Triest

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Literatur und Literaten

Es kann nicht nur das magische Kreativzentrum Kaffeehaus gewesen sein, weshalb sich Triest in seiner kurzen Glanzzeit zu einer der literarischen Hauptstädte Mitteleuropas entwickelte. Die Multinationalität dieser Stadt, die kulturelle Strömungen aus allen Himmelsrichtungen aufsaugte, schuf ein geistiges Klima, in dem etwa in den letzten drei Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts nicht weniger als 560 Zeitungen und Zeitschriften in verschiedenen Sprachen gedeihen konnten.

Anhand lebensgroßer Statuen von Nino Spagnoli kann man in Triest auf den Spuren der berühmtesten Dichter und Schriftsteller wandeln, die hier geboren wurden, eine Zeit lang gelebt oder die Stadt zum Schauplatz ihrer Werke gemacht hatten. Am Ponte Rosso über dem Canal Grande begegnet man dem großen Iren James Joyce (1882 – 1941). In Bronze gegossen, mit einem Hut auf dem Kopf, die linke Hand lässig in der Hosentasche – in der Pose eines in Gedanken versunkenen Spaziergängers steht der Autor auf der Brücke.

An der Piazza Ponterosso Nr. 3 befand sich eine der insgesamt neun Triestiner Wohnungen des freiwilligen Exilanten, der zwischen 1905 und 1915 mit mehreren kurzen Unterbrechungen in Triest lebte und sich seinen kargen Lebensunterhalt als Englischlehrer an der damaligen Berlitz-School in der nahen Via San Nicolò verdienen musste. Die städtische Bibliothek und die Universität Triest zeichnen verantwortlich für das Museo James Joyce (Via Madonna del Mare 13, 2. Stock, Mo – Sa 9 – 13, Do auch 15 – 19 Uhr, Eintritt frei, www.museojoycetrieste.it, Bus Linie 30), ein Studien- und Dokumentationszentrum, das auch „Itinerari Joyciani“, Spaziergänge zu den von Joyce bevorzugten Plätzen und Lokalen der Stadt, veranstaltet.

Nachdem er in Triest zunächst Gedichte und Kurzgeschichten verfasst hatte, begann der Schriftsteller noch mit den ersten Skizzen seines weltberühmten, zum Kult gewordenen Romans „Ulysses“, ehe er im Ersten Weltkrieg als „feindlicher Ausländer“ das Land verlassen musste. Auch wenn er mit diesem monumentalen Werk seiner Geburtsstadt Dublin ein grandioses literarisches Denkmal gesetzt hat, so vermeinen namhafte Literaturwissenschafter in vielen Merkmalen des Textes Triest zu erkennen.


Joyce, der gerne und in großen Mengen dem Alkohol zusprach, ließ sich nicht nur von der Atmosphäre in den Kaffeehäusern, Kneipen und Bordellen der Adria-Stadt inspirieren, es heißt auch, dass er in seinem Englischschüler und Freund Italo Svevo das Vorbild für den Protagonisten des Romans, Leopold Bloom, gefunden habe.

Dem Bronze-Standbild von Italo Svevo (1861 – 1928), der einer deutsch-jüdisch-italienischen Familie entstammte und eigentlich Ettore Schmitz hieß, begegnet man auf der schattigen Piazza Hortis: einen Hut in der linken, ein Buch in der rechten Hand, die Miene eher skeptisch. Die Figuren seiner Romane sind keine stolzen Helden, sondern dem Leben kaum gewachsene Grübler, wenn nicht gar Versager. Svevo, längst als großer Erneuerer des italienischen Romans anerkannt, hatte als eingeheirateter Besitzer einer Lackfabrik im Gegensatz zu Joyce, der ständig unter Geldnot litt, keine materiellen Sorgen. Er war jedoch über die Erfolglosigkeit seiner ersten Romane „Una Vita“ („Ein Leben“, 1892) und „Senilità“ („Ein Mann wird älter“, 1898) so frustriert, dass er sich ernsthaft überlegte, seine schriftstellerische Tätigkeit aufzugeben. Ohne seinen Englischlehrer Joyce, der ihn zum Weiterschreiben ermutigte, hätte er wohl sein Meisterwerk „La coscienza di Zeno“ („Zeno Cosini“, veröffentlicht 1923) niemals geschaffen. Der Ire war es auch, der die Romane seines Schülers nach dem Ersten Weltkrieg international bekannt machte.

Schauplatz von Svevos Werken ist in erster Linie Triest. Dies wird im Museo Sveviano (Via Madonna del Mare 13, 2. Stock neben Joyce-Museum, Mo – Sa 9 – 13, Do auch 15 – 19 Uhr, Eintritt frei, www.museosveviano.it, Bus Linie 30) anschaulich dokumentiert.

In Zusammenarbeit mit dem Teatro La Contrada werden im Sommer auf der Piazza Hortis Serate Sveviane, Svevo gewidmete Szenenfolgen gezeigt. In der Via San Nicolò steht die Bronzefigur des Dichters Umberto Saba (1883 – 1957): In einem langen Mantel, auf einen Stock gestützt schreitet er, der Kaffeehäuser und Kneipen mied, zu seinem Tempel, der Libreria Antiquaria Umberto Saba (Via San Nicolò 30, Di – So 9 – 12.30, 16 – 19.30 Uhr, Mo geschl.). Hier vergrub er sich in einem Hinterzimmer und feilte an seinen Gedichten wie dem Zyklus der „Canzoniere“, in denen Triest in all seiner Widersprüchlichkeit besungen wird. Sein Geburtshaus im ehemaligen Ghetto wurde 1937 zerstört, er selbst musste wegen seiner mütterlicherseits jüdischen Abstammung 1943 seine Heimatstadt für drei Jahre verlassen. Im Antiquariat wacht Mario Cerne, dessen Vater Carletto ein halbes Jahrhundert mit dem dichtenden Buchhändler zusammengearbeitet hatte, über kostbare alte Bücher in verschiedenen Sprachen, eine wahre Fundgrube für alle, die Gedrucktes zwischen Buchdeckeln zu schätzen wissen.

Ein typisches Kind der Stadt mit slowenischem Vater und italienischer Mutter war der Journalist und Schriftsteller Scipio Slataper (1888 – 1915), der sich für die Anbindung von Triest an Italien einsetzte. Seine einzige Buchveröffentlichung, das autobiografische Werk „Il mio Carso“ („Mein Karst“), trägt die Jahreszahl 1912. Auch wenn er sich langweilte, wie er schrieb, mochte er die Stadt auf ihre Weise: „Mir gefällt das Treiben, der Lärm, das Sich-zu-schaffen-machen, die Arbeit. Niemand verliert Zeit, denn alle müssen schnell an irgendeinen Ort gelangen und sind besorgt.“ Drei Jahre später ereilte ihn ein Triestiner Schicksal, er fiel in der Vierten Isonzoschlacht bei Görz.

Zu den bekanntesten Triestiner Autoren unserer Zeit, der auch deutschsprachigen Lesern ein Begriff ist, gehört der Essayist, Romancier und Germanistik-Professor Claudio Magris (geb. 1939), der sich in seinen Werken vielfach mit den Problemen des Zusammenlebens und Zusammenwirkens verschiedener Kulturen, also im Grunde jenen seiner Heimatstadt, beschäftigt. Die Bandbreite der Themen des 2009 mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichneten Schriftstellers reicht aber von einem literaturwissenschaftlichen Werk über den habsburgischen Mythos über eine Biografie der Donau bis zu einer kritischen Würdigung der Triestiner Literatur.

Seit den 1990er-Jahren lebt der deutsche Schriftsteller Veit Heinichen (geb. 1957) in Triest, Schauplatz seiner bisher mehr als ein halbes Dutzend spannenden Kriminalromane rund um Commissario Proteo Laurenti. Den ausgewiesenen Gourmet Heinichen, dessen Krimis in sieben Sprachen übersetzt wurden, unter ihnen Italienisch und Slowenisch, kann man, wenn man Glück hat, in einem der Kaffeehäuser – siehe nachfolgendes Kapitel –, in einer der urigen Buschenschänken im Karst, einer Osmiza, oder auf einem Weingut beim Verkosten antreffen. Am allerehesten jedoch im Ristorante Scabar (Erta di Sant’Anna 63, Tel. 040 810 368, www.scabar.it, Mo Ruhetag, Bus Linie 34 ab Largo Barriera Vecchia bis Endstation), für das er in seinen Romanen unverhohlen Werbung betreibt. Aus gutem Grund: Denn die Spitzengastronomin Ami Scabar ist nicht nur seine Lebensgefährtin, mit der gemeinsam er das schöne kulturgeschichtlich-kulinarische Reisebuch „Triest – Stadt der Winde“ verfasst hat. Hoch über der Stadt mit Traumaussicht genießt man auch exquisite Fisch- und Fleischgerichte.


Caffè, Kunst und Krimi

So wie die Literatur und die Literaten in Triest einen besonderen Stellenwert aufweisen, so ist auch das Image der Stadt als „Kaffeemetropole“ verfestigt. Wie sehr diese beiden Tatsachen miteinander verknüpft sind und einander bedingen, sei dahingestellt. Erwiesen ist nur, dass die ungezählten Kaffeehäuser der Stadt das „Wohn- und Arbeitszimmer“ vieler Literaten waren und sind. Italo Svevo, James Joyce, Rainer Maria Rilke, Umberto Saba, Hermann Bahr und noch viele andere, sie alle besuchten gerne die Konditoreien und Cafés, besonders das San Marco. Milchige Lichtströme fließen durch die hohen Fenster, die Sessel sind abgewetzt, über den Köpfen feixende Masken und Stuck. Jegliche Modernisierungswut ging am San Marco vorüber, seitdem es 1914 eröffnet wurde. Auf der Karte stehen neben den üblichen Kaffeefixpunkten auch caffè viennese und strudel di mele, Apfelstrudel. Der berühmte Schriftsteller Claudio Magris ist hier Stammgast. Er liebt den „liberalen Pluralismus“ der Besucher und verfasst an seinem Stammtisch Essays und Romane. „Das San Marco ist eine Arche Noah, die für alle Platz hat, ohne Vorrang und ohne Ausschluss“, schreibt er. Das bunte Publikum beschreibt er in seinem Werk „Die Welt en gros und en détail“: „Alte Kapitäne von Überseedampfern, Studenten, die sich aufs Examen vorbereiten und amouröse Taktiken austüfteln, Schachspieler, unempfänglich gegen alles, was um sie herum geschieht, deutsche Touristen, neugierig gemacht durch die kleinen und großen literarischen Berühmtheiten, die ehemals diese Tische frequentierten, schweigsame Zeitungsleser, angeheiterte Gruppen, die sich dem bayerischen Bier oder dem Verduzzo hingeben, mürrische alte Leute, die über die Niedertracht der modernen Zeiten schimpfen, siebengescheite Demonstranten, unverstandene Genies, ein paar alberne Yuppies, Korken, die wie Ehrensalven knallen, vor allem, wenn der Dr. Bradaschia – vom Gericht wegen Hochstapelei (darunter auch das unberechtigte Führen eines Doktortitels) entmündigt – den, der in seiner Nähe sitzt oder an ihm vorbeigeht, unbeirrt zum Trinken einlädt und dabei den Kellner in einem Ton, der keine Widerrede zuläßt, auffordert, es ihm auf die Rechnung zu setzen.“

 


Jüngstes Beispiel eines Kaffeehausliteraten ist Krimistar Veit Heinichen. Mit seinem Commissario verbindet den Deutschen einiges. Gerechtigkeitssinn, beide sind Zugewanderte, lieben die Vielfalt der Weine und Küche, natürlich trinken auch beide gerne Kaffee. Nicht immer in den gleichen Cafés – „je nach Laune und Laufweg“. Das San Marco meidet er eher. „Ein Schriftsteller pro Café ist genug.“ Der Deutsche betreibt Recherche für seine Romane in anderen Cafés, am liebsten in der Gran Malabar, Kompetenzzentrum für eine verwirrende Fülle an Weinschätzen, über die sogar die New York Times berichtet.

Das Verbrechen ist seine Welt. Veit Heinichen legt seine Finger in die gesellschaftlichen Wunden unserer Zeit. Bestechung, Menschenschmuggel, historische Spannungen, Organhandel, Industriespionage, illegale Mülltransporte, Grundstücksspekulationen, verbotene Hundekämpfe, Drogenhandel, Wirtschaftskrise – sehr globale Themen, die Veit Heinichen und seine Bücher antreiben. In seinem neuesten Werk „Keine Frage des Geschmacks“, richtet er den Blick auf Korruption, Manipulation und Ausbeutung. „Diese Art von Roman ist Spiegel eines Raumes und einer Epoche. Das kann kein Sachbuch und keine Reportage in dieser Klarheit leisten“, sagt er. Obwohl es mit Kriminalität in Triest nicht weit her ist. Kaum eine gestohlene Handtasche wird gemeldet, mit Morden kann die Hafenstadt noch viel weniger dienen. „Triest hatte eine andere Funktion, war riesengroße Geldwaschanlage für die internationalen Geheimdienste, als die Welt noch in zwei Blöcke geteilt war. Wir haben neun Stasi-Agenten hier gehabt. Das ist irre, das weiß kein Triestiner.“ Genauso fein verlaufen die Linien des Verbrechens auch heute. „Die Balkanmafia vereint sich mit der italienischen, deutschen und österreichischen in Triest, einem Kreuzungspunkt, der direkt nach Klagenfurt führt“, diktierte er bereits vor sechs Jahren in das Aufnahmegerät. Wie recht er schon damals hatte, wir sehen es heute alle.

Triest ist nicht nur eine Guckkastenbühne in Heinichens Fantasie, sondern Protagonist mit seiner eigenen Biografie. Realität und Fiktion verschmelzen. Mit fast enzyklopädischem Wissen und viel lokaler Atmosphäre werden die Leichen in Heinichens Romanen fast schon wieder lebendig. Die beschriebenen Orte gibt es wirklich, genauso wie die Wirte oder Galeriebesitzer. „Warum sollte ich sie umbenennen, Insider würden sie ja doch erkennen.“ Das ist auch eine der Qualitäten von Heinichens Literatur. Die Fakten stimmen. Man lernt die Stadt von innen kennen, vom Polizeihauptquartier bis zu den Restaurants. „Ich habe eine Verantwortung gegenüber dem Leser, er muss sich auf die Inhalte verlassen können.“ Auch Proteo Laurenti verkehrt in den gleichen Osterien und Bars. „Wenn ich hereinkomme, geht er allerdings gerade hinaus.“

Nahliegend, dass auch in Heinichens „Keine Frage des Geschmacks“ – wie im echten Triest – Bohnen eine wichtige Rolle spielen. Im Zentrum stehen die braunen Bohnen, aber auch blaue Bohnen schwirren durch die Luft, wenn es verbrecherischen Elementen darum geht, sich den größten Teil des Kuchens auf dem Kaffeemarkt zu sichern. Kaffee trägt laut Heinichen, wie andere Rohstoffe auch, immer eine Sozialgeschichte in sich. „Wir westlichen Staaten rühmen uns zwar des Demokratieexports, gleichzeitig stützen wir Tyrannen aus ökonomischen Gründen.“ Wie sehr demokratisches Engagement und Wirtschaft zusammenhängen, zeige Ex-Jugoslawien. „Der Balkankrieg hat den Westen nie interessiert. Der Grund ist klar, es gab dort kein Rohöl.“ In die Handlung verwoben wird viel Wissenswertes über den Kaffee. So erfährt der Leser nebenbei über den teuersten Kaffee, den von Schleichkatzen fermentierten Kopi Luwak, aber auch über die Hundert verschiedenen Arten, einen anständigen Kaffee in den Bars zuzubereiten. Commissario Proteo Laurenti kennt sie alle, er ist genauso leidenschaftlicher Kaffeegenießer wie sein Schöpfer. „Das Schöne an den Bars und Cafés ist ja, dass sie hierarchiefrei sind, sowohl, was das Alter und die Schichte betrifft. Alle werden gleich behandelt.“


Die Kaffeemetropole Italiens

Triest darf sich konkurrenzlos als Italiens Kaffeehauptstadt bezeichnen, die Zahlen sprechen für sich. Rund 25 Prozent des italienischen Rohkaffees werden hier umgeschlagen, Friauls Hauptstadt liegt damit gleichauf mit Savona, dahinter Genua mit 11 Prozent. Friauls Hauptstadt ist aber nicht nur Handelsplatz. „Triest hat als einzige italienische Stadt alle Bereiche der Kaffeeproduktion, vom Rohimporteur über den Röster bis zu den Kaffeelabors. Das zeigt die Bedeutung der Stadt“, sagt Vincenzo Sandalj, Inhaber von Triests größtem Kaffee-Veredelungsbetrieb. Auch beim Kaffeekonsum ist Triest klar numero uno. Zehn Kilo oder 1 500 Tassen Espresso pro Person und Jahr werden hier geschlürft, doppelt so viel wie im italienischen Schnitt. Die Weltmeister sind zwar die Finnen mit 11,8 kg Kaffee – vielleicht, weil die nordischen Kommissare die regenverhangene Tristesse ständig mit Kaffee hinunterspülen. Was die Kaffeekultur betrifft, leben die Nordlichter aber Lichtjahre entfernt von der italienischen. Triest ist außerdem Sitz des größten Kaffeeverbandes der Nation und die Heimat von Illycaffè.

Konsumiert wird das Getränk natürlich immer auch zu Hause, vorwiegend aber zu jeder Tages- und Nachtzeit in den unzähligen Kaffeehäusern und Bars, die man in Triest an allen Ecken und Enden findet. Die Rohware läuft im Containerterminal Molo VII im Hafen von Triest ein, über dem oft eine verführerische Kaffee-Duftwolke schwebt. Jährlich werden bis zu 2,5 Mio. Säcke zu je 60 Kilogramm Kaffeebohnen aus Brasilien, Vietnam, Indien, Kolumbien, Indonesien und anderen Ländern importiert und zu einem nicht geringen Teil gleich verarbeitet.

Mit dem Kaffee ist ein ganzer Wirtschaftszweig verbunden. Bevor die Bohnen zu den Röstern gehen, werden sie von den Logistikunternehmen im Molo VII gesäubert, sortiert und getestet. Händisch wird die Qualität überprüft, mit einem speziellen Gerät sticht man in die Säcke, um die Feuchtigkeit zu messen. „Maximal 13 Prozent dürfen die Bohnen haben“, erklärt Importeur Bruno Pregara. Manche Betriebe lagern ihre Ware in 30 Meter hohen Silos. Der Kaffee kann so schneller bereitgestellt werden, um auf den Handel zu reagieren. In einem anderen Sektor arbeitet die Firma Sandalj. Der Kaffee-Veredler importiert Bohnen aus über 40 Ländern und kreiert daraus in seinem Labor am Triestiner Canal Grande wie ein Parfümeur die besten Mischungen für 800 Kunden in 53 Ländern. Das Labor ist überraschend schmucklos, nur die Konzentration auf den Geschmack zählt. 30 000 Tassen testen Bohnenversteher Vincenzo Sandalj und sein Team pro Jahr, bis sie für jeden Kunden exklusive Mischungen gefunden haben. Was Sandalj vom sündteuren „Kopi Luwak“ hält? „Nichts.“


Die Suche nach dem perfekten Kaffee ist mühsam, erst die Mischung aus bis zu sieben Sorten ergibt ein rundes Geschmacksbild. Bei der Verkostung wird Luft mit eingesogen, um den Geschmack intensiver zu spüren. Wie bei einer Weinverkostung stehen Spucknäpfe bereit, probiert wird aus schmalen Tassen. „Darin konzentriert sich das Aroma besser als in breiten.“ Die regionalen Trinkgewohnheiten spielen bei der Kreation einer Mischung eine große Rolle. „In Süditalien wird fast nur Espresso aus der Robusta-Bohne mit dunkler Röstung und mehr Crema als Flüssigkeit getrunken“, erklärt der Kaffee-Doyen. Und der typische Triestiner Kaffee? „Reine Arabica-Mischung, mehr als 50 Prozent aus Brasilien, nicht zu viel Säure und Aromen von Mandeln, Nüssen und Schokolade.“ Wie viele Varianten der Zubereitung es in Triest gibt, ist ungewiss. Veit Heinichen versuchte sie zu zählen, bei 5184 hat er aufgehört.

Der Beginn des Aufstiegs zur Kaffee-Hauptstadt reicht bis ins 18. Jahrhundert zurück, als Kaiser Karl VI. 1719 Triest zum Freihafen erklärte, von dem aus bald nahezu sämtliche Kaffeehäuser der Monarchie beliefert wurden. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts entstanden auch die ersten größeren Röstereien, die ihren Kunden individuelle Mischungen anboten, um der Ware – je nach Vorliebe – eine persönliche Note zu verleihen und Qualität wie Preis über eine längere Zeit konstant zu halten.

Zwei der bekanntesten Triestiner Kaffee-Marken wurzeln noch in der Donaumonarchie. 1892 ließ sich der Kapitän der k. u. k. Marine Hermann Hausbrandt in der Hafenstadt nieder, um sich dem Kaffee-Handwerk und dessen Weiterentwicklung zu widmen. Die im Laufe der Jahrzehnte erreichte hohe Qualität hat die Edelmarke Hausbrandt bis heute gehalten.

Zum weltweiten Synonym für italienischen Spitzenkaffee wurde Illy. „Dabei kommt unser Name aus Ungarn“, sagt der heutige Firmenchef Andrea Illy, „die Familiengeschichte ist so multikulturell wie Triest selbst.“ Großvater Francesco Illy, der den Betrieb 1933 gründete, war Ungar, seine Mutter Schwäbin, seine Frau Österreicherin. „Meine Mutter ist die erste Italienerin in der Familie“, sagt Andrea. Francesco erfand mit luftdichten Blechdosen, deren Sauerstoff im Inneren durch Stickstoff ersetzt wird, ein einfaches, aber höchst wirksames Verfahren, um Kaffee länger frisch zu halten. Sein Sohn Ernesto Illy legte als promovierter Chemiker den Grundstein für die wissenschaftliche Erforschung des Kaffees und seines Aromas. Seit 2003 ist mit dem Brüderpaar Andrea und Riccardo Illy die dritte Generation am Ruder. Riccardo machte als Bürgermeister von Triest und als Regionspräsident von Friaul-Julisch Venetien auch in der Politik Karriere.

In den Labors von Illycaffè werden pro Jahr an die 1300 Kaffeeproben chemisch analysiert, als Rohware degustiert, dann geröstet, in verschiedenen Maschinen zubereitet und schließlich verkostet, wobei nur 20 Prozent davon die Qualitätstests bestehen. Erst nach diesem Prozedere können die Kaffeebohnen in den jeweiligen Lieferländern bestellt werden. Doch damit nicht genug: da die bis zu 1500 verschiedenen Aromen von Kaffee immer gleich gut schmecken sollen, durchläuft die angelieferte Ware weitere 110 Kontrollen. Der Erfolg spricht jedenfalls für sich – heute werden von Triest aus 140 Länder auf allen Kontinenten mit Illy-Kaffee versorgt.

Ein guter Espresso hat 7 Gramm Kaffee, das sind 50 Bohnen. „Ist da nur eine schadhafte dabei, spürt man das“, erklärt Veit Heinichen. Illy verarbeitet nur Arabica-Sorten. „Sie sind besser im Geschmack und haben nur die Hälfte des Koffeins von Robusta-Sorten“, ist Seniorchefin Anna Illy überzeugt. Die grünen Bohnen werden getrocknet und schonend geröstet, nur mit 220 Grad und schön langsam.

Um den Ruf von Illy als Produzent absoluter Spitzenprodukte zu festigen, werden auch international Kaffee-Kurse veranstaltet, die sich natürlich in erster Linie an Mitarbeiter in der Gastronomie wenden. Dabei kann man u. a. das Diplom eines „Maestro dell’Espresso“ erwerben.

Viele weitere Röstereien tragen mit hervorragendem Kaffee zum Ruf Triests als Kaffeemetropole bei: Amigos, Planet Coffee, Excelsior, Guatemala. Die meisten beliefern Großkunden, sind für Normalverbraucher daher nicht zugänglich.

Wer ein Stück Triest mit nach Hause nehmen will, wird dennoch fündig. Man geht auf der Piazza Cavana einfach der Nase nach und lässt sich vom Kaffeeduft in die Torrefazione La Triestina in der Via Cavana 2 im Zentrum locken. Die kleinste Rösterei der Stadt produziert maximal 1 000 Kilogramm Kaffee pro Monat, dessen unvergleichliches Aroma seit der Gründung des Unternehmens 1948 unverändert geblieben ist. Verkosten kann man sieben Kaffeesorten und elf Zubereitungsarten. Auch Cremcaffè an der Piazza Goldoni ist ein Paradies für Kaffee-Liebhaber, die Traditionsrösterei eröffnete vor einigen Jahren neu: in Form einer Kaffee-Degustationsbar. Lässig gestaltet mit Teak-Holz und bunten Vitrinen, in denen sich Kuchen, Kekse und köstliche Brote präsentieren. Im Café Torinese und in der Konditorei Eppin- ger in der Via Dante 2/​b gibt es ebenfalls hausgerösteten Kaffee. Die klassischen Kaffeehäuser werden im Einzelnen bei den nachfolgenden Spaziergängen angeführt. Ehe man aber ahnungslos einfach caffè bestellt, sollte man wissen, dass Triest auf diesem Gebiet ein bisschen anders tickt als der Rest von Italien. So ist zum Beispiel ein Cappuccino in der Adria-Stadt ein Kaffee mit Milchschaum, serviert in einer kleinen Tasse, anderswo bekannt als Macchiato. Dieser wiederum wird in Triest capo genannt. Wer jedoch einen „echten“ italienischen Cappuccino trinken möchte, muss einen caffelatte ordern – und wem dann der Gusto eigentlich nach genau diesem steht, einen Latte macchiato.

 

Hier nun eine kleine Auswahl an Triestiner Kaffee-Fachausdrücken:


nero:einfacher Espresso in der Tasse, stark, aromatisch und mit Schaumhäubchen
nero in bi:Espresso im Glas
deca:koffeinfreier Kaffee in der Tasse
deca in bi:koffeinfreier Kaffee im Glas
capo:Espresso in der Tasse mit einem kleinen Schuss Milch
capo in bi:Espresso im Glas mit einem kleinen Schuss Milch
capo deca:koffeinfreier Kaffee in der Tasse mit einem Schuss Milch
capo deca in bi:koffeinfreier Kaffee im Glas mit einem Schuss Milch
goccia:Kaffee mit einem Milchschaum-Klecks in der Mitte

Diese Liste ließe sich mit allen möglichen Variationen noch lange fortführen. Einen schlichten Kaffee? Gibt’s nicht mehr.

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