Vampirjagd

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Tränen schossen in Helenas Augen. Es war das erste Mal in ihrem Leben, das Dimítrios seiner Nichte körperlich wehtat. „Lass bitte Táwo aus dem Spiel“, flüsterte sie gequetscht.

„Das liegt nicht an mir, Lena.“

Dimítrios Kapodistrias ließ das Gesicht seiner Nichte los, drehte sich um und verließ das Büro, ohne noch ein einziges Wort zu sagen.

Helena war plötzlich speiübel. Keuchend stützte sie sich auf dem Schreibtisch ab, schwitzte.

>Hoffentlich habe ich Recht. Hoffentlich ist Jan keine von diesen Kreaturen!<

Kapitel 4: Geschwisterbande

Helena Kapodistrias betrat das sonnendurchflutete Atelier ihres Bruders Stavros. Er hatte sich im Dachgeschoss der Villa die Südecke umbauen lassen. Große Fenster, vom Dachfirst bis zum Fußboden und über die ganze Länge der Wand gaben dem Raum mehr Größe und Tiefe. Einige Bilder und Stauen, die Stavros fertig gestellte hatte, standen an der Wand oder in den Ecken des Raumes. Die meisten Werke waren Studien der Körperproportionen, Akte oder Landschafts­aufnahmen aus dem Fenster heraus gesehen.

Aber einige Gemälde und eine Skulptur spiegelten die Alpträume des jungen Mannes wieder. Eine gesichtslose Gestalt, gebeugt, mit einer Axt in der Hand und einem vor Blut triefenden Mund.

Die Staffelei stand in der Nähe des Fensters, das Tageslicht fiel direkt auf die Leinwand. Stavros saß auf seinem hohen Hocker, hatte die Palette in einer Hand und zwei Pinsel in der anderen. Im Mund hatte er einen Pinsel und hinter seinem rechten Ohr steckte ebenfalls einer.

Lächelnd betrachtete Helena ihren Bruder, wie er losgelöst von seiner Umwelt die Leinwand bearbeitete und mit jedem Pinselstrich, jedem Farbtupfer ein neues Gemälde schuf. Sie konnte Stavros stundenlang zusehen, es wurde nie langweilig. Im Gegenteil, es beruhigte sie regelrecht.

Nach dem gestrigen Tag, der damit endete, dass ihr Onkel sie geohrfeigt hatte, brauchte sie die ruhige Ausstrahlung, die Stavros ihr bot. Leise setzte sie sich auf das alte, zerschlissene Sofa, schlug die Beine unter und sah sich um.

Das einzige Bild, das Stavros richtig aufgehängt hatte, war ein Portrait von ihr. Das Bild hatte er vor vier Jahren gemalt, als seine Leidenschaft und Begabung für die Malerei offensichtlich wurde. Helena machte auf dem Bild einen sehr nachdenklichen Eindruck, aber auch sinnlich und verführerisch.

´So sehe ich dich, Leni! `, hatte Stavros gesagt.

Innerlich immer noch aufgewühlt, blickte Helena auf ihre Hände, die nun nicht mehr zitterten. >Er darf nie erfahren, was Onkel Dim und ich heimlich tun!<, dachte sie und schluckte hart. >Ich muss ihn schützen.<

„Was beschäftigt dich, Schwesterchen?“ Stavros hatte den Pinsel aus dem Mund genommen und benutzte ihn gerade. Er hatte eine angenehme warme Stimme, ein sanftes Lächeln umspielte ständig seinen schönen Mund. Die hellblauen Augen stachen aus dem dunklen Gesicht hervor, und die fein geschwungenen schwarzen Augenbrauen und die dichten schwarzen Locken intensivierten die Augen geradezu.

„Muss mich denn etwas beschäftigen, wenn ich dich hier oben besuche und dir beim Malen zusehe?“ Sie versuchte unbeschwert zu klingen, merkte aber selbst, dass ihr das nicht gelang.

Stavros lächelte und blickte seine Schwester an. Sein Lächeln erstarrte plötzlich und die Augenbrauen zogen sich zusammen. „Verflucht!“

Er warf die Palette und die Pinsel auf den Beistelltisch, schnappte sich seine Gehhilfe und humpelte auf seine Schwester zu. Mit einer vorsichtigen, fast zärtlichen Bewegung umfasste er ihr Kinn und hob das Gesicht zu ihm hoch, drehte es ein wenig zur Seite. Ein bläulicher Schimmer prangte auf der linken Wange und am Unterkiefer waren kleinere Abdrücke zu erkennen. „War das Onkel Dim?“

Überrascht sah Helena ihren Bruder an. „Woher weißt du das?“ Sie hatte vorgehabt, ihn anzulügen. Sie wollte ihm sagen, sie wäre gestürzt oder sie wäre überfallen worden. Aber wenn Stavros sie direkt mit irgendetwas konfrontierte, konnte sie ihn nicht anlügen.

Die Nasenflügel des jungen Mannes blähten sich empört auf. Noch nie hatte Helena ihren Bruder so wütend gesehen. „Irgendwann musste er ja mal durchdrehen!“, knurrte Stavros und ließ sich neben Helena auf das Sofa plumpsen. „Komm her, Leni.“

Stavros hob seinen Arm und Helena kuschelte sich an seine Schulter. Wie früher, als sie noch kleine Kinder waren, legte er, der jüngere Bruder, ihr, der älteren Schwester, seinen Arm schützend um sie, drückte sie fest an sich. Zärtlich strich Stavros über das lange, glatte schwarze Haar Helenas.

„Was ist passiert?“, fragte er leise, seine Lippen auf ihren Kopf gepresst.

Helena atmete den leicht schweißigen Duft ihres Bruders ein. Sie roch auch Farbe und Pinselreiniger. Und ein Parfum, das sie noch nicht an ihn kannte.

„Wer ist sie?“, fragte Helena und sah kurz in hellblaue Augen.

Stavros grinste. „Eine Kommilitonin. Nett und intelligent. Nichts Ernstes. Woher weißt du das?“

„Ich rieche ihr Parfum an dir.“

Die blauen Augen blitzten schelmisch auf. „Vielleicht sollte ich doch nicht immer die Klamotten vom Vortag anziehen.“

„Igitt, du bist widerlich!“ Helena stieß Stavros mit gespieltem Entsetzen ihre Finger in die Rippen.

„Nein, große Schwester“, lachte er. „Ich bin ein Mann! Das ist mein natürlicher Moschusduft!“

„Bäh! Es gibt wirklich Frauen, die auf so etwas stehen?“

„Mehr als du denkst. Solltest du vielleicht auch mal versuchen!“

Indigniert sah Helena ihren Bruder an. „Ich soll einen Mann suchen, der sich nicht wäscht oder ich soll mich selbst nicht waschen?“

Lachend umklammerte Stavros Helena, zog sie bäuchlings über seinen Schoß und schlug ihr auf den schlanken, festen Po. Helena quietschte auf, strampelte, lachte.

„Lass mich los du Grobian!“

„Erst, wenn du dich nicht länger raus redest und mir endlich erzählst, was passiert ist.“

Sie hatte gehofft, das Stavros nach dem Ablenkungsmanöver nicht mehr darauf zu sprechen kommen würde. Sie sah ihm sehr ernst in die Augen, die sie grübelnd und fragend zugleich anblickten. Ergeben seufzte Helena. Sie würde ihm so viel erzählen wie sie konnte, ohne dass sie das geheime Bündnis zwischen Dimítrios und ihr erwähnen musste.

„Na gut, Táwo. Onkel Dim und ich hatten gestern Vormittag einen Geschäftstermin. Wir haben Kontakt mit einem Abnehmer für unser Spezialglas geknüpft.“

Stavros entließ seine Schwester aus dem Griff und Helena rappelte sich wieder auf, blies eine Haarsträhne aus dem Gesicht und setzte sich neben Stavros. Wie so oft legte sie ihre Beine quer über seine Beine und er begann sofort, ihre Füße zu massieren. Sie erzählte ihm in allen Punkten, wie dieses Gespräch lief und das es zu einer mündlichen Vereinbarung gekommen war.

„Die Verträge werden jetzt von unseren Firmenanwälten aufgesetzt und ausgehandelt. Nächste Woche wird es dann wahrscheinlich zur Unterschrift kommen.“

Stavros hatte aufmerksam zugehört, nickte zwischendurch ein paar Mal. „Und nach dem Gespräch?“

Helena wurde unruhig, wusste aber nicht genau warum. „Cerný lud Onkel Dim und mich zum Essen ein. Onkel Dim gab vor, in der Firma zurück zu müssen.“

„Aha. Der Alte wollte also, dass du den Tschechen ein wenig aushorchst. Auf deine eigene, ganz charmante Weise.“

Helena nahm eine ihrer schwarzen Haarsträhnen zwischen die Finger und besah sich intensiv die Spitzen. „Ja.“

„Was hast du herausgefunden?“

„Nur das, was wir ohnehin schon wussten.“ Sie wich aus, wollte nicht an Jannik denken.

Stavros umfasste mit einer Hand Helenas Handgelenk. „Beschreibe ihn mal. Wie sieht er aus?“ Stavros hatte ein untrügliches Gespür dafür, im richtigen Moment das Falsche oder aber im Falschen Moment das Richtige zu sagen.

„Er ist 25 Jahre alt, eins-fünfundachtzig groß, hat blonde, kurzgeschnittene Haare, einen gepfleg­ten Vollbart und braune Augen.“ Sie klang genervt, ratterte die Beschreibung einfach runter.

„Und Dim denkt, dass du in ihm verknallt bist, deshalb hat er dir eine gescheuert?“

„Ja. In gewisser Weise. Ich meine, ich denke, dass Onkel Dim in gewisser Weise denkt, dass ich in Cerný verknallt bin.“

„Gefällt er dir?“

Überrascht sah Helena ihren Bruder an. „Er ist ein Geschäftspartner, Táwo!“

„Das habe ich nicht gefragt, meine Schwester.“ Ein wissendes Lächeln umspielte seine Lippen.

„Himmel, Táwo! Ja, Jan sieht gut aus und er ist charmant. Ein Womanizer!“

„Also gefällt er dir.“ Das war eine Feststellung.

„Das tut nichts zur Sache. Ich verliebe mich nicht in einem Geschäftspartner, das wäre unprofessionell. Ich poppe auch nicht rum, um eventuell günstigere Bedingungen auszuhandeln.“ Verärgert zog Helena die Augenbrauen zusammen.

„Warum hat dann dein Puls jedes Mal einen Hüpfer gemacht, als du von Cerný gesprochen hast?“

Verdattert blickte Helena Stavros in die Augen. Dann begriff sie. Die Hand des Bruders an ihrem Handgelenk war absichtlich so platziert. Seine sensiblen Finger hatten ihren Puls gefühlt. „Himmel, ich scheine es ja echt nötig zu haben!“

Stavros lachte auf, ließ ihr Handgelenk los. „Aber Onkel Dim sollte es lieber nicht erfahren. Er will dir doch einen reichen, griechischen, orthodoxen Christen suchen!“

Helena zog ein verdrießliches Gesicht und streckte Stavros die Zunge raus.

„Das sollte gerade ein Scherz sein“, gab Stavros nach einer Weile zu Bedenken. „Das mit dem orthodoxen Christen meine ich.“

Helena sah verlegen zur Seite. Dimítrios Kapodistrias hatte Helena vor einigen Jahren klargemacht, dass ihr Leben und ihre Zukunft ausschließlich in seinen Händen lagen. Und tatsächlich verbot Onkel Dim ihr eine Beziehung mit einem Mann, der nicht christlich-orthodox war.

 

´Affären kannst du haben, Helena!`, hatte Dimítrios gesagt. ´Wenn dir das Fell juckt wie eine räudige Katze dann such dir jemanden, der dich befriedigt. Aber keine Beziehung und absolute Diskretion. Ist das klar?`

„Großer Gott, Leni! Das ist nicht dein Ernst?“ Stavros Augenbrauen waren so zusammengezogen, dass sie einen einzigen Strich auf seiner schönen Stirn bildete. „Wir leben im 21. Jahrhundert! Du kannst selbst entscheiden, mit wem du zusammen sein möchtest und mit wem nicht!“

Helena sah ihren Bruder traurig an. „So einfach ist das nicht. Ich schulde ihm etwas!“

Verständnislos sah Stavros Helena an. „Was denn? Gut, er hat uns aufgenommen und großge­zogen, nachdem unsere Eltern ermordet worden waren. Aber wir haben immer nach seinen Regeln gelebt. Du bist eine erwachsene und intelligente Frau, Helena!“

Helena nahm ihre langen Beine vom Schoß ihres Bruders und stand auf.

„Ich will auf deiner Hochzeit eine glückliche Braut sehen, Leni. Du sollst den Mann bekommen, den du liebst, den du verdienst.“ Stavros hielt Helenas Hand fest. „Was verheimlichst du mir?“

Helena sah traurig in die Augen ihres geliebten Bruders. „Frage bitte nicht, Táwo. Ich will dich nicht anlügen müssen.“

Ihre Stimme war leise und ängstlich. Stavros stand auf, gestützt auf seiner Gehhilfe. Ernst sah er in ihre dunklen Augen, umfasste sanft ihr Gesicht.

„Schwester. Du bist alles, was mir wichtig ist. Ich habe gelernt, meine Behinderung zu akzeptieren und mit ihr zu leben. Ich könnte mit wenig Geld auskommen, wenn ich von heute auf morgen bettelarm wäre. Wenn Onkel Dim eines Tages stirbt, werde ich traurig sein, aber das Leben geht weiter.“ Stavros presste seine Stirn an Helenas, was nicht ganz einfach war, da sie fünf Zentimeter größer war als er.

„Aber wenn du unglücklich bist, bin ich das auch. Wenn dir etwas geschehen sollte, dann …. Ich weiß nicht, wie ich ohne dich weiterleben könnte.“

Erschrocken sah Helena in die vertrauten Augen, sah Tränen. Rasch umarmte sie ihren Bruder. „Du bist für mich ebenfalls der wichtigste Mensch in meinem Leben, Táwo! Niemand kennt mich so gut wie du. Aber nach dieser schrecklichen Nacht damals habe ich geschworen, dich für den Rest meines Lebens zu beschützen. Und nicht nur vor Dämonen!“

Ein verzweifeltes Lächeln umspielte Stavros Lippen, als er kopfschüttelnd seine Schwester ansah. „Es gibt keine Dämonen. Der Mörder unserer Eltern war ein realer Einbrecher, kein über­natürliches Wesen.“

Helena hätte ihm gern gesagt, dass sie und Onkel Dim seit einigen Jahren auf Dämonenjagd waren und seitdem drei Vampire zur Strecke gebracht hatten.

Aber sie schwieg.

Aus Scham!

Kapitel 5: Wer ist der Feind?

Jannik Cerný stellte gerade vier Gläser auf der Theke seiner Küche bereit, als es klingelte. Mit ein paar langen Schritten war er an der Wohnungstür seines Lofts und sah auf den kleinen Monitor, der an der Gegensprechanlage neben der Tür hing. Eine kleine Frau mit langen Haaren sah direkt in die Kamera und grinste breit.

„Sie weiß einfach, wie man auftritt!“, murmelte Jannik bewundernd und drückte auf den Knopf um die Haustür zu öffnen. Fünf Sekunden später öffnete er die Wohnungstür und prallte zurück. „Gott!“

Die Frau musste die Treppen wahrlich hochgeflogen sein, denn knappe Einmetersechzig grinsten ihn von unten sehr breit an. „Es reicht, wenn du mich Rona nennst, Jan.“ Eine Stimme so klar wie eine Gebirgsquelle tropfte ihm entgegen und der Duft von wildem Thymian stieg ihm in die Nase.

„Bescheidenheit lag dir noch nie, Rowena Mc Dougall!“, stellte Jan fest und nahm die kleine Frau in seine Arme. Sie lachte ein helles Lachen und küsste ihn lange auf die Lippen und er erwiderte den Kuss ebenso innig.

„Wie lange ist es her?“, fragte Rowena, nachdem Jannik sie auf den Boden gestellt hatte.

Jannik überlegte kurz. „Etwa fünfzig Jahre. Damals trafen wir uns in Florenz. Eine Ewigkeit ist das her.“

Rowena lächelte verschmitzt. „Für dich mag es ewig her sein. Für mich war es gestern.“

„Angeberin!“ Seine Beleidigung klang zärtlich.

Rowena Mc Dougall war eine zarte Erscheinung. Ihre geringe Körpergröße und der zarte Körperbau erweckten in jedem Mann, der ihr begegnete den Wunsch, sie zu beschützen. Sie hatte ein rundliches, eher blasses Gesicht, umrahmt von honigblondem Haar. Einen kleinen, immer roten Kussmund und wie alle ihrer Art wunderschöne, perfekt geformte und strahlend-weiße Zähne. Aber das Schönste und zugleich Auffälligste an ihr waren die Augen. Sie waren von einer tiefvioletten Färbung, wie sie es nur ganz selten auf der Welt gibt.

„Ich muss schon sagen, Jan. Du hast Geschmack. Und zwar in jeder Epoche!“ Anerkennend inspizierte Rowena das Loft ihres alten Freundes.

„Danke. Aus deinem Mund ist das wirklich ein Kompliment, Rona.“

Überall lag helles Parkett, hier und da durch eine Teppichbrücke aus edler Faser unterbrochen. Moderne Möbel, teils rot lackiert, teils schwarz abgesetzt. Alles aufeinander abgestimmt. Die Sitzelemente waren ebenfalls modern, entsprachen aber den Anforderungen für ein gesundes Sitzen inklusive Bequemlichkeit. Weiches rotes Leder mit schwarzen Applikationen luden zum Sitzen und einiges mehr ein.

„Wie ich dich kenne wirst du hier schon den einen oder anderen One-Night-Stand gehabt haben.“

Jannik lachte auf. „Auch wenn du mir nicht glaubst, die Putzfrau war bisher die einzige Dame, die diese Räume betreten hat, seitdem ich hier wohne.“

Überrascht sah die Frau Jan an. „Bist du abstinent oder hast du endlich die Richtige gefunden?“

Jannik führte Rowena auf die Dachterrasse. Es war kalt und im Westen ging die Sonne gerade in einem herrlichen Abendrot unter. Die beiden Vampire spürten die Kälte aber nicht. Sie konnten Temperaturschwankungen von Minus 20° Celsius bis Plus 60° Celsius mühelos überstehen.

„Weder noch.“ Er dachte kurz an eine dunkelhaarige, griechischstämmige Frau, die er gestern kennen gelernt hatte. Dann schüttelte er den Kopf. „Ich möchte nur meine … Eroberungen nicht hierher bringen, dass ist alles.“

Schalkhaft sah sie ihn von unten her an. „Ich bin doch hier“, sagte sie mit einem Unterton, der ihm deutlich machte, dass Rowena durchaus für ihn zu haben war.

Jannik zog amüsiert eine Augenbraue hoch. „Rona, du kannst mich gerne für einen Schuft halten. Aber deine Freundschaft ist mir viel wichtiger als eine heiße Affäre mit dir. Und die hatten wir. Mehrfach sogar.“

Theatralisch fasste sich die schöne Frau an den wohlgeformten Busen, in etwa da, wo ihr Herz schlug. „Autsch! Das war ein mordsmäßiger Pfeil.“

>Mir bedeutet unsere Freundschaft auch sehr viel, Jan. Du bist mir wichtig.<

Die Wärme, die Rona ihm mit ihren Gedanken schickte, ließ ihn zutiefst glücklich lächeln. Jannik umarmte die kleine Frau und presste seine Lippen auf ihr duftendes Haar.

„Für ´ne alte Frau riechst du verdammt gut!“, neckte er sie. Zur Strafe boxte sie ihm in die Rippen und eine der Rippen knackte tatsächlich verdächtig. Schmerz durchzuckte Jans Körper und er zog zischend die Luft ein. „Okay okay! Das habe ich verdient!“, quetschte er hervor und ließ Rowena los, rieb sich die Rippe, die schon wieder im Begriff war zu heilen.

„Niemals solltest du eine Frau auf ihr Alter ansprechen, Jannik Cerný!“, ermahnte Rowena ihn mit einem Lachen in den Augen. „Auch wenn die Frau älter ist als deine Religion!“

Rowena Mc Dougall, wie sie sich seit ein paar Jahrhunderten nannte, wurde im Jahre 63 vor Christi Geburt im heutigen Schottland geboren. Sie war eine Piktin, eine Bemalte vom alten Stamm. Und sie war eine Schamanin!

Eine der mächtigsten Vampire auf der ganzen Erde.

„Wen erwartest du noch?“

Jannik atmete tief durch, rieb sich dabei weiter seine Rippe. „Tristan Kadian und Tobias Kerner, beide sehr gute Freunde von mir und absolut zuverlässig.“

Rowena nickte. „Tris kenne ich. Sogar länger als ich dich kenne, mein Herz.“ Sie grinste ihn wieder anzüglich an.

Jannik konnte der Frau nicht lange böse sein und grinste zurück. Er war froh, dass Verletzungen dieser Art praktisch sofort wieder heilten.

„Aber Tobias Kerner kenne ich nicht.“

„Du wirst ihn mögen, glaube mir.“

In dem Moment klingelte es wieder und Jannik ging erneut zur Eingangstür. Im Monitor sah er, dass die beiden Männer, auf die er gewartet hatte, zusammen ankamen. Die beiden gingen die drei Stockwerke in einem normalen Tempo hinauf und Jannik sah Rowena, die es sich auf dem Sofa bequem gemacht hatte, mit hochgezogener Augenbraue an.

„Siehst du, Rona. So kann man auch die Treppen hochgehen!“

„Werde nicht frech, Tscheche! Sonst wende ich ein klein bisschen meiner Schamanenkunst an dich an.“ Dabei machte sie mit ihrem Zeigefinger eine langsame Abwärtsbewegung und sah deutlich auf Janniks Genitalbereich.

Jannik nickte. „Ja. Das traue ich dir durchaus zu.“

Tobias Kerner betrat als erster das Loft und streckte Jan seine erhobene rechte Hand hin. Jannik ergriff sie mit einem lauten Klatscher, die Männer umarmten sich, wie Männer es eben tun und klopften sich kurz auf den Rücken.

Der zweite Mann, der das Loft betrat, hätte der Zwillingsbruder von Tobias sein können. Schlank, schmale Hüfte, langes, dunkelblondes Haar mit hohem Haaransatz und grünbraune Augen. Die Nase etwas länger als die von Tobias, aber ebenso schmal und gerade. Die Lippen für einen Mann ungewöhnlich voll und sinnlich. Nur war Tristan Kadian gut zwanzig Zentimeter größer und die Bewegungen und die Körperhaltung erinnerten weniger an einen Tänzer als an einen Schwertkämpfer.

Beim zweiten Hinsehen sah man die Unterschiede im Gesicht. Die Augen von Tobias lagen etwas weiter auseinander. Der Ausdruck war eher melancholisch. Bei Tristan lag eine gewisse Kälte in den Augen, ein grausamer Zug umspielte seinen Mund. Er lachte selten.

Er war einst ein Krieger.

Und war es noch heute.

Auch Jannik und Tristan begrüßten sich auf die gleiche Art und Weise wie zuvor Jan und Tobi.

„Tobi, du kennst Rowena Mc Dougall wahrscheinlich noch nicht. Rona, das ist mein Freund Tobi.“

Tobi hatte sich, bevor er das Wohnzimmer betrat in einer fließenden Bewegung die Schuhe ausgezogen und ging lächelnd auf die Frau zu.

„Ich habe schon sehr viel von Ihnen gehört, Miss Mc Dougall.“ Er ergriff ihre Hand und verbeugte sich kurz, sah ihr dabei aber direkt in die violetten Augen.

Rowenas Augen flackerten kurz hell auf, sie lächelte herzlich zurück. „Es freut mich ebenfalls. Aber ich denke, wir sollten uns duzen.“

Tobias grinste breit und seine Augen wurden einige Nuancen heller. Er roch das Interesse der Frau an seine Person, verschloss aber instinktiv seine Gedanken vor ihr. Was dann kam, überraschte ihn allerdings sehr.

Tristan schubste Tobias sanft zur Seite, beugte sich über die Frau und nahm sie einfach hoch, in dem er seine Hände unter ihren Po schob und sich dann aufrichtete. Dann drückte der große Vampir seine Lippen auf Rowenas, tauchte seine Zunge in ihren Mund. Rowena war zuerst überrascht, doch dann erwiderte sie den Kuss und genoss den Geschmack des Mannes, den sie seit etwa einhundert Jahren nicht mehr gesehen hatte.

„Ähm, ich kann euch beiden gerne das Gästezimmer nachher anbieten, Freunde!“, ließ Jannik sich vernehmen. Er hatte seine Arme gekreuzt und betrachtete das Schauspiel, das sich ihm gerade bot, höchst amüsiert. Zumal der Anblick von Tobias, der mit offenem Mund daneben stand und Tristan und Rowena regelrecht anglotzte, ein Bild für Götter war.

„Wir sollten erst einmal über den Grund unseres Treffens reden, Leute!“, versuchte es Jannik erneut, als Rowena und Tristan sich immer noch nicht lösten.

>Hey!< Jannik hatte genug, schickte einen energischen Impuls an Tristan.

Langsam lösten sich Tristans Lippen von den Lippen der Frau. Rowenas Gesicht glühte und die Augen leuchteten hellviolett. „Das nenne ich mal eine Begrüßung“, keuchte sie atemlos und leckte sich über die Lippen.

„Wir haben uns fast hundert Jahre nicht gesehen, Ro.“ Die Bassstimme des Franzosen mit dem entzückenden Akzent erfüllte den Raum und bewirkte, dass Rowenas Augen auf Halbmast gingen.

 

Jannik hatte genug. Er steckte zwei Finger in den Mund und pfiff. Indigniert drehte sich Tristan langsam um, hatte die Frau immer noch im Arm. Ein Lächeln stahl sich auf seine Lippen, als er registrierte, dass Tobias ihn in höchstem Maße erstaunt und Jannik ihn äußerst genervt ansah.

„Probleme?“, fragte er leichthin und setzt Rowena wieder auf das Sofa ab, ganz sanft.

„Tris, ich glaube ich weiß noch verdammt wenig von dir“, bemerkte Tobi und kratzte sich am Hinterkopf.

Tristan schenkte seinem Freund ein breites Lächeln, zeigte dabei seine scharfen Zähne. „Selbstverständlich.“

„Möchte jemand etwas trinken oder etwas Spezielles haben?“, fragte Jannik und ging zur Bar.

„Hast du zufällig AB Negativ hier?“, fragte Rowena.

Jannik lächelte. Er wusste, dass diese seltene Blutgruppe nicht nur Rowenas Lieblingsblut war. Es war das einzige Konservenblut, das sie sättigte, ohne noch zusätzlich lebende Menschen beißen zu müssen. Offensichtlich ging bei einer Blutspende in einen Blutbeutel bei den Blutgruppen 0, A und B ein Enzym oder Eiweiß verloren, dass Rowena dringend brauchte, um bei perfekter Gesundheit zu bleiben. Bei der Blutgruppe AB passierte das nicht und Negativ hatte einfach einen edleren Geschmack als Positiv.

Zu dumm nur, dass AB eine relativ seltene Blutgruppe war, wobei der Rhesusfaktor positiv dabei häufiger vorkam als negativ.

„Na klar, Rona. Habe ich extra für dich besorgt.“

„Du bist ein Schatz, Jan.“

„Ich hätte gern einen Beaujolais“, sagte Tristan.

„Ich auch, Jan“, schloss sich Tobias an und setzte sich auf einen der Sessel, da Tristan sich neben Rowena gesetzt hatte und den Arm um sie legte.

Jannik goss den Wein in zwei Gläser, holte zwei Blutbeutel aus dem anderen Kühlschrank unterhalb des Tresens, der nur mit einer bestimmten Zahlenkombination wie bei einem Tresor zu öffnen war und goss den Inhalt vorsichtig ebenfalls in zwei Gläser. Dann brachte er das kleine Tablett geschickt zum Couchtisch, verteilte die Getränke, nahm sich sein Glas mit der Blutgruppe B und setzte sich in den zweiten Sessel. Schmunzelnd sah er zu Tristan und Rowena.

„Ich bin wirklich überrascht, Tris. Aber angenehm überrascht. Warum hast du nie etwas gesagt?“

Tristan kräuselte süffisant die Lippen. „Ein Kavalier schweigt, Jan.“

Jannik wurde fast so rot wie das Blut in seinem Glas. Rasch trank er einen kräftigen Schluck, leckte sich über die Lippen.

„In Berlin geht ein Vampirjäger um“, begann er und stellte das Glas auf den Tisch. „In den vergangenen Epochen gab es immer wieder Sterbliche, die von unserer Existenz erfuhren. Oft wurden wir gejagt. Aber in letzter Zeit hatte sich die Lage für uns weltweit weitestgehend entspannt.“

„Ja, das ausgehende 20. und beginnende 21. Jahrhundert hat einen wahren Vampir-Boom erfahren. Ausgelöst durch Literatur und Filme.“ Rowena kuschelte sich an Tristan, als ob keine einhundert Jahre zwischen der letzten Begegnung und dieser lagen. Dabei nippte sie an ihrem Blut. „Der Spender ist ein ausgezeichneter Jahrgang und sehr gesund!“, bemerkte sie anerkennend.

„Tobi hatte einen Traum. Besser gesagt er hatte diese Art Traum schon dreimal. Erzähl ihnen, was du mir gezeigt hast.“ Jannik sah seinen Freund auffordernd an.

Tobias überlegte kurz, dann schüttelte er den Kopf. „Gebt mir eure Hände. Dann zeige ich es euch. Du auch, Jan.“

Rowena runzelte die Stirn, aber Neugierde breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Sie stellte ihr Glas auf den Tisch und reichte Tobias ihre Hand. Tristan und Jannik taten es ihr nach. Sie bildeten einen Ring. Tobias Kerner schloss die Augen, holte tief Luft und ließ die Erinnerungen an den Träumen ihren Lauf.

Schmerz.

Demütigung.

Qual.

Folter.

Blut.

Wunden, die sich nicht schlossen.

Endgültiger Tod.

Mit einem würgenden Laut riss sich Tristan los, zog sich zitternd in seine Ecke des Sofas zurück. Seine Augen, sonst eher schmal, waren weit aufgerissen und leuchteten obsidianschwarz.

Jannik hatte die Bilder schon einmal gesehen, doch dieses Mal hatte Tobias auch die Empfindungen von zwei weiteren Vampiren hinzugefügt. Schwer atmend zog sich Jan ein wenig zurück.

Rowena behielt die Hand von Tobias einen Moment in ihrer. Sie sah in das hübsche Gesicht von Tobias, wartete darauf, dass er die Augen öffnete. Als er sie öffnete, sah sie eine ebenfalls obsidianschwarze Fläche, aber sie blickte auch kurz dahinter. Und holte erstaunt Luft.

Tobias sah sie flehend an. >Bitte nicht!<, sendete er ihr direkt.

Rowena nickte. >Später müssen wir reden, in Ordnung?<

>Ja.<

„Verdammt, welches Schwein tut so etwas?“, fragte Tristan. In seiner Stimme war ein tiefes Knurren, dass seiner Bassstimme noch etwas zusätzlich Bedrohliches gab. Erschüttert griff er nach seinem Weinglas und leerte es mit einem Schluck.

„Das sollten wir versuchen herauszufinden und dann denjenigen stoppen.“ Jan schlug sein Bein über das andere und legte seine Fingerspitzen dachförmig zusammen.

„Und wie?“, fragte Rowena.

„Der beste Anhaltspunkt, den wir haben, ist Leclerc. Er ist das letzte Opfer.“

Rowena schnalzte mit der Zunge. „Ich mochte ihn zwar nicht, aber einen solchen Tod hat er nicht verdient“, sagte sie leise.

„Ich glaube, niemand mochte ihn wirklich“, ergänzte Tristan. „Aber ich gebe dir Recht. Das war barbarisch.“

„Uns zu jagen und zu töten ist eine Sache.“ Jan blickte ins Leere, runzelte die Stirn. „Aber Folter?“

„Sag ich doch“, knurrte Tristan.

„Wir müssen versuchen herauszufinden, was Leclerc als letztes gemacht hat und wo. Vielleicht auch mit wem.“ Rowena versuchte die Angelegenheit so neutral als möglich anzugehen.

„Richtig. Vorgestern hätte er einen Termin mit mir in der Firma gehabt. Um zehn Uhr morgens. Um vierzehn Uhr kam Tobi in mein Büro und erzählte mir von seiner Vision. Ich meine, er zeigte sie mir.“

„Du hattest diese Vision in der Nacht zuvor?“, fragte Rowena.

„Ja“, antwortete Tobias. „Etwa gegen drei Uhr morgens. Ich nehme an, dass das der Todeszeitpunkt war und ich einfach nur ein geballte Ladung Schmerz empfing.“

„Wann hattest du das letzte Mal davor mit Leclerc gesprochen, Jan?“

Er überlegte kurz. „Am Vortag, also vor drei Tagen. Leclerc war schon in Berlin, einen Tag früher als verabredet. Er meinte, er wolle das Berliner Nachtleben genießen.“

„Persönlich oder telefonisch?“

Jannik musste insgeheim über den analytischen Verstand von Tristan lächeln, hütete sich aber, es offen zu tun. Der Krieger hatte viele Schlachten geschlagen, wortwörtlich. Und oft führten seine Taktik und seine Präzision zum Ziel.

„Telefonisch. So gegen 15 oder 15 Uhr 30. Er ist in einem Hotel in der Nähe des Potsdamer Platzes abgestiegen.“

„Warst du schon da und hast dich umgesehen?“

Jannik schüttelte den Kopf. „Alleingänge halte ich in der Situation für zu gefährlich.“

Tristan grinste schief. „Kluges Kerlchen.“

„Danke, alter Mann.“

Tristan Kadian wurde in Lothringen im Jahre 1162 geboren. Er war ein Kreuzritter gewesen und wurde von einem bösartigen Vampir gegen seinen Willen gewandelt, nachdem Tristan ihn in einer Schlacht bei Akkon im Jahre 1191 besiegt hatte.

„Hast du eine Ahnung, wo er sich ins Nachtleben stürzen wollte?“, fragte Tobias. Er hatte inzwischen sein Glas in die Hände genommen, ließ es vorsichtig zwischen seinen Handflächen hin und her gleiten. Dabei vermied er es, Rowena anzusehen.

„Er bevorzugte das ´Psycho` und das ´Everage`. Aber ich weiß nicht, ob die dieses Mal auf seinem Weg lagen.“ Jannik spürte, dass zwischen Rowena und Tobias etwas vorging, vermied es aber aus Respekt gegenüber seinen Freunden in ihre Gedanken einzutauchen. Wenn es wichtig war, würde er es schon erfahren.

„Ich denke, dass ist doch mal ein Anfang“, meinte Tristan. „Ich schlage vor, dass ihr beide die beiden Clubs besucht und Rowena und ich das Zimmer von Leclerc durchsuchen. Was haltet ihr davon?“

Schmunzelnd blickte Tobias in Tristans Augen. „Zimmerdurchsuchung. Schon klar!“

Tristan sah Tobias an, als ob er ihn gleich ohrfeigen würde. Rowena hingegen konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.