In Schlucken-zwei-Spechte

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War deine Mutter damals bei ihm in Grünheide?

Nein, sie hatte sich nach Hamburg abgesetzt. Nach der Schließung des Schiller-Theaters wurde es plötzlich wichtig, ob man einen Ariernachweis hatte, aber sie war ohnehin zu schwanger, um noch das Gretchen spielen zu können, obwohl das natürlich gut gepaßt hätte, bei die­ser Kindsmörderin. Zum Emigrieren war es auch schon viel zu spät, und da haben ihr alle geraten, nach Ham­burg zu gehen. »Das ist fast so gut wie emigriert, denn die Hamburger fiebern den Engländern entgegen, um sich endlich ergeben zu dürfen.« So bin ich Hamburger geworden.

Und dein Vater ist 1945 nachgekommen?

Er hat sich von seinem Volkssturm in Grünheide abge­setzt. Den sozialdemokratischen Tischler ernannte er zu seinem Nachfolger mit dem dienstlichen Befehl, beim ersten Russen, den sie sehen, sofort weiße und wenn möglich auch ein paar rote Fahnen zu hissen. Auf diese Weise ist der Volkssturm in Grünheide bei Berlin ge­schlossen in sowjetische Kriegsgefangenschaft gegangen und geschlossen zwei Tage später wieder entlassen wor­den, weil er so vorbildlich die Waffen gestreckt hatte. Insofern sehe ich in meinem Alten durchaus einen Kriegshelden. Er ging dann mehr oder weniger zu Fuß nach Hamburg, um zu sehen, was da läuft. Geheiratet haben meine Eltern erst, als ich schon zehn Jahre alt war. Ich fand das immer noch verfrüht. Nur weil ein Kind da ist, tut man das doch nicht.

Seitdem heißt du Ro­wohlt?

Wenn ich Bücher signiere, die ich aus dem irischen Eng­lisch übersetzt habe, und ich nicht immer ein Harry Rowohlt hinsetzen will, schreibe ich auch manchmal Harry auf irisch. Wie man das macht, habe ich in Dublin in der »Harry Street« abgekupfert. H E A R A I D H. Es ist also ganz einfach. Und dann schreibe ich Hearaidh FitzRowohlt, wobei Fitz als Präfix für uneheliche Geburt steht. Meine Eltern haben mich dann leider doch ehelich gemacht.

Und wo bist du aufgewachsen, als du noch un­ehe­lich warst?

Ich war jetzt zwar geboren, aber ich erinnere mich na­türlich nicht mehr daran. Ich wuchs nicht in meiner Heimatstadt Hamburg auf. Dieses Hamburger links­radikale Straßenorchester »Tuten & Blasen« hat sich mal geweigert, mich als Trommler aufzunehmen, weil ich nicht ordentlich Noten lesen kann. Da bleibt mir als letzte Zuflucht nur noch der »Shanty-Chor des Vereins gebürtiger Hamburger e.V.« Die können mich nun wirk­lich nicht zurückweisen. Sogar für den früheren Ham­burger Bürgermeister Henning Voscherau ist eine Aus­nahme gemacht worden. Der wurde nämlich nicht in Hamburg geboren, sondern hart an der Grenze. Irgend­wo im Landkreis Storman. Auf jeden Fall ist er kein gebürtiger Hamburger – im Gegensatz zu mir. Bewußt aufgewachsen bin ich in Wiesbaden im Alter von zwei bis sechs. Mit großem Genuß. Wir hatten einen wunder­baren Kindergarten. Lauter Schauspielerinnen und Künstlerinnen – also das, was man heutzutage als al­leinerziehende Mütter bezeichnen würde – haben zu­sammengelegt und eine Kindergärtnerin bezahlt, die wir alle sehr liebten. Sie hieß Tante Renate. Das war ein Kinderladen lange vor der Zeit. Vor ein paar Jahren hatte ich meine erste Lesung in Wiesbaden und erzählte in der Einschleimphase von dieser Wiesbadener Zeit. In der Pause kam eine sehr süß anzusehende ältere Dame und gab sich als Tante Renate zu erkennen. Ich habe sie gefragt, wie alt sie ist, und plötzlich wurde mir klar, warum wir sie so geliebt haben. Sie war damals sech­zehn Jahre alt, also nicht wesentlich älter als wir. Mein bester Freund war Timmi Belwe. Damals hatte Tan­te Renate ein neues rattenscharfes Sommerkleid an, dun­kelblau, fast schwarz, mit großen weißen Tupfen. Sie sah sowas von zum Anbeißen in diesem Kleid aus, daß wir fanden, man müßte ihr das sagen. Timmi meinte, ich solle es ihr sagen. Ich sagte, nein, sag du es ihr doch. Wir hatten beide Schiß, und aus Buße haben wir die Tür­pfosten der Kindergartenhaustür – ich links, er rechts – von ganz unten bis soweit, wie wir hochkamen, abge­leckt. Das schmeckte sehr eklig nach Staub und Leinöl und war eine angemessene Buße. Wenigstens haben wir uns keinen Splitter in die Zunge gezogen. Viel, viel spä­ter habe ich mal in Pardon ein Foto von einem bärtigen langhaarigen Mann gesehen, der ziem­lich wüst aussah und die Zunge herausstreckte, und ich dachte, der sieht aus wie mein Freund Timmi Belwe. Der hatte übrigens keine eigene Schultüte, deshalb halten auf dem offiziel­len Foto »Mein erster Schultag« Timmi und ich zusam­men dieselbe Schultüte, nämlich meine. Aber er hält sie so, als wäre es seine, während mir nur das dünne Ende blieb.

Und? War er es denn auf dem Foto in Pardon?

Es stellte sich heraus, daß Timmi inzwischen Front­mann der Gruppe »Soul Caravan« war. Die kamen, wie damals alle, gerade aus Indien zurück, hatten einen Gig in Wiesbaden und wurden an der Grenze festgehalten, weil sie Preßtee dabei hatten. Der sah aus wie Shit, dabei sieht Preßtee sehr schön aus, mit reingepreßten Mustern. Kein Dealer würde so schön gepreßten Shit verkaufen. Die Jungs von »Soul Caravan« sagten zu den Grenzern: »Wir haben morgen einen Gig und müssen weiter. Könnt ihr nicht einfach was von diesem Tee abhacken und versuchen, das entweder in der Pfeife zu rauchen, oder Tee davon zu brühen, dann merkt man doch, ob das Shit ist oder nicht.« Sie haben den Gig dann doch noch gekriegt. Damals haben sie schwer politische Texte gemacht, so daß ihnen die politische Polizei auf diesem Konzert den Strom abgedreht hat, wodurch aber nicht nur die Verstärker ausfielen, sondern auch das Licht. Also hat die politische Polizei das Licht wieder angemacht, und da hatten die Mitglieder der Kapelle »Soul Ca­ra­van« die Hosen heruntergelassen und zeigten ihre Ärsche. Daraufhin bekamen sie einen Prozeß wegen Er­regung öffentlichen Ärgernisses. Den haben sie aber ge­wonnen, weil der Richter sagte, sie konnten nicht damit rechnen, daß plötzlich das Licht wieder angehen würde, und wenn jemand im Dunkeln die Hose runter­läßt, ist das kein öffentliches Ärgernis, sondern streng privat. Timmi ist zwar älter als ich, aber wir sind den­noch zu­sammen eingeschult worden. Das lag daran, daß meine zweite Verlobte Katharina eineinhalb Jahre älter war als ich. Die ging nun in die Schule, konnte plötzlich lesen und schreiben, und ich war kein Umgang mehr für sie. Da hab ich meine Mut­ter so lange angemault, bis ich auch in die Schule durfte, ein Jahr zu früh. Das war später ganz günstig, weil ich immer noch der Jüngste in der Klasse war, als ich mit siebzehn sitzenblieb.

Damals machte man ja mit achtzehn Abitur und wurde mit einundzwanzig mündig. Inzwischen ist es umge­kehrt. Was ist denn aus deiner Verlobten geworden?

Katharinas Mutter war auch Schauspielerin und Tim­mis Mutter war Sopranistin. Als Timmi im Kindergar­ten meiner zweiten Verlobten Katharina dreimal hinter­einander die Bauklötze umgeschmissen hatte, sagte Katharina zu mir: »Harry, unternimm was!« Da haben wir uns geprügelt, und ich habe ihm ein großes Stück Frisur samt Kopfhaut abgerissen. Das war mir sehr unangenehm, und eine Zeitlang habe ich mich aus Scham geweigert, in den Kindergarten zu gehen. Ein paar Tage später trafen meine Mutter und ich zufällig Timmi und seine Mutter beim Spazierengehen. Die Müt­ter keiften heftig aufeinander ein, was sich wirklich eindrucksvoll anhörte – Timmis Mutter, der Koloratur­sopran, und meine Mutter mit Atemstütze, die inzwi­schen nicht mehr die jugendliche Sentimentale war, sondern Hauptrollen spielte! Die konnte also auch ganz gut brüllen. Timmi und ich sind auf eine Kiefer geklet­tert und haben die beiden keifenden Mütter mit Kiefern­zapfen beworfen, weil Timmi es völlig in Ordnung fand, daß ich ihm den Haarbüschel aus dem Kopf gerissen hatte. Es ist inzwischen alles prima nachgewachsen. Ich habe das überprüft.

Was war dein erstes Buch?

Meine Mutter hat mir immer »Pu der Bär« vorgelesen. Als ich drei war, hat sie damit angefangen, und das war ein Grund, weshalb ich endlich selber lesen können wollte: damit ich das unbehelligt von der mütterlichen Betonung lesen konnte. Aber davon abgesehen war es sehr angenehm, vorgelesen zu bekommen. Deshalb habe ich auch heute noch kein schlechtes Gewissen, wenn ich über die Käffer tingele und den Leuten etwas vorlese.

Wer kam nach Tante Renate und Katharina?

Meine Mutter verkrachte sich ständig mit ihren Dienst­mädchen. Wenn sie das alleine nicht schaffte, kam mei­ne Oma und hat auch noch mitgemischt. Das war ziem­lich lästig. Sobald man sich an eine gewöhnt hatte, war sie auch schon wieder gefeuert. Meine absolute Lieb­lingsfrau hieß Ingeborg. Da hatte ich mich von Tante Renate schon emanzipiert. Ingeborg war mit lauter Binnenschiffern verwandt, und wenn die in Wiesba­den festgemacht haben, waren Krach und Wonne ange­sagt. Das konnte nicht lange gutgehen. Meine Oma fand das entsetzlich. Danach mußte ich weg, weil meine Mut­ter am Zürcher Schauspielhaus ein Engagement bekam. Ich wurde allerdings nicht nach Zürich, sondern nach Herr­li­berg in der Nähe von Zürich in eine Kleinkin­der­be­wahr­anstalt gesteckt. Meine Mutter wohnte mö­bliert bei Herrn und Frau Huber, und ich war in dieser klei­nen Anstalt, ein entsetzliches Haus. Aus Deutsch­land und immer noch leicht unterernährt, kam ich in die reiche Schweiz und wurde erstmal gezielt und systema­tisch ausgehungert. Außer mir gab es noch zwei weitere Kin­der. Das eine war ein zurückgebliebenes kleines Mäd­chen, welches von Frau Bopp, der Leiterin, iso­liert wur­de. Ich habe mich ein paar Mal zu ihr geschli­chen und ihr das Wort Tasse beigebracht. Die konnte über­haupt nicht sprechen. Und dann gab es noch ein Baby. Bei dem hat Frau Bopp eine Art Scheinschwan­gerschaft entwic­kelt. Sie prozessierte gegen die Mutter dieses Babys und wollte sie für unzurechnungsfähig erklären lassen, da­mit sie das Baby behalten konnte. Eine sehr unerfreuli­che Geschichte. Das ganze wurde angeblich nach Mon­tessori-Gesichtspunkten geführt. Noch heute, wenn ich das Wort Montessori höre, denke ich an die Kapelle »KISS«, mit dem SS-Logo in der Mit­te: Mon­teS­Sori.

 

Hast du nur schaurige Erinnerungen an Herrli­berg?

Nein, glücklicherweise habe ich Alfred Polgar kennenge­lernt, der damals in Zürich im Hotel Urban wohnte. Wir haben uns angefreundet, soweit sich so ein wunder­bares Jahrhundertgenie wie Alfred Polgar mit einem Sechs­jährigen überhaupt anfreunden kann. In der Bio­graphie von Ulrich Weinzierl steht, so beißend er gegen­über Männern sein konnte, so charmant war er gegen­über Frauen und Kindern. Weinzierl führt dann ganz viele Frauen als Beispiel auf, aber kein einziges Kind. Ich habe Weinzierl geschrieben, ich wäre ein Kind, das er hätte erwähnen können.

Du gibst ja gerne mit deinem Brief von Alfred Polgar an.

Ja. Ich besitze einen Brief von Alfred Polgar, und wie jeder, der einen Brief von Alfred Polgar besitzt, gebe ich entsprechend damit an. Bei Robert Gernhardt scheine ich es irgendwann mal übertrieben zu haben, weil er genervt sagte: »Ja, ja, du hast einen Brief von Alfred Polgar.« Und ich hab gesagt: »Ja allerdings, ich hab einen Brief von Alfred Polgar. Du hast keinen Brief von Alfred Polgar.« Robert machte den geballten Balten und sagte: »Meine hat alle der Russe.« Wir haben ihn mal in seiner albernen Toscana besucht, wo der PCI, der Parti­to Comunista Italiano, bei den Kommunalwahlen drei­undsiebzig Prozent abgestaubt hatte, und Robert sagte: »Da ist man nun dreimal vorm Russen abgehauen und dann das.«

Als Schauspielerin ist deine Mutter doch sicher viel her­umgekommen. Mußtest du immer im Schlepptau mit?

Ich war insgesamt auf sechzehn oder achtzehn verschie­denen Schulen, weil meine Mutter von Engagement zu Engagement eilte. Und als meine Eltern geheiratet hat­ten, war mein Vater auf der Flucht vor dem Rowohlt Verlag. Er mußte angeblich im Allgäu wohnen, wegen der Höhenluft. Alles Quatsch. Er hat sich im neuen Rowohlt Verlag in Reinbek bei Hamburg nicht zurecht­gefunden. Aber er hat da ohnehin nichts getan, weil der Laden inzwischen von meinem Brüderchen, Heinrich Maria Ledig-Rowohlt, geschmissen wur­de, der das sehr viel besser konnte.

Wie hast du dich denn mit deinem Brüderchen verstan­den?

Ich war völlig durch den Wind, als er gestorben ist. Sei­ne letzten Worte waren: »Na, jetzt langt es aber auch allmählich.« Während der Buchmesse im Café Laumer, was zur Buchmessenzeit Café Rowohlt heißt und wo man Gutscheine trinken kann, hab ich zu meinem Brü­derchen gesagt: »Ich gehe jetzt ins Café Rowohlt und gebe mich als junger Herr Laumer zu erkennen.« Wir sind zusammen vom »Hessischen Hof« zu Fuß hingegan­gen. Damals war mir noch nicht klar, daß es ihm sehr viel schlechter ging, als man ihm anmerkte. Das waren vielleicht hundertachtzig Meter, da hat er schon geklagt, und danach hat er den Weg vom »Hessischen Hof« ins Café Laumer immer »unsere ge­meinsame Nachtübung« genannt. Da haben wir unab­hängig voneinander »Mat­jes Hausfrauenart« bestellt und beide unabhängig von­ein­ander gesagt: »Hausfrau bedeutet nicht Strapse, son­dern Äpfel.« Daraufhin meinte er: »Man merkt eben doch, daß wir Brüder sind.«

Woran ist er gestor­ben?

Er war in Indien auf der Buchmesse, in Delhi, und Inge Feltrinelli hat ihn ziemlich herumgescheucht, was Ver­gnügungen betraf. Er ist mit der Eisenbahn gefahren, dem »rollenden Palast«, der durch übertriebenes air-conditioning furchtbar unterkühlt war. Dabei hat er sich eine Lungenentzündung geholt und ist in Agra im Ange­sicht des Tadsch Mahal gestorben. Er ist sofort ver­brannt worden, allerdings ohne Witwe. Die Urne mit seiner Asche hat seine Witwe Jane nach Lavigny, aufs Schloß in der Schweiz gebracht und auf den Kaminsims ge­stellt. Sie wollte nach ihrem Tod, der sie auch ziem­lich schnell ereilte, eben­falls ver­brannt werden, und an­schließend sollte ihrer beider Asche vermischt und in ihrer Familiengruft in der Nähe von London beigesetzt werden. Das war die Gruft ihres Vaters, ein reicher Schotte, der in der Eli­teeinheit »The Black Watch« ge­dient hatte. Die trugen schwarze Kilts und wurden des­halb »The Devil’s Ladies« genannt. Er nannte seinen Schwiegersohn immer Adolf, weil er Deutscher war. Sehr witzig. Das war eine ausge­sprochen blöde Beerdi­gung. Die beiden waren in der Urne zwar richtig schön miteinander gemischt worden, aber nie­mand hielt eine Trauerrede. Wenn in der Aus­segnungs­halle wenigstens ein Harmonium gestanden hätte! Dann hätte man mit Anspielung auf die Urne und ihren Inhalt spielen kön­nen: »Oohoohoo, ooh, yeah, yeah, I’m all shook up!«

Hatte dein Bruder eigentlich Kinder?

Heinrich Maria hatte zwei Töchter: eine leibliche, die er enterbt hat, weil sie ihr Erbe zu seinen Lebzeiten ausbe­zahlt haben wollte, um sich in München eine Boutique einzurichten. Und eine unleibliche, die vom Briefträger oder vom Milchmann stammte. Ich habe sie anläßlich der Beisetzung von Hein­rich Marias Witwe in London getroffen. Sie ist mit ei­nem Schweizer Anwalt oder Bör­senmakler oder irgend so was Nützlichem verheira­tet, wohnt seit unvor­denklichen Zeiten in Zürich und ist eine richtig wohl­situierte Schweizerin. Es gibt ja vier Schwei­zer Spra­chen, also Deutsch, Französisch, Italie­nisch und Rätoro­manisch, und sie meinte tatsächlich, Rätoroma­nisch hätte englische Wurzeln.

Du hattest doch auch eine Schwester, oder?

Meine Halbschwester Anna Elisabeth, genannt Baby, ist während der brasilianischen Emigration meines Vaters gezeugt und geboren worden, in einer Favela in São Pau­lo. Dort hat sie sich offenbar auch den Hautkrebs zu­gezogen, an dem sie dann gestorben ist, weil sie als Rot­blonde immer mit den Caboclos – das sind Schwarz­afri­kaner und Indiomischlinge, die sehr viel gesünder pig­mentiert waren als sie – im Schlamm gespielt hat. Ken­nengelernt hab ich sie, als ich sechs Jahre alt war, und hab mich prompt in sie verknallt. Sie war ein rund­her­um angenehmer Mensch, ich habe aber leider so gut wie nie von ihr Gebrauch gemacht. Wir haben uns im­mer sehr geliebt, auf die Entfernung. Sie ist dann irgendwann nach Deutschland gekommen, doch wir sind einander so gut wie nie über den Weg gelaufen.

Erzähl ein bißchen mehr von deinem Vater.

Ernst Rowohlt war einer der wenigen Menschen, der gar nichts konnte. Es war erstaunlich, wie unbegabt er in jedem Bereich war. Einfach toll. Das hat man ja manch­mal, und dann kann man diese Leute nur als Genies bewundern. Irgendeiner seiner Autoren hat mal gesagt, er sei ein Genie der Freundschaft gewesen. Er war vier­mal verheiratet, hauptsächlich mit Schauspielerinnen. Er hatte den Ehrgeiz, sie aus ihrem Beruf zu entfernen, damit sie sich nur noch um ihn kümmerten. Wenn er das mit Straßenbahnschaffnerinnen gemacht hätte, wären die vielleicht sogar froh gewesen. Ich habe ihn erst in einer Zeit richtig erlebt, als er alt und miesepet­rig ge­worden war. Er war eigentlich immer nur alt und krank und muffelig und hat, weil er sich nicht mehr in den Rowohlt Verlag hineingetraut hat, versucht, zu Hause den Laden zu terrorisieren. Mein Brüderchen hat es nie geschafft, sich gegen ihn aufzulehnen, während ich das bereits mit dreizehn oder vierzehn gemacht ha­be. Da­nach waren wir praktisch unzertrennlich. Ich mußte spätestens um zehn zu Hause sein. Ich habe immer erst meine Mutter gefragt, wann ich von der Fete zu Hause sein sollte, und dann habe ich meinen Vater gefragt: »Wenn’s gemischt wird, pünktlich.« Daran halte ich mich bis heute. Ich gehe immer weg, wenn’s ge­mischt wird. Ich habe ihm auf seinem Totenbett, von dem wir beide noch nicht ahnen konnten, daß es sein Toten­bett sein würde, den gesamten Schwejk, den er­sten und zweiten Band, mit verteilten Rollen vorgelesen. Bei der Stelle: »... den Kokoschka Ferdinand, der was den Hunds­dreck sammelt«, ist er wegen der pastosen Technik des Kokoschka Oskar vor Lachen aus dem Bett gefallen und hat meine Mutter ange­röhrt: »Kom­mando zurück, der Junge wird nicht Ver­leger, der Junge wird Schauspieler.« Das war eine schö­ne Zeit, die letzten anderthalb Jahre mit meinem Alten, als er plötz­lich gemerkt hat, daß sein anderer Sohn ein Mensch ist, und ich plötzlich gemerkt habe, daß mein verachteter Vater auch ein Mensch ist. Da hätte er ger­ne noch ein bißchen länger rummurkeln können, aber das ist eben nicht gelungen. Wozu auch. Das war kein Leben für ihn, sich nicht in den Verlag zu trauen, und zu Hau­se Zoff. Seine letzten Worte waren, und das war ganz typisch für ihn, eine Mischung aus Bestellung und Be­schwerde: »Eigent­lich ist doch jetzt Bockbierzeit.« Also hat er noch ein Bock­bier be­kom­men, und dann ist er abgekratzt.

Einfach so?

Er hatte früher schon mal einen Herzinfarkt. Unser Hausarzt in Hamburg, Professor Dr. Kurt Gröbe, der damalige Spitzenkandidat der Hamburger DFU, hat ihm einen Hund verschrieben, damit er jeden Tag zwei­mal spazieren gehen mußte.

Gibt’s den auf Krankenschein?

Nö. Aber sollte es. Der erste Hund war ein Polizeihund, dessen Hundeführer an die Polizeischule nach Eckern­förde befördert worden war. Dort hat der Hund den ganzen Tag Bürodienst geschoben und wurde immer trübseliger, weil er Streife gehen wollte. Deshalb war er billig abzugeben. Vater, Mutter und ich sind hingefah­ren und kamen in das Büro, wo der Hund unter dem Schreibtisch saß. Er hat sich auf mich gestürzt und umgeschmissen, weil Boxer ja sehr kinderlieb sind. Bo­xer sind nach einem ziemlich komplizierten System gestrickt. Was größer ist als er selbst, wird bekämpft, was genau so groß ist, wird gevögelt, was kleiner ist, wird beschützt. Deshalb gucken Boxer so besorgt, weil sie jeden Tag etwa 80.000 Entscheidungen treffen müs­sen. Ich wurde also beschützt, weshalb er mich erstmal hingeschmissen hat. Die zwei Spaziergänge jeden Tag mit meinem Vater haben ihm überhaupt nicht genügt. Deshalb ist er immer auf eigene Faust auf dem Oberal­sterwanderweg Streife gegangen, um nach dem Rechten zu sehen. Wir hatten ein Gatter, das in der Mitte etwas höher als links und rechts war, und er ist immer über die höchste Stelle gesprungen, um zu zeigen, was er kann. Sein Nachfolger Toxi ging auch auf dem Ober­alsterwanderweg Streife, aber der hat sich ein Loch unter den Zaun hindurch gegraben. Er war von Beruf nicht Polizist, sondern Schauspieler, neigte also eher zur Bequemlichkeit. Eigentlich hieß er nicht Toxi, son­dern »Erlo von der Kollau«. Er war ursprünglich für den Kö­nig von Nepal gezüchtet worden, der dann jedoch starb. Der Thronfolger fragte sich, was soll ich hier mit so einem kurzhaarigen Hund, der friert doch den ganzen Tag – und hat ihn wieder abbestellt. Er mußte dann tingeln gehen, damit das Geld wieder reinkam. Er hat in diesem Rührstück »Toxi« mitgespielt. Der Film handelte von einem Besatzungskind, gespielt von einem kleinen, farbigen Mädchen, das nicht wesentlich älter war als er und vor den Kameras und dem Regisseur und den Mas­kenbildnern Angst hatte. Die haben ihr zum Trost Toxi, also Erlo, als Welpen beigesellt. Er selbst ist in dem Film nie zu sehen. Ich dachte immer, er hätte da mitgespielt. Hat er aber nicht, und wenn, dann ist er rausgeschnitten worden. Elke Heidenreich hat mir den Film mal im Fernsehen auf Video aufgenommen und mich furchtbar beschimpft. Sie hätte die ganze Zeit geguckt, ob ein Boxerwelpe vorkommt. Weit und breit kein Boxer. Zum Beweis hat sie mir die Kassette ge­schickt.

Vielleicht hat der Hund ja nur als Dialektcoach mitge­wirkt.

Danach bekam ihn Hubert von Meyerinck. Bezie­hungs­wei­se Hubsi von Meyerinck. Seit dieser Zeit hatte der Hund eine Abneigung gegen Schwule. Wenn jemand zu Besuch kam, von dem man nicht so richtig wußte, ob er schwul ist oder nicht, merkte man es spätestens an der Reak­tion des Hundes. Er fing an zu knurren, sein Rü­kenfell sträubte sich, und er ging steifbeinig rück­wärts aus dem Raum. Das war ihm selber peinlich, weil man doch zu Besuch nett sein muß, besonders als Boxer, die ja all­gemein sehr freundlich sind. Es war schön an­zuse­hen, wie er darunter litt, aber seine Abneigung war stärker als er selbst.

Er war ein ausgesprochener Charmebolzen. Meine Eltern und ich sind mal im Harz, in der Nähe der Zonen­grenze, spazieren gegangen. Damals war die Grenze noch offen. Ein Bundesgrenzschützer kam und sagte: »Fast wären Sie jetzt auf das Gebiet der Ostzone ge­latscht. Das ist ja ein schöner Hund.« Mein Vater ant­wortete: »Schön vielleicht, aber er ist so verspielt und gutmütig. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie der die Schutzhundprüfung bestanden haben soll.« Der Bundes­grenzschützer brach einen großen Ast ab und ging ohne Vorwarnung auf meinen Vater los. Da hättest du den verträumten und gemütlichen Toxi sehen sollen. Er ging dem Bundesgrenzschützer gezielt an die Kehle, so daß der richtig in Gefahr geriet. Seitdem haben wir den Hund gesiezt.

 

Toxi konnte sogar Leute nachmachen. Das hat man ja auch nicht oft. Ich habe neulich Robert Gernhardt töd­lich beleidigt. Der hat seine »Bella« in der Toskana als Welpe aus dem Mülleimer gefischt, halb Pointer und halb Dalmatiner. Dalmatiner sind, wie wir alle wissen, ziemlich dämlich, und Pointer sind Jagdhunde. Ich habe Robert furchtbar beleidigt, indem ich behauptete, Jagd­hunde seien humorlos. Boxer hingegen haben wirklich Humor. Die sind zwar ursprünglich als Bullen-Beißer auch Jagdhunde gewesen. Sie haben diesen vorstehen­den Unterkiefer, um sich am Auerochsen festbeißen zu können. Wenn dann so fünf, sechs Stück am Auerochsen hängen, wird er matt. Und anschließend wird er mit Speeren erlegt. Aber sonst hatten die Hunde nicht viel zu tun und sind deshalb freundliche Familienhunde geworden.

Du sagtest, euer Köter konnte Menschen nachmachen?

Ja. Meine Mutter hat diese alte Wassermühle im Huns­rück von ihrer Mutter geerbt. Ernst von Salomon war dort zu Besuch. Er hatte in seiner Eigenschaft als Frei­korpskämpfer einmal von einem Demokraten ordentlich eins aufs Nasenbein bekommen, weshalb er Zeit seines Lebens furchtbar schnarchte. Salomon schlief unten im Gästezimmer, und Toxi machte sich Sorgen, weil der so schnarchte. Das hatte er noch nie in der Lautstärke gehört. Der Hund machte die ganze Nacht kein Auge zu. Meine Mutter wachte irgendwann nachts auf und ging pinkeln, und Toxi führte sie ganz aufgeregt oben an den Treppenabsatz, guckte nach unten und machte »Rhrhrh­rhrhrh«. Daraufhin weckte mich meine Mutter, und Toxi führte mir das auch nochmal vor. Es hat ihm keine Ruhe gelassen, daß ein Mensch solche Geräusche macht. Ein Hund, der Leute nachmachen kann – das hat man doch selten.

Da hätte er bei mir auch seine Freude gehabt. Ich habe mal in Berlin bei Freunden in einer Wohngemeinschaft übernachtet, im Flur. Am nächsten Morgen hatte einer der Bewohner einen geschwollenen Arm, weil ihn seine Freundin die ganze Nacht angeknufft hatte. Sie dachte, er schnarcht so verheerend, bis sie im Morgengrauen merkte, daß ich es war – durch zwei geschlossene Türen hindurch. Ein Hund, der Schnarchen nachmachen kann, ist mir allerdings noch nicht begegnet.

Toxi konnte noch mehr. In Westerland auf Sylt hab ich mir mal weiße Turnschuhe gekauft. Toxi war dabei und guckte in einen Ganzkörperspiegel, den es in Schuhlä­den oft gibt, damit man sieht, wie der Schuh am gesam­ten Menschen wirkt. Er guckte also ausgiebig seine Füße und anschließend uns an – sehr vorwurfsvoll. Weil mei­ne Mutter sich Schuhe kaufte, dachte Toxi, er wäre doch allmählich auch mal dran. Es war ganz deut­lich zu se­hen. Er sah im Spiegel seine unbeschuhten Füße an, guckte dann ziemlich trübselig in unsere Rich­tung und dachte: »Da reißt man sich den Arsch auf für diese Fa­mi­lie, aber da hast du dich geschnitten, wenn du glaubst, daß wenigstens zwei Paar Schuhe für dich raus­sprin­gen.«

Toxi fuhr gerne Auto. Im Allgäu auf der Voralpen­stra­ße hielten immer die Autos an, weil die Leute das Pan­orama genießen wollten. Da sprang Toxi rein und ließ sich bis zum nächsten oder übernächsten Kaff einen Lift geben, weil er so gern Auto fuhr. Wenn die Leute ihn zur Polizei bringen wollten, sprang er heraus und versuchte, einen Lift zurück zu bekommen, was natür­lich viel schwieriger war. Dann kam er oft mit blutenden Pfoten nach Hause. Schließlich machte meine Mutter den Füh­rerschein. Es ist ein Verbrechen, daß sie ihn bekommen hat. Toxi hat sich in Nullkommanix das Autofahren abgewöhnt.

Du erzählst so viel von euren Kläffern, bist du etwa ein Hundenarr?

Nein, Hunde sind mir ziemlich wurscht. Bis auf Trulla, die war eine echte Ausnahme. Das war ein Neufund­dackel in München, mit dem ich sehr befreundet war. Also: Vater Dackel, Mutter Neufundländerin, das heißt ein Riesenbernhardinerkopf, und dann war auch schon Schluß, da war der Hund zu Ende. Er gehörte Rita und Rüdiger Ullrich. Rüdiger Ullrich ist der Bruder der ver­storbenen Almut Gernhardt. Rüdiger und Rita sind Psychotherapeuten und mußten in die Tos­kana fahren, weil sie da irgendwas vergessen hatten. Sie haben Ulla und mir Trulla überlassen, weil ich so gut mit Trulla konnte. Das war sehr angenehm. Trulla hat immer mit ihrem Kopf auf meinem Matratzenlager gepennt, der übrige Hund, den man ansonsten vergessen konnte, pennte außerhalb. Wenn Ulla morgens zur Ar­beit ging, nahm sie Trulla mit, damit sie pinkeln konnte. Einmal um den Block und wieder rein. Trulla legte dann wieder diesen Riesenkopf auf mein Matratzenlager, und sobald ich einigermaßen wach war, tat sie so, als hätte sie gleich einen Blasenriß: »Ich muß ja sooooo dringend vor die Tür.« Trulla hatte genauso wie ich eine absolute Kneipennase. Wir sind vorzugsweise in München in den »Soller« in der Talstraße gegangen. Den »Soller« gibt es inzwischen nicht mehr. Da spielte morgens schon ein Stimmungstrio, und Trulla bekam immer einen Riesen­knochen, mit dem sie nicht mehr durch die Tür kam. Die sahen nur diesen Bernardinerkopf unterm Tisch, und deshalb hat sie den entsprechenden Knochen bekom­men. Die Kapelle, das Stimmungstrio, habe ich sehr geliebt. Der Frontmann fragte mich mal auf dem Weg zum Klo nach meinen Musikwünschen: »Mogst Kanntrie hean?« Ich mochte. Dann haben sie eineinhalb Stunden Western-Swing gespielt. Eine längst ausgestorbene Musikgattung, für die man wirklich etwas können muß. Der große Chet Atkins hat das begründet. »Bob Wills & his Texas Playboys« war die erste Kapelle, die das mach­te.

Ich kenne deinen Musikgeschmack, seit du heute früh in Galway eine CD von dieser obskuren irischen Country-Tanzkapelle gekauft hast. Hat sich der Hund nicht ge­wehrt?

Ach was. Irgendwann blieb Trulla mal vor einer Kneipe stehen und wollte dringend rein. Die Kneipe sah absolut nach nichts aus. Ich hab ihr gesagt, »Trulla, nee, da hast du dich wirklich verpeilt, das kann es nicht sein. Das ist doch die hinterletzte Fascho-Pinte.« Aber Trulla bestand darauf, daß wir reingehen. Ich hab gesagt: »Ja gut, Trul­la, weil du es bist, aber auf deine Verantwortung. Wenn das jetzt Scheiße ist, glaube ich dir nie wieder etwas.« Wir sind dann hineingegangen, und da merkte man, daß die Kneipe nur von außen doof aussah, weil die Hausfas­sade renoviert war. Innen war das eine so schöne Höhle, und in der Ecke ein runder Stammtisch mit einer SPD-Tradi­tionsfahne von 1869, und »Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit«, und »Einigkeit macht stark«. Da habe ich gesagt: »Gut, Trulla, ich sage ja schon gar nichts mehr.«

Ich habe in einer irischen Zeitschrift ein Cartoon gese­hen, in dem ein Mann mit einem angeleinten Wellensit­tich gerade das Haus verlassen will, und seine Frau raunzt ihn an: »Dir ist auch jede Ausrede recht, um in die Kneipe zu gehen.«

Mit Trulla konnte man nicht nur in Kneipen gehen, sondern es war auch in Biergärten sehr schön. In Mün­chen fällt ja immer viel ab, Weißwurstpelle zum Bei­spiel, und wenn sie die irgendwo sah, schleppte sie sich völlig entkräftet an den Tisch, wo es Weißwurstpelle gab, und sah auch sofort ungeheuer abgemagert aus. Sie konnte sich also ganz gut selbst ernähren. Später, wenn ich ohne Trulla in den »Soller« ging, sagte die Gastrono­mie immer: »Hast heut den Schlumpfi net dabei?« Weil der Münchner zunächst Hunde wahrnimmt, und erst in zweiter Linie sonstiges Gesocks. Trulla hatte Zitzen­krebs, woran sie auch eingegangen ist. Bei so einem Dackelkörper hatte sie entsprechend viele Brustwarzen. Sie muß sehr gelitten haben. Das waren die drei wichti­gen Hunde in meinem Leben.