Alexanders letzter Traum

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„Nein. Wir sind keine Mordbrenner“, widersprach ich. „Der König will die Menschen in Ionien für sich gewinnen.“

„Das hier sind doch nicht einmal Griechen“, maulte mein Bruder.

Ich gab ihm keine Antwort.

Wir ritten weiter und niemand behelligte uns. Noch vor Troja kamen uns Reiter entgegen. Wir waren ein wenig besorgt und überprüften unsere Waffen. Aber dies erwies sich als unnötig. An der Spitze der Reiter lachte mir Ptolemaios entgegen.

„Was machst du hier?“ fragte ich erstaunt.

Er schmunzelte. „Wir gehören zur Vorhut. Hast du Parmenion informiert?“

„Ja. Er wird zur Stelle sein.“

„Und was sind das hier für Kerle?“ fragte er und musterte misstrauisch meinen Bruder. Er traute niemandem, der nicht zu den Gefährten gehörte. Dies wird verständlich, wenn man weiß, dass er, als Alexander bei Philipp in Ungnade war, mit diesem in die Verbannung gehen musste. Keiner der Altmakedonen um Philipp war für sie eingetreten, und sie hatten in der Fremde eine harte Zeit, denn in welchem Land liebt man schon Flüchtlinge? Ich klärte ihn über Parmenions Begleitschutz auf und Ptolemaios sagte Antiochios, dass er zurück reiten könne.

„Bis Troja ist alles Land in unserer Hand.“

„Wir haben Befehl, meinen Bruder bis zum König zu begleiten und daran halten wir uns!“ widersprach Antiochios. Auf einmal gestand er, dass der Kröterich sein Bruder war.

„Dein Bruder?“ staunte Ptolemaios und sah mich fragend an und ich zuckte mit den Achseln und unterstrich so, dass ich von dieser Verwandtschaft nicht viel hielt. Ptolemaios grinste.

„Man kann nichts für seine Verwandtschaft, eh?“

Antiochios’ Hand fuhr zum Schwert, aber er besann sich und warf Ptolemaios einen hasserfüllten Blick zu. Jeder Makedone wusste, dass Ptolemaios Alexanders besondere Wertschätzung genoss, fast so sehr wie Hephaistion. Es wäre unklug gewesen, sich mit ihm anzulegen.

„Du reitest zurück!“ wiederholte Ptolemaios bestimmt.

„Er kann ja die Gegend absuchen, wo wir überfallen wurden. Vielleicht treiben sich dort noch einige Söldner herum,“ schlug ich vor.

„Ihr seid überfallen worden?“

Ich erzählte ihm was geschehen war und wie viele von den Agrianen den Tod gefunden hatten und er machte ein entgeistertes Gesicht.

„Du glaubst an einen Maulwurf in der Umgebung des Königs?“

„Anders ist es nicht möglich, dass sie so genau Bescheid wussten“, unterstützte mich Attalos.

„Beim Zeus, das muss Alexander wissen. Los, reiten wir! Die Vorhut hinter mir kommt auch ohne mich zurecht. Seleukos ist ihr Befehlshaber. Und du, Antiochios, machst, was dein Bruder vorgeschlagen hat. Sieh zu, dass du ein paar von den Mordgesellen fängst. Sollte dies der Fall sein, kommst du mit ihnen nach Troja, andernfalls kannst du dich zu Parmenion scheren.“

Antiochios krümmte sich wie ein geprügelter Hund. Aber ihm blieb nichts anderes übrig, als Ptolemaios’ Befehl Folge zu leisten und ritt mit seinen Männern davon.

„Er ist verprügelt worden wie noch nie in seinem Leben“, flüsterte Phokis hinter mir. „Auch das wird er dir nie vergessen.“

Es gab viel, was mein Bruder und ich nicht vergessen konnten.

Wir ritten nach Troja und kamen gerade rechtzeitig, um Alexander am Altar des Priamos opfern zu sehen. Nun darf man sich Troja nicht so vorstellen, wie es uns Homer in die Köpfe gepflanzt hat, als stolze Festung mit uneinnehmbaren Mauern, die die Griechen nur durch die List des Odysseus bezwangen. Es gab weder hohe weiße Mauern noch Paläste, sondern nur ein paar armselige Häuser um einen Hügel, auf dem ein halbverfallener Tempel stand, in dem ein paar rostige Waffen gezeigt wurden, die angeblich dem Achilleus gehörten. Den Schild lieh sich Alexander aus und ließ dafür seinen Schild zurück. Der Schild des Achilleus begleitete ihn in allen Schlachten. Ich habe ihn auch einmal tragen dürfen. Er war nichts Besonderes und sein Wert erklärt sich nur durch die Träume, die Alexander mit ihm verband. Es lag bestimmt nicht an der schartigen Bronze, dass unser König aus allen Schlachten siegreich hervorging.

Der Strand von Troja war nicht schön, sondern mit elendem Strauchwerk bewachsen. Aber Alexander glühte wie ein Verliebter und abends deklamierte er Verse aus der Ilias und wir mussten uns anhören, wie Achilleus’ Schild gemacht wurde:

Erst nur formt der Meister den Schild, den großen

und starken,

ganz ihn verzieren und legte darum einen schimmernden

Reifen,

dreifach und blank verbunden mit silbernem Tragegehänge..

Von all dem sahen wir nur eine Ahnung, aber wir taten so, als würden wir genauso empfinden wie unser König. Danach mussten wir uns anhören, wie Achilleus den Hektor um Troja schleifte und Priamos um seinen Leichnam bettelte. Ich fand Hektor von all den göttlichen Figuren, die Homer uns schenkte, immer am sympathischsten. Aber Alexander war in Achilleus verliebt und hielt sich für seine Wiedergeburt und für noch etwas mehr, wovon noch zu erzählen sein wird. Aber das mit dem Achilleus nahm er sehr ernst. Sein ganzes Leben war wie eine Dichtung von Homer und er glaubte Achilleus zu sein und war doch eher Odysseus. Aber das ging ihm lange Zeit nicht auf.

Nachdem wir genug Verse gehört hatten, machte ihn Hephaistion auf mich aufmerksam und Alexander winkte mich zu sich und ich übergab ihm den Brief des Parmenion. Während er las, erzählte ich ihm, was wir erlebt hatten. Er runzelte die Stirn und schlug sich empört auf die Knie.

„Mit ihrem Gold können sie sich alles erlauben! Ihr Gold hat den Pausanias zum Mord getrieben, ihr Gold macht meine Verbündeten unsicher und ihr Gold ….“

„Wir sind verraten worden.“

„Ja. Mit ihrem Gold haben sie sich einen Maulwurf gekauft.“

Er sah streng um sich und die Flötenspieler hörten auf unsere Ohren zu quälen und Alexander sagte:

„Einer unter uns hat mich verraten. Eines Tages wird herauskommen, wer es war und meine Strafe wird fürchterlich sein!“

Es war so still, dass man den Flügelschlag eines Vogels hätte hören können. Alexander nickte noch einmal drohend und las weiter.

„Weißt du, was mir Parmenion rät?“

„Nein. Er sagte mir nur, dass er dich erwartet.“

„Ich soll noch einmal einen Parlamentär zu den Persern schicken und Mysien, Lykien und Karien fordern und mich damit zufrieden geben. Es hat noch nicht einmal angefangen und da soll ich schon aufhören? Was denkt er sich eigentlich? Hält er mich für …. Parmenion?“

Alles lachte befreit. Alexander umfasste meine Schulter und zog mich freundschaftlich auf das Lager neben sich. Ich mag es eigentlich nicht, wenn mich Männer anfassen, aber bei ihm wurde mir warm ums Herz. Der König gab mir das Gefühl, dass ich sein besonderer Vertrauter war. Später ging mir auf, dass jeder von uns so dachte und bald sollte das Heer, das die Schöpfung seines Vaters war, genau so denken. Es gelang ihm, die einfachen Soldaten, die sonst immer auf ‚die da oben’ schimpften, so für sich einzunehmen, dass sie sich allein ihm verpflichtet fühlten und nicht ihren Vorgesetzten. Bei keinem anderen Feldherrn habe ich derartiges erlebt.

„Was meinst du, Sohn des Hephaistos, was raten mir die Götter?“

Ständig musste er sich vergewissern, dass er sich mit den Göttern im Einklang befand, sozusagen auf Du und Du. Mit Hephaistos war nicht Hephaistion gemeint, sein liebster Freund, sondern der Gott der Schmiede, der dem Achilleus die Waffen gab, jedenfalls erzählt uns das Homer.

Ich hatte mit ihm nur gemeinsam, dass er auch hinkte. Aber er musste mich zu einem Abkömmling eines Gottes machen. Natürlich war dies nur ein Scherz von ihm.

„Am besten hörst du auf die Ratschläge deines Vaters, heißt er nun Philipp oder Amun.“

Es war wohl keine so gute Antwort, denn es wurde wieder mucksmäuschenstill im Zelt und Attalos hielt sich den Kopf und Ptolemaios machte ein Gesicht, als habe er Zahnschmerzen. Aber Alexander nahm es nicht schlecht auf, sondern nickte ernst.

„Amun wird mich das Rechte tun lassen!“ sagte er bedächtig. „Doch ich will deine Meinung hören.“

Mir trat der Schweiß auf die Stirn. Warum wollte er gerade von mir hören, was ich dachte? Ich war ja nun gerade erst zu den Gefährten gestoßen. Er sollte lieber Perdikkas oder noch besser Hephaistion fragen. Auch Seleukos und Peukestas mit ihrer Erfahrung wären ihm bessere Ratgeber.

„Lass Alexander tun, was in Alexander ist“, stammelte ich.

Die einfachste und dümmste Antwort ist manchmal die beste.

Alexander schlug sich auf den Schenkel. „Das ist eine gute Antwort. Habt ihr gehört? Ich soll tun, was in mir ist. Wahrhaft, das werde ich! Morgen werden wir noch Spiele zu Achilleus’ Ehren veranstalten und dann ziehen wir in den Krieg und werden Memnon hinwegfegen. Perdikkas und Peukestas, ihr sorgt dafür, dass der Tross nachkommt und der Nachschub nicht abreißt. Geht davon aus, dass wir uns nicht mit diesem schmalen Streifen Asiens begnügen werden. Die anderen melden sich zu den Wettkämpfen. Wofür wirst du dich melden, Sohn des Hephaistos?“ fragte er und schüttelte meine Schulter.

„Meine Fähigkeiten sind leider begrenzt.“

„Er ist mutig wie Hektor!“ widersprach Hephaistion.

„Er kann reiten wie ein Zentaur!“ setzte Attalos hinzu.

„Na also, dann wirst du bei dem Wettrennen um das Grab des Achilleus mitmachen. Du bekommst von meinen Pferden ein gutes Tier. Peukestas, du sorgst dafür, dass er die Eos bekommt. Mit ihr müsste er eigentlich unter die ersten fünf kommen.“

„Eos ist etwas ungebärdig!“ warnte Hephaistion. „Die Stute ist eine Schwester des Bukephalos. Nur unter deinen Schenkeln lässt sie sich reiten.“

 

„Er reitet wirklich wie ein Zentaur“, nahm Attalos noch einmal für mich Partei. „Er wird auch Eos ins Ziel führen.“

„Na also. Er reitet Eos!“ schloss Alexander die Diskussion ab und schüttelte zufrieden meine Schulter, als habe er die ganze Zeit nichts anderes vorgehabt, als dafür zu sorgen, dass ich mich auf eines seiner Pferde schwinge.

Die nächsten Tage waren angefüllt mit Wettkämpfen. Das Heer hatte sich in Kreisen um die Wettkampfstätte versammelt, und es wurde gerungen, geboxt und es fehlten nicht Diskuswurf, Wettlauf und Weitsprung. Jede Phalanx schickte ihre besten Männer. Ich hätte gern beim Ringen mitgemacht, denn bei diesem Wettstreit traute ich mir einiges zu. Als ich sah, welche Muskelpakete antraten, war ich doch froh, dass die Gefährten Lysimachos für den Ringkampf bestimmten. Vor den Wettkämpfen wurden Zeus und Achilleus geopfert. Die Priester begutachteten die Innereien der Opfertiere und sagten natürlich voraus, dass wir gegen die Perser siegen würden. Am Nachmittag des zweiten Tages wurde das Pferderennen gestartet. Mir wurde die Ehre zuteil die Leibgardisten zu vertreten. Es war eine Auszeichung. Hephaistion winkte mir zu, was soviel hieß, dass ich ihm keine Schande machen solle. Von der Entourage um Alexander war noch Philotas dabei, der aber als Anführer der Reiterschwadronen deren Farben vertrat. Man hatte mir die Stute leider erst spät gebracht, so dass ich sie vor dem Wettkampf nicht einreiten konnte. Aber ich verliebte mich sofort in sie. Es war eine braune langbeinige Stute mit schönen nervösen Augen. Aber ich kam mit ihr gleich zurecht, ließ sie unter meinen Achseln schnuppern und fütterte sie mit Nüssen. Ich hatte das Gefühl, dass sie mich mochte.

Als Ptolemaios den Start freigab, hielt ich mit anfangs erst einmal zurück und ritt am Ende des Mittelfeldes. Die Rennstrecke führte von Troja den Abhang hinab bis zum Grab des Achilleus und weiter bis an Meer und von dort zurück zum Ausgangspunkt vor der Stadt. Als wir am Meer ankamen, hatte ich zur Führungsgruppe aufgeschlossen. Ich machte mich leicht und lag fast über dem Kopf des Tieres und flüsterte Eos Zärtlichkeiten ins Ohr; wie schön sie sei und wie sehr ich sie liebe. Bei den Göttern, Eos verstand mich. Sie lief wunderbar leicht und als wir das Grab des Achilleus wieder erreichten, war nur noch ein Reiter vor mir. Philotas. Als Anführer der Reiterschwadronen war er natürlich einer der besten. Aber er war älter als ich und schwerer und Eos war ein Pferd, wie es nur Könige haben und ich versprach der Stute alle Herrlichkeit auf Erden und klopfte immer wieder ihren Hals, und wir schoben uns langsam an Philotas heran. Nun gab ich Eos die Zügel frei und schrie und feuerte sie an und schon waren wir im Ziel. Alle jubelten und umringten uns, und die Leibgardisten riefen mich als Sieger aus und die Reiterschwadronen Philotas. Alexander und Hephaistion kamen mit Lorbeerkränzen und Alexander drückte einen Philotas aufs Haupt und Hephaistion tat das gleiche bei mir.

„Keiner kann sagen, wer gesiegt hat. Ihr wart einander ebenbürtig. Ihr seid beide geritten, als würden die Götter hinter euch sitzen“, lobte Alexander.

„Nie habe ich deinen Eos so rennen sehen!“ setzte Hephaistion hinzu und Alexander nickte.

„Das Pferd gehört dir, Leonnatos. Die Eos scheint dich zu lieben. Behandle sie gut und denke daran, dass es eine Schwester meines Bukephalos ist.“

Das war typisch Alexander. Wenn er den Menschen eine Freude machen konnte, dann versäumte er keine Gelegenheit, um dies zu tun. Ich habe keinen freigiebigeren Menschen kennen gelernt als unseren König. Es machte sich nicht viel aus irdischem Besitz, wobei die Pferde sogar eine Sonderrolle spielten. Aus Pferden und Hunden machte er sich etwas, schließlich weiß heute die ganze Welt, wie sehr er seinen Bukephalos liebte. Er belohnte mich, wie nur Alexander belohnen konnte, dabei hatte ich nichts anderes getan, als sein Pferd zu reiten. Philotas zog bei dieser Ehrung ein schiefes Gesicht. Unsere Abneigung war durch den Ritt nicht kleiner geworden. Ich war überzeugt, dass ich ihn besiegt hätte, wenn ich die Eos hätte einreiten können oder wenn die Rennbahn nur ein wenig länger gewesen wäre.

Am Ende der Wettkämpfe rannten Alexander und Hephaistion nackt um das Grab es Achilleus, wenn es denn dessen Grab war. Mit Fackeln in der Hand liefen sie bei einbrechender Dunkelheit singend um den Hügel und das Heer stimmte den altmakedonischen Schlachtruf an. „Allallalei“ erscholl es aus tausenden von Kehlen. Die Gefährten schlossen sich dem Lauf an. Ich ritt mit Eos zu der Stadt hoch, die einst Homers Troja gewesen war. Bei dem Lauf um das Grab hätte sich ein Hinkender sicher nicht gut ausgemacht. Ich stieg vom Pferd und setzte mich auf die Stufen des kleinen halbverfallenen Tempels und sah hinunter auf die skamandischen Felder. Von hier oben waren nur die vielen Fackeln zu sehen, die wie ein Schwarm Glühwürmchen aussahen und ich hatte das Gefühl, dass noch ein anderer bei mir war.

„Nun beginnt es also!“ sagte ich zu dem Gott.

„Ja. Es beginnt etwas, was es noch nie gegeben hat und worüber man noch in tausenden von Jahren sprechen wid.“

„Und was mache ich dabei?“

„Du wirst auf ihn aufpassen!“ sagte der Gott.

„Ich? Er hat doch Hephaistion, Perdikkas, Ptolemaios und die anderen.“

„Es sind alles Krieger.“

„Bin ich kein Krieger? So schlecht habe ich mich gegen die Griechen nicht geschlagen.“

„Das ist nicht das Wichtige an dir.“

„Und was ist wichtig an mir?“

„Du bist ein guter Beobachter.“

„Und wozu soll das gut sein?“

„Kallisthenes wird Alexanders Ruhm besingen. Eumenes wird sorgfältig jedes Scharmützel festhalten. Was Alexander aber wirklich alle Grenzen überwinden lässt, werden sie nicht erfassen.“

„Schön. Und was tue ich dabei?“

„Du wirst ihm helfen, dass sich seine Sehnsucht erfüllt.“

„Ich? Ein Hinkefuß soll meinem König helfen? Ich bin nichts Besonderes.“

„Du bist die andere Seite Alexanders. Er wird dich brauchen, wenn er entdeckt, was seine Bestimmung ist.“

„Ich glaube, du willst mir ein schlechtes Geschäft zuschieben.“

„Das kannst du erst am Ende beurteilen!“ sagte der Gott schroff.

Das war mein Gespräch mit dem, der noch da war. War es Apollon? Vielleicht. Oder war es nur ich selbst? Aber immerhin ist es vor Troja passiert und dort haben sich, wenn man Homer glaubt, immer gern die Götter eingefunden. Unter mir leuchteten die Fackeln wie Glühwürmchen.

7.

Wir standen am Garnikos. Kein besonders aufregender Fluss. An manchen Stellen nur zwei Steinwürfe breit. Hinter uns ging die Sonne langsam unter und blendete den Feind vor uns, den wir nur als dunkle Wand sahen. Der Garnikos führte viel Wasser, das zwar nicht tief, aber reißend und braun und von weißen Sandbänken durchzogen war, die wie Rücken urzeitlicher Tiere aus dem Fluss ragten.

Ich stand daneben, als Parmenion vorschlug, die Schlacht auf den nächsten Tag zu verschieben, da die Männer vom Marsch abgekämpft seien und man überlegen solle, wie der Übergang am nächsten Tag an anderer Stelle gelingen könne. Das Ufer gegenüber erklärte er als zu steil für einen Frontalangriff. Alles Ausflüchte, die ihm wohl die Angst vor der Entscheidung eingegeben hatte. Alexander wischte sie mit einer energischen Handbewegung fort, als verscheuche er lästige Fliegen.

„Ich schäme mich, wo ich den Hellespont mühelos überschritten habe, bei dem Gedanken, dass uns dieser elende Bach dort hindern soll, hinüberzugehen. Das wäre dem Ruhm der Makedonen nicht gemäß.“

So hat es Kallisthenes festgehalten und deswegen hört es sich ein wenig hölzern und prahlerisch an. Immerhin stand uns die erste große persische Streitmacht gegenüber. Aber so ähnlich habe ich es auch von Alexander gehört.

Der Feind war uns auf den ersten Blick überlegen. Sie hatten zwanzigtausend Reiter am Ufer und dahinter standen noch einmal zwanzigtausend griechische Söldner. Und darin lag der Fehler. Alexander erkannte ihn sofort. Indem die Perser ihre Reiter an den Fluss stellten, neutralisierten sie ihre griechischen Söldner. Alexander war am Garnikos noch kein so großer Stratege wie Epameinondas und Mithridates. Er war wie Achilleus ein Krieger und mit der Begabung gesegnet, auf dem Schlachtfeld die Schwächen des Feindes sofort zu erkennen. Hätte Memnon, der Befehlshaber der griechischen Söldner, den Oberbefehl gehabt, wäre vielleicht alles anders gekommen, aber die Perser standen unter dem Doppelkommando des Spithridates und Arsites, beide Satrapen des Großkönigs und so eitel, dass sie nicht auf Memnon hörten, weder seinen Vorschlag annahmen, keine Schlacht anzunehmen noch in die erste Reihe am Granikos griechische Söldner zu stellen. Alexander war sich absolut sicher, dass er siegen würde.

Er ritt noch einmal die eigenen Reihen ab. Jeder konnte ihn an der weißen Feder an seinem Helm erkennen. Er redete den Männern gut zu. Unsere Leute brannten nun darauf sich mit dem Feind zu messen. Alexander hatte die Fähigkeit ihnen den Glauben an die eigene Stärke und Unbesiegbarkeit zu vermitteln. Also griffen wir nicht erst am nächsten Tag, sondern bereits in der Abendröte an.

Mit dem Ruf der Griechen bei Troja, mit Ares–Ares–Rufen stürzten sich unsere Makedonen in den Fluss. Alexander hielt sich auf dem rechten Flügel noch zurück und ließ erst einmal einen Scheinangriff ausführen, der die persische Reiterei zum Voranstürmen veranlasste. Es kam im Fluss zu einem schrecklichen Handgemenge, und nun, wo er sah, dass drüben beim Feind eine Lücke entstanden war, befahl er an der Spitze seiner Reiter den Angriff. Ich war dicht hinter ihm. Wir preschten durch das flache Wasser, durchbrachen die Reihen der Perser und jagten das Steilufer hoch. Ich versuchte Alexander die Flanke freizuhalten. Sein Speer war schon beim ersten Angriff zersplittert und ich warf ihm einen meiner Speere zu. Schon drang Mithridates, der Schwiegersohn des Dareios, auf ihn ein. Er schlug nach Alexander und dieser stieß ihm meine Lanze ins Gesicht. Nun stürzte sich Phoisakes, der Bruder des Mithridates, auf Alexander und schlug ihm ein Stück von seinem Helm ab. Aber Alexander stürzte nicht, sondern schlug seinerseits nun auch Phoisakes vom Pferd. Die Namen der persischen Führer erfuhr ich Jahre später von Mazaios.

Wir waren mitten in das Herz der persischen Reiter hineingestoßen und nun trafen wir auf Spithdridates, und der hätte ihn, weil Alexander sich noch einmal zu Phoisakes umdrehte, bestimmt niedergestreckt, und der Krieg wäre zu Ende gewesen. Alexander konnte niemand ersetzen. Doch Kleitos, der Schwarze, wie wir ihn nannten, Befehlshaber der thrakischen Reiterei, hieb dem Perser den Arm ab. Mittlerweile hatte auch Parmenion mit den Phalanxregimentern am Ufer des Garnikos Fuß gefasst. Da die Perser kein einheitliches Kommando mehr hatten, lösten sich ihre Reihen auf. Schließlich standen uns nur noch die griechischen Söldner gegenüber.

Alexander ließ sich ein anderes Pferd geben, da Bukephalos erschöpft war und stürzte sich mit der Gefährtenschwadron auf die Griechen. Von den Persern im Stich gelassen, konnten wir die Söldner einkreisen. Nun begann ein Blutbad, wie es in dieser Phase des Alexanderzuges immer dann von Alexander ausgelöst wurde, wenn er auf Verräter traf. Für ihn, dem Hegemon Griechenlands, waren Landsleute auf Seiten der Perser Abtrünnige, und er bestrafte sie erbarmungslos. Tausende wurden niedergemetzelt und die Gefangenen in die Heimat zurück geschickt – in die Bergwerke als Sklaven. Dies um der Wahrheit willen. Alexander war nicht ohne Fehler. Die Götter waren offensichtlich auf seiner Seite, aber warum haben sie ihm nicht eingegeben, dass dies nicht nur ein Verbrechen war, sondern ein Fehler, der ihn in Athen nicht gerade beliebter machte?

In der Nacht erreichten wir das persische Lager und wenn Alexander knapp bei Kasse war, wie manche Chronisten schreiben, so waren diese Zeiten seit dem Sieg beim Garnikos ein für allemal vorbei. Neben goldverzierten Möbeln und goldenem Tafelgeschirr fiel uns die Kriegskasse der Perser in die Hände. Von nun an brauchte Alexander keine Angst zu haben, dass ihm die Heimat den Geldhahn zudrehte. Athen übersandte er dreihundert persische Rüstungen, die man auf der Akropolis mit einer Tafel aufstellte:

Alexander, Sohn des Philipp, und die Griechen

mit Ausnahme der Lakedaimonier bringen diese

Beutestücke der Barbaren Asiens der Stadt Athen

zum Geschenk.

So wurde Athen gerächt und geehrt und Alexanders Ruhm wuchs in der Welt, und doch war dies erst der Anfang.

 

Ehe wir weiter zogen, genossen wir erst einmal den Triumph und Alexander ließ Spiele veranstalten und die Tapfersten der Tapferen wurden ausgezeichnet. Ich bekam vor allen Heeresführern eine goldene Kette von Alexander. Mein Vater war, als Adjutant des Parmenion, auch dabei. Meine Auszeichnung machte ihm wenig Freude. Gleichzeitig war die Ehrung eine Beförderung und ich wurde nun auch offiziell Leibgardist und war Verwandter des Königs und hatte damit ständigen Zugang zu ihm. Neben Hephaistion durften sich nur acht Gefährten als Verwandte bezeichnen, darunter Perdikkas, Ptolemaios, Peukestas, Lysimachos und Kleitos. Ich schrieb diese schnelle Beförderung Hephaistion zu, aber dieser versicherte mir später, dass er damit nichts zu tun hatte.

„Alexander glaubt, dass dich Apollon geschickt hat.“

Ich erzählte ihm darauf hin, welches Gesicht ich auf den Stufen des Tempels in Troja hatte und was ich glaubte gehört zu haben und natürlich erzählte er es Alexander und dieser ließ mich bald kommen.

Diesmal war ich in seinem Zelt mit ihm allein und er forderte mich auf von meinem Traumgesicht zu erzählen und ich wiederholte es, so gut ich es vermochte.

„Und das geschah, während wir das Grab es Achilleus umrundeten?“

„Ich konnte ja nicht mitmachen“, antwortete ich und deutete schmerzlich lächelnd auf mein Bein.

„Du sollst helfen, dass sich meine Sehnsucht erfüllt? Die Götter schicken mir in dir einen seltsamen Helfer.“

„Gesunde Krieger und Schreiberlinge hast du doch genug.“

„In der Tat. Tapfere Gefährten habe ich genug. Auch Schreiberlinge wie Eumenes, dem ich jeden Tag mein Tagebuch diktiere. Und Kallisthenes ist unser Chronist des Feldzuges und sorgt dafür, dass die Ereignisse den Griechen wie süße Trauben schmecken. Was also will der Gott von dir?“

„Ich weiß es auch nicht. Ich habe dir nur berichtet, was ich vor Trojas Tempel hörte. Ich habe mich nicht um diesen Auftrag gerissen. Es bleibt alles recht unklar.“

Alexander nahm mich bei der Schulter und ging mit mir im Zelt auf und ab, erst schweigend und dann sprudelte aus ihm heraus:

„Gut, ich will dir sagen, was meine Sehnsüchte sind. Ich werde die Sterne berühren und alles übertreffen, was je getan wurde, sei es nun von Sterblichen wie Epamoneindos oder Perikles, sei es von Halbgöttern wie Achilleus, Dionysos und Herakles. Ich werde bis zum Ende der Welt vorstoßen und meine Städte dort errichten, wo noch kein Grieche, geschweige denn ein Makedone gewesen ist. Die Ägypter sollen das Wissen über die Unsterblichkeit haben. Ich werden unsterblichen Ruhm erringen!“

„Sind das deine Sehnsüchte?“

„Ja. Und dabei wirst du mich begleiten, Bote des Apollon.“

Alexander reichte mir einen Becher Wein und wir stießen an und ich versprach ihm, den göttlichen Auftrag zu erfüllen.

Der Kriegszug ging weiter durch Westasien, dem Land, das uns die Weisheit schenkte. Natürlich ist Athen die Wiege der Kultur, aber es ist nur die eine Seite der Medaille. Wie jeder Grieche weiß, hat uns Ionien viele Philosophen gebracht und nicht nur Heraklit, sondern Thales und Anaximander, um nur einige zu nennen. Es ist heiliges griechisches Land und so nahmen wir Sardes in Besitz. Es warf sich Alexander bereitwillig in die Arme. Die Hauptstadt des westlichen Perserreiches, wo die von Susa kommende königliche Straße endete, nahm ihn wie einen Geliebten auf. Anfangs glaubte Alexander, dass es so weitergehen würde. Wir saßen in dem großen Palast auf der Spitze des Berges Tomolos zusammen und hielten Kriegsrat.

„Wir marschieren weiter. Immer weiter. An der Küste entlang bis wir nach Tyros kommen“, fasste er seine Pläne zusammen.

Währenddessen saß Apelles, der berühmte Maler, an seiner Seite und malte ihn, was uns nicht groß störte, doch etwas befremdlich war, denn dieser fluchte dauernd, weil Alexander keinen Augenblick still stehen konnte. Und das Alexanders Pferd Bukephalos mitten in der Halle stand, von Sklaven am Zügel gehalten, machte auf die Altmakedonen einen zwiespältigen Eindruck.

„Die persische Flotte bedroht uns“, erwiderte Parmenion mit einem Gesicht, als hätte er auf eine Zitrone gebissen.

Was er von der Gegenwart des Pferdes und des Malers hielt, brauchten wir ihn nicht zu fragen. Er hielt es für einen Affront und sah sich geringschätzig behandelt.

„Wir sollten eine Seeschlacht wagen“, fuhr er fort. „Bisher sind wir den Persern auf See immer überlegen gewesen. Ich erinnere nur an Salamis. Wenn wir sie vom Meer gefegt haben, können sie uns nicht in den Rücken fallen und wir können in aller Ruhe weiter marschieren.“

„Nein. Umgekehrt. Wir werden den Persern die Städte an der Küste wegnehmen und sie von ihren Heimathäfen absperren. Wir marschieren weiter und befreien Stadt um Stadt. Sie haben lange genug unter der Knute des Persers gelitten.“

Ich glaube nicht, dass das der eigentliche Grund war. Die Schiffe hatten die Griechen, insbesondere Athen, gestellt und er konnte sich nie sicher sein, dass sie ihn nicht doch im Stich ließen.

Von den Offizieren des Parmenion, alles alte Kämpen des Philipp, kam besorgtes Gemurmel und ein anderer als Alexander hätte sich vielleicht deren Mahnungen zu eigen gemacht. Doch er tat so, als wäre ihre Sorge unerheblich und ging zu Apelles und sah sich das Gemälde an und schüttelte unzufrieden den Kopf.

„Also, der Kopf des Bukephalos scheint mir nicht sehr gelungen.“

Apelles sah hoch und zu dem Pferd hinüber und dieses hob den Kopf und wieherte.

„Dein Pferd scheint mehr vom Malen zu verstehen als du.“

Wir, die Gefährten des Königs, lachten. Die Offiziere des Parmenion blickten böse drein, dass der König ihre Argumente so wenig achtete und sich, während sie ihre Sorgen vortrugen, mit seinem Maler beschäftigte. Zudem stimmte Alexander in unser Lachen ein.

„Der größte Fehler der Athener war, sich mit einem Sokrates anzulegen. Ich werde den Fehler nicht wiederholen und mich mit einem Maler streiten. Aber den Kopf würde ich an deiner Stelle doch überarbeiten.“

„Du bist nicht Apelles.“

„Nein. Und du nicht Alexander, sondern ein sturer Ziegenbock.“

„Es gibt einen anderen Ziegenbock, der genau so stur ist. Vielleicht muss man so sein, wenn man den persischen Widder besiegen will“, wehrte sich Apelles und der König schmunzelte. Hephaistion warf Apelles einen Beutel mit Drachmen zu und hieß ihn am nächsten Tag wiederzukommen. Als er an den Generälen vorbei ging hörte ich ihn flüstern: „Was seid ihr doch alles für Hosenscheißer.“

Er war ein rebellischer Geist, der Apelles, und für seine Kunst, aber auch für seine grobe Ausdrucksweise bekannt. Ihm bedeutete ein König nicht viel und schon gar nicht dessen Generäle. Er ließ nur Phidias gelten und Homer und die großen Tragödiendichter. Ich weiß dies so genau, weil ich ihn selbst zu Alexander geführt hatte und er mir gleich erklärte, dass er sich nichts darauf einbilde, Alexander malen zu dürfen und dass er nur komme, weil der König als großzügig gelte. Und im Übrigen sei es keine Kunst Menschen zu morden und Länder zu überfallen, sondern ein Verbrechen.

Darin mag er Recht haben. Aber dass man von Alexanders Taten im Gegensatz zu seinem Werk in tausend Jahren keiner mehr sprechen würde, das glaubte ich dann doch nicht. Er war ein sehr von sich eingenommener Mann, der Maler Apelles.

Nachdem sich die Generäle über Apelles’ Unverschämtheiten beruhigt hatten, fingen sie erneut an ihre Bedenken vorzutragen. Es lief alles darauf hinaus, dass Alexander auf die Erfahrung der Altmakedonen hören sollte. Bei Garnikos wäre viel Glück dabei gewesen. Sie hatten also die Hosen gestrichen voll. Sie wussten immer noch nicht, wie Alexander dachte, und sie würden es auch nie kapieren. Nur wir Jungen, seine Leibgardisten und Gefährten, die täglich um ihn waren, kannten ihn im Guten wie im Schlechten, wobei das letztere unsere Liebe zu ihm lange nicht beeinflusste.