DER HAUSFRAUENMANN

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DER HAUSFRAUENMANN
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1 PROLOG

16. Dezember 1997,dreiundzwanzig Uhr achtundzwanzig.

Das Klingeln seines Handy´s ließ sein, „Unser Job ist durch keinen Computer...,“ im Lärm der Kneipe verhallen. Er riss den Apparat mitsamt der Ledertasche von seinem Gürtel, pulte ihn umständlich heraus, drückte im letzten Moment, bevor das fünfte „Freude schöner Götterfunken“ den Anruf auf seine Mailbox umgeleitet hätte, die grüne Taste, presste das Gerät an sein rechtes Ohr und hielt mit der anderen Hand sein linkes zu. Seine Augen weiteten sich, das Blut wich aus seinem vom Bordeaux geröteten Gesicht und mit jetzt aschfahlen Wangen, ein leicht dümmliches Grinsen auf den Lippen, schrie er in das Telefon: „Was? Oh Gott. Ich komme sofort.“ Monika und Bernd schauten ihn erschrocken an, aber er brachte keinen zusammenhängenden Satz heraus: „Oh Gott, oh Gott. Zahl für mich später, ein Taxi, oh Gott, ich muss los,“ Florian drängte sich durch die gerade in die Kneipe hereinbrechende Clique und war verschwunden.

Der Taxistand lag keine 200 Meter entfernt, doch als er um die Ecke bog, glaubte er, sein Herz bliebe stehen: leer, kein Mietwagen war zu sehen. Er suchte in seinem Kopf nach einer Telefonnummer, ohne Erfolg. Die schneidende Kälte, es war der 16. Februar, und die abendlichen Temperaturen hatten den Gefrierpunkt weit unterschritten, ließ ihn seinen Jackenkragen hoch schlagen. Sein Wintermantel hing zufrieden in der Wärme der Kneipe.

Als er sich gerade in Panik zur Umkehr entschlossen hatte, näherten sich die zwei Scheinwerfer eines Linienbusses, er verharrte zwischen Hoffen und Verzweiflung und dankte dann

seinem Herrgott, es war der 9o8er, nur 4 oder 5 Stationen und er war an seinem Ziel. Seine Sorge und Verzweiflung weckten ungeahnte Sprinterqualitäten in ihm und er schaffte es, durch die sich gerade wieder schließende Tür in sein Gottesgeschenk zu springen, ließ sich erschöpft nach Atem ringend auf die nächste Bank fallen, und seine Gedanken jagten dem Bus voran zu Charlotte in die Klinik. Angst überkam ihn. War etwas schiefgegangen? Mit zittrigen Händen bedeckte er seine Augen und versuchte sich zu beruhigen.

„Guten Abend, ihren Fahrausweis bitte,“ durch seine gespreizten Finger beobachtete er die beiden unauffälligen Lederjacken, die ihn mit ihrer Aufforderung in die Gegenwart zurückgeholten.

Sie meinten ihn, kein Zweifel. Er wollte zu einer ausführlichen Erklärung seiner Lage ansetzen, als er in seinem linken Auge das Krankenhaus vorbei fliegen sah. Mit wirrem Blick suchte er den Halteknopf, die beiden Kontrolleure weiterhin ignorierend, entdeckte ihn in Augenhöhe direkt neben einem von Muskelmassen prall ausgefüllten Ärmel der einen Lederjacke, über dem jetzt aus einem fleischigen, aber eigentlich zu kleinem Kopf mit stoppelkurzen Haaren eine für den massigen Körper viel zu hohe, ungeduldige Stimme erneut seinen Fahrausweis forderte.

„Notfall, ich muss ins Krankenhaus,“ Florian drückte mit aller Kraft seinen Daumen auf die Haltetaste, „höherer Notfall, übergesetzlicher Notstand sozusagen, sie verstehen meine Herren.“ Damit drängte er sich an seinen beiden sturen Herausforderern vorbei zur hinteren Türe. Die zwei Lederjacken, von denen eine dem Fahrer „lass die Türen zu, Paul,“ zurief, kamen gemächlich und bedrohlich auf ihn zu. Der Bus stand, aber die Türen blieben geschlossen.

Florian ergriff eine hilflose Wut und er schrie: „Meine Frau, verdammt, ich muss zu ihr, sie ist in der Klinik, ein Notfall, das müssen Sie doch einsehen,“ aber seine Häscher näherten sich, süffisant grinsend, unaufhaltsam. „Sie lassen mir keine andere Wahl,“ und mit schnellem Griff legte er den Schalter oberhalb der Türe auf „Hand“, zischend entwich die Pressluft, und ehe noch einer der verdutzten Kontrolleure reagieren konnte, zerrte Florian die Türe auf und verschwand in der Dunkelheit.

Am Eingang der Klinik, die er im gestreckten Galopp erreichte warf Florian einen Blick zurück und sah die Rücklichter des Busses im Dunst des gerade einsetzenden leichten Schneefalls verschwinden und mit ihm offensichtlich seine beiden Peiniger. Die Straße war menschenleer.

Er hastete an der Rezeption und einer vor sich hin träumenden Schwester vorbei, bog gleich darauf links ab und sprang, immer zwei Stufen auf einmal bewältigend, in die dritte Etage, schwang die Tür eines endlos scheinenden Ganges auf, bog in der Mitte in einen anderen Gang rechts ab, kollidierte dabei mit einer zierlichen Thailänderin, registrierte, völlig idiotisch, den Kontrast des dunklen Teints mit dem strahlend weißen Schwesternkittel, stoppte abrupt vor Zimmer 343, klopfte sacht und vorsichtig, dabei seinen Atem unter Kontrolle bringend, drückte, da er ein „Herein“ vermeinte gehört zu haben, die Klinke leise herunter und steckte seinen Kopf in das Zimmer.

Bleich und erschöpft lag Charlotte in ihrem Kopfkissen. Das fahle Licht der Nachttischlampe verlieh ihr etwas Gespenstisches. Florian näherte sich ihr auf Zehenspitzen, fast lautlos, streichelte ihr sanft die Wange und hauchte ihr einen Kuss auf die Stirn. Dann kniete er sich vor das Bett, hob sacht die Bettdecke und konnte es nicht fassen, was sie machte, machte sie hundertprozentig: Der Bauch war weg.

"Ist alles gut gegangen, ich meine ist es, sie gesund?" er schaute sie gespannt an. Die Schwangerschaft hatte ihren spröden, etwas harten Gesichtszügen eine Weichheit und Sinnlichkeit verliehen, die ihn jeden Tag aufs Neue verwundert und seine Liebe zu ihr vertieft hatte. Sie strich ihm sanft über die hohe Stirn, "ja, mein Lieber, Mutter und Kind sind wohlauf, gesund und glücklich," ein amüsiertes Lächeln spielte um ihre Lippen. Mit einem tiefen Seufzer befreite er sich von seiner Angst.

Miriam, ihr Wunschkind, hatte ohne Komplikationen und mit bemerkenswerter Eile das Licht der Welt erblickt.

2 Drei Jahre später, im letzten Jahr des 2. Jahrtausend.

Szene 1

Aische, der Ersatzbabysitter, klingelte pünktlich um halb acht. Jasmin, die normalerweise auf Miriam aufpasste, war auf Klassenfahrt. Seine Tochter rannte hinter Florian her zur Tür, versteckte sich dann aber schüchtern hinter seinen Beinen. Aisches Vater war Türke und Florian hatte schon ein Kopftuch oder, noch schlimmer, einen Shador befürchtet, aber grundlos. Eine weiße Kunstpelzjacke und Jeans, die in dicken Fellstiefeln verschwanden, umhüllten ein gewaltiges junges Mädchen. Obwohl erst 17, hatte sie den Leibesumfang einer italienischen Mama nach 20 Jahren Pasta essen und einem halben Dutzend Kindern. Eine Plastiktüte mit Chips und anderen Schlankmachern baumelte an ihrem wulstigen Handgelenk.

"Hallo, komm rein, Du bist sicher Aiske, oder, Du verstehst doch deutsch?"

"Aische! Klar, isch bin doch hier gebore," der hessische Dialekt war nicht zu überhören, "und des isch die Mira, gell?"

Sie hatte nicht nur die Körperfülle einer italienischen Mama, sondern auch deren Talent, mit Kindern umzugehen. Miriam verlor rasch ihre Zurückhaltung und nach 10 Minuten hörte er vergnügtes Lachen aus dem Kinderzimmer.

Erstaunlicher Weise.

Seit ihrem 3. Geburtstag besuchte Miriam den Kindergarten und der Unterhaltungswert dort schien bedeutend höher, denn in den letzten 14 Tagen benahm sie sich zu Hause ihren Eltern gegenüber reichlich widerborstig.

Florian griff erleichtert zum Telefon und bestellte das Taxi, der Tisch im "Taormina", dem besten Italiener in der Stadt, war für halb neun reserviert, weder Charlotte noch Florian hatten Lust, den Abend mit San Pellegrino zu bestreiten.

Er ging ins Wohnzimmer zum Getränkeregal, wählte nach kurzem Zögern einen Carlos Primero und trank ihn langsam und genussvoll aus. Er fühlte sich ausgezeichnet und bewunderte sich selbst: Das Abenteuer eines neuen Lebens lag vor ihm.

"Du siehst bezaubernd aus, dieser seidene Hosenanzug macht Dich noch verführerischer, wir sollten uns noch ein wenig um Flo kümmern," damit nahm er Charlotte, die endlich, wenn auch schweren Herzens, dem Badezimmerspiegel den Rücken gekehrt hatte, in die Arme und ließ seine Fingernägel zart über die Haut ihres weit ausgeschnitten Rückendekolletees kreisen.

"Jetzt nicht, das Taxi kommt doch jeden Moment."

"Das muss halt warten."

"Ja, mit laufender Uhr."

"Genau, dann wissen wir endlich, was ein Quickie wert ist."

"Und der Babysitter?" Sie versuchte sich zu befreien, aber Florians Hand war tiefer gerutscht und streichelte inzwischen sanft über ihren Po.

"Der sagt dem Taxifahrer Bescheid, dass er warten soll."

"Du bist völlig verrückt. Bitte." Aber ihr Widerstand schwand, und Florian streifte ihren linken Träger herunter, als die Türglocke läutete.

Szene 2

"Du hier nix Rosen verkaufen, raus!"

Im Eingang des "Taormina" stieß Florian mit einem ambulanten asiatischen Blumenhändler zusammen, den der kroatische Kellner gerade aus der Tür des italienischen Lokales wies.

"Moment," Florians multikulturelles Mittelstands Gewissen mischte sich ein, "was kostet eine?"

"Funf DM."

Er zählte die Blumen rasch durch, drückte mit einem "stimmt so" dem verdutzten Inder fünfzig Mark, der nicht minder verdutzten Charlotte den ganzen Strauß in die Hand: "Für meine Liebe."

Eine leicht Röte überzog noch immer Charlottes Gesicht, als sie an ihren Tisch kamen, an dem Frank und Dorothea bereits warteten.

"Wir haben schon mal auf Eure Kosten einen Campari getrunken," Frank erhob sich und hauchte Charlotte zwei Küsse auf die Wangen, "ich sag ja immer, Kind und Pünktlichkeit, impossible."

"Die Taxe kam nicht, tut uns leid," 48,80 Mark zeigte die Uhr, als sie eingestiegen waren, wobei jedoch der größte Teil der Summe auf Charlottes nun wieder bezauberndes Aussehen entfiel, "versuch doch dem Fahrer Eure Getränke in Rechnung zu stellen," Florian gab Dorothea die Hand, schob Charlottes Stuhl zurecht, und schlug Frank zur Begrüßung leicht auf die Schulter, "mit Miriam gab es überhaupt keine Probleme."

 

"D'accord, aber wer nachts ganze Blumenläden aufkaufen kann, für den sind die läppischen Getränke doch nur ein paar Sous."

Neben seinem Zynismus war Franks hervorstechender Charakterzug der Geiz, er würde nicht im Traum auf die Idee kommen, seiner Labs, seiner Lebensabschnittsbegleiterin, wie er Dorothea stets titulierte, auch nur eine einzige Rose zu kaufen.

"Ich bin eben ein sozialer Mensch, aber Du ja kein Sozialfall, oder?" Florian nahm neben Charlotte Platz.

"Wenn ich an meine Steuerabzüge denke, bin ich da nicht so sicher, und davon leben ja unsere lieben ausländischen Gäste. Wenigstens beim Abendessen sollen sie mich in Ruhe lassen."

Als Florian ihm vorhielt, in seinen Kritiken würde er doch immer begeistert über Stücke mit Minderheitenproblemen schreiben, ob das hier seine gelebte Toleranz sei, stöhnte er nur auf: "Mon ami, heute nichts über Theater, s'il vous plait, schon das Wort stimmt mich depressiv. Ich habe gestern die Premiere von Frank Wedekinds "Marquis von Keith" über mich ergehen lassen müssen, das Ergebnis kannst Du am Montag in der Zeitung lesen.“ Er war Kritiker der einzigen Zeitung der Stadt und besaß dadurch ein gewisses Meinungsmonopol, das er schamlos ausnutzte. "Merde, sag ich Dir, nichts als merde. Seid froh, dass Ihr Euch das nicht mehr antut."

Gegen Ende der Schwangerschaft hatten Florian und Charlotte ihre bis dahin regelmäßigen Theaterbesuche eingestellt; sie hatte plötzlich jedes Interesse daran verloren und Florian hatte sich dem gefügt. Dabei war es bis heute geblieben.

"Entschuldigt die Verspätung, aber die Jungs waren einfach nicht ins Bett zu kriegen," Monika und Bernd, der bis gestern noch Arbeitskollege von Florian war, begrüßten die Runde und nahmen auf den zwei freien Stühlen Platz.

"Na wenigstens eine, die meine Theorie bestätigt," Frank konnte es sich nicht verkneifen.

Florian erhob sich und schlug leise mit dem Messer an sein Glas: "Keine Rede, seid beruhigt. Nur damit Frank nicht den ganzen Abend verzweifelt darüber grübelt, wie er den ungeheuren Betrag für 2 Camparis aufbringen soll, die Getränke gehen auf mich, wir feiern schließlich das Ende meines versklavten Arbeitnehmerdaseins."

"Tres bien, und wer übernimmt das Essen?" Frank schaute in die Runde, Scherze dieser Art waren von ihm durchaus ernst gemeint, und Dorothea, die dies wusste, warf schnell ein: "Wenn es nur eine Minestrone ist, würde ich mich bereit erklären, Deine Rechnung zu übernehmen."

"Du wolltest ja auch Essen gehen, mir wäre ein gemütlicher Abend vor dem Fernseher lieber gewesen, der erste freie Samstag seit zwei Monaten," und damit wandte er sich an Florian: "Ich hoffe, Du weißt das zu würdigen."

Charlotte übernahm die Antwort für ihren Gatten: "Mon cher Franc," sie konnte seine frankophile Angeberei nicht leiden und sprach nun mit leichtem französischen Akzent, "es ischt uns allen eine extraordinaire Freude, diese Abend in Deine Gesellschaft verbringe su durfen."

Sie und Frank hatten seit ihrer Schwangerschaft ein gespanntes Verhältnis, nicht ernsthaft, aber beständig. Sie hielt ihn für einen verantwortungslosen Egoisten und sagte es ihm bei jeder passenden Gelegenheit. Er hatte sie daraufhin einmal eine hysterische Mutterkuh genannt, und das verzieh sie ihm bis heute nicht.

"Hast Du jetzt nicht doch ein bisschen Schiss," Bernd reichte dem Kellner die Karte, die Bestellungen waren aufgegeben, "ich meine, Dein Job war ja nicht der schlechteste."

Florians Chef, der alte Vielhaber, war der gleichen Meinung wie Bernd und konnte es nicht fassen, als ihm sein bester Grafiker kündigte. Er hatte versucht, ihn mit verschieden Angeboten zu halten, mehr Geld, flexiblere Arbeitszeit, halbe Tage, aber Florian hatte nur bedauernd abgelehnt und auch gestern auf die letzten Worte seines Arbeitgebers: "Und wenn Ihnen die Decke auf den Kopf fällt, Sie sind jederzeit wieder herzlich willkommen," nur mit einem mild lächelnden Kopfschütteln reagiert.

"Ach was, endlich mein eigener Herr," Florian glättete eine Falte im Tischtuch, "jetzt wird nur noch für die Kunst gelebt."

"Und der Herr Künstler ist auch sicher, dass ihm genug einfällt?" Frank saß zwischen Monika und Dorothea und hatte leichte Mühe, sich an dem Gespräch zu beteiligen. Die Frauen waren bei ihrem Lieblingsthema, den Kindern. Dorothea konnte nur theoretisches Wissen beisteuern, da Frank sich strikt weigerte, Vater zu werden und ihre diesbezüglichen Wünsche stets mit dem gleichen zynischen Satz konterte: Du weißt, Cherie, ich mag kleine Mädchen, aber erst wenn sie 16 sind.

„Keine Sorge, Monsieur Kritik, Ideen sind reichlich vorhanden. Zwei Wochen Technik üben, kleine Stillleben, einige Etüden und dann geht es los," und Florian erzählte, womit es losgehen würde: die alten Griechen, das Tantalus Geschlecht mit seiner barbarischen Familienchronik mit der heutigen Welt zu kombinieren. Ihm schwebten da ganze klare Bilder vor dem geistigen Auge, Bilder, die so noch nie gemalt worden waren, einmal abgesehen von seinem Kollegen Goya. Aber der war ja nun schon länger tot. "Man muss einfach den ersten Schritt tun, alles andere kommt dann von ganz allein. Wer nichts wagt, der nichts gewinnt, oder?" Florian lehnte sich genüsslich zurück, seine Ausführungen hatten ihm gefallen.

"Aber auch nicht seinen Job verliert," Frank hatte sich gegen Monika durchgesetzt, die sich zurückgelehnt hatte und sich nicht mehr an dem Frauengespräch beteiligte, nicht wegen Frank, sondern weil die beiden, Dorothea und Charlotte, sich jetzt über die ab übermorgen wieder gemeinsame Firma unterhielten.

"Du bist einfach zu negativ, mein Lieber," Florian beugte sich zu Frank vor," deshalb schreibst Du auch nur Verrisse."

"Du verwechselst negativ mit realistisch. Sonst wäre es doch besser, Bernd würde seine kreative Begabung, die er in seiner Mansarde austobt, zu seinem Beruf erklären."

Bernd, der die Ironie nicht verstand, meinte, das sei ja nun nicht zu vergleichen, eher könne er, Frank, da er doch eigentlich ein Schreiber sei, einen Roman verfassen.

"Genau," schaltete sich Florian wieder ein, "heute schreibt doch jeder."

"Das kommt schon noch, warte es ab. Oder meint ihr, Florian ist der Einzige mit künstlerischen Ambitionen hier am Tisch?"

"Na wunderbar," Florian lächelte Frank freundlich an," da hab ich einen guten Tipp für Dich: Mach Doro ein Kind, warte drei Jahre und Du hast genug Zeit für Deine Träume." Dorothea unterbrach kurz das Gespräch mit Charlotte und schaute Frank gespannt an.

"Ach weißt Du, ein Schriftsteller braucht Ruhe, eine inspirierende Umgebung, Toskana oder Bali, aber kein Babygeschrei und Einwegwindeln. Aber merci für den Tipp."

Bevor Florian eine treffende Antwort fand kam der Kellner und brachte die Getränke. Zum Anstoßen auf sein neues Leben hatte Florian Pro Secco bestellt. Der Kellner öffnete geräuschlos die Flasche, was Florian mit einem bedauernden "Ooh" quittierte, er wollte heute die Korken knallen lassen, und schenkte ein. Sie stießen auf ihn an, zuletzt Charlotte und er: "Auf uns und unsere Abmachung," er blickte sie zärtlich an, "auf das alles so kommt, wie wir es uns wünschen."

Das Essen war hervorragend gewesen und der Wein hatte die Zustimmung und den heftigen Zuspruch selbst des Kritikers gefunden, kein Wunder, er musste ihn nicht bezahlen. Zwei Flaschen Montepulciano und eine Flasche Pinot Grigio für die Weißweintrinker hatte Florian der Gesellschaft spendiert, und inzwischen tranken sie in ausgezeichneter und unterschiedlich alkoholisierter Stimmung Grappa und Sambuca.

Frank hatte den Tisch mit Anekdoten aus dem Theater unterhalten, keine Pointe konnte ihm bösartig genug sein, und er wandte sich nun an Florian: "Was sagt denn eigentlich Milram dazu, dass sie jetzt von einem Hausmann durchs Leben geführt wird?"

"Miriam, sie heißt Miriam, langsam könntest Du es kapiert haben," Charlotte konnte den ewig gleichen Kalauer nicht mehr hören.

"Pardon, mon cher, aber immer kommt mir der verdammte Frühlingsquark dazwischen," außer den Eltern hatte er die Lacher auf seiner Seite.

"Vielleicht die ersten Anzeichen von Alzheimer?" Florian versuchte zu kontern.

"Aber er hat doch recht," völlig unerwartet meldete sich Bernd zu Wort, der bis jetzt noch nicht viel zur Unterhaltung des Abends beigetragen hatte, "Miriam is wirklich ein blöder Name, das wird sie Euch später bestimmt übel nehmen. Konntet ihr nix vernünftiges finden?" Er lachte als einziger über seine Bemerkung und griff zu seinem Grappa Glas.

"So wie Du mit Peter und Paul, wirklich sehr originell," Florian verspürte plötzlich eine Wut auf Bernd, ausgerechnet den Kritiker musste er unterstützen. Aber zugleich ärgerte er sich über sich selbst, er hatte sich damals mit "Sandra" nicht gegen Charlotte durchsetzen können.

Er sah seinen Freund böse lächelnd an: "Wenn es nach Dir gegangen wäre, würde sie bestimmt Melanie heißen, oder?"

Bernd versprühte den Grappa, den er gerade genüsslich die Kehle herunter rinnen lassen wollte, über den Tisch und verschluckte sich, bekam einen Hustenanfall, und sein Gesicht verfärbte sich puterrot, nicht nur wegen des drohenden Erstickungstodes.

"Wieso denn Melanie," Monikas Augen wurden zu kleinen Sehschlitzen, und trotz Bernds Sprechunfähigkeit wiederholte sie die Frage, jetzt schon etwas schriller, "ich hab Dich was gefragt, wieso Melanie?" Bernd flüchtete sich in weiteres Husten, Florian blickte arglos in die Runde, die beiden Frauen sahen erstaunt und der Kritiker amüsiert auf Bernd und Monika.

"Was ist mit Melanie," sie fixierte Florian, "was hast Du damit gemeint?"

"Aber Moni, er ist doch ein großer Fan von Melanie Griffith, dass weiß doch jeder, nur Du anscheinend nicht," Florian glaubte eine Lösung gefunden zu haben und strahlte sie an.

"Klar, und ich liebe Antonio Banderas, verscheissern kann ich mich selber," ihre Stimme reichte nun weit über die Runde hinaus, einige Köpfe drehten sich zu ihnen um, "los, raus damit," ihre Augen bohrten sich wieder in ihren hilflos ins Nichts stierenden Gatten.

"Wer-ist-diese-Melanie??" Sie betonte jedes Wort.

Außer Bernds Husten blieb es stumm am Tisch.

"Wahrscheinlich vögelt er eine Melanie in seiner Mansarde," sie boxte ihrem Mann in die Rippen, "stimmt das, oder nicht."

"In der Mansarde hab ich nur die dicke Berta," mühsam brachte Bernd mit hoher Stimme diesen sinnlosen Scherz zwischen seinem Röcheln hervor.

"Ich sag Dir eins," und jetzt füllte Monikas Stimme bereits das ganze Lokal, "wenn es da eine Melanie gibt, ich beiss Dir die Eier ab," ihr reichlicher, von den übrigen nicht wahrgenommener Weinkonsum, hinderte sie, ihren leicht ordinären Charakter zu zügeln, "und da kannste Gift drauf nehmen, erst das linke und dann das rechte."

Um die Ernsthaftigkeit ihrer Drohung zu untermauern, wollte sie mit der Faust auf den Tisch hauen, traf aber die noch nicht leere Rotweinflasche, die im Kippen erst den Kerzenständer umriss und anschließend die Vase mit den roten Rosen ins Wanken brachte. Florian griff blitzschnell zu und rettete die Blumen, stieß dabei aber Charlottes Rotweinglas um, das auf dem Aschenbecher zersprang. Zwei Rotweinbäche bewegten sich langsam aber stetig auf Frank zu und brachten damit die Hose des Kritikers in Gefahr, der dem Ganzen aber fasziniert und immer noch amüsiert zusah, während Dorothea und Charlotte vor Schreck aufgesprungen waren.

Ihr Tisch war zum Mittelpunkt des ganzen Lokals geworden.

Zwei Kellner eilten mit Servietten herbei, um ein noch größeres Unglück zu verhindern.

Monika, selber erschrocken über ihre Tat, saß zurückgelehnt auf ihrem Stuhl und blickte mit einem leicht blöden Grinsen von einem zum anderen.

Nachdem man das Chaos beseitigt und sich wieder alle beruhigt hatten, nur Bernd hüstelte immer noch leicht in seine Serviette, jeden Blickkontakt mit seiner Gattin meidend, ergriff Frank, den der ganze Vorfall scheinbar köstlich unterhalten hatte, wieder das Wort: "Ich bin ja von lauter Berühmtheiten umgeben, dem Geliebten von Melanie Griffith, der Liebhaberin von dem Tonio Banderas und dem herausragenden Kollegen von Francisco Goya, Florian Schmidtlein. Ähh, Herr Maler," seine Aussprache war etwas schwer geworden, "dürfte ich Sie um eine kleine Skizze bitten, vielleicht ein Strichmännchen." Damit schob er Florian seinen Notizblock hinüber, den er aus seinem Anzug gezogen hatte, "jetzt kann ich mir Sie ja noch leisten, hoffe ich."

 

Florian nahm die Herausforderung an, skizzierte kurz Franks große Nase mit der Nickelbrille, übertrieb sein fliehendes Kinn, karikierte seine Lockenpracht.

"Geschenkt," mit einer lässigen Geste schob er den Block zurück, "davon kannst Du Dir bald Dein Haus auf Bali kaufen, Dein Roman wartet ja da auf Dich."

"Na, ich bin vielleicht ein Glückspilz. Branco, noch eine Runde, auf meine Rechnung," das hatte noch keiner hier am Tisch je erlebt, Frank musste ziemlich betrunken sein. Außer Monika, die seit ihrem Ausbruch nur noch debil vor sich hin grinste, aber einem weiteren Schnaps nicht abgeneigt war, lehnten die Frauen ab, "na, noch vviieer Grapppaa, Branco!"

Szene 3

Aische schlief auf der Couch vor dem Fernseher, während Miriam sich gerade den Sexfilm auf Sport I neugierig anschaute. Sie hatte die Fernbedienung in der Hand und den Mund voller Chips. Charlotte war entsetzt. Aische wachte auf, wusste nicht genau, wo sie war, schaute die beiden an, als wollte sie sagen, was macht ihr denn hier, kam dann langsam zu sich und wurde verlegen.

„Isch musch eingeschlafe sein, Miriam wollt unbedingt noch fernsehe, isch hab nich gewuscht, was isch mache sollt, aber kaum waren Sie ausem Haus, da hat sisch de Miriam unmöglisch benomme.“ Florian beruhigte sie, händigte ihr das Geld für die Heimfahrt und ihren Sitterlohn aus und bestellte ein Minicar für sie.

Nachdem Charlotte Miriam ins Bett gebracht hatte, verschwand sie im Bad. Florian hatte sich noch ein Pils zum Abschluss eingeschenkt und ließ sich auf der Couch von dem Sexfilm in eine angeregte Stimmung versetzen. Er zog sich aus und wollte ihr folgen, aber ein Blick auf „Flo“, seinem besten Stück, ließ ihn davon absehen, er hatte zu viel getrunken.

Anfangs hatte sie ihn zärtlich und belustigt Florinchen getauft, aber ihm hatte die Verkleinerung seines nicht unwichtigen Teils missfallen, und sie war zu Flori übergegangen, um ihn dann auf Flo zu reduzieren, was sie zu einigen Wortspielen in Gegenwart von Freunden aber auch von Unbekannten inspirierte, wie zum Beispiel, „mich juckt der Flo,“ “ich könnte Dir einen Flo in den Pelz setzen,“ oder „ich glaub, mich könnt ein Flo beißen,“ und dergleichen mehr, ihre Phantasie war da sehr ergiebig. Oft hatten sie sich mit einem dieser unverfänglichen Sätze auf Party´s oder Gesellschaften ganz öffentlich verständigt, um dann kurz hintereinander in Badezimmern oder auch auf engen Toiletten zu verschwinden und sich rasch zu vergnügen. Aber das war vor Miriams Geburt.

Er ließ das Badezimmer links liegen, fiel ins Bett mit dem beruhigenden und berauschenden Gedanken, dass er noch viele solcher Abende und Vergnüglichkeiten mit Charlotte vor sich habe.

Ein Trugschluss, wie sich herausstellen sollte

Szene 4

"So ein Mist, mein erster Arbeitstag und ich komme zu spät. Nur weil Du zu geizig bist, eine neue Batterie zu kaufen." Charlotte konnte es nicht fassen.

Ein Grönland Tief hatte sich schon am Sonntag mit einem Temperatursturz angekündigt, in der Nacht seine weiße Fracht abgeladen und den Winter zurückkehren lassen. Florian musste den Passat, den sie nach der Geburt von Miriam gegen den Golf GTI eingetauscht hatten, von turmhohen Schneemassen befreien, aber jetzt streikte die Batterie.

"Was is eine Battetie, Mami?" Miriam stand in ihrem weißen, wattierten Anorak neben ihrer Mutter und schaute sie neugierig an.

"Nimm den Bus, ich besorg eine neue und heute Abend alles wie vereinbart," sie hatten ausgemacht, er fährt sie morgens zur Arbeit, bringt auf der Rückfahrt Miriam zum Kindergarten und holt sie abends wieder ab.

„Wer weiß, wann der jetzt kommt," zu dritt, in unterschiedlicher Laune, stapften sie durch den Schnee. Die Haltestelle lag nicht weit entfernt, in derselben Richtung wie der Kindergarten.

"Genau so habe ich es mir vorgestellt, aber Du weißt ja immer alles besser. Ich habe Dir vorige Woche schon gesagt, die Batterie macht es nicht mehr lange, aber nein, mein Herr Gatte ist ja immer schlauer."

"Mit dem Bus kommst Du bei dem Wetter auf jeden Fall sicherer ins Büro."

"Na wunderbar,“ schnaubte Charlotte, „dann muss ich Dir wohl noch dankbar sein, dass ich jetzt eingekeilt zwischen stinkendem Pöbel im Bus fahren darf."

„Was is Pobel?“ Miriam ließ mit jedem Schritt den Schnee auffliegen.

„Frag Deinen Vater.“ Aber Florian verzichtete auf eine Antwort.

An der Haltestelle hatte sich eine Menschentraube gebildet, noch keinem Bus war es gelungen, bis hierher vorzudringen. Charlotte versuchte verschiedene vollbesetzte Taxis anzuhalten, ohne Erfolg. Ihre Laune passte sich der Außentemperatur an.

Schon den ganzen Sonntag war sie unausstehlich gewesen, hatte fortwährend lamentiert, sie habe nichts zum Anziehen, und hatte Stunden vor dem Spiegelschrank im Schlafzimmer verbracht. Auf Florians Frage, ob sie morgen ein Casting beim Film habe, sauste ein Stiefel auf ihn zu, dem er geschickt auswich. Er hatte mit Miriam das Arbeitszimmer in sein neues Atelier umgebaut, der Computer musste Platz machen für die Staffelei, seine geliebte alte Staffelei, die er sorgsam verpackt aus einer Ecke des Kellers hervorholte. Die alten Farben waren eingetrocknet, was er sehr ärgerlich fand, er würde sich morgen neue besorgen müssen.

Nach einer Viertel Stunde näherte sich, völlig überfüllt, der 315er. "Ich ruf Dich an, wann ich fertig bin," Charlotte, die vorwurfsvoll schweigend ihre missliche Lage akzeptiert hatte, drückte Miriam einen flüchtigen Kuss auf die Wange und schaffte es, sich als eine der Wenigen in den Bus zu quetschen.

"Mami is heute böse, nich?"

"Nein, sie ist nur ein bisschen aufgeregt, das ist heute Abend vorbei." Sie kämpften sich durch den Schnee, Miriam kletterte auf jeden zusammen gekehrten weißen Haufen, und er hatte Mühe, sie trotz Gummistiefeln mit trockenen Füßen im Kindergarten abzuliefern.

Mit Brötchen für sein zweites Frühstück und der Zeitung unterm Arm öffnete er die Wohnungstür, zog die nassen Schuhe aus, setzte frischen Kaffee auf, öffnete die Hähne über der Badewanne und wanderte durch die Wohnung, die ihm jetzt jeden Tag bis 14.00 Uhr alleine gehörte.

Sein Traum war ein renovierter Altbau mit Parkettboden, aber Charlotte war von dieser begeistert gewesen, und so waren sie eingezogen. Es war eine geräumige 4- Zimmer Neubauwohnung mit einem großen Balkon und zwei kleineren Zimmern für den Nachwuchs, wovon eins Miriam belegte und das andere jetzt sein neues Atelier war. Im Wohnzimmer setzte er sich in den alten französischen Lehnstuhl, den Charlotte mit in die Ehe gebracht hatte, ein Souvenir eines Frankreichurlaubs vor seiner Zeit. Die einzige Antiquität, die sie besaßen, mehr ein Dekorationsstück, denn er wurde nie benutzt. Er schloss die Augen und atmete tief aus: "Endlich!" Er konnte es immer noch nicht fassen und beglückwünschte sich selber zu seinem Mut, sich nur noch der Kunst zu widmen. Er schlenderte in sein Atelier, frisch gewachst stand die Staffelei gegenüber dem Fenster. "Born to be wild" singend, swingte er sich in ein selbstverliebtes, ausgelassenes Tänzchen, kehrte in die Küche zurück, schmiss seine Kleider auf den Stuhl, goss sich nackt eine Tasse Kaffee ein und machte es sich mit ihr und der Zeitung in der Wanne bequem. Er schlug das Feuilleton auf und suchte Frank´s Kritik, als das Telefon läutete.

Er überlegte kurz es zu ignorieren, aber dann gewann die Neugierde die Oberhand, und er stemmte sich hoch. Zu heftig, die Kaffeetasse auf dem Rand kam ins Rutschen und versank im Badewasser, ein dunkelbrauner Fleck breitete sich aus. Er hatte noch versucht, sie aufzufangen, dabei aber die Zeitung kurz ins Wasser gedrückt, schlaff und triefend hing sie nun in seiner Hand. "Mist, verdammter," er stand auf dem Vorleger und griff nach seinem Bademantel, Franks Theaterkommentar ließ er auf den Boden platschen. Er lief in den Flur, aber kurz bevor er das Telefon erreichte, sprang der Anrufbeantworter an. Er hob den Hörer ab und schaltete die Maschine aus. "Schmidtlein, hallo." Aber er war zu spät.