Shira und Paul der Mahner

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Shira und Paul der Mahner
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Helmut Lauschke

Shira und Paul der Mahner

Vom Flüchtlingsdasein und seinen Entbehrungen

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Später Abend im Flüchtlingslager im Libanon

Auf der Flucht

Vor dem Lagertor

Doktor Allison, Chirurg im Feldlazarett

Paul und Tarek weiter im Gespräch

Zwei Verletzte werden ins Lager gebracht

Menschen, denen der Fluchtweg über die Brücke versperrt wird, kommen zurück

Streitgespräch unter Männern auf der andern Seite der Brücke

Am Lagertor in der frühen Morgendämmerung

Shira und Theron im Lager nicht weit vom Lagertor

Am hellen Tag; im Lager wimmelt es von Menschen

Der Gang über die Brücke

Hinter der Brücke

Sonnenaufgang über dem Platz in der Fremde

Noch auf dem Platz in der Fremde

Auf der Straße

In einem provisorisch überdachten Trümmerhaus

Der Blinde auf der Trage

Auf einem mittleren Platz

Jeder der zwei hockenden Männer hält ein Kind

Nach einem Jahr in einer kleinen Stadt

Vor einem Haus

Rückkehr

Männer beim Bau eines Hauses

Impressum neobooks

Später Abend im Flüchtlingslager im Libanon

Vom Flüchtlingsdasein und seinen Entbehrungen

Sprech- und Bühnenstücke in 4 Aufzügen

Zu den Leitgedanken als den Daseinstangenten:

Es wird den Alltag fern der Heimat geben, der dir das volle Leben vorenthält

Vor dem Platz der tausend Rächer im Zweifel und den Ängsten

Unkenntnis wirft ihre Schatten voraus

In der Erschrockenheit begreift den Kern

Pathétique der Trauer

Suanita – Kinderjahre ohne Heimat

Der Name Paul geht zurück auf den Propheten Paul, der als junger Mann mit anderen Männern von Judäa 604 BC. durch König Nebukadnezar von Babylon gefangengenommen wird. Die Gefangenschaft dauert 70 Jahre und wurde vom Propheten Jeremia (25: 11 ) vorhergesagt.

Prolog

So spricht Jahwe Zebaoth: Weil ihr nicht auf meine Worte gehört habt, hole ich jetzt sämtliche Völkerschaften des Nordens herbei und meinen Knecht Nebukadnezar, den König von Babel, und führe sie heran gegen dieses Land und gegen seine Bewohner und gegen alle Völker ringsum. Ich übergebe sie dem Bann und mache sie zum Entsetzen, zum Spott und zur Schande für alle Zeit. Und ich bereite jedem Laut der Freude und der Fröhlichkeit bei ihnen ein Ende, dem Jubel des Bräutigams wie dem der Braut, dem Geräusch der Handmühlen und dem Licht der Lampen. Das ganze Land wird zur Öde und Wüste werden, und sie werden als Knechte unter den Völkern dienen siebzig Jahre lang. Aber wenn die siebzig Jahre vorüber sind, dann werde ich den König von Babel und dieses Volk heimsuchen wegen ihrer Sünde und das Land der Chaldäer und werde ewige Wüste daraus machen. Und ich bringe über dieses Land alle meine Worte, die ich über es ausgesprochen habe, alles, wie es im Buche geschrieben steht. ( Jeremia 25:8-12; Jerusalemer Bibel, Deutsche Ausgabe, Herder 2. Auflage 1968, S.1132/3 )

Erster Aufzug

Erster Auftritt

Mustafa. Ich stehe zwischen überfüllten Zelten, die Gerüche armseliger Welten durchmischen sich. Über den Stätten der Verzweiflung und der fehlenden Hoffnung leuchten die Sterne in unendlicher Klarheit. Schwer ist und immer schwerer wird es auszusprechen, was sich im Menschen drückt und über ihm sich endlos weitet.

Izmir. Nun geht es schon ins dritte Jahr, dass uns der Hunger plagt und die alten Kleider reißen. Ich frage dich in unsrer aller Not, ist es wirklich wahr, dass wir hier bleiben für die nächsten Jahre? Ich frage deshalb, weil mich auch die vielen Kinder schmerzen, die so lange ohne Schule sind und mit leeren Mägen schlafen.

Mustafa. Die Heimat liegt in Trümmern, es gab Tote und Vermisste, und die Frauen stehn und wimmern. Was kann ich dir da raten? Nimm nur ISIS und die anderen Staaten, da sind wir doch verloren und verraten.

Paul. Was im Allgemeinen fehlt, das sind Wahrhaftigkeit und Ehre. Da können wir noch Jahre lamentieren, sie werden uns den Wankelmut, die Feigheit voll Bitternis quittieren. Was uns bleibt, das ist das Leben in der Wüste mit den Zelten und der ganzen Spärlichkeit.

Izmir. Selbst das bischen Wasser ist hier brackig, schmeckt nach bittrem Kiesel und mehrt den Durst. Es ist das kargste Land ganz ohne Wiesen, in dem wir keine Rinder, keine Schafe halten können.

Paul. Bedenkt, der Frieden ist verspielt, verloren, Städte und Dörfer sind bis auf den Grund geschoren, ganze Völker brechen entzwei. Was uns blüht, wir werden’s sehn, auch wenn wir es nicht sehen wollen, und keiner kann sich vor dem verstecken, was uns erwartet mit dem Elend und der Not. Drum geht in eure Zelte zurück und lebt in dieser Magerkeit, die Nacht wird euch das Weitere lehren. Ermahnt jene, die da lauthals klagen und wimmern, dass sie die Zeiten, wie sie sind, nicht ändern können.

Shira. Seht Herr, ich bin schwanger, bringe ein Kind in die zerbrochene Welt. Ich frage euch, wo führt das hin, wenn neues Leben in das Lager kommt, das vollgestopft mit mageren Menschen ist?

Paul. Was ich dir sagen kann, ist die traurige Botschaft, denn von der Heimat sind wir getrennt, sind abgeschnitten von den Wurzeln unsrer Herkunft, sind verwaist von dem, was uns erzog und uns gehörte.

Shira. Wer kennt die Menschen, wie sie sind, das hier im Lager mit dem Elend und jene Menschen draußen in der Fremde? Die Not drückt, es wird mir angst und bänger, je länger wir in dieser Verlorenheit hausen.

Paul. Was du siehst, ich glaub’s, ist doch nicht alles, viel mehr ist’s, was hinter den Hügelhöhen sich versteckt und unter der oberen Wüstenschicht begraben liegt. Es sind Wunden der geschundenen Moral, dass auseinander bricht, ja in Brocken und Stücke zerfällt, was seit Menschengedenken sich zusammenstellt.

Shira. Wie sollen die Stücke zusammengesetzt werden, dass wieder ein Ganzes daraus wird und das Leben seinen Sinn und seine Ordnung wiederbekommt?

Paul. Ich sage dir: ich bin weder ein Philosoph noch ein Prophet, doch sehe ich den Himmel ohne Wolken. So sag ich dir aus meiner Kenntnis, dass es auch in diesem Jahr keinen Regen geben und das Fiasko bleiben wird. Denn ohne Regen gibt es weder Reis noch Korn.

Shira. Das heißt, dass der Hungerschmerz die Menschen krümmt.

Paul. Ja nicht nur die Menschen krümmt, sondern in großer Zahl die Menschen zu Boden wirft. Die Wunden werden nicht heilen bei der allgemeinen Magerkeit, und die Kinder werden zu Skeletten vertrocknen, denn ohne Milch und Mais und Wasser geht das Leben nicht.

Shira. Der Herr, was meine Mutter sagt, ist dies: Mein Kind bedenke, in einer Zeit wie dieser bringe kein Kind zur Welt, denn es fehlt am guten Boden, dass der Hunger das junge Leben zerstört.

Paul. Die Frau soll auch ans Wasser denken, bedenken soll sie, die Brunnen trocknen aus. Der Weg führt immer weiter weg, um das Wasser herbeizutragen, und oft ist der Brunnen vermint, wenn er weitab vom Lager ist. Was ich damit sagen will, ist, die Zeit ist uns nicht mehr freundlich gesinnt, und wir sind nicht mehr weit entfernt, dass uns der Hunger verzehren wird, wenn nicht die Cholera und manch andere Unwesen uns vorher in den Tod getrieben haben.

 

Shira. Ja, die Zeit ist uns nicht wohlgesonnen, und das Lager reißt die Würde von den Körpern, sprengt die Hoffnungen aus den Köpfen, zerfurcht die Gesichter immer tiefer und wirrer, dass die Melancholie auf unschuldige Kindergesichter schlägt. Mein ältester Sohn sagt: Mutter, das ist kein Leben im Lager, hier wird jeder noch verrückt. Schau, wie sie schlürfen die hageren Körper, bald werden sie im Abseits liegen, weil ihnen der Atem ausgegangen ist.

Paul. Das ist, was mich nachts nicht schlafen lässt, weil mir die armseligen Gestalten mit dem Frageblick des Wie-lange-noch vor dem inneren Auge stehn und auf Antwort warten und so meine Träume dermaßen beschweren, dass an den Schlaf nicht mehr zu denken ist.

Shira. Da kommt zum äußeren Elend die innere Not dazu mit dem Bewusstsein der verlorenen und zerstörten Heimat und der totalen Hoffnungslosigkeit im Wohin, der Frage: Wo können wir noch menschwürdig leben?

Paul. Das ist dann die Frage des menschlichen Seins, des Daseins mit dem Hiersein, die doch die zutiefst fundamentale Frage ist, wenn aus dem Flüchtlingsdasein mit den bitteren Entbehrungen sich ein Sein von Wert und Würde herausheben soll.

Shira. Und dieses Sein von Wert und Würde soll näher ans Lager herankommen und sich nicht ins Unabsehbare entfernen.

Paul. Was die Eile betrifft, da stimme ich dir aus ganzem Herzen zu, aber ich fürchte, dass es ein Kommen von Wert und Würde in absehbarer Zeit nicht geben wird. Dafür hat sich die Not zu breit gemacht und die Fläche von Ländern überzogen, wobei das Elend zum Turm der unvorstellbaren Höhe geworden ist.

Shira. Dann werden wir in der Wert- und Würdelosigkeit verenden, und die Kinder werden es nicht verstehn.

Paul. Nein, sie werden fragen, warum sie in diese Welt geboren sind, in der es zu wenig Nahrung und sauberes Wasser gibt, wo die mageren Menschen traurig blicken und an Stöcken gehn und sich nach dem Frieden und den besseren Zeiten sehnen.

Shira. Und warum das alles so verkommen ist, das kann mit einfachen Worten mir keiner erklären.

Paul. Das Ungeheuer lässt so einfach nicht begreifen, denk an die Herkunft der Menschen, denk an die Schulen, denke daran, was wir Traditionen und Kulturen nennen. Die Menschen sprechen verschiedene Sprachen, und weil sie das tun, denken sie verschieden über das Leben.

Shira. Aber was gut und böse ist, daran denken sie doch in gleicher Weise, ich meine, da stimmen sie doch überein.

Paul. Weil es die traditionellen Unterschiede gibt, verlieren viele Dinge die Gemeinsamkeit, gehen die Meinungen und Kulturen auseinander und machen die Dinge kompliziert, dass es zu Kriegen und zu Morden an unschuldigen Menschen und Kindern kommt. Es ist der Mangel an Verständnis und Verständigung, warum wir in diesem Lager eingepfercht vegetieren, denn ein Leben mit Würde kann man das nicht nennen, während andere Völker unsere Städte und Dörfer verwüsten und unsere Kulturen barbarisch schänden und vernichten. Dabei werden die Menschen nicht verschont, sie werden aus ihren Häusern getrieben, gefoltert und ermordet.

Shira. Es ist der lange Weg des Leidens ohne Ende, dabei hoffen Menschen auf die lang ersehnte Wende, denn auch die Entbehrung hat ihre Grenzen mit der Enge, dem Hunger und der Magerkeit. Dahin sterben die Alten und mit ihnen die Kinder, denn finster ist auch die Zukunft nicht minder.

Paul. Und die Finsternis, sie bringt den totalen Tod, da geht es nicht mehr nur ums Brot, wenn Menschen vor den Zelten liegen, denen der Atem weggeflogen ist. Drum setz und erwarte ich fürs Erste die Geduld, auch wenn wir frei sind von der schweren Schuld. Wir dürfen die Hoffnung und den Mut nicht verlieren, wenn es nach vorn und weiter mit uns gehen soll.

Shira. Weitergehen muss es, sonst sind wir hier am Ende, es wäre fatal, denn auch wir ersehnen die Wende, ich meine die Freiheit, dass die Kinder ihre Mahlzeit bekommen und wieder zur Schule gehen, um zu lernen.

Paul. Ja, die Kinder sollen lernen und besonders das, was wir verlernt oder versäumt haben zu lernen, ich denke da an das Zuhören mit der Fähigkeit zur Toleranz. Wie anders säh es aus in dieser Welt, wenn wir gelernt hätten, dass auch andere Traditionen und Kulturen ihre positiven und schöpferischen Bildungswerte haben.

Shira. Doch wir wurden vertrieben durch die Gewalt jener, deren Kulturen der eigenen dazu noch verwandt sind, ich meine Menschen, deren Sprache um Dialektbreite sich von der unsrigen nicht so weit unterscheidet.

Paul. Ich verstehe den Einwand und fühle die Trauer, die Toleranz liegt vor der Mauer mit Menschen jung und alt, sie wurden gefoltert und ermordet, denen Wert und Würde auf barbarischste Weise geraubt wurden. Darunter sind die Brüder des Glaubens, was sich für uns nicht fassen lässt.

Shira. Die alten Menschen können es nicht fassen, die mit den Besetzern, den Folterern und Mördern in dieselbe Schule gingen und sich dem selben Glauben täglich hingaben und sich opferbereit darin übten.

Paul. Das macht die Sache umso schwerer, schneidet aufs Schmerzlichste ins eigene Leben, dessen Schicksale sich in diesem Lager pferchen mit dem Hunger, der Verlorenheit und Krankheit. Was ich damit sagen will, es fehlt das Licht, das die Hoffnung auf Freiheit in unsere Herzen leuchtet.

Shira. Das ist das Licht zur tiefinnersten Belebung.

Paul. Ja, das Licht, das dem Elend seine Grenzen setzt, das den Menschen aus der Not befreit und ihm zurückgibt, was ihn als Menschen auszeichnet, es ist die Rückgabe der Würde zum Leben, was nur mit dem Respekt und der Rückgabe der Freiheit erfolgen kann. Kritische Zeiten hat es gegeben, solange es das Volk gibt, doch diese Krise geht über die Grenze hinaus, wenn unsere Kulturgüter als Mahnmale unserer Herkunft, Geschichte und Schöpfung zerschmettert und zerschossen werden. Da geht’s an die Wurzeln des Volkes, ohne die es kein begründetes Weiterleben der Generationen gibt.

Shira. Der Drang zur Befreiung ist groß, und er wächst weiter von Tag zu Tag.

Paul. Doch mit der Magerkeit der Menschen schwindet die Kraft, der Unmenschlichkeit zu widerstehen und die Befreiung zu erzwingen.

Shira. Und keiner weiß, wie lange es noch dauern wird, dass uns das Lager gefangen hält, das Trinkwasser salzig ist und uns der Hunger quält und bis zum Skelett abmagert, dass die letzte Hoffnung schwindet und selbst den Kindern den Atem für ihr junges Leben nimmt.

Paul. Doch trotz allem, wir müssen uns üben in der Geduld. Sieh in das Schwarz der Wolken, sieh, wie Stadt und Dörfer brennen, stell dir die Qualen der Menschen vor, die es dabei trifft, denk dir, was wäre, wenn es dich und deine Kinder träfe.

Shira. Als würde Babylon brennen, tiefschwarz ziehen die Schwaden übers Land und verzehren das Leben bis zum jüngsten Spross.

Paul. Das Prinzip der verbrannten Erde ist so alt wie die Menschheit ist, als sie das Feuermachen erfand. Dass wir es sind, die es nun trifft, das ist der Wahn der Zeit, dem wir nicht entfliehen können. Hört, die Granaten zischen übers Lager, sie schlagen ein, was weit nicht ist. Da kann der Jammer einen schon erschlagen.

Zweiter Auftritt

Auf der Flucht

Machmud. Die Füße, sie tragen uns weg aus unsrer Stadt.

Achmed. An den Seiten der durchlöcherten Straße liegen die Körper, die es weiter nicht schafften.

Machmud. Sie zu begraben, dazu fehlt die Zeit.

Beide. Denn geschossen wird aus vollen Rohren, versteckt und in Not wurde neues Leben geboren. Vielen fehlt das Wasser und die Kraft, das Leben zu halten, den letzten Dienst des Abschiednehmens noch zu tun.

Achmed. Uns brennt der Schmerz unter den Füßen.

Machmud. Und in den Köpfen klopft und bohrt die Angst.

Chor (unsichtbar). Wir ziehen in Kolonnen bei Tag und bei Nacht und wissen nicht, wohin können wir die erschöpften Körper legen. Das, was uns geblieben ist, das tragen wir auf der Haut, und der Schweiß tropft vor der letzten Trockenheit.

Sirna. Die Beine werden schwach auf dem langen Marsch, die Frage ist, wie lange werden sie uns noch tragen. Kinder gibt’s, die erschöpft am Straßenrand liegen, weil die Mütter mehr als zwei nicht tragen können. Schwer lasten die Leiden und schwerer die Verluste, es schluchzen die Stimmen dem Zeitenlauf entgegen.

Machmud. Sand schlägt hart in die Gesichter, dass die Augen im Schmerz erblinden. Ringsum reihen sich die Trichter, in deren Tiefen wir die Toten finden.

Achmed. Nicht nur in den Füßen brennt der Schmerz, es brennt die ganze Stadt mit unserm Herz. Es brennt und bombt und donnert Tag und Nacht, Dächer stürzen brennend von den Wänden. Was soll an den Enden dann noch stehn?

Machmud. So wachsen Angst und Sorgen über den Morgen. Dabei zerschlägt auch das, was Generationen bauten und schafften, denn wer soll die Verantwortung weiter tragen, wenn es keinen gibt, der davon etwas versteht.

Achmed. Die Eintracht in den Jahren ist zerrissen, wertlos zu einem Tuchfetzen zerbissen. Dächer krachen, fliegen durch die Stadt, Mord und Tod hausieren und werden nicht satt.

Sirna. Was wir in den Köpfen mit uns tragen, sind Schmerz und Trauer und die vielen Fragen. Was wir in den Händen halten, wird den Tag nicht überdauern, wenn das Wasser fehlt und die Schwäche uns befällt, wenn Kinder aus letzter Kraft den langen Weg uns folgen. Möge der Herrgott in seiner Gnade bewirken, dass es das junge Leben bis ans Ende schafft.

Machmud. Der Tag geht zur Neige, ich blicke auf, dass uns der große Führer zeige, wo wir die Nacht verbringen können ohne Mord und Tod. Denn die Menschen sind erschöpft vom schweren Marsch, dass sie das Ruhelager für paar Stunden brauchen.

Sirna. Die Finger krampfen im Schmerz von Hunger und Durst, die Füße haben sich wund gelaufen.

Achmed. Was gestern war, es zählt nicht mehr, zerschossen liegen Haus und Gut in Trümmern.

Sirna. Mit den Alten, die sich nicht wehren konnten, mit dem Lehrer, dem wir so vieles verdanken.

Machmud. Zerschossen mit den Werken bleibt zurück, was unsere Erinnerungen zeitlebens füllt.

Achmed. Darunter sind Freundschaften von Kindesjahren an, von denen viele ihr Leben verloren.

Sirna. Die ersten Sterne ziehen auf, und wir sehnen uns nach einem Platz der Ruhe.

Machmud. Wir brauchen die Ruhe für die Nacht.

Achmed. Wir brauchen das Wasser zum Trinken.

Sirna. Und das so viel mehr brauchen die Kinder, die mit uns gehen und die ganze Sache nicht verstehn.

Chor (unsichtbar). Tränen der weggerissenen Liebe sammeln sich vor den Augen, daran haften die Erinnerungen von Hoffnung und Leben. Sie bleiben gestapelt zurück zwischen bemalten Wänden, gefaltet und zusammengelegt und verknüpft an beiden Enden. War einst trotz der Armut das Zusammenleben doch friedlich, gepflegt wurde die Nachbarschaft durch Hilfe und Verständnis, so ist die Wärme dieses Geistes erkaltet, zerstören nun Geiz und Neid, was an Gutem über Generationen wuchs und stand.

Für wahr, der Glaube führt die Herzen auf den Wegen der Bescheiden- und Zufriedenheit, ist der Führer des Zuhörens und der Stille im Denken. Achtung durch die Jahre des Lebens findet, was die Alten der Jugend lehrten, denn wir begriffen mit den Herzen, dass tiefe Weisheit darin war, was sie am Abend erzählten in der Dämmerung des ausgehenden Tages und geduldig auf die Fragen warteten und in der Antwort das Leben erklärten. Sie sprachen in der Orientierung, die sie von den Vorvätern bekommen hatten und ließen keinen Zweifel an der Wahrheit, diesen Lebensweg fortzusetzen.

Achmed. Wie finster ist es um die Herzen dann geworden, als Menschen das beiseite schoben, was ihnen als Weisheit gegeben war.

Machmud. Sie waren verblendet und ertaubt, dass sie es nicht verstanden, was in schlichter Rede ihnen von Jugend an vorgetragen und erklärt wurde.

Achmed. Darum kann es kein gutes Ende nehmen, wenn Überheblichkeit die gute alte Wahrheit verlacht und schließlich verschüttet und verwirft. Denn die Wahrheit trägt gebündelt die großen Werte im Mantel der Weisheit.

 

Machmud. Doch weder die Augen der Jugend noch ihre Herzen erkennen die Größe, sie sind gefesselt durch Kleinheiten der äußeren Dinge und lassen sich nicht belehren. Sie meinen die Dinge des Lebens besser zu verstehen, was sie nicht können.

Achmed. Und in ihrer Dickköpfigkeit erleben sie nun das Blasenlaufen der wunden Füße und sehen hinter sich die schwarzen Schwaden der in Trümmer zerfallenden Stadt.

Machmud. Nun sagen sie, dass der Zerfall weder beabsichtigt noch vorauszusehen war, dass es fremde Mächte sind, die im Wahn des Hasses plündern, schänden und morden. Es geht soweit, dass sie unersetzbare Kulturgüter mit Hämmern und Äxten zerschlagen, dass sie mit Bulldozern und Tanks die geheiligten Stätten vernichten und zerwalzen.

Achmed. Das kann doch nur das Ende sein, dem wir zu entkommen suchen, wenn hinter uns die Städte und Dörfer der Heimat im Boden versinken, Frauen und Kinder geschändet und die Männer enthauptet und erschlagen werden. Was bleibt dann für uns noch übrig?

Machmud. Es ist die große Frage: Was wird uns die Zukunft vorhalten? Ich fürchte, der Schreck fährt uns durch die Glieder, dass es uns schwarz vor den Augen wird.

Chor (unsichtbar). Fürchterlich schlägt der Donner nieder, wir zittern in den Köpfen und den Gliedern, heulend fegt der Sturm als großer Rächer, krachend bersten Wände, stürzen die Dächer. Verstaubte Körper kommen mit müden Gesichtern, die Zeichen der Erschöpfung sind tief eingegraben. Es blitzt mit donnernden Salven über den Lichtern, dass kaum noch Leben in den Gemäuern zu erwarten ist.

Was mit guten Geistern durch die Jahre ging, sie sind vergangen und kommen trotz größtem Verlangen nicht zurück. Vom Wege ab formieren sich die Menschen, sie stehen mit Frauen und Kindern und den Alten. Sie alle stehn erschöpft mit Wunden an den Füßen und mit Augen des Schmerzes und der großen Trauer. Was vor ihnen liegt, sie wissen es nicht. Die Furcht drückt vor dem Unbekannten, doch schlechter kann es nicht werden.

Sirna. Hier passt mein Leben gar nicht her, wo einst Frieden durch die Gassen zog. Hass und Feindschaft machen’s schwer, wo in Jahren milde Güte leicht und freudig wog. Es gab die engen Bande des Für- und Miteinanders, wenn Not und Krankheit am Menschen zehrten. Es gab das Helfen und den Beistand mit Herz und Hand, was alle selbstlos taten, diese Sitte war jedem altbekannt.

Dass es dann so anders kam mit Gewalt und Hass, so unerwartet anders wurde über Nacht, dass Menschen geschlagen und gefoltert wurden, dass der Frieden mit den Dächern niederbrannte. Ich begann die Gesichter genauer zu betrachten und sah die Angst und Hoffnungslosigkeit in ihren Augen, da spürte ich den brennenden Schmerz in mir, dass ich erstarrte und stand mit jagendem Herz.

Es brauchte seine Zeit, die Eigenatmung zu bemerken, die Minuten vergingen, den Willen zu stärken, was nicht geschah bis in diese Stunden hinein. Es zieht sich in die Monate und Jahre, um ein Leben mit mehr Reife und Erkenntnis zu verstehn, warum es kommt, dass große Werte zerschlagen werden.

Dritter Auftritt

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