Drei Zimmer, Küche, Sarg

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Fahne auf Halbmast heißt: Ein bissel was geht immer.

Erinnerst du dich an sie? Leicht braune Haut, dunkle Haare, von der Figur und vom Aussehen her eine reine Zehn. Gut, sie geht jetzt auch schon hart auf die 35 zu, davon merkst du aber nix, denn die Rosi war mal Tänzerin.

Und jetzt hat sie seit einem Jahr oder so dieses Nagelstudio in der Färberstraße, du weißt schon, welches ich meine.

Die Rosi und der Auer Max, die haben ja so eine On-Off-Beziehung, immer unter Volldampf. Du erinnerst dich, dass sie in München schon zusammen waren? Auch dass ihm die Rosi damals für so einen windigen Porsche-Verkäufer von der Stange gegangen ist? Das habe ich schon mal erzählt, weil, eigentlich war es ja so: Der Auer Max hat in seiner Zeit in München bei der Sitte Überstunden ohne Ende geschoben. Denn er hat geglaubt, dass er dann schneller befördert wird. Und die Rosi hat geglaubt, der Max schaut sich die heißen Mädels in den Clubs genauer an und lässt sich ab und zu mal … du weißt schon. Also haben sie beide was geglaubt, und beide das Falsche. Meistens jedenfalls.

Wie es mit dem Auer und der Polizei ausgegangen ist, das habe ich dir im ersten Buch erzählt. Das mit der Rosi habe ich angedeutet. Es war so: Die Rosi sitzt damals, vor zwei Jahren, glaube ich, vor einem Insider-Café in Schwabing. Der »Reitstall«, so heißt der Laden. Den gibt es immer noch. Da triffst du nachmittags schon mal bekannte Leute vom Film oder Musiker oder Bankrotteure, die den letzten Euro mit Stil versaufen und überlegen, wen sie jetzt abzocken könnten. Und Mädels aller Haut- und Haarfarben, die noch an den berühmten Zufall glauben.

Ein Richter hat mal zu mir gesagt: »Weißt du, wie wir vor Gericht Menschen nennen, die an Zufälle glauben? Nein? Angeklagte!«

Also, die Rosi sitzt vor dem »Reitstall«, schlürft einen Hugo, da hält der Kerl mit seinem silbergrauen Carrera S direkt vor ihr und ruft: »Du lieber Gott. Schöne Frau, glauben Sie an Liebe auf den ersten Blick oder soll ich noch mal um den Block fahren und in drei Minuten nachfragen? Ich weiß übrigens, wo es einen viel besseren Hugo gibt.«

Und die Rosi, immer noch sauer auf den Max, steigt ein und fängt mit dem Kerl auch noch was an. Weil er ihr erzählt hat, er wäre der Chef von dem Porsche-Salon und er würde ihr zum nächsten Geburtstag einen roten 911er schenken.

Aber, wie sich nach ein paar Wochen herausstellte, war der Knabe zwar bei Porsche, aber nur als Aushilfsverkäufer, und der silberne Carrera war ein Vorführwagen.

Der Auer war in dieser Zeit schon in Rosenheim, wie du weißt, und hat fleißig für die Friedl im Family-Business gearbeitet.

Gut, als die Friedl dann erfahren hat, dass die Rosi in Rosenheim ist, hat es vielleicht zwei Schmoll-Tage gedauert, dann stand der Auer Max mit so vielen roten Rosen vor der Brust im Nagelstudio in der Färberstraße, dass er ausgesehen hat wie ein getarnter Truppentransporter bei einem Wald-Manöver.

Es ging da weiter, wo es aufgehört hat, ja, was glaubst du denn? Weil die Rosi ein Temperament hat wie ein Kilo Dynamit, und eine ganz kurze Zündschnur. Wenn ihre tiefschwarzen Augen flackern und sie dieses animalische Wolfs-Lächeln aufsetzt, dann, mein Freund, musst du schauen, dass du Land gewinnst.

Warum erzähle ich das so ausführlich? Wegen der Fahne.

Pass auf: Der Auer und die Rosi waren ja mal in Las Vegas, in so einem Wahnsinnshotel, The Mirage hieß das. Dort gab es einen riesigen Pool mit Palmen außen rum, und die Kellnerinnen hatten so wenig am Leib, dass sich der Auer gar nicht getraut hat, die beim Bestellen anzuschauen. Das ging übrigens so: Hinten, oben am Kopfteil von jedem Liegestuhl waren 30, 40 Zentimeter lange Plastikstangen mit einer kleinen roten Fahne obendrauf.

Und wenn du die Fahne nach oben schobst, dann stand sofort eine Dreiviertelnackerte neben dir und hat dich angestrahlt, als wollte sie dir gleich an die Badehose gehen. Du hast bestellt (den Erdbeer-Daiquiri kann ich sehr empfehlen), getrunken, und erst wenn du wieder was wolltest: Fahne hoch, und die Dreiviertelnackerte kam angestrahlt.

Und genau so eine Fahne auf einem kleinen goldenen Sockel haben die beiden, der Max und die Rosi, jetzt im Nagelsalon auf der Theke stehen. Die Fahne hat der Max im Internet bestellt und durch einen Übermittlungsfehler hat er eine Norwegische bekommen. Was im Endeffekt ja auch wurscht war, denn, und jetzt pass auf, es ging um Folgendes: Wenn der Max die Rosi abholte, zum Essen oder was weiß ich, dann schaute er immer zuallererst auf die Fahne. War die ganz oben, dann hieß das: Heute geht noch was.

War sie auf Halbmast: Mal schauen, ein bissel was geht immer.

War sie aber ganz unten, auf dem goldenen Sockel aufliegend: FASS. MICH. NICHT. AN!!!!

Was soll ich noch sagen, du ahnst es eh schon: Der Max trabte frohgelaunt in den Salon, die beiden Behandlungsstühle sind leer. Die Rosi flucht im Hinterzimmer. Die Fahne ganz unten auf dem Sockel. Nicht gut. Gar nicht gut.

»Schatzimausi«, rief er, »hast du Lust, dich verwöhnen zu lassen?«

»Schatzimausi ist so was von saumies drauf, Auer, verzieh dich im Schweinsgalopp.«

Der Auer Max kratzte sich am Kopf, während er an der Glastheke lehnte und mit der rechten Hand die trauernde Fahne drehte: »Was immer es ist, Mausi, ich bin diesmal unschuldig. Willst du mit mir reden? Bitte?«

Die Rosi kam aus der Wohnung gerauscht, die sich ja genau hinter dem Salon befand, und fauchte: »Schau dich einmal um!« Sie breitete die Hände aus, drehte sich halb und hatte Tränen in den Augen: »Alles das hier hab ich mir selber aufgebaut. Ich hab jede Menge Stammkunden, verdiene gutes Geld, kann die Miete und was weiß ich alles gut zahlen und es bleibt noch schön was über.«

»Ja, dann freu dich doch.« De Auer schob die Fahne vorsichtig auf Halbmast und drehte sie in Richtung Rosi. Die zerrte die Norwegerfahne mit einer schnellen Bewegung wieder runter auf den Sockel: »Kannst du an nichts anderes denken? Offenbar ist es wirklich so, dass alle Männer Schweine sind, außer Papa. Soll ich dir mal was sagen?«

Sie funkelte ihn an, lag aber plötzlich an seiner Brust, den Kopf auf seine Schulter gedrückt, und heulte los: »Der Anwalt vom Hausbesitzer hat mich vorhin angerufen. Im Lauf der nächsten Tage bekomme ich ein Schreiben, dass ich hier rausmuss. Eigenbedarf, sagte er. Über den Zeitrahmen bis zum Auszug könne man reden, aber wenn ich mich sträube, geht das ruck-zuck vor Gericht, mit Räumungsklage und so weiter. Ihm fällt da schon was ein, sagte er.«

Sie erzählte noch mehr, aber in der ganzen Schluchzerei ging so einiges unter. Dem Auer wurde es warm im Bauch, eine unbändige Wut stieg ihm in den Kopf. Er schob die Rosi ein bisschen von sich, sodass er ihr die Tränen von den Augen küssen konnte: »Das ist bestimmt ein Missverständnis, glaube mir. Wo ist die Nummer von dem Anwalt?«

Sie schniefte und wischte sich die Haare aus der Stirn: »Im Telefon. Anrufliste. Der letzte eingegangene Anruf. Warum?«

Der Auer versuchte, milde zu lächeln, was ihm aber misslang, weshalb er ein Gesicht zog wie ein geschnitzter Halloween-Kürbis: »Gib mir das Handy. Ich geh kurz damit raus. Du wäscht dir jetzt schnell das Gesicht, oder was man als Frau in so einer Situation tut, und dann gehen wir fein was essen.«

Jetzt zeigte die Rosi dem Auer ihre zwei wolfsähnlichen Eckzähne mit einem grausamen Vampir-Grinsen: »Ja du Depp, glaubst du denn echt, mir ist nach Essen?«

Der Auer küsste sie auf den Mund und sagte: »Na siehst du, es geht dir schon besser. Ich bin in fünf Minuten wieder hier drin. Vertrau mir.«

»Ist ja geil, das letzte Mal, als du das zu mir gesagt hast, bist du für zwei Jahre abgetaucht.«

Auer hob den Finger: »Das stimmt nicht. So jedenfalls nicht. Du bist mit dem Porsche-Geier abgeschoben. Schon vergessen? Aber ist ja gut. Der Klügere gibt nach.«

»Wer sagt denn, dass ich nachgebe?«, fauchte sie, und der Auer Max schnappte sich lächelnd das Telefon und verschwand nach draußen. Er ging auf die andere Straßenseite, stellte sich in einen Hauseingang und drückte die Wahlwiederholung. Nach dem zweiten Signalton meldete sich eine samtweiche Frauenstimme, und Auer fauchte: »Auer hier. Max Auer. Den Chef, aber flott.«

Keine 30 Sekundenspäter war der Herr Anwalt in der Leitung, und der Auer knurrte: »Der feine Herr Schiermeier wird in einer Minute diese Nummer hier anrufen und mir erzählen, dass er das Nagelstudio in der Färberstraße der Mieterin überschreiben wird. Er übernimmt sämtliche Nebenkosten, die durch die Schenkung anfallen. Im Gegenzug wird Herr Auer, das bin ich, den Auftrag erfüllen, über den wir vor ein paar Stunden gesprochen haben. Ebenfalls ohne Kosten. Ein Quid-pro-quo-Job. Haben Sie das verstanden? Keinerlei Kosten oder Spesen.«

»Äh, ja, Herr Auer. In der Tat hatte Herr Schiermeier mit einer sehr schnellen Reaktion Ihrerseits gerechnet, sodass ich ihm umgehend Bescheid geben kann. Gibt es noch Alternativen zu Ihrem Vorschlag?«

»Ja, sagen Sie ihm, ich hätte da ein paar zündende Ideen, im wahrsten Sinne des Wortes. Sie haben zwei Minuten, die Zeit läuft jetzt. Over.«

Max unterbrach die Verbindung und schlenderte zum Laden zurück. Die Rosi saß in einem der beiden weißen, lederbezogenen Behandlungsstühle und schnäuzte lautstark in ein blassrotes Kopftuch, die Augen immer noch tränennass: »Und? Das war’s, oder? Warum sind die Menschen so gemein?«

Sie schluchzte wieder auf, und bevor der Max was sagen konnte, summte das Handy in seiner Hand. Er schnippte mit dem Finger und legte dann Daumen und Zeigefinger auf die Lippen: »Pschh!«

Dann hob er das Telefon ans Ohr: »Ja?«

»Schiermeier hier. Ich bin mit Ihrem Vorschlag, natürlich in etwas abgewandelter Form, einverstanden. Woher wussten Sie, dass mir auch dieses Haus gehört? Egal, die Dame bekommt den Laden und die Wohnung dahinter. Neuer Mietvertrag, Null Miete, sie zahlt nur ihre Nebenkosten weiter. Laufzeit, sagen wir, erst mal zehn Jahre, dann schauen wir weiter. Und Sie machen den Job.«

 

»Nein, mein Lieber. Sie machen genau das, was ich Ihrem Anwalt erzählt habe. Das ist nicht verhandelbar. Ich bringe Ihren Bruder zurück und sorge dafür, dass seine Spielschulden annulliert werden. Außerdem kümmere ich mich um die Jamaikaner. Die Leute werden Ihre Wohnung und Rosenheim in absehbarer Zeit verlassen. Ich trage alle meine Spesen selber. Und die werden nicht unbeträchtlich sein, weil ich für die Jamaikaner-Sache wahrscheinlich Hilfe brauche. Auch werde ich in gewissen Rosenheimer Kreisen bekannt machen, dass man Sie und Ihre Immobilien besser auf Dauer in Ruhe lässt. Haben wir den Deal?«

Es entstand eine kurze Pause, der Auer hörte, wie das Telefon abgedeckt wurde, und zwei Männerstimmen, dann kam der Schiermeier wieder: »Herr Auer, hören Sie mich?«

»Ja.«

»Gut. Wir machen das exakt so, wie Sie es wünschen. Mein Anwalt regelt die Sache heute noch mit dem Notar, nächste Woche um diese Zeit ist dann die offizielle Umschreibung des Ladengeschäftes und dazugehörender Wohnung. Ab wann darf ich damit rechnen, dass Sie tätig werden?«

»Sobald mir der Notar mit seinem Wort bestätigt, dass es genau so ablaufen wird.«

»Vertrauen Sie mir doch!«

»Vertrau mir, genau das sagte der Fuchs zur Gans. Und wie ging die Geschichte aus? Aber wissen Sie was? Ich mache mich ab morgen dran. Schönen Abend noch.«

Der Auer lächelte, als er das Telefon auf den Tresen legte, was ihm einen zornigen Blick von der Rosi einbrachte: »Was bitte gibt es da zum Lachen? Ich bin ruiniert, du redest von Fuchs und Gans und grinst auch noch wie ein beschissenes Heumandl. Darf ich da auch mitlachen, ja?«

»Wenn du magst, gerne. Pass auf, das ist alles völlig verkehrt rübergekommen. Der Anwalt sollte dir sagen, dass du ab nächster Woche keine Mieterin mehr bist, sondern Eigentümerin. Der Laden gehört dir. Und die Wohnung auch.«

»Spinnst du? Bist du besoffen?«

»Besoffen? Ja, von dir. Ich hab da einen Deal gemacht und mein Preis ist dein Laden. Der gehört jetzt mir und ich schenke ihn dir.«

Sie kam langsam näher, mit vorgestreckten Armen und einem Gesicht wie ein Fragezeichen: »Moooment. Wo sollte einer wie du so viel Geld herhaben? Das ist doch bloß wieder einer von deinen fiesen Tricks, damit du mich in die Kiste kriegst, oder? Genau wie beim letzten Mal? Das hat mir nämlich außer Ärger nicht viel gebracht.«

Dazu muss ich schnell einflechten, dass es in der letzten Geschichte schon so ausgesehen hat, als würde die Rosi ihren Laden vom Max »finanziert« bekommen, erinnerst du dich?

Aber es war halt so, dass der Harzinger, der alte Knabe, der nach wie vor über dem Nagelstudio wohnt, der Besitzer war. Der hat das Studio samt Wohnung über einen Anwalt an den Freund von der Silikon-Wally verkauft. Der wiederum (Günter) ist zu dem Deal vom Auer Max genötigt worden. Also hat der die Immobilie gleich dem Anwalt wieder um den Hals gewickelt, damit der sie versilbert. Gekauft hat der Schiermeier, auch weil der Preis günstig war. Ungünstig für die Rosi hat sich der Deal aber trotzdem ausgewirkt, denn sie musste weiter Miete bezahlen. Deswegen das gesunde Misstrauen ihrerseits, als der Max mit der gleichen Masche jetzt wieder ankam.

»Geld? Hab ich auch nicht. Brauch ich dafür auch nicht. Ich soll was machen, was ich gut kann. Das tue ich. Anstelle von Bezahlung kriegst du deinen Laden. Ich finde, das ist ein Superdeal. Diesmal mit meiner berühmten Geling-Garantie. Und was deinen zweiten Satz mit der Kiste anbelangt: immer gerne.«

Die Rosi flog ihm nun in die Arme wie ein Tornado, biss ihn herzhaft ins Ohr und flüsterte: »Du bist der bescheuertste Typ, den es gibt. Aber ich liebe dich. So, und jetzt zwick mich, damit ich merke, dass ich nicht träume.«

Der Auer Max griff hinter sich, schnappte mit einer Hand die Fahne und zog sie von unten ganz nach oben: »Da wüsst’ ich jetzt aber schon was Besseres, oder?«

Und sie hauchte: »Beam me up, Scotty! Richtung Kiste.«

Chili, der Mann für alle Fälle

Der 65 Meter hohe Turm der St.-Nikolaus-Kirche wurde von zwei Seiten angestrahlt und die Glocken hoben zum Mitternachts-Geläut an, als der Auer Max grinsend über den Grünen Markt und weiter zum Mittertor ging.

Zwar tat ihm außer den Haaren so ziemlich der ganze Körper weh, aber er war bester Laune. Die Rosi hatte wirklich alle Register gezogen, und das waren nicht wenige.

Ich meine, du kannst dir ja denken, dass der Max während seiner Zeit bei der Münchner Sitte mit vielen Damen mit ausgeprägtem Penetrations-Hintergrund zu tun hatte. Manchmal auch privat.

Viele von den Mädels haben Sachen drauf, bei denen du aufpassen musst, dass es dir keine Sicherung raushaut. Die Eva mit dem Eiswürfel-Trick zum Beispiel. Der bei gleichzeitiger Anwendung einer Spezialmassage, mein lieber Scholli. Da ist die Nutella-Nummer schon eher was für Anfänger. Oder die rote Lissy, die mit einigen ihrer Körperteile Dinge tun konnte, die man nicht einmal von einem Schlangenmenschen erwartet hätte. Oder die Schwertschluckerin, mein lieber Mann, da könnte ich jetzt noch so einiges erzählen. Aber Fakt ist, dass sich der Max immer alles ganz genau gemerkt hat, und die besten Darbietungen hat er mit der Rosi durchgespielt, ja, was meinst du denn?

Über die Münchner Straße fuhren ein paar Autos, Fußgänger waren nur noch vereinzelt unterwegs und selbst die Dealer im Salingarten gähnten. Aber der Max, bester Laune, grüßte jeden und pfiff vor sich hin.

Man sollte meinen, dass er müde wäre. Aber mit dem ganzen Adrenalin und dem Glücksrausch im Körper war an Schlaf nicht zu denken. Der Rücken brannte ihm, die Beinmuskulatur tat weh, durch den gesamten Unterkörper zog sich ein leichtes Brennen, aber egal.

Also ging er am Sportladen vorbei in die Tiefgarage, wo sein alter 911er stand. So leise wie möglich fuhr er die Rampe hoch und dann links in Richtung Brückenberg.

Nach der Bahnüberführung links rein in die Enzenspergerstraße und weiter zum »Wild Wild West«.

Für die Neuen unter uns: Das »Wild Wild West« ist der Nachtclub vom Chili. Der Chili wiederum ist ein Schulfreund vom Max. Seit der Grundschulzeit in der Königsstraße kennen sich die beiden. Der Max ist zur Polizei gegangen, erst Streife, dann Prüfung zum gehobenen Dienst, Kripo, Sitte.

Der Chili ist auf der anderen Seite des Zauns tätig geworden, aber immer in Rosenheim. Bis auf die paar Ausflüge in die JVA Bernau. Dort hat er den Rest seiner Ausbildung zum Diplom-Ganoven bekommen. Er war ein gesuchter Safeknacker und Auftragsdieb. Aber sein Traum, das war ein Nightclub. Mit Separees, Pokertischen, zwei oder drei Stangen auf der Theke, an denen schicke Mädels tanzen, du weißt schon.

Gut, das »Wild Wild West« ähnelt mehr einer niedrigen, langen Baracke. Aber es liegt abgeschieden, hat einen großen, mit Kies bestreuten Parkplatz, auf dem ein paar uralte Laubbäume stehen, und die nächsten Wohnblöcke sind ein paar Hundert Meter weit weg.

Der Neon-Schriftzug über der schwarzen, sehr stabilen Eingangstür flackert unruhig, weil ein paar der Buchstaben nicht mehr richtig aufleuchteten. Und die Tür selber, die wie eine alte, stählerne Zellentür aus einem Film-Knast aussieht, ist mit einem überlebensgroßen Porträt von Will Smith bepinselt.

Will trägt die Klamotten aus dem »Wild Wild West«-Film, hat in jeder Hand einen Colt, aber irgendwie fehlt ihm ein Teil des linken Beins. Das ist im Lauf der Zeit abgeblättert.

Max ließ den alten Porsche ausrollen, massierte sich kurz die Schultern und stieg ächzend aus. Dann hämmerte er dem alten Will an die Brust, und gleich darauf ging eine kleine eiserne Luke auf und ein mächtiger Kopf, von dem man nur die obere Hälfte sah, kam zum Vorschein.

Den Kopf musst du dir jetzt vorstellen wie den vom Eisenbeißer aus den alten James-Bond-Filmen. Jaws hieß der, glaube ich. Der war zwei Meter und 13 groß, breit wie ein Irschenberger Bauernschrank und übermenschlich stark. Ein Bär mit stählernen Zähnen, erinnerst du dich?

So sah das Ungeheuer aus, das durch die Luke glotzte und sein Gesicht zu einer fürchterlichen Grimasse verzog, die er selber allerdings für ein freudiges Lächeln hielt. Der Hüne knurrte Unverständliches, riss die Tür auf und zog den Auer Max mit einer blitzschnellen Bewegung an seine Brust.

Jetzt tat dem Max eh schon so ziemlich alles weh, wie du weißt. Und der Riese schlang die Arme um ihn und drückte ihn an sich, dass dem Max die Luft in einer Geschwindigkeit aus dem Körper strömte, wie wenn du eine prall aufgeblasene Luftmatratze mit einem Teppichmesser der Länge nach aufschlitzt.

Dem Auer wurde rot vor den Augen, er sah noch, wie hinter dem Monster eine kleine, rundliche Gestalt in einem glänzenden, pflaumenfarbenen Polyester-Anzug heranrannte.

Der Kleine schrie: »Der Max, ja so was. Das ist eine Freude. Schau nur, wie sich der Arnie freut.«

Der Riese drückte dem halb bewusstlosen Auer einen nassen Schmatz auf die Stirn und setzte ihn vorsichtig ab.

Du erinnerst dich doch noch an die beiden? Danny und Arnie, die Zwillinge? Natürlich waren sie keine echten Zwillinge, aber der kleine dicke Danny und der 2,13-Meter-Mann Arnie waren so verschieden, wie Menschen nur sein können.

Auch deswegen nannte sie der Chili nur »seine Zwillinge«. Arnie, der Finne, sprach nie. Er grunzte meist nur, und der Einzige, der ihn verstand und bei Bedarf übersetzte, das war der kleine Danny, der wirklich ein bisschen wie Danny DeVito aussah. Arnie hatte ein Holzbein. Links, gleich unter dem Knie. Die Prothese konnte er, wenn es die Situation erforderte, sehr schnell abnehmen und die darin befindliche abgesägte Schrotflinte rausziehen.

Der Auer holte tief Luft, klopfte den beiden auf die Schultern und betrat den Laden. Über der runden Tanzfläche drehte sich die silberne Discokugel und warf Millionen von tanzenden Diamanten durch das Halbdunkel.

An der langen Bar-Theke saßen fünf oder sechs Kerle, einer versuchte, die Blonde hinter dem Tresen anzubaggern, und die anderen schauten der Schwarzen im weißen String-Tanga zu, die sich lässig an einer der Stangen vor ihnen bewegte. Aus den Lausprechern dröhnte »Knock on Wood«, in der Fassung von Amii Stewart.

Diese Fassung gefällt mir persönlich ziemlich gut, die von Otis Redding ist aber besser, obwohl es Eddie Floyd, der es zusammen mit Steve Cropper geschrieben hat, auch saucool singt.

Ich hab Steve Cropper 1968, glaube ich, in Saigon in einer Bar in der »Bring Cash Alley« getroffen. Er hat mir erzählt, er und Eddie haben das Lied während eines mächtigen Sturms geschrieben. Da ist ihnen diese einzigartige Zeile eingefallen: »It’s like thunder, lightning …«

Egal, der Auer ging um Arnie herum: »Ist der Chef da?«

Danny zeigte mit dem Daumen über die Schulter: »Im Büro. Du siehst schlecht aus, Max. Wer hat dich so fertiggemacht?«

»Längere Geschichte. Aber du solltest mal sehen, wie der andere aussieht.«

Max ging schnell über die Tanzfläche, warf der Blonden hinter der Bar eine Kusshand zu und verdrehte die Augen zu einem Schielen, als er an der schwarzen Tänzerin vorbeikam. Die streckte ihren erstaunlichen Hintern in seine Richtung und ließ ihn kurz und heftig zittern. »Twerken« nennt man das, glaube ich.

Der Chili saß hinter seinem Schreibtisch, trug ein aufgeknöpftes blaues Jeanshemd, und seine Beine, die in gelben Western-Boots steckten, lagen auf der verschrammten Schreibtischplatte. Vorne rechts, am anderen Ende der Platte, konnte man immer noch den Fleck sehen. Du weißt schon, wo ihm einer den blonden Pferdeschwanz mit Sekundenkleber auf die Tischplatte geklatscht hat und der Auer ihm später das geliebte Teil mit einer Schere abschneiden musste.

Wie dem auch sei, die Haare sind nachgewachsen, der Zopf war wieder da und der Chili sah aus wie immer: ein in die Tage gekommener Surfer. Rechts hinter ihm, über dem Safe, hing das fast quadratmetergroße Foto seiner einzigen und wahren Liebe: ein 68er-Ford-Mustang Cabrio, V8, innen die rote »Red Crinkle«-Ausführung, außen knallroter Lack und, jetzt kommt’s, das äußerst seltene 4-Speed-Getriebe.

Woher ich das weiß? Weil der Chili jedem, aber auch wirklich jedem, der es hören will oder auch nicht, davon erzählt. In aller Ausführlichkeit. Besonders, wenn er betrunken ist. Was nicht oft der Fall ist, aber oft genug.

 

Geh in das »Wild Wild West«, setz dich an die Theke und bestell dir einen Jackie D., drei Finger hoch, mit einem einzigen Stück Eis. Und wenn der Chili auf einem seiner Kontrollgänge vorbeikommt, sieht er den Drink. So was bestellen nur Kenner. Dann drehst du dich lässig um, schnippst mit dem Finger und sagst: »Kann es sein, dass ich dich neulich in einem 68er-Mustang-Cabrio gesehen habe? So eine rote Sahnetorte mit dem Klang einer Magnaflow-Special-Auspuffanlage? Ich hab nicht so auf den Fahrer geachtet, weil mich der Wagen einfach umgehauen hat? Aber das am Steuer warst doch du, oder?«

Wenn du noch einen draufsetzen willst, dann sag: »Täusche ich mich oder hat der Mustang einen 2-Klappen-Auspuff, so, wie der geklungen hat? Da kannst du jeden Ferrari in die Tonne klopfen.«

So, und spätestens jetzt setzt sich der Chili neben dich, sieht anerkennend auf deinen Drink und fängt an, von seiner Liebe zu erzählen. Und alles, was du an dem Abend trinkst, das geht aufs Haus. Wollen wir wetten? Du musst nur viel Zeit haben, denn wenn der Chili bei den Weißwandreifen auf Speichenfelgen anfängt, über das Getriebe und den Motor zur Innenausstattung kommt und dann liebevoll von der Sechs-Schichten-Sonderlackierung erzählt, dann gehen ungefähr drei Stunden von deiner Lebensuhr ab.

Zurück ins Büro: Direkt hinter dem Schreibtisch befindet sich das doppelflügelige Fenster, das von außen durch ein massives Eisengitter geschützt ist. Auf der anderen Seite steht immer noch das alte, grün gestrichene Holzregal, in dem Bilder, Aktenordner und Miniatur-Mustangs als Cabrio oder Fastback stehen.

Chili schaute den Auer verwundert an: »Oha, was ist denn mit dir passiert?«

Der winkte ab, setzte sich auf den einzigen, unbequemen Besucher-Stuhl und sagte: »Das werde ich jetzt innerhalb von zwei Minuten zum zweiten Mal gefragt. Aber wenn es dich interessiert: Ich war unten am Innspitz beim Löwenjagen.«

Chili verzog keine Miene, während er nach unten fasste, mit Daumen und Zeigefinger zwei Gläser aus einer der Schubladen fischte und gleich danach eine Flasche Jack Daniel’s hervorholte: »Da schau her. Am Inn gibt es also Löwen. Seit wann denn?«

Er goss in beide Gläser circa drei Fingerbreit und schob dem Auer eins davon über den Tisch.

»Jetzt nicht mehr.« Der Max hob sein Glas, prostete dem Chili zu, trank und merkte, wie der Bourbon eine wohlige Wärme in seiner Kehle und im Magen entfachte: »Was heißt, dass ich mich nun anderen Herausforderungen stellen kann.«

»Wenn du so geschwollen redest, willst du was von mir. Wenn du bisher was von mir wolltest und ich es getan habe, habe ich meistens fürchterlich eine aufs Maul gekriegt oder Ähnliches. Und das, wo du genau weißt, dass es für einen wie mich keine Ersatzteile mehr gibt. Aber was soll’s, fang an.«

Jetzt grinste der Auer Max und beugte sich auf seinem Stuhl nach vorne: »Der Schiermeier Alfons. Was klingelt da bei dir?«

Der Chili trank seinen Jackie D. aus, schenkte sich nach und hielt die Flasche fragend über den Tisch. Der Auer winkte ab und Chili füllte sich nach: »Der Schiermeier war vor einiger Zeit hier. Das war, warte mal …« Er schaute nach oben, schnippte dann mit den Fingern und meinte: »Vorige Woche Montag. So gegen zwei Uhr in der Früh. Er hatte drei Kerle von einem Imker-Verein dabei, denen wollte er ein Grundstück abluchsen.«

»Imker, was? Da kannste mal sehen. Immer diese Imker.«

»Lass mich ausreden. Der eine, so ein mehläugiger dicker Schmierlappen, sagte zu meinem Mädel da draußen: ›Jetzt machst uns schnell einmal vier doppelte Biena-Coladas, Schnucki‹, und die blonde Torte kommt doch glatt zu mir rein und fragt, was ein Biena-Colada ist. Ob das was mit Bienen zu tun hat, ob da Honig reinkommt. Und ich sag: kein Honig, sondern ganze Bienen. Die Imker essen keinen Honig, die kauen die Bienen. Und Blondie staunt mich an und sagt: ›Ihhhh, echt jetzt?‹, und dann noch: ›Aber Chef, wir haben doch gar keine Bienen hier.‹ Max, mein Alter, mit so einem Personal musst du heutzutage arbeiten. Auf jeden Fall, der Schiermeier fängt mich bei einem Gang durch den Laden ab und meint, ich soll die drei schlappen Willis an der Bar richtig abfüllen, Preis spielt keine Rolle. Was hast du mit dem zu tun? Sind denen ein paar Bienen entflogen?«

Der Chili lehnte sich lächelnd in seinem Stuhl zurück: »Und der junge Schiermeier, der Josef, der hat hier Hausverbot. Der hat so ziemlich überall in Rosenheim abends Hausverbot, glaube ich.«

»Genau um den geht’s. Um den Josef. Der ist abgetaucht, nach Salzburg wahrscheinlich. Ich suche ihn und bringe ihn hierher zurück. Das ist der erste Punkt auf dem Zettel.«

»Ein Zettel sogar. Das klingt nicht gut. Was ist der zweite Punkt?«

»Der Schiermeier wird erpresst. Weißt du davon was? Ich meine, was sagen die Buschtrommeln?«

Chili schüttelte den Kopf und trank: »Ahhh, das macht wohlig. Nein, davon weiß ich nix. Ist das der zweite Punkt?«

»Nicht ganz. Ich vermute, ich weiß, wer dahintersteckt. Das ist möglicherweise eine Jamaikaner-Gang, die Gras und so Zeugs vertickt.«

Jetzt verdrehte der Chili die Augen: »Gras? Mary Jane, Weed, schwarzer Afghane, so was? Das ist doch Kinderkram. Das Zeug kriegst du hier tagsüber von jedem zweiten Teenie, wenn’s sein muss.«

»Nein, nein. Die machen schon noch andere Dinger. Zünden hier und dort gerne mal eine Schiermeier-Wohnung an. Und manchmal liegen da auch noch verbrannte Menschen drin.«

»Aber doch nicht der Josef. Der ist blöd wie Weißbrot.« Der Chili kniff die Augen zusammen: »Sag nichts. Der Josef erpresst seinen Bruder Alfons. Die Jamaikaner machen die Drecksarbeit. Was ist mit den Leichen. Du hast in der Mehrzahl gesprochen.«

Auer zuckte mit den Schultern: »Jetzt trinke ich doch noch einen. Lass die Flasche rüberwachsen. Danke.« Er schenkte sich ein. »Da waren zwei junge Frauen in einer Wohnung in der Kastenau. Dunkelhäutige junge Frauen. Die waren aber wahrscheinlich schon vorher tot. Jemand hat gesehen, wie ein paar Rastas nachts große Gegenstände in die leere Villa geschleppt haben. Und kurz drauf war Sankt-Petrus-Feuer angesagt.«

»Jetzt will der Alfons den Josef in die Finger kriegen. Keine Polizei, das war bei den Schiermeiers schon immer so. Woher weißt du, dass der Josef in Salzburg ist?«

»Ich weiß es nicht, aber der Alfons meinte, dort würde er ein paar Zocker kennen, die ihn verstecken. Wo würdest du dich in Salzburg bei Zockern verstecken?«

»Hat er genug Geld dabei?«

»Vielleicht, kann sein. Also?«

Der Chili ließ zärtlich seinen weizenblonden Pferdeschwanz zwischen die Finger gleiten und drehte ihn zu einem Röllchen auf: »Im Stadtteil Itzling, in der Goethesiedlung, da sind Großfamilien, Zockergangs, Spielsalons. Schlimmes Gesindel, das sich da rumtreibt. Die würden aber einem wie mir oder dem Josef auf dem Klo die Gurgel durchschneiden und die Leichen fleddern. Da also eher nicht. Rund um den Hauptbahnhof, in der Elisabethstraße. Oder in der Ignaz-Harrer-Straße, da trauen sich die von der Firma Greif und Fang abends auch nicht mehr hin.«

Chili schaukelte mit geschlossenen Augen auf seinem Stuhl, dann setzte er die Füße auf den Boden und sagte: »Ich hab’s. Wenn der wo ist, dann in der Bessarabierstraße in Lehen oder Liefering. Die Straße geht durch beide Stadtteile. Da hat’s Zockerbuden, die sind im zweiten Untergeschoss unter den Kellern. Da spielen die Profis. Warte, ich rufe den Inkasso-Heinzi an. Der hat in ganz Salzburg seine Connections.«

Dann schüttelte er traurig den Kopf: »Wobei, wenn ich mir das so überlege … Das letzte Mal, als du mit dem Inkasso zu tun hattest, hat es ihm eine Kugel in den Haxen eingebracht. Und grade der Heinzi ist doch so was von nachtragend, selbst bei solchen Kleinigkeiten.«