Wirtschaftsgeographie

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Diese technisch-ökonomische Perspektive wird im neuen Institutionalismus der Soziologie (Powell und DiMaggio 1991) durch den Aspekt der embeddedness erweitert. Es wird davon ausgegangen, dass ökonomisches Handeln in soziale Beziehungen und Strukturen eingebettet und untrennbar mit diesen Kontexten verbunden ist. Einzelne Unternehmen werden hierbei nicht als isolierte Technologieproduzenten verstanden, sondern in ihrer Gesamtstruktur von Netzwerkbeziehungen mit Zulieferern, Abnehmern, Dienstleistern und staatlichen Organisationen untersucht (Grabher 1993 b). Embeddedness ist das Ergebnis eines Evolutionsprozesses und impliziert, dass ökonomische Beziehungen kontextspezifisch und erfahrungsabhängig sind. In evolutionärer Perspektive können ursprünglich informelle Institutionen verfestigt und z. B. auf dem Wege legislativer Regelung durch staatliche Behörden formalisiert werden. Die Begriffe Institution und Organisation hängen somit eng miteinander zusammen und sind nicht immer leicht unterscheidbar.

In der wirtschaftsgeographischen Konzeption industrieller Entwicklungspfade und der Entstehung neuer Industrieräume lassen sich Erkenntnisse der Evolutionsökonomie und des embeddedness-Ansatzes wiederfinden und in eine spezifisch räumliche Perspektive integrieren (Scott 1988; Storper und Walker 1989). Allerdings ist der institutionelle Kontext in diesem Ansatz nicht sehr stark ausgeprägt, was Storper (1995; 1997 b) zu einer Rekonzeptionalisierung veranlasst hat. Im Modell industrieller Entwicklungspfade gehen Storper und Walker (1989, Kap. 3) davon aus, dass neu entstehende Industriesektoren in der Anfangsphase ihrer Entwicklung aufgrund des neuen Charakters der eingesetzten Technologien nirgendwo optimale Standortbedingungen vorfinden und damit relativ frei in ihrer Standortwahl sind. Wenn später an einigen Standorten hohes Wachstum entsteht, gelingt es den Unternehmen zunehmend, das Unternehmensumfeld ihren Bedürfnissen entsprechend anzupassen. Es bildet sich ein lokaler Zulieferersektor, Infrastruktur wird an die neuen Bedürfnisse angepasst und der Arbeitsmarkt stellt sich auf die erforderlichen Qualifikationen ein. Die betreffenden Regionen erlangen Wettbewerbsvorteile gegenüber anderen Regionen und es kommt zu selbstverstärkenden Ballungs- und Spezialisierungsprozessen.

(4) Innovation. Die Dimension der Innovation ist eng mit dem Prozess der Entstehung neuer Technologien und den Auswirkungen des technischen Fortschritts verknüpft. In traditionellen ökonomischen und geographischen Konzeptionen wird der Aspekt der Generierung neuer Technologien und der Durchsetzung von Innovationen weitgehend vernachlässigt. Technologischer Wandel wird entweder als modellextern angenommen oder als Ergebnis eines linearen, zielgerichteten Forschungsprozesses angesehen, der aus einer Abfolge kontrollierter Forschungs- und Entwicklungsschritte resultiert. Ergebnis dieses Ablaufs sind standardisierte Produkt- und Prozessinnovationen. In der Geographie wird traditionell vor allem der Prozess der räumlichen Ausbreitung von Innovationen untersucht.

In evolutionsökonomischen Interpretationen (Dosi 1982; 1988; Storper 1997 b, Kap. 3) wird der Prozess der Generierung neuer Technologien nicht mehr als modellextern angesehen, sondern genau untersucht (Bathelt et al. 2017). Die Herstellung neuer Technologien wird dabei als arbeitsteiliger Prozess zwischen verschiedenen Unternehmen sowie zwischen Unternehmen und Universitäten und Forschungseinrichtungen ­angesehen (Chesbrough 2003; Cohendet und ­Simon 2017). Dieser Prozess ist durch reflexive Verhaltensweisen, Rückkopplungsprozesse (Feedback-Schleifen) zwischen verschiedenen Entwicklungsstufen sowie durch vielfältige Lernprozesse der beteiligten ökonomischen Akteure gekennzeichnet. Innovationen sind hierbei eng mit der Entstehung neuen Wissens und der Modifikation vorhandenen Wissens verbunden. Dahinter steht die Idee, dass der Prozess der Technologie- und Wissensgenerierung erfahrungsabhängig ist und sich auf einen begrenzten Bereich technisch-ökonomischer Problemlösungsmuster konzentriert. Unternehmen folgen in ihren Innovationsprozessen bestimmten technologischen Entwicklungspfaden, wobei Routinen und Heuristiken den Ausgangspunkt für Suchprozesse bilden.

Wie die räumliche Organisationsstruktur von Innovationsprozessen aussieht, hängt unter anderem davon ab, wie arbeitsteilig die Produktion in dem betreffenden Technologiefeld organisiert wird, ob es potenzielle Partnerunternehmen im regionalen Umfeld gibt, welche Arten von Wissen für den Innovationsprozess von Bedeutung sind und welche Erfahrungen in der Vergangenheit gemacht wurden. Empirische Untersuchungen belegen, dass neue Technologien keineswegs immer in integrierten Forschungsprozessen innerhalb weltweit organisierter Großunternehmen entstehen, sondern dass gerade spezialisierte Industrieballungen gute Voraussetzungen für die Etablierung arbeitsteiliger Innovationsprozesse haben. Räumliche Nähe ermöglicht regelmäßige Interaktionen und Abstimmungen zwischen den Akteuren und erleichtert dadurch den Prozess der Wissensgenerierung. Dies ist umso ausgeprägter, je stärker die unternehmensübergreifende Arbeitsteilung in einer Region ist und je stärker die Unternehmen in den lokalen institutionellen Kontext integriert sind. Gerade auch die nationalstaatliche Ebene hat großen Einfluss auf den Prozess der Wissens- und Technologieerzeugung und führt zur Herausbildung nationaler Innovations- und Produktionssysteme (Lundvall 1992 b; Nelson 1993; Hall und Soskice 2001), die durch unterschiedliche räumliche Organisationsmuster und regionsspezifische Anpassungen gekennzeichnet sind.

Die vier Grunddimensionen wirtschaftsgeographischer Analyse (Ionen) sind für den Aufbau und die Argumentation im weiteren Buchverlauf prägend. Hierbei ist jedoch festzuhalten, dass es sich bei den Grunddimensionen selbst um kontextspezifische Konstruktionen handelt (Bathelt und Glückler 2017), die vor allem auf die Geographie des Unternehmens (Dicken 1990) ausgerichtet sind und deshalb bei einer anderen Fokussierung, z. B. auf umweltökonomische, politisch-ökonomische und konsumorientierte Fragestellungen, eine Anpassung und Modifikation erfordern.

3Grundlagen ökonomischer ­Beziehungen
3.1Bedürfnisse

Dieses Kapitel diskutiert grundlegende Begriffe und Mechanismen des Wirtschaftsprozesses aus konventioneller ökonomischer, meist neoklassischer Perspektive. Es erfolgt eine systematische Betrachtung der Anreize und Motive des Menschen im ökonomischen Prozess. Anschließend werden die produzierten und gehandelten Güter sowie die Ressourcen und Faktoren, die zu deren Produktion erforderlich sind, dargestellt. Schließlich wird das Konzept des Markts diskutiert, über den ein Ausgleich von Angebot und Nachfrage erwartet wird. Das Kapitel legt wichtige Grundlagen, die es in späteren Kapiteln ermöglichen, kritische und stärker differenzierte Debatten über Motive wirtschaftlichen Handelns (→ Kap. 7), die Organisation von Produktionsbeziehungen (→ Kap. 9) sowie Institutionen und Märkte (→ Kap. 8) aufzunehmen.

Aus klassischer Sicht sind menschliche Bedürfnisse der Ausgangspunkt der Güterproduktion. In der Theorie menschlicher Motivation entwickelte Maslow (1954) basierend auf psychologischen Forschungen früh ein hierarchisches System von Bedürfnissen, das nach Dringlichkeit bzw. Bedürftigkeit differenziert und geordnet ist. Dieses System umfasst physiologische Grundbedürfnisse (basic needs), wie z. B. Essen, Trinken und Schlafen; Sicherheitsbedürfnisse (safety needs) die physische, materielle und berufliche Sicherheit betreffend; Liebesbedürfnisse (love needs); soziale Anerkennungsbedürfnisse (esteem needs), wie z. B. einen guten Ruf, Wertschätzung und Popularität; sowie schließlich das Bedürfnis zur Selbstverwirklichung (need for self-actualization), das jeden Menschen innerlich antreibt. Mit anderen Worten: „what a man can be, he must be“ (Maslow 1943, S. 382). Wenngleich diese Bedürfnisse hierarchisch dargestellt sind, wird betont, dass keine strenge hierarchische Folge empirisch haltbar ist. So hänge es von jedem Menschen selbst ab, ob er z. B. soziale Anerkennung über Liebesbedürfnisse stelle (Maslow 1943). Dabei können in verschiedenen Gesellschaften unterschiedliche Bedürfnisstrukturen bestehen. So sind Kulturbedürfnisse abhängig vom Entwicklungsstand und der Technologie in einem Land. Insgesamt sind Bedürfnisstrukturen räumlich unterschiedlich ausgeprägt.

Eine alternative Differenzierung menschlicher Bedürfnisse liegt den Arbeiten der sogenannten Münchener Schule der Sozialgeographie zugrunde (für eine kritische Würdigung vgl. Werlen 2000, Kap. 8). Im Kontext einer an die Erfordernisse der Bevölkerung angepassten Stadt- und Regionalplanung werden von der Münchener Schule sieben Daseinsgrundfunktionen unterschieden (z. B. Ruppert und Schaffer 1969; Partzsch 1970; Schaffer 1970): Jeder Bewohner verfolgt demnach die Grundfunktionen zu arbeiten, zu wohnen, sich zu versorgen, zu verkehren (im Sinne von mobil sein), sich zu bilden, sich zu erholen und schließlich in Gemeinschaft zu sein. Die Konsequenzen einer entsprechenden funktionalen Organisation der Siedlungsstruktur lassen sich beispielhaft verdeutlichen (→ Abb. 3.1). So beeinflusst der planerische Fokus auf grundlegende Bedürfnisstrukturen unmittelbar die langfristige Entwicklung der Stadtstrukturen. Wenn Kaufkraft vorhanden ist, werden die Bedürfnisse der Bewohner zu Bedarf und damit zu konkreter Nachfrage. Nachfrager sind neben den privaten Haushalten auch Unternehmen und staatliche Organisationen. Die Nachfrager entwickeln diesem Verständnis folgend Präferenzen für bestimmte Güter, die Ausdruck der subjektiven Bewertung dieser Güter im Hinblick auf die erwartete Bedürfnisbefriedigung sind. In der klassischen Nutzentheorie werden diese Präferenzen als gegeben und stabil angenommen (→ Kap. 8).

 

Abb. 3.1 Daseinsgrundfunktionen (nach Partzsch 1964, S. 10)

3.2Güter

Güter schaffen dadurch einen Nutzen, dass sie Bedürfnisse befriedigen. Unabhängig von der Art des Wirtschaftssystems lassen sich dabei verschiedene Arten von Gütern unterscheiden. Je nach Perspektive und Erkenntnisinteresse werden unterschiedliche Kriterien zur Unterscheidung von Gütern herangezogen. Zunächst lassen sich freie und knappe Güter unterscheiden. Freie Güter sind unbegrenzt verfügbar, während knappe Güter begrenzt sind. Da nur für letztere ein Preis gebildet wird, gelten sie als Wirtschaftsgüter. Diese wiederum können in materielle Sachgüter und immaterielle Güter wie z. B. Dienstleistungen unterteilt werden. Des Weiteren können Konsumgüter von Produktionsgütern unterschieden werden und schließlich lassen sich Investitionsgüter im Produktionsbereich (z. B. Maschinen und Anlagen) von Gebrauchsgütern im Konsumentenbereich (z. B. Möbel) und von Verbrauchsgütern unterscheiden (→ Abb. 3.2). Aus sozioökonomischer Perspektive lassen sich bei allen Ressourcen und Gütern drei grundlegende Fragen formulieren, die aufgrund unterschiedlicher technischer und sozialer Bedingungen bei der Nutzung zu einer Differenzierung zwischen Gütern mit unterschiedlichen Eigenschaften führen (Esser 2000 a): Wie erfolgt die Produktion der Güter? Wie werden sie an die Konsumenten verteilt (Allokation)? Welche Folgen entstehen aus Produktion und Konsum für andere Akteure (externe Effekte)?


Abb. 3.2 Arten von Gütern im Produktionssystem (nach Mühlbradt 2001)

Güter lassen sich nach zwei grundlegenden Eigenschaften charakterisieren: Rivalität (Samuelson 1954) und Ausschließbarkeit (Musgrave und Peacock 1958). Demnach sind Güter durch eine rivalisierende Nutzung gekennzeichnet, wenn sie durch den Konsum eines Akteurs für alle anderen Akteure nicht mehr zur Verfügung stehen. Dies lässt sich am Beispiel einer Zwischenmahlzeit verdeutlichen. So kann ein und dieselbe Zwischenmahlzeit nur einmal und von einer Person verspeist werden und entzieht sich daher der Konsummöglichkeit durch andere Personen. Nicht-rivalisierend sind Güter hingegen dann, wenn ihr Konsum durch mehrere Konsumenten in gleicher Form möglich ist bzw. niemand in seinem Konsum eines Guts durch den Konsum anderer beeinträchtigt wird (z. B. Besuch einer Theatervorführung durch viele Zuschauer). Das Ausschlussprinzip eines Gutes bezeichnet die Möglichkeit, den Konsum eines Gutes auf einen oder wenige Konsumenten zu beschränken. So kann der Konsum der Zwischenmahlzeit durch den Kauf (den Erwerb von Eigentumsrechten) gesichert werden. Auch der Theaterbesuch wird durch den Erwerb von Eintrittskarten und die Beschränkung der Besucherplätze gesichert, d. h. im Konsum beschränkt. Nicht alle Güter lassen sich jedoch auf diese Weise kontrollieren. So steht die Nutzung eines Leuchtturms allen in Sichtweite verkehrenden Schiffen zur Verfügung, ohne dass sie sich an den Kosten des Leuchtturms beteiligen müssen. Während die Rivalität eines Gutes von den technischen und güterspezifischen Bedingungen abhängt, ist der Aspekt des Nutzungsausschlusses grundsätzlich steuerbar und letztlich eine Frage der Kosten, die aufgebracht werden müssen, um andere vom Konsum eines Gutes auszuschließen. Im digitalen Zeitalter sind die Kosten des Nutzungsausschlusses für Musik z. B. so hoch, dass die Musikindustrie das teilweise freie – wenngleich illegale – Abrufen und Hören von Musik nur schwer, wenn überhaupt, verhindern kann. Anhand der beiden diskutierten Eigenschaften lassen sich zwei Arten von Gütern unterscheiden: private und öffentliche Güter.

Private Güter sind perfekt rivalisierend und weitgehend ausschließbar, d. h. die Nutzung durch eine Person reduziert den Nutzen für einen anderen potenziellen Nutzer. Aufgrund der Exklusivität, mit der ein Nutzer über ein privates Gut verfügen kann, werden private Güter in Abhängigkeit von den Produktionsbedingungen und den Präferenzen der Konsumenten über Marktmechanismen gehandelt und verteilt. Kollektive Güter hingegen sind schwer oder gar nicht ausschließbar und in ihrer Nutzung nicht-rivalisierend. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass der Konsum eines Gutes nicht zu einer Nutzenminderung für andere Akteure führt (Samuelson 1955, S. 350). Aus ökonomischer Sicht sind Kollektivgüter problematisch, da grundsätzlich jeder den uneingeschränkten Nutzen des Guts erfahren kann, ohne sich selbst an den Kosten der Produktion dieses Gutes zu beteiligen. Kollektivgüter sind somit Ausgangspunkt von externen Effekten. Wenn Dritte sich ohne eigene Kosten gleichermaßen am Konsum eines Gutes beteiligen können, sinken die Anreize, dieses Gut überhaupt zu produzieren, und es steigen die Anreize, sich nicht an der Produktion zu beteiligen. Im Ergebnis steht ein strategisches Dilemma in der Bereitstellung von Kollektivgütern (Esser 2000 a). Öffentliche Güter sind reine Kollektivgüter. Die innere Sicherheit oder eine saubere Umwelt sind Güter, die allen Bürgern eines Landes zugutekommen und von denen ein Einzelner nicht ausgeschlossen werden kann. Darüber hinaus wird der Nutzen eines reinen Kollektivgutes mit zunehmender Zahl der Konsumenten nicht automatisch geringer, sondern kann sogar steigen, wie z.B. im Falle von Wissen. Dies trifft jedoch nicht für alle Kollektivgüter zu. So sind Clubgüter dadurch gekennzeichnet, dass mit zunehmender Zahl der Konsumenten eine Nutzungskonkurrenz entsteht und der individuelle Nutzen abnimmt. So bedarf es zum Bau und Betrieb eines Golfplatzes zahlreicher Interessenten, die einen Verein gründen und sich als Mitglieder an den Investitionen und Betriebskosten beteiligen. Bei einer zu großen Zahl an Mitgliedern wird es jedoch immer schwerer für die Einzelnen, bei begrenzter Kapazität zu einer bestimmten Zeit spielen zu können. Es entsteht somit eine Nutzungskonkurrenz um Spielzeiten. Aus ökonomischer Sicht ist es das Ziel, den Nutzen eines Clubgutes auf eine optimale Zahl von Mitgliedern zu beschränken (Buchanan 1965). Ausgehend von dieser Größe würde sich mit jedem weiteren Nutzer die individuelle Nutzenfunktion im Durchschnitt verschlechtern. Kollektivgüter sind nur schwer durch Marktmechanismen zu steuern, da externe Effekte Nutzungsoptionen für Dritte schaffen, ohne dass diese an den Kosten beteiligt sind (→ Abb. 3.3).


Abb. 3.3 Private Güter, öffentliche Güter und Clubgüter

Das Problem des Marktversagens wird üblicherweise auf externe Effekte, wie z. B. die Existenz von Kollektivgütern, zurückgeführt. Allerdings kann der Marktmechanismus auch bei Privatgütern durch unsichere Rahmenbedingungen in Koordinationsprobleme geraten (Glückler 2004 a). Aus einer marktorientierten Perspektive ist der Nutzen bzw. der Wert von Gütern unterschiedlich leicht zu bewerten, sodass die Kosten der Suche, Beschaffung und vergleichenden Beurteilung von entsprechenden Informationen unterschiedlich hoch ausfallen. Dies wird in der Informationsökonomie thematisiert, bei der davon ausgegangen wird, dass Güter durch Such-, Erfahrungs- und Vertrauenseigenschaften gekennzeichnet sind (Ford et al. 1988; Meffert 2005, Kap. 1) (→ Abb. 3.4). So lassen sich nach Nelson (1974) Such- von Erfahrungsgütern unterscheiden. Suchgüter (search goods) sind Güter, bei denen alle kaufentscheidenden Informationen vor dem Kauf gesammelt werden können. So ist es z. B. möglich, konkurrierende Modelle von Fernsehgeräten oder Computern durch Produktinformationen, Testberichte, Gütesiegel etc. miteinander zu vergleichen und in ihrer Qualität vor dem Kauf zu bewerten. Demgegenüber zeichnen sich Erfahrungsgüter (experience goods) dadurch aus, dass die Produktmerkmale erst nach dem Kauf durch Nutzung des Gutes erfahren werden können. Erst der Besuch einer Theatervorführung, das Verkosten eines Weines oder der Bericht eines Beratungsunternehmens ermöglicht es, den Nutzen bzw. den Wert dieser Dienste zu beurteilen (Glückler und Sánchez 2014). Das Dilemma, zuerst eine Kaufentscheidung treffen zu müssen und erst im Nachhinein einen Gegenwert in zunächst ungewisser Höhe zu empfangen, definiert den Unterschied zwischen Such- und Erfahrungsgütern. Dieses Dilemma hat Konsequenzen für die Beziehungen zwischen Anbietern und Kunden und kann sich daher auf die Organisation und räumliche Struktur von Marktbeziehungen auswirken.


Abb. 3.4 Arten von Gütern aus informationsökonomischer Perspektive (in Anlehnung an Meffert 2005, S. 55)

Über das Erfahrungsproblem der Bewertung eines Gutes hinaus werden schließlich Vertrauensmerkmale bei Gütern hervorgehoben. So unterscheiden Darby und Karni (1973, S. 69) zusätzlich eine dritte Güterart, die gekennzeichnet ist durch „credence qualities which are expensive to judge even after purchase“. Vertrauensgüter (credence goods) sind demnach Güter, deren Qualität und Nutzen selbst nach dem Kauf oft nur schwierig und aufwendig beurteilt werden kann. Wie kann z. B. ein Kunde bewerten, ob eine Autoreparatur oder ein medizinischer Eingriff in dem konkreten Umfang tatsächlich erforderlich war, um das Auto oder die Gesundheit des Patienten wiederherzustellen? Ein anderes Beispiel betrifft die Unternehmensberatungstätigkeit. Wie kann ein Kunde beurteilen, ob die Unternehmensstrategie, die von einem Unternehmensberater erarbeitet wurde, die Entwicklung des Unternehmens tatsächlich positiv beeinflusst? Und selbst im Falle einer positiven Unternehmensentwicklung stellt sich die Frage, wie sehr das Beratungskonzept dazu beigetragen hat und ob nicht ein anderes Konzept eine noch bessere Entwicklung ermöglicht hätte (Glückler 2004 a; Dullek und Kerschbamer 2006). Der fundamentale Unterschied zwischen Suchgütern und Vertrauensgütern besteht folglich darin, dass bei Suchgütern der Anbieter die Unsicherheit trägt, da der Kunde das Gut vor dem Kauf sehen, vergleichen, testen und eventuell ablehnen kann. Hingegen trägt beim Vertrauensgut der Kunde einen großen Teil der Unsicherheit, da er erst nach der Kaufentscheidung das Gut erfahren und mitunter nur durch hohen Informationsaufwand in seinem Wert beurteilen kann (Levitt 1981).

Aufgrund dieser unterschiedlichen informatorischen Grundlagen des Gütertauschs ergeben sich je nach Gut verschiedene Tauschmechanismen und Transaktionsbeziehungen zwischen Anbietern und Kunden (→ Kap. 7). So hängt die Beurteilung des Werts eines Vertrauensguts häufig von der Qualität und Dauer der Beziehung zu einem Transaktionspartner ab, was wiederum auf die räumlichen Ansprüche der Interaktion zurückwirkt. Die vorgestellten Güterbegriffe sind jedoch Idealtypen. Letztlich lassen sich alle Güter durch eine Kombination von Such-, Erfahrungs- und Vertrauensmerkmalen beschreiben. Die spezifische Kombination dieser Merkmale hat dabei weitreichende Konsequenzen für die Organisation von Transaktionsbeziehungen und somit für die räumliche Dimension und Form von Märkten (→ Kap. 8).