Der Clan der Auserwählten

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Leon nickt. „Danke. Ist der Einkauf informiert? Können wir mit der Produktion beginnen?“

Auch Daniel nickt. „Jain. Mit dem Schaffleisch haben wir in Nordamerika ein paar Lieferprobleme. Wir haben deshalb auf Veggifleisch umgestellt und das abgeschmeckt. Ist vom Geschmack und der Konsistenz nicht voneinander zu unterscheiden.“ Er grinst. „Da haben wir gedacht, probieren wir das auch mal mit Huhn, Schwein und mit Steak. Kommen sie doch mal mit.“

Er führt ihn ins Nebenzimmer. Seine Assistentin holt gerade zwei Teller aus der Mikrowelle und schiebt zwei neue rein.

„Hier, kosten sie mal. Sagen Sie mir, was das für Fleisch ist.“

Leon wirft einen skeptischen Blick zu Dan. Irgendwas kommt ihm da komisch vor. Er kommt nur nicht gleich drauf. Er schaut die beiden Teller prüfend an. Er nimmt Gabel und Messer, schneidet das Fleisch an, besieht sich die Schnittstellen, er riecht und probiert. Sein feiner Gaumen merkt, dass Fleisch eben nicht gleich Fleisch ist, je nachdem, wo es herkommt, und wie es gegart und abgeschmeckt ist, aber letztlich erschmeckt er keinen gravierenden Unterschied, und er entscheidet sich, „ganz klar. Das ist Schaf.“

„Beides?“ Leon nickt. „Ja, sicher.“

Daniel grinst unmerklich. Die beiden anderen Teller sind gerade fertig. „Bitte probieren Sie das auch mal.“

„Naja, seh' ich doch, das ist gutes amerikanisches Steak. Wahrscheinlich von argentinischen Rindern. Daher beziehen wir doch unser Fleisch.“ Er schneidet die zwei Steaks an, probiert und legte das Besteck wieder hin. „Eindeutig Rind.“

„Bitte noch einen Test.“ Leon sieht Dan an, als wolle er sagen, was soll jetzt dieser Blödsinn?

Aber er probiert auch das dritte Fleisch. Es ist Huhn.

Daniel lacht breit und fast feixend. „Seh’n Sie Chef. Jeder denkt das. Selbst Sie mit Ihrem Gespür für Geschmack und Substanzen und Ihrer jahrzehntelangen Erfahrung. Jetzt dreh'n sie die Teller mal nacheinander um.“

Leon macht das Spiel mit und liest: „Vegetarisch, Huhn, Vegetarisch, Rind, Vegetarisch, Schaf.“ Er sieht Daniel verblüfft an und Dan wartet gespannt auf das Urteil. „Hast du das ordentlich testen lassen?“ Daniel nickt. „Die Leiter hoch und runter. In Deutschland, den USA und in Südamerika. Niemand merkt einen Unterschied. Sehen sie sich die Fasern des Veggi-Steaks an. Man kann das Blut fast riechen. Halb durch ist das der Hammer. Unsere Testesser in den USA fanden das Veggi-Fleisch sogar noch zarter als das tierische Fleisch. Sie schworen, das sei von besten amerikanischen Rindern aus dem Mittelwesten.“

Leon nickt. "Das ist ja eine Meisterleistung, und die Kosten?“ Daniel kann sich das Lachen nicht mehr verkneifen. „Liegen zu 80 Prozent unter dem Fleisch.“ Bei jedem Fertigmenü, das wir verkaufen, verdienen wir bei gleichem Preis jetzt das doppelte. Deine Tochter Chénoa Maria hat die Menüs in ihrer Fabrik in Ciudad del Sol schon ausprobiert und mehrere große Test-essen veranstaltet, jeweils auf den Gaumen der Süd- und Nordamerikaner abgeschmeckt. Sie waren begeistert.“

Er fährt fort, "ich muss Ihnen allerdings gestehen, dass wir Ihnen den Test nicht einfach gemacht haben. Wir haben inzwischen gelernt, tierische Fette und tierisches Eiweiß synthetisch herzustellen. Das haben wir Ihnen in dieser Probe beigemischt, um Ihren feinen Geschmackssinn zu überlisten. Normalerweise tun wir das nicht, aber das Geschmackserlebnis ist dasselbe."

Er erwähnt nicht, dass er die Proben einem befreundeten Chemiker zur Analyse gegeben hatte, und der hatte selbst mit seinen Untersuchungsmethoden Schwierigkeiten, den Fleischersatz zu erkennen. Er hatte diesen Trick auch mit Chénoa versucht, aber die hatte ihm gezeigt, dass er sie nicht überlisten kann. Sie hatte ihn nur verschmitzt angesehen, und gemeint, "das ist sehr gut. Wirklich täuschend echt. Ich bin mal gespannt, ob Vater den Unterschied bemerkt."

Leon sieht ihn an. Das war nicht abgesprochen gewesen, aber seine Tochter Chénoa Maria ist die Kronerbin des Unternehmens. Sie hat jede erdenkliche Freiheit und kann alleine entscheiden. „Seid ihr immer noch so?“ Er kreuzt die Finger. Daniel nickt. „Wir treffen uns immer noch, und wir gehen immer noch zusammen ins Bett. Ich glaube das wird nie aufhören, seit wir uns damals...“. Er spricht nicht weiter, Leon weiß ja Bescheid. Dann schwenkt er wieder zu ihrem ursprünglichen Thema zurück. "Also. Offiziell sagen wir Veggi-Fleisch dazu, denn da ist noch viel mehr drin als bei dem bisherigen Sojafleisch, das bei uns ja schon lange hergestellt wird. Manchmal Bambussprossen, manchmal Lauch und vor allem mehrere Pflanzen, die dein Sohn Nakoma mal zusammen mit Chénoa und seinen eigenen Kindern aus dem Urwald geholt hat. Sie sind in Südamerika schon 1500 Jahre vor Christus systematisch angebaut worden, und sie sind sehr nahrhaft. Wir wissen das inzwischen. Wichtigster Bestandteil unseres neuen Veggi-Fleisches ist die Faser eines Gehölzes, dessen Blätter essbar sind. Wir hüten dieses Wissen, wie unseren Augapfel, vor allem die Aufbereitung dieser Faser, die den typischen Biss von Fleisch garantiert. Bei eurer Ausgrabung der Königsstadt in Ciudad del Sol wurden Tontafeln gefunden, und die Forscher haben die Aufzeichnungen über den Anbau und die Lagerung dieser Pflanze entschlüsselt. Sie haben genaue Beschreibungen der Pflanze entdeckt, und auf einigen Tonkrügen gibt es sogar Bilder. Auch in den Mägen von mumifizierten Toten hat man solche Speisereste entdeckt. Sie sind damals auf Terrassen kultiviert worden. Man hat offenbar eine Art Brei, Fladenbrot und verschiedene Sorten von Gemüse und Fleischersatz daraus gemacht, die vor allem auf langen Reisen gut haltbar waren. Das bauen wir heute wieder an. Damals hießen diese Pflanzenprodukte wohl Huẽ-Chee'ze, was sehr frei übersetzt soviel bedeutet wie, der Müsli-Riegel der ausdauernden Krieger, hat deine Tochter gesagt. Dieser Riegel wurde damals wohl getrocknet und wurde auf Kriegszügen mitgeführt, wie Astronautennahrung, oder wie Superfood."

Daniel lächelt. "Die alten Peruche waren da schon erfinderisch. Wir verstehen nur nicht, warum dieses Wissen bei späteren Hochkulturen offenbar in Vergessenheit geraten ist. Die Inkas und die Maya haben diese Pflanze nicht mehr kultiviert. Naja, wer weiß, vielleicht hatte das kultische Gründe, vielleicht wurde das später sogar als böser Zauber verstanden. Deine Tochter Chénoa hat auch keine Erklärung für dieses Vergessen."

Leon staunt. "Ich kenn' natürlich das Projekt der Terrassenanbauten, aber ich hab' gedacht, dass dort überwiegend Mais, Bohnen und Kartoffeln angebaut werden. Ich weiß, dass diese Produkte, und noch ein paar andere, wie z.B. Kürbisse und verschiedene Nüsse, an unsere südamerikanischen Werke verkauft werden. Die Organisation hab' ich aber immer meiner Tochter überlassen. Sie hat da unten ja die Federführung."

Daniel nickt. "Ist aber so. Natürlich gibt's auch Kartoffeln, Mais und Kürbisse, und noch ein paar andere Dinge, wie Bohnen, Physalis und diverse Knollen, die wir schon seit ein paar Jahren in unsere südamerikanischen Menüs einbauen. Das ist kein Geheimnis. Zunächst haben wir das Huẽ-Chee'ze auch nur zu Versuchszwecken angebaut. Inzwischen haben wir regelmäßige Ernten, weil das schnellwachsende Büsche sind, mit Früchten, die relativ einfach geerntet werden können, und die auch essbar sind. Sehr aromatisch übrigens. Sehr saftig. All diese Pflanzen sind genau genommen die Basis unserer neuen Produkte. Wir müssen den Mitbewerbern nur nicht auf's Brot schmieren, was wir da machen, und wie wir das genau machen." Er grinst. "Technologischer Fortschritt entscheidet darüber, ob ein Unternehmen die Führung im globalen Kräfteverhältnis übernehmen und auch behalten kann, oder nicht. Jedenfalls ist das in unserem Bereich ziemlich sicher."

Er ergänzt: "Außerdem gibt es da noch einen Urwaldriesen, 50-70m hoch. Der hat Hülsenfrüchte, ähnlich wie Stangenbohnen. Sehr nahrhaft. Die Affen und die Vögel lieben das. Da wissen wir nur nicht, wie wir den auf Terrassen züchten sollen, und für die Ernte bräuchte man eine enorme Manpower, das wäre völlig unwirtschaftlich. Nakoma kennt diese Bohnen aus seiner Kindheit. Er sagt dazu Ha'cuantara. Die Indios sind damals schon in die Bäume geklettert und haben diese Früchte geerntet."

"Viel bessere Erfahrungen haben wir mit Stevia gemacht. Einer Pflanze, die im Urwald von Paraquai und Brasilien gedeiht, und die schon früher bei den Indios als Süßstoff verwendet wurde. Sie wird dort als ka'a he'ẽ bezeichnet. Wir verwenden sie schon seit längerem als Zuckerersatz. Ist viel gesünder als Rohrzucker oder der Zucker aus der Zuckerrübe."

Leon nickt. Das weiß er.

Daniel schließt seinen Vortrag: "Ohne deine Tochter und ohne deinen Sohn Nakoma hätten wir das meiste nicht hingekriegt, und die Kinder von Nakoma sind im Entdecken und Analysieren von pflanzlichen Kulturen und Substanzen mindestens so genial wie ihr Vater. Deine Enkelin Ana Théla ist eine dieser Genies. Sie hat in den letzten Jahren viele Pflanzen aufgespürt, die wir schon als verloren geglaubt haben, obwohl wir aus frühen Aufzeichnungen der Indios wissen, dass es sie einmal gegeben hat. Ana Théla ist heute erst 18, da wird noch einiges auf uns zukommen. Mein Labor war nur für die Herstellung einiger weniger Zusatzstoffe, wie Bindemittel, Farbe und Geschmack verantwortlich, und naja, auch die Aufbereitung der Faser und die Mixtur, also die endgültige Zusammensetzung unseres neuen Veggi-Fleisches und unserer Gemüsepfannen, und auch des Geheimnisses, warum das Veggi-Fleisch einmal nach Huhn, zum andern nach Rind usw. schmeckt. Und schließlich mussten wir garantieren, dass das vermeintliche Blut im Rindfleisch beim Durchgaren seine Farbe verändert, fest wird, und nicht mehr aus dem Fleisch herausfließt, anders als bei "rar" oder "medium rar". Man darf unsere eigene Leistung nicht kleinreden."

 

Er fährt fort, "deine Tochter und Nakoma haben ursprünglich nur die langfristig gesicherte Ernährung der südamerika-nischen Indios im Auge gehabt, aber das hat sich schnell verselbständigt. Naja, Sie haben das Terrain schon lange ihrer Tochter überlassen, aber Sie haben das Projekt seinerzeit ja angeregt. Wenn alles klappt, können wir daraus in Zukunft flächendeckend auch weitere Gemüsesorten und Frühstücksflocken anbieten, aber dann brauchen wir noch viel mehr Anbauflächen. Vorerst haben wir dafür noch nicht die Kapazitäten. Ganz im Gegenteil. Es gibt noch Lieferprobleme für das Veggi-Fleisch. Die weltweite Produktion können wir damit noch lange nicht abdecken, nicht mal die Produktion für Nordamerika. Also haben wir uns entschieden, zunächst nur das Schaffleisch für den US Markt vegetarisch herzustellen, und später Steak, Huhn und Truthahn nachzuschieben. Leider. Darum kümmert sich Chénoa Maria, und ich hoffe, dass sie uns in den nächsten 2-5 Jahren grünes Licht gibt. Dann revolutionieren wir den Markt." Er lacht unwillkürlich laut auf. "Das wird der Kracher."

Leon ist zwar ständig mit seiner Tochter vernetzt, aber sie hatte es verstanden, das selbst vor ihm geheim zu halten. Er staunt, denn ihm entgeht in seiner Firma fast nichts, aber er fasst sich schnell. „Da hat meine Tochter wohl einen Alleingang hingezaubert." Er sieht, wie Daniel grinst, dann ergänzt Leon in einer seiner typischen schnellen Entscheidungen: "Gut. Wenn die Produktion gesichert ist, wenn das Produkt biologisch sauber ist, und wenn meine Tochter ihr OK gegeben hat, dann bin auch ich einverstanden, aber du gibst mir die Daten jetzt komplett und wie immer offline auf den Rechner. Deine übrigen Vorschläge habe ich gelesen. Mir geht's zunächst nur um die neue US-Linie. Lass uns die Produktion in Mexiko anschieben. Die Kalkulation wird noch mal durchgerechnet, aber das scheint bisher alles in Ordnung. Chénoa wird das federführend übernehmen. Wenn sie uns das eingebrockt hat, soll sie auch die Verantwortung dafür übernehmen."

Er lächelt verschmitzt, "gegen den Mehrprofit aus der Marge des vegetarischen Schaffleischs hab ich nichts. Die Marge müssen wir auch nicht an den Verbraucher weitergeben, solange darüber nicht öffentlich spekuliert wird. Lass uns also in den großen Städten im Norden beginnen, in New York, Chikago und den anderen Metropolen, dann gehen wir in den Osten, dann in den Westen und schließlich nach Florida und den Süden der USA. Die Einzelheiten sind ja abgesprochen. Die Tonnagen sind ungefähr bekannt. Begleite die ersten Lieferungen mit weiteren Tests. Es kann ja sein, dass die Chicago Kids einen anderen Gaumen haben, als die New Yorker, oder die Leute in LA. Um den rechtlichen Rahmen zu gewährleisten, werden wir das Schaffleisch im Kleingedruckten aber als rein pflanzliches Fleisch deklarieren. Vielleicht ergibt sich daraus im nächsten Schritt sogar ein sehr gutes Verkaufsargument, aber nicht gleich, und vor allem nicht bei den Fleisch-Fexen in den USA.“

Daniel nickt. "Haben wir schon eingeplant. Deine Tochter hat vorgeschlagen, das Fleisch zunächst nur für Europa und Asien auf dem Label deutlich als vegetarisch zu kennzeichnen, sonst nur im Kleingedruckten, sobald sie liefern kann. Wir haben auch Ihre Briefings aufmerksam gelesen. Vielleicht kriegen wir ja sogar mal ein Gütesiegel für unser Produkt, das wäre für uns wie ein Adelstitel." Er grinst breit. "Vorerst sollten wir das nicht an die große Glocke hängen, meint Chénoa Maria.“

Die Tür geht auf und Leons Assistentin kommt rein. „Telefon Chef, Ihre Enkelin.“ Sie gibt ihm ein kabelloses Telefon. Leon hat zwar sein eigenes Smartphone und er ist generell darüber erreichbar, aber zu wichtigen Meetings schaltet er dieses Ding immer aus, und auch dann, wenn er nicht geortet werden will. Mit diesen Geräten bist du durchsichtig geworden, wie Glas. Leon ist nicht technikfeindlich, das kann er sich in seinem Job auch nicht leisten, aber er war in einer Zeit groß geworden, wo die Face-to-Face-Relations noch nicht durch die ständige Abrufbarkeit durch Smartphones gestört wurden. Diese Technik ist wirklich gefährlich. Jede Reiseroute, jedes Gespräch, jeder Internetkontakt und jedes SMS kann durch Dritte minutiös nachverfolgt werden, wenn man dieses Ding hackt. Darauf kann Leon in seinem Job wirklich verzichten, und er hat auch Anweisung an seine engsten Mitarbeiter gegeben, den Gebrauch rigoros einzuschränken. Mit seinen Kindern kommuniziert er in wichtigen Angelegenheiten nur noch drahtlos über seinen Energiestrom, der für niemanden sonst sichtbar ist, als für seine leibliche Familie.

„Ja?“, sagt Leon, und dann, mit einem schnellen Seitenblick zu Daniel, „oh, Ana Théla, schön, dich zu hören. Ja, ich hab Zeit für dich. Du willst nach Deutschland kommen? Ob du bei mir wohnen kannst? Ja, wo? Berlin oder Sachsen-Anhalt? Sachsen-Anhalt? Na sicher. Weißt du, wie du herkommst? Chénoa bringt dich? Heute Abend schon? Ja klar. Kommt her, ich freu' mich.“

„Wenn man vom Teufel spricht“, lacht er Daniel an. „Dann kannst du deine deutschen Freundinnen gleich mal aus deinem Bett werfen. Chénoa Maria kommt nachher mit meiner Enkelin, und ich kann mit meiner Tochter und Anna Théla mal direkt über diese Neuigkeiten sprechen.“

Auch Daniel lacht. „Müssen sie wohl geahnt haben, dass wir von ihnen reden. Sie haben ja immer solche besonderen Antennen.“

3.

Leon hat auf dem Werksgelände eine komfortable Wohnung. Für ihn ist das praktisch. Das erlaubt kürzeste Wege, und die Wohnung steht unter dem Schutz seiner Wachleute. Er kann von hier aus ungesehen in die USA, nach Frankreich oder Südamerika springen, wo er gerade gebraucht wird. Kein Flieger, kein Einreisevisum, keine Aufenthaltsbescheinigung, keine Warteschlange und auch keine Flugverspätung. Seine geheime Kraft, den Raum zu überwinden, macht ihm das möglich. Das ist eines der Geheimnisse des Erfolges von Mac Best Food. Das und die geheime Rezeptur, die Daniel damals erfunden hatte. Sie wird all den Tiefkühlgerichten und den Soßen beigemischt, ob in Europa, den USA oder in Südamerika. Sie war es, die seine Burgerkette auf Platz eins aller Schnellimbiss- und Restaurantketten weltweit hochkatapultiert hatte. Das, ein geschicktes Management und ein paar gute Freunde seiner Tochter, die ihm damals das Geld vorgeschossen hatten, um die amerikanische Burgerkette zu übernehmen. Das ist jetzt zwölf Jahre her.

Als Leon an diesem Abend in seine Wohnung kommt, wird er von Bratengeruch empfangen.

Seine älteste Tochter Chénoa Maria und Ana Théla sind schon da. Er hört sie in der Küche lachen. Er stellt die Tasche mit den Unterlagen ab, die er heute noch prüfen will, und schaltet das Smartphone aus, das ihn jetzt nur stören würde. Dann geht er in die Küche.

„Oh Opa“, wird er begrüßt. „Schön, dass du kommst. Wir haben Hammelfleisch und Reis mit Gemüse und Salat. Das isst du doch?“

„Opa, Opa“, beschwert sich Leon. „Mach mich nicht älter, als ich bin. Du weißt, dass du mich nicht so nennen sollst.“

„Ach Opa“, meint Ana Théla und fällt ihm um den Hals.

Leon hält sie auf Armeslänge von sich. Er hat Ana Théla schon länger nicht geseh'n. Er ist zwar immer wieder mal in Peru, aber er hat nie viel Zeit. Schließlich will er dort vor allem seine Frau besuchen, die Mutter von Chénoa Maria. Dieses Verhältnis ist immer noch, wie vor dreißig Jahren. Sie lieben sich, auch wenn sie sich nicht sehr häufig sehen. Im Winter geht er regelmäßig mit Mila auf Reisen, wenn sie Vorträge und Seminare in den amerikanischen Städten und in Europa hält. Sie gilt als die Kapazität schlechthin für die indianische Geschichte Südamerikas, und sie ist im Winter ständig unterwegs zu Vorträgen, auch im Rahmen von Ausstellungen über die Ausgrabungen. Sie haben Mila in der Welt der Geschichtsschreiber berühmt gemacht.

Ana Théla ist die zweitälteste Tochter seines Adoptivsohnes Nakoma, der nur knapp vier Jahre jünger ist als sein Adoptivvater. Allerdings hat sich Nakoma mit dem Kinderzeugen deutlich mehr Zeit gelassen, als sein Adoptivvater. So ist Ana Théla gerade 18 geworden und sie ist bildhübsch. Eine Mischung aus Indio und der energievollen dunkelhaarigen spanischstämmigen Peruanerin, die ihre Mutter ist. Sie hat schwarz-braune lange Haare, ähnlich wie seine älteste Tochter Chénoa, sie hat diese zarte goldbraune Haut der Mestizen, und die weichen Züge der Jugend.

Chénoa drückt Ana Théla den Kochlöffel in die Hand und meint. „Sieh mal nach dem Fleisch und dem Gemüse, und auch ein bisschen wenden und rühren.“

Sie umarmt ihren Vater. Leon drückt sie vorsichtig an sich. Chénoa ist jetzt 28, und sie ist im fünften Monat schwanger. Sie stehen eine Weile da und genießen die gegenseitige Wärme. Dann meint Leon mit einem Blick auf die Pfanne. „Ich hoffe, es gibt heute richtiges Fleisch und nicht dieses Veggi-Zeugs.“

Chénoa lacht. „Hat Daniel dich also schon kosten lassen? Ist wirklich gut, was?“ Leon droht leicht mit dem Finger. „Du hättest mich informieren sollen.“ Chénoa schüttelt den Kopf. „Wenn’s nichts geworden wäre, dann hätten wir das Zeugs eingestampft. Jetzt wissen wir, dass die Leute begeistert sind, und dass da noch viel mehr Potenzial drinsteckt. Du bist für das große Ganze zuständig, aber du musst nicht jeden einzelnen Schritt wissen, den wir in der Planung haben. Du erfährst schon rechtzeitig alles Wesentliche, du kannst dich auf deine Mitarbeiter verlassen.“

„Genug geschwätzt“, flötet Ana Théla. „Essen ist fertig.“ Wie alle Kinder und Enkel von Leon kann sie perfekt deutsch sprechen.

Leon hatte nichts zu Mittag gegessen und er schlägt jetzt richtig zu. Wenn er ernsthaft nachdenkt, so ist das Fleisch nicht besser als das, was Daniel ihm heute Mittag zu kosten gegeben hatte. Er hat keine Probleme damit, eigene Fehler einzugestehen.

„Ich muss euch ein großes Lob zollen. Euer pflanzliches Fleisch ist wirklich große Klasse. Wenn ihr mir das heute vorgesetzt hättet, ich wäre genauso zufrieden gewesen. Also nun mal ehrlich. War das jetzt Veggi oder Hammel?“ Dann ergänzt er, "... und Mila? Die hat das mit dem Anbau eurer neuen Produkte in den Anden doch sicher gewusst, und mir nichts gesagt?"

Ana Théla ist brottrocken, als sie sagt, "Opa, in Wirklichkeit haben wir Hundefutter genommen. Chénoa hat gesagt, sie würzt das so ab, dass selbst du keinen Unterschied merkst. Ein kleiner Test deiner Geschmacksnerven. Im Vertrauen. Das war erstklassiges Fleisch, aber es war eben nur Hundefutter. Jetzt darf ich dir das sagen."

Leon schaut irritiert, aber bevor er böse wird, verzieht er das Gesicht zu einem Grinsen, und er haut Ana Théla leicht in die Seite.

Ana Théla lacht. “War wirklich Hammel. Chénoa hat’s vom Türken in Berlin. Wir haben einen kurzen Umweg gemacht, um Katharina Hallo zu sagen. Chénoa meint, deine Kathy sollte aus erster Hand erfahren, dass ich einen Anschlag auf dich vorhabe.“

Chénoa ergänzt, "Papa, entschuldige. Mama und die Kinder von Nakoma waren in der Entzifferung der Tontafeln federführend. Es war meine Entscheidung, das Forschungsprojekt Veggi-Fleisch unter Verschluss zu halten, und ich habe dabei die Unterstützung des Ministerpräsidenten gehabt. Gottlob muss der ja nicht aus wahltaktischen Gründen jeden vermeintlichen Erfolg seiner Landespolitik an die große Glocke hängen. Wir wollten mögliche Nachahmer an der illegalen Rodung und dem illegalen Anbau hindern. Unser Veggi-Rezept wird vorerst auch ein Geheimnis bleiben. Das gilt natürlich nur für unsere neuen Pflanzen, aus denen wir unsere Veggi-Linie herstellen, nicht für die verschiedenen alten Sorten von Gemüse, die bereits seit Längerem wieder auf Terrassen kultiviert werden. Das letztere ist allgemein bekannt, und in vielen Forschungsberichten nachzulesen. Du weist das. Terres des Hommes hat an dieser Entwicklung ja einen entscheidenden Anteil, um die kleinbäuerliche Produktion zu stärken. Wir arbeiten mit denen Hand in Hand. Du hast das Projekt seiner Zeit angeregt, aber du hattest dann keine Zeit mehr, um dich mit fachlichen Einzelheiten aufzuhalten. Bei mir ist das anders. Ich bin schließlich seit zehn Jahren für Südamerika zuständig."

Sie ergänzt: "Was die neuen Pflanzen für unser Veggi-Fleisch angeht, haben die Kooperativen ausschließliche Lieferverträge mit unserer Firma, und das ist auch gut so. Schließlich finanzieren wir dieses Projekt, und wir garantieren den Kleinbauern faire Preise, von denen sie ihre Familien ernähren können. Natürlich ist es so, dass sich die Sache in Südamerika in einigen Fachkreisen bereits herumgesprochen hat, und die Regierung hat Anträge von vielen Firmen, sich an diesen neuen Terrassenanbauten zu beteiligen. Industriell ist dieser Anbau aber nicht zu bewerkstelligen. Das hat aus unserer Sicht Vorteile, weil es Investoren abschreckt, die nur den schnellen Profit im Auge haben. Wir haben auch einen eindeutigen Vorsprung im Know How, der soviel Abstand schafft, dass uns etwaige Konkurrenten nicht gefährlich werden können. Naja. Noch nicht. Übrigens: auch Katharina hat Bescheid gewusst. Sie ist da schließlich für den Haushalt der Stiftung verantwortlich, und sie hat immer wieder Forschungsgelder bewilligt."

 

Erinnern wir uns: Katharina ist nicht nur die "Frau" von Leon in Berlin, sondern auch eine der Aufsichtsratsmitglieder und Direktoren der Stiftung Kultur & Kommunikation, die wiederum die Eigentümerin von Mac Best Food und von anderen Unternehmungen ist. Dann gibt es noch seine "zweite Frau" Mila in Peru, von der Chénoa Maria abstammt. Ethisch mag das vielleicht bedenklich sein, aber sowas wird immer wieder praktiziert, und auf dem Papier ist Leon sowieso nicht den beiden Frauen verheiratet, auch wenn er alle seine unehelichen Kinder adoptiert hat.

Er macht eine Handbewegung, „ich bin ganz Ohr.“

Ana Théla mischt sich wieder ein, „also. Ich habe jetzt mein Abitur. Jetzt sind Sommerferien und ich will in Deutschland anfangen Chemie, Biologie und Botanik zu studieren, und als Nebenfächer auch Bakteriologie und Virologie belegen. Zuerst mal hier und nach dem Vorexamen in Cambridge/England. Chénoa hat mir geraten, mich bei euch ein wenig einzunisten und ein Dreimonats-Praktikum zu machen. Das macht sich für die Aufnahme gut. Sie meint, euer Chefchemiker könne mir ein wenig unter die Arme greifen, auch wenn die Nahrungsmittelchemie nur ein Teilgebiet meines Interesses ist. Ich kenn' ihn ja schon eine ganze Weile. Ist ein guter Mann.“

„Da hast du ja ein gewaltiges Pensum vor." Leon legt den Kopf schief und sinniert. "Ich bin mir sicher, du wirst das schaffen. Also, unter die Arme? Soso.“

„Papa“, meint Chénoa. „Du weist schon, dass das nicht wörtlich zu verstehen ist. Daniel sollte sich hüten. Da verstehe ich keinen Spaß. Katharina meint übrigens, dass sie Ana Théla mein Zimmer gibt. Wenn sie hier ihr Praktikum macht, kann sie die Wochenenden nach Berlin springen und ein bisschen von unserem Musikzentrum erleben. Also. Kann sie hier wohnen und bei Daniel ein Praktikum machen?“

Leon kennt die Fähigkeiten von Ana Théla. Sie ist von seinem Adoptivsohn längst in all diesen Kräutern und Tinkturen unterrichtet worden, die Nakoma da immer aus dem Urwald holt, um seine Medizin zu mischen, die er für seine Heilpraktikertätigkeit braucht. Er weiß, dass Ana Théla sehr diszipliniert arbeitet, und ihrem Vater immer eine gute Stütze ist. Sie hat auch schon etliche eigene Projekte angeregt und begleitet, trotz ihres jungen Alters. Was besseres kann ihm nicht passieren. Er kennt den Umfang ihrer Energie, denn er ist über seine Energieströme mit allen Kindern von Nakoma vernetzt, und natürlich auch mit seinen eigenen leiblichen Nachkommen.

Er nickt. „Klar doch. Chénoa kann das Dan nachher sagen, wenn sie ihn besucht.“ Chénoa schaut ihn fragend an, und Leon meint nur. „Er wartet sicher schon auf dich. Eigentlich habe ich heute noch ein paar Unterlagen zu studieren, aber ich werde mich mit Ana Thèla ein wenig zurückziehen und mir ein bisschen was erzählen lassen. Ihr habt da in den letzten Jahren ein paar Dinge in Gang gesetzt, über die ich nur unzureichend informiert bin.“

„Du meinst die Sache mit den Großgrundbesitzern im brasilianischen Regenwald?“ Leon nickt. „Auch das. Ich weiß einfach zu wenig. Das fällt schließlich in das Ressort meiner Tochter, und ich bin in dieser Sache leider auch sehr unzureichend informiert worden.“

„Papa“, beschwichtigt Chénoa. „Bitte nicht böse sein. Ana Théla und ihre Geschwister waren an dieser Sache schon seit mehreren Jahren dran, immer ohne einen durchschlagenden Erfolg. Sie waren damals noch sehr jung und naiv. Nakoma hat sie einfach machen lassen, aber er hat sie in dieser Angelegenheit nicht wirklich begleitet und gefördert. Er hat genug am Hals. Deshalb habe ich mich eingemischt. Jetzt haben wir endlich ein befriedigendes Ergebnis. Aber es gibt da noch ein paar Dinge, die wir besprechen müssen. Irgendwann in den nächsten Tagen, in Berlin, zusammen mit Mama, Roy und Spek. Das soll dir Ana Théla nachher erzählen. Ich ziehe mich zurück und besuche jetzt Daniel. Morgen bin ich in Berlin. Abends bin ich wieder hier. Ich will Daniel ein paar Nächte lang genießen.“

4.

Chénoa ruft kurz bei Daniel an. „Jaja, er erwartet sie sehnsüchtig.“

Sie kennt Daniel nun schon seit ihrer Zeit in Berlin. In jungen Jahren war sie zwei Jahre in Charlottenburg zur Schule gegangen. Seit damals hat sie ein lockeres Verhältnis mit Daniel. Er war ihr verfallen, aber er hatte begriffen, dass er sie nie ganz besitzen würde, und er hatte sich arrangiert. Sie gehen weiter zusammen ins Bett, immer wenn sie sich sehen. Mal auf Reisen, mal in Südamerika, mal in Deutschland. Sie weiß, dass Daniel hier einige Freundinnen hat, aber wenn Chénoa da ist, schmeißt er alle raus. Die räumliche Trennung ist natürlich groß, und so geht jeder seine eigenen Wege. Wenn sie sich zufällig treffen, so wie jetzt, oder wenn sie sich verabreden, dann gibt es jedes Mal ein Fest der Liebe. Eine Heirat mit einer anderen Frau hat Daniel stets abgelehnt. Er hat als Chefchemiker genug zu tun, sieht gut aus, verdient gut, und kann sich seine Freundinnen aussuchen. Inzwischen hat Chénoa ihm auch einen Teil ihrer Kraft zur Verfügung gestellt. Die Gefahr, dass er blind in irgendeine Liebesfalle tappen wird, nur um ihn und seine geheimen Rezepte auszuspähen, ist äußerst gering. Dafür hat Chénoa gesorgt.

Daniel hat schon gehört, dass Chénoa von einem anderen Mann schwanger ist. Für ihn ändert sich dadurch nichts, und er ist in dieser Nacht sehr vorsichtig. Er befühlt ihren Bauch. Er fragt, ob er ihr nicht wehtut, wenn ..., „nein, nein“, meint Chénoa, „ich brauche dich. Du glaubst nicht, was so eine Schwangerschaft an sexuellen Gelüsten entstehen lässt.“

Es ist nicht sein Kind, aber das ist ihm völlig egal. Er liebt diese Frau.

„Ach“, meint Chénoa später in der Nacht. „Da ist noch etwas. Du bekommst morgen eine Praktikantin. Ja, du denkst dir schon, wer das ist? Du denkst richtig. Meine Nichte Ana Théla. Sie wird bei Papa wohnen. Wenn du sie anrührst, dreh ich dir den Hals um. Haben wir uns verstanden?" Er weiß schon, dass dies nicht wörtlich zu verstehen ist, aber Daniel hat keine Ambitionen auf einen Streit mit Chénoa.

5.

Während Chénoa und Daniel sich in ihre Liebe stürzen, flötzt sich Leon mit Ana Théla in die bequeme Couchgarnitur.

„Lass uns ein bisschen erzählen.“

Sie stellen das Radio leise, das Leon zur Sicherheit regelmäßig auf eventuelle Wanzen untersuchen läßt, und Ana Théla beginnt:

"Du weißt, dass man deiner Tochter nicht einfach in den Kopf sehen kann, wenn sie das nicht will. Auch Paco und ich können einen solchen Schutzring um uns legen. Wir haben uns bei einigen Projekten völlig abgeschottet, um das Wissen um bestimmte Vorgänge selbst vor der Familie zu verheimlichen. Deshalb will ich einfach mal erzählen, um dich auf den neuesten Stand zu bringen. Wenn dir einige Einzelheiten schon bekannt sind, macht das nichts. Es geht um das große Ganze, und deshalb hole ich ein wenig aus."