Vampirjagd

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Kapitel 2: Griechischer Frühling

Jannik Cerný stand auf der Dachterrasse seines Lofts und trank ein Glas Blut. Die Freisprechanlage seines Handys war an seinem Ohr befestigt und er sah in den südwestlichen Abendhimmel, während er mit Adolar telefonierte.

„Das klingt gar nicht gut, was du mir da erzählt hast, Jan.“ Adolars Stimme klang besorgt und nachdenklich. „Wenn ich Nicole davon erzähle wird sie darauf bestehen, dass du sofort nach Tschechien zurückkommst, damit du aus dem Gefahrenbereich bist.“

Jannik grinste. „Du brauchst deine Frau nicht vorzuschieben, um deine Ängste und Wünsche zu äußern, Alter.“

Adolar grunzte irgendetwas, dann seufzte er. „Du hast ja Recht. Ich möchte einfach nicht, dass dir etwas passiert, Jan.“

„Addi, ich verspreche dir, dass ich auf mich aufpasse. Ich halte meine Augen offen und melde mich täglich bei dir, Tobi oder Tris. So können wir uns auch gegenseitig absichern.“

„Rowena ist auch vor einem Jahr nach Berlin gezogen. Sie hat eine Galerie in Zehlendorf eröffnet.“

Jannik zog überrascht die Brauen hoch. „Rona ist hier? Das ist schön. Vielleicht kann man sich mal zwanglos treffen und ….“

„Das ist keine Einleitung zu einem amourösen Abenteuer, Jannik!“

Die Strenge in Adolars Stimme überraschte Jan. „Entschuldige. So war das nicht gemeint. Ich würde mich einfach nur freuen, Rowena mal wieder zu sehen, Addi. Ohne irgendwelche Hintergedanken.“

Adolar grunzte wieder irgendetwas. „Entschuldige, Jan. Ich bin einfach nur nervös, weil ich nicht vor Ort bin. Irgendwie ist innerhalb des letzten Jahres unglaublich viel passiert und ich werde davon regelrecht überrannt.“

„Na na! Bereust du es etwa, Nic geheiratet und gewandelt zu haben?“

„Nein! Das meine ich auch nicht. Du bist in Deutschland, ich schmeiße die Firma in Prag allein, arbeite Nic ein wenig ein und ich bin gerade in das Konzil berufen worden. Soviel Aufregung habe ich in den letzten zwanzig Jahren nicht gehabt.“

Jannik grinste. „Du wirst alt!“ Dann stutzte er. „Sagtest du gerade, du bist ins Konzil berufen worden?“

„Ja, sagte ich.“

Das Konzil war sozusagen das Parlament der Vampire. Weltweit. Das Konzil wurde einberufen, wenn zum Beispiel ein Vampir gegen die Gesetze der Gemeinschaft verstoßen hatte. Waren die Verstöße eher nichtig, regelte das Konzil die Sache allein. Waren es aber schwerwiegende Straftaten, zum Beispiel ein sinnloses Abschlachten von Sterblichen, dann kam der Angeklagte vor das Triumvirat. Das Triumvirat bestand aus drei Vampiren, die alle dreißig Jahre neu gewählt wurden. Niemand wusste, wer gerade im Triumvirat saß, das wurde streng geheim gehalten. Nur die Mitglieder des Konzils waren bekannt, tauschten sich untereinander aus.

„Gratuliere, mein Mentor. Endlich mal jemand, der den Überblick hat.“

„Ha ha!“, machte Adolar trocken. Jannik konnte sich die Miene seines Blutsverwandten bildlich vorstellen. Die Augenbrauen zusammengezogen, die grauen Augen blitzten und die Lippen zusammengekniffen.

„Aber jetzt mal was ganz anderes. Morgen triffst du auf den Griechen, nicht wahr?“ Adolar wollte sachlich bleiben, um von dem Thema Konzil abzulenken.

„Kapodistrias? Ja. Er und seine Nichte haben morgen einen Termin in der Geschäftsstelle mit mir.“

„Seine Nichte?“

Jannik ging in das Wohnzimmer. Auf dem Wohnzimmertisch lag die Akte, die er vorhin studiert hatte. „Dimítrios Kapodistrias. Er ist Gründer und Hauptanteilnehmer von `Hellas Health´, einem Unternehmen, dass unter anderem Gerinnungsmittel herstellt, die für unser Unternehmen interessant sein könnten. Dimítrios ist zweiundfünfzig Jahre alt, ledig, hochintelligent und gilt als charismatisch. Sein Partner und rechte Hand ist seine Nichte Helena, eine fünfundzwanzigjährige Frau. Hat BWL, Pharmazie und europäische Mythologie studiert. Die Frau hat einen IQ von 160!“

„Heureka!“ Adolar klang sarkastisch. „Du hast doch bestimmt ein Foto von den Beiden vor dir zu liegen, oder?“

Jannik grinste breit. „Der Alte ist ein typischer Geschäftsmann, seinem Äußeren nach. Distinguiert, gepflegt, weltmännisch. Wirkt entschlossen und auch ein wenig … grausam. Ich weiß nicht, wie ich es anders ausdrücken soll.“

„Hhm.“ Adolar schien etwas auf seinem PC in seinem Prager Büro zu tippen, denn Jannik hörte das Klappern der Tasten. „Was ist mit der Nichte?“

Jannik stockte, als er das Bild von Helena Kapodistrias betrachtete. Schon beim ersten Mal war er von dem Bild sehr angetan. Die junge Frau auf dem Foto war faszinierend und wunderschön. Ein edles, schmales Gesicht mit dunklem, südländischem Teint, umrahmt von schwarzem, langem Haar. Die Augen dunkel, fast schwarz, die Brauen formvollendet. Eine schmale und gerade Nase mit zarten Nasenflügeln. Aber die Lippen waren eine Einladung. Voll und sinnlich, leicht geöffnet, perfekt geschwungen.

„Jannik, bist du noch dran?“ Adolars Stimme riss Jan aus seinen Betrachtungen.

„Entschuldige, Addi. Ich war in Gedanken. Ähm, Helena Kapodistrias könnte als Lockvogel eingesetzt werden. Extrem attraktiv und sinnlich. Würde mich nicht wundern, wenn sie für einen Geschäftsabschluss als Joker benutzt würde.“

„Dann pass bloß auf, dass du deine Hormone bei dir behältst. Soll ich kommen und dir zur Seite stehen?“

Jannik zog gekränkt die Brauen zusammen. „Addi, ich bin zwar dem schönen Geschlecht schnell zugetan, das gebe ich gern zu. Aber ich weiß sehr wohl Geschäftliches und Privates zu trennen!“ Sein Ton war schärfer, als er eigentlich beabsichtigt hatte.

„Schon gut, schon gut, Jan!“ Adolar lachte ein wenig. „Wow! Das ist ja wirklich eine wunderschöne Frau!“

Offensichtlich hatte Adolar Cerný die Akte über die Kapodistrias ebenfalls auf seinem PC aufgerufen und sah sich gerade das Bild von Helena Kapodistrias an.

„Du solltest morgen früh kalt duschen und dir Eiswürfel in deine Unterhose packen, Jan!“

„Sehr witzig, Adolar. Wirklich sehr witzig. Seitdem du mit Nic zusammen bist, denkst du kaum noch an etwas anderes als an Sex, ist dir das eigentlich bewusst?“

Adolar ließ ein kleines Lachen hören. „Danke für den Tipp. Wird Zeit, dass ich nach Hause fahre. Ach, und Jannik!“

Jan zog eine Augenbraue hoch. „Ja, Meister?“ Er hatte keine Lust auf irgendeinen weisen Ratschlag ob seines Sexuallebens.

„Pass auf dich auf. Die Lage ist ernst, wenn wir wirklich gejagt werden sollten.“

Verblüfft beendete Jannik Cerný das Gespräch, nahm den Kopfhörer vom Ohr. Adolar war öfter um seinen Schützling besorgt, wusste aber, dass dieser sich im Notfall durchaus sehr gut verteidigen konnte. Während des Zweiten Weltkrieges kämpften die beiden Blutsverwandten an verschiedenen Fronten, Adolar als Partisan in Tschechien und Jannik überall, wo er sich gerade aufhielt, hauptsächlich aber in Deutschland, Griechenland und in Frankreich.

Die jetzige Situation war aber eine andere. Da ging es nicht darum, Sterbliche vor anderen Sterblichen zu beschützen und Unrecht zu verhindern, sondern um die Existenz der eigenen Art. Die Vampire der Welt hatten bisher hauptsächlich deshalb überlebt, weil sie sich bemühten, ihre Existenz geheim zu halten. Die Sterblichen würden nicht verstehen, dass die meisten der Vampire überhaupt kein Interesse an dem Tod der Sterblichen hatten. Schließlich ernährten sich die modernen Vampire seit geraumer Zeit hauptsächlich von Blutkonserven und benötigten nur in Notfällen frisches Blut.

Ansonsten wandelten die Unsterblichen unter den Sterblichen wie normale Menschen. Sie arbeiteten, auch am Tag, aßen ganz normales Essen, tranken normale Getränke, liebten wie andere auch, tanzten und lachten. Sie unterschieden sich nicht von den anderen Menschen.

Wer war also dahinter gekommen, dass es Vampire wirklich gab? Und wie hatte er Leclerc und die beiden anderen, von denen Tobias Kerner erzählt hatte, gefunden?

Jannik beobachtete neugierig den Bildschirm, der das Foyer der Firma zeigte. Gerade waren seine Gäste eingetroffen: Dimítrios Kapodistrias, seine Nichte Helena und zwei Männer, die offensichtlich Bodyguards waren. Kapodistrias deutete den beiden Männern an, hier im Foyer zu warten. Zögernd setzten die beiden sich auf die Sessel.

„Show time“, murmelte Jannik und schaltete den Monitor aus. Er wollte nicht, dass seine Gäste bemerkten, dass er sie so früh wie möglich beobachtet hatte. Dann öffnete Jannik eine Schublade seines Schreibtisches und holte eine kleine Schachtel mit farbigen Kontaktlinsen heraus. Die Farbe der Linsen entsprach exakt seiner natürlichen Augenfarbe und normalerweise hätte er sie auch nicht benutzt, aber er wollte vermeiden, dass er auf die Frau unbewusst reagiert.

Wenn das nämlich der Fall war, würden seine Augen silbrig zu leuchten anfangen und Fragen aufwerfen, die er nicht beantworten wollte. Zwar hatte er seine Gefühle sehr gut im Griff und meistens waren seine Emotionen eher von amouröser Natur, aber nach seiner Reaktion auf das Foto von Helena Kapodistrias zog er es vor, auf Nummer Sicher zu gehen.

Kaum hatte er die Linsen eingesetzt, als es an seiner Bürotür klopfte. Mit einem Satz war er an seiner Sitzgruppe, rückte noch einmal seinen Anzug und die Krawatte zurecht und sagte: „Herein!“

Mit einem leichten Lächeln öffnete Marie Schraner die Tür, ließ Dimítrios Kapodistrias und seine Nichte Helena eintreten.

Der Grieche war genauso groß wie Jan, kräftig gebaut, aber nicht dick. Dimítrios hatte einen mächtigen Brustkorb und als er Jannik begrüßte, ertönte eine volle Stimme, die aber sehr aristokratisch klang. Sein Gesicht war klassisch griechisch geschnitten, ein gepflegter Vollbart umrundete Wangen und Kinn, schloss sich über der Oberlippe dünn zueinander. Die Augen waren dunkel, fast schwarz, die Brauen offensichtlich gezupft. Die Hand, die sich Jannik zur Begrüßung entgegen streckte war schmal und wies gepflegte, manikürte Fingernägel auf.

 

„Herr Kapodistrias, es ist mir ein besonderes Vergnügen, sie kennen zu lernen und in der deutschen Niederlassung von ´Cerný Blood and Health Development` zu begrüßen.“ Jannik hätte der Höflichkeit halber lieber zuerst die Frau begrüßt, aber der Grieche war der eigentliche Chef und somit musste Jannik zuerst ihm den Respekt und die Aufmerksamkeit zollen.

„Herr Cerný, es ist immer wieder höchst interessant, mögliche neue Geschäftspartner kennen zu lernen.“ Er wandte sich seiner Nichte zu, die durch ihre Absatzschuhe den Männern auf beinahe gleicher Augenhöhe begegnete.

„Darf ich Ihnen meine Nichte Helena vorstellen? Sie ist meine Teilhaberin und meine rechte Hand. Falls wir ein geschäftliches Übereinkommen treffen sollten, wird Helena in Zukunft alle weiteren Gespräche mit Ihnen führen.“ Dimítrios hatte den Namen seiner Nichte griechisch ausgesprochen. Ein gewisser Stolz war in seiner Stimme zu hören und er trat einen halben Schritt zur Seite.

Jannik war froh, das er sich für die Kontaktlinsen entschieden hatte. Nicht nur das Gesicht der Frau war wunderschön, ihre ganze Erscheinung war eine einzige Versuchung. Eine schlanke, aufrechte Gestalt steckte in einem eleganten Hosenanzug in dunkelbraun. Die weiße Bluse hob ihren dunklen Teint noch hervor, eine kleine goldene Kette mit einem orthodoxen Kreuz baumelte an ihrem schlanken Hals. Die Hände schmal, die Finger schlank und ohne Ringe, dafür aber die Nägel im French-Style manikürt, poliert und nicht lackiert. Jannik konnte erkennen, dass das Helenas echte Nägel waren, als er sich respektvoll über ihre Hand beugte und einen Handkuss andeutete.

„Sie sind ein Gentleman“, sagte Helena und lächelte Jannik freundlich an.

„Ich bemühe mich einer zu sein, Frau Kapodistrias. Aber bitte sehr, nehmen Sie doch Platz.“

Jannik wies auf die Sitzgruppe und ließ seine Gäste Platz nehmen. Marie klopfte, kam herein und brachte ein Tablett mit Kaffee und Gebäck.

„Möchte einer der Herrschaften vielleicht etwas anderes trinken als Kaffee?“, fragte sie freundlich.

>Einen doppelten Schnaps bitte!<, dachte Jannik und musste sich zusammen reißen.

„Wären Sie so freundlich und bringen mir bitte ein Glas Stilles Wasser?“ Helena lächelte Marie sanft an.

„Sehr gern, Frau Kapodistrias.“

Als Helena an Jannik vorbeiging, nahm er einen schwachen Duft an ihr wahr, der ihn an Pinienwälder und wildem Honig erinnerte. Er stellte fest, dass das kein Parfum war, sondern ihre ganz eigene Duftnote, die von ihrer Haut und ihrem Haar ausging.

Nachdem Marie das Wasser für Helena gebracht hatte, begannen die Verhandlungen. Jannik bekundete sein Interesse, das Gerinnungsmittel, das ´Hellas Health` herstellte, beziehen zu wollen und es in der Forschung bei ´Cerný Blood and Health Development´ einzusetzen. Sie diskutierten eine Weile über die Menge, die Jannik jährlich beziehen wollte und den entsprechenden Preis. Nach einer Stunde waren die drei sich einig und die Männer gaben sich die Hände.

„Unsere Notare und Anwälte müssen noch die Papiere aufsetzen und dann müssen wir uns noch einmal zur Unterschrift zusammenfinden, Herr Cerný.“ Dimítrios Kapodistrias lächelte ein Geschäftslächeln. Jannik hatte den Eindruck, dass das Lächeln seine Augen nicht erreichte.

„Großartig“, sagte er. „Darf ich Sie und Ihre Nichte abschließend zu einem Lunch einladen?“ Täuschte sich Jannik oder zuckte Dimítrios Kapodistrias kurz überrascht mit den Augenbrauen?

„Ich muss leider zurück in mein Büro, aber vielleicht kann Helena Ihnen Gesellschaft leisten?“ Fragend sah der Grieche seine Nichte an.

Verblüfft starrte die Frau ihren Onkel an, dann: „Aber gern. Dann können wir uns vielleicht ein wenig näher kennen lernen, Herr Cerný.“

Vorsichtig tastete Jannik sich in die Gedanken seiner beiden Gesprächspartner, aber er fand nur Rezitierungen von Gedichten. Das beunruhigte Jannik ein wenig, aber er ließ sich nichts anmerken. „Ich hole nur meinen Mantel und begleite Sie hinaus, Herr Kapodistrias. Ich werde Ihre Nichte dann nachher gern zu Ihrer Firma fahren.“

Der Grieche lächelte etwas. „Das wäre sehr freundlich, Herr Cerný.“

Im Hinausgehen sagte Jannik Marie Bescheid, dass er mit Helena Kapodistrias zu Mittag Essen würde und erst gegen Nachmittag wieder im Büro sei. „Hier sind die ganzen Unterlagen, die zum Firmennotar müssen, damit er die Verträge aufsetzen kann.“

„Sehr wohl, Herr Cerný.“ Marie nahm die Papiere wie immer freundlich lächelnd entgegen, lächelte aber etwas zu süffisant, wie Jannik fand, als sie einen Blick zu ihm und Helena warf. Aber Jannik sagte nichts, dachte sich nur seinen Teil.

Die Bodyguards im Foyer sprangen auf, als ihr Chef und seine Nichte durch den Korridor kamen. Jannik begleitete noch Kapodistrias und seine Bodyguards zusammen mit Helena in die Tiefgarage auf das Besucherparkdeck und verabschiedete sich dort von seinem neuen Geschäftspartner.

„Worauf hätten Sie Lust?“, fragte Jannik und sah Helena in die dunklen Augen.

„Wie meinen?“

Jannik stutzte. „Ich meine kulinarisch!“ >Verdammt, das klang beinahe wirklich zweideutig!<

Helena lächelte offen und perlweiße ebenmäßige Zähne blitzten hervor. Ein tiefes, weiches und melodiöses Lachen folgte. „Sie werden ja rot!“

Tatsächlich merkte Jannik, wie seine Gesichtsfarbe sich änderte und er sogar heiße Ohren bekam. Ergeben seufzte er. „Frau Kapodistrias, das liegt einfach daran, dass mir selten, wirklich sehr selten eine so umwerfende Frau wie Sie begegnet ist.“

„Helena.“ Sie sprach ihren Namen ebenfalls griechisch aus. „Und danke.“

„Also, Helena.“ Jannik bot ihr seinen Arm an und wandte sich zum Ausgang der Tiefgarage. „Wir haben hier in der Nähe einen Griechen, der nicht zu empfehlen ist. Einen Italiener und einen Chinesen, die leidlich gut sind, einen Thailänder der recht ordentlich ist und einen bombastischen Inder. Wonach ist Ihnen?“

Helena blinzelte schelmisch lächelnd zu ihren Gastgeber hinauf. „Bei der Reklame kommt nur der Inder in Frage, nicht wahr?“

Ihre Stimme verursachte wohlige Schauer auf Janniks Rücken. „Ihr Wunsch ist mir Befehl, Helena.“ Er hielt ihr die Garagentür auf und sie traten auf die Straße. Es war Februar und es nieselte etwas, aber Jannik holte wie von Zauberhand einen Regenschirm im Pocket-Format hervor und klappte ihn schnell auf, hielt ihn schützend über Helena Kapodistrias.

„Sie sind wirklich ein Gentleman, Herr Cerný.“

„Jannik. Oder Jan, wenn Sie möchten, Helena.“

Kapitel 3: Manipulationen

Das Bathura kam dampfend auf den Tisch, noch fettig vom Frittieren. Dazu wurde in einem kleinen Schälchen ein Joghurt-Kräuter-Dipp gereicht.

„Ich liebe dieses fluffige Brot!“, sagte Helena und griff zu, riss einfach ein wenig von dem Brot ab und aß es ohne den Dipp. „Hhm!“

Erstaunt betrachtete Jannik, mit welchem Genuss Helena das Brot kaute. Sie schloss dabei die Augen, schien jede Komponente der Zutaten im Mund zu zerlegen. Danach wischte sie sich die fettigen Finger an der Serviette ab.

„Sie sehen übrigens ganz anders aus als auf dem Foto. Der Bart macht Sie reifer, Jan.“

Innerlich schmunzelte Jannik. >Aha, die Kapodistrias haben also auch Erkundigungen eingeholt.<

„Der Bart ist ziemlich neu. Ich dachte mir, neues Land, neues Aussehen. Und hier habe ich nicht meinen Grund-seriösen Cousin neben mir, der sonst die Verträge abschließt.“

„Also dachten Sie sich, ich werde mich ein wenig raus putzen und Eindruck in der Geschäftswelt schinden?“

„So ungefähr. Ist doch gelungen, nicht wahr?“

Helena grinste. „Allerdings. Aber Ihre Kompetenz ist auch nicht zu verachten.“

Jan strich ein wenig von dem Dipp auf sein Bathura. „Wir haben jetzt genug ´Phishing-for-compliments` gespielt, finden Sie nicht?“ Sein Blick bohrte sich in ihre Augen.

Helenas Augenbraue zuckte kurz in die Höhe. „Wie meinen Sie das?“

Jannik schluckte sein Brot herunter, bevor er antwortete, wischte sich die Finger an der Serviette ab und trank einen Schluck Wasser.

„Ihr Onkel hat Sie mit Absicht auf mich losgelassen. Nicht, dass ich mich beschweren will. Im Gegenteil, Sie sind eine absolut angenehme und willkommene Gesellschaft. Aber Sie sollen mich – sagen wir – abtasten.“

Helena schmunzelte etwas. „Ich sagte Onkel Dim, dass man Ihnen nichts vormachen kann. Er meinte, Sie seien zu jung und unerfahren in der Geschäftswelt.“

„Onkel Dim?“

„Mein Bruder Stavros konnte als Kind nicht Dimítrios aussprechen. Also heißt er seit dem Onkel Dim.“

Janniks Mundwinkel zuckte kurz amüsiert, dann hatte er sich wieder im Griff. „Und Sie nennen ihn heute noch so?“

Helena wurde verlegen. „Eigentlich nur, wenn wir unter uns sind. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie Dimítrios gegenüber das nicht erwähnen würden.“

Jannik grinste breit. „Schon vergessen. Ich habe über ihre Familie interessante Dinge gelesen, Helena.“

„Ach wirklich? Was denn zum Beispiel?“ Helena lehnte sich ein wenig vor und legte ihren Kopf zur Seite. Dadurch fiel ihr langes, schwarzes Haar wie ein Schleier zu der geneigten Seite.

„Dimítrios und sein Bruder Phillipos, Ihr Vater, gründeten ´Hellas Health` vor fast 25 Jahren. Hier in Deutschland. Sie fingen mit der Herstellung eines Reagenzglases an, das eine große Hitze aushält und somit in Laboratorien der ganzen Welt seinen Siegeszug begann. Inzwischen hat die Firma viele nützliche Produkte rund um die medizinische Forschung entwickelt und in Produktion.

Als Sie sechs Jahre alt waren und ihr Bruder drei wurden Ihre Eltern bei einem Überfall auf Ihr Zuhause getötet. Ihr Bruder Stavros wurde so schwer verletzt, dass er seitdem nur noch mit Gehhilfen laufen kann.“

Helenas Gesicht verdunkelte sich kurz und ihre Augenbrauen zogen sich zusammen. „Das war das Schlimmste, was Táwo und ich je durchmachen mussten“, sagte sie leise.

Jannik nickte verständnisvoll. „Ihr Onkel nahm Sie beide zu sich, zog Sie an Kindes statt auf. Die besten Privatschulen, ein Leben in Reichtum und Macht.“

„Aber auch mit Verantwortung, Jan.“ Helena nahm ihre Cola und trank einen Schluck.

Täuschte sich Jannik oder zitterte ihre Hand ganz leicht?

„Dimítrios zog uns in dem Wissen auf, dass es viele Menschen auf der Welt gibt, die nicht so privilegiert sind wie Táwo und ich. In den Ferien halfen wir in der Kirche aus, wir gaben den Armen Essen und Trinken. Kleidung, die uns zu klein geworden war, gaben wir direkt an hilfsbedürftige Familien. Ebenso Spielzeug, das wir nicht mehr wollten.

Dimítrios gab uns Taschengeld, aber immer nur einen Minimalbetrag. Er war der Meinung, dass wir lernen sollten, mit wenig auszukommen, damit wir schätzen lernten, was wir mehr hätten und es nicht als Selbstverständlich nähmen.“

„Das ist lobenswert. Ich habe nur eines in dem Bericht nicht verstanden, den ich gelesen habe.“ Jannik verschränkte die Arme und sah Helena direkt in die Augen.

„Und das wäre?“

„Sie und Ihr Bruder haben eine identische Ausbildung. Beide haben Sie einen fast gleich hohen IQ. Warum sind Sie Dimítrios rechte Hand geworden und nicht Ihr Bruder? Ich dachte immer, dass Griechen ihre Söhne bevorzugen!“

Helena lächelte. „Mein Bruder ist ein Künstler, Jan. Kein Geschäftsmann. Zahlen und Formeln sind nicht seine Welt. Táwo malt, formt Skulpturen und musiziert. Dimítrios hat das früh erkannt. Deswegen hat Táwo seine Studienfächer auch gewechselt. Er studiert Kunst, Musik und Griechische Geschichte.“

Die Art, wie Helena Kapodistrias über ihren Bruder redete, berührte Jannik. Er erkannte Liebe und Zärtlichkeit in ihrer Stimme.

Das Hauptgericht kam. Helena nahm Murg Balti, ein Hühnchengericht, das in einem Karahi, einer kleinen wokähnlichen Pfanne, mit zwei Griffen zubereitet und serviert wurde. Jannik nahm eine große Gemüsepfanne mit Curry. Dazu wurde ihnen der Reis in einem extra Gefäß serviert.

„Sind Sie Vegetarier?“ Helena klang überrascht, als sie Janniks Teller inspiziert hatte und kein Stück Fleisch entdeckte.

„Nein!“, lachte Jannik. „Ich esse nur sehr gerne Gemüse. Ich esse nicht jeden Tag Fleisch, manchmal nur einmal in der Woche.“

 

„Und wieder haben Sie mich überrascht!“, murmelte Helena.

„Weshalb?“

Helena nahm sich etwas Reis und von dem Murg, legte es sich auf ihren Essteller. „Sie entsprechen so gar nicht dem Bericht, den wir über Sie haben. Demnach hätten sie eher blutiges Steak bevorzugen sollen.“

Jannik lachte leise. „Welcher Idiot hat den Bericht denn verfasst?“

Helenas Augen blitzten, sie legte ihren Zeigefinger an die Lippe. „Firmengeheimnis.“

„Ah! Verstehe.“ Jannik nahm sich etwas von dem Reis und eine große Menge von dem Gemüse. Er hatte das Gefühl, dass Helena ihn genau beobachtete.

„Was steht denn noch in dem Bericht?“

Helena spülte kurz mit ihrer Cola nach und tupfte ihre Mundwinkel mit der Serviette ab. „Im Prager Krankenhaus 1984 geboren. Die Mutter verstarb dabei. Ihr Vater und ihr Onkel zogen Sie und Ihren Cousin Adolar in der Burg auf, die schon seit Jahrhunderten der Stammsitz der Cernýs ist, östlich von Ostrava in den Äußeren Karpaten. Ihr Cousin hat den Adelstitel des Grafen geerbt und Sie beide haben die Firma Ihrer Väter übernommen. Blutbanken, Blutgerinnung, Blutkrankheiten und so weiter.

Ihr Cousin hat vor vier Monaten geheiratet, eine deutsche Frau aus Hamburg. Sie selbst gelten als Lebemann, als Genussmensch. Als jemand, der nichts anbrennen lässt, was nicht bei Drei auf den Bäumen ist.“

Jannik zog eine Augenbraue hoch. „Hm. Ich kann einer schönen Frau nun einmal kaum widerstehen. Aber zurzeit liegt mein hauptsächliches Interesse an der Firma, und nicht bei Frauen.“

„Vom Saulus zum Paulus?“ Helena hatte einen leicht provozierenden Unterton.

„Wohl kaum. Ich lege nur eine Pause ein.“

Helena beobachtete, wie Jannik beinahe gleichmütig eine Portion Gemüse in den Mund steckte. „Oder liegt es eher daran, dass Sie eigentlich in die Frau Ihres Cousins verliebt sind und seitdem einfach kein Interesse an anderen Frauen haben?“

Jannik erstarrte, stierte Helena an. Vorsichtig tastete er sich in Helenas Gedanken ein.

>Ich habe ihn! Verdammt, warum muss ich ihm wehtun?<

Jannik legte seine Gabel auf den Teller, wischte sich seinen Mund an der Serviette ab. „Nicole ist Adolars Frau. Unabhängig davon, was ich für sie empfinde, akzeptiere und respektiere ich diesen Umstand, Helena. Mehr ist dazu nicht zu sagen.“ Jannik merkte, dass sein Ton schärfer war, als er eigentlich beabsichtigt hatte, aber Helena hatte wirklich einen wunden Punkt getroffen.

Er und Adolar hatten schon lange vorgehabt nach Deutschland zu expandieren. Als die Beziehung zwischen Adolar und Nicole sich festigte und ein Hochzeitstermin feststand, forcierte Jannik die Absicht, nach Deutschland zu gehen und bat Adolar darum, die Zweigstelle persönlich leiten zu dürfen. Er wollte so viel Abstand wie möglich zwischen sich und Nicole bringen.

Helena sah ihn bestürzt an. Jannik spürte, dass es ihr wirklich Leid tat, las es auch in ihren Gedanken. „Es tut mir Leid, Jannik. Ich hätte das nicht sagen sollen.“

Er wedelte mit der Hand. „Wir haben uns doch gegenseitig provoziert, Helena. Den Tod Ihrer Eltern zu erwähnen war auch nicht gerade sehr elegant.“

Betreten schwiegen sie, aßen still weiter.

„Ich hoffe, dass der Vorfall eben nicht unsere geschäftlichen Beziehungen beeinträchtigen wird.“ Helena nahm ihren ganzen Mut zusammen und sah dem Tschechen in die braunen Augen.

Er lächelte versöhnlich. „Nein. Ich sehe das eher sportlich. Wir haben ein Remis und werden noch weitere Runden ausfechten müssen. Ich bin schon neugierig, welche Waffen dann zum Einsatz kommen.“

Helena runzelte die Stirn, sah Jannik merkwürdig betroffen an.

>Ich habe ihm wirklich wehgetan. Das habe ich nicht gewollt!< Ihre Gedanken strichen eine Saite bei ihm an, die er noch nicht kannte. Jannik wollte nicht, dass sich Helena schuldig oder schlecht fühlte.

Er zahlte, half ihr in den Mantel und sie gingen hinaus. Sie atmete die kalte, nasse Luft des Februars ein.

„Kommen Sie, ich fahre Sie in die Firma Ihres Onkels.“ Jannik ergriff Helenas Arm, wollte sie wieder zum Parkhaus führen.

„Nein, Jan. Ich … nehme ein Taxi.“

Verwirrt sah Jannik die junge Frau an. „Ich habe Ihren Onkel aber versprochen, dass ….“

„Ich werde ihm sagen, dass Sie einen dringenden Anruf aus dem Büro bekommen haben und umgehend zurückkehren mussten. Ich denke, es ist besser, wenn wir uns hier verabschieden.“

Jannik sah in die dunklen Augen und für einen Moment, für einen winzigen Moment, wollte er die Frau in die Arme nehmen und festhalten. Das verwirrte ihn noch mehr.

„Es tut mir aufrichtig Leid, dass ich Ihre Gefühle verletzt habe, Jan. Bitte verzeihen Sie mir.“ Helena reichte Jannik die Hand und er ergriff sie, hielt sie fest. Er zog die Hand an seine Lippen, deutete diesmal den Handkuss nicht an, sondern vollendete ihn.

„Es tut mir Leid, dass ich mich zu den harten Worten habe hinreißen lassen, Helena.“

Sie lächelte, entzog ihm ihre Hand und drehte sich um. Ein leeres Taxi fuhr genau in diesem Moment vorbei und Helena winkte ihm zu.

„Helena!“

Sie drehte sich noch einmal zu Jannik Cerný um, der sie sehr ernst ansah.

„Wir werden uns doch wieder sehen, nicht wahr?“

Helena lächelte wieder. „Ja. Das werden wir.“

Sie stieg in den Wagen, schloss die Tür, nannte dem Fahrer die Adresse und schnallte sich an. Als der Wagen losfuhr, blickte sie noch einmal zurück und sah, dass Jannik ihr nachsah.

Helena Kapodistrias warf ihre Handschuhe auf die Kommode und den Kaschmirmantel über den Kleiderständer. Wütend über sich selbst schleuderte sie ihre Schuhe von den Füssen. Sie landeten weit voneinander entfernt in den Ecken ihres Büros. Sie goss sich etwas Wasser in ein Glas und setzte sich in ihren Bürostuhl, zog die Beine an.

Die Tür ging auf und Dimítrios trat in ihr Büro. Er runzelte die Stirn, als er Helenas Gemütszustand sah. „Du bist zurück!“

„Offensichtlich“, knurrte Helena und schloss die Augen, lehnte ihren Kopf zurück.

„Ist etwas passiert?“

Helena sah in die dunklen, kalten Augen ihres Onkels. „Nein.“

„Warum bist du dann so merkwürdig?“

„Weil ich Cerný provoziert, und ihn damit verletzt habe. Und es tut mir Leid.“

Überrascht sah Dimítrios Kapodistrias seine Nichte an. „Es tut dir Leid?“, fragte er entsetzt.

„Er ist nicht das, was du denkst.“ Helena trank ihr Wasser und stellte das Glas lauter als gewöhnlich auf ihren Schreibtisch ab.

„Woher willst du das wissen?“, fragte Dimítrios lauernd.

„Erstens hat er kein Fleisch sondern Gemüse gegessen.“ Sie zählte die Punkte an ihren Fingern ab. „Zweitens haben sich seine Augen nicht einmal verändert und drittens habe ich es einfach im Gefühl, Onkel Dim.“

„Ach, du hast es im Gefühl?“ Hohn tropfte aus der Stimme und ließ Helena aufhorchen.

„Ich habe dir gesagt, dass ich aus der Sache raus bin. Ich spiele nicht mehr deinen Lockvogel. Bei Cerný liegst du falsch. Er ist kein Dämon!“

Die Augen des Griechen glühten. „Hast du dich in den Tschechen verliebt?“

Verblüfft runzelte Helena erneut die Augenbrauen. „Gott, nein! Aber er ist kein Kandidat für dein Kellervergnügen!“

Mit zwei Schritten war Dimítrios Kapodistrias bei seiner Nichte, holte aus und ohrfeigte sie. Der Schlag war so heftig, dass sie von dem Bürostuhl fiel und mit einem kleinen Aufschrei zu Boden stürzte. Es überraschte Helena mehr als das es sie schmerzte und sie sah ihren Onkel entsetzt an. Der schüttelte sich plötzlich, krampfte seine Hände zusammen.

„Glaubst du etwa, dass es mir Spaß macht, diese Ausgeburten der Hölle zu jagen und sie ihrer Erlösung zu übergeben?“ Seine Stimme war leise, schneidend. Er beugte sich zu Helena runter, nahm ihre Hand in seine. „Du hast doch gesehen, wozu diese Kreaturen fähig sind. Du hast gesehen, was deinen Eltern geschehen ist.“

Dimítrios zog Helena hoch, streichelte über ihre gerötete Wange. „Wenn Cerný ein normaler Mensch ist, hat er nichts zu befürchten. Ich verspreche dir, dass ich gründlicher als sonst recherchiere. Aber verstehe bitte, dass ich nicht aufhören kann, nur weil dein Gefühl es dir sagt.“ Er umklammerte ihren Kiefer, drückte unsanft zu. „Wenn du nicht mitmachen willst, steh´ mir nicht im Weg. Aber überlege es dir noch einmal. Denn wenn du nicht mein Vermächtnis fortführen willst, wird dein Bruder eingeweiht werden!“