Alexanders letzter Traum

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Ich hatte in dieser Nacht zusammen mit Attalos Dienst vor Alexanders Gemächern in Aspendos und wir hatten uns die Zeit damit vertrieben, indem wir dem Würfelspiel huldigten und mein Freund verlor ein gutes thessalisches Pferd, das seitdem Phokis als Leibtier dient. Als es Zeit war, den König zu wecken, ging ich in sein Schlafgemach. Als ich an sein Lager treten wollte, sah ich auf seinem Kopf einen Vogel. Die Schwalbe sah mich mit geneigtem Kopf an und schien keine Angst vor mir zu haben. Sie schilpte, flog jedoch nicht davon. Alexander erwachte und sah erstaunt hoch und ich deutete auf sein Haupt. Nun bemerkte er, dass sich ein Vogel auf seinem Kopf einnisten wollte und fuhr sich durchs Haar. Die Schwalbe flog kurz auf und setzte sich wieder auf seinen Kopf.

„Was für ein mutiger kleiner Kerl“, staunte der König.

„Muss irgendetwas zu bedeuten haben.“

„Geh und hol den Priester.“

Ich verließ das Schlafgemach. Attalos sah mich fragend an und ich sagte ihm, was los war, und wir liefen zu Aristander und erzählten ihm die seltsame Geschichte. Er trommelte Wahrsager, die Gefährten und sogar Kallisthenes zusammen und wir gingen zu Alexanders Schlafgemach zurück. Und tatsächlich, noch immer lag Alexander auf seinem Lager und hatte die Hand ausgestreckt, und auf seinem Arm lief die Schwalbe auf und ab und schilpte dabei. Obwohl sich der Raum nun mit Männern füllte, ließ sich der Vogel nicht stören und konzentrierte sich allein auf Alexander.

„Aristander, was hat das zu bedeuten?“ flüsterte Alexander.

„Hm, die Schwalbe ist ein geselliges Tier. Sie lebt bei den Menschen.“

„Aber so ein geselliges Tier habe ich noch nicht erlebt.“

„Es ist eine Botschaft!“ drängte sich Kallisthenes vor. Sein eingefallenes Gesicht mit der Pergamenthaut nickte eifrig.

„Schön. Aber was für eine?“ fragte Alexander seufzend.

Er mochte Kallisthenes nicht besonders. Aber dieser war ein Neffe des Aristoteles, seines geliebten Lehrers, und er hatte sich den Kerl aufschwatzen lassen, damit er den Griechen von dem Feldzug berichtete und bisher hatte er seine Sache auf zu Alexanders Zufriedenheit erledigt. Ich fand seine Berichte ein wenig schmalzig. Ich wusste, was Kallisthenes nicht wusste, dass Alexander dem Eumenes jeden Abend sein Tagebuch diktierte, um die Ereignisse aus seiner Sicht festzuhalten.

„Ich glaube, er will dich warnen“, sagte Kallisthenes.

„Wovor?“

Kallisthenes zuckte mit den Achseln.

„Ich werde sofort den Göttern opfern und die Leber lesen“, beeilte sich Aristander zu versichern. So ganz wohl fühlten sie sich nun alle nicht.

„Vielleicht will er dich im Auftrag der Göttervor dem Großkönig warnen“, mutmaßte Philotas, der sich auch ins Schlafgemach gedrängt hatte. „Vielleicht sollten wir doch auf seine Verhandlungsangebote eingehen. Wenn er wirklich ein so großes Heer zusammenzieht, warnen dich die Götter zu Recht.“

„Du redest wie dein Vater. Nein, ich warte doch nur darauf, dass sich Dareios endlich stellt. Wir fürchten die Launen der Götter, aber nicht die Zahl seiner Männer.“

Philotas bekam einen roten Kopf und verteidigte sich wütend.

„Ich fürchte mich nicht. Allerdings verschließe ich mich auch nicht den Realitäten. Wenn das Heer so groß ist, wie man hört, werden wir Schwierigkeiten bekommen und wir werden alles verlieren, was wir gewonnen haben.“

„Aber wenn wir siegen, können wir die Welt gewinnen!“ widersprach Alexander lächelnd. Damit hatte er Philotas den Mund gestopft, und dieser zog beleidigt ab.

Der Vogel blieb noch bis zum Abend im Schlafgemach, ehe er in die Freiheit davon flog. Alexander war ganz froh darüber, denn Schwalbenmist im Schlafraum kann ganz schön lästig werden. Die Wahrsager und Leberdeutung des Aristander brachten auch keine tolle Erklärung. Das mit der Warnung der Götter war von Philotas gar nicht einmal so schlecht geraten, wie sich ein paar Tage später herausstellte.

Es war mein Vater, der die Überraschung präsentierte. Er kam im Auftrag des Parmenion und hatte nun die Plakette eines Hauptmanns auf dem Brustpanzer, war also im Dienst des großen Generals weiter aufgerückt. Nun ja, meinen Rang hatte er damit noch nicht erreicht. Denn als Gefährte und Verwandter des Königs war ich in der priviligiertesten Stellung, die überhaupt denkbar ist. Hinzu kam, dass Alexander aufgrund des Vorfalls mit Memnon und noch mehr in Dydima mich als den Botschafter des Apollon bezeichnete.

Also, mein Vater spazierte mit selbstbewusster triumphierender Miene in die Empfangshalle, nachdem ihn Attalos lang genug hatte warten lassen. Er stieß einen gut aussehenden jungen Perser vor sich her und gab ihm einen Tritt, so dass er vor Alexander auf die Knie fiel.

„Was soll das?“ fragte Alexander aufgebracht, der so rüpelhaftes Benehmen in seiner Umgebung nicht duldete.

„Der hier kommt vom Großkönig!“ sagte mein Vater.

„Noch eine Botschaft für mich?“

„Nein. Für Alexander Lynkestes.“

„Ach ja?“ sagte Alexander und kniff die Augen zusammen.

„Er heißt Sisines. Und bringt die Antwort auf einen Brief des Lynkestes.“

Wir sahen uns betroffen an. Mit dem Lynkestes war das so eine eigene Sache. Er war nicht nur der Anführer der thessalischen Reiter, sondern ein wirklicher Verwandter des Königs, der sogar Ansprüche auf den Thron hätte geltend machen können. Er hatte die Säuberung nach Alexanders Thronbesteigung nur deswegen überstanden, weil er in der Heeresversammlung als erster Alexander als Nachfolger Philipps ausgerufen hatte. Mein Vater reichte Alexander einen Brief und Alexander las ihn und wurde bleich und gab ihn mir.

„1000 Talente und die makedonische Krone, wenn Lykestes mich umbringt“, sagte er düster.

Ich überflog den Papyrus, der dies bestätigte und reichte ihn an die anderen Gefährten weiter. Mein Vater reckte sich stolz, als er mit so unerhörter Nachricht im Mittelpunkt des Interesses stand.

„Es ist gut!“ sagte Alexander zu meinem Alten und gab Perdikkas einen Wink. „Versorge ihn gut. Er kann morgen zu Parmenion mit meiner Antwort zurück reiten. Ruf die Heeresversammlung zusammen.“

Da ich dieser nicht angehörte, machte ich mich mit Phokis zu dem Quartier auf, das man meinem Vater zugewiesen hatte. Ich traute dem Alten nicht und wollte ihm ein wenig auf den Zahn fühlen.

Aspendos war eine griechisch geprägte Stadt, obwohl die Bevölkerung sehr gemischt war. Als wir vor dem Palast ankamen, der als Gästehaus für die vielen Delegationen diente, die täglich aus Griechenland eintrafen, sahen wir Philotas herankommen. Die Heeresversammlung war also bereits beendet. Dass Parmenions Sohn nun gleich meinen Alten aufsuchte, verringerte nicht gerade mein Misstrauen gegenüber meinem Erzeuger. Wir versteckten uns hinter den Säulen eines Artemistempels.

„Ich möchte zu gerne Mäuschen sein und wissen, was die beiden zu bereden haben.“

„Vielleicht will er gar nicht zu Anthes. Es sind auch noch andere Gäste hier einquartiert.“

„Und wenn doch?“

„Wenn du willst, gehe ich über die Mauer. Vielleicht kann ich die beiden belauschen.“

Schon lief mein wackerer Riese auf die andere Straßenseite und verschwand im Schatten des Palastes. Wenig später sah ich ihn bereits hinter der Mauer die Hauswand hochklettern und sich in einen Säulengang hinein schwingen. Ich schwitzte ein wenig, obwohl es Winter und die Nächte entsprechend kalt waren. Ich fürchtete um meinen braven Freund und Diener. Wenn mein Vater ihn erwischte, würde er ihn sofort töten. Aber meine Ängste waren unbegründet. Kurz nachdem Philotas den Palast wieder verlassen hatte, tauchte auch Phokis wieder auf.

„Hast du etwas erfahren können?“

Er grinste mir verschwörerisch zu.

„Ganz werde ich nicht klug daraus“, sagte Phokis nach einer Kunstpause. „Philotas machte deinem Alten heftige Vorwürfe, warum er mit so einer halbgaren Geschichte bei Alexander auftauchen würde. Im Rat wären die Meinungen ziemlich auseinander gegangen. Hephaistion sowie Nearchos und Perdikkas wollten den Lynkestes gleich vor ein Speerkommando stellen. Ptolemaios, Seleukos und Lysimachos waren dagegen und erinnerten, wie loyal Lynkestes bisher gewesen sei. Alexander habe die Angelegenheit erst einmal vertagt. Dein Alter stand etwas ungünstig, so dass ich ihn schlecht verstehen konnte. Aber so viel habe ich mitbekommen: Parmenion ist der Meinung, dass mit der Verurteilung des Lynkestes ein wichtiger Thronanwärter ausgeschaltet wäre, sollte Alexander etwas passieren.“

„Und was sagte Philotas dazu?“

„Die Situation könne bei Alexanders Achilleusspielerei immer auftreten.“

Welchen Vorteil hatte Parmenion von dieser Intrige? Oder war es keine? Alexander kannte doch das Siegel des Großkönigs. Er musste doch wissen, ob der Brief des Großkönigs echt war. Ich konnte mir keinen Reim aus der Geschichte machen.

Wir eilten zu dem Palast, der Alexander als Residenz diente. In den Gemächern des Königs traf ich ihn noch mit den Gefährten an. Als er mein ernstes Gesicht sah, verstand er sofort und tat so, als sei er plötzlich müde und löste die Tafel auf.

„Was hast du, Leonnatos?“ fragte er und ließ sich in seinem Schlafgemach aufs Bett fallen, und ich erzählte ihm, was Phokis erfahren hatte.

„Ich werde daraus nicht klug!“ schloss ich meinen Bericht.

„Das Siegel ist zweifellos das des Dareios. Vielleicht hat den Großkönig eine gefälschte Nachricht erreicht und Dareios ist darauf hereingefallen und natürlich ist es ein Königreich wert, wenn ich nicht mehr da bin.“

„Aber wer hat das eingefädelt? Wer ist so perfide? Doch nicht Parmenion. Der ist zu gerade für solche Geschichten.“

 

„Ja. Eigentlich ist er mir treu ergeben“, stimmte Alexander zu. „Er ist manchmal etwas widerborstig, aber ein gerader Halm. Aber Tatsache ist, dass bei meinem Tod Parmenion durchaus Chancen hätte, mein Nachfolger zu werden. Parmenion ist sehr beliebt bei meinen Makedonen. Mit Lynkestes’ Tod gäbe es einen Thronanwärter weniger.“

„Vielleicht hat jemand in seiner Umgebung diese Intrige eingefädelt, nur um höher zu steigen, wenn Parmenion höher steigt.“

„Du hast jemanden im Auge?“

„Nein“, gestand ich. Aber dies war eine Lüge. Aber ich wollte nicht derjenige sein, der aufgrund vager Verdächtigungen den eigenen Vater ans Messer lieferte. Doch so eine Intrige war ihm zuzutrauen, genau so wie meinem Bruder Antiochios.

Alexander ahnte, dass ich einen Verdacht hatte, mich jedoch scheute diesen auszusprechen und lächelte schließlich.

„Dein Vater? Aber wir haben keine Beweise, nicht wahr?“

„Nein. Nur Vermutungen.“

„Dafür ist dein Vater ein zu kleines Licht. Ich weiß ja, dass es zwischen euch nicht stimmt. Aber ich bin mir sicher, dass dein Verdacht unbegründet ist. Ich werde deinen Vater morgen mit einem Brief zurückschicken, der Parmenion beruhigt und ihm seine übergroße Sorge abnimmt.“

Aber ich nahm mir vor, meinen Vater im Auge zu behalten. Ich traute ihm durchaus zu, auch ohne Wissen des Parmenion diese Sache eingefädelt zu haben.

„Und was geschieht mit Lykestes?“

„Den bringst du jetzt zu mir.“

„Weiß er davon?“

„Nein. Offiziell weiß er nichts davon. Er wird sich natürlich gewundert haben, dass er zur Heeresversammlung nicht geladen wurde. Er hat bereits Hephaistion gebeten, dass er mich sprechen will. Er wird schlimme Stunden ausgestanden haben. Bring ihn jetzt hierher.“

Ich ging zu Lynkestes, der im benachbarten Palast sein Quartier hatte. Als ich mich bei seinem Diener meldete, wurde ich sofort vorgelassen. Lynkestes sah fürchterlich aus. Er hatte getrunken. Mit schreckensweiten Augen sah er mich an.

„Was geht hier vor, Leonnatos? Warum werde ich von allem ausgeschlossen? Die Gefährten des Königs meiden mich. Alle schauen mich an, als habe ich eine schlimme Krankheit.“

„Alexander will dich sprechen. Aber in dem Zustand kannst du nicht zu ihm. Steck deinen Kopf in kaltes Wasser.“

„Sag, was ist los. Was passiert hier?“

„Alexander wird dir alles erklären.“

Er verschwand mit seinen Dienern und Masseuren und nach einer Stunde war er halbwegs präsentabel, so dass ich mich mit ihm zum König begeben konnte. Schweigend gingen wir zu Alexander hinüber. Er hatte wohl begriffen, dass ich nichts sagen würde und unterließ es mich mit Fragen zu traktieren. Als ich mit ihm Alexanders Gemach betrat, diktierte dieser gerade dem Eumenes seine Tagebucheintragung.

„Einen Moment noch“, sagte er und diktierte, dass er eine seltsame Nachricht von Parmenion bekommen habe, die Rätsel aufwerfe. Dann schickte er den Schreiberling hinaus.

„Also, mein lieber Lykestes, ich habe Sorgen mit dir“, sagte Alexander unumwunden und reichte ihm die Rolle des Dareios und dieser las sie und wurde abwechselnd bleich und rot.

„Das kann doch nicht wahr sein! Das sind Lügen!“ stammelte er.

„Das darf nicht wahr sein!“ korrigierte ihn Alexander.

„Es ist nicht wahr!“ beteuerte Lynkestes und warf die Rolle auf den Tisch.

„Das sagt auch mein Herz“, bestätigte Alexander. „Unser Leonnatos glaubt, dass eine Intrige dahinter steckt. Andere beschwören mich, die Angelegenheit ernst zu nehmen. Wenn ich die Heeresversammlung heute hätte abstimmen lassen, wärst du zum Tode verurteilt worden. Einige sind nämlich der Meinung, dass du wie deine Brüder nach meinem Thron schielst.“

„Nein. Niemals!“

„Das möchte ich dir auch gern glauben. Aber dieser Brief des Dareios ist echt. Da gibt es keinen Zweifel. 1000 Talente und ein Königreich für meinen Tod. Der Großkönig ist nicht kleinlich.“

„Was kann ich tun, um ….“

„…den Verdacht abzutun?“ fragte Alexander traurig.

„Ja. Ich schwöre dir bei allen Göttern….“

„Nein, Lynkestes. Schwöre nicht. Ich will glauben, dass du unschuldig bist. Natürlich kannst du nicht mehr die thessalischen Reiter anführen, das wirst du einsehen. Du wirst den Feldzug erst einmal als …. Privatmann mitmachen. Wenn Gras über die Geschichte gewachsen ist, kann ich dich vielleicht bei den Proviantgenerälen einsetzen. Aber sonst wird dir nichts geschehen.“

„Kann ich dir nicht wenigstens bei den Gefährten zu Fuß dienen?“

„Nein. Niemals kann ein Lynkestes ein einfacher Soldat sein! Nun geh. Dir wird es an nichts fehlen. Aber die thessalischen Reiter werden von nun an … von Philotas befehligt!“

Diese Entscheidung sollte wohl Parmenion zeigen, dass er ihm traute und er dafür den Sohn belohnte. Er ließ Perdikkas kommen und teilte ihm seine Entscheidung mit.

„Ist das klug, Alexander?“ fragte dieser sorgenvoll. „Immerhin könnte er hinter der ganzen Geschichte stecken.“

„Ich weiß, was ich tue. Parmenion ist bei den Altmakedonen, den Anhängern meines Vaters, sehr beliebt. Aber natürlich werden wir diese seltsame Geschichte nicht vergessen. Doch einstweilen wollen wir die Philippischen in Sicherheit wiegen.“

„Und wenn Lynkestes doch ….“

„Ja. Auch Lynkestes bereitet mir Sorgen. Lass einen zuverlässigen Mann ständig in seiner Nähe sein. Ich werde ihn, wenn sich die Angelegenheit beruhigt hat, vielleicht den Nachschub kommandieren lassen. Sollte ich keine Kinder haben, dann ist Lynkestes durchaus ein Mann, der für meine Nachfolge infrage kommt. Sollte ich getötet werden und Kinder haben, ist Lynkestes sofort zu töten. Sonst haben wir einen Krieg unter uns Makedonen.“

So urteilte Alexander und er war noch ein junger Mann und doch klug und hart und mitleidlos. Es war eine Menge Anschauungsunterricht, den wir Gefährten bekamen, um später in seine Schuhe treten zu können. Aber für uns alle waren seine Schuhe zu groß.

9.

Die Stadt lag auf einem Hügel und überragte ein Tal mit einem Fluss, der reißend und blau und klar war. Als ich die Stadt Gordion zum ersten Mal sah, wäre mir nicht im Traum eingefallen, dass sie für Alexander und für mich eine so große Bedeutung bekommen würde. Gordion ist jedem Griechen hauptsächlich durch die Geschichte mit dem gordischen Knoten bekannt geworden. Kallisthenes hat genug Wirbel darum gemacht und so kennt jeder Gebildete die Legende und ihre Verheißung. Sie lässt sich eben hübsch erzählen.

Wir waren ins Landesinnere gezogen, um uns mit Parmenion zu vereinen und um danach durch die kilikische Pforte ins Kernland Asiens vorzustoßen. Alexander brannte darauf, sich endlich mit Dareios zu messen. Während wir Gefährten von ihm und seinem Kampfeseifer infiziert worden waren, gab es bereits einige Stimmen, die fragten, was dieser Zug ins Herz von Asien noch mit dem ursprünglichen Ziel zu tun hatte, den Griechen die Freiheit zu bringen. Aber dies wurde sehr verhalten ausgesprochen. Bisher hatte sich der Feldzug ja auch ganz gut angelassen.

Gordion machte nicht viel her, wenn man die Stadt mit Ephesos oder Milet verglich, dabei war hier der sagenhafte König Midas zu Hause, dem bekanntlich alles zu Gold wurde, was er berührte. Eine Fähigkeit, die auch ein Fluch sein kann, denn Brot aus Gold ist nun einmal schlecht verdaulich. Gleichwohl war dieser verstaubte Ort sehr berühmt. Einmal weil er ein wichtiger Knotenpunkt der Straßen in den Osten war, zum anderen, weil hier der Wagen des Gordion stand, bei dem Deichsel und Joch mit einem Knoten verbunden waren, von dem es hieß, dass der die Weltherrschaft erringen würde, der ihn löste. Kallistenes erzählte Alexander diese spinnerte Legende, als die Stadt vor uns auftauchte. Und natürlich nahm Alexander sie für bare Münze und stürzte sich auf die Geschichte. Wir Gefährten waren der Meinung, dass er sich dabei nur blamieren konnte und protestierten.

„Was für ein blöder Aberglaube!“ polterte Krateros, der den Neffen des Aristoteles genau so wenig leiden konnte wie ich.

Ohnehin waren Spitzfindigkeiten und romantische Geschichten nicht seine Sache. Weil er etwas derb gestrickt war und selbst vor Alexander kein Blatt vor den Mund nahm, sagte er frei heraus, dass er dies Wagnis für eine Dummheit hielt, die nur Alexanders Ruf beschädigen würde.

„Jetzt glauben unsere Makedonen an das, was Apollon dir prophezeite. Wenn du den Knoten nicht löst, könnte dieser Glaube ins Wanken geraten“, unterstützte ich Krateros.

„Und wenn es mir doch gelingt, werden sie um so gefestigter an mich glauben, Bote des Apollon!“ entgegnete Alexander.

Es war mir immer etwas peinlich, wenn er mich vor den Gefährten so nannte. Es hörte sich bei ihm immer so an, als sei ich Apollons Laufbursche. Natürlich hörte er nicht auf uns.

Wir ritten also die Rampe zu der Stadt hoch, deren Mauern aus mythischen Zeiten stammen mochten. Man jubelte uns nicht zu. Die Straßen waren wie leer gefegt und wir wandten uns der Festung zu, die den höchsten Punkt der Stadt ausmachte. Einstmals mochte die Burg, wenn nicht prächtig, doch ehrfurchtgebietend gewesen sein. Die Mauern sahen aus, als hätten Zyklopen sie aufeinander getürmt. Die riesigen tonnenartigen Säulen, vom Alter geschwärzt, verstärkten den Eindruck, dass von diesem Ort gewaltige Krieger, Titanen gar, zur Schlacht ausgezogen waren. Jetzt sah alles ein bisschen heruntergekommen und staubig aus. In dem Hof der Burg erwarteten uns Priester und hielten uns Salz und Brot entgegen und murmelten Segenswünsche.

„Sie wissen was sich gehört!“ sagte Hephaistion zufrieden.

Wir sprangen von den Pferden und die Priester verneigten sich und wir nahmen das Brot, tauchten es in das Salz und aßen mit gespielter Begeisterung. Der Wein dagegen war schwer und aromatisch und süß. Wir gingen in eine Halle, in der ein alter Karren stand. Wie das Gefährt eines Königs sah der Wagen nicht gerade aus. Das Holz sah wie versteinert und grau und verrottet aus. Alexander hatte nur Augen für den Knoten. Das Gesicht in die Hand gestützt starrte er auf ihn hinunter.

„Du kannst dabei nur verlieren!“ wiederholte Hephaistion unsere Warnung.

Was nun geschah, wird in der Welt in zwei Versionen erzählt. Die eine besagt, dass er den Pflock herausgezogen habe, der durch den Knoten ging, welcher Joch und Deichsel miteinander verband. Aber das wäre die Vorgehensweise eines Menschen gewesen, der sich von klugen Überlegungen leiten lässt. Ich war dabei und kann die andere Version bestätigen.

Alexander zupfte eine Weile an dem Knoten herum, der mehr als zwei Fäuste dick war. Es sah nicht sehr erfolgversprechend aus, wie er es machte.

„Also, Hauptsache ist, er wird gelöst, nicht wahr, Kallisthenes?“ fragte Alexander plötzlich mit spitzbübischem Lächeln.

„So ist es, mein König. Zur Art und Weise gibt es keine Bedingungen. Schon seit hunderten von Jahren versuchen Helden, Könige und Fürsten diesen Knoten vergeblich zu lösen.“

„Weil sie nicht die Herren Asiens waren!“ sagte Alexander, zog sein Schwert und hieb mit einem einzigen Schlag den Knoten durch.

„Nun ist er gelöst!“ rief Alexander.

Die Priester schrien auf und palaverten miteinander. Schließlich verbeugten sie sich ehrfürchtig vor unserem König. Sie erkannten an, dass der Gordische Knoten gelöst war. Die Kunde davon lief bald durchs Heer, das vor der Stadt eine Zeltstadt aufgeschlagen hatte. Die Makedonen liefen zusammen und schlugen ihre Schwerter gegen ihre Schilde und riefen den Namen des Königs. Kallisthenes hatte natürlich nichts anderes zu tun, als diese Geschichte vom Gordischen Knoten nach Athen zu berichten, und dort klang es natürlich wie eine Heldensage. Von Staub und verrottetem Holz war natürlich nicht die Rede, sondern Gordion wurde wieder zur Stadt dieses sagenhaften Königs Midas. Wenn ich Zweifel hatte, dass Alexander an diese Prophezeiung glaubte, so wurde ich bald eines besseren belehrt.

Als ich Attalos ablösen und die Wache vor Alexanders Zimmerflucht übernehmen wollte, machte dieser ein feierliches Gesicht.

„Ist was?“ fragte ich neugierig.

„Der König erhält gerade ein Zeichen der Götter. Er ist draußen auf der Terrasse und sieht sich den nächtlichen Himmel an. Vorhin sind viele Sternschnuppen heruntergekommen.“

Ich ging in sein Zimmer und hinaus auf die Terrasse.

Alexander stand an der Brüstung und sah mit in den Nacken geworfenem Kopf in den Himmel, wie ich ihn schon einmal gesehen hatte. Die eine Hand hatte er vorgestreckt, als wolle er die Sterne ergreifen. Es war nichts Demütiges in seiner Haltung, sondern es sah so aus, als wolle er sein Eigentum herunterholen. Es war mir peinlich, ihn bei einer so intimen Handlung zu sehen und ich wollte mich zurückziehen. Aber er hatte mich bemerkt.

 

„Nein, Leonnatos, bleib hier.“

Er hatte sich nicht einmal umgedreht. Ich wunderte mich nicht darüber. Durch mein Hinken sind meine Schritte unverkennbar.

„Du siehst, man darf den Aufgaben der Götter nicht ausweichen. Ich habe es versucht und es ist gelungen. Sie werden mir alles geben, was ich verlange.“

„Was willst du, Alexander?“

„Ich sagte es dir bereits. Stets der Erste sein und voranzuleuchten den anderen. So wie es der göttliche Homer besang. Das vollbringen, was noch kein Sterblicher vollbracht hat.“

„Was ist es, was noch kein Sterblicher vollbracht hat?“ fragte ich mit bangem Gefühl, denn wir würden ihn dabei begleiten müssen.

„Herakles und Dionysos übertreffen. Ich will das Ende der Welt sehen.“

„Das ist nicht dein Auftrag als Hegemon Griechenlands.“

„Es ist der Auftrag der Götter!“ erwiderte er unwillig.

„Du darfst dir nicht zuviel zumuten“, rief ich erschrocken und dachte dabei natürlich an uns Gefährten, auf die die Arbeit des Sisyphos zukommen würde.

Es war nur gut, dass er dies nur mir gegenüber bekannte. Wenn die Athener davon erfuhren, würden sie ihn der Hybris bezichtigen. Selbst wenn dies unsere braven Makedonen hörten, würde es eine gehörige Unruhe hervorrufen. Schließlich wollten die nur Beute machen und schnell nach Hause, um sich feiern zu lassen und die Schätze Persiens in aller Ruhe bei Weib und Kind zu verprassen. Was er dann sagte, war der Anfang von dem, was uns später noch viel Kummer machen sollte.

„Hat dir Apollon nicht gesagt, wer ich bin?“

Dass er ein Liebling der Götter war, daran hatte Apollon keinen Zweifel gelassen. Aber ich hatte nicht bedacht, was dies für Konsequenzen haben würde. Es kann anstrengend sein, wenn man einen König hat, der sich für einen Liebling der Götter hält. Er wartete keine Antwort ab, sondern ging von der Terrasse in sein Gemach.Mit einem gebieterischen Nicken schickte er mich hinaus.

Was am Fluss Kydnos passierte, hätte ihm eigentlich eine Warnung sein können. Wir bekamen Nachricht, dass Dareios losmarschiert war und ein Heer zusammengebracht hatte, das an Zahl den Sandkörnern der Wüste glich. Wir warteten noch eine Weile in Gordion, weil Verstärkung aus Makedonien zu uns stoßen sollte. Da diese aber auf sich warten ließ, verlor Alexander die Geduld, und wir zogen, nachdem sich das Heer ausgeruht hatte und neu verproviantiert war, gen Tarsos weiter. Ich war nicht traurig darüber und ahnte nicht, dass ich Gordion wieder sehen und welche Rolle es in meinem Leben noch spielen würde. Obwohl es bereits auf den Herbst zuging, war es noch immer sehr heiß.

Als wir am Fluss Kydnos hielten, schlug Hephaistion vor, ein Bad zu nehmen. Alexander stimmte zu und wir zogen uns aus und stiegen in das eisige Wasser. Nachdem wir genug gezittert hatten, war es dann sehr angenehm. Die Strömung war stark. Plötzlich sah ich, wie Krateros immer wieder untertauchte und dabei seltsame Handbewegungen machte. Ich versuchte zu ihm zu schwimmen. Plötzlich war er verschwunden. Im Wasser tanzten nur noch die Köpfe von Alexander und den anderen Gefährten und ich deutete mit der Hand auf die Stelle, wo ich vor kurzem noch Krateros’ Kopf gesehen hatte. Ich kraulte dorthin und tauchte. Schließlich ertastete ich seinen Körper, zog ihn hoch und hielt seinen Kopf über Wasser. Er gab kein Lebenszeichen von sich. Ich wollte zum Ufer schwimmen, aber die Strömung wurde stärker und meine Kräfte erlahmten und ich wurde mit Krateros den Fluss entlang getrieben. Bald waren die Köpfe der Freunde nicht mehr zu sehen und ich dachte schon, dass mein letztes Stündlein geschlagen hat. Plötzlich tauchte Alexanders Kopf neben mir auf. Er half mir, Krateros zu halten und nickte mir beruhigend zu.

„Lassen wir uns eine Weile treiben“, schrie er in das Rauschen des Strudels. Dies war kein dummer Ratschlag. Langsam kam ich wieder zu Kräften. Schließlich wurde das Wasser ruhiger und wir konnten ans Ufer schwimmen. Nachdem ich Krateros genug Wasser aus den Lungen gedrückt hatte, das auch für einen kleinen Seitenfluss des Kydnos gereicht hätte, erwachte er aus seiner Ohnmacht.

„Was ist passiert?“ stammelte er.

„Leonnatos hat dich gerettet“, sagte Alexander.

„Und Alexander hat uns gerettet“, ergänzte ich.

„Den Göttern sei Dank! Ihr lebt!“ rief Hephaistion, der mit den anderen Gefährten sich nun keuchend zu uns gesellte.

Nun waren alle der Meinung, dass wir die Rettung es Krateros feiern sollten. Als ich in meinem Zelt war und mir Phokis beim Anlegen eines frischen Chitons half, flog mich ein Schauer an. Ich fühlte wie mir der Schweiß auf die Stirn trat und mir wurde schwindlig. Phokis drückte mich auf das Lager.

„Kommt nicht infrage, dass du jetzt zur Feier gehst. Du bist total entkräftet.“

Obwohl mich seine vorwitzige, manchmal gluckenhafte Art oft ärgerte, hörte ich diesmal auf ihn. Er packte mich in ein paar Decken mit seltsam riechenden Zweigen und legte mir heiße Steine ins Bett, so dass ich tüchtig schwitzte. Ich schickte Phokis zu Alexander, um mich zu entschuldigen. Der König wiederum schickte Attalos zu mir, um sich nach meinem Befinden zu erkundigen.

„Es geht schon wieder“, beruhigte ich den Freund.

„Alexander ist ernstlich besorgt“, sagte Attalos.

„Er sollte sich vor allem um Krateros Sorgen machen.“

„Ach, dem geht es ganz gut. Er feiert sogar schon tüchtig mit. Alexander sorgt sich um seinen Glücksbringer“, sagte Attalos grinsend.

„Meinst du mich?“

„Natürlich. Alexander hat dich gern.“

„Er hat ein großes Herz.“

Am nächsten Morgen fühlte ich mich wieder ganz in Ordnung.

Als wir in Tarsos waren, das sich uns kampflos ergab, kam eines Morgens Hephaistion mit leichenblasser Miene zu mir und schüttelte besorgt den Kopf.

„Jetzt hat es Alexander erwischt. Er hat hohes Fieber, und die Gesichter der Ärzte gefallen mir gar nicht.“

Das Fieber wich nicht und schließlich hatten wir den Eindruck, dass ihn die Ärzte langsam aufgaben. Die Stadt war wie erstarrt. Rund um seinen Palast, dem ehemaligen Sitz des Satrapen von Kilikien, flüsterte man nur, als fürchte man, seinen Schlaf zu stören. Selbst im Heerlager war kaum ein Laut zu hören. Die Griechen diskutierten bereits darüber, wie es ohne Alexander weitergehen würde und natürlich waren sie der Meinung, dass man heimwärts ziehen solle.

Schließlich holte man Philippus, den wohl berühmtesten Arzt Griechenlands, obwohl Parmenion Alexander geschrieben hatte, dass dieser von den Persern gekauft sei. Doch Alexander gab ihm Parmenions Brief zu lesen und trank währenddessen die ihm von Philippus verabreichte Medizin und zeigte ihm so sein Vertrauen. Aber das Ergebnis war, dass er bewusstlos wurde, und Philippus bangte bereits um sein Leben.

„So geht es nicht weiter. Wir müssen etwas tun!“ sagte ich zu Phokis. „In was für ein Zeug hast du mich denn gesteckt, dass ich so schnell wieder auf die Beine kam?“

Er murmelte etwas von der wohltuenden Wirkung gewisser Kräuter, woraus ich nicht schlau wurde, und ich erinnerte mich daran, dass Phokis aus den Bergen der Molosser stammte, die für ihre seltsamen Bräuche und Zauberkunststücke bekannt waren, und ich ging zu Hephaistion und berichtete ihm, wie Phokis mich geheilt hatte.

„Es sind doch die besten Ärzte bei ihm“, wehrte er ab.

„Ja. Und die können ihm nicht helfen und er wird immer schwächer. Lass es mich doch versuchen. Wenn es so weitergeht, stirbt er uns. Was soll aus uns werden, wenn Alexander tot ist?“

„Bist du dir über die Konsequenzen im klaren? Wenn er stirbt, werden es die Ärzte auf dich schieben.“

„Ist mir klar. Aber er wird nicht sterben.“

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