist nie zu unterschätzen. Alle anderen Funde, die er zusammen mit Mila und Nakoma entdeckt hat, bringt er in den Fundus des gemeinsamen Unternehmens ein, dazu zählen diverse Knochenstücke, Zähne, aber auch Scherben, Gold- und Kupfermünzen und einige Goldbleche, die offenbar von militärisch hohen Rängen getragen wurden, um Kleidungsstücke zusammenzuhalten, und den jeweiligen Rang zu demonstrieren. Auch diese Geste wird ihm hoch angerechnet.

Der Erlös aus dem Goldgefäß wird Leon zusammen mit seinem Goldfund aus der Mine helfen, Fäden zu spinnen und die Kontrolle über die Ereignisse in Peru zu behalten.

Die UNESCO wird die Fundstätte schon bald als Weltkulturerbe einstufen. Wir müssen hier nicht über weitere Details reden, aber die beteiligten Kräfte beginnen mit der Ausgrabung.

Leon bleibt zunächst in Peru. Er wird hier dringend gebraucht. Er kabelt seinen Eltern, dass er die Schule jetzt abbricht. Vielleicht nur ein Studienjahr, wer weiß. Jetzt wird er hier gebraucht. Von seinen Telefonaten nach Deutschland weiß er, dass die Eltern von dieser Entscheidung zwar mächtig geschockt sind, aber dass sie auch mächtig stolz auf ihren Sohn sind, und ihm alles Gute wünschen.

Die antike Stadt, die zunächst noch ohne Namen ist, wird auf Vorschlag der Chefarchäologen schon bald "Sonnenstadt" oder auf spanisch Ciudad del Sol genannt, weil es dort so viele Artefakte mit Sonnensymbolen gibt.

Der erst 16-jährige Leon und die um vieles ältere Archäologin Mila verlieben sich ineinander. Es ist ein seltsames Feuer, was den Berliner Leon und die viel ältere indianische Archäologin vom Volk der Aymara miteinander verbindet. Eine Liebe, die von Artemis unterstützt wird, spürt er doch, dass diese Beziehung gemeinsame Kinder hervorbringen, und auch das Volk der Cantara erhalten und vermehren wird.

Als Leon ein halbes Jahr Später nach Berlin zurückfliegt, teilt sich Artemis erneut. Er lässt seinen Nachkommen im Körper von Leon, aber er selbst zieht dort aus, und er bleibt zunächst in der Ausgrabung. Er wird dort ein vorläufiges Zuhause finden und über den Fortgang der Arbeiten wachen. Er hat schon mitbekommen, dass die Ausgrabung Dutzende von Goldsuchern und Gaunern ermuntert hat, sich illegal auf die Suche nach antiken Artefakten zu machen, die gutes Geld versprechen. Das ist ein gefährliches Potenzial, das er unter Kontrolle bringen muss, wenn er Leon und Nakoma weiterhelfen will. Es gibt noch andere "Goldgräber", die ebenso gefährlich sind. Private Unternehmer, geldgierige Politiker, Militärs. Mila und Nakoma brauchen den Schutz von Artemis in den nächsten Monaten dringender als je zuvor.

2.6.2. Zurück in Berlin bespricht sich Leon mit dem neuen Stiftungsrat, der aus vier Aufsichtsratsmitliedern besteht, aus Leon selbst, aus Kathy, Roy und Spek. Außerdem gibt es fünf beratende Direktoren, darunter ist auch die Geigenvirtuosin Bea. Ziel ist zunächst der Aufbau eines autonomen Jugend- und Musikzentrums in Berlin, das den Jugendlichen in Berlin und Brandenburg offen stehen soll, und das ihre Musik, ihre Lebenseinstellungen und ihre Jugendkultur aufnehmen wird. Eine weitere Aufgabe ist die Integration und der interkulturelle Austausch zwischen Völkern und Kulturen, aber ohne dass eine Kultur die andere domestizieren soll. Der Stiftungsrat findet ein Gelände vor den Toren von Ostberlin. Die Leitung erhält die Unterstützung der Stadt, und die Freunde beginnen die ersten Gelder aus dem peruanischen Goldfund in den Ausbau des Geländes zu investieren. Dritte Aufgabe ist es schließlich, die Ausgrabung in Peru zum Erfolg zu führen, und in den Anden ein indianisches Zentrum zu bauen. Mila und Nakoma werden auf Vorschlag von Leon als die beiden letzten beratenden und operativen Direktoren der Stiftung bestellt, um die südamerikanischen Aktivitäten zu koordinieren.

 

Auf Leon warten so viele Aufgaben, dass er beschließt, die Schule ganz abzubrechen. Er kann notwendiges Wissen jederzeit auf dem Abendgymnasium nachholen, wenn er will. Es gibt heftige Diskussionen mit den Eltern, die dem Geist des Bildungsbürgertums verhaftet sind, und es gerne sehen würden, wenn ihr Sohn ordentlich studiert, aber Leon setzt sich durch. Vielleicht hilft ihm auch, dass er bereits jetzt einer der Direktoren der Stiftung ist, dass er der Stiftung enorm viel Geld mitgebracht hat, und dass er große Ziele hat, die er verwirklichen will.

Die Eltern beugen sich schließlich seiner Hartnäckigkeit und seinen guten Argumenten.

2.6.3. Leon ist längst vernetzt mit Nakoma in Peru, und sie beschließen bereits im Winter, rund um die Ausgrabung eine Stadt zu bauen, ein indianisches Kulturzentrum und ein Hotel zu errichten. Sie brauchen dazu nicht einmal zu telefonieren. Die Kräfte von Artemis machen es ihnen möglich, diese Energie in Form einer Gedankenübertragung auszutauschen. Sie waren zunächst verblüfft, wie einfach das ist, aber inzwischen haben sie sich daran gewöhnt, und praktizieren diese Fähigkeit, die sie auch geheimhalten, weil das sonst nur unnötige Fragen aufwirft.

Die an der Ausgrabung beteiligen Archäologen sind fast alles Weiße, aber Mila und Nakoma haben sich dafür ausgesprochen, ausschließlich indianische Arbeiter einzustellen. Die Staaten Peru und Bolivien sind ohnehin einverstanden, denn indianische Arbeiter gelten als billige Arbeitskräfte. Nakoma weiß aus eigener Anschauung um die untergeordnete Stellung der Indios in diesem Land. Er nimmt die Gelegenheit wahr, um seinem Volk der Quechua in Peru langfristig zu einer gesellschaftlichen Stellung zu verhelfen, die von Anerkennung geprägt ist. Die Ausgrabung wird ihm dabei helfen. Er weiß, es wird nicht einfach werden. Jede Gruppe, die in Südamerika einen Anspruch auf demokratische Rechte einfordert, ist der Gefahr der Zerschlagung durch das Militär ausgesetzt.

Der Ruhm, der sich dank der Einbindung der UNESCO entfalten wird, die wird sich auf die Stellung der Indios in diesem Land allerdings positiv auswirken, wenn man die Öffentlichkeit geschickt ausnutzt. Dafür wird er sorgen, und er ist sich in diesem Ziel mit Mila und mit Leon einig. Er hat aber auch erkannt, wie gefährlich die Situation ist, wenn sie solche Schätze ausgraben, und die Gier von Tausenden von Glücksrittern entfachen. Er sorgt dafür, dass die Indios unter seiner Leitung eine kleine Schutztruppe zusammenstellen, um drohende Übergriffe bereits im Vorfeld zu erkennen und Diebstähle zu verhindern. Das dient nicht zuletzt ihrem eigenen Schutz, denn Gerüchte und Unterstellungen sind schnell in die Welt gesetzt, wenn man einen unliebigen Beteiligten loswerden will, der von diesem Kuchen ein Drittel kassiert. Allein der Vorwurf der Unterschlagung kann dafür sorgen, dass die Beteiligten für Monate oder Jahre hinter Gittern verschwinden. Mila übernimmt die Aufgabe, dass jedes gefundene Stück detailliert erfasst und katalogisiert, und dass jeder investierte Dollar auch ordentlich verbucht wird.

Die Ereignisse in Peru haben Leons Weg vorgezeichnet. An ein Studium ist in dieser Situation nicht zu denken. Er hat jetzt ganz konkrete Aufgaben, und er ist sich sicher, dass er die Anforderungen dank seines Gespürs und seiner Intelligenz auch meistern wird. Er weiß ja nicht, dass Artemis ihm dabei helfen wird. Als Leon im nächsten Frühjahr wieder nach Peru reist, bereitet er das Feld für einen Hotelkomplex, der in den nächsten Jahren entstehen soll, und eine Verbindungsstraße nach Cusco, um die Arbeiten sehr viel schneller und effektiver durchzuführen als bisher. In der Ausgrabung selbst arbeiten inzwischen hunderte von Menschen, die ein Zuhause brauchen. Leon weiß, dass hier eine neue Stadt entstehen wird. Vorerst brauchen die Arbeiter und die Archäologen aber feste Hütten, weil das Leben in Zelten auf Dauer unbequem ist. So entsteht eine Art Goldgräberstadt.

Nakoma ist zwar kein ausgebildeter Archäologe, aber er findet schnell Zugang zu den Techniken und er berät sich regelmäßig mit Mila, die sich schon bald auf das ungewöhnliche Gespür von Nakoma verlassen kann, wie bei einem hochtalentierten Scout, einem Hellseher, oder einem Wünschelrutengänger. Sie selbst erhält von den Wächtern des Lebens eine organisatorische Fähigkeit, die ihr hilft, alle anstehenden Aufgaben zu bewältigen und aufkommende Konflikte im Keim zu ersticken. Das schürt zwar manchen Neid, aber Mila wird auf ihre Weise unantastbar, allein durch ihren genialen Führungsstil und das sichere Gespür, wo man graben muss, um etwas wertvolles zu finden. So findet sie auch in den beteiligten Ministerien immer ein offenes Ohr, denn dank Mila beginnen sich die Kassen der Finanzminister von Peru und Bolivien zu füllen, nun ja, auch die Kassen der Stiftung in Berlin, wenn auch zunächst nur auf dem Papier, solange wie nicht erste Verkäufe Bares in die Kassen spülen.

Nakoma hat keine Ambitionen auf Ruhm, und er überlässt Mila freiwillig den Verdienst, als geniale Wissenschaftlerin zu gelten. Er selbst bezieht inzwischen als beratender und operativer Direktor der Stiftung ein Gehalt, das weit über dem liegt, was die Indios der Anden sonst verdienen. Dabei hat er nicht einmal eine schulische Ausbildung, aber er initiiert jetzt für die Indios der Ausgrabung eine Freiwilligenschule, in der Rechnen, Schreiben und Lesen gelehrt, und in der die überlieferten Geschichten der Indianer gesammelt und weitergegeben werden. Auch die Musik der Anden und die indianischen Traditionen sind Teil dieser Gemeinschaft. Zusammen mit den Funden aus der Ausgrabung ist diese Freiwilligenschule der Grundstein für die Entwicklung eines indianischen Zentrums im Nordosten von Peru. Nakoma selbst ist auch einer der Lernenden.

Am Ende dieses Sommers sichert sich Leon weitere Grundstücke rund um die Ausgrabung, sowie ein langgestrecktes Tal aus dem Besitz des Staates Peru, das mehrere Tagesreisen entfernt liegt. Er lässt die Grundstücke und seine nähere Umgebung auf den Namen der Stiftung eintragen und die Stiftung ist auf diese Weise plötzlich zum Eigentümer mehrerer Goldadern geworden, von denen sonst noch niemand etwas weiß.

Diesmal bringt er über 200 Kilo Gold in die Hauptstadt Lima, eröffnet dort auf den Namen der Stiftung ein Konto und überweist einen Teil des Sechsmillionen Euro starken Erlöses direkt nach Berlin.

Leon hat inzwischen eine Ménage à Trois. Kathy in Berlin, Mila in Peru. Aus den Beziehungen entstehen später mehrere Kinder, und damit hat sich der Plan von Artemis zunächst erfüllt, den menschlichen Körper zu benutzen, um das Volk der Cantara wieder wachsen zu lassen und um die menschliche Gattung noch besser für seine Zwecke zu nutzen, ohne dass er sich ständig teilen muss. Auch wenn die Fähigkeiten des Einzelnen Nachkommen gering sind, gemessen an den Fähigkeiten von Artemis, so gibt es hier doch ein ausbaufähiges kollektives Wissen.

Mila eröffnet Leon bereits im nächsten Sommer, dass sie von ihm schwanger geworden ist.

Leon ist noch sehr jung, aber er erkennt diese einzigartige Chance. Er beantragt kurzerhand die peruanische Staatsbürgerschaft und läßt seinen Namen von einem Amtsgericht in Lima in den Künstlernamen Leon del Sol abändern. Dann adoptiert er Nakoma mit dessen Einverständnis als seinen Sohn. Nakoma wird ab sofort Nakoma de Sol heißen. Ein Tribut an die heilige Stadt, die sie gefunden haben.