Verbot, Verfolgung und Neubeginn

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II. Ein kurzer Rückblick. Die Geschichte der österreichischen Freimaurerei von 1795–1848/49
1. Das „Kriminalpatent“ von 1795

In der Geschichte der österreichischen Freimaurerei bildete das sogenannte „Kriminalpatent“ Kaiser Franz II., das gegen die Freimaurerei und Geheimgesellschaften gerichtet war, eine Zäsur. Schon ab 1792 wurde immer wieder in verschiedenen Polizeiberichten auf die Gefahr der Freimaurerei und Geheimgesellschaften hingewiesen. Diese Berichte verschärften sich noch nach der Entdeckung der Jakobiner-Verschwörung in der Habsburgermonarchie von 1794/95.88 Dort trafen sich Sympathisanten der Französischen Revolution in verschiedenen Lokalen, wobei aus diesen Zusammenkünften jakobinische Clubs wurden, in denen an der Regierung und am Kaiser heftige Kritik geübt und die Revolutionsereignisse in Frankreich diskutiert wurden. Die österreichischen Jakobiner wollten zunächst die Wiederaufnahme eines Reformprogramms josephinisch-leopoldinischer Prägung, die dann im Einflussfeld der Französischen Revolution und auf Grund der innenpolitischen Entwicklung unter Franz II. in ihren gesellschaftspolitischen Vorstellungen über das Reformprogramm hinausgingen. Sie glaubten nicht mehr daran, durch Reformen eine Änderung der bestehenden Gesellschaftsordnung erreichen zu können. Sie riefen daher zum revolutionären Umsturz auf und wollten die Umwandlung der Habsburgermonarchie in einen Rechtsund Verfassungsstaat.89 In der Haltung zur Revolution, zur revolutionären Gewalt und ihrer Rechtfertigung griffen die Jakobiner in Österreich auf verschiedene Positionen zurück. Auch in der Auseinandersetzung um die Frage, ob die Französische Revolution legitim oder illegitim gewesen sei, ergaben sich für sie theoretische und politische Schlussfolgerungen. In den Diskussionen stand dabei das Problem der revolutionären Gewalt im Vordergrund. Darüber hinaus spielten in der Debatte über die Revolution auch theoretische Probleme eine Rolle, wie z.B. bei Andreas Riedel und Franz Hebenstreit, der eine Gesellschaftsutopie auf der Basis von Gütergemeinschaft entwickelte. Hebenstreits Gesellschaftsutopie war von urkommunistischen Idealen des frühen Christentums und von der Sehnsucht nach einem glücklichen Naturzustand geprägt. Er war davon überzeugt, dass nur durch den gemeinschaftlichen Genuss alle Laster von ihrer Wurzel her beseitigt werden könnten, und um dieses Ziel zu erreichen, postulierte er eine Gesellschaft mit gemeinschaftlicher Produktion und gemeinschaftlichem Erwerb.90

2. Die Jakobinerprozesse

Die österreichischen Jakobiner wurden in Hochverratsprozessen abgeurteilt. Der Kaiser war zunächst bestrebt, die Jakobiner, unter denen sich auch einige Freimaurer befanden, den ordentlichen Gerichten zu entziehen und diese von einem Sondergerichtshof aburteilen und ihre Rädelsführer hinrichten zu lassen. Die Juristen, besonders Karl Anton von Martini, weigerten sich jedoch unter Berufung auf die Abschaffung der Todesstrafe für Zivilpersonen durch Kaiser Joseph II., dieser Vorgangsweise, die einer Rechtsbeugung gleichgekommen wäre, zuzustimmen. Martini argumentierte auf der Grundlage des bestehenden Rechts und betonte, dass nur begangene Taten und nicht Gesinnungen oder Ideen bestraft werden dürfen und eine Rechtsbeugung auch in Notsituationen nicht zugelassen werden könne. Der Prozess und die Untersuchungshaft dauerten bis zum Urteilsspruch im Juli 1795, insgesamt ein Jahr. Das Wiener Kriminalgericht hielt die Anklagen der Untersuchungshofkommission aufrecht und bestätigte die Urteilsprüche des Appellationsgerichts und der Obersten Justizstelle in den Hauptpunkten, und auch das Militärgericht stimmte mit der von der Polizei erhobenen Anklage überein, die nach der Kriminalgerichtsordnung von 1787 auf Majestätsbeleidigung und Hochverrat lautete. Das Militärgericht verurteilte die österreichischen Jakobiner Hebenstreit und Gilowsky zum Tode durch den Strang. Da Gilowsky bereits während der Voruntersuchung in seiner Zelle Selbstmord begangen hatte, wurde die Vollstreckung des Urteils an seinem Leichnam vorgenommen. Neben den sieben Hinrichtungen auf der Ofener Generalwiese in Budapest 1795 wurde auch Siegfried Taufferer zum Tode verurteilt. Die übrigen Jakobiner bekamen langjährige Kerkerstrafen.91 Waren die Jakobiner in Österreich keine Zentren der Konspiration und auch keine „Generalstäbe des Umsturzes, sondern in erster Linie Treffpunkte, Diskussionsrunden und Kommunikationszentren“, so waren einige von ihnen doch Umschlagplätze für die Ideen der Revolution. In diesem Sinne war auch die Freimaurerei mit ihren Ideen und Handlungsweisen bei der geistigen Vorbereitung der gesellschaftlichen Entwicklungen durch ihr kulturelles, humanitäres und ethisches Engagement ihrer Mitglieder beteiligt.92

Kaiser Franz II. wandte sich am 02. Jänner 1795 mit einem Hofdekret gegen Staatsverbrecher. Das Patent nahm in aller Schärfe zu staatsgefährdenden Verbrechen Stellung. Wer die persönliche Sicherheit des Staatsoberhauptes verletzt, etwas zur gewaltsamen Umgestaltung der Staatsverfassung oder zur Vermehrung einer Gefahr von außen unternimmt, wurde in diesem sogenannten „Kriminalpatent“ als Hochverräter bezeichnet.93 Die Übertäter sollten durch den Strang hingerichtet werden, während jedem, der einen Hochverräter denunziert, Straflosigkeit und Geheimhaltung der Anzeige zugesichert wurde.

3. Polizei und Spitzelwesen

Wurde das geheime Polizeisystem schon unter Kaiser Joseph II. eingeführt, so begann nach 1815 die Polizei im Staat eine immer größere Rolle zu spielen. Als eine der Hauptaufgaben kam ihr die Verhinderung der Ausbreitung liberaler und demokratischer Ideen zu. Eine wesentliche Voraussetzung dafür waren die Verschärfung der Zensur und ein weitverzweigtes Spitzelwesen. So ist es verständlich, dass es in diesem politischen und geistigen Klima für die Freimaurerei kaum Möglichkeiten einer Reaktivierung nach dem Kriminalpatent gab. Es ist aber anzunehmen, dass die Brüder auch während der Restauration im Geheimen weiter in Verbindung blieben. Vielleicht gab es auch noch einzelne geheime Logen, wie ein Hinweis in den Tagebüchern Friedrichs von Kübecks belegt. Er berichtete darin 1809, dass er kontaktiert und aufgefordert wurde, Mitglied der Freimaurerei zu werden.94

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88 Vgl. dazu auswahlweise H. Reinalter, Aufgeklärter Absolutismus und Revolution. Zur Geschichte des Jakobinertums und der frühdemokratischen Bestrebungen in der Habsburgermonarchie, Wien 1980; ders., Die Jakobiner in der Habsburgermonarchie, in: Revolutionäre Bewegungen in Österreich, hg. von E. Zöllner, Wien 1981, S. 93 ff.; ders., Österreich und die Französische Revolution, Wien 1988.

89 Vgl. dazu H. Reinalter, Die Französische Revolution und Mitteleuropa. Erscheinungsformen und Wirkungen des Jakobinismus. Seine Gesellschaftstheorien und politischen Vorstellungen, Frankfurt / M. 1988, S. 104 ff.; ders., Aufgeklärter Absolutismus und Revolution.

90 H. Reinalter, Aufgeklärter Absolutismus und Revolution; H. Reinalter, Revolutionstheorien deutscher und österreichischer Jakobiner im Vergleich, in: Weimarer Beiträge 12 (1983), S. 2052 ff.; F. Schuh, Franz Hebenstreit, Jakobiner und Kommunist, in: Studien zu Jakobinismus und Sozialismus, hg. von H. Pelger, Berlin-Bonn-Bad Godesberg 1974, S. 103 ff.

91 Vgl. dazu A. Körner, Andreas Riedel. Ein politisches Schicksal im Zeitalter der Französischen Revolution, Köln 1969; H. Reinalter, Aufgeklärter Absolutismus und Revolution, S. 417 ff.

92 Vgl. dazu H. Reinalter, Freimaurerei, Politik und Gesellschaft. Die Wirkungsgeschichte des diskreten Bundes, Wien 2018, S. 125 ff.

93 Das Kriminalpatent ist abgedruckt bei H. Reinalter, Aufklärung, Absolutismus, Reaktion. Die Geschichte Tirols in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts, Wien 1974, S. 326 f. (Anhang XIX).

94 Vgl. dazu H. Obrecht, Der Kampf um die staatliche Anerkennung der Freimaurerei in Österreich und die katholische Öffentlichkeit, ungedruckte Diss., Wien 1950, S. 32.

III. Die Zeit der Restauration und des Vormärz

Vorübergehend wurden im Rahmen der napoleonischen Feldzüge auch einige Militärlogen errichtet, die aber nur kurze Zeit Bestand hatten. Napoleon selbst war zwar höchstwahrscheinlich kein Freimaurer, obwohl seine Zugehörigkeit zum Bund öfter behauptet wurde. Was jedoch als sicher gilt, ist, dass der Kaiser der Franzosen in der Freimaurerei einen geistigen und ethischen Machtfaktor sah. Zudem gehörten seine Brüder dem Bund an, die an der Spitze freimaurerischer Körperschaften standen.95 Militär- und Feldlogen hatten sich schon vor der Zeit Napoleons gebildet, dann aber stärker während seiner Herrschaft in den gegründeten Republiken, die zur Ausbreitung der Bruderkette beigetragen haben. In diesen Feldlogen wurden rituelle Arbeiten durchgeführt und Reden über Vaterlandsliebe und Patriotismus gehalten, obwohl die Freimaurer stark kosmopolitisch orientiert waren. Diese Haltung stand nicht unbedingt in einem Gegensatz zu Heimatliebe und Patriotismus. Im Juni 1809 hielt z.B. der Gouverneur Napoleons in Kärnten, Divisionsgeneral Jean-Baptiste Rusca, in Klagenfurt eine Tafelloge ab, zu der auch österreichische Freimaurer, sofern sie bekannt waren, eine Einladung erhielten. Diese Logenarbeit bot Anlass zu einer Flut von Berichten, die von Polizeispitzeln abgefasst wurden. Im Jahre 1814 erließ Papst Pius VII. nach dem Sturz Napoleons erneut gegen den Freimaurerbund und die nationale Freiheitsbewegung der Carbonari wegen Staatsgefährdung eine Bulle. Die Freimaurerei wurde darin mit einem gefährlichen politischen Geheimbund gleichgesetzt.96

 

1. Der Geheimbund der Carbonari

Über die Bespitzelung und Überwachung von Mitgliedern der Freimaurerei gaben mehrere Schreiben des damaligen Polizeiministers Graf Josef Sedlnitzky Aufschluss. Darin wurde betont, dass der Entwicklung des geheimen Sektenwesens Einhalt geboten und die Verbindungen zum Ausland aufgedeckt werden sollten. Gemeint war hier u.a. auch der Geheimbund der Carbonari, der auf das Gebiet der Habsburgermonarchie übergegriffen hatte.97 Der Geheimbund verbreitete sich sehr schnell unter den Kleinbürgern und Handwerkern der Haupt- und Provinzstädte Italiens. Zu dieser raschen Verbreitung trug sicher das einfache Ritual bei, das auf dem christlichen Glauben und der Verehrung des hl. Theobald, des Schutzheiligen der Kohlenhändler, aufbaute. Da die Polizei weitere Logenarbeiten befürchtete, sandte Sedlnitzky an den Gouverneur für Steiermark und Kärnten am 06. September 1821 folgendes Schreiben: „Durch die revolutionären Ereignisse, von denen wir in der neuesten Zeit Zeugen gewesen sind, und deren Ursprung, Vorbereitung und Entwicklung dem geheimen Sektenwesen … doch größtenteils zugeschrieben werden muß, haben sich S.e. Majestät Anlaß gefunden, mir allergnädigst zu befehlen, daß Alles aufgeboten, und mit dem angestrengtesten Eifer dahin gebracht werden soll, um genaue Kenntnis von allen im Auslande bestehenden, öffentlich oder connivendo geduldeten, sowohl älteren, als auch erst in der neuesten Zeit entstandenen, oder sich in Zukunft bildenden geheimen Gesellschaften von ihren Statuten und Umtrieben zu erlagen und in ihre Geheimnisse einzudringen …“.98 Auch dieses Schreiben wurde in einem engen Zusammenhang mit dem Geheimbund der Carbonari verfasst. In einem Aktenvermerk wurde darauf besonders hingewiesen: Die Polizeihofstelle empfiehlt, auf Jahrmärkte große Aufmerksamkeit zu verwenden, weil verschiedene Symbole an Erinnerungsstücken Hinweise auf die Carbonari-Bewegung enthalten. Innerhalb der Carboneria gab es zwar auch Freimaurer, doch kann dieser politische Geheimbund mit der Freimaurerei nicht gleichgesetzt werden. Selbst in der päpstlichen Bulle „Ecclesiam“ vom September 1821 wurde die „Carboneria“ nur als Ableger oder Nachahmung der Freimaurerei bezeichnet. Die Carboneria war ein Geheimbund, der am Beginn seiner Tätigkeit noch stark der Ideologie der Aufklärung verpflichtet war, dann aber nach dem Sturz Napoleons politischer wurde und besonders in der italienischen Nationalbewegung, im Risorgimento, eine wichtige Rolle spielte. Sie bestand aus verstreuten Einzelgruppen, die sich dann 1809 zu einer ersten Hauptloge („Vendita“) in Capua zusammenschlossen. Sie breitete sich sehr rasch über ganz Italien aus. Ihre Zielsetzung war freimaurerähnlich, philanthropisch, politisch konstitutionell und republikanisch orientiert.99

Abwehrmaßnahmen wurden auch gegen das „Junge Italien“ und „Junge Deutschland“ ergriffen. Hatte noch 1821 der Kaiser vor dem Geheimbund der Carbonari gewarnt, so betraf diese Warnung auch die geheime Gesellschaft „Junges Italien“, die als staatsgefährlich eingestuft wurde. Im entsprechenden Circulare des k.k. illyrischen Guberniums zu Laibach wird besonders die Tendenz dieser Vereinigung hervorgehoben, die bestehenden Regierungen zu stürzen und die bürgerliche Ordnung zu zerstören.100 Die Polizei befürchtete, dass der Geheimbund der Carbonari vor allem von Norditalien aus auf die Habsburgermonarchie übergreifen könnte. So hatte Polizeiminister Sedlnitzky der Gefahr eines Übergreifens der Carbonari vorgebeugt, indem er alle Länderchefs die Anweisung erteilte, strengste Wachsamkeit auf Reisende aus Italien und aus der Schweiz zu üben. Ein genaues Verzeichnis aller Personen, die dieser Vereinigung angehörten, bot ihm Gelegenheit, diesen den Eintritt in die Monarchie zu verweigern. Trotzdem konnte, wie das Beispiel Tirol zeigt, nicht verhindert werden, dass Ideen der Carbonari-Bewegung nach Österreich gelangten und besonders bei Handwerkergesellen Resonanz fanden.

Nach Berichten der Polizeihofstelle in Wien gab es offenbar eine eigene Kommission der „Carboneria“ für Tirol. In einem der Berichte heißt es u.a., dass nach einer Anzeige des Kreishauptmanns von Trient in Bozen einige Schriftstücke aufrührerischen Inhalts gefunden wurden, die von den Führern der Carbonari in Tirol verfasst worden seien.101 Darin heißt es:

„Werte Tyroler!

Auf! Auf! Rächet die Tyranney des Kaiseres, schüttelt das eiserne Joch, welches eure Belohnung für die treue Anhänglichkeit an das Erzhaus war, ab. Der 20.te dieses um ½ 8 Abends am Virgelberg wird auf das Signal zur Rebellion, indem zu gleicher Zeit ganz Süd Tyrol, das venetianisch – lombardische König Reich etc. ihre Freyheit zu erkämpfen, aufstehen werden. Auf also zu den Waffen, wir empfehlen Euch Schonung. Auf! Die Commission der Carbonari in Tyrol“.102

Graf Stoten berichtete im März 1821 über einen Hinweis des Kreishauptmanns in Bozen zu einem aufrührerischen Anschlag, der angeblich vom Landgerichts- Kanzellisten Joseph Jacob verübt worden sei:

„Hochgeborner Graf!

Am Tage nach Ablauf meiner gehorsamsten Anzeige vom 25ten d. Mt. Zahl 49/gP erhielt ich auch vom Kreishauptmann in Botzen den Bericht über den daselbst affigirten aufrührerischen Anschlag, und am heutigen Tage das Resultat der diesfalls zu Entdeckung des Thäters getroffenen Verfügungen. Der größte Verdacht dieser That fällt nach dem Berichte des genannten Kreishauptmannes auf den Landgericht Kanzellisten zu Carneid Joseph Jacob, der dem Kreishauptmann selbst das erste Exemplar dieses Aufrufes als auf seinen Gang zur Kirche aufgefunden überbrachte, und am 23ten d. Mt. den Aufsatz, oder eine Abschrift hievon in der Kanzlei verlor, welche sogleich dem Kreishauptmann überbracht wurde, und wenn gleich mit deutschen Lettern geschriben, doch viele Schrift – Aehnlichkeit mit den ausgestreuten Exemplaren hat. Auf übereinstimmende Ansichten des k.k. Collegialgerichts Botzen wurde auch die Criminal Prozedur gegen gedachten Jacob beschlossen, und derselbe dem Criminalgerichte übergeben. Indem ich Euer Excellenz hievon in Kenntniß zu setzen nicht ermangle, füge ich zugleich die beruhigende Versicherung bei, daß nirgends – als in Botzen, derlei Aufruhr angeschlagen wurden, und behalte mir bevor, Euer Excellenz das Resultat der diesfälligen Untersuchung nachträglich vorzulegen.

Ich geharre mit ganz vorzüglicher Verehrung

Eurer Excellenz

Gehorsamster Diener

Graf Stoten

Innsbruck am 28.ten März 1821

An Seine des Herrn Präsidenten der k.k. Polizey-Hofstelle Grafen v. Sedlnitzky Excellenz.“103

In einem weiteren Schreiben an den Polizeiminister heißt es, dass gegen Jacob keine Gründe zu einer Kriminaluntersuchung bestehen. In der Voruntersuchung stieß man allerdings auf mehrere aufrührerische Schriften, die auf die angebliche „Kommission der Carbonari für Tyrol“ hinweisen:

„Lieber Graf Sedlnitzky! Das Tyroler Appellationsgericht hat dem obersten Gerichtshofe am 7ten Julius 1821 die Voruntersuchungsakten wider den Kanzellisten des Landgerichtes Karneid, Jakob, wegen Hochverraths, eingesendet, und der oberste Gerichtshof hat sowohl, wie das Trienter Kollegialgericht, und das Tyroler Appel. Gericht einstimmig gefunden, daß gegen denselben keine gesetzlichen Inzichten zu einer Kriminaluntersuchung bestehen. Da sich nun diese Voruntersuchung aus mehreren gefundenen aufrührerischen Affichen mit der Unterschrift: ‚Die Kommission der Carbonari für Tyrol‘ entspann, und der Verfertiger oder Verbreiter dieser aufrührerischen Zettel noch nicht entdeckt zu seyn scheint; so werden Sie Mir umständliche Anzeige erstatten, ob – und was hierwegen im Polizeiwege vorgekehrt worden sey, und welches Resultat sich hieraus ergeben habe?

Baden den 18ten September 1821.

Auf allerhöchsten Befehl Seiner Majestät.

EH Ludwig.“104

Diese wenigen Beispiele verdeutlichen, dass der Geheimbund der Carbonari bei den Polizeiuntersuchungen in der Habsburgermonarchie nach 1815 eine gewisse Rolle spielte.

Unter diesen schwierigen politischen Bedingungen waren die Freimaurer gezwungen, auf verschiedene Möglichkeiten von Deckorganisationen zurückzugreifen, wie z.B. auf die „Wildensteiner Ritterschaft auf blauer Erde“105, die auf Schloss Seebenstein ansässig war und der auch Erzherzog Johann angehörte. Die Farbe „blau“ weist hier auf die Johannisfreimaurerei hin.106 Im Jahre 1823 wurde sie von Staatskanzler Metternich wegen ihres liberalen Charakters aufgelöst. Die Ritterschaft wurde von Anton David Steiger, Edler von Amstein gegründet. Er pachtete 1788 die Burg Seebenstein und begann sie zu renovieren. Er pflegte eine enge Freundschaft mit Ignaz von Born, der bereits zu diesem Zeitpunkt Mitglied der Wiener Loge „Zur wahren Eintracht“ und deren Stuhlmeister war. Born förderte Steiger und empfahl ihn Kaiser Joseph II.107 Metternich war ein Anhänger von Verschwörungstheorien, sodass Polizeibeamte den Auftrag erhielten, sich in Logen des benachbarten Deutschland aufnehmen zu lassen, um die österreichischen Mitglieder der Freimaurerei enttarnen zu können. Unter Kaiser Franz II. wurde sogar der Amtseid eingeführt, wonach kein Staatsbeamter einer geheimen Gesellschaft angehören dürfe. Die Polizei kontrollierte auch Broschüren, Bücher und Schriften mit freimaurerischem Inhalt. Polizeiminister Josef Graf von Sedlnitzky übergab ihm zugespielte Broschüren dem Zensor, der in einem Bericht die Freimaurerei als „Durchbruch eines kranken Gehirns“ bezeichnete. Bei dieser schrankenlosen Herrschaft der Geheimpolizei, die im Vormärz ihre Fortsetzung fand, musste sich jede Geheimorganisation, auch die Freimaurerei, im Untergrund organisieren, wobei nun vor allem die politischen Geheimbünde stärker in Erscheinung traten, während die Freimaurerei diese reaktionären Aktivitäten eher aus der Distanz betrachtete.108

2. Die politische Entwicklung in der Habsburgermonarchie nach 1815 und Metternich

Die Eigenart und Bedeutung der Restauration und des Vormärz in der Habsburgermonarchie manifestierten sich am deutlichsten in der zum Teil widersprüchlichen Tendenz zur progressiven Entwicklung und restaurativen Beharrung und im Spannungsfeld zwischen Staat und Gesellschaft. Diese Entwicklung war in der Habsburgermonarchie vor allem geprägt durch die gesellschaftliche Umwälzung von der feudalen zur bürgerlich-kapitalistischen Ordnung. Dazu verhinderte noch ein stark ausgeprägtes Überwachungssystem die ideologisch-politische Diversion. Die neue Generation von liberal Denkenden und Freiheitskämpfern erlebte eine bittere Enttäuschung, da die alten Herrschaftsstrukturen in der Restauration erhalten blieben und teilweise sogar gefestigt wurden. Diese Enttäuschten schlossen sich ab 1815 in Geheimzirkeln zusammen, um Wege und Möglichkeiten zu finden, ihren Staat zu erneuern. Hier waren besonders die Universitäten, aber auch Geheimgesellschaften Zentren des liberalen bis demokratischen Radikalismus, die deshalb auch von Staatskanzler Klemens Wenzel Lothar Graf von Metternich einer strengen Kontrolle unterzogen wurden. Metternich störte vor allem der Freiheitsgedanke, der von den Burschenschaften und den Geheimgesellschaften ausging. Kaiser Franz I. scheint sich allerdings erst seit dem Wartburgfest mit diesem Problem näher beschäftigt zu haben, da er den Polizeikommissar Sicard nach Jena und Eisenach sandte, um dort Informationen über das Wirken der deutschen Burschenschaft einzuholen.109

 

Besonders schwer traf Metternich die französische Julirevolution von 1830, die auf Europa großen Einfluss ausübte. Metternich bezeichnete sie als Durchbruch eines Dammes in Europa. In der Tat setzte nach 1830 auch in Österreich eine breitere soziale Protestbewegung ein, die auch fast alle deutschen Teilstaaten erfasste. Metternich, der sehr klare Vorstellungen über den Kampf gegen die Revolution und Geheimgesellschaften entwickelt hat, formulierte seine „Verschwörungstheorie“ und negative Einstellung zu den Ereignissen vorwiegend in Briefen und Berichten.110 Revolutionäre Ideen und Freiheitsgedanken der Freimaurerei waren für ihn stets hohle, nicht realisierbare Versprechen. „Alle Revolutionen sind Lügen“ und zu ihnen „gehört das Verheißen der wohlfeilen Regierung“. Revolutionen werden in seiner Auffassung durch gezielte Agitation verbreitet.111 Die Revolution – für ihn war die allgemeine Situation nach dem Wiener Kongress eine revolutionäre – verglich er mit einer schleichenden Krankheit, die das Volk vergifte und stets zu heftigen Fieberausbrüchen führe.112 Durch die Juli-Revolution in Frankreich verstärkte sich seine Ablehnung gegen revolutionäre und demokratische Bewegungen, in dem er betonte, dass der Thron des Bürgerkönigs auf dem republikanischen Prinzip aufgebaut sei.113 Im Brief vom 21. Mai 1833 an seinen Freund Wilhelm L. E. Fürst von Sayn-Wittgenstein schrieb er über die Revolution:

„Zu allen Zeiten gibt es Revolutionäre. Längst vor Catilina gab es Demagogen, und dies zur Mitte in der Republik. Das 18. Jahrhundert hat die verfeinerte Revolution in der Sektenform geschaffen. In Frankreich benannte sich dieselbe Philosophie und unter diesem gefälligen Namen hat sie sich in die Salons eingeschlichen und endlich bis in die höchste Regierungssphäre verbreitet. Damals war das Geschäft der Propaganda das Verwirren und Lösen der Begriffe, auf denen jede bürgerliche Gesellschaft wie auf ihren Grundpfeilern ruht. Wie bald solche Grundsätze zu modern vermögen, hat der Ausbruch der Französischen Revolution bewiesen … Die Philosophen fielen zuerst unter dem Beile der Freiheit und der Gleichheit, und die Nachbarländer wurden abgeschreckt. Indem sich die damalige Propaganda die Benennung von Regicides beilegte, hat sie sich den Eingang ins Ausland versperrt, und ebenso hat das Schreckenssystem in Frankreich wohltätig auf die Erhaltung der Ruhe im Ausland gewirkt“.114

Erst mit der Restauration habe – so Metternich – die Revolution eine weit gefährlichere Form angenommen. Er sprach in diesem Zusammenhang von einer „parfümierten Revolution“. Auf Grund der bestehenden politischen Situation in Europa nach der Julirevolution in Frankreich unterschied Metternich vier Staatenkomplexe:

„1. Länder, in denen die Propaganda regiert: Frankreich, Belgien, die Schweiz.

2. Länder, in denen sie im zweiten Stadium ist: die deutsch-konstitutionellen und einige italienische Staaten und vor allem England.

3. Länder, welche in dem Mißbehagen des ersten Stadiums sind: Preußen, Österreich usw.

4. Ein Land, welches vermöge seines Nationalsinns die Extreme in sich balanciert: Spanien“.115

Das Hambacher-Fest vom Mai 1832 und den Frankfurter Wachensturm vom Frühjahr 1833, einen missglückten Studentenputsch, stufte Metternich als deutsche Auswirkung der Juli-Revolution ein, da hier die republikanischen Tendenzen des politischen Liberalismus erstmals deutlich geworden seien. In einem weiteren Brief an den österreichischen Botschafter in Berlin, Josef Graf Trautmansdorff-Weinsberg vom 15. September 1831 erwähnte er die Hauptursachen des bestehenden Übels und der bedenklichen Lage:

„1. In den inneren politischen Umwandlungen, welche im Verlaufe der letzten 50 Jahre in Deutschland statt gefunden haben,

2. in der Auflösung so vieler Bande zwischen Fürsten u. Unterthanen, welche insbesondere seit dem Jahre 1803 eingetreten ist;

3. in dem Souveränitäts-Schwindel, der sich so mancher deutscher Fürsten in Folge ihrer Aufnahme in den Rheinischen Bund bemächtigte, und von dem sie insbesondere in den meisten administrativen Beziehungen einen leidigen Mißbrauch gemacht haben;

4. in der gezwungenen Rückkehr zu einem geregelten Stande der Dinge in Folge der Einführung der deutschen Föderation;

5. in der ursprünglich fehlerhaften Organisation der landständischen Verfassungen mehrerer Bundesstaaten, u. der geringen Rücksicht, welche auf die in der Schluß-Acte vom Jahre 1820 in Bezug auf diese Verfassungen, enthaltenen Bestimmungen genommen worden ist;

6. in dem Mangel an Ueberlegung und richtiger Berechnung der Mittel, den inneren Haushalt der einzelnen Staaten zu regeln;

7. in der Verkehrtheit der Begriffe der meisten deutschen Staatsdiener und deren Hang zum modernen Liberalismus, und dem Haschen der Fürsten nach einer übelverstandenen Popularität;

8. endlich in der Einwirkung der moralischen allgemeinen Krankheit unserer Zeit; einer Einwirkung die unter den eben bezeichneten Verhältnissen leicht bis zur Lösung aller gesellschaftlicher Bande, in so fehlerhaft regierten Staaten gesteigert werden konnte.“116

Metternich betonte ausdrücklich, dass dem „verheerenden Strome der Revolution“ in Deutschland Grenzen gesetzt werden müssen. Da nach Metternichs Meinung die Höfe in Wien und Berlin die Abwehr dieser Entwicklung nicht alleine verhindern können, schlug Metternich eine Verständigung mit den deutschen Fürsten im Deutschen Bund vor. Geschickt stellte er die Verschwörungsfurcht in den Dienst seiner restaurativen Politik. Seine Hinweise auf Umsturzgefahr waren in erster Linie ein taktischer Schachzug, um für seine politischen Projekte Anhänger zu gewinnen.117

Für Metternich war Straßburg der eigentliche Sitz der revolutionären Filialanstalt für Deutschland. Unter den Verschwörern nannte er Professoren, Literaten, Beamte, Bürgermeister, liederliche Adelige und auch die Freimaurer. Besondere Aufmerksamkeit widmete Metternich seit der Julirevolution auch der Schweiz, die zur bevorzugten Asylstätte der politischen Flüchtlinge geworden war. So schrieb der österreichische Staatskanzler, dass die Schweiz die „Avantgarde der europäischen Propaganda“ sei.118

Metternich ergriff erneut Abwehrmaßnahmen gegen das „Junge Italien“ und das „Junge Deutschland“. Hatte noch 1821 Kaiser Franz I. vor dem Geheimbund der Carbonari gewarnt, so betraf diese Warnung nun auch die geheime Gesellschaft „Giovine Italia“, die als überaus staatsgefährlich bezeichnet wurde. In Österreich entstand die Bewegung des „Jungen Österreich“, der u.a. Moritz Hartmann und Hermann Rollett angehörten. Auch gegen diese Bewegung wurden Abwehrmaßnahmen eingeleitet, sodass mehrere Mitglieder dieser Vereinigung Österreich den Rücken zuwenden mussten.119

Die Freimaurer, die im Untergrund noch vereinzelt tätig waren, litten sehr unter diesen schwierigen Bedingungen, weil sich vor allem auch das Spitzelwesen im politischen System Metternichs so stark entwickelte, dass Polizeibeamte sogar den Auftrag erhielten, die verdächtigen Zirkel zu unterwandern. Am 28. Juni 1817 nahm Polizeiminister Sedlnitzky zu einer großen Freimaurerversammlung in Dresden Stellung, worauf der Kaiser folgende Entschließung verfügte,

„Ich nehme diese Anzeige mit dem Bemerken zur Nachricht, dass der Oberstburggraf darauf aufmerksam zu machen ist, ob nicht der Polizeikommisär Preißler, welcher vor einigen Jahren auf Meinen Befehl gerade deshalb um in Hinsicht auf die Freimaurerei Verbindungen in Dresden anzuknüpfen und die Resultate derselben der Staatsverwaltung mitzuteilen, Freimaurer geworden ist, mit Nutzen zu Nachforschungen über das Treiben und das Streben der Freimaurer in Dresden gebraucht werden könnte …“120

Dies ist ein eindeutiger Hinweis auf die gezielte Unterwanderungspolitik der Polizei, die darüber hinaus auch Broschüren, Bücher und Schriften einer genauen Kontrolle unterzog. So schrieb Franz I. am 14. Juni 1824 aus Prag an seinen Polizeiminister:

„Ich übersende Ihnen in der Nebenlage eine mir zugekommene Broschüre, welche unter dem Titel einer Beleuchtung geheimer tiefliegender Wahrheiten sehr gefährlichen Inhalts zu sein scheint. Für den Fall, als Ihnen dieses böse Produkt noch nicht bekannt und Sie daher noch nicht in der Lage gewesen sein sollten, hierüber zu urteilen und das Nötige zu veranlassen, werden Sie sogleich diese Broschüre der Zensur unterziehen und hierüber gehörig Ihres Amtes handeln, damit die Verbreitung dieses schädlichen Werkes in Meinen Staaten verhindert und jene Exemplare, die etwa schon hereingeführt worden sein sollten, soviel nur immer möglich, unterdrückt werden.“121

Sedlnitzky übergab diese Broschüre dem Zensor, der in einem Bericht die Freimaurerei als „Durchbruch eines kranken Gehirns“ bezeichnete.122