DER HAUSFRAUENMANN

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Er folgte den nassen Fußspuren auf dem Boden zurück ins Bad, betrachtete die hellbraune Brühe in der Wanne, hob die zusammen gepappte Zeitung auf und setzte sich an den Küchentisch. Aufs Baden verzichtete er.

"Junger deutscher Regisseur versucht sich an Wedekind!" mühsam kämpfte sich Florian durch die nasse Rezension. Kritik konnte er es eigentlich nicht nennen, es war eine sarkastische Verurteilung der ganzen Aufführung, durchsetzt mit zynischen Anmerkungen. Florian verstand sie nicht, das Stück war ihm unbekannt, und Frank half ihm auch nicht, es kennenzulernen. Die Schauspieler wurden allesamt vernichtend beurteilt oder verhöhnt, an Herrn Fentzeck lobte er zum Beispiel seine Fähigkeit, Radfahren zu können und ein Herr Plätzbär wurde für sein Geigenspiel erwähnt. Dem Regisseur legte er den Berufswechsel nahe und nur ein gewisser Herr Mittelweg schien sich behauptet zu haben.

„Gut, das er keine Ausstellungen kritisiert," Florian versenkte die Zeitung im Mülleimer.

Gegen zehn Uhr rief er den ADAC an. Es könne gut eineinhalb Stunden dauern, beschied ihm eine freundliche weibliche Stimme. Es gab anscheinend noch mehr geizige Autofahrer, die nicht auf ihre Frauen hörten. Das mache nichts, er habe Zeit. Er schnitt ein Brötchen auf und widmete sich seinem zweiten Frühstück.

"Wenn um 12 das Auto wieder läuft," überlegte er, "kann ich in Ruhe eine neue Batterie kaufen, die Farben besorgen und dann um 2 Mira abholen. Vielleicht mache ich heute Nachmittag eine kleine Skizze von ihr, die ich während der Woche vollende." Die Feigenmarmelade schmeckte ihm vorzüglich.

Der Pannenhelfer kam um Viertel nach eins. Seit 12 war Florian nur noch nervös zwischen Kaffeetasse, Atelier und dem Fenster unterwegs gewesen, hatte nochmals angerufen, der Fahrer sei unterwegs, erklärte dieselbe weibliche Stimme, die ihre Freundlichkeit allerdings während des Vormittags eingebüßt hatte. Er hatte sich dann selbst beruhigt, schließlich sei morgen auch noch ein Tag, und Übermorgen und Überübermorgen auch, wozu die Aufregung, Zeit besaß er im Übermaß.

Seine Werkstatt machte Mittagspause. Er fluchte leise vor sich hin und fuhr zum Kindergarten. Die ganze Stadt war ein einziges Verkehrschaos, er kam nur mühsam voran und fand dann keinen Parkplatz. Er parkte in der zweiten Reihe, schaltete die Warnblinker an und zog gewohnheitsmäßig den Zündschlüssel ab. Er trug seine Tochter auf dem Arm durch den Schnee, schnallte sie im Kindersitz fest und betätigte den Anlasser.

„Scheiße, nein, bitte nicht," aber seine flehentliche Bitte erreichte die Batterie nicht, sie war wieder leer. Er öffnete die Motorhaube und starrte ratlos die nun unnütze Energiequelle an. Damit waren seine technischen Fähigkeiten erschöpft. Resigniert hockte er sich wieder ans Steuer.

"Warum fähst Du nich, Papi, ich hab Hunge." Seine Tochter steigerte seine Hilflosigkeit und mit leicht nervösem Unterton erklärte er ihr: "Die Batterie ist doch krank, Mira, und muss sich ein wenig erholen." Er hoffte auf ein Wunder. Vergeblich. Mit einem wehleidigen Jaulen schaffte sie zwei Umdrehungen und verstummte. Er stieg aus, einen hilfsbereiten Autofahrer zu suchen. Der Erfolg ließ eine halbe Stunde auf sich warten.

Nachdem der Passat mit einem Überbrückungskabel wieder funktionstüchtig, seine Tochter durchgefroren und er ein wenig erleichtert war, lenkte er das Auto zu seiner Werkstatt. Sie verbrachten eine weiter Stunde in der Kälte, denn mittlerweile hatten sich alle unbelehrbaren Ehemänner auf den Weg zum Automechaniker gemacht. Um fünf kam er endlich mit einer weinenden und zitternden Miriam nach Hause. Mit zwei Rühreiern und Ketsch up stillte er ihren Hunger und trug sie ins Bett, aber sie war inzwischen völlig überdreht, wollte fernsehen, auf keinen Fall schlafen, er solle ihr eine Geschichte vorlesen, wo die Mami sei, sie wolle die Mami, er musste seine ganze Geduld aufbringen, sie nicht anzuschreien. Den Kauf der Farben verschob er auf Morgen. Das Telefon klingelte, es war Charlotte, er solle um halb sieben vor der Firma auf sie warten, früher sei es nicht möglich und was mit dem Abendessen sei. Irritiert schaute er auf die Uhr, zehn vor sechs. Er schnallte Miriam wieder in den Kindersitz und rutschte mit ihr zum nächsten Supermarkt, kaufte Avocados, Krabben, Spinat Nudeln, eine feine Käsesauce und eine Flasche Mumm, erreichte um zehn vor sieben Charlottes Büro, wartete mit der quengelnden Miriam bis fast halb acht, ehe seine Frau heraus hastete und fuhr die Familie nach Hause.

Charlotte war erschöpft und aufgedreht, darin glich sie ihrer Tochter. Sie erzählte begeistert von ihrem ersten Tag, es gäbe unglaublich viel zu tun, schon jetzt würden sich die Aufträge auf ihrem Schreibtisch stapeln, Herr Demut schien überglücklich, sie wieder auf seiner Gehaltsliste zu haben und auch die Kollegen hätten sie alle herzlich empfangen. Florian hörte nur mit einem Ohr zu, der wieder einsetzende Schneefall und der Abendverkehr beanspruchten seine volle Konzentration.

"Ein wunderbares Gefühl, endlich wieder gebraucht zu werden," Charlotte drehte sich zu Miriam um, "und wie geht es meiner Miri?"

Florian sah sie irritiert an, "aber Mia und ich brauchen Dich doch auch."

"Ja, aber das ist einfach nicht zu vergleichen, mein kleiner Grafiker." Florian hasste diesen Spitznamen und trat aufs Gas. Er riss das Steuer herum und lenkte den Wagen in einen Schneehaufen am Straßenrand, nur so konnte er einen Auffahrunfall mit dem plötzlich vor ihm bremsenden Auto verhindern.

"Pass doch auf, Du fährst wie ein Idiot," schrie ihn Charlotte an.

Seinen ersten Tag als freischaffender Maler hatte er sich anders vorgestellt.

Szene 5

Am Donnerstag begann endlich sein künstlerisches Schaffen. Nachdem er seine beiden Frauen abgeliefert hatte, fuhr er auf den Markt und kaufte zwei prachtvolle Äpfel. Seine ersten Modelle.

Er holte den Blumenständer aus der Diele, drapierte ihn mit einem grauen Samt Tuch und schob ihn unter sein neues Lebensmotto.

"NIEMANDES KNECHT UND KEINEM HERR."

In leuchtendem Rot und seiner schönsten Grafikerschrift hatte er den Satz auf die weiße Raufasertapete gemalt, darunter in schwarz den Autor: “SCHILLER“.

Er brauchte zwanzig Minuten, den grün melierten Granny Smith in die richtige Stellung zu platzieren. Seine neuen Farben, eine Flasche Terpentin, seine Palette und ein ganzes Sortiment von Pinseln lagen griffbereit auf dem kleinen Schreibtisch und eine leere, blütenweiße Leinwand stand auf seiner Staffelei.

Florian wünschte sich toi, toi, toi und stockte.

"Erst wenn Sie Äpfel malen, die Ihnen das Wasser im Mund zusammen laufen lassen, sollten Sie sich größeren Aufgaben zuwenden, meine Damen und Herren," die Forderung seines Professors auf der HBK stand zwischen ihm und seinem ersten Pinselstrich und ließ ihn schwer atmen.

"Na los, Künstler," munterte er sich auf, "zeig´s ihm."

Heute zeigte er es ihm noch nicht. Nach über zwei Stunden heftete er leicht enttäuscht das Ergebnis seiner Bemühungen unter Schiller an die Wand. Seinen Appetit regte es nicht an.

"Na ja, so leicht fällt eben kein Maler vom Grafikerhimmel," beruhigte er sich.

Grafik Design hatte er nur als Nebenfach belegt, sein Hauptstudium und Wunschfach war die Malerei gewesen, doch die Aussicht, als verkannter und verarmter Maler von der Geschichte ignoriert zu werden, hatte ihn einen Job in einer Werbeagentur annehmen lassen. Dort war er geblieben, seinen Malertraum hatte er auf später verschoben und dann war er ihm nach und nach abhanden gekommen. Charlotte hatte ihn, als sie nach einer Lösung für ihre weitere Lebensplanung suchten, wieder in ihm wach gerufen.

Er legte den zweiten Modellapfel auf den zweckentfremdeten Ständer, "Du wirst mein Meisterapfel," zwinkerte er ihm zu, nahm seinen Vorgänger, biss herzhaft hinein und wollte sich auf den Weg machen, Miriam abzuholen.

Das Telefon klingelte. Es war Bernd. Er habe schon die ganze Woche versucht ihn anzurufen, aber immer sei der verdammte Anrufbeantworter angesprungen, Florian müsse unbedingt mit Monika reden. Seit dem Essen letzte Woche mache sie ihm die Hölle mit Melanie heiß, er hätte zu Hause keine ruhige Minute mehr, er solle ihr sagen, dass es nur ein Scherz war und nichts dahinter.

"Mein Gott Bernd, jetzt erzähl ihr doch endlich die Geschichte, das ist doch über zehn Jahre her, ihr ward doch damals nicht mal verheiratet."

"Das geht nicht, das verzeiht sie mir nie."

"Bau Melanie Griffith aus."

"Das geht jetzt auch nicht mehr, ich hab alles kategorisch abgestritten und gesagt, ich würde keine Melanie kennen. Du musst mir helfen und die Sache auf Dich nehmen."

"Dann sag ihr, ich hätte was mit einer Melanie gehabt, aber eigentlich sei die in Dich verliebt gewesen, was ja fast stimmt." Aber eben nur fast. Während ihrer gemeinsamen Studienzeit war Bernd schon Monika versprochen gewesen, wie es so schön bei ihnen auf dem Dorf hieß. Sie kannten sich schon seit immer und waren sich dann auf den Dorffesten näher bis ganz nah gekommen, was die Scheunen der häuslichen Umgebung erleichtert hatten. Dem ausschweifenden und freizügigen Leben der Großstadt stand Bernd hilflos gegenüber und ließ es unbeteiligt an sich vorüberziehen. Nur jene Melanie Schlossknecht, die in dem Ruf stand und ihn auch ehrgeizig bestätigte, jeden zu kriegen, Florian nicht ausgeschlossen, hatte sich für 8 Tage in Bernd verliebt. Er konnte sein Glück nicht fassen, aber nach dem Ende fiel er in eine depressive Lethargie und stilisierte Melanie zur Liebe seines Lebens. Nur mühsam fand er zu Monika zurück, die von all dem nichts erfahren hatte, und ergab sich in seine Vorbestimmung.

"Ob die mir das glaubt, ich weiß nicht, sie merkt doch sofort, wenn ich lüge."

 

"Ist doch die Wahrheit, beinahe, sonst soll sie mich anrufen, ich werde es dann bestätigen. Und, wie läuft es im Büro?"

"Na ja, Du fehlst halt. Und bei Dir?"

"Gut, nein sehr gut, nein ausgezeichnet. Aber ich muss jetzt Mira abholen, bis dann."

Das Gespräch hatte seinen kreativen Misserfolg verdrängt, und vergnügt machte Florian sich auf den Weg.

Szene 6

„Noch einmal, Papi, bitte." Mindestens 25 oder 30 mal war er mit Miriam bereits den Abhang am Feldberg herunter gerodelt, aber sie konnte nicht genug bekommen. Nach dem Wetterbericht fürs Wochenende hatte Florian einen Schlitten gekauft und nach einem ausgiebigen Sonntagsfrühstück waren sie in den Taunus aufgebrochen. In der Nacht hatte der Schneefall nachgelassen und am Morgen einem strahlend blauen Himmel Platz gemacht.

"Jetzt machen wir erst eine Schneeballschlacht, ja," er formte ganz leicht eine kleine Kugel und warf sie vorsichtig in Miriams Richtung. Seine Tochter versuchte es ihm gleichzutun. Charlotte stand etwas abseits und blickte gedankenverloren den Abhang hinab. Früher hätte sie bei solch einem Ausflug die Kamera griffbereit gehabt und ganze Serien von Miriam oder ihm oder beiden geschossen, aber heute schien sie mit ihren Gedanken vollkommen woanders zu sein. Er versuchte sie mit einem Schneeball von hinten aus der Reserve zu locken, aber im selben Moment drehte sie sich um und ein weißer Fleck zierte ihre Stirn, die Sonnenbrille flog in den Schnee.

"Au, sag mal spinnst Du!", sie befreite ihr Gesicht und die Haare vom Schnee, "soll das vielleicht komisch sein?"

Er ging lachend auf sie zu, hob die Brille auf, entschuldigte sich und versuchte sie in die Arme zu nehmen, aber sie wich verärgert zurück.

"Warum drehst Du Dich auch um," er grinste unbeholfen. Charlotte schwieg.

"Jetzt vergiss doch einfach mal die Firma und rutsch mit Miriam den Buckel runter," aber auch dieser magere Scherz kam bei Charlotte nicht an.

"Mir muss bis Morgen was einfallen, ein griffiger Satz für eine Haftcreme, also lass mich bitte denken."

"Wie heißt sie denn?"

"Protomed."

"Klappert häufig dein Gebiss, hilft dir Protomed gewiss," nach kurzem Überlegen warf ihr Florian den Satz hin, schnappte sich Miriam und sauste wieder talwärts.

Er hatte Charlotte mit viel Mühe zu diesem Ausflug überreden müssen, denn die letzten beiden Wochenenden, vielmehr ihre ersten beiden als wieder berufstätige Ehefrau, oder sollte er sagen Karrierefrau, hatte sie hinter Akten versteckt im Wohnzimmer verbracht.

"Fahr nicht so dicht auf, wie oft hab ich Dir das schon gesagt, und bei den Straßenverhältnissen erst recht nicht." Florian saß trotz des Rums verkrampft auf dem Beifahrersitz.

"Fahr selber oder halt die Klappe," zischte ihn Charlotte an.

"Kein Alkohol am Steuer! Ich bin ja dafür den Hinweg gefahren."

In dem kleinen überfüllten Gasthof, in den sie eingekehrt waren, hatte er sich während der langen Wartezeit, weder Kellner noch Küche waren dem Ansturm gewachsen, die Zeit mit Grog und zwei Gläsern Rotwein, der weit unter seinem gewohnten Niveau war, die Zeit vertrieben und sich aufgewärmt. Und jetzt krochen sie in einer endlosen Kolonne mit all den anderen sonntäglichen Schneeausflüglern auf überfrierender Nässe in Richtung Autobahn.

"Mein Gott, ist das eine Hitze hier im Auto," Florian öffnete das Seitenfenster.

"Miriam hat ganz nasse Sachen, lass das Fenster zu. Mussten es denn gleich wieder drei Grog sein?" Charlottes Stimme wurde kalt und schmal.

"Wenn Du nur was zum Meckern hast." Florian kurbelte die Scheibe wieder hoch und das Gespräch verstummte.

Sie brauchten über drei Stunden für die Rückfahrt. Miriam war inzwischen in ihrem Kindersitz eingeschlafen und auch Florian waren dank des Alkohols einige Male die Augen zugefallen. Bei ihrer Ankunft war Charlottes Laune auf dem Tiefpunkt, mürrisch richtete sie ein paar belegte Brote, brachte Miriam ins Bett, versteckte sich eine halbe Stunde hinter dem ungelösten Gebisskleber und ging ins Bett.

Florian hatte sich noch zwei Gläser guten Bordeaux gegönnt und folgte ihr nun ohne große Hoffnung. Heute Morgen vor dem Aufstehen hatten sie mit wenig Leidenschaft ihre sexuelle Pflichtübung absolviert, und damit war die Ration für diese Woche erfüllt.

Charlotte wünschte gute Nacht und drehte sich ohne den obligatorischen Kuss um.

Er blätterte in seinem Buch über flämische Stillleben, aber schon nach wenigen Minuten raunzte sie ihn an: "Ich kann nicht schlafen, wenn Du liest. Du hast doch Morgen den ganzen Tag Zeit. Ich hab einen anstrengenden Tag vor mir, also bitte."

Müde von der ungewohnten Frischluft, mit sich als Vater zufrieden und der absoluten Sicherheit, morgen den Apfel seines Lebens zu malen, löschte Florian das Licht und glitt rasch in das Reich des Schlafs.

Szene 7

"Kannst Du das Kostüm in die Reinigung bringen, bitte, aber bis übermorgen muss ich es wiederhaben. Und vergiss nicht, Monika anzurufen und das Abendessen abzusagen." Sie musste ganz plötzlich für 2 Tage zu einem wichtigen Kunden nach München und war wegen dieser unerwarteten Aufgabe nervös.

Eigentlich hatte Herr Demut, ihr Chef bei „Pub-Re-Solution“, selber fahren wollen, diesen Auftrag aber dann überraschend gestern ihr anvertraut.

Zuerst war sie sprachlos gewesen, doch dann hätte sie ihn vor Begeisterung umarmen können, was sie aber unterließ. Sie mochte ihn, sein ruhiges, fast leises Auftreten, seine feine aristokratische Haltung, seine brillanten Ideen, die er dezent aber überzeugend vortrug, ein idealer Vorgesetzter. Er hatte nur einen Fehler.

Hektisch warf sie Florian, der, nachdem er Miriam in den Kindergarten gefahren hatte, gerade den Frühstückstisch deckte, das Kostüm über den Arm und wollte ins Bad. Er packte sie mit seiner freien Hand, ließ das Kostüm auf einen Stuhl fallen und zog sie in seine Arme.

"In dieser Seidenunterwäsche siehst Du unwiderstehlich aus. Ist das Deine Arbeitskleidung, um den Auftrag zu bekommen?"

Er küsste sie auf den Hals und ließ seine Hand unter dem Hemdchen verschwinden.

"Nicht, ich bin schon zu spät dran."

"Der Zug fährt in eineinhalb Stunden, und es wartet doch auch kein kostspieliges Taxi." Vorsichtig umkreiste sein Finger ihre Brustwarze, sie trug keinen BH, bei ihren kleinen festen Brüsten ein überflüssiges Kleidungsstück.

"Du musst mich vorher noch bei der Agentur vorbeifahren, mir fehlen noch Unterlagen," energisch zog sie seine Hand hervor und eilte endlich ins Bad. Resigniert packte Florian das Kostüm in eine Plastiktüte. Er schnitt Orangen auf, um frischen Saft zu pressen.

„Was ist denn eigentlich los, abends bist Du müde und morgens rufen die Akten, Flo rostet langsam ein," Florian lehnte in der Badezimmer Türe und grinste sie schief an, aber seine traurigen Augen widersprachen seiner nach Außen gezeigten Gefühlslage.

Charlotte streichelte ihm kurz und fahrig durchs Gesicht, "ich weiß, aber momentan ist alles ein wenig viel für mich, wenn ich aus München zurück komme, ja, versprochen."

Wenig getröstet zog er sich zurück, um seine Küchentätigkeit fortzusetzen.

"Er hat Dackelaugen," Charlotte griff zu ihrer Tagescreme, "wieso ist mir das früher nicht aufgefallen?" „Ist Dir doch,“ gab sie sich selbst zur Antwort und sie dachte an ihre erste Begegnung.

„Pub-Re-Solution“ hatte damals eine komplizierte Grafikzeichnung zu vergeben und sie war selbst zu dem Grafikerbetrieb „Vielhaber“ gefahren, um ihre Vorstellungen zu erläutern. Florian Schmidtlein, der im Ruf stand, eine Spitzenkraft zu sein, hatte sie als Mann nur am Rande wahrgenommen. Seine hohe Stirn, seine weichen Gesichtszüge mit dem treuen Hundeblick, sein kleiner Spitzbauch, den der weiße Arbeitskittel umspannte, all das hatte sie nur negativ bemerkt. Er war absolut nicht ihr Typ. Dazu seine Wortkargheit, er hatte keine Fragen gestellt, sondern nur mehrmals ein genuscheltes "mh,mh," hervorgebracht, das sie an der Richtigkeit ihres Herkommens zweifeln ließ. Das Ergebnis zwei Tage später hatte sie aber dann mehr als überrascht, und sie lud ihn spontan zu einem Abendessen ein. Nicht um ihn als weiteres Opfer ihrer flüchtigen Beziehungen, auf die sie sich seit der Trennung von Alexander vor fast drei Jahren nur noch einließ, zu benutzen, sondern weil sie fand, gute Leistungen müssten belohnt werden.

Das Abendessen verlief in ausgezeichneter Stimmung. Der wortkarge Grafiker entpuppte sich als Komiker. So viel hatte sie schon lange nicht mehr gelacht. Sein sanguinisches Temperament, seine spontane und unkomplizierte Art ließen ihre Unnahbarkeit und ihre nach außen gezeigte Kälte schmelzen, und sie empfand ein lange vermisstes Gefühl der Geborgenheit.

Sie entdeckte zwei lebhafte, lustige Augen, die Vertrauen einflößten und ein ausgeprägtes Kinn, das eine gewisse Sturheit, aber auch Willenskraft ausdrückte. Die Stirn hatte zwar schon eine übertriebene Höhe erreicht, was auch die nach vorne gekämmten Haare nur unzulänglich verbergen konnten, aber mit Glatzen hatte Charlotte, was die Leidenschaft und Ausdauer betraf, keine schlechten Erfahrungen gemacht, und so wischte sie diesen Einwand fröhlich beiseite, und als er dann, sie waren über Windelwerbung auf das Thema gekommen, mit Begeisterung von seinen beiden Nichten, den kleinen Töchtern seiner Schwester, erzählte, hatte sich der in allen Frauen wohnende uralte Instinkt gemeldet. Dieser kleine humorvolle Grafiker würde sich als Erzeuger, Ernährer und Beschützer ihrer Brut, also ihrer Kinder, bestens eigenen. Sie beschloss auf der Stelle, ihn und sich vorsichtig zu behandeln. Sie unterließ es schweren Herzens, ihn auf einen letzten Kaffee einzuladen, verabschiedete sich mit der Hoffnung auf ein Wiedersehen und beide gingen allein ins Bett. Zwei Tage später hatte er sich wieder bei ihr gemeldet. Zielstrebig und geschickt hatte sie die Beziehung vertieft und ihn dazu gebracht, was nicht allzu schwer war, denn sie merkte wohl, dass er von einem 7. Himmel in den nächsten stürzte, sie vor den Traualtar zu schleppen.

Und so war eine komplizierte grafische Zeichnung der Beginn ihrer Liebe geworden.

"Liebe?" Charlotte stutzte kurz, „aber wo war die Leidenschaft geblieben?“ doch dann schob sie das Thema beiseite. „München," vorsichtig legte sie ihren Lidschatten auf, "München ist meine Chance."

In den sechs Wochen, die sie jetzt wieder bei „Pub-Re-Solution“ arbeitete, hatte sie alle Skepsis und Zweifel, die ihr nach dem langen Zwangsurlaub entgegen geschlagen waren, mit großem Ehrgeiz und unbändigem Willen ausgeräumt, und dass ihr Chef sie nun zu diesen Verhandlungen allein nach München schickte, war ein Ausdruck des Vertrauens, das er in ihre Fähigkeiten setzte.

"Aber das ist erst der Anfang, meine Liebe," sie wählte ein kräftiges Dunkelrot für ihre Lippen, das gut zu ihrer blonden, kurzen Frisur passte, "Dein Weg führt steil nach oben." Sie wusste dass er steinig würde, aber das sollte sie nicht abhalten. Sie wollte mehr. Sie wollte unabhängig sein. Sie wollte ihr eigener Chef sein. Sie wollte die Macht.

Sie presste die Lippen aufeinander, um den Lippenstift gleichmäßig zu verteilen, und betrachtete sich im Spiegel, "Tja, mein kleiner Grafiker," sprach sie zu Florian, der davon nichts mitbekam, da er geduldig in der Küche an dem gedeckten Frühstückstisch auf sie wartete, "es ist nicht leicht, mit einer Erfolgsfrau verheiratet zu sein."

Es lag kein Mitleid in ihren Gedanken.

Szene 8

"Eigentlich wollte ich heute Abend in die Mansarde, muss ich dann eben verschieben, so um halb acht bei Rolf?"

"Das ist zu früh, Charlotte ist in München und Miri muss erst einschlafen, um neun?"

"Na gut, is ein bisschen spät, aber höchstens ne Stunde."

Florian legte zufrieden auf, er würde Charlottes Abwesenheit nutzen, um mal wieder einen Abend mit Bernd in seiner Stammkneipe verbringen zu können.

Vergnügt schlug er die Eier in die Schüssel, Omelett mit Marmelade hatte er für das Abendessen auserkoren.

"Wann holen wi die Mami ab," Miriam saß auf dem Küchenschrank und schaute ihm neugierig zu.

"Die Mami kommt heute nicht nach Hause, die Mami ist in München," mit einem Schwung setzte er die Pfanne auf den Herd, "heute Abend machen wir zwei es uns in der Küche bequem, und dann geht es ab ins Bett"

"Nein, nich in Bett, ich wate auf die Mami."

"Aber die Mami ist in München, die Mami kommt erst morgen wieder, aber ganz, ganz spät."

 

"Wo is die Munchen?"

"München ist eine große Stadt, ganz im Süden, noch viel, viel weiter als die Omi wohnt," vorsichtig goss er den Teig aus dem großen Schöpflöffel in die Pfanne, scharf zischend sprangen Tropfen des Öls auf den Herd.

"Mia est ins Bett, wenn die Mami kommt."

"Die Mami kommt heute nicht und die Mira geht nach dem leckeren Pfannkuchen ganz schnell ins Bett," er versuchte bestimmt zu klingen, hob sie von der Anrichte und setzte sie in ihren Kinderstuhl an den Küchentisch.

"Und jetzt zeigt der Papi Dir ein Kunststück." Er griff die Pfanne, schwang sie ruckartig nach oben, stoppte, das Omelett wirbelte in die Luft, sauste knapp an seinem Ausgangspunkt vorbei in die Tiefe und landete zerplatzend auf dem Fußboden. Miriam klatschte in die Hände: "Noch mal, Papi, noch mal!" Um Viertel nach acht konnte er endlich das Licht im Kinderzimmer löschen. Den zweiten Pfannkuchen hatte er, sich der Aufforderung seiner Tochter widersetzend, vorsichtig mit einem Teller gewendet und ihn ihr, inzwischen leicht nervös, in kleinen Happen in den Mund gestopft. Miriam hatte, um das Schlafengehen zu verzögern, nach jedem Bissen gefragt, "wo is die Mami," um sich dann selbst die Antwort zu geben: "Die Mami is in Munchen."

Er würde noch 10 Minuten warten müssen, bis sie einschliefe, und so schlenderte er ins Atelier, um sein OEuvre zu betrachten.

Drei Äpfel, die wenigen, welche die Qualifikation halbwegs bestanden hatten, hingen unter Schillers Satz: "Niemandes Knecht und keinem Herr."

Eine angefangene Stirnpartie, die er wegen mangelnder Geduld seiner Tochter hatte abbrechen müssen, stand auf der Staffelei und wartete seit einer Woche auf ihre Vollendung. Nicht viel, für nun fast eineinhalb Monate, aber jeden aufkommenden Zweifel an seinem Talent schob er schnell beiseite. Er spürte plötzlich den Wunsch nach einer Zigarette.

"Mia," wie ertappt fuhr er herum, "kann nich schlafen, lies Mia was vo, Papi." Seine Augen flackerten kurz, dann hatte er sich wieder in der Gewalt.

"Na gut, mein Schatz," er versuchte so ruhig wie möglich zu wirken, "was möchtest Du denn hören."

"Die Geschichte vom dicken, fetten Pfannkuchen.“

Florian schmunzelte und stapfte mit ihr ins Kinderzimmer.

Seine Unruhe übertrug er beim Lesen auf Miriam, die immer munterer wurde. Er fragte sie alle fünf Minuten, ob sie jetzt denn müde sei, was seine Tochter mit einem vergnügten, "nein, Mia nich müde," beantwortet und seine Nervosität steigerte, bis ihm endlich ein Trick einfiel. Er ging zu einer ganz langsamen, leisen und monotonen Sprechweise über. Mit Erfolg.

Um Viertel nach neun schloss er behutsam die Wohnungstür, nicht frei von Skrupel, sie alleine zu lassen, setzte sich wegen der Verspätung in den Passat und fuhr zu seiner Verabredung.

"Ich wollte gerade wieder gehen," Bernd schaute ihn missbilligend an, es war fast halb zehn. „Wann schaffst Du Dir endlich ein Handy an?“ „In diesem Leben nicht mehr.“

Inga saß bei ihm am Tisch: "Bernd hat mir erzählt, was Du riskiert hast, das finde ich ja ungeheuer geil," Florian mochte sie nicht, sie meinte alles besser zu wissen und überall mitreden zu können, "ich hab auch schon überlegt, den ganzen Scheiß hin zu schmeißen und mich meinem künstlerischen Talent zu widmen, und das werde ich auch. Du reißt Dir für die Firma den Arsch auf, aber selber haste nichts davon, das ist doch total beschissen." Sie war Sekretärin in einer Ex- und Importfirma, und Florian hatte nicht die geringste Ahnung, wo ihr künstlerisches Talent lag, vielleicht im Blockflöte spielen oder beim Sticken von Landschaften. Er verzichtete auf eine Anspielung und wandte sich an Bernd: "Und?"

"Na ja, es geht so, und bei Dir?"

"Bis jetzt alles wunderbar. Ehrlich. Es läuft nicht schlecht. Morgen muss ich schon wieder neue Leinwände kaufen." Er wischte mit der rechten Hand imaginären Schmutz vom Tisch und dachte an seine Äpfel, "wie läuft es denn in der Firma, kommst Du mit dem Neuen klar?"

Bevor Bernd antworten konnte, plapperte Inga wieder los: "Hast Du Dich denn schon um eine Ausstellung gekümmert, ich kenn da einen Galeristen, mit dem war ich mal kurz, na ja, eben so, mit dem könnte ich Dich mal bekannt machen, der ist immer an neuen Malern interessiert, wenn Du willst, null Problem." Sie grinste ihn Beifall heischend an.

"Danke, aber ich habe schon einen." Florian wollte mit Bernd reden.

"Wirklich? Das haste mir ja noch gar nicht erzählt," Bernd glaubte ihm, im Gegensatz zu Inga, die ihn misstrauisch anschaute.

„Äh, ist ja erst seit gestern," er beugte sich zu Bernd, "aber jetzt erzähl Du mal."

Sie vertieften sich in die Firma. Inga versuchte noch 2 oder 3 Mal sich einzumischen, merkte dann aber, dass sie überflüssig war und mit "ich muss dem Fred da drüben mal Guten Tag sagen," war sie weg.

"Der Fischer, Dein Nachfolger, also der geht mir unheimlich auf den Sack, aber wirklich," er würde ihn ständig kontrollieren, mit der Stoppuhr herumlaufen, prüfen, wie lange sie an den einzelnen Aufträgen säßen, alles würde protokolliert und analysiert, man käme sich vor, wie in einem Überwachungsstaat, "is keine gute Stimmung mehr, wirklich, bei Dir war es tausendmal besser," Florian nahm dies wohltuend zur Kenntnis, "aber der kriegt noch Ärger mit mir, das lass ich mir nicht mehr lange gefallen, aber wirklich." Er schaute auf die Uhr. Florian bestellte den zweiten Bordeaux und lenkte das Gespräch auf seine Malerei.

Aber seine Euphorie über seine Unabhängigkeit und seine Freiheit verlor sich rasch, und er kam ins Klagen: "Wer kann denn schon morgens zwischen neun und eins künstlerisch arbeiten, da fällt mir einfach nichts ein, ist doch auch logisch, oder? Und nachmittags muss ich mich um Mira kümmern, also bis jetzt...."

"Du entschuldige," Bernd hatte wieder verstohlen die Zeit kontrolliert, "aber ich muss los, fast halb elf, ich hab' Monika versprochen, um zehn sei ich wieder da."

"Weißt Du, nicht einmal der Apfel. .."

"Du musst halt Geduld haben, das kommt schon. Wir können ja ein andermal darüber reden, ich muss wirklich," er schlug ihm auf die Schulter, und Florian war mit seinen unausgesprochenen Problemen alleine.

"Geduld!" er lächelte sarkastisch vor sich hin, das hatte ihm Charlotte auch erklärt, oder vielmehr vor sich hin gemurmelt. Sie war vor ein paar Tagen mal kurz in sein Atelier gekommen, hatte einen flüchtigen und, wie Florian fand, zweifelnden Blick auf seine Äpfel und die Stirn ihrer Tochter geworfen, etwas von Geduld und Ausdauer gemurmelt und war zurück zu einem neuen Werbeblock vor den Fernseher geeilt. Er war ihr gefolgt und hatte, wütend über die gleichgültige Resonanz seiner Werke, vorsichtig protestiert: „In diesem Hause ist es unmöglich einen Film anzuschauen, dauernd zappst Du von einer Werbung zu anderen, das ist ja nicht auszuhalten."

"Schließlich ist das mein Job, von dem ihr alle lebt, Deine Äpfel können wir schließlich nicht essen," damit war für sie die Diskussion beendet. Er hatte sich dann demonstrativ mit einem Buch über Dekonstruktivismus neben sie gesetzt und den Fernseher keines Blickes mehr gewürdigt.

Nach dem dritten Bordeaux, der seinen Frust auch nicht beseitigt hatte, setzte er sich gegen halb zwölf ans Steuer und fuhr los. Er war plötzlich voller Sorge um seine Tochter, er hatte sie die ganze Zeit vergessen. Als der grüne Polizeiwagen an ihm vorbeifuhr, wurde er starr vor Schreck, "Bitte lieber Gott, das nicht." Aber sein Gebet wurde nicht erhört und eine rot leuchtend Kelle schob sich aus dem Beifahrerfenster. Er war mit einem Schlag nüchtern.

Ein Irrtum, wie die Blutprobe ergab.

Szene 9

Als Charlotte die Türe aufschloss, lag die Wohnung im Dunkeln.