Liebe und Alltag in der DDR

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3. Kapitel

U

mso größer war die Freude

Oh je, mein armer Hannes dachte ich damals und heute nach 35 Jahren, denke ich das auch.

Er schrieb, dass er in einer „10-Mann-Bude“ sei. Dass er nur einmal in der Woche, mittwochs, duschen konnte, ansonsten nur mit kaltem Wasser waschen!

Und das ihm! Er duschte mindestens einmal am Tag, manchmal zweimal. Er schrieb:

Ich muss ganz ehrlich sagen, es ist große Scheiße.“

Versicherte mir aber, er nehme das alles nicht so verbissen. Wer das glaubte, kannte Hannes nicht.

Die gute Nachricht war, dass die Vereidigung schon am 18. Mai sein würde.

Das bedeutete, wir konnten uns schon nach gut zwei Wochen wieder sehen.

Hannes bat mich, alleine zu kommen, da er bis 20:00 Uhr Ausgang bekäme.

Ich will keinen weiter hier haben.“, schrieb er.

Dann kamen genaue Beschreibungen, wie ich zur Kaserne käme und eine Aufzählung, was ich ihm sofort schicken sollte.

Wenn ich das heute lese, klingt es schon ein wenig nach Befehl. Aber ich war damals so verliebt und glücklich, dass Post von ihm kam, dass ich das wohl nicht bemerkte.

Außerdem stand am Ende ja schließlich, dass er mich liebe!

Der ganze Brief war tatsächlich nur eine A5-Briefkarte. Aber es waren Zeilen von meinem Hannes! Noch 12 Tage, dachte ich, bis zu unserem Wiedersehen.

Meistens habe ich oft schon den nächsten Brief angefangen, wenn mein vorher geschriebene abgeschickt war. Das macht es heute ein wenig mühsam, gerade jetzt am Anfang, zu erkennen und sich zu erinnern, wann was war. Aber die Erinnerungen kommen beim Lesen. Manchmal muss ich eine Pause machen und sortieren, was ich gerade gelesen habe. Aber das meiste fällt mir wieder ein und ich hoffe, dass bleibt so während der Lektüre der 410 Briefe.

H

annes zweiter Brief,

Mein lieber Fratz! Ich hoffe, du hast meinen ersten Brief erhalten. Wie ist es so, ohne mich Ekelpaket? Ich jedenfalls würde viel lieber mit Dir Gnatzpaket zusammen sein als hier. Ich liebe Dich eben!“

Gnatz- und Ekelpaket nannten wir uns scherzhaft, wenn Hannes und ich nach einem Streit Versöhnung feierten.

Aber, das würde jedem so gehen, der nicht freiwillig bei der Armee ist, denke ich heute. Bin schon auf meine damalige Antwort gespannt. Er schrieb weiter:

Urlaub gibt es höchstwahrscheinlich im August für 5 Tage. Könntest Du Dir ja schon mal festhalten. Besuchen könntest Du mich ab Mitte Juni jeden Sonntag von 10:00 bis 21:00 Uhr.“

Nichts, was darauf hindeutet, dass er sich freuen würde, wenn ich käme und auf den Urlaub, sondern:

Vom 15. Juni bis 7. Juli sind wir im Feldlager, also nicht hier. Ansonsten bleibe ich in Rostock. Flur bohnern (70 m lang), Revier reinigen, Schrankbau, Bettenbau sind zur Zeit meine Hauptbeschäftigungen. Ab Montag geht es los mit Frühsport, eine Woche lang jeden morgen 3000 m laufen. Unterwäsche, Strümpfe und Kragenbinden schicke ich Dir dann zum Waschen, d.h. wenn Du es für mich machen würdest? So das wär´s wieder für heute (Sonntag der 5. 5). Bis zur Vereidigung sei ganz lieb gegrüßt von Deinem Hannes.“

M

ein dritter Brief

Mein lieber Fratz! Heute habe ich Deinen Brief bekommen. Dem Hilferuf wird gefolgt. Die Latschen schicke ich mit den Schlafanzügen, die ich morgen erst kaufen muss. …alles weitere im Brief, der ja schon da sein muss. Ich küsse Dich ganz doll Dein Fratz.“

So ein kurzer Brief war für mich sehr ungewöhnlich. Meine Briefe waren meist echt lang. Ich schrieb, dass ich Post meiner Schwester weiter geschickt habe, dass er ja doch Geld bekäme für den Monat Mai, was ja für den Umzug helfen würde und dass ich alles morgen, also am 7. 5.85 genauer schreiben würde. Wahrscheinlich wollte ich das Paket so schnell wie möglich aufgeben und habe diese Briefkarte mit den wichtigsten Informationen für Hannes kurz gefasst.

U

nd dieser, mein vierter Brief

Darin berichte ich z.B. dass meine Freundin Konstanze mit mir Besorgungen machte. Ich für Hannes, sie für ihren Frank, der ja auch bei der Armee war. Es gab Engpässe beim Packpapier um die Pakete an unsere Männer einzuwickeln. Irgendwie gelang es uns dann doch, welches zu organisieren.

Ich beschreibe auch, wie ich das erste Paket verschickt habe.

Also ganz normaler „DDR-Alltag“.

Dann kommen meine Reaktionen auf Hannes´ zweiten Brief:

Es ist ganz beschissen ohne Dich, Ekelpaket! An Deiner Stelle würde ich wohl auch lieber mit irgendwem zusammen sein, als dort in Rostock! Du schreibst, dass ich Dich besuchen kann. Willst Du das denn überhaupt? Ich könnte ja mindestens jeden zweiten Sonntag, wenn ich frei habe, kommen.“

Weiter schrieb ich:

Natürlich kannst Du Deine stinkigen Socken und schwarzen Kragenbinden schicken.“

Ich glaube, dass damals alle Ehefrauen, Freundinnen und Mütter von Soldaten das taten. Wohl denjenigen, die eine Waschmaschine, z.B. eine WM 66 hatten! Was nicht unbedingt für jeden Haushalt galt. Aber in der Wohnunterkunft gab es eine.

Dann schrieb ich ihm noch genau, wie ich zur Vereidigung käme, mit welchem Zug usw. Dafür hatte ich das aktuelle Kursbuch durchstöbert.

Ich freue mich schon so auf den 18. 5.! Hoffentlich fällt kein Zug aus oder verspätet sich. Irgendwie ist das alles ganz komisch, ich weiß nicht! Manchmal sehe ich von der Kochstraße aus jemanden, der Dir auf den ersten Blick ähnelt. Dann wundere ich mich, dass Du nicht zu mir kommst. Beim Fernsehen abends, denke ich, Du kommst ja bestimmt gleich von der Spätschicht oder von einem Lehrgang wieder.

Aber Frank ist tatsächlich noch beschissener dran als Du! Der muss nächstes Jahr im Mai nach Kasachstan Raketenschießen üben. Die haben wohl in Basepohl SS20! Da sind sie drei Wochen unterwegs für dreimal schießen.“

Wenn ich das heute lese, stockt mir der Atem!

War es mir damals nicht bewusst über was ich da schrieb? Oder war es der „Kalte Krieg“, der uns Menschen auf beiden Seiten so alltäglich vorkam, dass uns gar nicht bewusst war, auf welchem Pulverfass wir lebten, im Osten wie in Westen?

Oder dachte ich, damit könnte ich Hannes trösten, dass er ja nur in ein ganz normales Feldlager musste?

Fakt ist, dass wir uns damals, wie so viele andere auch, in unserer kleinen Welt einrichteten, unsere Liebe lebten und diese ungeliebte Armeezeit unbeschadet überstehen wollten. So schrieb ich weiter:

Soll ich mich mal um ein Zimmer in Rostock bemühen oder kannst Du sowas organisieren? Jetzt im Sommer geht das ja alles vielleicht irgendwie, aber im Winter?“

Ich dachte wohl auch daran, dass es ziemlich teuer werden würde, wenn wir uns jedes Mal, wenn ich Hannes besuchte, ein Hotelzimmer nähmen. Wo sollten wir mit unserer Lust aufeinander sonst hin? Es draußen zu treiben, schien mir sehr kompliziert in einer Stadt wie Rostock. Mir fehlte unsere Zweisamkeit und so schrieb ich weiter:

Fratz, ich liebe Dich ganz doll!!! Du fehlst mir jetzt schon! Was soll das noch alles werden?! Ach Hannes! Ich freue mich so sehr auf das Wiedersehen mit Dir! Morgen bist Du erst eine Woche weg und mir kommt es so vor, als wäre es ein Monat!“

Natürlich hoffte ich jeden Tag auf Post von Hannes und zwang mich, nicht enttäuscht zu sein, wenn keine da war.

Aber ich schrieb fast jeden Tag, so dass ich oft zwei Briefe in einen Umschlag legte. So auch in meinem fünften Brief, einen vom 9. und einen vom 10. 5.

4. Kapitel

D

ieser Brief beginnt

Nun erinnere ich mich auch, dass es ziemlich kompliziert war, da ich ja von der Arbeit erst mit dem Zug von Lubmin nach Greifswald fahren musste. Dann ging es per Pedes zur Wohnunterkunft, um dort das Paket zu holen. Anschließend lief ich in einen anderen Stadtteil, um das selbige an Hannes zu senden. Bei meinem Schichtsystem in der Arbeiterversorgung war ich 12 Stunden am Tag unterwegs. Da wurde es zeitlich knapp, um noch rechtzeitig bei der Post zu sein.

Aber ich war wohl schon damals ein Organisationstalent.

Freundin Konstanze kommt auch wieder in diesem Brief vor:

Dann haben wir noch eine halbe Flasche Klaren mit Orangen-Möhrensaft getrunken und über die Wohnung diskutiert.“

Igitt, mir wird ja übel, wenn ich das lese! Schien aber damals ein Modegetränk gewesen zu sein und ich hatte wohl langes Wochenende.

Zu der Zeit habe ich immer zehn Tage gearbeitet und hatte dann vier Tage frei. Was sich tatsächlich als praktisch in Hinblick auf die Besuche bei Hannes in Rostock erwies. Auch hatte sich die Möglichkeit für eine dortige Unterkunft ergeben:

Ich habe eine Ein-Raum-Wohnung für uns in Rostock. Höchstwahrscheinlich! Die Delegierte von uns ist aus Rostock. Sie lebt mit ihrem Freund in dessen Wohnung.

Ihre Wohnung ist vom Ostseestadion 20 Minuten mit der Straßenbahn entfernt.

Sie würde mir ihre Wohnung für 20,00 Mark am Tag vermieten. Ich meine, das wäre doch schon was, oder? Wenn ich Dich besuche, brauchen wir nicht in der Stadt umher zu latschen oder in irgendeine Kneipe gehen. Außerdem könntest Du dort baden! Das denke ich mir jedenfalls. Ich muss morgen noch mal fragen. Findest Du das nicht auch gut?! Ich ja. Man muss halt an den Winter denken und 20,00 Mark würden wir dicke in der Gaststätte ausgeben, oder? Ich liebe Dich, Fratz! Und ich möchte uns die Zeit so leicht wie möglich machen! Ich versuche es jedenfalls.“

 

Die Zeilen vom 10. 5. beginnen mit:

Da ich heute wieder keine Post von Dir hatte, wollte ich erst gar nicht schreiben. Wenn ich zu viel schreibe, musst Du es mir sagen!“

Autsch, da war ich wohl doch etwas sauer, aber die Informationen, die ich hatte, wollte ich natürlich doch noch an Hannes weiter geben:

Das mit der Wohnung in Rostock geht klar! Leider hat sie doch kein Bad.“

Offensichtlich wollte ich vermeiden, dass sich mein Liebster auf ein Bad freut, das dann doch nicht da war.

Ich ahnte ja, wie sehr er darunter litt, dass er in der Kaserne nur einmal in der Woche duschen konnte. Ob das wohl heute auch noch in Kasernen so ist?

Dass ich gerade sauer oder traurig gewesen sein muss, merke ich heute auch daran, dass ich dieses Blatt vom 10. 5. nur von einer Seite beschrieben habe. Auch habe ich tatsächlich bis zum 12. 5 mit dem nächsten Brief gewartet, dann aber doch geschrieben, obwohl immer noch keine Post von Hannes kam. Meine Gefühle gingen damals hin und her, was ich heute in diesem Brief lesen kann. Mich aber auch daran genau erinnere:


Mein lieber Fratz, Hannes!

Da ich weiß, dass ich bis zur Vereidigung sowieso die Hälfte von dem vergesse, was ich mit Dir bereden will, schreibe ich heute noch ein paar Zeilen. Ich hoffe, Du bist nicht böse darüber, dass ich Dir so oft schreibe. Mir ist da nämlich noch ein anderer Gedanke in punkto Wohnung gekommen.“

So war es. Manchmal tauschten junge Ehepaare ihre Zwei-Raum-Neubauwohnung gegen eine Drei-Raum-Altbauwohnung und nahmen in Kauf, dass sie dann mit Ofen heizen mussten. Diese Idee griff ich nun auf und schrieb:

Meistens sind die Räume größer und wir bräuchten nicht noch mal umziehen, wenn wir ein Kind haben.“

Tatsächlich gab es in den Städten wie Greifswald oder Rostock noch etliche so genannte Altbauwohnungen, die recht geräumig waren, aber unsaniert. Deshalb haben sich gerade ältere Leute auf solch einen Tausch eingelassen. In unserer damaligen Situation hätten wir dann unsere AWG-Anteile wieder bekommen und wären erst mal finanziell aus dem Schneider gewesen. Es zeigt sich in meinen Briefen immer wieder, dass mich das sehr beschäftigte. Aber ganz deutlich lese ich in den Briefen, welche Sehnsucht und Gedanken ich damals hatte:

Ja, Samstag! Du glaubst ja gar nicht, wie sehr ich mich darauf freue! Dann haben wir uns 16 Tage nicht gesehen. Mir kommt es wie ein Jahr vor! Na ja, wie ein Monat bestimmt. Manchmal ist mir ganz komisch, als wenn es unsere Trennung für immer ist. So als wenn Du weggegangen bist von mir oder tot! Aber das war nur ein, zwei Mal in ganz trüben, einsamen Stunden, abends im Bett, so im Halbschlaf.

Ich liebe Dich so sehr!“

Ob ich darauf in einem seiner Briefe Antwort bekomme?

Dann habe ich noch Grüße weiter gegeben von Freunden und Kollegen, die ich alle einzeln aufgezählt habe.

Am nächsten Morgen schrieb ich dann, dass ich es mir mit dem Wohnungstausch doch überlegt habe, weil ich dann wohl noch mehr Hektik haben würde und:

Vielleicht habe ich ja heute Post von Dir!“

Ich hatte Post, sogar gleich zwei Briefe von meinem Hannes.

Der vom 9. 5. 85 begann so:

Mein lieber Fratz! Habe heute Deine liebe Post erhalten, worüber ich mich herzlich gefreut habe und auc

h mir ein paar Tränen gekommen sind. Ich habe ja erst nächste Woche mit Post gerechnet. Ansonsten ist alles Scheiße hier. Na ja, was soll´s.

Zur Vereidigung musst Du von 9:00 bis 10:30 Uhr in der Kaserne sein, Lass mich hier ja nicht hängen.“

Dann folgt eine Liste weiterer Bestellungen, was ich am 18. 5. zur Vereidigung alles noch mitbringen sollte und dass er ein Paket mit seiner zivilen Wäsche abgeschickt hat. Dann endlich was zu der Wohnung:

So, mein Fratz, nun noch wegen der Wohnung. Hoffentlich kommt sie nicht in der Zeit vom 1. 7. – 22. 7., da fahren wir ins Feldlager in die Nähe von Rathenow. Da kriegen wir natürlich kein Frei. Übrigens in den 1,5 Jahren gibt es 3 x 5 Tage Urlaub und 3 x verlängerten Kurzurlaub. Mehr ist hier nicht drin. Wenn ich Sonderurlaub kriegen soll, musst Du mir die Zuweisung für die Wohnung von der AWG mitschicken (Einschreiben). Ich würde es ja nicht wollen, dass Du noch arbeiten gehst. Und ich bitte Dich um eins, greife den Ehekredit nicht an. Ich liebe Dich ebenfalls ganz doll. Sei ganz lieb gegrüßt von Deinem Hannes.“

Diesen Brief hatte Hannes an einem Donnerstag geschrieben und den folgenden am Samstag darauf. Trotzdem kamen beide gleichzeitig am Montag bei mir an. Und ich hatte so sehr auf Post noch vor dem Wochenende gewartet, dabei hatte er ja geschrieben, nur die Post war so langsam. Damals gab es eben noch keine E-Mails und schon gar nicht Whats App. Telefonieren war auch nicht so einfach. Das können sich junge Leute heute gar nicht mehr vorstellen.

Umso mehr freute ich mich nun, dass ich gleich zwei Briefe lesen konnte, obwohl wieder Aufträge für mich darin standen. Aber immerhin stand da auch, dass auch er mich liebte!

Und so las ich mit Spannung und Freude seinen nächsten Brief:

Mein lieber Fratz! Ich habe Deine beiden Briefe heute mit großer Freude erhalten. Dein Paket mit dem Essen ist auch angekommen. Waffeln sind hier brauchbar, aber mit Büchsen geht hier noch nichts. Wenn das mit der Wohnung hier in Rostock klappt, das wäre ja toll, mal sehen, wie das alles so anläuft. Dann könntest Du ja mindestens einmal im Monat sonntags kommen. Das wäre auch so gut, wegen der Wäsche.“

Oh man, dass mit der Wäsche und was ich alles mitbringen sollte, war Hannes damals echt wichtig. Es folgte auch gleich noch eine Bestellung für den 18. 5. aber auch:

Ich hoffe, dass es Dir nicht allzu lästig ist, aber wir werden uns schon noch einspielen mit Besuch, Wäsche, Lebensmittel u.a., oder? Was machen wir überhaupt am 18. 5.? Ich möchte nur mal unter Menschen sein oder hast Du da schon die Bude? Na ja, Du hast, soweit ich sehe, alles im Griff und Hilfe.“

Hatte ich? Ja, ich hatte alles im Griff. Hatte ich übrigens noch die nächsten 20, 25 Jahre. Aber dann kamen die Antworten auf einige meiner Fragen. Kurz gesagt, es war nichts planbar, weder Ausgang, noch Kurzurlaub zu den Feiertagen. Aber:

Von unserer Batterie, 18 Mann, sind bloß vier verheiratet, also könnte ich vielleicht Weihnachten fahren. Es ist alles Kann-Bestimmung. Schikaniert werden wir hier kaum, auch wenn es manchmal so scheint. Unsere ganze Batterie ist total neu, also alle am 2. Mai eingezogen. Wir sind alle im Zimmer zusammen gekommen und gehen zusammen.“

Und zum Schluss dann, die für mich am wichtigsten die Worte:

Ich freue mich schon ganz doll auf Samstag, ich liebe Dich wie toll.“

Ja, ich erinnere mich, es hat sich alles eingespielt, obwohl wir in der NVA-Zeit nicht nur die Wohnung bekamen.

5. Kapitel

N

atürlich brachte ich in meinem Antwortbrief

Meine Schwester Ella und mein Schwager Olaf kamen zu Besuch. Sie boten an, mit mir nach Wolgast zu fahren. Da sie damals einen Trabant hatten, konnten wir damit Sessel, die meine Mutter mir für die Wohnung schenken wollte, holen. Wir diskutierten darüber, ob Olaf mich direkt vom Kernkraftwerk nach der Arbeit abholen durfte. Für Nichtkraftwerker war die Zufahrtsstraße damals gesperrt. Aber da er ja jemanden abholte, der dort arbeitete, durfte er das. So schrieb ich Hannes freudig darüber, dass wir ja jetzt nur noch ein Sofa kaufen mussten.

Auch schien es ein Problem zu geben, Kragenbinden für meinen Soldaten zu kaufen. So was gab es nur in Armeeläden. Auch war es ziemlich kompliziert, ein Nebengewerbe mit Fellmäusen anzumelden. Einfach los nähen und verkaufen ging nicht. Ella und Olaf hatten darin Erfahrung, da sie selbst Ohrringe als Nebengewerbe herstellten und verkauften.

Ich weiß heute ehrlich gesagt nicht mehr, ob ich damals tatsächlich Fellmäuse produziert oder mir einen Nebenjob gesucht habe. Ich glaube nicht, sonst wüsste ich das doch. Aber sicherlich werden auch hier die kommenden Briefe Aufschluss geben.

Auch war ich mir nicht sicher, ob es mit der kleinen Wohnung in Rostock zum 18. 5. schon klappen würde.

Aber um diese Zeit, kann man ja noch ein Hotelzimmer bekommen!“

Diese Zuversicht hatte ich, weil im Mai noch keine Ferien waren und so die Ostseeküste als beliebtes Feriengebiet noch nicht mit Urlaubern aus dem Süden der DDR überlaufen war.

Dann noch mal was zu der Wohnung:

Von einem Tausch in eine Altbauwohnung haben Ella und Olaf mir abgeraten. Man braucht da zu viel Geld, um diese zu sanieren. Ich glaube, sie haben recht. Mit dem Restgeld vom April zahle ich diesen Monat die AWG-Anteile. Irgendwie bekomme ich das hin.

Liebst Du mich auch wirklich noch? Hast Du manchmal Sehnsucht nach mir?

Bis morgen früh verabschiede ich mich erst einmal von Dir. Gute Nacht Fratz!“


Mein lieber Fratz Hannes!

Habe heute Deine Sachen bekommen, aber leider keine Zeile von Dir darin gefunden.“

So beginnt mein 8. Brief an Hannes vom 14. Mai. Meine Enttäuschung war bestimmt groß, trotzdem ging ich gleich zur Tagesordnung über:

Jetzt weiß ich wenigsten, wie Kragenbinden aussehen.“

Inzwischen hatte ich alle möglichen Kolleginnen, deren Männer schon bei der Armee waren, damit genervt, nach Kragenbinden zu kucken. Mit Erfolg! Sie haben mir dann auch gleich Tipps gegeben, wie man die Dinger am einfachsten sauber bekommt. Einer meiner Kollegen hat mir erzählt, dass er nur drei hatte, diese jeden Tag selber gewaschen hat. Das alles berichte ich sehr ausführlich.

Natürlich auch wieder, wer uns was für die Wohnung geben konnte. Meine Schwester hatte noch eine Wohnzimmerlampe, meine Mutter noch Gardinen. Auch wo ich günstige Gardinenstangen bekommen kann schrieb ich Hannes.

Ella hatte mir auch noch den Tipp gegeben, mal nach gebrauchten Küchen zu schauen, um das Geld für eine AWG-Küche zu sparen. Bestimmend teilte ich ihm aber auch mit:

Auf alle Fälle möchte ich es so machen, dass nicht umgezogen wird, wenn Du da bist! Da möchte ich nur schöne Tage mit Dir haben!“

Und das, obwohl ich keine Zeile von Hannes im Paket gefunden habe? Erstaunlich, aus heutiger Sicht. In diesem Brief schickte ich meinem Schatz auch einen Kalender mit, in welchem meine freien Wochenenden eingetragen waren und, das erstaunt mich heute auch, meine Regeltage.

Ich weiß, was Du jetzt denkst. Aber es muss ja nicht sein, wenn ich komme und meine Regel habe.“

Aus heutiger Sicht finde ich das ganz schön pragmatisch.

Ich berichte auch wieder über einen Engpass:

Hannes, Sirup habe ich bis jetzt nicht bekommen. Du wirst es nicht glauben, es gab keinen in der Kaufhalle.

Ich weiß nicht, ob ich bis zur Vereidigung noch mal schreibe. Es wäre eigentlich Quatsch. Aber ich habe immer das Gefühl, ich rede mit Dir, wenn ich schreibe. Ich liebe Dich so mein Hannes-Fratz!“

Heute wundere ich mich, dass ich es tatsächlich geschafft habe, vor dem 18. Mai nicht mehr zu schreiben.

In der Nacht, bevor ich zu Hannes nach Rostock fuhr, konnte ich kaum schlafen. Ich hörte in der Wohnunterkunft die leisesten Geräusche. Drehte mich im Bett hin und her. Wie gerädert stand ich um 5:00 Uhr auf. Meine Gefühle glichen einem absoluten Chaos. Freude und Sorge vermengten sich zu einem irren Aufgeregt sein, dass mich die ganze Zugfahrt über begleitete. Trotzdem fand ich alles gleich, die richtige Straßenbahn zu Hannes´ Kaserne schien für mich bereit zu stehen, bzw. zu warten. So kam ich gegen 8:30 Uhr, viel zu früh dort an. Vor dem Eingang versammelte sich eine Menschentraube. Viele waren offensichtlich mit der ganzen Familie gekommen. Man ließ uns schon rein und dirigierte die Besucher auf einen großen Platz. Nun hieß es warten. Würde ich meinen Soldaten erkennen? Wie sah er wohl jetzt aus? Ich hörte, dass um mich herum die gleichen Fragen gestellt wurden. Dann begann Marschmusik und die Rekruten marschierten auf den Platz. An das ganze Prozedere der Vereidigung erinnere ich mich nicht mehr. Aber daran, wie erschrocken ich war, als ich Hannes entdeckte. Er sah nicht gut aus und schien 10 Kilogramm abgenommen zu haben. Verstohlen schaute er sich um und sein Gesicht strahlte kurz auf, als er mich entdeckte. Nach der Vereidigung wurden wir Besucher wieder aus der Kaserne geschickt, um dort auf unsere Männer oder Söhne zu warten. Zur Feier des Tages gab es für alle Vereidigten bis 24:00 Uhr Ausgang. Wieder war ich aufgeregt und mein Herz schlug bis zum Hals. Es schien eine Ewigkeit zu dauern bis Hannes endlich kam.

 

Schnell gingen wir aufeinander zu. Wir sprachen kein Wort. Schauten uns in die Augen und weinten. Es war eine Mischung aus Freudentränen, dass wir uns wiedersahen und Traurigkeit darüber, dass ja alles erst begann. Hannes konnte als erster von uns beiden reden und sagte: „Komm schnell, lass uns erst mal ein Ende weg gehen. Ich will keinem von denen begegnen!“

Ich brauchte noch eine Weile, bevor ich reden konnte, sah Hannes von der Seite beim gehen an und dachte:

„Oh je, mein armer, armer Fratz. Was haben sie mit Dir gemacht?“

Hannes bemerkte meine Blicke und zog mich auf eine Bank. Jetzt umarmte und küsste er mich voller Kraft und Leidenschaft. Ich bemerkte, dass seine Küsse salzig schmeckten oder waren das meine Tränen, die ich bemerkte. Ich sah ihm in die Augen. Diesen Blick werde ich nie vergessen. In seinen Augen war die pure Verzweiflung zu sehen. Augenblicklich begriff ich, so geht das nicht. Wir müssen in der wenigen Zeit, die wir jetzt verbringen können fröhlich sein und unsere Zweisamkeit genießen. Zum Glück war schönes Wetter, ich entdeckte in der Nähe einen Park und sagte:

„Komm, mein Hannes, lass uns dorthin gehen und einwenig reden, küssen dabei und aus diesem Tag das Beste machen. “

Ich nahm Hannes an die Hand und er ließ sich bereitwillig von mir in den Park ziehen. Dort küssten wir uns ausgiebig, mal wild, mal zärtlich und langsam kam ein Lächeln auf sein Gesicht. Nun plapperte ich los, was mir einfiel. Bestellte Grüße von allen möglichen Leuten aus der Firma, von Ella und Olaf. Langsam gewöhnten wir uns an die Situation und wurden ruhiger. Vorsichtig löste ich mich aus seinen Umarmungen und sagte lächelnd:

„Jetzt könnte ich was essen. Heute Morgen habe ich keinen Bissen runter bekommen und Du siehst auch so aus, als könntest du was vertragen.“

Hannes stimmte mir zu und meinte:

„Ein paar Häuser weiter soll es ein gutes Restaurant geben. Lass uns dort mal schauen.“

Er gab mir einen Kuss und dann gingen wir Hand in Hand wieder zurück an die Straße, von wo aus wir die Gaststätte schon sehen konnten. Wir gewöhnten uns immer mehr an die Situation und machten wirklich das Beste daraus.

Sofort nachdem ich am 18. 5. nach der Vereidigung wieder in Greifswald war, um 22:10 Uhr setzte ich mich in unser kleines Zimmer und beschloss den Tag, positiv zu beenden und aufmunternde Worte an Hannes zu schreiben.


Mein lieber Fratz, Hannes!

Ich freue mich schon auf den nächsten Sonntag in zwei Wochen.

Jedenfalls war es ein schöner Tag heute. Hoffentlich haben wir diese Tage mindestens einmal im Monat!“

Bei der NVA war es so, dass nur 15 % der Soldaten täglich in Ausgang durften, In der Woche abends, an den Wochenenden ab 9:00 Uhr. Um 24:00 Uhr mussten sie wieder in der Kaserne sein. Hannes hatte mir das gesagt.

Ich brachte noch meine Hoffnung zum Ausdruck, dass es beim nächsten Mal mit der Rostocker Wohnung meiner Kollegin klappt, dann verabschiedete ich mich bis zum nächsten Tag.

Da ging es meiner Freundin Konstanze und ihrem Frank nicht so toll und so schrieb ich Hannes:

Na, sie hatte das am Samstag vielleicht beschissen. Seine und ihre Eltern waren mit zur Vereidigung. Sie waren erst bis 14:00 Uhr in Demmin in einer Kneipe. Dann durften sie sich drei Stunden lang mit den Eltern unterhalten und sich nicht weiter als 60 Meter von denen entfernen. Um 18:00 Uhr kam dann ein Tatra und hat alle Soldaten wieder eingesammelt.

Die beiden Mütter haben die ganze Zeit nur geheult. Da kannst Du Dir ja vorstellen, was sie von ihrem Frank hatte. Samstag hat Frank das erste Mal Ausgang ab 14:00 Uhr. Da will Konstanze dann alleine hinfahren.“

Ich schrieb noch, dass ich den Sonntag mit Freundinnen verbringen werde und dass ich mich über eine ärgere. Wo ich nun Gardinenstangen herbekomme und das Geld dafür. Offensichtlich hatte ich vor, einige Schallplatten (eine von Frank Schöbel) und Kassetten beim An- und Verkauf zu verkaufen. Dann auch wieder die Hoffnung, dass es in zwei Wochen mit der Bude, wie ich es im Brief nannte, klappt und ich Manuela noch mal geschrieben habe. Auf der siebten Seite des Briefes dann eine große Liebeserklärung an meinen Hannes:

Ach Fratz! Mein lieber Hannes! Ich glaube ganz fest daran, dass wir nicht zu den

50 % Ehepaaren gehören, die während der Armeezeit auseinander gehen. Langsam komme ich auch zu der Überzeugung, dass ich noch nie einen Mann so geliebt habe wie Dich! Das waren doch alles im Grunde genommen nur oberflächliche Verhältnisse. So ein anhaltendes Gefühl, wie bei Dir hatte ich noch nie. Das steigt immer wieder in mir hoch. Ich weiß auch nicht. Sicher wird sich unsere Liebe bewähren, wie man so schön sagt. Ich bin davon fest überzeugt. Und Du brauchst Dir deswegen keine Gedanken zu machen. Glaub mir, Du brauchst keine Angst zu haben! Das Wort Angst ist eigentlich blöd, nicht der richtige Ausdruck dafür. Man glaubt fest aneinander und hat trotzdem Angst? Das haut irgendwie nicht hin. Höchstens Angst in dem Sinne, dass dem Anderen irgendwas zustößt. Das ja! Aber im Bezug auf unsere Liebe habe ich keine Angst! Ich hoffe, dass Du verstehst, was ich meine. Ich liebe Dich eben! Und das wird auch so bleiben, auch wenn wir uns lange nicht sehen können, bzw. lange nicht so wie immer zusammen sein können!“

Hatten wir darüber zur Vereidigung gesprochen? Immerhin kannte jeder einen, der einen kannte, bei denen die Ehe während der NVA-Zeit auseinander ging.

Ich bin schon ganz gespannt, was Hannes darauf geschrieben hat. Immerhin hatte er auch schon am 19. 5., einen Tag nach der Vereidigung geschrieben, aber da hatte er ja meinen Brief mit der Liebeserklärung noch nicht.

Se

in Brief nach der Vereidigung

Mein lieber Fratz! So nun bist Du wieder weg, ist mir aber auch unwahrscheinlich schwer gefallen. Ich liebe Dich ganz doll!“

Dann schrieb er, dass er sofort den Spieß gefragt hat, wie das geht mit dem „Ausgang beantragen“ und dass er das gleich machen wird für den Sonntag in zwei Wochen.

Dann seine Frage:

Du kommst doch so oder so, nicht wahr?“

Hannes meinte, dass ich ihn auch sonntags in der Kaserne besuchen kann, wenn er keinen Ausgang bekommt. Ich erinnere mich, dass wir dort tatsächlich mal in einem ungemütlichen Aufenthaltsraum mit anderen Soldaten und deren Besuchern saßen.

Ich hatte Kuchen usw. mitgebracht. Es war fürchterlich! Aber der Brief endete nicht

ohne eine Bestellliste mit Sachen, die ich mitbringen sollte.