BGB-Schuldrecht Allgemeiner Teil

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VI. Lösung Fall 7

126

A. A könnte gegen B einen Anspruch auf Übergabe und Übereignung des Fahrrads aus § 433 Abs. 1 S. 1 haben.

I. Durch den Abschluss des Kaufvertrags ist zunächst die Primärleistungspflicht der B entstanden, das Fahrrad zu übergeben und zu übereignen (§ 433 Abs. 1 S. 1).

II. Diese Primärleistungspflicht könnte allerdings gem. § 275 Abs. 1 Var. 1 erloschen sein. Als B aus dem Buchladen kommt, ist das Fahrrad verschwunden und nicht mehr auffindbar. Es war gebraucht und individuell lackiert, so dass eine Stückschuld (§ 243 Abs. 1) vorlag. B kann ihre Pflicht also nicht durch Leistung eines anderen Fahrrads erfüllen. Da das Hollandrad unauffindbar ist, ist die Übergabe und Übereignung jedenfalls für B unmöglich (§ 275 Abs. 1 2.Var: „subjektive Unmöglichkeit“[54]). Der Primärleistungsanspruch ist somit erloschen.

Ergebnis: A hat keinen Anspruch auf Übergabe und Übereignung des Fahrrads aus § 433 Abs. 1 S. 1.

B. A könnte einen Schadensersatzanspruch aus §§ 275 Abs. 4, 280 Abs. 1, Abs. 3, 283 in Höhe von 300 Euro gegen B haben.

I. Ein Schuldverhältnis liegt in Form des Kaufvertrags vor.

II. Als Pflichtverletzung kann man allein die nachträgliche Unmöglichkeit der Leistungserbringung ansehen (vgl § 275 Abs. 4) oder aber auf das Nicht-Abschließen des Fahrrads abstellen.[55]

III. B muss die Unmöglichkeit auch zu vertreten haben iSd § 280 Abs. 1 S. 2. Der Schuldner hat grundsätzlich Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten, § 276 Abs. 1. Indem sie ihr Fahrrad nicht abschloss, ließ B die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht und handelte mithin fahrlässig gem. § 276 Abs. 2. B hat die Pflichtverletzung somit zu vertreten.

IV. Gem. § 251 Abs. 1 hat B Schadensersatz iHd Wertes des Fahrrades (300 Euro) zu leisten.

Ergebnis: A hat gegen B daher einen Schadensersatzanspruch aus §§ 275 Abs. 4, 280 Abs. 1, Abs. 3, 283 in Höhe von 300 Euro.

C. Eine weitere Sekundärleistungspflicht ist die Pflicht zur Surrogatsherausgabe (§ 285), die hier ebenfalls relevant wird: B hat durch den zur Unmöglichkeit führenden Umstand (Abhandenkommen des Fahrrads) die Versicherungssumme von 200 Euro erhalten. Diese Summe tritt an die Stelle des geschuldeten Gegenstands (sog. „stellvertretendes commodum“[56]). A kann von B also auch die Versicherungssumme aus §§ 275 Abs. 4, 285 Abs. 1 verlangen. Allerdings mindert sich der Schadensersatzanspruch gem. § 285 Abs. 2 in der Höhe des durch § 285 Abs. 1 Erlangten. A kann also entweder aus § 285 Abs. 1 Herausgabe der empfangenen 200 Euro und Schadensersatz iHv 100 Euro verlangen, oder nur Schadensersatz aus § 283 geltend machen (dann iHv 300 Euro).

Anmerkungen

[1]

S. dazu näher unten Rn 118.

[2]

Näher Unberath, Die Vertragsverletzung (2007), S. 175 ff.

[3]

Zum Folgenden näher Unberath, Die Vertragsverletzung (2007), S. 263 ff.

[4]

BGH NJW-RR 2018, 1103.

[5]

Wolf/Neuner, BGB AT11, § 38 Rn 2; Weiler, Schuldrecht Allgemeiner Teil4, S. 75.

[6]

Näher dazu unten Rn 237 ff.

[7]

Zu § 612 siehe Medicus/Lorenz, SR BT18, § 31 Rn 22 ff; zu § 632 siehe Medicus/Lorenz, SR BT21, § 35 Rn 8 ff.

[8]

Jauernig/Mansel, BGB17, § 241 Rn 9.

[9]

BGH NJW 2018, 1746 (1747). Zur Abgrenzung der Nebenleistungspflichten von den Schutzpflichten (iSd § 241 Abs. 2) unten Rn 112 ff.

[10]

Vgl §§ 275 Abs. 4, 280 Abs. 1, Abs. 3, 283 bei Ausschluss der Leistungspflicht nach Vertragsschluss, §§ 275 Abs. 4, 311a Abs. 2 bei Ausschluss der Leistungspflicht bei Vertragsschluss.

[11]

BGH NJW-RR 1989, 801 (Unbefristetes Wettbewerbsverbot bei Verkauf einer Gebäudereinigungsfirma).

[12]

Vgl BAG, 3 AZR 442/68, AP BGB § 611 Treuepflicht Nr 7.

[13]

Vgl BGH NJW 1979, 1404: Vermietung innerhalb eines Einkaufszentrums.

[14]

Fikentscher/Heinemann, SR11, Rn 37 ff; Staudinger/Olzen, BGB (2015), § 241 Rn 388 spricht von Rücksichtnahmepflichten.

[15]

Zu Einzelheiten s. Staudinger/Olzen, BGB (2015), § 241 Rn 554 ff.

[16]

Staudinger/Olzen, BGB (2015), § 241 Rn 555 mwN; Hk/Schulze, BGB10, § 241 Rn 5.

[17]

Staudinger/Olzen, BGB (2015), § 241 Rn 556 ff; Fikentscher/Heinemann, SR11, Rn 40.

[18]

Vgl Hk/Schulze, BGB10, § 241 Rn 5.

[19]

Vgl BGH NJW 2018, 301 (Schwimmbadaufsicht und Badeunfall).

[20]

Näher dazu Arnold JuS 2013, 865, 867 f.

[21]

Etwa Canaris JZ 1965, 475; Medicus/Petersen, BR27, Rn 203; BGH, NJW 1962, 1196; BGH, NJW 1998, 302; ablehnend Grigoleit NJW 1999, 900.

[22]

Näher Staudinger/Olzen, BGB (2015), § 241 Rn 399 ff.

[23]

Amtliche Begründung BT-Drucks 14/6040, S. 126.

[24]

Reischl JuS 2003, 40, 43.

[25]

Amtliche Begründung BT-Drucks 14/6040, S. 125.

[26]

Näher Staudinger/Olzen, BGB (2015), § 241 Rn 409 ff.

[27]

Dazu eingehend oben Rn 84 ff.

[28]

Vgl Jauernig/Mansel, BGB17, § 241 BGB Rn 9; differenzierend und weiterführend MünchKomm/Bachmann, BGB8, § 241 Rn 69 ff.

[29]

Dazu oben Rn 107. Zu Einzelheiten vgl Staudinger/Olzen, BGB (2015), § 241 Rn 554 ff.

[30]

 

Palandt/Grünberger, BGB78, § 241 Rn 8; MünchKomm/Bachmann, BGB8, § 241 Rn 63; Madaus, Jura 2006, 289 (291); Grigoleit FS Canaris (2007) 275 (304 f).

[31]

Das Beispiel entstammt BT-Drs. 14/6040, S. 125. Das Rücktrittsrecht kann dann sowohl über § 323 als auch über § 324 begründet werden. Entsprechendes gilt für § 281 und § 282. Näher unten Rn 538 ff und Rn 626 ff.

[32]

BT-Drs. 14/6040, S. 125.

[33]

Anschaulich: BGHZ 218, 22.

[34]

BGHZ 218, 22. So etwa BGH, NJW 2018, 1746; BGH NJW 2014, 143.

[35]

Näher dazu Wandt, Gesetzliche Schuldverhältnisse9, § 16 Rn 111 ff; Fikentscher/Heinemann, SR11, Rn 38.

[36]

Fikentscher/Heinemann, SR11, Rn 38; Jauernig/Teichmann, BGB17, § 823 BGB Rn 2 ff.

[37]

BGHZ 55, 392, 395 = NJW 1971, 1131, 1132; BGHZ 66, 315, 319 = NJW 1976, 1505, 1506; MünchKomm/Bachmann, BGB8, § 241 Rn 41; Erman/Schmidt-Räntsch, BGB15, § 194 Rn 9.

[38]

BeckOGK/S. Arnold, BGB (1.6.2019), § 438 Rn 37 ff.

[39]

Zur Wechselwirkung zwischen vertraglichen und deliktischen Ansprüchen BeckOGK/Spindler, BGB (1.10.2019), § 823 Rn 34 ff.

[40]

Palandt/Sprau, BGB78, § 690 Rn 1; BeckOK/Gehrlein, BGB51, § 680 Rn 2; BeckOGK/Schaub, BGB (1.9.2019), § 276 Rn 163.

[41]

MünchKomm/Bachmann, BGB8, § 241 Rn 46; Medicus/Lorenz, SR AT21, Rn 401.

[42]

Erman/Lützenkirchen, BGB15, § 548 Rn 5 mwN.

[43]

Anschaulich auch: OLG Zweibrücken, NJW-RR 2002, 1456: Keine Haftung eines Schaustellers, der Süßwaren eines anderen Schaustellers unentgeltlich in Verwahrung genommen hatte. Die Süßigkeiten waren wegen eines Brands zerstört worden.

[44]

Vgl oben Rn 55 ff.

[45]

Vgl Brox/Walker, SR AT43, Rn 19.

[46]

Siehe auch Medicus/Lorenz, SR BT18, § 80 Rn 24.

[47]

S. Arnold, Vertrag und Verteilung (2014), S. 117 ff.

[48]

Näher S. Arnold, Vertrag und Verteilung (2014), S. 117 ff.

[49]

Zu Einzelheiten siehe etwa Schreiber, JURA 2010, 117; MünchKomm/Gergen, BGB8, § 2032 Rn 19.

[50]

Rn 119 f.

[51]

Näher unten Rn 1346 ff.

[52]

Zu Einzelheiten unten Rn 479 und 1112 ff.

[53]

Vgl zu dieser Obliegenheit etwa MünchKomm/Oetker, BGB8, § 254 Rn 49 f; Hk/Schulze, BGB10, § 254 Rn 1 ff.

[54]

Dazu unten Rn 663 ff, 683.

[55]

Näher unten Rn 390.

[56]

Dazu näher unten Rn 745 ff.

Teil I Grundlagen › § 4 Die Entstehung von Schuldverhältnissen

§ 4 Die Entstehung von Schuldverhältnissen

Inhaltsverzeichnis

I. Überblick

II. Kontrahierungszwänge

III. Unbestellte Leistungen (§ 241a)

IV. Formvorschriften

127

Fall 11 (nach AG Hannover, 25.11.2015, Az 549 C 12993/14 – juris):

K möchte anlässlich eines Sieges der deutschen Fußballnationalmannschaft im Rahmen der Weltmeisterschaft 2014 mit seinen Freunden in einer Diskothek feiern. Während seinen Freunden der Eintritt problemlos gewährt wird, wird K der Einlass an der Tür verwehrt, weil er dunkelhäutig ist.

Hat K einen Anspruch gegen die Diskothekenbetreiberin (D) auf Einlass in die Diskothek gegen Bezahlung der Eintrittskosten?

Fall 12 (nach AG Hagen BeckRS 2008, 139835):

M – ein Mann – möchte Mitglied im örtlichen Fitnessstudio (F) werden und stellt dort einen Aufnahmeantrag. F lehnt den Vertragsschluss jedoch mit der Begründung ab, dass eine interne Quote festgesetzt sei, um ein wünschenswertes Verhältnis zwischen männlichen und weiblichen Mitgliedern zu erreichen. Da der Anteil an Männern zurzeit zu hoch sei, könne man M, einen Mann, nicht aufnehmen.

Hat der M einen Anspruch auf Abschluss eines Mitgliedsvertrages mit F?

Fall 13:

K kauft online bei U eine Waschmaschine, welche ihm innerhalb von 2 Wochen nach Hause geliefert werden soll. Da sich U seit kurzem auch auf dem Waschmittelmarkt probiert, legt er der Waschmaschine eine Packung seines Waschmittels bei. In der Rechnung zur Waschmaschine weist U darauf hin, dass er der Waschmaschine eine Packung seines Waschmittels beigelegt habe, die K sicher gut gebrauchen könne. Wenn K das Waschmittel gebrauche, gehe er, U, davon aus, dass K es zum Sonderpreis von 8 Euro erwerben wolle. Als K das Waschmittel in den nächsten Tagen ausgeht, verwendet er das Waschmittel des U. Leider ist dieses jedoch noch nicht richtig ausgereift, so dass es zu erheblicher Schaumbildung kommt und die Waschmaschine schließlich komplett „überschäumt“. Dabei wird der teure Duschvorleger des K zerstört (Wert: 50 Euro). U wusste, dass es bei mehreren Testdurchläufen zu ähnlichen Reaktionen gekommen war, er wollte den Waschmittelmarkt aber so schnell wie möglich „erobern“ und vertraute darauf, dass es sich lediglich um „Ausreißer“ handle. Daher verzichtete er auch darauf, dem Paket einen entsprechenden Hinweis beizulegen.

Kann K von U Ersatz für den Duschvorleger verlangen? (Ansprüche aus dem ProdHaftG sind nicht zu prüfen.) Lösung Rn 151 f und 154

Fall 14:

A möchte gerne von B ein Grundstück in Münster für 1.000.000 Euro erwerben. Da bei diesem Betrag aber hohe Notarkosten und Steuern anfallen, schlägt A vor, dass in dem notariellen Kaufvertrag lediglich ein Kaufpreis in Höhe von 500.000 Euro eingetragen wird. Die restlichen 500.000 Euro sollen „unter der Hand“ gezahlt werden. B ist damit einverstanden. Sie möchte nämlich den Kaufpreis offiziell niedrig halten, um ihrer Familie den Verkaufserlös vorzuenthalten. Nach dem Notartermin beschließt B, das Grundstück doch lieber für 1.250.000 Euro an einen Dritten zu übertragen. Sie weigert sich daher, das Grundstück an A zu übertragen. A ist empört und fordert B auf, ihm das Grundstück zu übertragen.

Hat A einen Anspruch auf Grundstücksübertragung? Lösung Rn 161, 164 und 169

Fall 15 (nach BGH NJW 2017, 885):

A ist Erbe der E. Das einzige Vermögen der E bestand in Investmentfonds im Wert von 10.000 Euro. Einen Monat vor ihrem Tod beschließt E, B diese Investmentfonds zu schenken: Sie gibt B eine Vollmacht und sagt ihr, sie solle die Investmentfonds in ihr eigenes privates Depot übertragen. B geht noch am selben Tag zur Bank und überträgt die Investmentfonds in ihr Depot. E wollte auch, dass die Übertragung noch zu ihren Lebzeiten erfolgt, da sie das Lächeln der B noch erleben wollte. A kann dagegen nach dem Tod der E gar nicht lächeln und verlangt von B Herausgabe der Fondsanteile aus ungerechtfertigter Bereicherung. A stützt sich darauf, dass Formvorschriften nicht eingehalten worden sind. Kann A Herausgabe der Fondsanteile wegen ungerechtfertigter Bereicherung verlangen? Lösung Rn 170 und 176

Teil I Grundlagen › § 4 Die Entstehung von Schuldverhältnissen › I. Überblick

I. Überblick

1. Gesetzliche Schuldverhältnisse

128

Gesetzliche Schuldverhältnisse entstehen, wenn die jeweiligen Tatbestandsvoraussetzungen des Gesetzes – also beispielsweise die des § 823 Abs. 1 – erfüllt sind. Das ist oben schon kurz erläutert worden[1] und wird in vielen Details in Lehrbüchern des besonderen Schuldrechts bei den jeweiligen gesetzlichen Schuldverhältnissen erörtert. Im Folgenden geht es nur um die Entstehung rechtsgeschäftlicher Schuldverhältnisse, die für das allgemeine Schuldrecht – gerade auch das Leistungsstörungsrecht – von herausragender Bedeutung sind. Zur Entstehung des Schuldverhältnisses aus Verschulden bei Vertragsschluss (culpa in contrahendo) s. unten Rn 974.

2. Rechtsgeschäftliche Schuldverhältnisse

a) Allgemeine Rechtsgeschäftslehre

129

Rechtsgeschäftliche Schuldverhältnisse kommen durch ein Rechtsgeschäft zustande. § 311 Abs. 1 verlangt für die Begründung eines Schuldverhältnisses durch Rechtsgeschäft einen Vertrag zwischen den Beteiligten, soweit nicht das Gesetz ein anderes vorschreibt.[2] Ausnahmsweise kann ein rechtsgeschäftliches Schuldverhältnis auch ohne Vertrag zustande kommen. Das wichtigste Beispiel ist die Auslobung (§ 657), die wir schon kennengelernt haben.[3]

130

Für das Zustandekommen von Verträgen gilt die Allgemeine Rechtsgeschäftslehre: Grundlegendes Erfordernis ist eine Einigung zwischen den Parteien, in der Regel durch Angebot und Annahme gem. §§ 145 ff. Die Einigung muss sich auf die essentialia negotii beziehen. Fehlt der Rechtsbindungswille, kommt es zu keinem Vertrag. Das ist bei den Gefälligkeitsverhältnissen relevant.[4] Das Zustandekommen von Verträgen kann in vielerlei Hinsicht problematisch sein. Das ist in den Lehrbüchern zum Allgemeinen Teil des BGB dargelegt. In schuldrechtlichen Prüfungsarbeiten ist das Zustandekommen eines Vertrags häufig völlig problemfrei. Dann zeichnen sich gute Lösungen dadurch aus, dass sie das auch nur kurz im Urteilsstil festhalten und nicht etwa einzelne Voraussetzungen detailliert erörtern. Häufig genügt beispielsweise im Rahmen der Prüfung des § 280 Abs. 1 ein Satz wie: „Zwischen A und B besteht ein vertragliches Schuldverhältnis in Form eines Kaufvertrages.“

 

b) Die Draufgabe (§§ 336-338)

131

Die in den §§ 336-338 geregelte Draufgabe hat heute keine große praktische Bedeutung mehr. Die Draufgabe (auch Angeld oder Handgeld genannt) ist heute nur mehr eine als Beweiszeichen für den Vertragsabschluss gegebene Leistung. Ein Beispiel für eine Draufgabe ist die Hingabe eines Verlobungsringes anlässlich der Verlobung. Dieser Fall hat in § 1301 eine eigene Regel gefunden.[5] Im Gegensatz zur Draufgabe dient die Anzahlung lediglich der (teilweisen) Erfüllung der Schuld, so dass sich ihre Auswirkungen nach dem Erfüllungsrecht richten.[6]

132

Nach § 337 Abs. 1 ist die Draufgabe – anders als der Wortlaut nahelegt – im Zweifel auf die von dem Geber geschuldete Leistung anzurechnen. Das gilt auch, wenn der Empfänger Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangt (§ 338 S. 2). Nach § 337 Abs. 2 muss sie nach Vertragsaufhebung zurückgegeben werden. Das gilt nach § 338 S. 1 nicht, wenn die vom Geber geschuldete Leistung infolge eines Umstands, den er zu vertreten hat, unmöglich wird oder wenn der Geber die Wiederaufhebung des Vertrags verschuldet.[7]

133

Nach § 336 Abs. 2 gilt die Draufgabe im Zweifel nicht als Reugeld. Das Reugeld ist in § 353 geregelt: Vertraglich kann vereinbart sein, dass ein Rücktritt unter Zahlung eines Reugelds möglich ist (also „erkauft“ werden muss). Aus der Draufgabe folgt im Zweifel kein Rücktrittsrecht: Weder kann der Geber unter Verzicht auf die Rückzahlung der Draufgabe zurücktreten, noch kann der Empfänger unter Verzicht auf die Draufgabe zurücktreten. Freilich können die Parteien etwas anderes vereinbaren.[8]

Teil I Grundlagen › § 4 Die Entstehung von Schuldverhältnissen › II. Kontrahierungszwänge

II. Kontrahierungszwänge

1. Allgemeine Charakteristiken

134

Wenn Kontrahierungszwänge eingreifen, sind die Parteien durch Gesetz dazu verpflichtet, einen Vertrag zu schließen (Einschränkung der Abschlussfreiheit).[9] Auch der Inhalt der jeweiligen Verträge ist häufig weitgehend durch das Gesetz vorgegeben (Einschränkung der Inhaltsfreiheit). Kontrahierungszwänge dienen oft dem Schutz Schwächerer und ermöglichen in Teilbereichen deren materielle Freiheit. So ermöglicht etwa das Basiskonto nach den §§ 31 ff ZKG auch Obdachlosen, ein Girokonto zu erhalten und so am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Oft geht es bei Kontrahierungszwängen um Allgemeinwohlbelange: Sie sichern beispielsweise allen Menschen Zugang zu lebenswichtigen Ressourcen (wie Wasser oder Energie).

135

Kontrahierungszwänge kann man aus einem eher formalen Verständnis der Vertragsfreiheit heraus[10] als Eingriff in die Vertragsfreiheit charakterisieren.[11] Kontrahierungszwänge beschneiden das formale Ablehnungsrecht der verpflichteten Partei und schränken insofern deren Freiheitssphäre ein. Insoweit kann man auch davon sprechen, dass Kontrahierungszwänge die Vertragsfreiheit aufheben. Auf der anderen Seite erweitern Kontrahierungszwänge die rechtlichen Befugnisse der begünstigten Partei und fördern insoweit deren materiell verstandene Freiheit. Insoweit verwirklichen sie materielle Selbstbestimmung: Ohne die Möglichkeit, Verträge über die Versorgung mit Wasser oder Energie abzuschließen, wäre die formale Freiheit, ein Haus zu kaufen, wenig hilfreich. Kontrahierungszwänge sind ein besonders deutlicher Ausdruck der Verteilungsgerechtigkeit im Vertragsrecht.[12] Denn sie berücksichtigen vertragsfremde Aspekte und lassen sich normativ nur mit Blick auf die ökonomischen und sozialen Kontexte erklären.

2. Beispiele

a) Spezialgesetzliche Kontrahierungszwänge

136

Kontrahierungszwänge sind in sehr vielen Spezialgesetzen vorgesehen, die spezifische Lebensbereiche betreffen. Man spricht insoweit auch vom „spezialgesetzlichen Kontrahierungszwang“. Solche Kontrahierungszwänge dienen dem Gemeinwohl. Oft geht es um den Zugang zu Ressourcen, die für uns alle lebenswichtig sind. So müssen etwa Energieversorger Letztverbraucher an die Energienetze anschließen (§§ 18, 36 EnWG), Postanbieter müssen grundlegende Postleistungen gewähren (§§ 12 und 18 PostG iVm § 3 Postdienstleistungsverordnung), Personenbeförderer müssen in Straßenbahnen, Omnibussen oder Kraftfahrzeugen jeden befördern (§§ 22, 47 PBefG, § 10 AEG und §§ 8, 9 EVO). Auch Sie selbst könnten betroffen sein, wenn Sie Anwältin werden: Für die Rechtsberatung besteht in den Grenzen der §§ 48 und 49 BRAO ein Kontrahierungszwang. Im Wirtschaftsrecht kann sich aus § 33 GWB iVm §§ 19, 20 GWB für marktstarke oder marktherrschende Unternehmen ein Kontrahierungszwang ergeben, wenn der Nichtabschluss eines Vertrages wettbewerbsrechtlich diskriminierend wäre.[13] Ein solch spezialgesetzlicher Kontrahierungszwang lässt sich mit Blick auf Fall 12 nicht finden. Sport ist für viele von uns wichtig, aber doch keine allgemein lebenswichtige Ressource.

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