Drei Zimmer, Küche, Sarg

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Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

»Ruf ihn an. Sag ihm, ich brauche einen Termin bei ihm. Und seine Garantie, dass ich lebendig aus Salzburg wieder rauskomme. Frag ihn, was er für eine Konsultation verlangt. Ich biete Zehntausend in bar für eine Audienz. Wenn ich in Salzburg Muskeln brauche, miete ich die von ihm. Er selber hat nichts mit der Sache zu tun. Wenn ich fertig bin, verschwinde ich sofort wieder.«

Chili hob einen Zeigefinger: »Das mit dem Loch im Haxen verzeiht der dir nie.«

»Man kann verzeihen, ohne zu vergeben, sag ihm das, wenn das Thema von dem perforierten Haxen aufkommt. Was ist jetzt? Hilfst du mir, oder ja? Und außerdem, das Loch im Bein hat ihm zwar der Danny verpasst, aber der Heinzi hat uns so was von provoziert und er ist direkt auf den Danny losgestürmt.«

»Schnee von gestern.«

»Sag ich ja. Also, würdest du bitte …?«

Der Chili zog sein Handy aus einer der Schubladen, scrollte sich durch die Nummernliste und drückte dann seufzend auf einen Knopf: »Bitte. Du willst es so. Dein nachfolgendes Leben verkürzt sich möglicherweise nach diesem Anruf um etliche Jahrzehnte.«

Der Auer wollte auch noch was sagen, aber der Chili hatte das Smartphone schon am Ohr und hob warnend einen Finger: »Ja? Hallo? Heinz? Dein Freund Chili aus Rosenheim spricht. Bei was störe ich dich grade?«

Dann stellte er das Telefon auf »laut« und legte es auf die Schreibtischplatte zwischen ihnen. Beide beugten sich vor, um die Stimme aus dem iPhone besser zu verstehen: »I bin grad beim zweiten Frühstück. Is’ ja erst kurz vor aans in da Nocht. Wos wuisst, Chilimann?« Kurze Pause, schlürfende Geräusche, dann wieder Heinzis Stimme: »A so eine Auster is’ ein richtiges Gschiss zum Essen. Warum soi des eine Delikatess’ sei? Do iss i liaba a Eitrige mit am Schoafn und zwa Bugel. Und a 16er-Blech dazua. Wo wüüst?«

Kurz für alle Nicht-Austrianer: Eine »Eitrige« ist nicht das, was du jetzt möglicherweise erschauernd denkst, sondern eine Bratwurst mit Käsestücken drin. Ein 16er-Blech ist eine Dose Ottakringer Bier und ein Bugel ist eine Semmel. Dazu muss ich sagen: Der Heinzi kommt ursprünglich aus Wien. Dort haben sie ihm aber ein paarmal den Körper perforiert sowie ein Auge ausgestochen, also hat es ihn nach Salzburg verschlagen. Was im Prinzip aber genauso ungesund sein kann, weil in Salzburg die Messer genauso tief fliegen wie in der Landeshauptstadt.

»Wie hast du denn mit meinen Leberkäs-Porno-DVDs verdient, mein Lieber?«

»Wennsd du ›mein Lieber‹ zu mir sagst, dann kriag i glei so einen Phantomschmerz im Haxn. Wos wüüst? I muass weidaessen.«

»Pass auf, der Max Auer ist auch hier, er hört mit … und …«

»Woos?« Jetzt ging der Heinzi in eine höhere Tonlage über. Und lauter wurde er auch: »Der grätzige Ex-Kieberer? Der is’ doch schuid, dass mir dein fetter Zwerg a Kugel verpasst hod. Der glaubt, er is’ a Kapazunder (besonders gescheiter Mensch), der Droddel der. Dass den no kaana aus ’m Stand gnommen (umgebracht) hat, des wundert mi’ jetzt aber scho’.«

Der Auer schob seinen Kopf noch näher zum Telefon: »Servus, Heinzi. Pass auf. Ich such jemanden in Salzburg. Einen Zocker aus Rosenheim. Du musst uns da helfen.«

»Goa nix muas i. Geh scheißen, du Schpinatschädl. Mit dia red i nix. Gib mia den Chilligen.«

Max verdrehte die Augen und schob das iPhone näher zu Chili: »Heinzi, i bin’s wieder. Wenn du uns hilfst, dann überlasse ich dir die Pressvorlage für die DVD von meiner neuesten Produktion. Hammerhandlung, pass auf: Eine gemischte asiatische Touristengruppe, so um die zehn Leute, wird im Schloss Neuschwanstein über Nacht eingesperrt. Die verstecken sich in Panik im Folterkeller. Und es gibt genau da ab Mitternacht eine saftige Orgie mit Geistern, toten Adligen, Zombies und Vampiren. In der Früh, bevor es hell wird, kommen dann die Exorzisten mit Kettensägen dazu und machen Sauce Bolognese aus allen Beteiligten. Wie klingt das? Alles in Farbe, Dolby Surround und mit Spezialeffekten, dagegen ist der Untergang der Titanic ein Vogelschiss auf einer Luftmatratze. Und: Ich kann deinen Namen als Produzent und Ideen-Geber noch reinkopieren lassen. Im Vorspann und danach. Was sagst jetzt?«

Man hörte, wie der Heinzi eine weitere Auster schlürfte, trank, dann ertönte ein klopfendes Geräusch: tock-tock-tock-tock-tock.

Chili deckte das Handy ab und flüsterte: »Hörst du das? Jetzt klopft er mit seinem Glasauge auf dem Tisch herum. Das heißt, er denkt nach und ist interessiert.«

Dann sagte er in normaler Lautstärke: »Heinzi, was ist jetzt? Ich hab nicht die ganze Nacht Zeit.«

»Jojo, i denk bloss a bissel nach. Der gschissene Ex-Kieberer soll kommen. I helf’ eahm mit meine Leut’. Er soi die Chef-DVD mitbringen oda wia des haast. I mach sie exklusiv, globusweit, is’ des klar? Hast schon ein Cover für das Werk?«

Chili machte die Becker-Faust und zischte ein fast unhörbares »Jaaa«, dann antwortete er: »Der Auer bringt alles auf USB-Sticks mit. Den Film und die Druckvorlagen für das Cover. Dreisprachig: deutsch, englisch, chinesisch. Was sagst du jetzt?«

Der Heinzi seufzte: »Na ja, bei echter Kunst kann i ned naa sag’n, noch dazu, wenn’s so elegant geamacht is’, des weißt ja eh. Wann kummt der Kieberer?«

Max sagte: »Morgen Abend. In deinen Laden beim Bahnhof, dem XXL? Um neun?«

»Jo, wennsd maanst.«

»Noch was, Heinzi, ich komme alleine nach Salzburg. Und ich will lebendig, an einem Stück und ohne Löcher wieder hier in Rosenheim ankommen. Freies Geleit, zusammen mit dem Typen, wenn wir ihn finden.«

»Den Gschrappen host scho’ so guad wia in da Daschn. Und aus dem Stand nimmt di hier ohne meinen Segen kaana. Wia haasd der Hawara?«

»Josef Schiermeier, Bayer, um die 30, notorischer Zocker.«

»Is’ guad. Bis muagn. Gschamster Diener, Habediehre und Servas.«

Der Chili legte das Telefon beiseite und schaute den Max an: »Und, zufrieden? Weißt du, was mich das kostet? Das war eine extrem aufwendige Produktion.«

»Doch nicht wirklich auf Schloss Neuschwanstein, oder?«

»Spinnst? Aber wir haben einen begnadeten Kulissenbauer. Die Chinesen sind asiatische Küchenhelfer aus München, die Kostüme aus einem Theater in Traunstein geliehen, und die Kettensägen waren ebenfalls Leih-Ware, von OBI. Willst mal in den Film reinschauen? Alleine für das Finale haben wir 80 Liter Ketchup gebraucht. Aber das war Gott sei Dank beim LIDL im Angebot.«

Der Auer Max winkte ab: »Passt schon. Ich bin nicht so der fachkundige Kunst-Mäzen wie der Heinzi. Was meinst du, kann ich ihm trauen? Von wegen freiem Geleit und so?«

Der Chili kratzte sich am Ohr: »Er wird ein bissel sehr exzentrisch, höre ich. Und jähzornig und unbeherrscht war er ja schon immer. Also, Wetten auf deine Unversehrtheit würde ich ab deinem Eintreffen in Salzburg nicht mehr annehmen.«

»Wie?«

»Das war ein Spaß. Der Heinzi ist ein gesalbter Irrer von höchsten Gnaden, aber er hält sein Wort. Das gilt allerdings immer nur für die aktuelle Absprache. Wenn du später noch mal nach Salzburg musst, stehen Neuverhandlungen an. Haben wir sonst noch was?«

Der Auer stand mit einem Ächzen auf: »Nein. Jetzt werde ich so langsam müde. Servus, mein Alter.«

»Warte, nimm deine Lebensversicherung mit!« Chili kramte in einer seiner Schreibtischschubladen: »Wo ist er denn? Ich hab ihn doch gestern noch … ah, da isser ja. Bitte sehr. Der neue Blockbuster für den Heinzi.«

»Danke. Und warum ist das jetzt meine Lebensversicherung?«

»Der Code. Der Film ist codiert und der Schlüssel ist mein Geburtstag. 1811. Erinnere den Heinzi gleich am Anfang des Gespräches daran. Sicher ist sicher. Nur damit er weiß, dass, wenn dir was passiert, er es mit mir zu tun bekommt. Und jetzt: Bon Rasage, wie die chinesischen Pornodarsteller immer sagen.«

New York schläft nie.
Rosenheim schon.

Es war schon halb zwei, als der Auer den Porsche leise in die Tiefgarage fuhr. Im Lift betrachtete er sein Gesicht, lächelte und zwinkerte sich zu. Oben im Flur zog er seine Schuhe aus und versperrte die Lifttür mit dem Code. Der Flur war bis auf das Notlicht über dem Telefon dunkel.

Im Wohnzimmer warf eine Eckleuchte einen fahlen Lichtstreifen über den Esstisch, und von der Terrasse her kam ein lauer Luftzug.

Sitzen die zwei um diese Zeit noch draußen, dachte er und ging ins Wohnzimmer. Die Sanduhr mit Ottis Asche drin glitzerte, als wären die kleinen Ascheflocken lebendig und würden sich gut amüsieren. In der Luft lag ein angenehmer, leichter Duft nach Bratensauce.

Durch die offene Schiebetür sah er den Manfred, Tante Friedls LAP (Lebensabschnittspartner), nahe an der Brüstung sitzen und große, runde Rauchkringel zu den Topfpalmen rüberhauchen. Neben dem hellen Regie-Leinenstuhl mit der Rückenaufschrift »GEORGE CLOONEY« stand ein kleiner Rattan-Beistelltisch mit einer Flasche Rotwein und einem halb vollen Glas. Von der Münchner Straße stieg das Licht der Schaufenster-Beleuchtungen an der gegenüberliegenden Hausfassade hoch, und ab und zu fuhr noch ein Auto vorbei und man hörte das Wummern der Bässe.

Der Auer hüstelte, um den Manfred nicht zu erschrecken, dann holte er sich auch einen der Leinenstühle aus der Ecke. Auf seinem stand »BETTE DAVIS«.

Er setzte sich neben den Manfred: »Warum bist du noch auf?«

»Dasselbe könnte ich dich fragen.«

»Ich war bei der Rosi und dann noch beim Chili. Jetzt bist du dran. Wo ist die Friedl?«

»Als ich sie zum letzten Mal gesehen habe, holte sie sich eine kleine Flasche Champagner aus dem Kühlschrank und ist damit in ihrem Schlafzimmer verschwunden.«

»Eurem Schlafzimmer, meinst du?«

»Oder so. Findest du mich dick?«

 

Der Auer griff zu der Weinflasche, studierte im Halbdunkel das Etikett und trank einen Schluck aus Manfreds Glas. »Von Wein hab ich keine Ahnung. Aber der schmeckt gut. Weißt du was? Vor ein paar Stunden hat mich schon mal einer gefragt, ob ich finde, dass er dick ist. Wirke ich jetzt anziehend auf dickliche Männer, oder was? Wer sagt, du bist dick? Die Friedl?«

Manfred trank ebenfalls und goss dann den Rest aus der Flasche ins Glas: »Nicht direkt. Aber wenn man so viele Jahre in meinem Beruf gearbeitet hat, dann spürt man so was. Ich meine, bei mir war es systemrelevant, dass ich die Gedanken einer Frau erraten konnte, bevor sie überhaupt dran dachte, drüber nachzudenken.«

»Heute stand in der BILD, dass japanische Forscher endlich herausgefunden haben, was Frauen wirklich wollen.«

»Ach was. Das ist ja hochinteressant. Und was genau wollen sie, die Frauen? Das frag ich mich nämlich schon mein ganzes Leben lang.«

Max stand auf: »Das weiß man nicht, weil es sich die Frauen mittlerweile schon wieder anders überlegt haben. Ich hol mir noch schnell ein Bier. Bin gleich wieder da.«

»Dreh den Otti um, die Friedl hat gemeint, er braucht ein bisschen mehr Bewegung.«

Ich glaube, es sind jetzt bestimmt ein paar Neue dabei, die das eine oder andere über den Manfred, die Friedl und den Otti noch nicht wissen.

Wo soll ich anfangen? Also, die Friedl, Auers Tante, war mit dem Otti verheiratet. Der war ein Spezialist in individueller Eigentumsübertragung. Er starb bei einem Autounfall, der aber sehr wahrscheinlich ein gut getarnter Mord war. Den Otti hat die Friedl einäschern lassen, und die Asche befindet sich seit drei Jahren in der Sanduhr im Wohnzimmer.

Der Manfred war diplomierter Heiratsschwindler, jetzt ist er Privatier und geht dem Auer bei diesem und jenem zur Hand, du weißt schon.

Der Max kam also mit seinem eiskalten Flötzinger Pils in der Hand über die große Dachterrasse, setzte sich wieder in seinen »BETTE DAVIS«-Regie-Stuhl, trank, rülpste und sagte: »Da fällt mir grade ein: Der afrikanische Lungenfisch nimmt ab, indem er einfach nichts mehr frisst.«

»Super Plan.«

»Warte, es kommt noch besser. Er, also, der Lungenfisch, kann eine Zeit lang ohne Fressen auskommen, weil sich sein Körper von seiner eigenen Muskelmasse ernährt. Der Fisch wird also kleiner.«

»Guter Tipp. Das sollte ich auch so machen. Dann passen mir meine alten Anzüge wieder. Baut der dämliche Fisch nur Muskelmasse ab oder wird er auch, wie soll ich sagen, von der Länge her kleiner?«

»Natürlich.«

»Dann ist das für mich nicht so geeignet, weil ich eh bloß einen Meter und 72 bin. Nach der Lungenfisch-Diät bin ich dann was? Eins 40?«

»Gut. Fisch beiseite. Hattest du Zoff mit Friedl?«

»Nein, das kann man so nicht sagen. Wir haben beim Essen über das eine oder andere geplaudert. Auf dich haben wir übrigens bis acht Uhr gewartet, die Friedl meinte, du hättest eine Besprechung und kämest dann zum Essen heim. Ich hab ein wunderbares Böfflamott gemacht, mit Knödeln und Rosenkohl.«

Auer schnupperte: »Drinnen im Wohnzimmer ist noch ein leichter Hauch nach Sauce in der Luft. Hier draußen riecht man leider nichts mehr. Ist noch was übrig?«

»Hast du den Otti umgedreht?«

»Jaha. Zurück zur letzten Frage. Ist. Noch. Was. Da?«

»Klar, in einem Glas ist der Ochsenbraten, in den beiden Tuppertöpfen sind noch Knödel und Rosenkohl.«

Der Manfred ist natürlich auch ein begnadeter Koch. Das waren die meisten Heiratsschwindler aus der alten Garde, ja, was glaubst du denn? Pass auf, das musst du dir bei Gelegenheit machen:

Heiratsschwindler-Böfflamott à la Manfred

Für vier Personen brauchst du ein Kilo flache Schulter vom Ochsen. Außerdem zwei blaue Zwiebeln, um die 200 Gramm Knollensellerie, 100 Gramm Karotten, fünf Knoblauchzehen, Olivenöl, zwei Esslöffel Zucker, 50 Gramm Tomatenmark, einen halben Liter guten Rotwein, 100 Milliliter Cognac, Räuchersalz, zwei Teelöffel schwarzen Pfeffer, sechs Pimentkörner, 15 Wacholderbeeren, eine Zimtstange, 100 Milliliter Rotweinessig.

Das ganze Gemüsezeugs putzen, in grobe Würfel schneiden und nebenbei das Olivenöl (reichlich) in einem großen ofenfesten Topf erhitzen. Das Gemüse und die Zwiebel- und Knoblauchstücke bei starker Hitze anrösten.

Den Zucker drüberstreuen, karamellisieren lassen und das Tomatenmark einrühren und kurz mitschwitzen lassen. Mit dem Rotwein und dem Cognac oder Weinbrand ablöschen. 750 Milliliter Bratenfond oder Suppenfond zugeben, die 20 Gramm Räuchersalz und die Gewürze in den Topf. Einmal kräftig aufkochen lassen, den Topf vom Herd nehmen und den Sud erkalten lassen. Rotweinessig dazugeben und das Fleisch in die Flüssigkeit legen, sodass es rundherum von der Marinade bedeckt wird.

Jetzt: Klappe zu, Deckel drauf und das Ganze vier Tage lang im Kühlschrank durchziehen lassen.

Vier Tage, denkst du dir? Warum so lange? Genau das ist ja das Geheimnis, die Zeit. Und glaub mir, einer wie der Chefheiratsschwindler Manfred, der weiß genau, wie man altes Fleisch weichkriegt.

Dann: den Topf in den Backofen, bei mittlerer (Umluft 150 Grad) Hitze circa drei bis vier Stunden garen, das Fleisch aus dem Topf heben, die Sauce durch ein großes Sieb passieren, wieder in den Topf, erhitzen und bei Bedarf mit ein paar kalten Butterwürfeln, die man schnell einrührt, binden.

Das Fleisch in Scheiben schneiden, die Sauce eventuell noch mal abschmecken und über das Fleisch geben. Dazu passen Knödel und Rosenkohl oder ein getrüffeltes Kartoffelpüree, was du willst.

Aber weiter in der Geschichte:

Der Manfred wiegte betrübt sein graues Haupt, schaute zu den Sternen hoch und meinte: »Der Otti ist theoretisch und praktisch tot. Ich meine, sie hat mir so viel von und über ihn erzählt, dass ich denke, es war zwar nicht die ganz große Liebe, aber schon nahe dran.«

Jetzt konntest du sehen, wie der Manfred auf eine Antwort vom Auer wartete. Einen Kommentar, ein Schulterzucken, ein Nicken, ein verständnisvolles Grinsen, irgendwas.

Aber so einem abgebrühten Ex-Bullen ziehst du nichts aus der Nase. Im Gegenteil. Der Auer Max hat mir mal erzählt, wie er bei Verhören vorgegangen ist: Du musst erst einmal schauen, hat er gesagt, was für ein Typ dein Gegenüber ist. Kriegt er leicht Stress? Dann musst du ihn unter Druck setzen, weil Menschen unter Stress Fehler machen. Stress erkennst du an der erhöhten Stimmlage, wenn er anfängt, mehr zu blinzeln, wenn er zögert, sich wiederholt, Pausen zwischen den Sätzen macht oder langsam spricht, weil er dabei nachdenkt. Den musst du aus dem Konzept bringen. Stell ihm Fragen wie: »Wenn Sie an meiner Stelle hier säßen, was würden Sie tun?« Pass auf, ein Unschuldiger gibt jetzt konstruktive Ratschläge. Ein Schuldiger gar keine oder er erzählt Blödsinn.

Oder frag ihn: »Was glauben Sie, warum sprechen wir jetzt und hier?« Ein Unschuldiger wird dich direkt hart angehen, der Schuldige schwurbelt herum. Du fragst: »Wer könnte es Ihrer Meinung nach gewesen sein?« Der Unschuldige wird dir lang und breit erzählen, was er denkt, warum, und überhaupt alles, was er zu der Frage weiß. Der Schuldige wird sagen: »Was fragen Sie mich? Ich habe doch keine Ahnung, denn ich war es ja nicht.«

Du musst Vertrauen aufbauen, ihn reden lassen, biete ihm was an, frage, ob er Hunger hat. Erzähl ihm ein bisschen von dir, stell dich nicht clever dar, sondern wie einer, der nur versucht, seinen Job einigermaßen zu machen. Dein Gegenüber soll sich sicher fühlen und vielleicht sogar denken, der kann mir sowieso nichts. Hier bin ich schnell wieder raus.

Aber zum aktuellen Thema: Manfred Gorka. Der ist ein studierter Berufslügner mit Abschluss Summa cum laude. Einer wie der Manfred wird unter Druck erst richtig gut und wachsam, ja was glaubst du denn? So einer macht den ersten Fehler erst, wenn er sich richtig sicher fühlt. Als Heiratsschwindler musst du ein Gedächtnis haben wie die Quizgötter aus »Gefragt – Gejagt«. Du brauchst auf alles eine ganz schnelle Antwort, und wenn’s geht, auch gleich die Hintergrundgeschichte dazu. Genau wie die. Nur in bessere Klamotten, als die im Fernsehen anhaben, solltest du als Heiratsschwindler investieren, wenn ich dir da einen Tipp geben darf. Schau dir bloß den mit den komischen Hemden an. Bei dem Anblick kriegt ja ein jeder Blindenhund sofort einen Knurr-Anfall.

Der Auer Max saß also da, schaute ebenfalls in die Sterne und sagte nichts. Eine oder zwei Minuten lang ging das so, dann murmelte der Manfred: »Ob ich deine Tante liebe, weiß ich selber nicht so genau. Ich habe im Job so vielen Frauen die ewige Liebe geschworen, dass ich schon lange nicht mehr weiß, ob es die überhaupt gibt. Aber ich fühle mich sehr … wie soll ich sagen, glücklich bei ihr. Bei euch. Du hast ja von Anfang an gewusst, wer ich bin oder war. Der Friedl habe ich vieles erzählt, manches nicht, du weißt schon. Aber wir vertrauen uns. Das ist eine solide Basis.«

Er deutete mit dem Glas in der Hand auf das Geländer: »Wenn es sein müsste, würde ich für sie auf der Stelle da runterspringen. Und ich habe noch nie das Bedürfnis gehabt, für jemand anders von der Terrasse zu segeln. Ich würde auch sofort eine Niere für sie geben oder einen Teil meiner Leber.«

»Mach das und du hast eine Klage wegen Körperverletzung am Hals. Wer deine Leber kriegt, ist todgeweiht.«

Manfred prostete ihm grinsend zu. »War nur so ein Spruch. Du weißt schon, was ich meine. Gut, kommen wir zum Thema.« Manfred schaute sich um, ob die Friedl da irgendwo …

»Wir fahren ja gerne mal ein oder zwei Tage in dieses Nobel-Hotel am Tegernsee. Da nimmt sie immer den Otti mit. Gut, wir buchen jedes Mal eine schöne Suite, er steht dann im Wohnzimmer neben der Obstschale und den hausgemachten Pralinen. Aber er ist da, verstehst du? Wenn wir abends zum Japaner runtergehen, dann dreht sie immer noch schnell die Sanduhr um, tätschelt sie und flüstert irgendwas. Und wenn wir gegen Mitternacht wieder hochkommen, gehe ich ins Bad und sie trinkt noch einen kleinen Schampus und erzählt dem Otti von den Sushis.«

Wenn du jetzt denkst, dass sich der Auer Max zu einem Kommentar hinreißen lässt, dann hast du dich sauber gebrannt. Weil, großer Verhörtrick: Nicke mit einer Miene, die sagt, ich verstehe dich ja so gut, ich würde an deiner Stelle dasselbe fühlen. Schau ihm voll in die Augen dabei und halt bloß die Klappe, denn sonst ist die Stimmung weg, und die Auster klappt zu. Ganz wichtig: auch kein Schulterklopfen, Auf-seine-Hand-Tätscheln oder so. Einfach nur ruhig sitzen und trübe gucken.

»Verstehst du, was ich meine? Also sag ich auf der Heimfahrt, kurz hinter dem Ort Tegernsee, wo eh immer Stau ist: ›Meine Liebe, geht es dem Otti gut dahinten zwischen den Koffern? Sie schaut mich mit diesem Habicht-Blick an, du weißt schon, und meint, ob wir ein Problem damit haben. Ich sag: ›Nein, nein gar nicht. Aber jetzt mal ganz ehrlich, weil wir schon davon reden: Warum hast du ihn eingeäschert und nicht, wie soll ich sagen, also, das, was die meisten machen?‹ Sie schnauft aus, so, wie sie es immer macht, wenn sie denkt, dass sie nur von Idioten umgeben ist, du kennst das ja. Dann denkt sie kurz nach und faucht mich an: ›Ja, sollen wir denn mit einem Skelett ins Hotel gehen? Und wenn die mit dem schnuckeligen goldenen Rollständer zum Auto kommen und die Koffer draufstellen und die Kleidersäcke an diese Stangen hängen? Dann fragt der nette Mann in der Hotel-Tracht: Das Skelett, gnädige Frau, soll das neben die Kleidersäcke und auf dem Zimmer in den Schrank oder wünschen Sie dafür ein Extrazimmer? Und ich sage dann, nein, ganz lieb, den Otti trage ich selber, der soll nirgends hängen, er wird ja schnell seekrank, gell. Willst du das? Ist es das, was dir vorschwebt?‹«

Manfred ließ den Kopf auf seine Brust sinken: »So, und jetzt kommt der Hammer: Sie will eine Karibik-Kreuzfahrt buchen. Zwei Wochen auf der MS Berlin. Die war ja mal das Fernseh-Traumschiff. Flug nach Barbados, drei Wochen Superluxus und zurück ab Curacao. Perlen der Karibik mit Erholungsgarantie.«

Der Max sagte immer noch nichts. So was tut man auch nicht, so kurz vor dem Durchbruch.

Der Manfred schluckte, räusperte sich und sagte, mehr zu sich selbst: »Aber da lass ich ihn bei Vollmond über Bord gehen. Irgendwann ist gut. Der Friedl traue ich noch zu, dass sie den Otti mit zum Käpt’ns-Dinner bringt. Da sitzt er dann neben uns. Oder auf dem Tisch, gleich neben dem Kaviar. Was soll ich tun, sag es mir?«

Der Max kratzte sich am Kopf, überlegte und antwortete: »Ich regle das. Lass dir nichts anmerken, suche mit ihr tolle Landausflüge raus oder was weiß ich. Wenn das Thema auf den Otti kommt, geh einfach mit, wie immer. Aber ich verspreche dir, bevor ihr abfliegt, habe ich das Problem für dich gelöst.«

 

»Wollen wir ihn gleich hier über das Geländer rieseln lassen?«

»Das wäre im Januar bei Schnee und Glatteis eine gute Idee, aber jetzt? Wie wollen wir ihr das morgen früh verkaufen? Vertrau mir. Ich regle das.«

Manfred stand auf: »Gut. Danke schon mal. Wen soll ich dafür umbringen? Ich brauche noch eine Flasche. Übrigens, mit wem hast du dich denn vor der Rosi getroffen? Die Friedl hat da was erwähnt.«

»Schiermeier. Alfons Schiermeier. Ein Rosenheimer Baulöwe mit Problemen.«

»Sollte ich den kennen?«

»Nein, aber der Otti hat Geschäfte mit ihm gemacht.«

Und im Weggehen stöhnte der Manfred: »Da. Bitte. Da ist er schon wieder! Ich fasse es nicht. Gute Nacht, ich gehe ins Bett. Mit einer neuen Flasche.«

»Ich glaube, du liebst sie wirklich, was?«

»Kann sein. Lass dir von einem Ex-Liebesprofi was sagen: Schmetterlinge im Bauch sind die gefährlichsten Tiere der Welt.«

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