Wirtschaftsgeographie

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4.5.4Internationalisierung von Kapitalverflechtungen durch Direktinvestitionen



Ausländische Direktinvestitionen (ADI) haben im Vergleich zu internationalen Handelsverflechtungen ein noch höheres Wachstum erfahren und dokumentieren die zunehmende Bedeutung internationaler Aktivitäten multinationaler Unternehmen (Hirst und Thompson 1996). Als Direktinvestitionen gelten Investitionen zur Gründung von Zweigbetrieben oder zum Erwerb von bzw. zur Beteiligung (mindestens 10 %) an Unternehmen mit dem Ziel, Unternehmensaktivitäten, -strategien und -führung zu kontrollieren. Hiervon sind Portfolioinvestitionen zu unterscheiden, die nicht aus Gründen der Einflussnahme auf die Unternehmenskontrolle erfolgen, sondern mit dem Ziel kurzfristiger Gewinne durch Minderheitsbeteiligungen. ADI werden sowohl in Form der jährlichen Kapitalströme als auch der kumulierten Kapitalbestände in den jeweiligen Ländern erfasst (Cantwell und Mudambi 2005; Iammarino und McCann 2013; Cantwell 2016).



Der größte Teil der ADI entfällt auf die Übernahme oder Erweiterung bestehender Unternehmen durch sogenannte Brownfield-Investitionen. Nur ein relativ geringer Anteil wird für sogenannte Greenfield-Investitionen aufgewendet, also in den Aufbau neuer Unternehmen oder Zweigwerke in anderen Ländern investiert. Seit den 1990er-Jahren haben sich die Transaktionsvolumina grenzüberschreitender Fusions- und Akquisitionsprozesse (mergers & acquisitions) ständig erhöht, um nach einem Einbruch infolge der globalen Wirtschaftskrise 2001/2002 seit 2003 wieder bis zur Weltfinanzkrise 2007 anzuwachsen (→ Abb. 4.17).








Abb. 4.17 Internationale Fusions- und Akquisitionstrans­aktionen von Unternehmen in OECD-Staaten: a) ausgehende Investitionen, b) eingehende Investitionen, 1997 bis 2008 (nach OECD 2010)





Direktinvestitionen tendieren zur räumlichen Ballung (Schamp 2000 b, Kap. 3.5). Hirst und Thompson (1996, Kap. 4) untersuchten im Jahr 1987 für 500 und 1992/1993 für über 2000 multinationale Unternehmen aus mehreren Ländern die geographische Verteilung der Direktinvestitionen sowie ihrer Standorte. Trotz geringfügiger Abweichungen zeigte sich ein eindeutiger Trend im Investitionsverhalten der Unternehmen der großen Industrienationen USA, Großbritannien, Deutschland und Japan. Umsätze, ADI und Gewinne der Unternehmen waren in allen Ländern stark auf das Herkunftsland (home base) konzentriert. Die Konzentration der Geschäftstätigkeit auf die home base traf gleichermaßen auf Industrie- wie auf Dienstleistungsunternehmen zu. Trotz erschwerter Vergleichbarkeit der Datenbanken decken sich die Ergebnisse von 1987 weitgehend mit denen von 1992/1993. Ruigrok und van Tulder (1995, Kap. 7) untersuchten in einer Studie die 100 größten multinationalen Unternehmen und kamen dabei ebenfalls zu dem Ergebnis, dass Unternehmen trotz zum Teil weltweiter Aktivitäten immer noch stark in Richtung ihres Stammlands orientiert waren. Hirst und Thompson (1996, Kap. 4) schlossen aus ihrer Analyse, dass die großen internationalen Konzerne aufgrund der Konzentration ihrer Aktivitäten auf das jeweilige Herkunftsland bzw. auf den kontinentalen Block eher als multinationale und nicht als transnationale Unternehmen verstanden werden sollten (→ Kap. 11.3). Weiter gelangen sie zu der Überzeugung, dass die Idee eines offenen globalen Markts ohne institutionelle und standörtliche Beschränkungen eine Illusion sei (Hirst und Thompson 1996, Kap. 3).



Kleinknecht und Wengel (1998) wiesen in ihren Studien für niederländische und britische Unternehmen Ende des 20. Jahrhunderts eine Stagnation von ADI nach. Frankreich und Deutschland verzeichnen zwar seit den 1980er-Jahren einen Zuwachs an ADI, dieser geht aber mit einer Verminderung des in die Entwicklungs- und Schwellenländer fließenden Anteils von ADI einher. Der räumliche Konzentrationsprozess von Direktinvestitionen deutscher Unternehmen im Ausland untermauert dieses Ergebnis (→ Tab. 4.2). Zwar wachsen ADI in absoluten Werten auch in nicht-europäischen Staaten, aber der Anteil dieser Länder an den gesamten ADI bleibt nahezu konstant. In den Entwicklungs- und Schwellenländern hat sich der Anteil deutscher ADI seit 1980 sogar halbiert. Im Sinne der eingangs erwähnten Globalisierungshypothese müssten demgegenüber gerade Niedrigkosten-Länder aufgrund von Kostenvorteilen attraktive Magneten für Investitionen zur Standortansiedlung sein. Weder die Entwicklung der Außenhandels- noch der Kapitalverflechtungen entspricht in dieser Periode jedoch der Globalisierungshypothese.




Tab. 4.2 Ausländische Direktinvestitionen (ADI) von deutschen Unternehmen nach Zielregionen 1979 bis 1993 (Kleinknecht und Wengel 1998, S. 643)

Jahr

Ausländische Direk­tinvestitionenin Mrd. DM

ADI-Anteil in EU-12-Länder

ADI-Anteil in andere Industrieländer

ADI-Anteil in Entwicklungs-/ Schwellenländer

1979

69,5

39,6 %

37,3 %

23,2 %

1981

101,2

36,0 %

38,5 %

23,3 %

1987

150,9

40,8 %

46,3 %

12,9 %

1989

205,6

43,7 %

45,2 %

11,1 %

1991

262,7

51,0 %

38,3 %

10,7 %

1993

319,4

48,0 %

39,5 %

12,6 %





4.5.5Internationalisierung des Austauschs von Technologien und Wissen



Neben den Handels- und Kapitalverflechtungen erhält auch der internationale Transfer von Technologien und Wissen ein zunehmendes Interesse in der Globalisierungsdiskussion. Anhand von drei Dimensionen kann exemplarisch die steigende Intensität dieses Austauschs dargestellt werden.



(1) FuE-Einrichtungen. In einer Studie von Casson et al. (1992) über die internationale Verteilung von Forschungseinrichtungen von 500 Großunternehmen konnte nachgewiesen werden, dass die Unternehmen der meisten Indus­trieländer eine relativ starke Konzentration ihrer FuE-(Forschungs-und-Entwicklungs-)Aktivitäten im Heimatland aufrecht erhalten. Allerdings hatten niederländische, schweizerische, deutsche und britische Unternehmen zwischen 60 und 80 % ihrer FuE-Einrichtungen im Ausland angesiedelt. Unternehmen aus den USA als der Nation mit den meisten FuE-Einrichtungen unterhielten demgegenüber durchschnittlich nur 30 % ihrer Labore im Ausland (Hirst und Thompson 1996, Kap. 4). Insgesamt verändert sich die Qualität der internationalen Arbeitsteilung in Forschung und Entwicklung. Während ausländische FuE-Einrichtungen zunächst vorwiegend dazu dienten, Produkte und Prozesse an ausländische Produktions- und Marktbesonderheiten anzupassen, werden die Einrichtungen inzwischen stärker auch in unternehmensinterne Forschungsnetze einbezogen. Sie erhalten größere Budgets und umfassendere Verantwortung, was unter anderem dazu führte, dass sich der Anteil ausländischer FuE-Ausgaben US-amerikanischer Unternehmen von 6 auf 11 % im Zeitraum von 1985 bis 1995 nahezu verdoppelte (Blanc und Sierra 1999). Einerseits wird dadurch mehr Nähe zu den lokalen Fähigkeiten in den jeweiligen Standortumgebungen hergestellt (Blanc und Sierra 1999), andererseits können lokale Spezialisierungen als centers of excellence für weltweite Operationen ausgebaut werden (Zeller 2000). Dies ist bisher allerdings nur in wenigen Indus­triebranchen wie der pharmazeutischen Indus­trie und hier nur in bestimmten Unternehmen erkennbar.



(2) Grenzüberschreitende Patente. Patentanalysen sind ein weiteres Instrument der Messung grenzüberschreitender technologischer Verflechtungen. Cantwell (1992) und Patel und Pavitt (1992) berichteten in diesem Zusammenhang beispielsweise, dass nur 10 % aller von internationalen Unternehmen in den USA registrierten Patente von ausländischen Tochterunternehmen und Zweigwerken angemeldet wurden. Die Forschungsaktivitäten und Patentanmeldungen multinationaler Unternehmen aus den USA, Japan, Deutschland, Frankreich und Italien sind zudem fast ausschließlich auf die Triade konzentriert (Patel 1995). Im Jahr 2007 befanden sich durchschnittlich 15 % aller in den OECD-Staaten angemeldeten Patente im Eigentum oder Miteigentum ausländischer Organisationen (OECD 2010). Insgesamt sind die technologischen Aktivitäten großer Unternehmen immer noch verhältnismäßig stark auf ihr Stammland orientiert (Cooke und Morgan 1998, Kap. 1; Zanfei 2000). Hierin drückt sich die besondere Bedeutung der dort vorhandenen technologischen Kompetenz für die internationale Wettbewerbsfähigkeit aus.



(3) Formen der technologischen Zusammenarbeit. Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten des organisierten Transfers von Technologien über nationale Grenzen hinweg. Die Formen reichen vom gegenseitigen Austausch von Lizenzrechten bis hin zur Einrichtung gemeinsamer FuE-Labors in joint ventures oder strategischen Allianzen. Die Anzahl ausländischer Unternehmensbündnisse zum Austausch von Technologien ist in kleinen Volkswirtschaften besonders hoch, da für diese auch der Außenhandel eine größere Rolle spielt. Während bis Ende der 1980er-Jahre die Zahl von technologischen Kooperationen in der Triade nahezu konstant blieb, stieg sie in den Jahren bis 1994/1996 stark an (OECD 1999 a). Die Betrachtung auf der Ebene der Triade verdeutlicht, dass internationale techno­logische Verflechtungen während der 1990er-Jahre zumindest in Europa und Japan sukzessive an Bedeutung gewannen. Dennoch lässt sich ein zunehmender Trend der internationalen Zusammenarbeit im Bereich wissenschaftlicher Forschung und Entwicklung feststellen. So wächst die Zahl internationaler Ko-Autoren in wissenschaftlichen Publikationen der Natur- und Ingenieurwissenschaften sowie der Medizin stetig an, während die Zahl der Veröffentlichungen von Einzelautoren abnimmt (OECD 2010) (→ Abb. 4.18).

 








Abb. 4.18 Wachstum der Anzahl internationaler Ko-Autoren bei wissenschaftlichen Publikationen 1992 bis 2007 (nach OECD 2010, S. 127)





Auch wenn internationale Kapitalverflechtungen und technologische Verflechtungen weiter an Bedeutung gewinnen, ist die Geographie der wirtschaftlichen Globalisierung immer noch ungleich und stark auf die Triade (Kleinknecht und Wengel 1998) sowie zunehmend auch auf die großen Schwellenökonomien Brasilien, Russland, Indien und China (sog. BRIC-Staaten) konzentriert. Allein die Analyse derartiger Verflechtungsstatistiken erzeugt jedoch nur ein begrenztes Verständnis der zugrunde liegenden Prozesse, deren Träger nicht in erster Linie die Nationalstaaten, sondern vor allem mächtige multinationale Unternehmen mit ihren Strategien sind. Das Wachstum von intra- und intersektoralem sowie unternehmensinternem Handel sagt zwar etwas darüber aus, wie sehr der grenzüberschreitende Transfer und die internationale Arbeitsteilung in globalen Wertketten zunehmen. Die Zunahme der ADI und des internationalen Handels allein bedingt jedoch noch keine fortschreitende ökonomische Integration der Weltwirtschaft (Schamp 2000 b, Kap. 2.3). Über die qualitativen Hintergründe des Austauschs geben Statistiken keine eindeutige Auskunft (Storper 1997 b, Kap. 7; 1997 c). So ist es beispielsweise schwierig, zunehmende Kapitalverflechtungen durch ausländische Direktinvestitionen zu interpretieren. Einerseits deuten sie darauf hin, dass Unternehmen eine intensive globale Organisation der Produktion anstreben und somit der unternehmensinterne Handel von Zwischen- und Endprodukten sowie der Transfer von Technologien und Wissen ansteigen. Andererseits können sie ebenso Ausgangspunkt dafür sein, dass der Außenhandel langfristig durch die umfassende Präsenz in den nationalen Märkten reduziert wird. Eine Verdichtung von Standortnetzen, die sich womöglich in der Zunahme von ADI ausdrückt, kann folglich auch eine Verringerung der Handelsverflechtungen bewirken.



Letztlich führen selektive und zugleich intensivierte Verflechtungen und Beziehungen zu neuen sich verstärkenden Disparitäten auf globaler Ebene, die auch auf regionale Ungleichheiten rückwirken und betreffende Prozesse entweder überlagern oder beschleunigen. Um die Grundlagen derartiger ungleicher Standortverteilungen zu verstehen, werden in Teil II des Buchs nachfolgend Ansätze der Raumwirtschaftslehre kritisch diskutiert. Kapitel 5 und 6 befassen sich entsprechend mit der Erklärung von Standortstrukturen auf der Ebene der Unternehmen, deren Ansiedlungsentscheidungen letztlich die Ursachen für regionale Ballungs- und Entleerungsprozesse und somit auch für regionale Disparitäten darstellen.





Teil 2: Ansätze und Grenzen der Raumwirtschaftslehre










5Im Denken räumlicher Ordnung und Hierarchie

5.1Lagerentenprinzip, Transportkostenprimat und landwirtschaftliche Landnutzung



Um das Nebeneinander von geographischer Ballung und Entleerung zu verstehen, ist es notwendig, die Kalküle von Individuen und Unternehmen zu untersuchen, die letztlich Ursachen von Standort- und Landnutzungsentscheidungen sind. Dies steht im Fokus der nächsten beiden Kapitel, wobei in traditioneller Form die Standortwahl zunächst getrennt für den primären, sekundären und tertiären Sektor dargestellt wird. In Kapitel 5 werden die landwirtschaftliche und städtische Landnutzung und die daraus resultierende räumliche Ordnung und Hierarchie untersucht, bevor in Kapitel 6 Regelmäßigkeiten der industriellen Standortwahl im Fokus stehen. Die dargestellten Ansätze der Landnutzungs- und Standorttheorie sind zentrale Bestandteile der Raumwirtschaftslehre. Es handelt sich hierbei um traditionell-statische Theoriegebäude, die räumliche Beziehungen durch ökonomische Distanzvariablen abbilden. Große Bedeutung besitzen in diesen Ansätzen die Transportkosten, deren Einbeziehung den zentralen Unterschied zu konventionellen ökonomischen Modellformulierungen ausmacht.



Die landwirtschaftliche Landnutzungslehre geht auf Untersuchungen des Nationalökonomen von Thünen Anfang des 19. Jahrhunderts zurück (von Thünen 1875, Kap. 1). In seiner Arbeit über den sogenannten isolierten Staat legte er modellhaft dar, wie die räumliche Anordnung der landwirtschaftlichen Produktion und deren Intensität räumlich variieren. Seine Vorgehensweise war induktiv und deduktiv zugleich. Ausgangspunkt seiner Arbeit waren Beobachtungen und das Erkennen empirischer Regelmäßigkeiten auf seinem Gut Tellow in Mecklenburg. Dort nahm von Thünen für die ihm bekannten Agrarerzeugnisse und Bodennutzungssysteme genaue Kosten- und Ertragsberechnungen vor. Die darauf folgende Ableitung allgemeiner Aussagen erfolgte ausgehend von bestimmten Grundannahmen deduktiv.





5.1.1Bodenrente und Lagerente



Im landwirtschaftlichen Sektor ist der Standort eines Betriebs meist vorgegeben. Einerseits gibt es natürliche Bedingungen, wie z. B. klimatische Verhältnisse und Bodenqualität, die eine Standortgunst oder -ungunst implizieren. Andererseits sind die Standorte historisch vorgegeben. Sie resultieren aus gesellschaftlichen Verteilungs- und Inwertsetzungsprozessen und werden von Generation zu Generation vererbt. Interessanter als die Frage nach dem Standort einer vorgegebenen Nutzung ist deshalb die Frage nach der konkreten Landnutzung an dem vorgegebenen Standort und der Organisation der landwirtschaftlichen Produktion. So ist zu beobachten, dass trotz der durch Klima, Boden und andere Umweltbedingungen bedingten Standortgunst Landwirte eine gewisse Wahlfreiheit haben, welche Produkte sie erzeugen. Beobachtungen zeigen, dass diese Wahl stark von gesellschaftlichen Traditionen und Bedürfnissen und damit auch von der Nachfrage geprägt wird.



In Modellen wird normalerweise davon ausgegangen, dass die Landnutzung unter bestimmten physischen Gegebenheiten so erfolgt, dass ein maximaler Gewinn pro Flächeneinheit erzielt wird. Der Mechanismus, der dabei die konkrete Art der Landnutzung koordiniert, heißt Bodenrente (Dicken und Lloyd 1990, Kap. 1; Yeates 1990, Kap. 5). Nach Chisholm (1970, S. 22 und 24) lässt sich die Bodenrente wie folgt definieren: „ the economic rent of a particular piece of land is the return that can be obtained above that which can be got from the land which is at the margin of economic cultivation.“ Die Bodenrente ist also der Mehrgewinn pro Flächeneinheit einer landwirtschaftlich genutzten Fläche gegenüber einer anderen Fläche identischer Größe auf einem sogenannten Grenzertragsboden, d. h. einem Boden, auf dem die Erträge gerade noch eine kostendeckende Produktion erlauben.



Ricardos Konzept der Differentialrente erfasst denjenigen Teil der Bodenrente, der allein auf die höhere Bodenqualität zurückzuführen ist (Marshall 1990 , IV. Buch, Kap. III).



Von Thünens (1875) Konzept der Lagerente berücksichtigt demgegenüber, dass die Bodenrente systematisch nicht nur mit der Bodenqualität, sondern auch mit der Entfernung zum Markt variiert. Unter der Lagerente versteht man ceteris paribus (also unter sonst gleichen Bedingungen) den Mehrgewinn einer landwirtschaftlich genutzten Fläche aufgrund der geringeren Entfernung zum Markt im Vergleich zu einer anderen gleich großen Fläche, die so weit vom Markt entfernt ist, dass die höheren Transportkosten den Nettoerlös vollständig aufbrauchen. In der Lagerente spiegeln sich vor allem die mit der Lage zum Markt variierenden Transportkosten (pro bewirtschafteter Flächeneinheit) wider.





5.1.2Prinzipien des isolierten Staats



Von Thünen (1875) stellte die Lagerente in das Zentrum seiner Überlegungen und analysierte, wie die Art und Intensität der Landnutzung mit der Entfernung zum Markt variiert. In seinen systematischen Überlegungen ging er von einer Vielzahl von Grundannahmen aus, von denen im Folgenden die wichtigsten genannt sind (Waibel 1933 b; Schätzl 1998, Kap. 2.1.2):



(1) Natürliche Gegebenheiten. Der isolierte Staat wird als kreisrunde und von der Außenwelt abgeschnittene homogene Fläche angenommen. Die Homogenität bezieht sich auf die Gleichheit von Boden, Klima und Relief sowie auf alle weiteren, nicht spezifisch berücksichtigten Faktoren. So wird z. B. von der Abwesenheit schiffbarer Gewässer ausgegangen.



(2) Technische Gegebenheiten. Neben der Homogenität natürlicher Faktoren wird ferner eine Gleichheit von Bewirtschaftungs- und Verkehrstechnologien angenommen. Da es noch keine Eisenbahn gibt, werden Pferdefuhrwerke eingesetzt. Somit ist die Frachtrate pro Gewichtseinheit und Kilometer überall identisch.



(3) Ökonomisch-räumliche Abstraktion. Als Markt fungiert eine große Stadt im Zentrum des isolierten Staats. Hier konzentriert sich auch der Industriesektor (Bergwerke und Salinen) und damit ein Großteil der mit landwirtschaftlichen Produkten zu versorgenden Bevölkerung. Die Landwirte beliefern die Bevölkerung dieser Stadt mit ihren Produkten. Dabei streben sie Gewinnmaximierung an. Ferner wird davon ausgegangen, dass alle landwirtschaftlichen Güter gleich groß sind.



Mittels der durch den Verkauf landwirtschaftlicher Produkte auf dem städtischen Markt erzielten Erlöse müssen die Landwirte aufgrund der getätigten Annahmen neben den Produktionskosten auch die Transportkosten zum Markt abdecken. Da die Transportkosten mit zunehmender Entfernung vom Markt ansteigen, müssen im isolierten Staat nach außen hin Produkte erzeugt werden, die im Verhältnis zu ihrem Wert geringe Transportkosten verursachen. Es sind dies Produkte mit niedrigen Transportkosten pro Flächeneinheit, relativ langer Haltbarkeit und leichter Transportierbarkeit. In der Folge entstehen um die Stadt im Zentrum des isolierten Staats konzentrische Ringe mit unterschiedlicher landwirtschaftlicher Nutzungsart und Nutzungsintensität (Chisholm 1970, Kap. 2; Berry et al. 1987, Kap. 9; Maier und Tödtling 1992, Kap. 6). Von Thünen (1875) identifizierte sechs derartige Landnutzungsringe bzw. Produktionszonen innerhalb des isolierten Staats (Waibel 1933 b), die sich in konzentrischen Kreisen um den Mittelpunkt anordnen (→ Abb. 5.1):



(1) Freie Wirtschaft. Hier dominiert der Gartenbau mit hohen Nettoerlösen pro Flächeneinheit. Die Verderblichkeit dieser Produkte ist ein weiterer Erklärungsgrund für die Marktnähe dieser Nutzungsform. Da der Boden hier aufgrund der unmittelbaren Marktnähe sehr wertvoll ist, ist zugleich die Intensität der Landnutzung sehr hoch, was sich in einem erhöhten Arbeitseinsatz ausdrückt.



(2) Forstwirtschaft. Die forstwirtschaftliche Nutzung ist im isolierten Staat durch relative Marktnähe gekennzeichnet, weil die Transportkosten pro Flächeneinheit unter den Transportbedingungen des 19. Jahrhunderts sehr hoch sind und die Transportierbarkeit erschwert ist.



(3) Fruchtwechselwirtschaft. Hierbei findet ein jährlicher Wechsel der angebauten Fruchtart im mehrjährigen Rhythmus ohne Bracheperiode statt. Durch den jährlichen Fruchtwechsel wird dem Boden die Möglichkeit zur Regeneration wichtiger Nährstoffe gegeben.



(4) Koppelwirtschaft. Hier existiert zusätzlich zur Fruchtwechselwirtschaft noch eine Bracheperiode.



(5) Dreifelderwirtschaft. Bei der Dreifelderwirtschaft wird in einem Drei-Jahres-Rhythmus zwischen Getreideanbau, Weidewirtschaft und Brache abgewechselt.



(6) Viehzucht. Dies ist die äußerste Nutzungszone des isolierten Staats, an die sich unkultivierte Wildnis anschließt.



Die Landnutzungsringe (3) bis (5) sind durch Getreideanbau gekennzeichnet. Der Hauptunterschied zwischen ihnen besteht darin, dass die Anbauintensität nach außen abnimmt.



Das Landnutzungsmuster innerhalb des isolierten Staats ändert sich mit der Variation der zugrunde gelegten Annahmen (Waibel 1933 b; Berry et al. 1987, Kap. 9). So kommt es durch die Einführung eines schiffbaren Flusses dazu, dass sich die Produktionszonen parallel zum Fluss linear anordnen (→ Abb. 5.1). Das liegt daran, dass die Kosten für Transporte auf dem Fluss deutlich geringer sind als für Transporte auf dem Landweg. Durch die Einbeziehung einer zweiten Kleinstadt in das Modell entsteht um den zusätzlichen Standort entsprechend eine eigenständige Landnutzungsstruktur. Wenn man weiterhin den Einfluss von Innovationen im Verkehrswesen, wie z. B. die Einführung der Eisenbahn, untersucht, so ergibt sich eine sukzessive Ausweitung des isolierten Staats, weil aus größer werdender Entfernung zu relativ geringen Kosten Produkte angeliefert werden können.

 



In der Arbeit von v. Thünen (1875) zeigen sich zwei Prinzipien der Herausbildung von Landnutzungszonen, die im Folgenden näher untersucht werden:



(1) Das Differentialprinzip besagt, dass es aufgrund der Lagerente zu einer räumlichen Differenzierung zwischen verschiedenen Kulturarten kommt.



(2) Nach dem Intensitätsprinzip entwickelt sich eine räumliche Sortierung innerhalb einer Kulturart nach Zonen mit unterschiedlicher Anbauintensität.



Differentialprinzip. In Marktnähe sind die Transportkosten niedrig und die Lagerente ist dementsprechend hoch. Anbauprodukte mit einem hohen Erlös pro Flächeneinheit können einen Standort in Marktnähe mit hoher Lagerente eher verkraften als solche mit geringem Erlös pro Flächeneinheit. Dieser Zusammenhang lässt sich für eine einzelne Anbaufrucht auch formal darstellen (→ Abb. 5.2). Die Lagerente kann anhand folgender Lagerentenformel berechnet werden:




R

= (p – a) · E – f · d · E

wobei gilt:

R

= Lagerente (Nettoerlös) pro Flächeneinheit (€/ha)

p

= Marktpreis pro Produkteinheit (€/Dz)

a

= Produktionskosten pro Produkteinheit (€/Dz)

E

= Ertrag pro Flächeneinheit (Dz/ha)

f

= Transportkosten pro Produkt- und Entfernungseinheit (€/)

d

= Entfernung zum Markt (km)





Die Lagerente wird demnach als Nettoerlös pro Flächeneinheit ermittelt und sinkt bei einem gegebenen Anbauprodukt mit wachsender Entfernung zum Markt. Bei nur einem einzigen betrachteten Produkt ergibt sich somit ein konzentrisches Anbaugebiet, dessen äußere Grenze sich dort befindet, wo die Transportkosten genauso hoch sind wie der Nettoerlös eines Landwirts, die Lagerente also gleich Null ist (Dicken und Lloyd 1990, Kap. 1). Die Lagerentenkurve sagt zugleich etwas über die Zahlungsbereitschaft für eine Flächeneinheit landwirtschaftlicher Nutzfläche und damit über den Bodenpreis aus. Ihre Steigung gibt an, wie viel ein Landwirt zu zahlen bereit wäre, um 1 km näher am Markt produzieren zu können.



Auch unter Berücksichtigung mehrerer Anbauprodukte ergibt sich eine konzentrische Landnutzung, wie das folgende hypothetische Beispiel mit den Produkten (Frisch-)Gemüse, Kartoffeln und Roggen zeigt (→ Abb. 5.3). Bei Gemüse sind im Vergleich zu Kartoffeln die Nettoerlöse pro Flächeneinheit größer. Zugleich sind auch die Transportkosten pro Flächeneinheit und Kilometer relativ hoch. Aus diesem Grund besitzt die Lagerentenkurve für Gemüse einen steileren Verlauf und einen größeren Achsendurchgang als die Lagerentenkurve für Kartoffeln. Wenn man entsprechend Roggen als drittes Anbauprodukt in die Überlegungen mit einbezieht, so ergibt sich ein Lagerentendiagramm mit drei Lagerentenkurven. Entsprechend der Schnittpunkte der Kurven ergeben sich drei konzentrische Anbauzonen. Der erste Anbauring ist durch Gemüseanbau als alleinige Landnutzungsform gekennzeichnet, weil damit in diesem Bereich die höchste Lagerente erwirtschaftet wird. Ein Landwirt wäre hier durch Gemüseanbau in der Lage, im Vergleich zu alternativen Nutzungen einen höheren Bodenpreis zu zahlen. Die weiteren Anbauzonen ergeben sich entsprechend.



Dass die Lagerente zugleich ein wichtiger Bestimmungsfaktor des Bodenpreises ist (Alonso 1960), zeigt sich, wenn man von einer Situation ausgeht, in der Landwirte jedes Jahr das bewirtschaftete Land von Landbesitzern pachten müssen. Diese Situation kann man z. B. in den USA vorfinden. Unter Wettbewerbsbedingungen wäre ein Landwirt in der Lage, einen umso höheren Pachtpreis zu bezahlen, je näher sein Standort am Markt liegt und je höher der Nettoerlös pro Flächeneinheit ist, den er mit einer bestimmten Landnutzung erzielt. Der Pachtpreis wäre also direkt abhängig von der Lagerente. Durch gewinnmaximierendes Verhalten würde unter diesen Bedingungen ein räumliches Gleichgewicht der Landnutzung resultieren, bei dem überall derselbe Gewinn pro Flächeneinheit erzielt würde (Dicken und Lloyd 1990, Kap. 1).



Intensitätsprinzip. Dieses Prinzip besagt, dass es auch innerhalb einer Kulturart zu einer räumlichen Differenzierung kommt. So gibt es im isolierten Staat drei aufeinanderfolgende Getreideringe (→ Abb. 5.1 und 5.4), innerhalb der die Transportkosten ebenfalls mit der Entfernung vom Markt variieren. Mit abnehmender Entfernung vom Markt ste