Der Wolfsmann

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Kapitel 4. Kindheit bei den Nordmännern

4.1.

In Hagans Familie wird die Schmiedekunst innerhalb der Familie weitergegeben. Es ist eine Arbeit, bei der man Helfer braucht.

Es gibt einen Ofen, in dem Holz verbrannt wird, und einen Blasebalg aus Holz und Leder, um die Flammen zu schüren.

Es gibt einen gewaltigen Amboss, der ist ein Familienerbstück. Hagan weiß nicht einmal, wie alt der ist.

Es gibt Tongefäße, in denen Eisen zum Schmelzen gebracht wird.

Es gibt Hämmer, Formen und Keile, um Rundungen oder Vertiefungen herzustellen, Zangen, um das heiße Eisen anzufassen, und es gibt einen gewaltigen Schleifstein. Auch der ist ein Familienerbstück.

Ungewöhnlich ist, und das kann sich niemand so recht erklären, dass Hagans Schwerter besonders hart und scharf sind. Nu ja, eine Erklärung hat man schon, aber nichts, was an eine wissenschaftliche Erklärung heranreicht. Hagan ist eben ein Seher. Einer, der mit den Göttern auf besonders gutem Fuß steht.

Mit dem Geschick alleine hat das tatsächlich nichts zu tun, und mit den Kräften eines Druiden auch nicht.

Es ist eine geologische Besonderheit. In früheren Jahren hatte es hier einen Süßwassersee gegeben. Es war eine Bucht mit einem anschließenden, etwa 500m tiefen Tal, das baumbewachsen war. Der Wasserfall kam hoch aus den Bergen. Er hatte in vielen tausenden von Jahren alles mögliche mitgeschleppt, was der Flusslauf auf seinem Weg fand. In diesem Fall waren das auch Spuren von Silizium und Mangan.

Diese Spuren hatten sich im Boden abgelagert.

Unter einer Schicht aus fruchtbarer Erde liegt eine dicke Schicht aus Sand.

Eisenerz wird irgendwo in den Bergen gefunden, die Männer kennen die Stellen genau, aber vieles von dem, was Hagan herstellt, das sind Waffen aus erbeuteten Schwertern, die er umarbeitet.

Diese Schwerter hatten ursprünglich nicht die Härte seiner eigenen Kunst.

Erz, das sie in den Bergen finden, das wird solange erhitzt, bis es eine glühende Masse ist.

Im weichen Sand, der unter der Erde freigelegt wird, da werden recht grobe Formen hergestellt, eigentlich nur Vertiefungen, die man mit Wasser formstabil macht. In diese Vertiefungen wird die glühend heiße Schmelzmasse hineingegossen. Sie verbindet sich an der Unterseite mit dem Sand und dem dort enthaltenen Silizium und Mangan und bildet mit dem Eisen eine Legierung.

Wenn dieses Eisen nun geglüht, gefaltet, mit Hämmern geschlagen, und wieder gefaltet wird, dann wird es immer wieder in den Sand gesteckt, zum langsamen abkühlen, und es verbindet sich immer aufs Neue mit den Spurenelementen des Siliziums und des Mangans.

Es ist eine Besonderheit dieses Tals. Es mochte einmal ein Zufall gewesen sein, dass Hagans Familie gerade hier siedelte, und begann nach Erz zu suchen und zu schmieden, aber genau das ist das Geheimnis von Hagans besonderer Schmiedekunst, und natürlich auch sein Geschick.

Er weiß davon nur vage, denn andere Schmiede üben ihr Handwerk im Grunde nicht anders aus als er, und sie haben nicht diese besonders harten Schwerter.

Diese Schwerter hatten Hagans Ruf innerhalb der Gruppe der Nordmänner herumgetragen. Er gilt als ein besonderer Zauberer, der seinen Schwertern und Streitäxten „Leben“ einhaucht.

Hagan wäre dumm gewesen, wenn er das nicht zu seinem Vorteil ausgenutzt hätte, und seine Familie hatte diese Kunst schon vor langer Zeit mit dem Nymbus der Zauberei verbunden. Der Druide und Schmied Hagan hat eben eine besondere Verbindung zu den Mächten im Himmel.

Eins ist allerdings an diesem Ruf, den Hagan besitzt, wirklich sein Verdienst. Seine Schwerter und Äxte sind besonders ausgewogen. Sie liegen gut in der Hand, und das beschert ihnen einen gewaltigen Vorteil Sie sind schnell. Hagan ist ein exzellenter Schmied.

Für Hagan war es ein Glückstreffer, dass er dieses weiße Kind gefunden hatte, das auf solch geniale Weise Feuer um sich erzeugen konnte, und Heilungen bewirkte, die kein anderer hätte tun können.

Es ist ein Beweis, dass Hagan selbst ein Auserkorener ist.

Zwei seiner Söhne helfen ihm in der Schmiede.

Es gibt viel zu tun.

Gerade eben war ein Drachenboot durch die schmale Fahrrinne gekommen und hatte darum gebeten, landen zu dürfen.

Sie haben eine ganze Ladung Schwerter, Äxte und andere Dinge aus Eisen an Bord, und bitten Hagan, er möge daraus seine verzauberten Schwerter und Streitäxte schmieden.

Sie sitzen lange zusammen, sie reden, sie trinken, und sie einigen sich auf einen Preis. Hagan braucht neue Knechte, denn er will ein zweites Drachenboot bauen.

So nimmt er die Gelegenheit wahr, die ihm die Nordmänner bieten. Er würde diese Schwerter einschmelzen, aber Hagan ist vorsichtig. Von Alf erzählt er nichts. Wer weiß, ob nicht irgendjemand auf die Idee kommt, einmal heimlich einzudringen, um Alf zu entführen.

Alf ist mit seinen vier Jahren schon ein fester Bestandteil seiner Überlegungen, und er hat auch mit seinen Söhnen darüber gesprochen. Alf braucht den Schutz der Gruppe, so wie er selbst (mit seinen bescheidenen Mitteln) die Sippe beschützt.

4.2.

Auch in diesem Herbst schickt Hagan seine Männer und die Knechte zum Holz machen.

Dieses Mal verlangt er, dass die Männer nach geeigneten Bäumen Ausschau halten, um ein Boot zu bauen. Es müssen gerade und gesunde Bäume sein, möglichst ohne störende Äste. So etwas findet man in den Fichtenwäldern, die sich an der Küste und weiter oben in den Bergen breit machen.

Hagan stellt nicht nur Schwerter und Streitäxte her. Es gibt Messer, eine Art von Sicheln, Hacken, Lanzenspitzen, Spaltkeile, Arbeitsäxte und Beile, die besonders geeignet sind, um Bäume zu fällen, und mit Hilfe von Spaltkeilen in schmale Bretter zu zerteilen. Auch das ist eine besondere Kunst. Man schlägt mehrere, nein viele dieser Spaltkeile der Länge nach in einen Baumstamm, bis er der Länge nach auseinanderbricht. Das sind keine glatten Stücke, sondern der Bruch ist so, dass die Fasern des Baumes der Länge nach erhalten bleiben. Dann kann man die rohen Bretter stapeln, an der Luft trocknen, und später mit Äxten so glatt hauen, dass man geeignete Bretter für den Schiffsbau erhält. Genau das macht die Drachenboote so einzigartig, weil die einzelnen Holzfasern nicht verletzt werden.

Sägen kannten die Nordmänner damals nicht.

In den nah gelegenen Buchten und Tälern hatten die Männer mehrere solcher Holzlager errichten lassen, auf Vorrat. Holz braucht viele Jahre zum trocknen und irgendwann wird man diese Bretter mit dem Drachenboot abholen.

Holz fällen und fachgerecht zu zerteilen ist eine schwere Arbeit, und man braucht dafür die Hilfe von Knechten und Trägern.

Auch jetzt im Herbst, da werden sie geeignete Stämme spalten und zum Trocknen aufstapeln.

In einigen der Nachbartäler gibt es Pfade, wo man die Bretter von den Hochebenen (wenn auch mühsam) ins Tal bringen kann, aber das ist trotzdem eine anstrengende und lebensgefährliche Arbeit. Hagan braucht diese Helfer.

Im nächsten Jahr, da werden sie bereits die ersten getrockneten Bretter auf dem Seeweg in ihre Bucht holen.

4.3.

Als die anderen Nordmänner das Tal verlassen, macht sich Hagan an die Arbeit. Er wird den ganzen Winter zu tun haben und er wird sich damit eine Menge an Waren eintauschen können. Seine Sippe besteht nicht nur aus Kriegern. Sie handeln auch mit verschiedenen seltenen Waren, die ihnen das Leben einfacher machen.

Hagan beginnt den Jungen Alf mit in seine Schmiede zu nehmen und lässt ihn zuschauen.

Das ist ein Privileg, das keines seiner eigenen Enkelkinder genießt, aber Hagan hatte sich mit seinen Söhnen besprochen. „In diesem Kind steckt etwas Besonderes. Nutzen wir diese Verbindung zu den Göttern.“

Alf sieht in diese glühendheißen Lichter, und die Schläge der Hämmer tun ihm in den Ohren weh.

Er bittet Hagan um eine dicke Fellmütze, damit seine Ohren geschont werden. Das versteht Hagan. Der Lärm der Schmiede kann einen Mann taub machen.

Alf geht aber nicht jeden Tag mit in die Werkstatt, er schaut nur gelegentlich zu, er hält Abstand von diesen gefährlichen Funken und gewaltigen Hämmern und nimmt das langsam in sich auf, was er da sieht. Er hat genug andere Aufgaben.

Manche der Jungen „spielen“ mit solchen Waffen, die Hagan da herstellt. Es gibt einen richtigen Waffenübungsplatz. Daran hat Alf noch nicht wirkliches Interesse, aber er sieht, welche Geschicklichkeit viele der Krieger mit ihren Waffen haben. Die Streitäxte sind so schwer, dass Alf sie noch nicht hochheben kann. Die Männer können sie durch die Luft wirbeln, so dass sie einen Baumstamm in großer Entfernung treffen und in der Mitte spalten können.

Tatsächlich sind das aber keine Distanzwaffen. Man nutzt sie, um gegnerische Schilder und Rüstungen zu zerschlagen.

Eine der Aufgaben der Kinder ist es, Felle zu schaben, bis sie alle Haare verloren haben. Die Felle von Rentieren eignen sich besonders gut, um Riemen zu schneiden. Alf wird darin trainiert, mit einem scharfen Messer schmale gleichmäßige Streifen zu schneiden, aus denen man dann Stricke flicht. Alf ist erst vier, aber er hat in diesem einen Jahr bereits gelernt, dass hier alle mithelfen müssen, um das Überleben zu sichern.

Es gibt hier nichts geschenkt. Nahrung, Kleidung, Werkzeug, alles muss mühsam besorgt und hergestellt werden. Alles das, was man zum Leben dringend braucht. Zu Hause, da hatte er einfach in Aysas Imbiss gehen können und bekam Essen und Trinken. Er brauchte nur in die Kindergruppe zu gehen, und bekam Erziehung und Freundlichkeit. Hier muss man für all das etwas leisten.

 

Dabei erlebt Alf diese Gruppe wirklich als eine eingeschworene Gemeinschaft. Jeder im Dorf wird eingebunden. Auch wenn Knut und Ode ihn am ersten Tag herausgefordert hatten, weil er so fremd und neu war, so erlebt er jetzt ein ganz anderes Verhalten.

Gewiss, man neckt sich, man provoziert, man fordert heraus und man balgt. Das ist manchmal recht hart und gemein, aber man ist doch nicht aus Marzipan, man muss lernen, sich zur Wehr zu setzen und zu behaupten. All das geschieht eher spielerisch und die „stärkeren“ lenken oft von selbst ein, bevor ein Spiel ausufert. Es gibt schließlich Pflichten und Gemeinsamkeiten. Im Notfall würde man zusammenhalten, wie Pech und Schwefel.

Das war auch so gewesen, als die fremden Nordmänner durch die Bucht gekommen waren.

Die Jugendlichen vorn auf der Klippe, die hatten das Dorf sofort mit ihren Tonpfeifen gewarnt. Es gibt da eine Menge an unterschiedlichen Signalen, die Alf erst noch lernen muss.

Dann war die Gruppe als Wache dort auf der Klippe geblieben, während sich die Männer und die Frauen der Sippe heimlich bewaffneten, um sofort gegen einen möglichen Überfall gewappnet zu sein.

Die Gruppe war in friedlicher Absicht gekommen, aber es hatte auch schon andere Fälle gegeben. Im Notfall war man bereit, sich sofort und brutal zur Wehr zu setzen. Männer Frauen und Kinder. Jeder, der eine Waffe halten kann.

4.4.

Es gibt viele Arbeiten. Jodan und ihre Enkelkinder weisen Alf ein.

Das Haus muss sauber gehalten werden. Fleisch muss in Streifen geschnitten und getrocknet werden. Die Sehnen müssen herausgelöst werden, die Blasen und Därme werden als Schläuche genutzt, um Tee, Süßwasser und Bier aufzubewahren. Auf der Jagd oder auf dem Meer kann das lebenswichtig sein. Hirn, Leber, Herz, Lippen, die Zunge und die Augen gelten als Delikatesse. Selbst die Zähne, Klauen und Knochen der Tiere finden Verwendung. Es gibt große Gefäße aus Ton, in denen die Dorfbewohner kostbares Getreide aufbewahren, das man von Zeit zu Zeit zu Fladenbrot bäckt. Es gibt allerlei Blätter und Gewürze, die gesammelt, zum trocknen aufgehängt und sicher gelagert werden müssen.

Morgens, mittags und abends wird Tee gekocht. Es gibt Kleidung, die repariert werden muss. Kinder haben viele verschiedene Aufgaben. Oft unterschieden die sich nicht von den Aufgaben der Knechte und Mägde. Man sitzt zusammen, erzählt, singt und arbeitet. Im Sommer macht man das im Freien, bei Regenwetter und im Winter sitzt man in der großen Halle des Langhauses.

Alf bekommt auch mit, dass die Söhne von Hagan manchmal mit den Mägden Liebe machen, obwohl sie doch eine Frau haben.

Alf hatte seine große „Schwester“ Mona beim ersten Mal lange angesehen, und die sagte damals nur, „bei uns wird das so gemacht.“

Es ist allerdings nicht gestattet, dass die Knechte sich dieser Liebesdienste bedienen. Das ist ein Privileg der Herren dieser Sippe.

Weil es tabu ist, dass die Männer mit den unverheirateten Frauen und Mädchen der Sippe das machen, was sie mit den Mägden machen, ist das ein willkommenes Ventil, um den Frieden und die gegenseitige Achtung zu bewahren, auch wenn das zwischen Eheleuten schon mal einen heftigen Streit auslösen kann, wenn sich die Ehefrauen sexuell vernachlässigt fühlen.

Innerhalb der Familie achtet man solche Regeln.

Die Knechte und Mägde sind rechtlos.

Es ist nicht so, dass die Leibeigenen herumgestoßen oder gar misshandelt werden. Sie sind ein Teil der Gruppe, solange sie sich an die Regeln halten und ihre Arbeit ordentlich machen.

Wenn sie den Herren keinen Grund geben, sie zu schlagen, dann wird dies auch nicht getan. In Hagans Familie gibt es so etwas wie Willkür nicht, und Strafen gibt es nicht, solange dafür kein Grund besteht.

Alf nimmt das alles auf. Nicht bewusst und nicht mit klarem Verstand. Er wächst in dieses Regelwerk der Sippe von Hagan hinein.

4.5.

Auch in diesem Winter schickt Hagan seine Männer mehrfach in die Berge, um zu jagen und um Holz zu machen.

In diesem Winter fällt noch mehr Schnee und das Dach der großen Halle ächzt. Schließlich muss Hagan zwei Männer mit langen Schiebern auf das Dach schicken, um den Schnee wenigstens teilweise vom Dach zu ziehen. Rings um das Haus türmen sich die Schneeberge und in diesem Winter nimmt Alf das zum ersten Mal ganz bewusst wahr.

Er hat sich etwas an die Kälte und die Kleidung gewöhnt, und es gibt zwischen den einzelnen Langhäusern der Sippe Trampelpfade, auf denen man gehen kann. Alf wäre in den Schneemassen unweigerlich versunken.

Im Haus ist es angenehm warm. Die Schneemassen wirken wie eine Decke, oder wie ein Iglu. Diese Langhäuser haben zwar Fenster, aber Glasfenster gibt es nicht. Stattdessen gibt es Klappläden, die im Winter einfach geschlossen werden. Im Haus ist es dann stockdunkel, wenn die Öllampen und Kerzen nicht brennen, die es im Hause Hagans gibt.

Für Öllampen benutzt man Tran von Fischen und Robben, das ist ein natürlicher Rohstoff, den man selbst herstellen kann. Die weiter im Norden lebenden Nordmänner gehen im Winter auf die Jagd nach Seehunden, Walrössern und Walen, und sie tauschen diesen wertvollen Tran gegen andere Dinge, die sie brauchen.

Auch Kerzen werden gegen andere Güter eingetauscht. Kerzen sind sehr kostbar. Einige der Nordmannen betreiben die Bienenzucht, und aus den Waben gewinnt man das kostbare Wachs für die Kerzen.

Dennoch ist es im Winter im Langhaus stets dunkel. Es ist eine lange Zeit des Wartens auf den Frühling, und im Winter, da pflegen die Männer die Liebe und machen neue Kinder.

Auch im Hause Hagans ist das nicht anders.

Weil man hier keine Geräusche verstecken kann, wächst Alf in dieses Geschehen buchstäblich hinein.

Manchmal weigert sich Jodan, ihren Mann mit ins Bett zu nehmen, wenn er von seiner Schmiedearbeit nach Hause kommt. Dann sagte sie, „du stinkst“, und sie schickt ihn zum Baden.

Dann muss im Eis ein Loch gehackt werden.

Manchmal zieht sich Hagan nackt aus, dann wälzt er sich schreiend im Schnee und reibt sich damit ab, bis er glüht. Erst dann kommt er zurück ins Haus.

Diese Nordmänner sind wirklich harte Burschen.

Alf wird immer noch von Josefa gestillt, und er lacht manchmal in die Kuhle dieser beiden Brüste hinein, wenn er die Liebesgeräusche von Jodan und Hagan hört. Einmal sieht er Josefa lange an und fragt. „Wenn das so viel Spaß macht, warum machst du das dann nicht?“ Josefa seufzt. „Wenn ich schwanger werde, besteht die Gefahr, dass meine Milch versiegt. Dann verliere ich den Schutz, den ich habe, solange du an meiner Brust trinkst.“

Alf sieht sie lange an, dann überlegt er sich, dass man da etwas unternehmen müsse.

Am nächsten Morgen, bevor Hagan zur Arbeit in seine Schmiede geht, da setzt sich Alf neben Hagan auf die Holzbank und nimmt seine Hand.

„Josefa ist wie eine Mutter zu mir“, sagt er. „Ich will sie nicht verlieren.“

Hagan sieht Alf lange an, dann nickt er. „Gut. So soll es sein. Josefa soll immer für dich da sein. Solange sie diese Aufgabe erfüllt, steht sie unter meinem Schutz.“

Alf drückt die lederne Hand und sieht Hagan dankbar an. Ohne dass er etwas dazu tut, fängt plötzlich sein Schein um ihn zu leuchten, und Hagan spürt eine seltsame Wärme in seinem Arm hinaufkriechen, so als wolle sie ihm Stärke geben, und er hat plötzlich das Gefühl, in diesen Jungen hineinsehen zu können. Kurz nur, einen kurzen Moment nur. Er schweigt betroffen, und legt dann die Hand auf den Arm des Jungen.

„Willst du mich heute begleiten? Wir werden heute den großen Ofen anheizen, es wird sehr warm werden. Ich will Eisen schmelzen und Rohformen gießen. Du kannst mir dabei helfen.“

Alf sieht Hagan dankbar an. Das ist eine verantwortungsvolle Aufgabe. Keiner der anderen Enkelkinder hat diese Erlaubnis, und er sieht zu Knut und Ode und meint. „Ich weiß nicht, womit ich das verdient habe, aber ich werde dieses Wissen aufnehmen, so dass ich einmal genauso gut werde, wie euer Großvater. Dann könnt ihr mir helfen das Eisen zu schmelzen, wenn ihr wollt.“

Hagan sieht zu Alf, dann sieht er zu seinen Söhnen und beginnt schallend zu lachen. Ja, das ist der Geist, der in diesem Hause herrscht. Einer für alle und alle für einen.

Hagans Söhne stimmen in das Lachen ein und schlagen ihren Söhnen auf den Rücken, und sie rufen. „Einer für alle und alle für einen.“

Es ist ein Wahlspruch, der schon uralt ist und der von den Nordmännern gepflegt wird. Das sichert ihr Überleben in dieser rauhen Zeit.

4.6.

Bevor die jungen Männer im Frühjahr mit dem Boot aufs offene Meer hinausfahren, um wieder Beute zu machen, kommen die Nordmänner vom letzten Jahr, um ihre neuen Schwerter und Streitäxte abzuholen. Sie bringen wertvolle Dinge mit. Salz in kleinen Fässchen, Leibeigene, Perlmutt und Bernstein.

Ein solcher Tausch geht aber nicht ohne Prüfung und ohne ein lautes Fest ab.

Also zieht Hagan eine seiner Zaubershows ab, die er als Druide bestens beherrscht. Große Worte, Fackeln, Beschwörungen und Hand-in-Hand-Versprechen, dann werden die Schwerter und Äxte auf dem Übungsplatz ausprobiert und für gut befunden. Am Abend wird ein großes Feuer angebrannt und die Männer reden von zukünftigen Taten, essen gebratenes Fleisch und geben sich dem Bier hin, das heute in Strömen fließt.

Hagan hat seine Männer angewiesen, sich zurückzuhalten und das Betrinken nur vorzutäuschen. Hagan will für alles gewappnet sein. So ein Besäufnis endet manchmal damit, das der Sargdeckel für immer über dir zugemacht werden muss. Er hat auch vorn an der Bucht Wachen postiert.

Also sind Hagans Männer jovial und sie spielen die Betrunkenen und bleiben dabei hellwach. Am nächsten Morgen steigen die Besucher mit schweren Köpfen in ihr Drachenboot und fahren davon. Hagan befiehlt, auch die nächsten drei Tage höllisch vorsichtig zu sein. Die Besucher sind jetzt bestens gerüstet. Man kann ja nie wissen.

4.7.

Erst eine Woche später schickt Hagan die Männer mit den Knechten mit dem Boot in die Holzlager und sie holen die Bretter, die dort schon seit mehreren Jahren auf ihre Verwendung warten.

Die Knechte helfen beim einladen und beim rudern.

Hagan schickt in dieser Zeit einen seiner Männer auf eine vorstehende Klippe, von der man eine gute Sicht auf das offene Meer hat, um sicherzugehen, dass keine Gefahr droht.

Alles bleibt ruhig. Derzeit scheint keine Gefahr zu bestehen.

Erst nach dem Frühjahrsfest steigt die Gruppe der jungen Männer unter der Führung von Björre in das Drachenboot und fährt davon.

Die zurückbleibende Gruppe wird in diesem Sommer damit beginnen das neue Drachenboot zu bauen. Dann haben sie sogar doppelten Schutz.

4.8.

Alf wird in diesem Sommer fünf. Er nimmt jetzt seine Umwelt noch bewusster wahr und versteht immer mehr. Es sieht, wie die Männer die Bretter beilen, wie sie Böcke bauen, wie der Kiel gezimmert wird und wie die Streben links rechts an diesem Kiel nach oben wachsen. Er sieht, wie die Bretter gewässert werden, um sie biegsam zu machen, bevor die Planken angebracht werden können.

An diesem Rumpf gibt es keine Nägel. Jede einzelne Planke wird mit handgeschnittenen Holzdübeln befestigt. Diese Dübel werden sich später voll Wasser saugen und die Bretter unverrückbar miteinander verbinden.

Dann werden die Sitzbänke eingebaut und die Vorkehrungen für die Ruder aufgesetzt. Eine rundum laufende stabile Umrandung mit Vertiefungen für die Ruder, nach oben offen, um die Ruder herauszuheben und bei Meerengen senkrecht nach oben zu halten, damit man nirgendwo anstößt.

Schließlich werden die hochgezogenen Planken an Kiel und Bug kunstvoll mit Drachenköpfen verziert. Das muss ein Drachenboot haben. Es ist eine uralte Legende, um den Kampf mit den Ungeheuern der Meere aufzunehmen, die dich verschlingen wollen.

 

Erst dann machen sich die Männer daran, die Ruder aus einem Stück zu beilen. Das ist eine hochpräzise Arbeit. Alf staunt. Die Männer sind wirklich Meister im Umgang mit ihren Beilen und Äxten. Er hätte das nicht gekonnt.

Alf sieht genau zu. Immer wieder war Regen in das Boot gelaufen. Das macht dem Boot nichts.

Es läuft voll und es tränkt die Planken, so dass sie weich und geschmeidig bleiben, vollgesogen mit Wasser, und ohne jede Ritze. Würde jetzt Wasser durch das Boot fließen, wäre das der Beweis gewesen, dass man nicht genau genug gearbeitet hatte. Dieses Boot ist dicht.

Erst ganz zum Schluss wird das Wasser aus dem Boot geschöpft und die Keile werden weggeschlagen, die das Boot auf den Böcken halten. Dann rutscht das Boot langsam und immer schneller ins Wasser und schwimmt in der Bucht. Das löst großen Jubel aus.

In der Mitte des Boots hat man verschiedene Querstreben angebracht, und nun wird noch ein Mast dort eingesteckt und mit Quermasten versehen. Das Segel würde man später anbringen.

Die Männer sind mit ihrer Arbeit zufrieden.

All das geschieht nicht ohne ständige Rituale und Beschwörungen. Man muss sicher sein, dass Boot den Kräften des Meeres auch gewachsen ist.

Hagan ist in seinem Element. Er ist der Druide und Seher. Er ist der Zauberer des Dorfes. Er entscheidet, ob das Boot überhaupt auf große Fahrt gehen wird.

Solche Boote brauchen zwar viel Arbeit, und die Dorfbewohner müssen während des Sommers auch Jagen, Kräuter, Beeren und Pilze sammeln, aber als die Abenteurer im Herbst von ihrer großen Fahrt zurückkehren, ist das Boot fertig.

Nun kann man gleich mehrere Ereignisse feiern. Die Rückkehr der Krieger, neue Ehen, neue Geburten und die Taufe des Bootes.

Auch diesmal zieht die Schar hinauf ins Tal des heiligen Hains und zur Feier der vielen Ereignisse und zur Besänftigung der Götter der Unterwelt, werden wieder fünf Leibeigene geopfert. Auch das geschieht nicht ohne die vorgeschriebenen Rituale.

Ohne den Zauberer des Dorfes geht nichts.

Alf begreift, dass er Gast im wichtigsten Haus des Dorfes geworden war. Mehr noch. Für Hagan ist er wie ein Sohn. Ein Schützling. An diesem Fest denkt Alf lange nach.

Das mit den Opfern macht ihm schon nichts mehr aus. Das sind einfach notwendige Rituale. Er hat auch vieles über die Götter der Nordmänner gelernt. Das ist eben so. Er selbst profitiert von diesem Glauben. Er wird seine Josefa beschützen.

4.9.

Inzwischen war Josefa wieder schwanger geworden. Alf war abgestillt worden, und er fühlt dadurch sogar eine neue Freiheit. Er hatte aus der Brust dieser Amme Kraft und Selbstvertrauen geschöpft. Jetzt ist er ein „großer Junge“. Das ändert nichts daran, dass er Josefa manchmal bittet, bei ihm zu schlafen und ihm ihre Wärme zu schenken. Josefas Bauch wird jetzt langsam rund, und Alf bestaunt auch das. Er liegt an diesem Bauch und genießt die Wärme.

Einmal liegt er sinnend neben ihr, und plötzlich beginnen seine Hände zu strahlen. Alf weiß nicht warum, er tut nichts dazu, aber er spürt ganz deutlich, dass dieses Kind, das dort in diesem Bauch wächst, sich nach seiner Energie ausstreckt, und Josefa spürt das auch. Sie stöhnt leise und lustvoll, und fragt später, „wie machst du das?“

Alf zuckt mit den Schultern. „ich weiß nicht. Darüber muss ich nachdenken. Bisher kommt das einfach, ohne dass ich das beeinflusse. Ich muss wirklich darüber nachdenken.“

In diesem Winter denkt Alf tatsächlich oft und intensiv darüber nach. Er kann den Dörflern bei Krankheiten helfen, er sieht diese Energieströme, die da entstehen und er sieht die Wirkung, aber er hat keinen Einfluss darauf, was da mit ihm geschieht.

4.10.

Auch in diesem Winter hat Hagan viel Arbeit. Die Männer hatten viele Waffen erbeutet und die müssen umgeschmolzen werden. Auch die eigenen Waffen der Krieger müssen nachbearbeitet und geschärft werden.

Alf wird in die Schmiede mitgenommen. Vielleicht haben Kinder ein besonderes Wahrnehmungsvermögen. Alf hat sich die einzelnen Schritte und Phasen genau gemerkt. Das Verfahren der Schmiedekunst Hagans ist in seinem Kopf.

Diesmal fragt Hagan, „du wirst langsam groß und du solltest deine eigenen Werkzeuge haben. Ein Schwert kannst noch nicht tragen, aber du solltest lernen, dich im Umgang mit Waffen zu üben. Du hast mit Stöcken geübt, aber Stöcke sind nur Stöcke. Man kann damit einen Mann töten, wenn man geschickt ist, aber gegen einen Krieger unter Waffen kommt ein Stock nicht an.“

„Was hältst du davon, wenn ich dir eine Waffe schmiede, die für deine Größe geeignet ist. In der Form eines Schwertes, aber in der Größe eines langen Messers?“

Alf sieht Hagan dankbar an. „Das würdest du für mich tun?“

Hagan nickt. „Fangen wir an“. Dann baut er mit Alf zusammen sorgfältig eine Form in den Sand.

Sie wird mit flüssigheißem Eisen ausgegossen.

Hagan wirft mehrere Schaufeln Sand auf den Guss und lässt die Masse abkühlen. Das dauert drei Tage. Dann holt er den Rohling aus dem Sand, prüft ihn, legt ihn ins Feuer, bis er weißglühend ist, und beginnt ihn zu bearbeiten.

Immer wieder und immer wieder. Er hämmert und faltet. Er glüht und wendet, und hämmert und faltet. Alf zählt schon lange nicht mehr mit.

Hagan gibt sich wirklich Mühe. Schließlich wird die Klinge geschliffen und der Griff wird mit Holz und Leder gefasst. Es war ein Dolch entstanden, schlank und dennoch kräftig. Einschneidig mit einem Rücken, weil das für Alfs Alter sicherer ist.

Mit leichter Wölbung und wunderbar ausgewogen.

Mehrfach hatte Hagan Alf das lange Messer in die Hand gegeben und ihm die Haltung erklärt, bevor er daran weiterarbeitete. Er scheint jetzt zufrieden zu sein. „Das ist eine gefährliche Waffe, auch wenn sie nicht zweischneidig ist. Du kannst damit zuschlagen und zustechen. Es ist eine Waffe und gleichzeitig ein Werkzeug, mit dem du Leder und Holz und viele andere Dinge bearbeiten kannst. Du kannst damit Fleisch schneiden und Knochen abschaben, zertrennen und Sehnen herauslösen. Du wirst das lernen, aber du brauchst Übung. Wir werden das üben.“

Er hält Alf das lange Messer mit beiden Händen hin und Alf zögert.

Er sieht Hagan dankbar und ehrfurchtsvoll an, dann versinkt er ganz in sich. Er schließt die Augen, er stellt sich vor, wie er das Messer in die Hand nimmt und wie er es durch die Luft wirbelt.

Er stellt sich vor, wie er zustechen würde oder Fell zerteilt. Dann beginnt er zu leuchten. Er hat die Augen immer noch geschlossen und er streckt jetzt langsam die Hände nach vorne, wie um das Messer von Hagan zu empfangen.

In diesem Moment schießen Funken aus seinen Händen.

Sie übertragen sich auf das lange Messer in Hagans Händen und plötzlich beginnt das Messer zu schweben. Es steig an, bis es Hagans Hände deutlich verlassen hat, dann bewegt es sich auf Alf zu, legt sich in die offenen Handflächen und Alf schließt die Hände.

Die eine Hand umfasst den Griff, die andere umschließt die Klinge. Plötzlich tropft Blut von Alfs linker Hand. Alf spürt das nicht.

Hagan steht völlig unter dem Bann dieses Ereignisses. Seine großen Söhne hatten die Köpfe gedreht und verfolgen dieses Schauspiel mit offenen Mündern. Das Blut tropft von Alfs Hand, und plötzlich beginnt auch die rechte Hand zu bluten, die den Griff umschlossen hält.

Alf hat immer noch die Augen geschlossen. Die Funken sprühen und plötzlich versiegt das Blut.

Alf öffnet die Hände, die noch voller Blut sind. Er öffnet die Augen und sieht zu Hagan. „Dieses Messer wird nie mehr mein Blut vergießen“, sagt er bestimmt.

Vor Hagans Augen beginnt das Blut zu trocknen und die Wunden in Alfs Händen verschließen sich. Alf steht vor ihm mit ausgestreckten Händen, die jetzt frei von flüssigem Blut sind.

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