DER HAUSFRAUENMANN

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"Hallo? Florian?" Nichts.

Sie schob die angelehnte Tür des Kinderzimmers auf, der matte Schein der Flurlampe hüllte ihre friedlich schlafende Tochter in ein fahles Licht.

"Das darf doch nicht wahr sein," sie deckte Miriam, die leise stöhnte, aber nicht wach wurde, vorsichtig wieder zu. Behutsam lehnte sie die Tür bis auf einen Spalt an und ging ins Wohnzimmer, es war leer, ebenso wie ihr Schlafzimmer. Charlotte schüttelte verständnislos und ärgerlich den Kopf, hängte ihren Mantel an die Flurgarderobe und ging aufs Klo.

Sie fand Florian in der Küche, vor einer Kerze und einer fast leeren Rotweinflasche. Ungläubig schaltete sie die Deckenlampe an und blickte in seine rot geäderten Dackelaugen. Während der zwei Tage in München hatten sie ihr nicht gefehlt.

"Sag mal, was denkst Du Dir dabei, ich warte am Bahnhof bis ich völlig durchgefroren bin, mein Herr Gatte sitzt stattdessen hier im Warmen und genießt seinen Rotwein," sie stemmte herausfordernd die Hände in die Hüften.

Florian schwieg.

"Würdest Du Dich bitte dazu äußern?" Florian wischte mit der rechten Hand den Tisch sauber und blickte stumm auf seinen Bordeaux.

"Soll ich eventuell morgen noch einmal nachfragen?" Wie sie dieses Schweigen hasste.

"Mir ist was Saudummes passiert," brummte er fast unhörbar.

"Etwas mit Miriam?"

„Nein, nein, nicht mit Mira, mit mir“

"Ja nun erzähl schon," sie setzte sich ihm gegenüber und stützte die Arme auf dem Tisch.

"Ja also, ich hab mich gestern noch mit Bernd getroffen," stockend begann er, sich mehrmals räuspernd, "bei Rolf, wollte ein bisschen quatschen, über die Firma und so," er nahm einen Schluck Rotwein, "und auf der Heimfahrt, ich hatte nur zwei Wein, also auf der Heimfahrt musste ich blasen." Er hatte dem Polizisten entgegnet, seine Tochter sei allein, er müsse dringend nach Hause, es wäre ein Notfall, seine Frau sei im Krankenhaus, aber diesmal gab es kein Entkommen. Der Beamte hatte kurz entschlossen den Zündschlüssel abgezogen und ihn in den grünen VW-Bus gebeten. Aber das erzählte er nicht.

"Das Röhrchen hat sich halt verfärbt, ich versteh das nicht, bei zwei Wein, aber die haben mir den Lappen abgenommen, schöne Scheiße."

"Keine Blutprobe?"

"Doch, natürlich, ich musste kurz mit ins Krankenhaus, das Ergebnis weiß ich natürlich nicht, aber den Wagen musste ich stehen lassen." Er verschwieg ihr die demütigende Behandlung

im Krankenhaus. Eine halbe Stunde hatten sie auf den Arzt warten müssen, er musste über eine Linie laufen, was ihm einigermaßen gelang, allerdings verfehlte sein Zeigefinger bei geschlossen Augen seine Nase um einiges. Dann entnahm der Arzt aus seinem Arm eine Kanüle seines alkoholisierten Lebenssaftes und er konnte endlich gehen.

"So Schmidtlein, jetzt kannste zu Deiner Tochter," damit hatte der schnöselige Polizist ihn entlassen.

"Wie kann man nur so leichtsinnig sein, man weiß doch, wie schnell das geht," Charlotte erhob sich, um sich einen Sherry aus dem Kühlschrank zu holen, drehte sich aber dann um, "konnte denn Jasmin so lange bleiben, hast Du sie wenigstens anrufen können." Florian sah sie dümmlich mit geöffnetem Mund an.

Er hatte Miriam um halb drei, als er endlich nach Hause gekommen war, schlafend vor dem laufenden Fernseher gefunden.

"Natürlich, ja klar doch," er wischte einen weiteren nicht vorhandenen Krümel vom Tisch, seine Stimme war ein wenig zu laut, "war kein Problem," er wollte Charlottes Eindruck über seine Leichtsinnigkeit nicht unnötig vergrößern, "bloß wie kommst Du jetzt morgens in die Agentur," hilflos sah er sie an. Charlotte trank im Stehen einen Schluck und blickte auf ihn herunter.

Ihre gute Stimmung, ausgelöst durch den erfolgreichen Abschluss in München, kehrte zurück und die Aussicht, die alleinige Verfügungsgewalt über den Passat zu besitzen, hatte auch etwas Verlockendes. Sie bräuchte abends nicht mehr so pünktlich zu sein, könnte länger arbeiten und wäre nicht mehr auf ihn angewiesen.

"Dich kann man auch keine Minute alleine lassen," sie strich ihm über die spärlichen Haare, "aber davon geht ja die Welt nicht unter." Er schlang seine Arme um ihre Taille, seinen Kopf drängte er an ihre Brust und zog sie fest an sich. Charlotte glaubte ein Schluchzen zu hören.

"Komm, lass uns ins Bett gehen," sie wiegte ihn ein wenig hin und her, "heute werden wir das Problem nicht mehr lösen."

Er tat ihr leid. Sich löste sich sanft von ihm und strich ihm über die Stirn: „ich geh kurz ins Bad“. Florian erhob sich,wankte unsicher ins Schlafzimmer und entledigte sich mühsam seiner Kleider. Er knöpft gerade seine Schlafanzugjacke zu, die Hose lag noch unberührt auf dem Stuhl, als Charlotte nackt ins Zimmer kam. Sie zog ihn in ihr Bett und gab seiner angeknacksten Psyche ein wenig männliches Selbstvertrauen zurück. Seit drei Wochen zum ersten Mal.

3 DIE WEGE GEHEN AUSEINANDER

Szene 10

„Wo steht denn der Wagen?"

In der Nähe der Kneipe"

"Na wunderbar, da komm ich ja schon wieder zu spät." Die gestern noch verständnisvoll und mitfühlende Charlotte war am nächsten Morgen wieder gereizt und nervös.

"Jetzt bleibt ja wohl alles an mir hängen," ihr war über Nacht klar geworden, dass der alleinige Besitz eines Führerscheines in der Familie auch erhebliche Nachteile mit sich brachte, "oder willst Du Miriam morgens zu Fuß in den Kindergarten bringen?"

Florian schaute sie entgeistert an, er hatte geglaubt, mit der nächtlichen sexuellen Tröstung auch eine Art Absolution empfangen zu haben.

"Ist doch eigentlich kein Umweg, Du kommst doch fast dran vorbei."

"Aber nur fast, und wer besorgt die Wasser und Bierkästen, wer tankt,. .“

"Na, Du fährst ja auch."

"Sehr komisch, weißt Du, wie schwer es ist, morgens einen Parkplatz zu finden?"

"Jetzt übertreib´ mal nicht, das müssen tausend andere auch."

"Die haben aber auch keine Männer, die den ganzen Tag mit Nichtstun verbringen."

Florian schwieg, legte sein angebissenes Toastbrot auf den Teller und widmete sich nur noch seinem Kaffee. Der Appetit war ihm vergangen, aber Charlotte war noch nicht fertig.

"Wahrscheinlich ist Dir das absichtlich passiert, zumindest unbewusst, um noch mehr Zeit mit Deinen abstrusen Äpfeln verbringen könne."

"Meine Äpfel sind nicht abstrus, vielleicht noch ein bisschen abstrakt, aber nicht abstrus," mehr brachte Florian nicht hervor und stierte auf seine Kaffeetasse, die sich langsam in seinen Augen in einen Blechnapf verwandelte. Sein Magen verkrampfte sich, ein Frösteln lief ihm den Rücken runter und ließ seine Knie zittern. Er schloss die Augen und verscheuchte mit einem heftigen Kopfzucken die plötzlich aufgetauchte Angst.

"Warum hat Du soweit gepakt, Papi?" Miriam ignorierte die Stimmung ihrer Eltern, die schweigend nebeneinander zu dem unfreiwillig abgestellten Wagen marschierten. Florian verschob die Antwort auf später.

"Pakst Du jetzt imme so weit?" Miriam ließ nicht locker.

"Warum antwortest Du Deiner Tochter nicht!" und damit wandte sie sich an Miriam, "Dein Vater parkt jetzt überhaupt nicht mehr, Dein Vater überlässt das Parkplatz suchen für eine lange Zeit Deiner Mami." Das war die Art zu sprechen, die er an ihr hasste, aber er blickte weiterhin stumm auf den Boden.

Unvermittelt setzte ein heftiger Regen ein. Charlotte öffnete rasch ihren Schirm und hielt ihn schützend über sich und Miriam. Florian ließ sie im Regen gehen. Er schlug seinen Mantelkragen hoch.

"Papi wid ganz naß, Mami."

Diesmal antwortete Charlotte ihrer Tochter nicht.

Der Wagen stand im Halteverbot und war mit einem Strafzettel geschmückt.

"Muss ich das jetzt schon bezahlen, oder geht das noch auf Deine Rechnung," Charlotte hielt ihm den aufgeweichten Zettel hin. Er steckte ihn in seine Manteltasche und zog wie ein Delinquent Schlüssel und Papiere hervor.

"Willst Du den Schirm, ich bin schon zu spät, ich kann Dich auf keinen Fall wieder nach Hause fahren," sie half Miriam in den Kindersitz. Er schüttelte nur den Kopf, Tropfen flogen aus seinen Haaren.

Charlotte nahm am Steuer Platz, Sitz und Spiegel brauchte sie nicht zu verstellen, sie und Florian waren gleich groß, und brauste mit einem Kavalierstart davon.

"Wie ein begossener Pudel," dachte Florian, und genauso fühlte er sich auch. Als er die Wohnung betrat, bildete sich ein kleiner See um seine Füße. Er hängte seine Sachen über die Badewanne, trank einen heißen Grog und rollte sich ins Bett, das er bis Mittag nicht mehr verließ.

Szene 11

Am Freitag verschaffte er sich Klarheit über die Folgen seines ungezügelten Bordeaux Konsums. Der Termin beim Anwalt war um halb elf. Die Kanzlei lag in der Innenstadt.

Selbstverständlich hatte Charlotte in ihrer Weitsicht und mit ihrem Hang zur Sicherheit eine Rechtsschutzversicherung abgeschlossen, darüber musste sich also keine Sorgen machen.

Rechtsanwalt Dr. jur. Manfred Kleinschmidt war ein äußerst korrekter Mensch, aber allem Anschein nach geizig. Das Mobiliar seines Büros versprühte den Charme der späten siebziger Jahre. Er selbst war klein, mit spitzem Gesicht, der obligatorischen Hornbrille und trug eine Fliege. Humor oder Freundlichkeit waren ihm fremd. Er bat Florian Platz zu nehmen. Als erstes musste er zwei Vollmachten unterschreiben, ehe sein nunmehr legitimierter Rechtsbeistand zur Sache kam.

"Nun Herr Schmidtlein," damit blickte Dr. Kleinschmidt auf seinen Notizblock, "die Blutprobe hat einen Wert von etwas mehr als 1,2 Promille ergeben, mit weniger als einem halben Jahr können wir da nicht rechnen."

"Gefängnis?" entfuhr es Florian, er dachte an seinen Frühstücks Blechnapf.

 

"Entzug der Fahrerlaubnis," Rechtsanwalt Dr. Kleinschmidt korrigierte das Missverständnis ohne jedes amüsierte Lächeln.

Florian atmete erleichtert auf und überlegte kurz, ob er sich ein Umweltabo der öffentlichen Verkehrsbetriebe zulegen sollte, wurde aber bei seinen Gedanken, der Katastrophe eine positive Seite abzugewinnen, unterbrochen. Sein Gegenüber erklärte ihm, dass zudem eine Geldstrafe auf ihn zukäme und dass er, Rechtsanwalt Dr. Kleinschmidt, alles unternehmen würde, den Prozesstermin so schnell wie es in seiner bescheidenen Macht stünde, zu beantragen. Er würde von ihm hören.

Nachdem Florian das Anwaltsbüro verlassen hatte, schlenderte er zunächst ziellos durch die Stadt, er hatte Angst vor dem Wochenende mit Charlotte. Er betrat ein Kaufhaus, wühlte in einem Stand mit Remittenden, sprühte sich ein wenig „Cool water“ aus einer Probierflasche ins Gesicht, streifte durch die Abteilung für Damenwäsche. Er unterdrückte den Wunsch, Charlotte einen gewagten Tanga zu kaufen, denn trotz des nicht erwarteten Beischlafs als Trost für seinen Führerscheinverlust vor zwei Tagen, musste er sich eingestehen, dass die erotische oder sexuelle Spannung seit Charlottes Eintritt in die stressgeplagte Geschäftswelt sich aus ihrer Ehe verabschiedet hatte. "Vielleicht Schiesser, feinripp, halblang," überlegte er, ahnte aber, dass eine solche humoristische Anspielung bei Charlotte kein Amüsement hervorrufen dürfte.

In der Zeitschriften Abteilung stieß er auf Frank, den Kritiker, er hatte ihn zu spät gesehen.

"Nach Neuestem on dit, hat sich der Künstler von allen weltlichen Dingen abgewandt, sogar seinen Führerschein abgegeben, um dem profanen Autofahren zu entgehen. Bien fait," Florian hatte es geahnt, „eine derart konsequente Entscheidung, hätte ich Dir gar nicht zugetraut."

"Ja, weißt Du, Die Kunst erfordert eben den ganzen Einsatz, mit Halbheiten kommt man da nicht weit," mit einem verkrampften Grinsen konterte Florian.

"D'accord, und Deine Frau unterstützt ja solche Exzentrik ohne zu klagen, wie man hört."

"Charlotte ist in dieser Beziehung wirklich einmalig."

"Exactement, sie kommt jeden Morgen ins Büro und mährt sich erst mal bei Doro über Dich aus, aber damit wird sie Deine sensible Künstlerseele natürlich verschonen."

"Genau, sie weiß, was ich brauche."

"Und Trinken kannst Du jetzt auch ohne Rücksicht auf Verluste."

"Ich wünsch Dir noch einen schönen Tag, Du Arschloch," damit drehte sich Florian wütend um und ließ einen erstaunten und zugleich amüsierten Frank stehen.

Er wollte nach Hause, in seine schützende Wohnung. Er sah auf die Uhr. Halb eins.

„Quatsch," murmelte er vor sich hin, "dann muss ich ja gleich wieder los, Mira abholen. Gönn´ Dir einen Kaffee."

Er fand einen freien Tisch im "Café Möricke" und bestellte einen Cappuccino, als die Bedienung sich abwandte, rief er ihr nach: "Und einen Cognac." Das war ihm noch nie passiert und erstaunt blickte er die Serviererin an.

"Noch was?"

"Nein, nein, einen Cappuccino und einen Cognac."

Er holte sich eine Zeitung, blätterte lustlos darin herum, überflog im Sportteil einen Artikel über einen Nationalspieler, der sich nicht entscheiden konnte, ob er für 8 Millionen nach England oder für 11 Millionen nach Italien gehen sollte.

"Na, die Probleme möcht ich haben," damit beendete er die Zeitungslektüre.

Der Cognac brannte in seiner Kehle, aber schnell breitete sich eine behagliche Wärme in seinem Magen aus.

"Eigentlich läuft es doch gar nicht so schlecht," vorsichtig trank er einen Schluck Cappuccino und wischte mit der Zunge den Milchschaum von seiner Oberlippe.

"Gut, die Sache mit dem Führerschein ist verdammt blöd, aber ich bin schließlich nicht der einzige, dem so was passiert, das war eben Pech. Davon geht die Welt nicht unter," Charlottes Satz fiel ihm ein, und er bestellte einen zweiten Cognac.

Gut, ihr Eheleben konnte man im Moment nicht als harmonisch bezeichnen, aber Krisen gab es schließlich in jeder Beziehung, „und wie heißt es doch so schön, in guten wie in schlechten Zeiten, und die guten kommen auch wieder, irgendwann wird ihr Stress in der Firma nachlassen und dann wird es wieder wie früher, jedenfalls fast wie früher," den aufkommenden Gedanken, dass nach Miriams Geburt die alte Leidenschaft nie wieder aufgeblüht war, schob er rasch beiseite. Der Cognac kam.

Gut, in den nun fast zwei Monaten hatte er seine Leinwände noch mit keiner künstlerischen Großtat gefüllt, aber das war nur eine Frage der Zeit, er spürte, dass der entscheidende Durchbruch unmittelbar bevorstand.

"Du musst Geduld haben, mit Druck gelingt Dir überhaupt nichts, Geduld. Das waren doch auch Bernd´s Worte gewesen. Und Charlottes. Na also!" Der Cognac passierte seine Kehle jetzt ohne Beschwerden.

Ärgerlich, dass er dem Kritiker in die Arme gelaufen war, "Aber von diesem Zyniker lass ich mir meine positive Grundstimmung doch nicht vermiesen."

Er stoppte das Cognacglas kurz vor seinen Lippen und ein beklemmendes Gefühle legte sich auf seine Brust.

"Positive Grundstimmung, ja, wenn ich Tantalus endlich in Bilder umsetzen könnte," er leerte das Glas mit einem deprimierten Seufzer.

Was ihn bedrückte war, dass es ihm nicht gelang, die Visionen über das Griechen Geschlecht, die ihn vor seinem Austritt aus der schützenden Arbeitswelt begeistert hatten, künstlerisch umzusetzen. Er hatte damals große Zusammenhänge in seinem Kopf skizziert, Atreus und Thyest, zwei Brüder, die erst gemeinsam regieren, sich aber dann über den Ehebruch von Thyest mit Atreus Frau entzweien, und, nach weiteren gegenseitigen Gräueltaten, lässt Atreus die Söhne seines Bruders, also seine eigenen Neffen, ermorden und setzt sie dem Vater als Speise vor.

Das hatte ihn fasziniert, und er wollte Parallelen zum ehemaligen Jugoslawien, der Auseinandersetzung zwischen Christen und Moslems herstellen, großartige Bilder hatte er vor seinem inneren Auge gesehen, wollte die ewige Wiederholung der Geschichte anprangern, sein linkes Bewusstsein war wieder aufgewacht und hatte ihn noch mehr beflügelt, aber als er dann vor der leeren Leinwand gesessen hatte, war er unfähig gewesen, seine Visionen auch nur mit einem Pinselstrich zu realisieren.

"Wo sind sie hin," fragte er sich, "meine aufrüttelnden Meisterwerke," und als die Bedienung an seinem Tisch vorbeikam, zeigte nur mit dem Finger auf sein leeres Glas.

„Hohl," er schlug sich mit beiden Fäusten gegen die Stirn, "hier drinnen hohl, alles hohl." Zwischen seinem Kopf, seinen Visionen, und ihrer Umsetzung klaffte eine unüberbrückbare Lücke, nein, nicht dazwischen, vielmehr hatte sich in seinem Kopf eine beängstigende Leere eingenistet.

"Es ist ja auch ein verdammt langer Weg," sprach er leise zu sich, "vom inneren Auge über den Kopf durch den Arm und mit dem Pinsel auf die Leinwand, ein verdammt langer Weg."

Der Satz gefiel ihm. "Vom Auge durch den Arm auf die Leinwand," verkürzte er ihn, "na also, er funktioniert ja doch noch, der Kopf." Und als der dritte Cognac seinen verängstigten Magen beruhigt hatte, kam auch die alte Begeisterung zurück und stolz auf sich, den mutigen Schritt in die Eigenverantwortung getan zu haben, bestellte er die Rechnung.

Szene 12

"Morgen habe ich ein Abendessen mit dem Marketing Chef der Hamburger Brauerei, ein ziemlich wichtiges Gespräch, hätten sie nicht Lust, mich zu begleiten?" Klaus Demut, ihr Chef war an ihren Schreibtisch getreten und beugte sich zu Charlotte hinunter. Bei seiner leisen, feinen Art klang dies wie eine Entscheidungsmöglichkeit, aber Charlotte wusste, das es ein nicht abzulehnender Wunsch war.

"Aber gerne, das würde mich sogar sehr freuen." Ihre Aufgabe in München vor drei Wochen hatte sie zu seiner vollsten Zufriedenheit erledigt, der Vertrag war unterschrieben und nun bot sich die Gelegenheit, in eine neue große Entscheidung einbezogen zu werden. Herr Demut hatte die Angelegenheit vor ein paar Tagen kurz erwähnt, und soweit sie ihn richtig verstanden hatte, handelte es sich bei dem Projekt um einen Millionenauftrag, aber noch sei es nur eine unverbindliche Anfrage.

"Um 20.00 Uhr im "Palais", kommen Sie mit dem eigenen Wagen, oder soll ich sie abholen."

"Das wäre nett, wenn es für Sie keine großen Umstände macht, zurück nehme ich dann ein Taxi."

"Gut, also dann so gegen halb acht, ich freue mich auch," er lächelte sie an und war verschwunden. Es war ihr klar, dass sie auch als dekorative Beigabe benutzt wurde, sah aber vor allem die Möglichkeit, einen Abend lang der häuslichen Tristesse zu entfliehen.

Die Differenzen nach Florians Führerscheinverlust waren zwar wieder halbwegs beigelegt, aber es schwebte immer eine unausgesprochene Gereiztheit zwischen ihnen, bei der geringsten Kleinigkeit explodierte einer von beiden oder Florian zog sich schmollend in sein Atelier zurück. Charlotte hatte ihre Feierabende immer mehr in den Abend verschoben.

"Ich ermögliche ihm seinen Traum und der Herr Künstler ist beleidigt," dachte sie empört, "schließlich habe ich die ganze Verantwortung für uns drei, darauf kann er wohl Rücksicht nehmen, das ist ja wirklich nicht zu viel verlangt." sie spürte eine leise, brodelnde Wut in sich aufsteigen, "und wenn er mit mir schlafen will, dann soll ersich gefälligst ein bisschen anstrengen, der glaubt wohl, sein beleidigter Hundeblick würde mich anmachen, ha ha," sie öffnete auf dem Bildschirm des Computers ihre Agenda, um zu kontrollieren, ob sie morgen rechtzeitig die Firma verlassen könne, schließlich war das "Palais" ein exklusives Restaurants und sie würde sicherlich lange zwischen Badezimmerspiegel und Kleiderschrank pendeln müssen. Das Klingeln ihres Telefons unterbrach sie.

"Wir müssten uns vorher aber noch über ein paar Dinge unterhalten," Herr Demut war am anderen Ende der Leitung, "morgen habe ich keine Zeit, darf ich Sie heute noch auf ein Glas Wein einladen?"

Auch gegen einen zweiten abwechslungsreichen Abend hatte Charlotte keinen Einwand.

Szene 13

"Ich hab´s doch gewusst, es geht doch," Florian trat drei Schritte von der Leinwand zurück und begutachtete sein Werk. Endlich hatte er seine gedrückte Stimmung wegen des Führerscheinentzugs überwunden, sein verwundetes Ego hatte drei Wochen zur Genesung gebraucht, und heute Morgen hatte ihn ein Energieanfall überfallen.

Noch während des Frühstücks, dass er wie immer für die Familie hergerichtet hatte, war er demonstrativ in sein Atelier entschwunden, die Türe hatte er weit offen stehen lassen und sich auf einen Faltenwurf konzentriert, den er schon gestern Abend aus einem Bildband über Michelangelo ausgewählt hatte. Das Ergebnis fand Gnade vor seinen eigenen Augen.

"Ich werde es schaffen," er war sich plötzlich ganz sicher, "und es meinen hämischen Kritikern zeigen, ich hab doch nicht umsonst studiert," sein Herz hing immer noch an der Tantalus Geschichte. Mehrmals hatte er die Erzählung der Iphigenie in Goethes gleichnamigen Theaterstück gelesen, sich durch die alten Griechen gequält, doch eine zündende Idee war ihm nicht eingefallen und so hoffte er weiter auf eine göttlich Inspiration. Den Faltenwurf heftete er neben seine drei qualifizierten Äpfel unter Schillers Satz. Einen Galeristen würde er damit nicht begeistern können, aber er war glücklich, dass sein Talent ihn nicht verlassen hatte. "Das wäre ja noch schöner gewesen, wo sollte es auch hin verschwunden sein," befriedigt schenkte er sich in der Küche ein Glas Rotwein ein, zum ersten Mal seit Wochen empfand er ein Glücksgefühl, ja, er war fast von sich begeistert.

"Ich werde heute Abend ein köstliches Mahl zubereiten, einen exzellenten Bordeaux kredenzen und meine eigene Frau verführen," er sprach laut mit sich selbst, wie so häufig in den letzten Wochen, Folge seines zurückgezogenen Lebens.

"Auf ihr Wohl, Herr Maler," er prostete sich zu. "Waum laufen wi zu Fuß, Papi," der Kindergarten lag 15 Minuten entfernt, aber mit Miriarn dauerte der Rückweg, da er es hasste, einen leeren Kinderwagen vor sich herzuschieben, eine gute halbe Stunde und für den Heimweg benutzten sie gewöhnlich den Bus.

"Wir müssen noch einkaufen, Dein Papi kocht heute ein großes Menü."

"Mia will nich laufen," sie hockte sich auf den Boden und sah ihn herausfordernd an. Seufzend nahm er sie auf den Arm und marschierte los.

Zucchini Suppe, Tornados à la Rossini mit Naturreis und ein Zitronensorbet lautete sein Speiseplan, ein oder auch zwei Flaschen Rotwein und als Untermalung eine CD mit italienischen Liebesliedern, "und dann eine erotische Entspannungsmassage mit anschließendem Geschlechtsakt," er kicherte in sich hinein.

 

Er achtete nicht auf die Preise, ging geduldig auf Miriams Fragen ein und schrak an der Kasse auf, als die Endsumme erschien. "Ach was, für eine ordentliche Versöhnungsfeier darf man nicht auf den Pfennig sehen.“ Er hatte eher nicht auf die Mark geachtet.

"Ist das goße Mänü?" Miriam mampfte vergnügt ihre Spaghetti.

"Ja, mein Schatz, großes Spaghettimenü, und wenn die Mami kommt, geht es ganz schnell ins Bett," er wischte ihr mit dem umgehängten Handtuch das Kinn sauber.

"Wann kommt die Mami?"

"Ganz bald," auf der Küchenanrichte warteten die vorbereiteten Zutaten, die Zucchinisuppe köchelte sacht vor sich hin.

"Mami kommt imme spät, nich."

"Die Mami muss viel arbeiten und Geld verdienen, damit Mira ein großes Menü essen kann."

"Goßes Spaghettimänü, nich."

Um Viertel vor neun rief er in der Firma an, wurde aber nur von dem zentralen Anrufbeantworter begrüßt.

Um neun versuchte er es auf dem Handy. Sofort schaltete sich die Mailbox ein.

Um Viertel nach neun brachte er die protestierende Miriam ins Bett.

Um halb zehn wählte er Dorotheas Nummer, legte aber nach dem ersten Klingeln schnell wieder auf.

Um zehn löffelte er einen Teller Zucchini Suppe mit einem Stück Brot. Sie schmeckte ausgezeichnet, hob aber seine schlechte Stimmung nicht.

Um Viertel nach zehn packte er die Steaks in die Tiefkühltruhe, zum Eis.

Um halb elf, seine letzte Hoffnung resigniert aufgebend, stellte er das Fläschchen Massageöl, das er heute Nachmittag auch erworben hatte, in die hinterste Reihe des Badezimmerschranks.

Um viertel vor elf setzte er sich vor den Fernseher.

Um halb zwölf schrie er sie beleidigt an: "Wo bleibst Du denn, verdammt noch mal, ich warte mit dem Essen auf Dich und Du treibst Dich rum. Schon mal was vom Telefon gehört?"

"Ich muss morgen früher aus der Firma, ich habe ein wichtiges Abendessen mit einem wichtigen Kunden aus Hamburg, deshalb musste ich heute noch einiges vorarbeiten," Charlotte sah ihn kühl und beherrscht an.

"Wichtig, wichtig, alles ist wichtig in der Firma, aber in dieser wichtigen Firma war um halb neun niemand mehr, ich hab nämlich angerufen, also lüg mich nicht an."

"Ich war noch mit Klaus ein Glas Wein trinken."

"Muss man dazu das Handy abschalten?"

"Es war rein geschäftlich und in dem Lokal war Handyverbot," Charlotte behielt ihre Ruhe und stand gelassen in der Wohnzimmertüre.

"Bis jetzt geschäftlich," er blickte demonstrativ auf seine Uhr, "und mit Klaus," er gab dem Namen eine hochnäsige Betonung, "ihr seht Euch doch den ganzen Tag, aber da habt ihr wohl keine Zeit für 'geschäftlich' ."

"Bist Du etwa eifersüchtig," Charlotte konnte ein ungläubiges Grinsen nicht verhindern.

"Auf den, pah, aber vielleicht war es ja gar nicht Herr Demut."

"Jetzt hör mir mal genau zu, mein kleiner Grafiker," ihre Stimme wurde kalt und scharf, "wann und wie ich meine Arbeit mache ist allein meine Sache, und wenn es für meinen Job wichtig ist, arbeite ich auch eine ganze Nacht durch, Du hältst Dich da gefälligst raus. Du bist nicht mein Kindermädchen, klar!" Sie drehte sich um und verschwand im Bad.

"Ja, ja, Frau Wichtig," grummelte er wütend vor sich hin, "aber dass sie mir einen wunderbaren Abend mit Drei-Gang-Menü und anschließendem Geschlechtsverkehr versaut haben, dass ist natürlich völlig unwichtig."

Szene 14

"Und das ist Frau Schmidt, sie wird bei dem Projekt eng mit mir zusammenarbeiten, Herr Kraft." Herr Kraft, Marketing Chef der großen Hamburger Brauerei, war an ihren Tisch getreten, und nachdem die beiden Männer sich begrüßt hatten, stellte Klaus Charlotte vor. Sie reichte ihm die Hand, die er mit der seinen gefühlvoll und kräftig umschloss. „Sehr erfreut, was für bezaubernde Mitarbeiterinnen sie haben, Kompliment," er hielt ihre Hand weiterhin fest, seine wärme jagte ein wohliges Prickeln durch ihren Körper, und blickte ihr direkt, fast durchdringend in die Augen, was sie sofort angenehm verunsicherte, "dann werden wir ja in Zukunft öfter miteinander zu tun haben." Endlich ließ er ihre Hand los.

Die Herren nahmen Platz, Charlotte war sitzengeblieben, und der Ober brachte die schweren, ledergebundenen Speisekarten.

"Ein sehr angenehmes Ambiente für ein Arbeitsessen," Herr Kraft blickte kurz auf, nicht um den exklusiv ausgestatteten Saal zu betrachten, sondern um Charlotte ein strahlendes Lachen zu schenken. Sie lächelte charmant zurück und vertiefte sich dann in die Auswahl der Menüs. Sie überlegte kurz, "meinte er mich damit?" und hoffte, dass ihr keine Röte ins Gesicht stieg. Verstohlen schaute sie über den Kartenrand

und betrachtete ihn, Herr Kraft hatte sich wieder in seine Suche vertieft.

"Er sieht verdammt gut aus, das dichte schwarze Haar, an den Schläfen ganz leichte graue Strähnen, dunkelbraune Augen, wie alt mag er sein, zwischen 40 und 55 ist alles möglich."

"Ich nehme das Filetsteak," ihr Beobachtungsobjekt schlug die Speisekarte zu und Charlotte setzte ihre Suche nach einem Gericht rasch fort.

"Lammfilet mit Brokkoli," Charlotte reichte dem Ober die Karte. Klaus, er war Vegetarier, hatte sich für einen Salat entschieden und bestellte jetzt drei Aperitifs und eine Flasche Tinto Pesquera, ein spanischer Ribero del Duero, Reserva 91.

"Wir brauchen eine neue Idee, die alte Agentur managt seit 6 Jahren unsere Kampagnen und die innovative Kreativität kann nicht weiter optimiert werden, es wäre nicht uninteressant, ein völlig neues Konzept zu erwägen." Übergangslos begann Herr Kraft mit dem Geschäftlichen.

"Energische Dynamik, gefällt mir," Charlotte registrierte in Gedanken weiterhin Positives.

"Um zu den finanziellen Rahmenbedingungen zu kommen," beim Dessert schnitt Klaus das Thema an, "damit wir die Sache auch richtig kalkulieren können."

Die verschiedenen Möglichkeiten eines neuen Konzept waren erörtert worden, wobei Charlotte die Fähigkeiten ihres Chefs, Gedanken rasch aufzugreifen und in geniale Ideen umzusetzen, aufs Neue bewunderte. Klaus war ein Magier in seinem Beruf. Die Finanzen aber gingen sie nichts an und sie nutzte den Themenwechsel, entschuldigte sich und verschwand auf die Toilette.

"Nimm Dich zusammen," beschwor sie ihr Spiegelbild und zog ihre Lippen nach. Herr Kraft hatte sie im Laufe des Abends mehr und mehr verwirrt. Fasziniert von seiner selbstsicheren Ausstrahlung, hatte sie immer weniger zu dem Projekt beisteuern können, statt dessen hatte sie eine Erregung in ihrem Bauch gespürt, ein Gefühl, das sie seit Jahren, wenn sie genau überlegte, seit Alexander nicht mehr empfunden hatte. Der kleine Grafiker jedenfalls hatte es nie ausgelöst, "merkwürdig," wunderte sie sich, "dass mir das erst jetzt auffällt," und sie verglich Herrn Kraft mit Florian, ein unfairer Vergleich, wie sie sofort feststellte.

Sie hielt lange die Unterarme unter den voll aufgedrehten Wasserstrahl, legte etwas Rouge nach und schwebte, innerlich aufgewühlt, nach außen lässig und elegant, sich ihrer makellosen Figur bewusst, an den Tisch zurück.

"Nehmen sie auch einen Marc de Bourgogne? Das ist ein französischer Trester, sehr zu empfehlen," Herr Kraft stand auf, er wusste natürlich um seine Wirkung auf Frauen, "wenn sie nach Hamburg kommen, ihre ausgearbeiteten Ideen zu präsentieren, führe ich sie in ein Restaurant mit dem absolut besten Marc, so einen finden Sie nicht mal in Paris." Er schob ihren Stuhl sanft in ihre Kniekehlen und beugte sich zu ihr hinunter, sprach ganz dicht an ihrem Ohr, "das wird ein ganz besonderer Abend für sie werden."

Er provozierte eine flüchtige Berührung ihrer Haarspitzen.

Szene 15