Wirtschaftsgeographie

Текст
0
Отзывы
Читать фрагмент
Отметить прочитанной
Как читать книгу после покупки
Шрифт:Меньше АаБольше Аа

5.1.3Von Thünen’sche Ringe verschiedener Maßstabsebenen

Von Thünen’sche Ringe kleiner bzw. kleinster Ordnung sind solche, die um eine Siedlung oder einen landwirtschaftlichen Betrieb entstehen. So lässt sich bei einem landwirtschaftlichen Betrieb anhand des Arbeits- und Düngemitteleinsatzes zeigen, dass die Arbeitsintensität mit zunehmender Entfernung vom Hof geringer wird. Müller-Wille (1936) wies am Beispiel der Ackerfluren im Birkenfelder Land nach, dass landwirtschaftliche Flächen mit zunehmender Entfernung vom Dorfkern immer extensiver bewirtschaftet werden. In Hofnähe überwogen eher Garten- und Ackerbau, in größerer Entfernung hingegen Getreideanbau sowie Weidewirtschaft. Chisholm (1970, Kap. 4) konnte am Beispiel der sizilianischen Agrostadt Canicatti und Stamer (1995) für Hamburg v. Thünen’sche Ringe um eine städtische Siedlung darstellen. Noch in den 1960er-Jahren erkannte Blaikie (1971), wenn auch mit gewissen Abweichungen von v. Thünens Modell, die Existenz konzentrischer Anbauringe um städtische Zentren in Indien.

Bei Anbauringen mittlerer Ordnung handelt es sich um Ringe, die sich um einen regionalen Markt herausbilden. Müller-Wille (1952) belegte die Existenz derartiger Produktionszonen in seiner Arbeit über Westfalen schon für die Periode um 1800 (Giese 1995). Er erkannte zugleich, dass die Bedeutung von Transportkosten im Zeitablauf durch die Einführung neuer Verkehrstechnologien zunehmend geringer und dadurch die ringförmige Struktur der Landnutzung überformt wurde. Die Versorgungsräume weiteten sich aus und Transportkosten verloren zumindest teilweise ihren Einfluss als raumdifferenzierende Größe. Infolge derartiger Veränderungen bildeten sich im 20. Jahrhundert um das Ruhrgebiet als Regionalmarkt drei große Produktionssektoren: Viehsektor, Waldsektor und Anbausektor. Trotz dieser sektoralen Anordnung stellte Müller-Wille (1952) fest, dass die Nutzungsintensität um 1940 mit abnehmender Entfernung vom Ruhrgebiet größer wurde und sich somit eine Ringbildung nach dem Intensitätsprinzip andeutete (→ Abb. 5.5 a).

Von Thünen’sche Ringe größter Ordnung auf nationaler bzw. supranationaler Ebene haben beispielsweise van Valkenburg und Held (1952) für Europa ermittelt. Die Autoren betrachteten Südostengland, Nordfrankreich, Benelux und Norddeutschland als großes Verdichtungsgebiet in Europa, das mit Agrarprodukten zu versorgen war und einen riesigen Absatzmarkt darstellte (Chisholm 1970, Kap. 5; Giese 1995). Das von Thünen’sche Intensitätsprinzip spiegelte sich in ihrer Karte der Bodennutzungsintensitäten um 1950 wider (→ Abb. 5.5 b). Die Autoren ermittelten dazu die Hektarerträge für die Nutzpflanzen Weizen, Roggen, Gerste, Hafer, Mais, Kartoffeln, Zuckerrüben und Heu. Die durchschnittlichen Erträge wurden indexiert und gleich 100 gesetzt. Die in den verschiedenen Regionen festgestellten Abweichungen wurden zu einem Gesamtindex über alle Nutzpflanzen hinweg zusammengefasst. Die sich daraus ergebende Karte der Nutzungsintensität bestätigt das von Thünen’sche Prinzip insofern, als die Indexwerte in der Nähe des Verdichtungsraums mit Werten bis 180 am höchsten lagen und nach außen hin in allen Richtungen auf Werte unter 100 abfielen. Die Untersuchung von van Valkenburg und Held (1952) weist allerdings zahlreiche methodische Probleme auf und ist deshalb mit Vorsicht zu behandeln. So sagen die verwendeten Hektarerträge nicht unbedingt etwas über Nutzungsintensitäten oder Produktivitäten aus. Von Mitteleuropa beispielsweise verschlechtern sich die landwirtschaftlichen Anbaubedingungen nach außen hin in alle Richtungen: zunehmende Kontinentalität im Osten, Kälte im Norden und Trockenheit im Süden. Insofern mag die Darstellung der Hektarerträge vor allem ein Ausdruck der natürlichen Anbaubedingungen sein.


Abb. 5.5 Nachweis von Thünen’scher Ringe a) mittlerer und b) größter Ordnung (nach Giese 1995, S. 32 und 35)

5.1.4Kritische Würdigung des isolierten Staats

Die kritische Auseinandersetzung mit dem isolierten Staat lässt schnell erkennen, dass der Erklärungsgehalt des Modells in heutiger Zeit nur noch gering ist. Die häufigste Kritik setzt an den unzureichenden Modellannahmen an (Schätzl 1998, Kap. 2.1.2).

(1) Unrealistische Homogenitätsannahmen und statische Betrachtung. Besonders problematisch sind die Annahmen über homogene Produktionstechnologien und die Nichteinbeziehung neuer Verkehrstechnologien. So wird der Einfluss der Lagerente mit neuen Verkehrstechnologien immer geringer. Durch preiswertere und schnellere Transportmöglichkeiten kommt es nicht mehr zur Herausbildung konzentrischer Anbauringe.

(2) Umkehrung der von Thünen’schen Ringe. Sinclair (1967) kritisiert, dass die Analyse von Thünens primär auf Transportkostenüberlegungen basiert. Er entwickelt ein Alternativmodell, das zu einer Umkehr der von Thünen’schen Ringe führt (→ Abb. 5.6). Er geht davon aus, dass die städtische Expansion ins Umland wichtigen Einfluss auf die Bodenrente hat. Da städtische Nutzungen (auch solche in Zentrumsferne) generell eine höhere Bodenrente erzielen als landwirtschaftliche Nutzungen (selbst solche in relativer Marktnähe), kommt es zu einer Umkehr der von Thünen’schen Ringe landwirtschaftlicher Nutzungsintensität, wenn sich städtische Nutzungen ins Umland ausdehnen (Dicken und Lloyd 1990, Kap. 1; Giese 1995): Da der Boden im städtischen Umland von einer möglichen Umnutzung betroffen ist, wenn die Stadt expandiert, investieren die dort ansässigen Landwirte nicht mehr viel Kapital und Arbeit in ihre Produktion. In Erwartung einer Ausweitung städtischer Nutzungen hat der Boden in Zentrumsnähe für landwirtschaftliche Nutzungen deshalb einen relativ geringen Wert und wird extensiv bewirtschaftet. Hingegen steigt die landwirtschaftliche Bodenrente mit etwas größerer Distanz vom städtischen Einflussbereich wieder an, weil die Überführung in städtische Nutzungen hier nicht absehbar ist.


Abb. 5.6 Umkehrung der von Thünen’schen Ringe (nach Sinclair 1967, S. 80)

(3) Durchbrechung der von Thünen’schen Ringe durch soziale Prozesse. Besonders großen Einfluss auf die Art der Landnutzung haben soziale Strukturen, Traditionen und Prozesse. Sie führen dazu, dass von Thünen’sche Ringe in der aktuellen Landnutzung kaum mehr sichtbar sind. So gibt es z. B. beim Hopfen- und Weinbau kleinräumige Anbauspezialisierungen, die das sozioökonomische Gefüge der betreffenden Regionen stark prägen (Healey und Ilvery 1990, Kap. 11; Klohn 1993). Solche Spezialisierungen sind durch Transportkostenminimierung und klimatische Gunstfaktoren allein nicht zu erklären. Sie sind vielmehr das Ergebnis regionsspezifischer Entwicklungspfade, die ökonomische Prozesse in die regionalen gesellschaftlichen Strukturen einbinden. Ebenso bieten weder die von Thünen’schen Ringe noch klimatische Gunstfaktoren und geringe Arbeitskosten eine ausreichende Erklärung dafür, dass in lateinamerikanischen und afrikanischen Regionen Zierpflanzen für den Weltmarkt angebaut werden (Stamm et al. 1995; Schubert 2004).

Hartke (1956) zeigte schon frühzeitig am Beispiel des Phänomens der Sozialbrache, wie eine Durchbrechung der von Thünen’schen Ringe durch soziale Prozesse möglich ist. Er erkannte das Phänomen der Sozialbrache in Gebieten von Hessen, dem Saarland und Baden-Württemberg. Dies war insofern überraschend, als man in den betreffenden Regionen aufgrund ihrer relativen Marktnähe eine intensive Landnutzung erwartet hätte. Hartke (1956) erklärte das Phänomen der Sozialbrache als eines, das durch das Erbrecht, die Realerbteilung, und die damit verbundenen Sozialstrukturen verursacht wurde. Bei der Realerbteilung wurden landwirtschaftliche Nutzflächen pro Betrieb von Generation zu Generation immer kleiner. Das funktionierte so lange, bis die einzelnen Besitzgrößen so klein waren, dass es nicht mehr produktiv war, landwirtschaftlich zu arbeiten. In der Folge fielen große Gebiete brach.

Obwohl das Modell und die konkreten Ergebnisse bereits frühzeitig kritisiert wurden, behielt die durch von Thünen (1875) beschriebene methodische Vorgehensweise der isolierten Abstraktion eine große Bedeutung. Die Vorgehensweise diente als Vorbild für viele Arbeiten der wirtschaftsgeographischen Standortlehre und wurde z. B. auch auf den städtischen Bodenmarkt übertragen. Von Thünens Ansatz, Transportkosten als Indikator ökonomischer Beziehungen im Raum zu verwenden und daraus räumliche Differenzierungen abzuleiten, wurde zu einer konstitutiven Methode der Raumwirtschaftslehre und hat noch heute eine didaktische Bedeutung für das Verständnis des Einflusses wirtschaftlicher Prozesse auf räumliche Strukturen.

5.2Übertragung des ­Lagerentenprinzips auf den städtischen Bodenmarkt

Das von v. Thünen entwickelte Modell der Lagerente und seine Wirkung auf die Landnutzung wurde von Alonso (1960; 1964) auf den städtischen Bodenmarkt übertragen. Analog zu von Thünen versuchte Alonso (1960), Unterschiede in der Landnutzung durch das Wechselspiel von Lagerente und Transportkosten zu erklären. Ausgangspunkt war hierbei die Überlegung, dass sich menschliche Bedürfnisse als städtische Nutzungsansprüche ausdrücken lassen und dass diese auf das Stadtzentrum hin ausgerichtet sind. Entsprechend der Nutzungsansprüche entsteht somit ein Flächenbedarf für Büro- und Geschäftsraum, Wohnraum, Bildungs-, Versorgungs- und Erholungseinrichtungen sowie für Verkehrsinfrastruktur (Giese 1978; 1995). Die Orientierung der Nutzungsansprüche auf das Zentrum ließ sich dadurch rechtfertigen, dass durch eine Ballung von Funktionen im Zentrum einer Stadt (dem klassischen Marktplatz) die Minimierung der ökonomischen Distanzen bei der Bedürfnisbefriedigung angenommen wurde.

 

5.2.1Prinzipien der städtischen Landnutzungslehre

Anhand empirischer Untersuchungen in nordamerikanischen Städten ermittelte Alonso (1960; 1964) ein deutliches Bodenpreisgefälle zwischen Stadtzentrum und Stadtrand. Besonders drastisch war der Preisabfall vom central business district (CBD), dem innerstädtischen Geschäftszentrum, in die direkt angrenzenden Gebiete. Dies ließ sich damit begründen, dass der CBD für alle konkurrierenden Nutzungsformen ein wünschenswerter Standort im Zentrum mit geringstmöglichen Transportkosten war. Durch die Anwendung des von Thünen’schen Modells der Lagerente auf den städtischen Bodenmarkt ließen sich deshalb analog zum isolierten Staat konzentrische Landnutzungszonen innerhalb von Städten ableiten (Heineberg 1989, Kap. 3; Krätke 1995 b, Kap. 8). Hierbei sind zwei Prinzipien der Landnutzungsdifferenzierung zu unterscheiden: das Differential- und das Intensitätsprinzip.

Differentialprinzip. Beim Differentialprinzip kommt es aufgrund der Lagerente zu einer räumlichen Differenzierung nach verschiedenen städtischen Landnutzungsarten in Form konzentrischer Ringe (Dicken und Lloyd 1990, Kap. 1; Yeates 1990, Kap. 5). Dies lässt sich an einem Beispiel mit vier Landnutzungen demonstrieren, die aufeinanderfolgende Landnutzungsringe bilden: Büro- und Geschäftsraum, Industrie, Wohnraum und Landwirtschaft (→ Abb. 5.7). Je näher ein Standort am Zentrum liegt, desto geringer sind die entstehenden Transportkosten und desto höher ist die Lagerente. Dies gilt für jede Art der Landnutzung – jedoch in unterschiedlichem Ausmaß. So haben die Büro- und Geschäftsraumnutzung die größten Gewinnerwartungen pro Flächeneinheit, so dass deshalb die höchsten Bodenpreise für ein zentrumsnahes Grundstück gezahlt werden können. Mit zunehmender Entfernung vom Stadtzentrum erzielen demgegenüber andere Arten der Landnutzung eine höhere Lagerente pro Flächeneinheit und sind entsprechend in der Lage, erfolgreich gegen alternative Nutzungsformen zu konkurrieren. Insgesamt entstehen konzentrische Landnutzungszonen, wobei im Außenbereich Wohnraumnutzung und landwirtschaftliche Nutzungen angesiedelt sind. Hierbei wird unterstellt, dass die Wohnbevölkerung sich im Stadtzentrum versorgt, sodass die Menschen ins Zentrum pendeln und landwirtschaftliche Produkte ebenfalls hierhin geliefert werden.


Abb. 5.7 Städtische Landnutzungszonen aufgrund des Differentialprinzips der Lagerente

Intensitätsprinzip. Auch das von Thünen’sche Intensitätsprinzip lässt sich auf den städtischen Bodenmarkt übertragen: Einerseits kommt es zu einer Differenzierung der Bebauung nach der Bebauungshöhe und andererseits zu einer räumlichen Sortierung innerhalb einer Nutzungsform nach der Bebauungsdichte. Dieser Zusammenhang wurde schon in der Arbeit von Kohl (1841) angedeutet.

(1) Nutzungszonen unterschiedlicher Bebauungshöhe. Da mit zunehmender Nähe zum Zentrum die Transportkosten sinken und die Lage­rente sich erhöht, steigen die Bodenpreise in Zentrumsnähe an. Eine Strategie, um höhere Bodenpreise in Zentrumsnähe bezahlen zu können, besteht darin, die Bebauungshöhe zu steigern, um damit eine größere Nutzungsintensität, d. h. höhere Nettoerlöse pro Flächeneinheit, zu ermöglichen (Carter 1972). Dadurch kommt es zu einer gewissen Korrelation zwischen Bodenpreisen und Bebauungshöhe. Dies zeigt sich besonders deutlich am idealisierten Aufriss einer nordamerikanischen Stadt, wenn man die Hochhausbebauung im Stadtzentrum betrachtet (→ Abb. 5.8).


Abb. 5.8 Wirkungsweise des Intensitätsprinzips in Carters Stadtmodell der vertikalen und horizontalen Nutzungsverteilung (nach Heineberg 1989, S. 15)

(2) Nutzungszonen unterschiedlicher Bebauungsdichte. Am Beispiel der Wohnraumnutzung lässt sich demonstrieren, wie das Intensitätsprinzip zu einer räumlichen Sortierung innerhalb einer Nutzungsart nach der Bebauungsdichte führt (Giese 1978; 1995). Wenn man davon ausgeht, dass Personen mit geringem Einkommen bestrebt sind, in Zentrumsnähe zu wohnen, um Transportkosten beim Weg zur Arbeit und bei Versorgungsgängen zu sparen, ergibt sich folgende Differenzierung nach der Nutzungsintensität (→ Abb. 5.9 a): Um sich gegen andere Nutzungen in Zentrumsnähe durchsetzen zu können, müssen diese Personen höhere Mieten bezahlen. Die erhöhten Kosten werden nunmehr durch eine intensivere Flächennutzung kompensiert, sodass in Zentrumsnähe eine Wohnraumzone entsteht, in der sich Bevölkerungsgruppen mit geringeren Einkommen konzentrieren. Diese Zone ist durch eine intensivere Nutzung gekennzeichnet, was sich in einer größeren Bevölkerungsdichte, geringeren Wohnungsgrößen und der Dominanz von Mehrfamilienhäusern widerspiegelt. Demgegenüber sind Personen mit höherem Einkommen nicht auf einen Standort mit geringen Transportkosten in Zentrumsnähe angewiesen. Sie siedeln sich in größerer Entfernung zum Zentrum an, sodass ein zweiter Wohnraumring für Personen mit hohem Einkommen entsteht. Aufgrund der geringeren Bodenrente ist hier eine weniger intensive Bodennutzung möglich, sodass eine geringere Bevölkerungsdichte bei größeren Wohnungsgrößen und Eigenheimbebauung resultiert.


Abb. 5.9 Harveys Anwendung des Intensitätsprinzips der Lagerente unter a) Transportkosten- und b) Transportzeit-Überlegungen auf die städtische Landnutzung

5.2.2Kritische Würdigung der städtischen Landnutzungslehre

Ähnlich wie im Fall des von Thünen’schen Modells gibt es auch bei der Übertragung auf den städtischen Bodenmarkt eine Vielzahl von Kritikpunkten, von denen die wichtigsten im Folgenden dargestellt sind.

Annahme eines freien Bodenmarkts. Als analytisches Element für seine Analyse verwendet Alonso (1960) Bodenpreisfunktionen, die auf der Annahme reiner Marktpreise beruhen. Die Annahme eines freien Bodenmarkts ist in der Realität aber insofern problematisch, als durch städtische Verordnungen über Landnutzungen, Bebauungsarten und -intensitäten sowie durch Nutzungseinschränkungen Marktprinzipien zumindest teilweise außer Kraft gesetzt werden (Giese 1995). Dennoch mögen die von Thünen’schen Prinzipien auf städtische Nutzungen eher anwendbar sein als auf landwirtschaftliche, weil städtische Grundstücke tatsächlich versteigert und verkauft werden, während die Besitzverhältnisse bei landwirtschaftlichen Betrieben zumeist historisch bestimmt sind und sich nur langsam ändern. Durch die Bauleitplanung wird der Bildung von kreisförmigen Nutzungszonen jedoch vielfach entgegengewirkt.

Zentrumsfixierung. Das Landnutzungsmodell nach Alonso geht von einer konzentrisch aufgebauten zentralisierten Stadt aus, in der alle Nutzungen auf das Zentrum hin ausgerichtet sind. Diese Annahme mag im von Thünen’schen Modell im Hinblick auf den Marktstandort für landwirtschaftliche Produkte gerechtfertigt sein. Jedoch ist die Annahme einer monozentralen Organisation der Stadt Ausdruck einer statischen und kontextfreien Sicht der urbanen Struktur. Für die Vielzahl der städtischen Nutzungen gilt diese Annahme heute nicht mehr, denn einerseits variiert die Zentrenstruktur einer Stadt je nach kulturellem Kontext und andererseits haben sich im Zuge der starken Urbanisierung während des 20. Jahrhunderts in vielen Städten neue multiple Kerne entwickelt. Die orientalische Stadt mit ihrer Fokussierung auf die Medina, die lateinamerikanische Stadt mit ihrer zentralen Orientierung auf die Plaza und auch die chinesische und nordamerikanische Stadt haben eine Evolution neuer Zentren erfahren und zeichnen sich heute durch eine polyzentrische Struktur aus (Yeates 1990; Bähr und Mertins 1992; Ehlers 1992; Taubmann 1992; Mertins und Müller 2000).

Durchbrechung der konzentrischen Landnutzungszonen durch mehrkernige Stadtstrukturen. Goldner (1968) hat gezeigt, dass die Bodenrente nicht monoton mit der Entfernung vom Stadtzentrum abnimmt, sondern dass in einer mehrkernigen Struktur auch außerhalb der zentralen Bereiche hohe Lagerenten möglich sind (→ Abb. 5.10). Mit dieser Feststellung wird das Prinzip aufgegeben, dass es im innerstädtischen Zentrum nur einen einzigen Bezugspunkt für Interaktionen in einer Stadt gibt (Heineberg 1989, Kap. 3). Goldner (1968) geht stattdessen davon aus, dass neben dem central business district auch Stadtteilzentren und shopping centers im Stadtbereich sowie Satellitenstädte mit Zentren im Außenbereich existieren. Da ein Teil der Einkaufsaktivitäten auf diese Nebenzentren gerichtet ist, fallen entsprechend der zurückzulegenden Entfernungen auch hier Transportkosten an. Es resultiert letztlich eine Lagerentenkurve mit mehreren Gipfeln und einer differenzierten, nicht mehr konzentrischen Anordnung von Landnutzungen.


Abb. 5.10 Durchbrechung der konzentrischen städtischen Landnutzung durch Einbeziehung von Subzentren nach Goldner (nach Heineberg 1989, S. 17)

Umkehrung der Ringbildung durch ein verändertes Distanzmaß. Wenn nicht die Transportkosten die entscheidende Variable sind, die eine räumliche Variation der Bodenrente bedingt, sondern die Transportzeit bzw. Fahrtdauer, so kann es zu einer Umkehrung der Landnutzungszonen kommen (→ Abb. 5.9 b). Dies lässt sich anhand des Modells der städtischen Wohnraumnutzung durch unterschiedliche Einkommensgruppen verdeutlichen. Wenn statt der Transportkosten die Transportzeit die entscheidende Variable für die Höhe der Bodenrente ist, so sind Personen mit hohem Einkommen bestrebt, ihren Wohnstandort in Zentrumsnähe zu wählen. Dadurch können sie hohe Einkommensverluste durch lange Transport- bzw. Fahrtzeiten vermeiden. Durch eine analoge Überlegung für Personen mit geringem Einkommen ergibt sich insgesamt eine gegenüber dem Intensitätsprinzip umgekehrte Zonierung: In Zentrumsnähe siedeln sich wohlhabendere Bevölkerungsgruppen an, während im Außenbereich Wohngebiete für Personen mit geringerem Einkommen entstehen.

Vernachlässigung sozialer und ökonomischer Prozesse. Ein generelles Problem der Modelle städtischer Landnutzung besteht darin, dass wichtige soziale und ökonomische Prozesse vernachlässigt werden, die großen Einfluss auf städtische Strukturen haben. Beispielsweise ist die Ballung hochwertiger wissensintensiver Dienstleistungen in Stadtzentren keineswegs die Folge einer Transportkostenminimierung (Illeris 1991; Marshall und Wood 1992; 1996, Kap. 9). Hier werden vielmehr spezifische Agglomerations- und Fühlungsvorteile wirksam, die durch die räumliche Nachbarschaft dieser Einrichtungen genutzt werden können. Durch räumliche Nähe können z. B. spezifische Informations- und Kommunikationsvorteile in Bezug auf Markttrends, das Verhalten von Konkurrenten und die Abstimmung mit Partnern realisiert werden (Glückler 2007 b). Für kreative Dienstleister bietet räumliche Nähe die Möglichkeit zu wiederholtem brainstorming und spontanen Begegnungen, um auf veränderte Konsumgewohnheiten einzugehen oder neue Designs und Trends zu kreieren. In diesem Segment der Dienstleistungen bestehen gehobene Kommunikationsbedürfnisse, die besonders gut im Stadtzentrum befriedigt werden.

Dass Transportkostenminimierung für städtische Nutzungen keineswegs ausschlaggebend ist, zeigt sich in nordamerikanischen Städten immer mehr daran, dass die Versorgungsdienstleistungen, insbesondere der Einzelhandel, aus den Stadtzentren in shopping centers im Außenbereich abwandern. Es ist deshalb auch nicht zwingend, dass hochwertige wissensintensive Dienstleistungen sich ausgerechnet im Stadtzentrum ballen. Eine evolutionäre, pfadabhängige Erklärung hilft dabei zu verstehen, warum in der Realität dennoch das Stadtzentrum häufig der bevorzugte Standort derartiger Dienstleistungen ist. So mögen ursprünglich andere Gründe dazu geführt haben, dass hochwertige wissensintensive Dienstleistungen ihren Standort im Zentrum gewählt haben. Später bewirken selbstverstärkende Prozesse eine weitere Ballung an diesen Standorten, sodass Stadtviertel wie etwa im Zentrum von Vancouver und San Francisco existieren, in denen eine überdurchschnittliche Ballung kreativer Dienstleister und bestimmter kultureller Szenen entstanden ist (Helbrecht 1998; Egan und Saxenian 1999). An vielen Beispielen lässt sich zeigen, wie Landnutzungen durch komplexe soziale Prozesse beeinflusst werden, die zu einer veränderten räumlichen Differenzierung und zu Spaltungen führen (Krätke 1995 b, Kap. 6) (→ Box 5-1).

 

Box 5-1: Soziale Prozesse und Landnutzung

(1) Städtische Brache und Slumbildung. Erfahrungen in US-amerikanischen Städten haben gezeigt, dass traditionelle innenstadtnahe Indus­triegebiete, die z. B. aufgrund von Umweltproblemen oder aus Platzmangel durch eine Abwanderung von Unternehmen geprägt waren, zunächst keine Folgenutzungen fanden (Chapman und Walker 1987, Kap. 12). Es kam zu flächendeckenden Brachen und in der Folge zu selektiven Verslumungsprozessen. Innenstadtnahe Flächen mögen deshalb entgegen dem auf Transportkostenüberlegungen basierenden Landnutzungsmodell durch geringe Bodenrenten gekennzeichnet sein.

(2) Soziale Distanz. Große soziale Distanzen, z. B. zwischen ethnischen Bevölkerungsschichten (etwa als Folge von Diskriminierungen), können zu sozialräumlichen Segregationsprozessen führen (Yeates 1990, Kap. 6). Dies kann zur Folge haben, dass z. B. Viertel mit weniger einkommensstarken Bevölkerungsgruppen in Innenstadtnähe und Viertel mit wohlhabenderen Bevölkerungsgruppen am Stadtrand entstehen. Ein Nutzungswandel von Vierteln durch neue Bevölkerungsgruppen ist dabei kaum durch Transportkostenüberlegungen zu erklären.

(3) Gentrification. Auch der Prozess der gentrification durch städtebauliche Aufwertung älterer Wohnquartiere kann eine sozialräumliche Segregation auslösen. Dies ist etwa der Fall, wenn die renovierten und modernisierten Wohnviertel für vorher ansässige Bevölkerungsgruppen zu teuer werden und somit einkommensschwache durch einkommensstarke Bevölkerungsgruppen verdrängt werden (Smith 1979; Zukin 1987; Dangschat 1988; Smith 1993; Friedrichs 1995, Kap. 7).

Dynamisierung des städtischen Landnutzungsmodells. Die vorstehenden Bemerkungen über soziale und ökonomische Prozesse zeigen bereits, dass eine evolutionäre, pfadabhängige Sichtweise der städtischen Landnutzung notwendig ist, um heutige Stadtstrukturen zu verstehen. Giese (1979; 1995) hat dies am Beispiel der Stadt Frankfurt am Main verdeutlicht und durch eine Dynamisierung des städtischen Landnutzungsmodells das Entstehen von Landnutzungskonflikten sichtbar gemacht. Er demonstriert, wie sozioökonomische Prozesse auf ökonomische Variablen wirken und damit gesellschaftliche Konflikte hervorrufen. So war das Westend in Frankfurt ursprünglich ein an die Innenstadt angrenzendes Wohngebiet, das durch die Expansion von Innenstadtfunktionen in den 1960er-Jahren überformt wurde (→ Abb. 5.11). Mit der Verknappung der verfügbaren Flächen in der Innenstadt expandierten zunehmend Funktionen in angrenzende Bereiche. Vorlaufer (1981) zeigte, dass dies vor allem entlang der Bockenheimer Landstraße und in das Westend hinein geschah.


Abb. 5.11 Expansion innerstädtischer Funktionen in angrenzende Wohnbereiche der Frankfurter Innenstadt in den 1960er-Jahren (nach Vorlaufer 1981, S. 117)

Diese Ausbreitung war nur möglich, weil die Stadt Frankfurt am Main durch ihre Bauleitplanung entsprechende Voraussetzungen schuf. Zwar gab es Bebauungspläne für das Westend, die die Nutzungsart und -intensität festlegten. Für den expandierenden Dienstleistungssektor wurden aber großzügig sogenannte Befreiungen von diesen Vorgaben ausgesprochen (Giese 1979). Dadurch drängte der Dienstleistungssektor verstärkt in das Frankfurter Westend, das aufgrund seiner Lagegunst, der Fühlungsvorteile und des guten Imagewerts zum attraktiven Gewerbestandort wurde. Es setzte eine starke Akquisitionstätigkeit von Grundstücken infolge erhöhter Ausnutzungserwartungen durch eine mehrgeschossige Bauweise ein, sodass die Bodenpreise schnell anstiegen. Bodenspekulanten kauften Grundstücke und Häuser auf und betrieben zum Teil eine bewusste Wertminderung des Wohnraums, um Abrissgenehmigungen zu erhalten. Der sich daraus formierende Widerstand der Wohnbevölkerung fiel mit den Studentenrevolten Ende der 1960er-Jahre zusammen und führte zu massiven, gewalttätigen Konflikten und Hausbesetzungen. Die Konfliktsituation entspannte sich erst, als später eine Übersättigung des Büroraummarkts eintrat und eine restriktivere Bauleitplanung einsetzte, was zu einem Nachlassen der Kauf- und Bautätigkeit im Westend führte.

Giese (1978) stellte diesen Prozess durch eine Dynamisierung des städtischen Landnutzungsmodells dar (→ Abb. 5.12). Demnach führten die veränderten Landnutzungsansprüche der 1960er-­Jahre dazu, dass sich die Bodenpreisfunktion für Büroraumnutzung nach oben verschob. In einem Bodenpreis-Entfernungs-Diagramm lässt sich durch die Verschiebung des Schnittpunkts der Kurven für Wohnraum- und Büroraumnutzung der Bereich identifizieren, innerhalb dessen Umnutzungs- und Verdrängungsprozesse stattfanden, die Landnutzungskonflikte bewirkten.


Abb. 5.12 Bodenpreiskurven im Frankfurter Westend 1961/63 und 1968/70 zur Veranschaulichung des Entstehens von Landnutzungskonflikten (nach Giese 1995, S. 45)