BGB-Schuldrecht Allgemeiner Teil

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c) Unmöglichkeit der Wahlschuld (§ 265)

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Für die Leistungspflicht des Schuldners ist wichtig, unter welchen Voraussetzungen er nach § 275 von seiner Leistungspflicht befreit wird. Unmöglichkeit liegt jedenfalls dann vor, wenn sämtliche Leistungen, auf die sich das Wahlrecht bezieht, unmöglich sind. Schwieriger wird es, wenn nur eine der Leistungen unmöglich wird. Dann verbleibt es gem. § 265 S. 1 bei der Leistungspflicht des Schuldners bezüglich der anderen, nicht unmöglich gewordenen Leistung oder Leistungen. Etwas anderes gilt gem. § 265 S. 2, wenn der Schuldner die Unmöglichkeit zu vertreten hat: Seine Leistungspflicht wird dann nicht ausgeschlossen. Er muss also entweder die noch mögliche Leistung erbringen (also etwa einen nicht untergegangenen Gegenstand liefern) oder aber gem. §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 283 bzw § 311a Abs. 2 Schadensersatz leisten. Darüber hinaus kommen Ansprüche auf Aufwendungsersatz (§ 284) oder Surrogatsherausgabe (§ 285) in Betracht.

2. Ersetzungsbefugnis

a) Zweck und dogmatische Konstruktion

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Anders als die Wahlschuld ist die Ersetzungsbefugnis (facultas alternativa) nicht gesetzlich geregelt. Sie ist aber in Rechtsprechung und Literatur allgemein anerkannt, weil ein praktisches Bedürfnis für sie besteht. In ihrer dogmatischen Konstruktion unterscheidet sie sich von der Wahlschuld dadurch, dass die Leistungspflicht zunächst auf eine bestimmte Leistung beschränkt ist. Allerdings kann der Schuldner anstelle dieser bestimmten Leistung auch eine andere Leistung erbringen. Auf die Ersetzungsbefugnis sind die §§ 262-265 nicht anwendbar.

b) Entstehung

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Auch die Ersetzungsbefugnis kann sich aus Gesetz oder Rechtsgeschäft ergeben. Rechtsgeschäftlich können K und V etwa vereinbaren, dass K für das Fahrrad dem V 100 Euro schuldet, dass sie alternativ aber auch durch Lieferung von 150 Eiern ihrer eigenen Hühner erfüllen darf. Hauptanwendungsfall für eine vertraglich vereinbarte Ersetzungsbefugnis ist freilich die Inzahlunggabe des alten PKW beim Autokauf: Hier ist oft ausdrücklich oder konkludent vereinbart, dass der Käufer zwar den vollen Kaufpreis schuldet, er aber einen Teil des Kaufpreises durch Übergabe und Übereignung des alten PKW leisten darf.[74] Ein Beispiel für eine gesetzlich begründete Ersetzungsbefugnis bietet § 244 Abs. 1 für den Fall der „unechten“ Fremdwährungsschuld: Die Schuld ist in diesem Fall zwar von Anfang an auf Zahlung in der fremden Währung beschränkt. Allerdings räumt das Gesetz in § 244 Abs. 1 dem Schuldner die Befugnis ein, seine Schuld auch durch eine andere Leistung – nämlich durch Zahlung in Euro – zu erfüllen.[75] Auch § 251 Abs. 2 S. 1 ist ein Beispiel für eine gesetzlich geregelte Ersetzungsbefugnis des Schuldners. § 249 Abs. 2 dagegen ist ein Beispiel für eine gesetzlich geregelte Ersetzungsbefugnis des Gläubigers.

c) Elektive Konkurrenz

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Neben der Wahlschuld muss die Ersetzungsbefugnis auch von der sog „elektiven Konkurrenz“ abgegrenzt werden: Bei der elektiven Konkurrenz stehen dem Gläubiger von vornherein mehrere Rechte zur Verfügung, die sich gegenseitig ausschließen. Zwischen diesen Rechten kann der Gläubiger grundsätzlich wählen, soweit die jeweiligen Voraussetzungen der einzelnen Rechte vorliegen. Ein wichtiges Beispiel stellt die Konkurrenz von Rücktritt und Minderung im kaufrechtlichen Gewährleistungsrecht dar: Der Käufer kann, wie sich aus § 441 Abs. 1 ergibt, zwischen Rücktritt und Minderung wählen (elektive Konkurrenz). Keine Wahlschuld, sondern ein Fall elektiver Konkurrenz ist nach hM auch die Wahl des Käufers zwischen Nachlieferung und Mängelbeseitigung im Rahmen der Nacherfüllung (§ 439 Abs. 1).[76]

d) Bindungswirkung der Ausübung der Ersetzungsbefugnis

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Die Ausübung der Ersetzungsbefugnis hat Bindungswirkung, so dass der Ersetzungsbefugte die Ausübung der Ersetzungsbefugnis nicht wieder einseitig zurücknehmen kann. Das liegt daran, dass der andere Teil in seinem Vertrauen geschützt werden muss, das der Schuldner durch die Ausübung gesetzt hat.

e) Unmöglichkeit

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Wenn die geschuldete Leistung unmöglich ist (oder wird), entfällt die Leistungspflicht des Schuldners nach der allgemeinen Regel des § 275. Darin liegt der entscheidende Unterschied zur Wahlschuld. § 265 ist bei der Ersetzungsbefugnis gerade nicht (auch nicht analog) anwendbar. Wird dagegen die andere Leistung unmöglich, fällt nicht etwa die Leistungspflicht des Schuldners weg, sondern vielmehr nur seine Ersetzungsbefugnis.

3. Lösung Fall 19

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V könnte gegen K einen Anspruch auf Kaufpreiszahlung aus § 433 Abs. 2 haben.

I. Der Anspruch ist entstanden: V und K haben einen Kaufvertrag geschlossen, indem sie vereinbarten, dass K sich eines der drei Fahrräder aussuchen und zu einem Preis von 50 Euro erwerben soll. Auf den ersten Blick scheint es, als würde ein Element der essentialia negotii fehlen, nämlich die Bestimmung des Kaufgegenstands. Indes liegt eine Wahlschuld vor, bei der die schuldrechtliche Bindung zunächst alle Einzelleistungen betrifft. Nach Ausübung des Wahlrechts gilt aber nur die gewählte Leistung als von Anfang an allein geschuldet (§ 263 Abs. 2).

II. Der Anspruch könnte gem. § 326 Abs. 1 S. 1 erloschen sein. Zwischen V und K besteht ein gegenseitiger Vertrag in Form eines Kaufvertrags. Die Leistungspflicht des V muss nach § 275 Abs. 1 ausgeschlossen sein. Das ist der Fall, wenn die Erbringung der Leistung für den Schuldner oder für jedermann unmöglich ist. V schuldete Übergabe und Übereignung eines der drei Fahrräder. V hat ein Fahrrad bereits anderweitig veräußert und übereignet. Wenn der Käufer des Rades unter keinen Umständen zur Herausgabe dieses Fahrrads bereit ist, liegt subjektive Unmöglichkeit vor. Diese führt aber gem. § 275 Abs. 1 grundsätzlich nur zur Beschränkung auf die anderen beiden Fahrräder. Allerdings tritt Unmöglichkeit gem. § 275 Abs. 2 ein, wenn die Leistung infolge eines Umstandes unmöglich wird, den der nicht wahlberechtigte Teil zu vertreten hat. Wahlberechtigt ist gemäß § 262 im Zweifel der Schuldner, also V. Vorrangig ist jedoch die Parteivereinbarung: K und V haben das Wahlrecht K zugesprochen. V ist der nicht wahlberechtigte Teil. Er hat durch die Veräußerung des Fahrrads den zur Unmöglichkeit führenden Umstand zu vertreten. Der Anspruch auf die Leistung ist daher gem. § 275 Abs. 1 ausgeschlossen. Der Kaufpreiszahlungsanspruch entfällt somit gem. § 326 Abs. 1 S. 1.

III. V hat gegen K keinen Anspruch auf Kaufpreiszahlung aus § 433 Abs. 2.

Teil II Der Inhalt von Schuldverhältnissen › § 5 Schuldarten › IV. Leistungsbestimmung durch eine Partei oder einen Dritten (§§ 315 ff)

IV. Leistungsbestimmung durch eine Partei oder einen Dritten (§§ 315 ff)

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Fall 20:

Die A-AG ist ein großer Stromkonzern und schließt mit der B-AG, die größere Mengen Strom für die Herstellung von Waren benötigt, einen individuell auf die B-AG angepassten Stromlieferungsvertrag. In dem Vertrag ist vorgesehen, dass der zu zahlende Preis für den Strom pro kw/h jährlich durch die A-AG neu bestimmt werden kann, da die A-AG bereits an anderen Stellen Zugeständnisse gemacht hat. Nachdem der Vertrag bereits fünf Jahre gelaufen ist, erhöht die A-AG zu Beginn des nächsten Kalenderjahres den Strompreis um wenige Cent pro kw/h und teilt dies der B-AG auch schriftlich mit. Die B-AG ist damit nicht einverstanden und möchte weiterhin den bisherigen Preis zahlen. Ein Sachverständiger stellt fest, dass die Erhöhung vor dem Hintergrund weltweiter Spannungen und damit verbundener erhöhter Bezugskosten im Grunde genommen angemessen ist. Ist die B-AG verpflichtet, den erhöhten Strompreis zu zahlen? Lösung Rn 239, 242, 246 und 255

 

1. Funktionen und Hintergründe von Leistungsbestimmungsrechten

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Ohne Einigung über die wesentlichen Elemente des konkreten Rechtsgeschäfts (essentialia negotii) kommt, so lehrt die Allgemeine Rechtsgeschäftslehre, kein wirksamer Vertrag zustande. Zu den essentialia negotii gehört bei entgeltlichen Verträgen regelmäßig der Preis – etwa der Kaufpreis oder die Vergütung für ein Werk (§ 631) oder für Dienste (§ 611). Nicht immer möchten sich die Parteien aber auf die Höhe des Entgelts von vornherein festlegen: Wenn ich Ihnen mein Fahrrad verkaufe, können wir vereinbaren, dass ich (oder auch Sie) den Kaufpreis erst später bestimmen. Die §§ 315-319 verhindern in so gelagerten Fällen die Unwirksamkeit von Verträgen, bei denen eine Einigung über die essentialia negotii noch nicht vorliegt oder auch Dissens über sie besteht.

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Nicht nur bei den essentialia negotii, sondern auch bei Leistungsmodalitäten kann der genaue Leistungsinhalt des Vertrages bei Vertragsschluss noch offen sein. Wenn ein Eventmanager eine Sängerin für ein Konzert engagiert, können die beiden vereinbaren, dass später das Programm des Abends festgelegt wird. Auch weitere Einzelheiten können späterer Vereinbarung vorbehalten bleiben: Etwa der Ort, an dem das Konzert stattfinden soll, die Zeit oder Dauer des Konzerts oder auch die genaue Art und Weise der Leistungserbringung. So könnte eine in Jazz und klassischem Konzertgesang gleichermaßen versierte Sängerin ein Jazzkonzert oder auch einen klassischen Liederabend geben. Durch die Parteivereinbarungen und die §§ 315-319 lässt sich der genaue Vertragsinhalt (spätestens) im Erfüllungszeitpunkt ermitteln. Praktisch ist das auch bei Dauerschuldverhältnissen bedeutsam, bei denen sich die Kalkulationsgrundlagen ändern können.

So ist es in Konstellationen wie der von Fall 20, in denen es um Produkte mit regelmäßigen Preisschwankungen geht, üblich, bindende Preise nur für kurze Zeiträume anzugeben oder – wie hier – eine Anpassungsmöglichkeit vorzusehen.

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Die §§ 315-319 drücken als dispositives Recht objektive Gerechtigkeitsgedanken aus, die regelmäßig den Parteiinteressen entsprechen. In erster Linie sind jedoch die jeweiligen Verträge auszulegen; ausdrückliche und stillschweigende Vereinbarungen sind vorrangig.[77] So kann vereinbart sein, dass die Leistung nach einem objektiven Maßstab bestimmt wird. Ein Beispiel bietet der Kauf von Aktien zu einem bestimmten Tag; hier wird regelmäßig der Kauf zum Tageskurs der Aktien vereinbart sein. Auch kann (ausdrücklich oder konkludent) ein angemessener oder ortsüblicher Mietzins vereinbart sein.[78] In all diesen Fällen kommen die §§ 315 ff nicht zur Anwendung. Für einige Vertragstypen, in denen sich besonders häufig ein praktisches Bedürfnis nach Leistungsbestimmungsrechten stellt, hat das Gesetz zudem vorrangige Auslegungsregeln geschaffen. In deren Anwendungsbereichen treten §§ 315-319 zurück. Wichtige Sonderbestimmungen sind § 612 Abs. 2 für die Vergütung beim Dienstvertrag, § 632 Abs. 2 für die Vergütung beim Werkvertrag und § 653 Abs. 2 für den Maklerlohn.

2. Leistungsbestimmung durch eine Partei (§§ 315 und 316)

a) Entstehung des Leistungsbestimmungsrechts

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Die §§ 315 und 316 regeln die Leistungsbestimmung durch eine Partei. Gem. § 315 Abs. 1 ist im Zweifel anzunehmen, dass die Bestimmung nach billigem Ermessen zu treffen ist, wenn die Leistung durch einen der Vertragschließenden bestimmt werden soll. Unter welchen Voraussetzungen das Leistungsbestimmungsrecht entsteht, sagt die Norm nicht. Sie setzt vielmehr ein bestehendes Leistungsbestimmungsrecht voraus. Ein Leistungsbestimmungsrecht ergibt sich regelmäßig aus einem Vertrag. Dabei kommt es entscheidend auf die (notfalls ergänzende) Vertragsauslegung an. Beispielsweise können ein Reiseveranstalter und ein Reisender bei Vertragsschluss die genauen Reisezeiten bewusst offenlassen und dem Reiseveranstalter ein Leistungsbestimmungsrecht dergestalt einräumen, dass er die genauen Uhrzeiten innerhalb gewisser Zeitfenster später festlegen kann.[79] Einschränkungen für die wirksame Vereinbarung von Leistungsbestimmungsrechten bestehen vor allem bei AGB (§§ 307 ff) und in Verbraucherverträgen iSv § 310 Abs. 3.

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Inhaber des Leistungsbestimmungsrechts können sowohl der Schuldner als auch der Gläubiger sein. Auch darüber entscheidet die (notfalls ergänzende) Vertragsauslegung. Für den Umfang der Gegenleistung bei gegenseitigen Verträgen sieht § 316 eine gesetzliche Auslegungsregel vor: Im Zweifel bestimmt den Umfang der Gegenleistung diejenige Partei, die die Gegenleistung fordern kann. Wer ein Entgelt fordern kann (etwa ein Verkäufer), ist also, wenn sich aus der Auslegung nichts anderes ergibt, bestimmungsberechtigt. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass die Vertragspartner im Regelfall mit einem entsprechenden Bestimmungsrecht des Gläubigers einverstanden wären. § 316 greift deshalb nicht ein, wenn es an einem solchen Willen fehlt, wenn also entweder vertraglich dem Schuldner das Bestimmungsrecht zugeordnet wird oder auch die Gegenleistung selbst durch Auslegung bestimmt werden kann.[80] Die Auslegung hat also auch hier den Vorrang.

Dass in Fall 20 die A-AG die Strompreise nach einem gewissen Zeitraum neu bestimmen soll, entspricht den Interessen der Parteien: Dem Kunden fehlen regelmäßig die nötigen Informationen, um eine realistische Einschätzung zur angemessenen Höhe des Strompreises abgeben zu können. Das gilt für die Bezugskosten ebenso wie für etwaige interne Kostensteigerungen, weshalb eine Bestimmung durch die B-AG hier in keiner Weise sinnvoll erscheint.

b) Ausübung des Leistungsbestimmungsrechts

243

Die Ausübung des Leistungsbestimmungsrechts soll nach § 315 Abs. 1 im Zweifel nach billigem Ermessen erfolgen. Wie immer bei gesetzlichen Auslegungsregeln ist die Parteivereinbarung vorrangig. Denkbar ist beispielsweise, dass die Bestimmung nach anderen Regeln erfolgt, etwa nach „freiem Ermessen“ einer Partei. Allerdings wird eine solche Vereinbarung in AGB regelmäßig wegen Verstoßes gegen § 307 Abs. 1 iVm Abs. 2 Nr 1 und § 315 Abs. 1 als gesetzliches Leitbild unbillig sein.[81]

aa) Billiges Ermessen

244

Billiges Ermessen ist als unbestimmter Rechtsbegriff auslegungsbedürftig. Die Norm zielt auf einen beiderseits gerechten Interessenausgleich innerhalb des vertraglich vorgegebenen Rahmens. Die Leistung muss nach den Umständen des Einzelfalls angemessen sein.[82] Die Leistungsbestimmung ist gem. § 315 Abs. 3 S. 1 nur verbindlich, wenn sie der Billigkeit entspricht. Solange die Billigkeitsgrenzen gewahrt sind, steht dem Bestimmungsberechtigten ein Ermessensspielraum zu. Andernfalls kommt es zur Leistungsbestimmung durch Urteil (vgl § 315 Abs. 3 S. 2).

bb) „Private“ Geltendmachung (§ 315 Abs. 2)

245

Gem. § 315 Abs. 2 erfolgt die Bestimmung durch Erklärung gegenüber dem anderen Teil. Man spricht insoweit auch von der „privaten“ Geltendmachung der Leistungsbestimmung. Die Leistungsbestimmung ist eine Gestaltungserklärung, also eine empfangsbedürftige einseitige Willenserklärung, die mit Zugang beim Erklärungsempfänger wirksam wird. Sie ist formfrei, auch dann, wenn der Vertrag selbst formbedürftig ist.[83] Die Leistungsbestimmung hat Bindungswirkung.[84] Wie bei der Ersetzungsbefugnis geht es auch hierbei darum, das schützenswerte Vertrauen des Erklärungsempfängers zu schützen, der sich auf die bestimmte Leistung eingestellt hat.

cc) Gerichtliche Geltendmachung (§ 315 Abs. 3)

246

Wenn die Leistungsbestimmung dem billigen Ermessen nicht entspricht, ist sie nicht verbindlich. Das Gesetz sieht für diesen Fall in § 315 Abs. 3 S. 2 die Leistungsbestimmung durch Urteil vor. § 315 Abs. 3 S. 2 ermöglicht einen einfachen Weg zur Bestimmung des Leistungsinhalts. Wegen des Ermessensspielraums bei der Leistungsbestimmung darf das Gericht die Leistungsbestimmung aber nicht schon dann durch Urteil ersetzen, wenn das Gericht selbst eine abweichende Leistungsbestimmung für „angemessener“ hält als die konkrete Leistungsbestimmung.[85] Denn § 315 Abs. 1 zielt nicht auf ein einziges „konkretes“ Ergebnis ab, sondern erlaubt in den Grenzen der Billigkeit verschiedene richtige Ergebnisse. Die Richterin darf ihre eigene Gerechtigkeitsvorstellung hier nicht an die Stelle derjenigen der bestimmungsberechtigten Partei setzen.

Der in Fall 20 angesprochene Strommarkt bildet ein gutes Beispiel: Schon ein Blick auf die zahlreichen Vergleichsportale zeigt, dass die Preise in einem bestimmten Rahmen durchaus variieren können, gerade weil sich auch durch weitere Anreize wie Treuerabatte abweichende Preise ergeben können.

247

Zur Leistungsbestimmung durch Urteil kommt es auch dann, wenn die Bestimmung verzögert wird (§ 315 Abs. 3 S. 2 2. HS). Das setzt nicht Verzug im technischen Sinne (§ 286) voraus, sondern nur eine faktische Verzögerung der Bestimmung. Auch in diesem Fall hat der Schuldner ein schutzwürdiges Interesse an der Leistungsbestimmung durch Urteil. Soll die Bestimmung nach billigem Ermessen erfolgen, so ist die getroffene Bestimmung für den anderen Teil nur verbindlich, wenn sie der Billigkeit entspricht.

 

dd) § 375 HGB

248

§ 375 HGB sieht eine Sonderregel unter Kaufleuten vor: Beim Spezifikationskauf kommt es zur Bestimmungspflicht des Käufers, andernfalls hat der Verkäufer ein freies Wahlrecht.

3. Leistungsbestimmung durch einen Dritten (§§ 317-319)

a) Grundsätze

249

Die Parteien können die Bestimmung der Leistung auch einem Dritten überlassen wollen – etwa, weil ihm besondere Sachkunde und/oder Neutralität bzw Vertrauenswürdigkeit zukommt. So wäre etwa im Fall des Liederabends einer Sopranistin denkbar, die Wahl der konkreten Stücke der Gesangslehrerin der Sopranistin anzuvertrauen. § 317 greift dieses Bedürfnis der Parteien auf. Ebenso wie bei der Leistungsbestimmung durch eine der Parteien ist die Leistungsbestimmung durch den Dritten im Zweifel nach billigem Ermessen zu treffen.

250

Gegenstand des Bestimmungsrechts können die Leistung und einzelne Leistungsmodalitäten (wie etwa Ort, Zeit oder Art und Weise der Leistung) sein. Die §§ 317 ff greifen auch ein, wenn Dritte zwar nicht die Leistung (oder ihre Modalitäten) bestimmen, aber bestimmte Tatsachen ermitteln und bindend feststellen sollen, die für den jeweiligen Vertrag entscheidend sind. Man nennt solche Feststellungen auch Schiedsgutachten ieS.[86] Ein Beispiel ist die Bestimmung des Kaufpreises eines Kfz zum Schätzpreis nach einem bestimmten Verfahren, mit dessen Durchführung ein Gutachter betraut wird.[87] Ein Schiedsgutachten in diesem Sinne liegt auch vor, wenn über das Vorliegen eines gewährleistungspflichtigen Mangels im Sinne des Werkvertragsrechts eine Schiedsstelle des Kraftfahrzeughandwerks entscheiden soll.[88]

Davon abzugrenzen sind Konstellationen, in denen der Dritte nur nachträglich eingeschaltet wird, um eine Aussage über die Angemessenheit einer bereits erfolgten Bestimmung zu treffen. In Fall 20 hat der Sachverständige etwa weder die Aufgabe gehabt, die Bestimmung selbst vorzunehmen, noch war er mit der Ermittlung von Informationen oder Berechnungsgrundlagen betraut. Ihm kommt hier also keine Schiedsgutachter-Position zu, vielmehr kann seiner Einschätzung nur eine Indizfunktion zukommen.

251

§ 318 regelt die Bestimmung durch einen Dritten. Sie erfolgt gem. § 318 Abs. 1 durch Erklärung gegenüber einem der Vertragsschließenden. Auch steht die Anfechtung der Bestimmung wegen Irrtums, Drohung oder arglistiger Täuschung nicht etwa dem Dritten, sondern gem. § 318 Abs. 2 1. HS nur den Vertragsschließenden zu. Anfechtungsgegner ist der Vertragspartner (§ 318 Abs. 2 2. HS). Zur Anfechtungsfrist regelt § 318 Abs. 2 S. 2 in Entsprechung zu § 121, dass die Anfechtung unverzüglich erfolgen muss, nachdem der Anfechtungsberechtigte von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erlangt hat. Für die arglistige Täuschung liegt darin eine Abweichung von § 124 Abs. 1. Die Anfechtung ist erst 30 Jahre nach der Leistungsbestimmung ausgeschlossen (§ 318 Abs. 2 S. 3). Die Ausschlussfrist ist 20 Jahre länger als im Fall des § 121 Abs. 2.

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