Der Clan der Auserwählten

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Leon nickt. Das zeichnet diese Kinder als zukünftige Führer des Clans aus. Er selbst hat auch diverse Geheimnisse, die er für sich behalten will. Nur vor Chénoa kann er nichts verbergen. Sie kann ihm in den Kopf kriechen, wann und wie oft sie will. Niemand kann das so gut wie Chénoa.

Ana Thela fährt fort, "Papa hat mich zum ersten Mal mit in den Urwald genommen, da war ich fünf. Wir haben uns in Adler verwandelt und sind den ganzen Weg bis ins Amazonasgebiet geflogen. Papa wollte mir den Regenwald aus der Luft zeigen. Dort wo wir geflogen sind, war der noch intakt. Ein unendliches Meer aus Grün. Manchmal verborgen unter dichten Regenwolken. Schließlich sind wir an einem See gelandet. Da hatte Papa schon lange ein Baumhaus, das wir erst wieder in Schuss bringen mussten, weil solche Häuser im Urwald wenig Überlebenschance besitzen, wenn man sie nicht ständig pflegt. Dann ist Papa mit mir zurückgesprungen, hat eine große Tasche mit Flaschen, Mörsern, Tiegeln und Töpfen gepackt und ist mit mir wieder zu diesem See gesprungen. Papa hat mit mir Blätter, Wurzeln, Rinde und Früchte gepflückt. Wir haben Ameisen, Kröten und Giftschlangen gemolken. Wir haben Beeren entsaftet. Wir haben Bäume angeritzt, und den Lebenssaft aufgefangen. Wir haben alles beschriftet, in unsere Gefäße gepackt, und sind wieder nach Hause gesprungen. Dort haben wir alle diese Dinge noch einmal aufbereitet, und verfeinert, und Papa hat mir gezeigt, wie er Medizin daraus macht. Seit dieser Zeit war ich noch oft in unserem Baumhaus."

Leon nickt, Ana Théla seufzt. "Es war eine glückliche Zeit. Manchmal sind wir zu dritt oder zu viert geflogen. Papa wollte uns diesen Urwald von oben zeigen, so wie ihn die Adler sehen. Später sind wir auch in andere Gebiete vorgedrungen, und da habe ich zum ersten Mal diese gewaltigen Brände gesehen, die entstehen, wenn der Regenwald angezündet wird. Ich habe diese Plantagen gesehen. Mais, Raps, Hanf, und anderes, auch die illegale Abholzung, die Goldgräberei und die Suche nach Öl und anderen Bodenschätzen.

Das Saatgut ist importiert. Es gehört nicht hierher. Es ist genmanipuliert. Es verdrängt andere Pflanzen. Zum Auswaschen von Gold wird Quecksilber genutzt. Das verseucht die Böden und lässt die Tiere sterben. Ich habe die gewaltigen Bewässerungsanlagen der Plantagen geseh'n und ich habe geseh'n, wie ganze LKW-Ladungen abtransportiert worden sind. Nach drei Jahren sind die Böden ausgelaugt. Manchmal bleiben riesige Krater zurück. Die Reste von fruchtbaren Böden sind von dem ständigen Regen weggewaschen, und zurück bleiben faulende und stinkende Flächen, die zu nichts mehr zu gebrauchen sind. Wär' ja alles nicht so schlimm, wenn der Urwald wieder zuwachsen würde. Tut er aber nicht. Die fruchtbare Erde ist mit dem Amazonas ins Meer geflossen. Ohne Humus kein Wachstum. Die Reste von Wurzeln faulen. Es entstehen Microorganismen und Algen, die in großen Mengen Methangas, Lachgas und Stickoxide freisetzen. Die Faulgase steigen in die Luft. In diesen Gebieten gibt es kein Leben mehr. Keine Falter, keine Vögel, keine Säugetiere. Nichts. Es sind Todeszonen."

Sie seufzt, "die Männer der Patrones sind längst weitergezogen und die nächsten Flächen sind in Flammen aufgegangen, nur um nach drei Jahren wieder verlassen zu werden. Man macht sich oftmals nicht mal die Mühe, die Bäume zu roden, und das Holz zu verwenden, denn das kostet Zeit, und die Barone haben bei solch kurzen Anbauzyklen keine Zeit zu verschwenden, weil sie mit Raps und Mais viel mehr verdienen als mit Holz. Bei den Bränden kommen auch alle Tiere um, die dort leben, und alle die wertvollen Pflanzen werden ausgerottet, die wir für unsere Medizin brauchen. Seit das Rapsöl gewonnen wird, um als Benzinzusatz zu dienen, haben sie in großem Stil den Wald verbrannt. Die Nachfrage hat die Preise in die Höhe getrieben. Das war ein lohnendes Geschäft. Inzwischen sind das Flächen, zehn mal so groß, wie Deutschland. Du weist selbst, wieviele Millionen Tonnen Gas das jährlich sind."

Sie schweigt betreten und traurig. Dann fährt sie fort, "der Urwald ist zwar nur sehr dünn besiedelt, aber natürlich leben dort Menschen. Diese Großgrundbesitzer haben die Indios am Amazonas vertrieben, zwangsumgesiedelt, oder mit Stromerzeugern, Farbfernsehern und befristeten Arbeitsverträgen bestochen. Die Armut in diesen Gebieten ist traditionell groß, das spielt den Bossen in die Hände. Wer sich nicht freiwillig untergeordnet hat, der wurde Opfer der schwarzen Garden, dieser brutalen Geheimkommandos. Männer und Kinder wurden einfach ermordet. Die Frauen sind vergewaltigt, und dann zu Liebesdiensten gezwungen worden. Überall gibt es solche Bordelle für die Erntearbeiter und LKW-Fahrer. Die Natur wurde rücksichtslos ausgeplündert. Wir Indianer und Mestizen wissen das seit Jahren. Die Geschichten werden von Mund zu Mund weitergetragen.“

Sie schüttelt wütend den Kopf. "Der Sauerstoffgehalt verringert sich weltweit dramatisch, und das Ozonloch ist inzwischen gigantisch gewachsen. Du weist, dass der Meeresspiegel in den letzten 20 Jahren um fast zwei Meter angestiegen ist. Die Polkappen sind fast komplett abgeschmolzen. In Australien und auf Feuerland kommt es zu heftigen Hautverbrennungen durch die ungefilterten UV Strahlen. Dort ist die Krebsrate rasant angestiegen. Die Zustände am Amazonas haben diesen Prozess beschleunigt. Wir graben uns unser eigenes Grab.“

Ana Théla macht noch einmal eine kurze Pause, dann fährt sie fort, „die Geschwister und ich, wir waren entrüstet. Naja. Wir waren stinkesauer, aber wir waren noch sehr jung und unerfahren, und wir haben für unseren Protest die falsche Methode gewählt. Papa hat gesagt, dass wir unsere Fehler selbst machen müssen, um daraus zu lernen. Wir haben in unserem jugendlichen Aktionismus und mit Hilfe unserer Energie Hubschrauber in die Luft gejagt und Lastwagen verbrannt. Wir haben uns als Spinnen und Schlangen verwandelt und Vorarbeiter getötet. Wir haben uns alles mögliche ausgedacht, um diesen Irrsinn zu stoppen. Es hat alles nichts genutzt. Sie haben andere Arbeiter geschickt. Sie haben neue Hubschrauber und neue Lastwagen und neue Bagger und Planierraupen geschickt. Einmal haben wir eine dieser Pflanzer-Familien komplett ausgelöscht. Wir haben gedacht, dann ist Schluss. Irgendein entfernter Verwandter hat das Erbe angetreten. Er hat eine Gesellschaft gegründet, und die hat dort weitergemacht, wo die getötete Familie aufgehört hat. Wir waren wirklich verzweifelt. Wenn nicht einmal der Tod hilft, um das Elend zu stoppen, was dann? Die Gewinne waren immens, angetrieben nur durch die Gier und durch den weltweiten Nahrungsmittel- und Treibstoffbedarf. Die Rohstoffbörsen haben das ganze System immens angeheizt.“

Sie schüttelt den Kopf. "Die Patrones tun das ja nicht ohne ihre Abnehmer in den Industriestaaten. Sie tun das nicht ohne eine politische Lobby in der Regierung und in der Verwaltung und der Polizei. Das ist eine richtige Mafia. Es gibt da Gesellschaften, die sitzen in New York oder London, in Panama oder in Zürich. Die haben überall in der Welt ihre Niederlassungen. Sie machen überall schmutzige Geschäfte. Hauptsache, möglichst viel Gewinn. Wir haben die ökonomischen Zusammenhänge und Verflechtungen am Anfang nicht durchschaut. Da gehören ja ganze Stäbe von Ökonomen, Börsianern, Landvermessern, Geologen und verschiedenen Wissenschaftlern dazu, die da gutes Geld machen. Viele davon haben sich erst durch Abhängigkeiten in dieses System eingeklinkt. Schulden, Spielsucht, Arbeitslosigkeit, und für die Arbeiter auf der untersten Ebene ist das meist nicht anders. Sie wollen einfach nur überleben. Ehrliche Arbeit gibt es in vielen Regionen nicht, nicht in Brasilien und in vielen anderen Ländern auch nicht. Um zu überleben, nimmst du jeden Job an. Das ist eine Frage der fehlenden Infrastruktur und der politischen und sozialen Situation im Land. Die wirklich Reichen werden erst durch illegale Geschäfte wirklich reich. Sie sitzen irgendwo in ihren klimatisierten Büros, und haben den Regenwald noch nie gesehen, außer auf Bildern oder bei Google Map. Natürlich gibt es Umweltschützer. Natürlich gibt es die eine oder andere Polizeieinheit, die sich um den Schutz der Regenwälder kümmert, aber die sind unterbezahlt und unterbesetzt. Ihre Familien werden oft eingeschüchtert und bedroht. Wie willst du da auf Dauer überleben, selbst wenn du dich bis an die Zähne bewaffnest?"

Nach einer weiteren Pause fügt sie hinzu, "auch deine Tochter hatte immer andere Dinge zu tun. Sie hat manchmal mit Papa und mir gesprochen. Sie hat sich erzählen lassen. Sie hat den Kopf geschüttelt. Sie ist wieder gegangen. Dann hat sie irgendwann eingegriffen. Wir machen das jetzt anders, hat sie bestimmt.“

"Du weist, dass Chénoa ihre Kräfte auf ganz anderen Gebieten entwickelt hat, als wir Kinder von Nakoma. Wir haben uns um Pferdezucht gekümmert. Wir haben Heilpflanzen aufgespürt und Medizin gebraut. Papa hat hinter dem Haus ein großes Treibhaus bauen lassen, und ein Terrarium, in dem wir Ameisen, Kröten, Schlangen, Spinnen, Riesentausendfüßler, Blutegel, Mäuse, Falter und Käfer züchten. Wir brauchen das für unsere Medizin. So ist es uns gelungen zwei wirksame Heilmittel gegen Arthrose und Gicht zu finden. Wir haben sie synthetisch nachgebaut, und die werden inzwischen in Pacos Fabriken massenhaft hergestellt und weltweit vertrieben. Du weist das sicher."

Leon nickt, und Ana Théla fährt fort, "es gibt andere Heilmittel, die wir mit Sekreten von Giftschlangen oder Kröten herstellen, und die wir an Heilpraktiker abgeben. Das ist nicht nur unser Hobby, das ist auch ein sehr lohnendes Geschäft."

Sie lächelt. "Wir sind nicht auf Tiere und Pflanzen fixiert. In Absprache mit Chénoa und Clara waren wir stets vernetzt mit unserer Indiogemeinde in Ciudad del Sol. Wir haben in anderen Bezirken und in anderen Andenstaaten ein Netzwerk gegründet, in dem die Bürgermeister von Indiodörfern, Hebammen, Ärzte, Heilpraktiker, Rechtsanwälte und auch die alten Schamanen Hand in Hand zusammenarbeiten, um die Rechte der Indios zu verteidigen, und um die traditionellen Kulturwerte am Leben zu erhalten. Die Schamanen sind in diesem Prozess ganz wichtig. Sie haben den Spaniern jahrhundertelang widerstanden. Sie haben sich versteckt. Sie haben viele der alten Traditionen und Kenntnisse der Inkas bewahren können. Sie praktizieren immer noch den Sonnenkult, und sie organisieren heimlich Hochzeiten und Beerdigungen, rituelle Beschneidungen, Sonnwendfeiern, und sie sind auch sehr gut bewandert mit Sternenkunde. Sie geben ihre Kenntnisse nur von Mund zu Mund an ihre Nachkommen weiter, aber sie sind seit jeher ein Quell traditionellen Wissens. Viele Heilpflanzen und auch viele alte Pflanzenkulturen haben wir nur mit ihrer Hilfe entdeckt, und wieder kultivieren können. Chénoa weiß das. Sie hält seit langem Kontakt zu diesen Clans."

 

Leon nickt. Das große Ganze kennt er, aber nicht die Details, und Ana Thela fährt fort, „damals hat Chénoa schon diese Wissenschaftlerin gekannt, die aus Australien kommt, diese Dr. Bloomfield. Dort haben sie mit den Folgen der Klimakatastrophe schwer zu kämpfen. Vor ihrer Haustür liegt dieses riesige indonesische Inselreich. Das war einmal eines der waldreichsten Gebiete der Welt. Sieh dir Indonesien heute an. Ich habe die Luftbilder im Internet gesehen. Es ist zum heulen. Die haben gebrandschatzt, wo sie nur konnten, nur um Palmöl anzubauen, das so ziemlich für alles verwendbar ist. Margarine, Sonnencremes, Treibstoff ..., du weist das selbst nur zu gut. Die Orang Utans sind längst ausgerottet. Die meisten Schlangen, Spinnen, Vögel und Insekten auch. In den wenigen noch bestehenden Palmölkulturen wächst sonst nichts anderes. Für Tiere ist das kein Lebensraum. Der verfaulte Abfall stinkt zum Himmel. Sie können nicht einmal mehr Reis dort anbauen, weil sie in diesen Gasen ersticken. Diese Wissenschaftlerin hat sich seit Jahren mit diesem Problem beschäftigt und Chénoa hat sie eingeladen, sich unsere verkohlten Flächen anzuschauen. Sie hat dann lange mit ihrem Bruder Paco und seinen Technikern geredet. Vielleicht gibt es eine Lösung.“

Sie schüttelt wieder den Kopf. „Chénoa hat über ihre politischen Kontakte erreicht, dass sich die Regierung in Brasilien mit ihr zusammensetzt und sie hat sie mit ihrer Kraft „eingesummt“. Sie hat sich um Lobbyisten gekümmert. Sie hat Handelsverbindungen aufgezeigt, und Partnerfirmen aufgespürt. An der Küste haben sie jetzt immer mehr mit dem Hochwasser zu kämpfen. Mit Sturmfluten und diesen immer stärkeren Wirbelstürmen. Die Schäden gehen in die Milliarden. Das hat bei den Regierenden den Ausschlag gegeben. Gewiss. Sie brauchen Geld für Schutzmaßnahmen, sie sind als Politiker bestechlich, aber viele der Firmen im Amazonas haben ihre Steuern nie an an den Staat abgeführt. Ihre Firmensitze sind irgendwo in Panama oder in anderen Steueroasen. Die Regierung hatte letztlich einfach Angst vor noch größeren Zerstörungen in den Zentren an der Küste. Hafenstädte, Verwaltungen, Industrieunternehmen, die legal arbeiten, und für Arbeitsplätze sorgen. Nicht unbedingt nachhaltig, aber doch in Vereinbarung mit den Steuergesetzen des Landes. Man muss aber auch sagen. Nicht oft setzt sich die Vernunft durch. Chénoa hat dieses Wunder hinbekommen.“

„Chénoa hat die Politiker überzeugt, dass das Ozonloch nicht noch weiter vergrößert werden darf. Sie haben kurzerhand ein Verbot ausgesprochen. Der Wald darf nicht mehr angezündet werden. Mehrere Großgrundbesitzer haben dagegen verstoßen und sind zu hohen Strafen verurteilt worden. Geld und Gefängnis. Andere haben illegal weitergemacht. Chénoa hat sich Listen geben lassen von den Adressen all dieser Großgrundbesitzer und der Gesellschaften, dann hat sie uns losgeschickt, um die Lage zu erkunden. Wir haben sie dann geholt, und Chénoa hat die Familien systematisch eingesummt. Sie wurden willenlos und gehorchen heute noch Chénoas Befehlen. Deine Tochter hat da eine echte Meisterleistung hinbekommen. Sie hat uns auch gezeigt, wie sie das macht. Wir konnten das ja schon immer ganz gut, aber nur im Kleinen. Chénoas Kraft auf diesem Gebiet ist wirklich beeindruckend. Sie kann die Gedanken dieser Menschen aus großer Entfernung lesen. Sie kann sie steuern, wie ferngelenkt. Wir haben viel von ihr gelernt. An die Kraft von Chénoa sind wir aber bis heute nicht rangekommen. Unsere Begabungen liegen eindeutig auf anderen Gebieten. Warum das so ist, wissen wir auch nicht. Es war lange Zeit, wie eine Art Mauer, in der nur eine Tür für Chénoa ist, durch die sie schreiten kann, nach Belieben. Kurz. Chénoa hat erreicht, dass es da keine Bestechungen, keine Vorteilnahme und keine Erpressungen von Politikern mehr gibt."

Sie schüttelt sich ärgerlich und enttäuscht, und fährt fort, "dabei gibt es andere Lösungen als diese rücksichtslose Ausplünderung. Es gibt da eine große Firma, die einmal von einem Deutsch-Brasilianer gegründet worden ist. Sie ist sehr innovativ. Sie entdeckt neue Rohstofflager und beutet sie aus. Etliche davon liegen im Urwald, doch die Rodungen sind geringfügig. Sie machen das schon seit drei oder vier Jahrzehnten so. Du kennst die Firma sicher.“

Leon nickt. „Global Resource Company. Greenpeace hat den Mann mal als Industriellen des Jahres ausgezeichnet. Ich kenne den Mann.“ Was er nicht sagt, dass er selbst Alfons da Silva für diese Auszeichnung vorgeschlagen hatte.

„Ja. Global Resource Company. Sie gehen anders vor. Sie roden ein Stück Wald. Sie benutzen keine giftigen Substanzen, wie z.B. Quecksilber. Wenn die Resourcen ausgeschöpft sind, lassen sie die Gruben mit Grundwasser volllaufen, leiten einen Fluss um, so dass der entstandene See mit Fließwasser verbunden ist, und verabschieden sich. Durch das Fließwasser haben Algen keine Chance. Die Seen sind bald voller Fische. Die Vögel entdecken die Seen für sich, als Nistplätze und als Jagdgebiet. Sie bedecken die Gegend mit Kot und mit ausgespuckten Kernen, und der Urwald holt sich das Gebiet zurück. Chénoa hat erreicht, dass die Global Resource Company weitere Lizenzen bekommen hat, um im Amazonasgebiet zu schürfen, wenn sie nachhaltig arbeiten. Der Staat nimmt dadurch viel Geld ein, das er braucht, um Hochwasserprogramme zu finanzieren, wie etwa Deiche und Schleusen an den Küsten. Inzwischen gibt es auch eine wirklich handlungsfähige Task Force. Eine Amazonas Umweltpolizei, die mit Hubschraubern, Nachtsichtgeräten, Computern und allem möglichen Hilfsmitteln ausgestattet ist. In Brasilia arbeitet eine ganze Gruppe von Wissenschaftlern an der Auswertung von Bildern, die von Satelliten herstammen. Das kostet viel Geld, aber es ist wirksam. Wir haben die illegalen Rodungen im Amazonas inzwischen weitgehend unter Kontrolle. Chénoa hat auch für Programme gesorgt, um Bauernfamilien zu unterstützen, die kleine Parzellen bewirtschaften. Sie zapfen Gummibäume an, sammeln Früchte, Nüsse, und Heilmittel, pflegen aber auch ihre eigenen kleinen Gärten zur Selbstversorgung, mit Kohl, Bohnen, Tomaten, Nüssen. Sie hat Bürgermilizen gegründet, zu ihrem Schutz. Chénoa hat da wirklich großartige Arbeit geleistet.“

Sie fährt fort: „Diese Großgrundbesitzer und Barone suchen jetzt nach neuen Investitionsmöglichkeiten. Chénoa hat sie alle einzeln aufgesucht. Nun ja, wir haben sie aufgesucht, nachdem Chénoa uns gezeigt hat, wie sie das macht, mit der Steuerung fremder Gedanken. Wir haben längst begriffen, dass wir damals ziemlichen Blödsinn gemacht haben, aber das ist ja nun schon einige Jahre her. Solcher Aktionismus ist sinnlos. Warum Papa uns da nicht schon früher geholfen hat, ist mir heute ein Rätsel. Chénoa sagt, er hatte einfach zuviel um die Ohren, und manchmal sei das Ausleben des kindlichen Spieltriebs auch ein sehr nützliches Erkenntnisinstrument. Da hat sie wohl recht, aber in dieser Zeit sind riesige Flächen niedergebrannt worden, die nie mehr zu ersetzen sind. Chénoa hat den Baronen dann mehrere dieser Grundstücke billig abgekauft, unter dem Vorwand, sie wieder aufforsten zu wollen. Sie hat sogar eine eigene Stiftung dafür gegründet, um die wahren Ziele zu verschleiern, die Amazonas Stiftung zur Rettung des Regenwaldes. Die Großgrundbesitzer haben sich ins Fäustchen gelacht, ob dieser Dummheit. Sie haben nicht bemerkt, dass wir sie verarschen, und jetzt hör gut zu."

"Ich habe in Erdkunde genau aufgepasst. Alleine die von den Grundbesitzern anfangs aufgekauften Grundstücke haben etwa die Größe von Bayern und Baden-Württemberg zusammen. Die Flächen mit illegalen Rodungen haben etwa dieselbe Größe. Das ist zusammengenommen fast die Fläche von Deutschland. Der Staat hat uns die letztgenannten Flächen für einen symbolischen Preis von einem Euro überlassen. Die denken immer noch, dass unsere Stiftung versucht, den Regenwald wieder aufzuforsten. Ist aber zwecklos. Und jetzt kommt's. Chénoa und diese Wissenschaftlerin haben sich intensiv mit dem Problem beschäftigt. Paco hat in Mexiko kurzerhand eine neue Firma gegründet, um diese Faulgase zu verwerten und um die Stoffe zu untersuchen, die diesen Prozess der Fäulnis zu untersuchen. Paco hat diese Dr. Bloomfield einfach für seine Firma verpflichtet. Sie ist die Leiterin dieser Abteilung geworden."

Ana Théla lächelt, "als Direktor unserer Fabriken für Umwelttechnologien in Mexico ist Paco ein Genie. Auch wenn es um die Führung von Menschen, um die Organisation von technischen Erfindungen und deren Einführung in den Markt geht, ist Paco unübertroffen. Er leitet diese Firmengruppe wie ein Gott.“

Sie sieht ihn mit einem Seitenblick an, "aber das letztere weist du ja längst. Ich sehe die Ströme von Energie, die dich mit Paco verbinden."

Leon nickt, und Ana Thela fährt fort, „Paco und seine Techniker sind mit der Wissenschaftlerin nach Brasilien gefahren. Sie haben Proben gezogen. Ach, das weist du schon? Aber keine Einzelheiten? OK, dann hör gut zu, Paco hat mit seinen Leuten festgestellt, wie hoch der Methangehalt ist. Das ist eine gewaltige Resource. Dann haben sie so eine Art Schirm erfunden, der in diese verottende Landschaft gestellt wird, und über Leitungen miteinander verbunden ist. Sie haben Sonnenkollektoren auf die Schirme montiert, die den Strom für Ansaugpumpen liefern. Das Gas wird angesaugt, es wird von Stickstoff und den Resten von Sauerstoff getrennt. Das Methangas, das Lachgas und den Stickstoff behalten wir. Den Rest von Sauerstoff lassen wir in die Luft. Die ersten Versuche sind erfreulich. Was wir an Gasen und Stickstoff-Verbindungen gewinnen, deckt bisher nur 10 Prozent der Investitionskosten, aber wir sind ja noch in der Versuchsphase. Gas und Stickstoff wird abtransportiert. Bisher wird das in unseren Werken zu Versuchszwecken verwendet. All das ist in den letzten zwei Jahren geschehen. Chénoa und Paco haben da ein enormes Tempo vorgelegt.“

"Es ist noch einiges zu tun. Die Anlagen sind noch anfällig. Die erste Anlage bedeckt vielleicht 0,1 Prozent der gesamten von uns angekauften Fläche, aber Paco sagt, in zwei oder drei Jahren sind wir soweit, dass wir die ganze Fläche bedecken können, und dann werden wir hundert oder zweihundert Prozent Gewinn machen, vielleicht mehr. Wir haben nicht einmal dir etwas sagen dürfen, weil Chénoa und Paco völliges Stillschweigen verordnet haben, um die Grundstückspreise nicht kaputt zu machen. Nur Katharina und Spek sind in einige Projekte eingeweiht worden. Kathy, weil sie die Gelder bewilligen musste, Spek aus Sicherheitsgründen. Auch die mussten den Mund halten, hat Chénoa befohlen. Chénoa wird dir das alles noch in Berlin sagen. Dir und den Freunden.“

"So. Da gibt es noch was. Die Stickstoffverbindungen, die da entstehen, die schöpfen wir auch ab. Du weist ja selbst, wieviele organische Abfälle bei der Herstellung unserer Mac Best Food Gerichte anfallen. Schalen, Strünke, Wurzeln, Blätter, Erde. Bei uns in Ciudad del Sol, und in den anderen Fabriken haben wir große Läger errichtet, in denen wir diese Abfälle zu fruchtbarer Erde verarbeiten. Die Stickoxide aus den Sümpfen können wir beimischen, um den Prozess zu beschleunigen. Die bei diesem Prozess entstehenden Gase fangen wir auf und nutzen sie zum heizen. Chénoa hat mir erzählt, dass ihr das in Europa nicht anders macht. Bei uns in Mexiko ist diese Bio-Erde ein richtiger Exportschlager geworden. Die LKW's bringen den bäuerlichen Kooperativen den Dünger und auf der Rückfahrt transportieren sie Tomaten, Kürbisse und so weiter. Es gibt keine Leertransporte mehr."

Leon unterbricht kurz. "So machen wir das in Wittenberge auch. Die komplette Fabrik läuft mit regenerativen Energien, und auch in der Stadt wird mit dem Abfallprodukt Gas geheizt. Wir treiben die Motoren der Trecker damit an, und auch all unsere Stapler fahren mit Gas aus unseren Bioanlagen. Wir haben unsere Vertragsbauern verpflichtet, keine Kalidünger und keine organischen Dünger aus Kuhscheiße mehr zu verwenden, aber du hast völlig recht. Was wir auf der einen Seite an Treibhausgasen vermeiden, wird auf der anderen Seite in gigantischen Ausmaßen erzeugt. Das System mit den CO2-Zertifikaten hat völlig versagt. Unser großes Problem ist, dass durch die regelmäßige Vernichtung von Wald der Sauerstoffgehalt der Erdhülle massiv schwindet. Wenn wir nicht aufpassen, werden wir irgendwann ersticken. Bei uns in Europa haben wir deshalb die Wälder unter Schutz gestellt, und unsere Bauern haben wir vertraglich dazu verdonnert, zwischen ihren Feldern Busch- und Baumreihen anzulegen. Dort finden eine Menge Tiere Zuflucht, wie z.B. Vögel, die von Maden leben, aber natürlich auch Kaninchen, Igel, Füchse, Rehe, und das trotz der Belastungen aus der Umwelterwärmung Das hat am Anfang viele Diskussionen gegeben, weil die Bauern gejammert haben: die Stare fressen unser Saatgut. Die Karnickel fressen unseren Kohl, die Wildschweine fressen unseren Mais. Alles quatsch. Einzig und allein die Wildschweine waren anfangs ein Problem, aber wir haben die Jäger darauf angesetzt. Bei uns werden die Wildschweine gezielt und sehr erfolgreich geschossen. Wir setzen Drohnen ein, um diese Rudel zu beobachten und aufzuspüren. Das ist völlig lautlos. Ein paar Wildschweine sind ja OK. Sie wühlen die Erde um, aber wir haben das ungehemmte Wachstum dieser Rudel eingedämmt, das es einmal gegeben hat. Wir machen das heute im übrigen auch mit den Waschbären so, die sich ungehemmt vermehrt haben, weil sie keine natürlichen Feinde mehr haben."

 

Er grinst. "Wildschwein- und Waschbärbraten ist auch was Feines. Bei uns kriegst du das in den Landgasthöfen überall, und auch die Karnickel und die Rehe werden regelmäßig bejagt. Nur im Bayrischen Wald, da geht das schon lange nicht mehr, seit das Kraftwerk in Tschernobyl damals explodiert ist. Es ist nun mal so, dass wir in der bäuerlichen und forstwirtschaftlichen Produktion in die Natur eingreifen, ob wir wollen oder nicht. Dann müssen wir auch dafür sorgen, dass die einzelnen Gattungen in einem natürlichen Gleichgewicht bleiben. Die Alternative wäre der Urwald, in dem sich die verschiedenen Gattungen selbst regulieren. Sowas dauert etwa hundert Jahre, nur braucht es dafür ein Artengleichgewicht. Wir Menschen waren so blöd, Luchse, Wölfe und Bären auszurotten. Die Klimaerwärmung hat viele weitere Arten ausgerottet. In einigen Schutzzonen gelingt die Aussiedlung solcher Gattungen dennoch gut. Zum Beispiel im Harz oder im Nationalpark Bialoweza in Polen. Der Biber verbreitet sich immer mehr. Auch das ist gut. Das traurige ist, dass wir bei uns solche Schutzzonen einrichten. In den USA und in Kanada gibt es das ja auch, etwa ab Oberlauf des Mississippi, oder rund um die Chattahochee Seenlandschaft, aber wir Menschen haben in anderen Teilen der Welt gehaust, wie die Barbaren. Du verstehst, was ich meine?"

Er sieht sie eine Weile an, und Ana Théla spürt seinen Energiestrom, "wenn du später studierst, lege dein Augenmerk immer darauf, die Wissenschaft daraufhin zu überprüfen, dass sie für regenerative Prozesse genutzt werden kann. Gerade in der Massenerzeugung ist das wichtig. Nur haben wir mit unseren Bauern immer darauf geachtet, großflächige Monokulturen zu vermeiden und natürliche biologische Dünger zu verwenden, ohne dass gleichzeitig das Wasser durch Nitrate und die Luft durch Faulgase geschädigt werden."

Ana Théla lacht leise. Ihr Großvater hätte das nicht extra erwähnen müssen. "Das ist die Grundidee indianischen Denkens, und das hat sich in unserer Familie zur Philosophie entwickelt. Wir werden von Umweltverbänden unterstützt. Wir erfahren in den Semesterferien einen regelmäßigen Ansturm von Studenten, die bei uns ihre Praktika machen wollen. Die Lehrstühle an den Universitäten arbeiten gern mit uns zusammen. Bei uns in den Anden gibt es eine richtige Aufbruchsstimmung, trotz der sich ausbreitenden Wüsten, vor allem in Chile."

Sie schließt ihren Vortrag: „So und jetzt bin ich hier. Die Wissenschaftlerin ist jetzt an Untersuchungen über diese Algen. Es könnte sein, dass die Algen weitere Stoffe produzieren, die in großem Stil in der chemischen und pharmazeutischen Industrie eingesetzt werden können. Wie das Zeugs heißt, weiß ich nicht. Das ist einer der Gründe, warum ich mich jetzt mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen der Biologie und Chemie beschäftigen will. Ich glaube, da entsteht ein riesiger Bedarf an weiteren guten Wissenschaftlern. Naja, du weist ja, dass es in meiner Familie dafür eine Art genetische Begabung gibt, für alles, was mit Pflanzen und Tieren zu tun hat. Ich mache eigentlich nichts anderes, als was ich schon immer getan habe. Chénoa hat auch schon heimlich weitere Flächen aufgekauft. Keine Angst. Sie hat ihr eigenes Geld genommen. Wir haben zusammengelegt. Das Geld, das wir aus den Goldminen haben, die du mal mit Vater und mit Chénoa gefunden hast, das hat sich zwanzig Jahre lang vermehrt. Wir haben es bisher nie angerührt. Jetzt ist die Summe durch die Zinsen und den aktuellen Goldpreis riesig geworden. Wir haben in die Grundstücke bisher nicht einmal vier Millionen investieren müssen. Paco hat sich ins Fäustchen gelacht. Er ist sich sicher, das wird eine Goldgrube.“

Leon hat sich längst gefasst. Seine anfängliche Verblüffung ist in ein Stadium der Berechnung und Einschätzung der Möglichkeiten übergegangen, die sich aus diesem Fund ergeben. „Ihr habt das die ganze Zeit durchgezogen, ohne mir einen Ton zu sagen? Ein Energiestrahl hätte genügt. Ich hätte euch helfen können. Naja, Chénoa hat mich über einige wesentliche Prozesse unterrichtet, aber ich bin nie über Details informiert worden. Chénoa hat das irgendwie verhindert.“

„Opa“, sagt Ana Théla. “Du bist der große Boss, aber Chénoa ist die Chefin in Süd- und Mittelamerika, und sie hat Generalvollmacht. Sie kann solche Dinge alleine entscheiden. Du weist das. Aber hör zu, das, was wir gemacht haben, das ist vorerst noch ein Versuchsballon. Wir Kinder haben das finanziert. Es kostet die Firma keinen Cent, wenn wir damit baden gehen. Weil das bisher nicht durch die Bücher der Firma geht, können wir ziemlich sicher sein, dass unser Vorhaben vorerst noch geheim bleibt. Dabei wollen wir es belassen.“

Leon nickt. „Die Barone werden euch das Gelände nicht mehr verkaufen wollen, wenn sie um diese Ressourcen wissen. Oder sie werden den Grundstückspreis ins Unermessliche steigen lassen. Ihr hättet mir trotzdem mehr darüber sagen sollen, dann hätte ich mich in der UN schon mal nach Schützenhilfe umsehen können.“

Ana Théla schüttelt den Kopf. "Genau das wollte Chénoa nicht. Keine undichte Stellen. Keine Spekulationen. Schon gar nicht die UN. Da kann man gleich eine Reihe von Annoncen schalten, hat sie gesagt."

Leon nimmt die Zurechtweisung an, "und jetzt zu dieser anderen Neuigkeit, der Sache mit dem Veggi-Fleisch und den neuen Pflanzen, die ihr da in Südamerika anbaut. Kannst du mir noch mehr darüber sagen?" „Opa. Das solltest du mit Chénoa besprechen. Sie wird ja in ein paar Tagen diesen Gipfel leiten und dann alles zur Sprache bringen. Wenn ich davon anfange zu erzählen, dann kommen wir heute Nacht nicht mehr zum Schlafen. Aber nun mal was anderes. Ich möchte dir danken für deine Hilfe. Ich bin sicher, dass ich mich hier sehr wohl fühle. Wenn du nichts dagegen hast, dann lege ich mich jetzt in mein Bett. Der Zeit-unterschied macht mir ein wenig zu schaffen. Vielleicht haben wir auch in den nächsten Tagen Zeit, darüber ausführlich zu reden.“