DER HAUSFRAUENMANN

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Seit über eineinhalb Stunden lag Florian wach im Bett und lauschte auf ihre Rückkehr.“Ein Arbeitsessen! Bis elf, ja, von mir aus auch bis zwölf," er warf einen kurzen Blick auf den Digitalwecker, "aber bis kurz nach zwei, dass ich nicht lache." Danach war ihm allerdings gar nicht zumute. Er rollte sich zusammen und stellte sich schlafend.

"Sie hat getrunken und nicht zu knapp," wütete er, als er hörte, wie Charlotte mit einem Knall die Wohnungstür ins Schloss fallen ließ.

"Schläfst Du schon?" sie trat auf Zehenspitzen ins Schlafzimmer, nur mit Slip und einem seidenen Top bekleidet. Ihr Hosenanzug, von dem Herr Kraft meinte, er stehe ihr wunderbar, lag auf dem Wohnzimmersessel. Als Florian nicht reagierte, wiederholte sie die dämliche Frage etwas lauter.

"Mein kleiner Grafiker, was ist denn los," das gute Essen, der vorzügliche Wein, der noch vorzüglichere Marc und vor allem die Begegnung mit dem vorzüglich gutaussehenden Herrn aus Hamburg hatten ihre Hormone beflügelt und sie war nun nicht abgeneigt, sich mit ihrem Gatten von dieser Erregung zu befreien.

"Will mich denn der Flo heute nicht mehr stechen," sie schlüpfte unter seine Bettdecke, "oder schläft er schon?"

Ihre Hände tasteten nach seiner Schlafanzughose.

"Ich habe wohl das Recht, auch mal früh ins Bett zu gehen, ich war gerade eingeschlafen, verdammter Mist," damit wälzte er sich auf die andere Seite, ihr den Rücken zukehrend, "aber auf mich wird hier ja keine Rücksicht genommen." Er stellte sich wieder schlafend.

"Oh diese Männer," dachte Charlotte, "man sollte sie ihren Müttern zurück an die Brust schicken, damit sie sich dort ausschmollen können," sie kroch in ihr Bett, rollte sich zusammen und ihre Hand verschwand zwischen ihren Schenkeln. Sie konnte ein heftigeres Atmen nicht ganz verhindern, dann schlief sie rasch ein.

Florian glaubte seinen Ohren nicht zu trauen. Wut, seine Unfähigkeit zu reagieren, Hilflosigkeit und Erniedrigung steigerten sich zu einem explosiven Gemisch, er bekam einen Ständer, wollte sich gerade auf sie stürzen, als er an ihren nun gleichmäßigen Atemzügen bemerkte, dass sie längst im Reich der Träume weilte.

Er schlich aufs Klo, sich zu revanchieren. Keuchend stand er vor dem Waschbecken, sah im Spiegel Tränen über seine Wangen laufen, aber Flo schaffte trotz seiner verzweifelten Bemühungen keine Befreiung. Frustriert holte er sich sein Bettzeug und richtete sich für die Nacht seine Schlafstatt im Wohnzimmer auf der Couch. Er konnte lange nicht einschlafen.

Szene 16

"Und vielen Dank noch für den reizenden Abend," der Marketing Chef aus Hamburg rief aus seinem Hotel an, "und ich hoffe, das wir uns bald in Hamburg sehen werden. Ich freue mich schon. Bis dann."

Mit einem zufriedenen und geschmeichelten Lächeln legte Charlotte langsam den Hörer auf, blickte versonnen auf ihren Schreibtisch und schaute in die Augen ihrer Tochter, die sie aus dem rahmenlosen Bildhalter anlachten. Sofort kehrte sie in die Realität zurück. "Worauf lass ich mich da ein," dachte sie, "du kannst doch nicht alles aufs Spiel setzen wollen." Sicher, der kleine Grafiker war unausstehlich zu ihr, aber das würde ja nicht ewig anhalten, sie hatten schließlich eine kleine Tochter, ein gemütliches Zuhause, keine Sorgen, und doch konnte sie das Bild des gut gewachsenen und charmanten Werbemanagers nicht vertreiben, "ach was, Hamburg ist schließlich weit und hat ein kleiner Seitensprung nicht schon mancher Ehe gut getan?" sie spielte mit dem Brieföffner, zeichnete unsichtbare Kreise auf ihre Schreibunterlage.

"Hör auf," rief sie sich zur Ordnung, "ausgetobt hast Du Dich nach Alexander genug, die Zeiten sind vorbei," und sie nahm sich vor, Klaus zu bitten, sie nicht nach Hamburg zu schicken, er solle das selber erledigen. Schließlich war sie eine treue Ehefrau. Sie hatte Florian noch nie betrogen.

Das Telefon riss sie aus ihren Überlegungen, ihr Chef, Herr Demut bat sie auf einen Moment zu sich.

"Das war ja ein sehr angenehmer und interessanter Abend, gestern, ich möchte mich nochmals ganz außerordentlich bei Ihnen bedanken, dass Sie mitgekommen sind, Charlotte. Aber Sie hätten heute ruhig etwas später kommen können, Sie waren ja bis fast zwei im Einsatz," aber das war für Charlotte ein abwegiger Gedanke, pünktlich und korrekt, wenn auch ziemlich müde, war sie heute morgen wie immer in der Agentur erschienen.

"Ich fand den Abend auch sehr anregend, nochmals vielen Dank für die Einladung." Sie setzte sich, seiner Handbewegung folgend, Klaus gegenüber.

"Diese Kampagne geht weit über unser bisheriges Auftragsvolumen und wenn es uns gelingt, in diese Dimension vorzustoßen, dann wird das für uns völlig neue Perspektiven eröffnen," Herr Demut blickte aus dem Fenster und machte eine kleine Pause. "wie ich gestern schon erwähnte, möchte ich, dass Sie intensiv mit mir an dem Projekt arbeiten, oder vielmehr ich mit Ihnen, denn ich werde Ihnen die Leitung übertragen," er schaute sie direkt an und Charlotte richtete sich überrascht aber auch stolz auf.

"Fein, das freut mich," stammelte sie.

"Und wenn es ein Erfolg wird," jetzt machte Herr Demut eine Spannungspause und Charlotte hielt gleichfalls die Luft an, "wenn es ein Erfolg wird, werden Sie in Zukunft an den Projekten, die Sie leiten, prozentual beteiligt sein."

"Ja, aber das ist ja Wahnsinn," entfuhr es ihr," ganz toll, wirklich, vielen Dank."

"Das bedeutet natürlich, dass Sie demnächst öfter nach Hamburg fahren müssen, ich hoffe, Ihr Mann hat nichts dagegen."

Mit einem etwas zu energischen: "Bestimmt nicht," löschte sie ihre eigenen Bedenken aus.

Szene 17

Das Frühstück war in schweigender und eisiger Atmosphäre verlaufen. Den ganzen Vormittag brachte Florian nichts zu Stande und schlurfte in seinem grau-grün gesteiften Bademantel durch die Wohnung, ein undefinierbares Gefühl im Bauch. Dumpf brütend hockte er vor einer jungfräulichen Leinwand, hoffte seine Wut und seine Verzweiflung in künstlerische Produktivität umzusetzen, aber nichts geschah.

Mit geschlossenen Augen wartete er auf eine Eingebung, aber seine Gedanken kreisten immer wieder um die letzte Nacht und lähmten jegliche Kreativität. Er setzte sich Kaffee auf und verlängerte ihn mit einen kräftigen Schluck Cognac in die halbvolle Tasse, aber auch das bewirkte keine künstlerische Eruption. Das einzige was sich immer mehr belebte, war seine ohnmächtige Wut.

Er griff wahllos in seine Farben, erwischte eine Tube chromoxydgrün, schraubte mit zittrigen Händen die Kappe ab und quetschte mit aller Kraft den Inhalt auf seine leere Leinwand. Er schmiss die Tube auf den Boden und drückte seine Hand in die langsam nach unten laufende Farbe, hielt mit der linken die Leinwand fest und begann, erst langsam, dann wilder das Grün über das Papier zu schmieren. Immer wütender kreiste seine Hand, er steigerte sich in einen Rausch und verlor die Kontrolle. Schließlich trat er drei Schritte zurück, schaute hitzig auf seine grüne Phase und schrie: "Führerscheinentzugsfalle." Ging auf sein erstes intuitiv gemaltes Werk zu und mit einem Schlag bohrte er seine Faust durch das Leinen, nahm den Rahmen und schleuderte ihn durch das Atelier gegen die Wand. Er traf Miriams skizzierte Stirnpartie.

Wie in Zeitlupe löste sich das Bild von der Tapete, segelte hin und her schwingend nach unten und landete neben dem Papierkorb. Das brachte ihn zur Besinnung. Vorsichtig hob er die Zeichnung auf und stellte sie auf die Staffelei. Vor seinen Augen vervollständigte sich das Gesicht seiner Tochter, er sah die blonden Locken, die lachenden Augen, ihre weichen Züge und das Kinn mit dem Grübchen, wie er sie in Erinnerung hatte. Mit beiden Händen bedeckte er sein Gesicht, drückte seine Fingerspitzen auf die Augen und atmete tief durch. Dann fiel sein Blick auf die Uhr.

Mit Terpentin reinigte er sich rasch und oberflächlich die Hände, zog sich an und verließ hastig die Wohnung.

Ungeduscht und unrasiert erreichte er den Kindergarten eine halbe Stunde zu spät. Er nahm die verzweifelte und weinende Miriam hoch, murmelte, "Papi musste noch dringend telefonieren, mein Schatz, aber das kommt nicht wieder vor, ganz bestimmt." Er trocknete ihre Tränen und stieg mit ihr in den Bus.

Er setzte seine Tochter auf den Schoß, schaukelte sie ein wenig und summte ihr dann ganz leise ein Lied ins Ohr. Miriam klammerte sich an ihn und strich mit ihren kleinen Händen über seine stoppelige Wange. Er drückte sie fester an sich und konnte nur mit Mühe weiter singen, seine Augen begannen zu schwimmen.

Gegenüber saß eine kleine dralle Frau, mit schlecht sitzender Kaufhausperücke und rosigen Fettbäckchen. Florian nahm sie nur verschwommen wahr, glaubte aber ein verständnisvolles und wohlwollendes Lächeln zu erkennen. Er war froh, das er aussteigen musste und trug Miriam vom Bus und in die Wohnung. Den Nachmittag widmete er ausschließlich seiner Tochter.

Beim Zähneputzen nach dem Abendessen, versuchte er ihr die Situation zu erklären.

"Schau mal, Mira, die Mami und der Papi haben es gerade ganz schwer miteinander, die Mami muss viel arbeiten und ist immer ein bisschen gereizt, aber...“

"Ich hab die Mami lieb," mit vollem Zahnpastamund war sie kaum zu verstehen.

"Ja, natürlich."

"Und den Papi auch."

"Ja, aber weißt Du, im Moment ist es zu Hause nicht so, wie es sein sollte, aber bald ist es wieder wie immer."

"Ich hab die Mami lieb und den Papi lieb."

"Und ich hab Dich auch ganz, ganz toll lieb," er ließ sie mit einem Schluck Wasser den Mund ausspülen."

"Und die Mami hat Mia auch ganz, ganz toll lieb, nich?"

"Ja, mein Schatz, die Mami hat Dich auch ganz lieb."

 

"Und die Mami hat Dich nich lieb?"

"Doch, doch, die Mami hat mich auch lieb und ich hab die Mami lieb, und beide haben wir Dich lieb." Er beendete seine Rechtfertigungsversuche, trug sie ins Bett und las ihre die Geschichte, "Vom kleinen Maulwurf, der wissen wollte, wer ihm auf den Kopf gemacht hatte" vor. Als Charlotte nach Hause kam, ausnahmsweise etwas früher, "wahrscheinlich muss sie sich von gestern erholen," dachte er grimmig, verließ Florian wortlos die Wohnung.

Szene 18

"Auch mal wieder da?" außer Rolf, dem Wirt, ein wuchtiger Typ mit Glatze, dessen riesiger Schnauzbart genauso stolz seine Oberlippe überwucherte wie sein Bauch seinen Hosenbund und der gerade lethargisch die Tische mit sauberen Aschenbechern versorgt hatte, bevölkerten nur einige wenige Gäste das Lokal.

"Na, der Künstler muss auch mal ausspannen," Florian wischte mit seiner Hand die Theke sauber.

"Ein Bordeaux?"

"Logo," aber dann änderte er seine Bestellung, "nee, gib mir ein Pils und ´nen Klaren." Er wollte sich betäuben. "Ärger?" fragte Rolf in seiner mundfaulen Art

"Ne, Durst," Florians Lachen klang nicht sehr überzeugend.

Er kippte den Schnaps hinunter und das Pils gleich hinterher.

"Noch mal dasselbe, Rolf."

Die Kneipe füllte sich langsam, einige kannte er vom Sehen oder von Tresen Gesprächen, als er noch mit Bernd nach der Arbeit ab und an ein Bier trinken gegangen war.

Er war beim gewohnten Bordeaux angekommen, als ihn sein Nebenmann an der Theke, dessen Namen er mal gekannt hatte, der ihm aber trotz heftigen Grübelns nicht einfiel, in ein Gespräch zog. Es war das Übliche, über Sport und Politik kamen sie zu Nebensächlichem. Sein Nachbar, dessen Name ihm nach einer Stunde immer noch ein Rätsel war, wusste zu jedem Thema Bedeutendes in seinem breitesten Hessisch beizusteuern und ließ Florian kaum zu Wort kommen, wofür der ihm dankbar war, denn er hatte keine Lust zu reden. Er lauschte mit einem Viertel Ohr den Vorzügen einer Solaranlage und phantasierte über die Partnerin des Dauerredners, vielleicht war der Dialekt aber auch Unbeweibt und die Kneipe der einzige Ort, wo er Zuhörer fand und über "wer hört mir zu Hause eigentlich noch zu", landete er mit seinen Gedanken wieder bei Charlotte, obwohl er doch hergekommen war, um sich abzulenken.

„Hey, dass man Dich auch mal wieder hier sieht,“ Britta küsste ihn rechts und links auf die Wangen und strahlte ihn an, „Du lässt Dich ja gar nicht mehr blicken, was ist denn los?“

Glücklich, der Sonnenenergie zu entrinnen, rückte er ein Stück beiseite, zog sie zwischen den Namenlosen und sich an die Theke und begann, der Alkohol beflügelte ihn, von seiner neuen Berufung zu erzählen.

Er kannte Britta schon länger als Charlotte, sie hatte ihn immer als Frau gereizt, aber aus einem nun nicht mehr zu erklärendem Grund war es nie zu mehr als einer kurzen heftigen Partyknutscherei gekommen. Sein Gehirn arbeitete zweispurig; während er stark übertreibend seine Malerei pries, suchte ein anderer Teil seines Kopfes fieberhaft nach der Möglichkeit, sich mit Britta heute an Charlotte zu rächen, legte all seinen Charme, zu dem er noch fähig war, in seine Erzählung und schlug mitten in der Tantalus Geschichte vor, es sich hinten in einer Ecke bequem zu machen.

„Ich bin nur kurz hier, warte auf Dirk, wir wollen noch ins Kino, der neue Woody Allen.“ Seine Energie fiel in sich zusammen, er plauderte noch ein bisschen, eher oberflächlich, und hatte nicht mal Lust zu fragen, wer Dirk sei.

„Bist Du der häuslichen Hölle entronnen?“ Dorothea stand vor ihm. Frank war in Frankfurt bei einer Theater Premiere und war schon früh in die Mainmetropole aufgebrochen, um ungestört mit einem Kollegen aus Berlin reden zu können, wie er Dorothea mitgeteilt hatte. Florian bestellte sich einen neuen Roten und bugsierte Franks Freundin in jene Ecke, in der er mit Britta seine Rachepläne verwirklichen wollte. Am Tresen war es mittlerweile unmöglich, ein intimes Gespräch zu führen, doch fast alle Tische waren unbesetzt.

„Was meinst Du mit Hölle, was hat Charlotte Dir denn erzählt?“ er war froh, auch wenn er zum Ablenken hergekommen war, endlich jemanden zu finden, mit dem er sein Problem erörtern konnte, insgeheim hatte er auf Bernd gehofft, doch Dorothea war sogar interessanter, er hoffte so etwas über Charlotte zu erfahren.

„Das war doch nur ein Scherz, nichts hat sie erzählt.“

„Frank hat auch letztens so Andeutungen gemacht, also sag schon.“

„Frank kannst Du nun wirklich nichts glauben, Du weißt doch, wie er ist. Ich kann eh nicht lange bleiben, er ist in Frankfurt und ich muss ihn gleich vom Bahnhof abholen, der Starkritiker ist mal wieder zu geizig, sich ein Taxi zu leisten. Heute Abend war in Frankfurt die Premiere von „Heldenplatz“ von.., ach hab ich vergessen.“

„Nun lenk nicht ab, die Premiere interessiert mich nicht, sag schon, was Charlotte Dir über uns erzählt hat, ich wollte Dich schon längst mal anrufen, bin aber nie dazu gekommen, die Zeit läuft mir im Moment einfach davon,“ sein gestriger ängstlicher Rückzieher fiel ihm ein.

„Na ja, sie lässt halt manchmal die eine oder andere Bemerkung fallen,“ Dorothea wollte wirklich nicht zwischen die Fronten geraten, Charlotte war ihre Freundin und hatte nicht nur einmal ihr Herz bei ihr ausgeschüttet. Florian sollte seine Probleme mit seinen Männerfreunden diskutieren.

„Was für Bemerkungen hat sie wo fallengelassen?“

„Dass Du nicht recht vorankommst, dass es wohl schwieriger sei, als Du gedacht hättest und deshalb unzufrieden und gereizt wärst, kann man ja auch verstehen.“ Florian konnte nicht heraus hören, ob der letzte Halbsatz von ihr oder Charlotte stammte.

„Ich gereizt? So kann man es auch umdrehen.“ Es brach aus ihm hervor und ohne nach weiteren fallengelassenen Äußerungen Charlottes zu fragen, stellte Florian seine Sicht der ehelichen Situation dar.

„Seit sie wieder arbeitet, ist sie nicht mehr zu ertragen. Alles dreht sich nur noch um die Firma, Werbung vorne, Werbung hinten, keinen Film kann man sich im Fernsehen anschauen, ständig wird nach Werbespots gesucht, andere Themen gibt es in dieser Familie überhaupt nicht mehr. Miriam ist auch schon völlig überdreht, nörgelt ständig, will nicht ins Bett, schläft nicht mehr durch, steht nachts weinend im Schlafzimmer,“ das stimmte zwar fast, aber eben nur fast, denn all dies war erst ein- zweimal passiert, „und was unser Sexualleben betrifft, davon will ich lieber gar nicht reden.“

Er griff nach der Marlboro Packung, die vor Dorothea auf dem Tisch lag und zündete sich eine an.

„Seit wann rauchst Du denn wieder?“

„Was? Ach so, seit gerade!“ Ohne sich lange unterbrechen zu lassen, fuhr er in seiner Anklage fort. „Es ist ja schon seit der Geburt nicht mehr so, wie es vorher war, aber ich habe immer geglaubt, das wäre nur vorübergehend und gäbe sich mit der Zeit, aber seitdem sie arbeitet, läuft überhaupt nichts mehr, absolut tote Hose.“ Schau mal an, dachte Dorothea, nach außen immer heile Familie, aber alles nur Schein. Sie und der Kritiker waren da anders, sie führten weiß Gott keine Idealbeziehung, doch das wusste jeder, da sie ihre Schwierigkeiten in aller Öffentlichkeit austrugen. Und sie verglich den kleinen Grafiker, sie hatte die Titulierung von Charlotte übernommen, mit dem Kritiker. Vorzustellen, dass Frank sich anderen gegenüber so gehen ließ und seine intimsten Probleme offenlegte, schien ihr unmöglich, gleichzeitig bezweifelte sie, dass er überhaupt zu solchem Leiden ihretwegen imstande sei, und sie beneidete Charlotte wegen Florians Anhänglichkeit, oder sollte sie sagen Liebe. So mit ihren eigenen Betrachtungen beschäftigt, antwortete sie auf Florians Satz, den er jetzt auf dem Gipfel seiner Vorwürfe und seines Selbstmitleids ausstieß, „wenn Sie einen anderen hat, dann soll Sie es mir doch sagen, dann muss man damit umgehen, aber diese ständigen Zurückweisungen, dieses ständig sich Verweigern, das macht mich fix und fertig,“ nicht mit einem „also das glaub ich nicht,“ oder, „das wüsste ich doch,“ oder, „das hätte sie mir doch erzählt,“ sondern nickte nur geistesabwesend mit dem Kopf, und dieses mit dem Kopf nicken, löste in Florian eine furchtbare Wirkung aus. Sein Verdacht wurde bestätigt. Er griff nach einer zweiten Zigarette und wollte Dorothea gerade zwingen, ihm Genaueres zu erzählen, als sie aufstand, „Mein Gott, der Zug kommt in fünf Minuten,“ das war maßlos übertrieben, sie hatte noch gut eine halbe Stunde Zeit, aber das Gespräch wurde ihr unangenehm,„ich muss los, wir können ja ein anderes Mal weiter reden, ruf mich doch an.“ In der Hoffnung, dass er dies nicht Wahrmachen würde, verabschiedete sie sich eilig.

„Abendessen! Bis zwei! Wo in Teufels Namen gibt es bis zwei Uhr was zu essen, die verarscht mich doch, oder?“ Florian war der letzte Gast und redete, mühsam die Worte mit bordeauxschwerer Zunge formulierend, auf den schweigsamen, die Kneipe aufräumenden und nicht antwortenden Rolf ein.

„Ich bring nichts zu Stande, hah, meine Faltenwürfe und Stillleben könnte ich ohne Probleme an den Mann bringen und meine Tantalus Trilogie,“ er hielt mitten im Satz inne, Trilogie, er hatte nicht mal die Idee zu einem Bild, hatte er jetzt schon das Delirium tremens, tre, vom italienischen drei, er verstand endlich den Begriff, „egal, meine Tantalus Trilogie wird Weltklasse, sag ich Dir, Weltklasse.“ Er war kurz vor einer Ausstellung im Guggenheim Museum und die Neuentdeckung des 21sten Jahrhunderts, als ihn Rolfs Frage, „ne Taxe?“ wieder auf den mittlerweile arg schwankenden Boden der Trunkenheit zurück holte. Er schüttelte den Kopf und Rolf legte ihm die Rechnung hin: „Dreiundsechzig Mark vierzig.“

Szene 19

Am ersten Samstag im Mai holte er die Rinderfilets seines großen Verführungsmenüs aus dem Tiefkühlschrank. Er wollte eine Aussprache, seit der Unterredung mit Dorothea rechnete er mit dem Schlimmsten.

"Mia will auch goßes Mänü," sie saß in ihrem Stuhl und trommelte mit der Gabel auf den Tisch.

"Mein Liebling bekommt ein großes Reibekuchenmenü mit Johannisbeergelee," er lud seiner Tochter zwei Kartoffelküchlein auf den Teller und wollte ihr die Gabel abnehmen, aber Miriam umklammerte sie und jammerte: "Mami fütten, ich will die Mami."

Als Florian ihren Wunsch an Charlotte weiterleitete, die über den Akten der Hamburger Brauerei im Wohnzimmer saß und in Gedanken an der Alster weilte, stöhnte sie nur und wies gereizt auf die vor ihr liegenden Papiere.

"Ich kümmere mich die ganze Woche um sie, wenigstens am Wochenende könntest Du ein bisschen auf Deine Tochter eingehen," er lehnte vorwurfsvoll in der Wohnzimmertüre.

Mühselig und ächzend erhob sich Charlotte und folgte ihm in die Küche. Während er die Zucchini schnitt, beobachtete Florian Mutter und Tochter aus den Augenwinkeln, Charlotte saß mit dem Rücken zu ihm. Ihre Ungeduld mühsam unterdrückend, ermahnte sie Miriam ständig, "wackle nicht so mit dem Stuhl und konzentriere Dich auf das Essen," "Und jetzt der nächste Bissen, so, fein," "Und jetzt Schluck es runter."

Plötzlich war es Florian klar: "Nicht zu beanstanden und äußerst korrekt, aber kalt, liebenswürdig und ordentlich aber ohne wirkliche innere Zuneigung," und einige Zucchinistücke, die er gerade von dem großen Holzbrett ins kochende Wasser schieben wollte, landeten auf dem Herd. "Wie Olga, genau wie Olga," er klatschte die Steaks auf das nun leere Holzbrett.

Olga Richter, Charlottes Mutter, geborene von Stadelberg, stammte aus einer alten ostpreußischen Adelsfamilie, die nach dem Krieg verarmt in den Westen übergesiedelt war und einen kleinen Handelsvertreter weit unter ihrem Stand geheiratet hatte. Hans Michael Krüger hatte es zwar im Laufe der Zeit zu etwas Vermögen gebracht, sie besaßen eine Eigentumswohnung in Karlsruhe, aber das genügte nicht im Geringsten den Ansprüchen seiner adeligen Gattin, die ihre Unzufriedenheit durch eine arrogante Überheblichkeit und eine hochnäsige Kälte kompensierte.

Da es Charlotte einmal besser haben sollte, hatte sie ihr einziges Kind als "höhere Tochter" erzogen, und sie dank ihrer alten Verbindungen während ihrer jungfräulichen Mädchenzeit auf bedeutende Debütantinnenbälle geführt, dabei keine Gelegenheit ausgelassen, sie mit hochkarätigen Ehe Aspiranten zu verkuppeln. Charlotte hatte sich jedoch in ihrer pubertären Trotzphase dem allen widersetzt und ganz profan ihre Unschuld auf einem Rockkonzert im Gebüsch verloren. Aber die Kälte, die Arroganz und das Bewusstsein, etwas Besseres zu sein, hatte sie von Olga geerbt.

"Ich bringe Miri jetzt ins Bett," in nur knapp zehn Minuten hatte sie das große Reibekuchenmenü in Miriams Mund verschwinden lassen, "wann ist denn das Essen fertig?"

 

Florians neue Erkenntnisse über seine Gattin ließen seinen Magen rumoren. Am liebsten hätte er das Diner samt Aussprache abgesagt und sich in die Kneipe geflüchtet.

"So in einer dreiviertel Stunde," mit einem kräftigen Schlag ließ er den metallenen Fleischhammer auf ein zartes Lendensteak sausen.

Ein gutes Dutzend Kerzen tauchten das Wohnzimmer in ein warmes Licht, "Per Lucia", ein Erinnerungslied aus längst vergangenen, harmonischen Urlaubstagen, tönte leise aus den Boxen der Stereoanlage.

"Die Suppe war schon mal hervorragend," Charlotte nippte an ihrem Weinglas, Florian hatte sich bereits nach geschenkt. Bisher hatten sie nur über Nebensächliches geredet, keiner wollte den Anfang machen. Florian räumte die leeren Teller ab, servierte das Hauptgericht, und Charlotte erzählte nun ausführlich über das Brauereiprojekt, webte geschickt eine distanzierte Schilderung des Marketing Chefs ein und erwähnte auch, dass sie eventuell, das wäre aber noch nicht sicher, in Zukunft öfter nach Hamburg müsse. Florian hörte interessiert zu, zumindest erweckte er den Eindruck, nahm Herrn Kraft aber nur am Rande wahr.

Er brachte den Nachtisch und eine neue Flasche Bordeaux, Charlottes erstes Glas war immer noch halbvoll, nahm dann sein Rotweinherz in beide Hände und holte tief Luft: "Was ist denn eigentlich zwischen uns los, ich meine, so kann es doch nicht weitergehen."

"Es ist eben im Moment eine schwierige Zeit, aber die geht auch wieder vorüber, wir müssen uns eben beide mehr Mühe geben," Charlotte ließ ihr Eis unberührt und beobachtete ihn angespannt.

"Aber Du bist ja überhaupt nicht mehr vorhanden, in Deinem Kopf ist nur noch das Geschäft, Deine Karriere. Werbung über alles!" Obwohl er sich vorgenommen hatte, ruhig und sachlich zu bleiben, geriet ihm der Satz etwas zu laut.

"Und Du bist mit Deiner neuen Situation auch überfordert, aber das ist verständlich, wir müssen Geduld mit uns haben," sie sprach ruhig und gelassen.

"Geduld, wie soll ich das denn Flo beibringen, ich bin schließlich kein Neutrum."

"Das ist nun wieder typisch Mann, als wenn es nur darauf ankäme."

"Ach, als Karrierefrau stehst Du jetzt wohl über den Dingen, aber vielleicht genüge ich Deinen Ansprüchen nicht mehr," Florian betrachtete das langsam zerfließende Sorbet und fügte

hinzu: "oder es gibt da einen Besseren." Er fühlte sich durch Dorotheas Kopfnicken dazu berechtigt und beobachtete sie aus den Augenwinkeln, ängstlich ein Eingeständnis ihrer Schuld erwartend.

"So ein Quatsch," Charlotte gab ihre Gelassenheit auf und wurde aggressiv: "trink nicht soviel, dann hast Du auch keine Halluzinationen, und konzentriere Dich auf Deine Malerei. Bring endlich was zu Stande, dann bist Du auch ausgeglichener, aber gib nicht mir die Schuld."

"Ich bin doch kein Computer, der auf Knopfdruck produzieren kann. Ein Künstler," er glaubte in diesem Moment wirklich an dieses Wort, "ein Künstler braucht Ruhe, Konzentration und vor allem Inspiration, das heißt ein harmonisches Umfeld," ihr Wortwechsel wurde heftiger.

"Dafür bin ich doch wohl nicht verantwortlich," Charlotte sah ihn herausfordernd an, "oder soll ich Dir jetzt," sie ließ das Wort ironisch und genüsslich über ihre Lippen strömen, "INSPIRATION einflößen? Und Ruhe hast Du ja wohl den ganzen Morgen."

"Vormittags kann ich nicht malen, mein Gott, das kann Keiner, und ab eins muss ich mich um Deine Tochter kümmern."

Charlotte registrierte, dass er zum zweiten Mal heute Abend "Deine Tochter" sagte und konterte scharf und böse, dabei maliziös lächelnd: "Ich dachte immer es wäre unsere, aber klar, ich wäre mir an Deiner Stelle da auch nicht so sicher." Sie wusste sofort, dass sie zu weit gegangen war, erkannte es an seiner Reaktion, "Das war ein Scherz, mein kleiner Grafiker," sie versuchte es ungeschehen zu machen, aber Florians Gesicht wurde zu Stein, er verstummte und mit diesem kurzen Dialog war die Aussprache beendet. Der Rest des Abends wie auch der folgende Sonntag versanken in feindseliges Schweigen und die Lösung ihrer Probleme war in eine nebelige Ferne entschwunden.

Szene 20

Dorothea war schon den ganzen Tag verstört durch die Agentur gelaufen, mehrmals ohne Grund in Charlottes Büro erschienen, um dann endlich zu fragen, ob sie Lust habe, heute mit ihr chinesisch Essen zu gehen. Florian war ein erklärter Gegner von „Chinafraß“, wie er sich auszudrücken pflegte, während Charlotte der asiatischen Küche durchaus positiv gegenüberstand, aber sie war, wie immer, mit ihrer Arbeit im Rückstand. Doch ein Blick in Doro's Augen genügten, und sie wusste, dass sie nicht nein sagen konnte.

"Er ist im Moment mal wieder unausstehlich, ich ertrag das nicht mehr lange," eine Träne lief über Dorotheas Wangen, ihr blasser Teint, übersät mit Sommersprossen, war noch weißer, sie schüttelte ihre rotblonden langen Locken nach hinten und beugte sich über ihre Handtasche, um ein Taschentuch zu suchen. Sie hatten das "Shanghai" gewählt, es lag in einer Querstraße der Fußgängerzone und war wenig besucht. Ein Tisch in einer kleinen, mit Bambus ausgeschlagenen Nische war frei gewesen, abseits der übrigen Gäste. Die gedämpfte Atmosphäre ließ sie leise sprechen.

"Lass uns erst mal bestellen und dann erzählst Du alles in Ruhe und der Reihe nach." Die Kellnerin nahm lächelnd ihre Wünsche entgegen und verschwand wieder lautlos.

"Ich habe ihm gestern ganz ruhig und sachlich erklärt, dass ich nicht vor hätte, die Pille weiter zu nehmen, ab jetzt sei er genauso für die Verhütung zuständig," sie schnäuzte sich, "oder für die Folgen. Aber ich nehme diesen Chemiescheiß nicht mehr, und wenn er sich auf den Kopf stellt." Zur Bekräftigung schlug sie die flachen Hand auf den Tisch. „Er hat mich dann mindestens eine Minute mit zusammen gekniffen Augen und seinem herablassenden Lächeln schweigend angeschaut und dann in einem ziemlich gemeinen Ton erwidert: Jetzt hör mir mal ganz genau zu, écoute: Wenn Du unbedingt so ein Balg brauchst, dann such Dir jemand, der Dich schwängert, noch hast Du ja mit Deinen fast Vierzig eine gewisse Chance, einen Deckhengst zu finden, vielleicht nicht gerade Antonio Banderas, aber der muss es ja auch nicht sein, Hauptsache er hat einen fruchtbaren Schwanz. Aber zum letzten Mal und unwiderruflich, mit mir nicht, und damit Punkt und fin." Damit ist er aufgestanden, hat im Flur seinen Mantel angezogen und ohne sich noch einmal umzudrehen, die Wohnung verlassen.“ Dorothea griff wieder zu ihrem Taschentuch. "Um drei ist er nach Hause, hat sich gleich in sein Zimmer verzogen, obwohl ich noch auf war und nach 10 Minuten konnte ich schon sein Schnarchen hören."

"So ein Schwein, das glaubt man ja nicht," Charlotte fand ihre Abneigung gegen Frank bestätigt.

"Ich weiß nicht, ob der überhaupt etwas für mich empfindet, es funktioniert nur, wenn alles nach seinen Vorstellungen läuft, doch bei den geringsten Schwierigkeiten entzieht er sich oder versteckt sich hinter seinen zynischen Sprüchen. Ich bin es so leid, das kann ich Dir gar nicht sagen, am Liebsten würde ich meine Sachen packen und abhauen."

"Nun beruhige Dich erst Mal, das weißt Du doch alles nicht erst seit heute. Seit wir uns kennen, habt ihr doch diese Streitereien, habt Euch aber jedes mal wieder zusammengerauft. Oder? Du kannst natürlich mit zu mir, also zu uns," noch während sie es aussprach, zuckte Charlotte zusammen. Dorothea hatte ihr zwar ihr Treffen mit Florian erzählt, sie wusste also um den Zustand ihrer Ehe, aber wo sollte sie schlafen. Die Couch im Wohnzimmer war von Florian belegt, in Miriams Bett passte sie nur zusammengefaltet, es blieb nur das Ehebett. Charlotte fand das keine angenehme Lösung.

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