Wirtschaftsgeographie

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Die vielfältigen Abweichungen realer Märkte von der idealtypischen Idee eines vollkommenen Markts verwandeln das Erkenntnisinteresse an der Entstehung und Funktionsweise von Märkten letztlich in eine empirische Frage, die offen für zeitliche und räumliche Vielfalt und Kontextualität ist (Callon 1998 a; Berndt und Boeckler 2009). Die Kernfragen der Wirtschaftsgeographie konzentrieren sich demnach nicht nur auf die Kosten der Überwindung räumlicher Entfernungen, sondern auch auf die spezifische Organisation wirtschaftlichen Austauschs, die Gestaltung ökonomischer Beziehungen und die Entstehung und Veränderung territorial spezifischer Praktiken, Regeln und Institutionen im Wirtschaftsprozess. In den folgenden Teilen des Buchs werden daher weniger Transportkostenprobleme, sondern Fragen der Interaktion, Organisation, Evolution und Innovation in räumlicher Perspektive diskutiert.





3.5Leistungsmessung in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung



In der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung wird der Wert des Produktionsergebnisses aller Wirtschaftsbereiche einer Volkswirtschaft erfasst (z. B. Bontrup 1998, Kap. 2.9). Die Konzepte der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung können entsprechend auch auf Regionen übertragen werden. Ausgangsgröße ist der Bruttoproduktionswert, d. h. der Wert aller Güter und Dienstleistungen einschließlich der Vorleistungen, die in einer Volkswirtschaft erbracht werden. In dieser Größe sind jedoch erhebliche Doppelzählungen enthalten, weil dieselben Vorleistungen in verschiedenen Verarbeitungsstufen mehrfach mitgezählt werden. Der Bruttoproduktionswert ist daher insgesamt nur begrenzt aussagekräftig. Durch Bereinigung des Bruttoproduktionswerts um die Vorleistungen erfolgt der Übergang zur Bruttowertschöpfung einer Volkswirtschaft, die nun keine Doppelzählungen mehr enthält (→ Abb. 3.9). Nach Hinzurechnung der Einfuhrabgaben gelangt man von der Bruttowertschöpfung zum Bruttoinlandsprodukt zu Marktpreisen. Wenn man von dieser Größe weiter die Abschreibungen, d. h. die Wertverluste von Maschinen und Anlagen subtrahiert, gelangt man zum Nettoinlandsprodukt zu Marktpreisen. Durch Bereinigung des Nettoinlandsprodukts zu Marktpreisen um indirekte Steuern und Hinzuzählung von Subventionen erhält man schließlich das Nettoinlandsprodukt zu Faktorkosten.








Abb. 3.9 Konzepte der ­volkswirtschaftlichen ­Gesamtrechnung (verändert nach Schätzl 1994, S. 14)





In der an Schätzl (1994, Kap. 3.1.1) angelehnten Darstellung werden die Zusammenhänge zwischen diesen Konzepten gut veranschaulicht (→ Abb. 3.9). Hierin zeigt sich auch, dass man generell zwischen einem Inlandskonzept und einem Inländerkonzept unterscheiden kann. Während die bisher dargestellten Kenngrößen der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung auf dem Inlandskonzept beruhen, also für das Territorium einer Volkswirtschaft konzipiert sind, ist das Inländerkonzept ein personenbezogenes Konstrukt, das alle Inländer berücksichtigt. Man gelangt vom Inlands- zum Inländerkonzept, indem man die Einkommen der Auspendler addiert und die der Einpendler subtrahiert. Auf diese Weise erfolgt der Übergang vom Bruttoinlandsprodukt zum Bruttonationaleinkommen und vom Nettoinlandsprodukt zu Faktorkosten zum Nettonationaleinkommen zu Faktorkosten, dem Volkseinkommen. Durch Subtraktion der direkten Steuern und Hinzufügung der staatlichen Transferzahlungen ergibt sich daraus das verfügbare Einkommen der Inländer.



Auf regionaler Ebene verwendet man als Indikatoren der Leistungskraft entweder die regionale Bruttowertschöpfung, d. h. den Wert aller in einer Region hergestellten Güter und Dienstleistungen ohne die Vorleistungen, das Regionalprodukt (als regionales Äquivalent zum Bruttoinlandsprodukt) oder die Einkommen der in einer Region wohnenden Bevölkerung. Da es auf regionaler Ebene große Pendlerströme gibt, ist die Unterscheidung von Inlands- und Inländerkonzept bedeutsam. Als regionaler Wohlstandsindikator wird häufig das Pro-Kopf-Einkommen der in einer Region wohnenden Bevölkerung herangezogen.



Die Verwendung derartiger Kenngrößen als Messgrößen für die Leistungskraft einer Volkswirtschaft oder einer Region ist allerdings nicht unumstritten (z. B. Schätzl 1994, Kap. 3.1.1; Heilbroner und Thurow 2002). Es gibt zahlreiche Kritikansätze, die allesamt darauf hindeuten, dass derartige Indikatoren nur unvollständig die tatsächliche Leistungskraft erfassen:



(1) Zunächst misst das Bruttoinlandsprodukt Geldwerte und nicht Mengen physischer Einheiten. Daher muss es stets um die Inflation bereinigt werden. Steigen die Preise, steigt auch das Bruttoinlandsprodukt, selbst wenn Output und Produktionsvolumen unverändert bleiben. Bei intertemporalen Vergleichen sollte daher das sogenannte nominale Bruttoinlandsprodukt stets auf das reale, inflationsbereinigte Bruttoinlandsprodukt umgerechnet werden.



(2) Das Bruttoinlandsprodukt leidet ferner unter dem Problem der selektiven Messung qualitativer Veränderungen von Gütern. Technologische Neuerungen führen häufig zur Verbesserung von Gütern und Diensten. Während technologische Qualitätsverbesserungen in das Bruttoinlandsprodukt miteingerechnet werden, bleiben Qualitätssteigerungen bei Dienstleistungen jedoch außer Acht. Da Dienstleistungen jedoch etwa 70 % des Bruttoinlandsprodukts ausmachen, ist damit ein großes Problem verbunden. Das Bruttoinlandsprodukt kann die reale Qualitätssteigerung von geleisteten Diensten nicht erfassen und führt folglich zu einer Unterbewertung des realen Wirtschaftswachstums.



(3) Die Parameter der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung erfassen zudem nicht alle ökonomisch bedeutsamen Aktivitäten. Es fehlt beispielsweise die Erfassung der Hausarbeit, was dazu führt, dass sich in den Indikatorenwerten die gesellschaftliche Benachteiligung von Frauen niederschlägt. Ferner sind handwerkliche Eigenleistungen nicht erfasst. Dies ist aber z.B. in Gemeinden der Mennoniten und Hutterer oder in Ländern wie Italien, wo gemeinschaftliche Aktivitäten einen hohen Stellenwert besitzen, besonders bedeutsam. Derartige Strukturen könnten zukünftig noch an Bedeutung gewinnen. So geht das Konzept der neuen Arbeit (new work) davon aus, dass Vollzeitarbeit zukünftig nicht mehr der Standard der Erwerbstätigkeit sein wird. Stattdessen schlägt Bergmann (1997) angesichts der anhaltenden Rationalisierungs- und Automatisierungstrends vor, Arbeitszeiten in Unternehmen systematisch zu verkürzen, um Entlassungen zu verhindern. Die so geschaffenen Zeitspannen sollen dabei von den Betroffenen als Befreiung erlebt werden, damit sie in dieser Zeit solche Tätigkeiten verrichten, „die sie wirklich, wirklich tun wollen“. Jüngste Ansätze der sharing economy (Martin 2016) sowie Ansätze vielfältiger (Gibson-Graham 2008) bzw. alternativer ökonomischer Praktiken (Leyshon et al. 2003; Fuller et al. 2016; Sánchez 2017) beleuchten sowohl traditionelle als auch neue Formen kollektiver Arbeitsteilung außerhalb der klassischen Marktlogik, um solidarische, nachhaltige und ausgleichende Formen des Wirtschaftens zu ergründen. Schließlich wird auch die Produktivleistung durch Schwarzarbeit nicht im Bruttoinlandsprodukt erfasst. Die Bedeutung dieser informal economy ist jedoch zunehmend und auch in der Entwicklung der Weltstädte industrialisierter Länder nicht zu unterschätzen (Sassen 1996).



(4) Ein weiterer Kritikpunkt der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung bezieht sich darauf, dass Umweltschäden als soziale Kosten nicht aus den Kenngrößen herausgerechnet werden. Sie werden aber in Zukunft beträchtliche einzelwirtschaftliche Kosten nach sich ziehen. Dies bindet Finanzmittel, die dann für andere Zwecke nicht mehr zu Verfügung stehen.



(5) Ein Anstieg des Bruttoinlandsprodukts gibt letztlich keinen direkten Aufschluss über den Anstieg der Lebensqualität einer Gesellschaft. Der Anstieg kann gleichermaßen aus Erhöhungen der Militärausgaben oder aus einem Anstieg der Bildungsausgaben herrühren. Steigen z. B. die Ausgaben für Schlösser und Alarmanlagen, so trägt dies zum Wachstum des Bruttoinlandsprodukts bei. Jedoch ist diese Entwicklung eher Ausdruck einer verminderten Lebensqualität aufgrund wachsender Unsicherheit. Auch können einander entgegengerichtete Ausgaben das Bruttoinlandsprodukt steigern, ohne die Lebensqualität zu verbessern. So trägt z. B. die Fabrikproduktion ebenso zum Bruttoinlandsprodukt bei wie die Reinigungsleistungen, die erforderlich sind, um die Verschmutzungen und Umweltschäden wieder auszugleichen. Beide Leistungen mehren das Bruttoinlandsprodukt, tatsächlich ist aber die Lebensqualität nicht unbedingt gestiegen. Die Höhe des Bruttoinlandsprodukts allein kann ferner auch über die Ungleichheit der Verteilung des Wohlstands einer Gesellschaft hinwegtäuschen. So haben Spanien und Mexiko mit etwa 1,5 Billionen US-Dollar etwa das gleiche Bruttoinlandsprodukt, jedoch ist das Einkommen in Mexiko viel stärker auf einen kleinen Bevölkerungsteil konzentriert, sodass die Mehrheit der Bevölkerung nicht an dem Niveau der Wirtschaftsleistung partizipieren kann. Aus diesem Grunde sollten zur Bewertung des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungsstands einer Gesellschaft neben dem System der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung z. B. auch der Human Development Index (UNDP 2016) oder Statistiken über die Einkommensverteilung und Verteilungsmaße, wie etwa der Gini-Koeffizient, berücksichtigt werden.



(6) Des Weiteren ist ein internationaler Vergleich von Kenngrößen der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung problematisch, weil nationale Buchführungen sehr unterschiedlich und Preise oft nicht vergleichbar sind. Die damit zusammenhängenden Probleme werden deutlich, wenn man das Pro-Kopf-Produkt zu einem interregionalen Vergleich über nationalstaatliche Grenzen hinweg verwendet, wie McCarthy (2000) dies beispielsweise für die metropolitanen Regionen in der Europäischen Union durchgeführt hat. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass sich unter den 35 reichsten metropolitanen Regionen 25 deutsche Regionen befinden. Das Problem dieser Vorgehensweise besteht darin, dass unterschiedliche Lebenshaltungskosten, soziale Kosten und institutionelle Strukturen auf nationalstaatlicher Ebene unberücksichtigt bleiben, obgleich sie zur Beurteilung von Leistungskraft und Wohlstandsniveau eine große Rolle spielen.

 



Da wirtschaftsgeographische Untersuchungen häufig auf speziellen Erhebungen von ökonomischen Akteuren basieren und es dabei nicht immer gelingt, Indikatoren der Leistungskraft wie z. B. Gewinne zu erfragen, begnügt man sich in der Praxis oft mit Ersatzindikatoren wie etwa den Beschäftigtenzahlen, die wesentlich leichter erfassbar sind. Beschäftigtenzahlen sind von zentraler Bedeutung, wenn man wie in diesem Buch Menschen in den Mittelpunkt der Betrachtung und Analyse stellt. Sie bieten allerdings keinen vollwertigen Ersatz für Indikatoren der Leistungskraft. Unternehmen schaffen Beschäftigungsmöglichkeiten und erzeugen Wohlstand. Ihre Untersuchung muss unter diesen beiden Aspekten gesehen werden und darf keineswegs zum Selbstzweck der Wirtschaftsgeographie werden. Durch die Erfassung von Beschäftigtenzahlen lassen sich aus räumlicher Perspektive zumindest erste Anhaltspunkte über die Verteilung von Wohlstand gewinnen.






4Geographische Grundbegriffe

4.1Positionale Raumkonzepte: Raum, Region, Territorium und Standort



Das Anliegen der Wirtschaftsgeographie ist es, ökonomische Beziehungen und Prozesse im Kontext ihrer räumlichen Spezifika und Auswirkungen zu beschreiben und zu erklären. Im Mittelpunkt stehen räumliche Strukturen, die nicht als unabhängige Entitäten, sondern als Ergebnis sozialer und ökonomischer Prozesse verstanden werden. Diese Perspektive hat die Konsequenz, dass wirtschaftsgeographische Raumbegriffe nicht außerhalb des Sozialen definiert werden können. Wie wichtig Raumbegriffe etwa zur Durchsetzung politischer Ziele sind und dabei gebraucht und missbraucht werden können, zeigt das Beispiel der Blut- und Bodenideologie der Nationalsozialisten im Dritten Reich. Diese definierten Raum als Heimat, als Besitzstand der arischen Rasse, der gegen andere Rassen zu erobern und zu verteidigen sei. Hierbei spielten auch Teile der Länderkunde mit ihrem Landschaftsbegriff eine leidvolle Rolle, denn sie leisteten den Zielen der Nationalsozialisten Vorschub. Das haben insbesondere die Studien seit den 1980er-Jahren über die Rolle der Geographie in der Zeit des Nationalsozialismus verdeutlicht (Schultz 1987; Sandner 1988; Heinrich 1991).



Verschiedene Raumverständnisse sind stets Ausgangspunkt für unterschiedliche Forschungsprogramme und Perspektiven in der Wirtschaftsgeographie (Glückler 1999; 2002). Dennoch gibt es eine Reihe von Grundbegriffen, die zwar anderartige Aspekte des physischen Raums beschreiben, aber oft ähnlich verstanden werden (Blotevogel 1995 a). Dies sind zunächst die Begriffe physikalischer Raum, Territorium, Region und Standort sowie im folgenden Unterkapitel die Begriffe Distanz und Nähe.





4.1.1Physikalischer Begriff des Raums



Der physikalische Raum kann übergeordnet als ein unbestimmter, nicht notwendigerweise abgegrenzter Ausschnitt der Erdoberfläche mit den darin befindlichen dreidimensionalen Gegebenheiten angesehen werden. In dieser Begrifflichkeit ist Raum ein wertfreier Begriff, deshalb aber auch wenig brauchbar. Räume werden erst dann zu einem interessanten Forschungsobjekt, wenn sie aufgrund bestimmter Kriterien in einer Fragestellung abgegrenzt oder herausgestellt werden.





4.1.2Territorium



Territorium ist ein Raumausschnitt, in dem in Bezug auf einen bestimmten Untersuchungsgegenstand spezifische Besitzverhältnisse, Eigentumsstrukturen und Eigentumsrechte gelten. Beispiel für ein Territorium ist der Nationalstaat, der die äußere Grenze einer Volkswirtschaft bildet. Er wird notfalls durch Gewalt, Konflikt oder sogar Krieg gegen andere Nationalstaaten verteidigt. Innerhalb eines Territoriums gibt es Machtverhältnisse, konkrete Regeln und Befugnisse, die durch die Besitzer erlassen werden und durch die andere Personen teilweise oder ganz ausgeschlossen werden. Eine andere Art von Territorium mit unterschiedlichen Rechten und Befugnissen ist das Territorium eines Unternehmens. Welches Ausmaß ein solches Territorium annehmen kann, zeigt etwa der Verbundstandort des Chemie-Konzerns BASF in Ludwigshafen. Der nach Angaben der BASF weltweit größte Chemie-Verbundstandort hat eine Fläche von 10 km2, auf denen sich 2000 Gebäude und 160 Produktionsbetriebe befinden, die durch über 2000 km an Rohrleitungen miteinander verbunden sind. Hier waren im Jahr 1998 rund 45 000, im Jahr 2010 immerhin noch 33 000 Mitarbeiter tätig (BASF 1999; 2011). Auch auf dem Territorium eines Unternehmens gibt es spezifische Regelungen für den Zutritt, Verhaltensregeln zur Vermeidung von Unfällen und spezifische Verkehrsregeln. Durch die Reichweite der Machtbefugnisse sind Territorien nach außen abgegrenzt. Im Unterschied dazu sind Regionen ein künstliches Konstrukt. Sie dienen vor allen Dingen analytischen und planerischen Zwecken und sind nicht in erster Linie durch Machtbefugnisse begrenzt.





4.1.3Region



Region ist eine zentrale Bezugsgröße der Wirtschaftsgeographie, um soziale Interaktionen oder Organisationsformen der Produktion zuzuordnen, zu lokalisieren und vergleichen zu können. Es handelt sich hierbei um einen konkreten Ausschnitt der Erdoberfläche, der aufgrund bestimmter Prinzipien oder Strukturen abgrenzbar ist und dadurch von anderen Regionen unterschieden werden kann (Blotevogel 1999). Eine Region ist ein zusammenhängender Raumausschnitt und Regionalisierungen werden meist flächendeckend z. B. für ein ganzes Staatsgebiet durchgeführt (Sinz 1995). Es gibt viele Beispiele für Regionstypen, die in der Wirtschaftsgeographie von Interesse sind:



(1) Industrieregionen. Sie werden z. B. nach dem Industriebesatz abgegrenzt und sind von Bedeutung, weil sie Arbeitsplätze, aber auch Umweltprobleme schaffen.



(2) Arbeitsmarktregionen. Sie werden nach Pendlerverflechtungen abgegrenzt und sind von Bedeutung, weil sich in diesen räumlichen Einheiten Einkommen verbreiten und weil hier eine entsprechende Verkehrsinfrastruktur vorhanden sein muss.



(3) Wachsende und schrumpfende Regionen. Diese werden z. B. anhand des Wachstums der Arbeitsplätze oder der Einkommen abgegrenzt. Ein generelles Verständnis des Wachstumsprozesses wachsender Regionen hilft dabei, Förderprogramme zu entwickeln, die in schrumpfenden Regionen angewendet werden können, um dort möglichst ebenfalls Wachstum zu erzeugen.



(4) Raumordnungsregionen. Dabei handelt es sich um Planungsregionen, die wie z.B. in Deutschland zur besseren Vergleichbarkeit wirtschaftspolitischer und regionalplanerischer Maß­nahmen eingeführt und für die übergeordnete politische Zielvorstellungen formuliert werden.





4.1.4Abgrenzung von Regionen



Eine wichtige Aufgabe der Wirtschaftsgeographie ist es, für eine konkrete Aufgabenstellung adäquate Regionen abzugrenzen oder einen bestimmten Raumausschnitt in Teilregionen zu untergliedern (Sedlacek 1998). Hierzu kann man drei Abgrenzungsprinzipien unterscheiden (z. B. Lauschmann 1976, I. Teil):



(1) Verwaltungsprinzip. Beim Verwaltungsprinzip sind Regionen gleichgesetzt mit administrativen Einheiten, wie z. B. Länder, Kreise und Gemeinden, die aus dem Zeitablauf heraus entstanden sind. Sie sind durch historisch erwachsene gesellschaftliche Strukturen geprägt. Die Grenzen solcher Regionen sind oft das Ergebnis vielfältiger Machtkämpfe, Aushandlungsprozesse und Kriege. Vor allem in der Nachkriegszeit liegt eine Motivation zur Neuabgrenzung von territorialen Verwaltungsgebieten in dem Bemühen, effektive Verwaltungseinheiten zu schaffen, die veränderten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedürfnissen entsprechen. So wurden in der Bundesrepublik in den 1960er- und 1970er-Jahren umfassende kommunale Gebietsreformen durchgeführt, durch die sich die Zahl der Landkreise um 45 % und die der Gemeinden um 65 % verringerte (Franzke 2005). Die Auswirkungen dieser auf eine höhere Leistungsfähigkeit abzielenden Reformen sind jedoch bis heute umstritten (Reuber 1999). In den Grenzen von Verwaltungseinheiten spiegeln sich oft territoriale Prinzipien wider. Fast immer werden bei weiterführenden Regionsabgrenzungen administrative Einheiten als Kleinsteinheiten zugrunde gelegt. Das hängt damit zusammen, dass es praktisch immer nur auf der Ebene administrativer Raumeinheiten offizielle statistische Daten gibt, die bei einer anderen Regionalisierung zugrunde gelegt werden können. Deshalb sind viele Regionen nach dem Homogenitäts- oder Funktionalprinzip gemeinde- und kreisscharf abgegrenzt.



(2) Homogenitätsprinzip. Beim Homogenitätsprinzip werden Raumeinheiten mit weitgehend ähnlicher Struktur zu Regionen zusammengefasst (Bartels 1970 b). Hierzu gibt es verschiedene Methoden. Die Kennziffernmethode beruht auf Merkmalen wie dem Pro-Kopf-Einkommen und der Arbeitslosigkeit. Dabei werden Klassen gebildet und Schwellenwerte definiert, um Raumeinheiten einem Gebietstyp (z. B. einem Typ mit hohem oder geringem Pro-Kopf-Einkommen) zuzuordnen. Ein multivariates statistisches Analyseverfahren zur Abgrenzung von homogenen Regionen ist die Clusteranalyse (Fahrmeier und Hamerle 1984, Kap. 9; Bahrenberg et al. 1992, Kap. 7; Backhaus et al. 1996, Kap. 6). Ausgangspunkt bei diesem Verfahren ist eine Klasseneinteilung, bei der jede kleinste Raumeinheit einen eigenen Regionstyp bildet. In jedem Schritt dieses iterativen Verfahrens werden diejenigen beiden Regionen, die sich am ähnlichsten sind, zu einem neuen Regionstyp (Cluster) zusammengelegt. Die Anzahl der Regionen verringert sich mit jedem Schritt um Eins, weil zwei Regionen jeweils zu einer neuen Region zusammengefügt werden. Im Verlauf des Verfahrens wird die Heterogenität innerhalb der Regionscluster tendenziell immer größer. Das Verfahren kommt zum Abbruch, wenn die zusammengefassten Regionen nach einem vorgegebenen Kriterium zu heterogen werden.



Beispiel für eine Regionalisierung nach dem Homogenitätsprinzip ist die Gliederung Deutschlands nach dem Pro-Kopf-Einkommen auf Ebene der Bundesländer (→ Abb. 4.1 a). Das Pro-­Kopf-Einkommen ist hier definiert als Bruttoinlandsprodukt je Einwohner. Für das Jahr 2008 fällt auf, dass die ostdeutschen Bundesländer ein deutlich geringeres Pro-Kopf-Einkommen aufweisen als die westdeutschen Bundesländer. Die höchsten Pro-Kopf-Einkommen finden sich in den Stadtstaaten, insbesondere in Hamburg, aber auch im mittleren und südwestlichen Teil Deutschlands in Hessen sowie Bayern. Eine Regionalisierung der deutschen Länder nach Arbeitslosenquoten liefert ein etwas anderes Bild (→ Abb. 4.1 b). Im Dezember 2008 zeigt sich einerseits ein Nord-Süd-Gefälle, wonach Bundesländer im Süden die geringsten Arbeitslosenquoten aufweisen, sowie andererseits ein Ost-West-Gefälle, wonach die Arbeitslosenquoten in Ostdeutschland deutlich höher als in Westdeutschland sind. Bei der Interpretation dieser Daten ist allerdings Vorsicht geboten. Es ist fraglich, ob die Ebene der Bundesländer überhaupt geeignet ist, um die räumliche Verteilung von Pro-Kopf-Einkommen und Arbeitslosigkeit zu untersuchen. Tatsächlich werden dadurch die enormen kleinräumigen Unterschiede in der Wirtschaftsstruktur zwischen Städten, Gemeinden sowie Ortsteilen desselben Bundeslands ignoriert.








Abb. 4.1 Regionalisierung nach dem Homogenitätsprinzip





(3) Funktionalprinzip. Beim Funktionalprinzip werden Regionen aufgrund interner Verflechtungen abgegrenzt. Meist wird hierbei von einem Gravitationskern ausgegangen, zu dem Interaktionen aus dem Umland stattfinden. In der raumwissenschaftlichen Terminologie spricht man auch von einem Zentralfeld (Bartels 1970 a). Gravitationskern ist beispielsweise ein Einkaufszentrum, das von Kunden aus der Umgebung aufgesucht wird, oder ein Industriegebiet, in das Arbeitnehmer täglich von ihrem Wohnort aus einpendeln. Beim Funktionalprinzip wird ein Verflechtungsbereich so festgelegt, dass die Verflechtungen aus dem Umland zum Kern erfasst werden. Resultat ist z. B. ein Kundeneinzugsbereich (Heinritz 1979), eine Arbeitsmarktregion (Eckey 1995; Fassmann und Meusburger 1997; Höher 1997) oder ein regionaler Wohnungsmarkt (Rusche 2009). Methodisch können Funktionalregionen mit Hilfe von Gravitationsmodellen abgegrenzt werden (Lauschmann 1976, III. Teil; Scott 2004). Hierbei wird angenommen, dass die Interaktion zwischen einem Kern i und seiner Umlandgemeinde j (Iij) umso stärker ausgeprägt ist, je größer die Populationen des Kerns (Pi) und des Orts im Umland (Pj) sind und je geringer die Distanz zwischen beiden ist (dij). Der Parameter k stellt hierbei einen Proportionalitätsfaktor dar, der empirisch zu bestimmen ist:

 








Das Prinzip einer Regionalisierung nach dem Funktionalprinzip wird am Beispiel der Aufteilung Mittelhessens in Arbeitsmarktregionen deutlich (Höher 1