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Der Geizhals

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Wankend und tastend richtete er sich durch den ihm unbekannten Platz – er zitterte unwillkührlich und horchte vielleicht auf sein Gewissen, das ihm den Zorn Gottes über seinen Gräuel vorhielt. Wie hätte er aber gebebt, wenn er den Schatten hätte sehen können, der ihm aus der Ferne im Gange nachschlich!

Vielleicht hörte er auch das Geräusch hinter sich, denn er sah sich um und blieb einen Augenblick stehen; dann aber ging er weiter, bis er an eine zweite, fremdartige Thür kam. Es war eine niedere, nach oben runde Pforte, an der alles Holzwerk dermaßen mit eisernen Platten und massiven Nägeln bedeckt war, daß beinahe nichts mehr davon sichtbar blieb. Lange Vorhängeschlösser, vom Roste roth geworden, hingen an der Wand; eine Stange, vielmehr ein Querbalken aus Eisen, verrammelte den Eingang in den Keller des Geizhalses.

Nachdem Thys mit klopfendem Herzen Schlösser und sonstige Hindernisse beseitigt hatte, lag eine Treppe vor ihm, welche ihn in ein geräumiges Gewölbe leitete.

So hatte er sich endlich in die Stätte eingedrungen, wo des Onkel Jan Schätze verborgen lagen. Bei diesem Gedanken trat die Erinnerung an ein Verbrechen in den Hintergrund; sein Gewissen war übertäubt, seine Angst hatte sich verloren. In seiner Seele lebte allein der glühende Wunsch, Gold zu sehen, Gold zu betasten, im Golde zu wühlen. Seine Leidenschaft brachte ein frohes Lächeln um seine Lippen und entzündete in seinen Augen ein unheimliches Feuer.

Die Lampe in der Hand, durchsuchte er den ganzen Keller, fand aber, außer den nackten Mauern, nichts, als einen schweren Stein, in der Nähe der Treppe, der offenbar als Sitz gedient hatte. Verdruß und Unwillen traten auf seine Züge.

»Wie,« sprach er entmuthigt, »sollte das Geld nicht hier sein? Doch hat dieser Keller keinen andern Ausgang. Unmöglich! Was sehe ich hier in der Wand? Ein Schlüsselloch?«

Diese Entdeckung gab ihm eine gute Laune wieder; und als er nach einigen Versuchen den rechten Schlüssel fand und er eine in der Dicke der Mauer angebrachte Höhlung erblickte, rief er freudig:

»Ah! hier sind die Schätze geborgen! Drei Beutel! vier! fünf! Gold! Gold!«

Mit zitternden Händen und innerem Jubel langte er einen der leinenen Säcke aus der Nische und wollte eben die Schnur, womit er zugebunden war, losmachen, als ein plötzliches Geräusch ihm Schrecken einjagte, so daß der Sack aus seinen Händen glitt. Er kehrte sich gegen die Treppe und horchte; denn es war ihm vorgekommen, als ob an der Kellerthür sich etwas aus Eisen verschoben hätte.

Er lauschte genauer; Alles war wieder still geworden. Da legte sich auch seine Angst; er hob die Börse auf:

»Es hat nichts auf sich; es ist wahrscheinlich das Schloß, das jetzt erst einschnappt. Schnell den Sack losgemacht!«

Aber bei dem ersten Griff, den er in die Börse that, und bei dem Anblick der Münzen, die er daraus hervorzog, verfinsterte sich ein Gesicht.

»Kupfer! nichts als Kupfer!« Und er wandte sich an einen zweiten Sack.

»Auch hier Kupfer! immer wieder Kupfer!« rief er mit steigendem Zorne.

Und so hieß es »Kupfer« bei jedem neuen Sacke, den eröffnete.

Dieser schlimme Erfolg seiner Untersuchungen machte, daß seine Wangen bleich wurden, der kalte Schweiß auf seiner Stirne perlte und seine Brust sich beklemmte.

So war er an den letzten Sack gekommen; doch als er voll Ungeduld die Schnur weggerissen hatte, schrie er mit Entsetzen: »Auch hier Kupfer!«

Da zerknitterte er krampfhaft in seiner linken Hand den Sack, der seine letzte Aussicht auf Gold so grausam enttäuscht hatte, und scharrte mit der rechten in der Nische, um sich zu überzeugen, daß sie nichts mehr enthielte: aber sie war leer, seine Hand stieß auf nichts. Um ganz sicher zu sein, steckte er den Kopf in die Nische und erhellte sie mit der Lampe, entdeckte jedoch nichts, als die glatten Ziegel.

Jetzt rasselte es in seiner Kehle; er wankte bis an den großen Stein, ließ sich ganz entkräftet auf denselben nieder und stellte die Lampe neben sich.


So blieb er eine Zeit lang sitzen, den Kopf in die Hand gestützt und um sich in die Finsterniß blickend. Dann klagte er in einem Tone, in dem sich Aerger und Entmuthigung paarten:

»Etliche Pfund Kupfer! Das wäre mein Preis für zehnjährige Entbehrung und Knechtschaft! Der Preis eines Mordes – der Preis meiner Seele! Oh, über den verrätherischen, scheinheiligen Dieb! Der Alte hat mich betrogen und bestohlen! Da liegt mein langersehntes Glück, der Talisman, der mich zum reichen, mächtigen Manne umzaubern sollte – ein Kupferhaufen! Und dafür habe ich ihn gemordet! Doch hat er es nicht verdient? Ich hätte den tückischen Verräther vorher martern und ihn langsam ersticken sollen!«

Er schwieg und starrte zu Boden. Da traten ihm die Thränen in die Augen; der feige Schurke weinte und wimmerte wie ein Kind. Doch bald entriß er sich seiner traurigen Stimmung mit einem gräulichen Fluche; er stand auf, nahm den Beutel, der zu feinen Füßen lag, und schleuderte ihn, wie rasend, weit von sich in einen Winkel des Kellers. Im Falle ließ daß Metall einen hohlen Klang vernehmen.

»Ah,« rief Thys froh überrascht, »was hat das zu bedeuten?«

Und die Lampe vorhaltend, ließ er sich in dem Winkel auf die Kniee nieder, schlug mit der Faust prüfend auf den hohlklingenden Flur und nickte sich dazu mit dem Kopfe Beifall zu.

Denn nach kurzer Mühe hatte er eine kleine Fallthür aufgerissen und blickte mit Wollust in eine Art von ausgegrabener Kiste, deren Deckel gesprengt war; auch darin lagen leinene Säckchen.

»Oh, der einfältige Betrüger!« murmelte Thys und holte einen Beutel hervor. »Das Kupfer an der sichtlichen Stelle sollte als Köder dienen und die Aufmerksamkeit ablenken! . . . doch die Finte hat ihm nicht geglückt; hier muß der Schatz liegen!«

»Ja, hier ist wirklich Gold!« rief er plötzlich und jauchzte wie ein Kind. »Gold! Und was finde ich in diesem zweiten Beutel? Gold, wiederum Gold! Und in diesem dritten? Gold, immer wieder Gold!«

So holte er eine gewisse Anzahl von Beuteln hervor und öffnete sie alle; als die Kiste leer geräumt war, kehrte er zu dem Sitze zurück und schüttete, in seliger Sorglosigkeit, den Inhalt aller Säckchen vor seinen Knieen aus.

Dann schaute er mit fixem Blicke auf den Goldhaufen; seinem verzückten Angesichte schien der Himmel selbst in seiner Glorie aufzugehen; die genußsüchtige Wonne grenzte beinahe an Wahnsinn.

»Oh, wie schön,« rief er, »wie bezaubernd schön! Wie blinkt das! Wie belebt es sich in Pracht und Herrlichkeit! Und dazu die Masse! Ja, es ist der Preis meiner Seele – jetzt ist sie mir über ihren Werth bezahlt! Jetzt habe ich das Mittel, in unausgesetztem Jubel zu leben, als Herr über Sklaven zu gebieten, delikat zu essen und zu trinken, in einer Kutsche herumzufahren, die Schmeichler meiner Gewalt um mich zu haben, und umzustoßen, was mir hinderlich werden könnte, oder sich nicht vor meiner Herrlichkeit in den Staub beugt . . . Das Alles liegt in dem unbeseelten Gelde, in dem funkelnden Metalle! Ich muß es betasten und fühlen, daß ich zum reichen Manne geworden bin!«

So wühlte er im Golde, ganz außer sich vor Entzücken, ließ dabei allerlei Freudenrufe hören, und zählte, ohne anscheinenden Zweck, eine Schätze einmal um das andere.

Dieses Spiel trieb er eine geraume Weile, als er plötzlich merkte, daß das Licht der Lampe schwächer und schwächer wurde. Dieß stimmte ihn ernst; ängstlich blickte er um sich, stand auf und rieb sich die Stirne:

»Was wollte ich hier thun? Bin ich denn von Sinnen? Ich will das Gold schnell an einem andern Platze verbergen, wo es Niemand vor mir entdecken kann. Ich muß mich beeilen, denn das Oel ist fast aufgezehrt!«

Zwei der größten Säcke füllte er mit Gold, nahm einen unter jeden Arm und stieg also beladen die Treppe hinauf. An der Kellerthür angekommen, legte er Alles nieder und steckte den Schlüssel in das Loch. Doch, wie sehr er sich auch anstrengte und abmühte, so rührte sich die Thür nicht; sie blieb wie festgemauert, obgleich das Schloß unter dem Druck des Schlüssels zurückschnappte.

Thys fing an zu zittern; es lief ihm eiskalt über den Rücken. Aber noch wollte er sich seiner Angst nicht überlassen, und wandte alle seine Kräfte an, um die widerspenstige Thür aufzubringen. Er wand und drehte den Schlüssel nach allen Seiten und stemmte sich dann gegen die Thür, um sie aus ihren Angeln zu heben – eine Stirne war im Schweiße gebadet. Doch nichts fruchtete, nirgends schimmerte ihm die geringste Hoffnung.

Endlich stellte er, erschöpft und wie vernichtet, die Arbeit ein und sprach, während sich das Haupt über die Brust senkte:

»Entsetzlich! Sie ist nach Außen verschlossen . . . Nein, das ist nicht möglich – ich täusche mich. Wer hätte das gethan? Kaet? die rechnet auf das Erbtheil . . . Da geht auch das Licht aus, oh weh! Schnell noch einen Versuch gewagt!«

Aufs Neue schob er den Schlüssel in’s Loch und rüttelte daran mit fieberhafter Heftigkeit, bis er sich die Hände wund gerieben hatte; auch Rücken, Schultern und Kniee wandte er zum verzweifelten Streite an und stöhnte dazu, obgleich ihm die Kehle fast zugeschnürt war – doch Alles war vergebens – die Thür blieb unbeweglich.

Als Thys die Ueberzeugung gewonnen hatte, daß fernere Versuche zu nichts führen würden, stürzte er die Treppe hinab und rannte, wie irre geworden, durch den dunkeln Keller. Um ihn herrschte eine vollkommene Finsterniß, in der sein Auge auch nicht den geringsten Schimmer entdeckte – es schien ihn schon die ewige Gericht zu umfangen.

Der Bösewicht raufte sich die Haare aus und zerschlug sich die Stirne; er lief von einer Ecke zur andern, als suchte er einen Ausweg; dann fing er an zu wimmern und zu weinen, zu fluchen und zu toben – kletterte wieder die Treppe hinauf, rief durch das Schlüsselloch nach Kaet, rüttelte nochmals an der Thür, lief im Keller herum, bis er endlich, ganz ermattet, über den großen Stein stolperte und zusammensank.

 

»Welch furchtbares Ende meiner Bemühungen,« stöhnte er. »Um in den Besitz des Goldes zu kommen, habe ich aus mir einen Teufel gemacht und einem Mitmenschen das Leben geraubt! Und nun bin ich in einer dunkeln Gruft, wo Niemand mich hören kann – vielleicht verurtheilt, darin zu sterben, den qualvollen Hungertod zu sterben! Will Gott mich dafür bestrafen, daß ich den alten Onkel langsam verkommen lassen wollte! Mitten im Golde sterben! Auf einem Goldhaufen verhungern! So hätte ich die Mittel, um hier ein glückliches, angesehenes Leben zu führen, und müßte doch wie ein Hund verrecken, in’s ewige Feuer der Hölle fahren und dort als ein Dummkopf verhöhnt werden, dem sein Verbrechen nicht einmal gelingt. Vermaledeiung!«

Dieser letzte Fluch fand im Keller einen langen Wiederhall, dann fiel Alles in die Grabesstille zurück: man hörte kaum sein Schluchzen und Weinen.

Lange schon hatte Thys auf dem Steine gesessen, und verließ ihn nur auf Augenblicke, wenn ihn seine innere Unruhe aufjagte; da merkte er plötzlich an der Wand einen Lichtstrahl, der durch das Schlüsselloch in das Gewölbe drang.

Da sprang er jauchzend auf, lief bis oben an die Treppe, legte den Mund an das Schlüsselloch und rief, vor freudiger Hoffnung zitternd:

»Kaet, liebe Kaet, seid Ihr es?«

»Ja gewiß bin ich es!«

»Seht doch, liebe Kaet, was draußen an der Thür steckt; ich kann sie nicht mehr aufbringen.«

»Das will ich meinen; ich selbst habe den Querbalken vorgeschoben!«

»Wozu das, liebe Kaet? Treibt den Scherz nicht länger und macht mir um Gottes willen auf.«

»Darauf könnt Ihr lange warten. Ich habe ein wildes Thier in einer Falle gefangen und sollte es jetzt freilassen, um mich und andere seinen Bissen auszusetzen? Thys, die Zeit der Reue ist für Euch gekommen; Euere Rolle ist jetzt ausgespielt: Gott und die arme Kaet haben Euch zu treffen gewußt.«

Jetzt erst blickte Thys klar in das Vorhaben der Bettlerin, und ein gegründeter Schrecken übermannte ihn. Zitternd entgegnete er:

»Kaet, es steht hier ein Sack voll Goldmünze für Euch! Macht nur schnell auf!«

»Ich will das gestohlene Gut nicht haben!«

»Zwei Säcke sollt Ihr haben, liebe Kaet, wenn Ihr mich herauslaßt!«

Da er keine Antwort erhielt, fuhr er fort:

»Vier Säcke stehen für Euch da; es ist lauter Gold!«

Und er ließ eine Handvoll Gold auf die Treppe fallen, in der Hoffnung, daß der Klang die arme Frau verführen würde.

Doch ein Spottgelächter allein antwortete auf dieses Anerbieten.

»Liebe Kaet,« flehte er wieder, »ich will Euch zu meiner Frau machen; so behalten wir Alles für uns Beide. Es ist so viel Geld da!«

»Feigherziger Dieb und Mörder!« schallte es ihm entgegen.

»Liebe Kaet,« klagte Thys, »ich liege hier im Dunkeln auf meinen Knieen und strecke die Arme bittend nach Euch aus. Habt Mitleiden mit mir, seid barmherzig! Oeffnet mir die Thür, ich will Euch zeitlebens danken und lieben!«

»Ich habe Mitleiden mit Euch!«

»Oh,« rief Thys voll Hoffnung, »ich dachte es wohl, daß Ihr mich erlösen würdet!«

»Ja, ich habe Mitleiden mit Euch, ebenso wie Ihr es mit Cäcilia gehabt habt; ich bin barmherzig für Euch, wie Ihr es für Onkel Jan, Eueren Wohlthäter, gewesen seid . . . Doch bin ich nicht deshalb herunter gekommen, Thys; ich wollte Euch etwas zeigen. Guckt durch das Schlüsselloch; seht was ich in der Hand habe und was ich damit anfange.«

Thys legte das Auge an das Schloß; die Beleuchtung draußen erlaubte ihm, die Bewegungen der Bettlerin ziemlich genau zu verfolgen.

Diese entfaltete ein Papier und sprach:

»Seht nur her! Ihr habt den alten siechen Mann gemordet, weil Ihr im Besitze eines Testamentes wart, das Euch zum Erben einer sämmtlichen Habe einsetzte. Er starb nicht schnell genug nach Euerem Wunsche! Und jetzt denkt Ihr, daß Euch die Erbschaft nicht entgehen wird! . . . Dieß Testament fand ich auf Euerem Zimmer, in der untersten Lade Eueres Kastens. Die arme Kaet hat doch lesen gelernt. Hört mir lieber zu:

»Hiermit erkläre ich, daß dieß mein letzter Wille ist, wodurch ich zu meinem Universalerben den Karl Dominik Matthias . . . «

»Mein Testament! mein Testament!« heulte Thys.

»Jetzt seht auch, was ich damit beginne,« fuhr die Bettlerin fort.

»Hilf Himmel! Das Weib zerreißt den Akt in Stücke! Meine Hoffnung, mein Leben! Kaet, Ihr versetzt mir den Todesstreich!«

Da bemerkte er an einer Bewegung des Lichtes, daß die Frau sich entfernen wollte.

Da wagte er einen verzweifelten Versuch und rief in schneidendem Tone:

»Geht doch nicht fort, liebe Kaet, und macht mir die Thür auf. Ihr wollt mich doch nicht in dieser schauderhaften Gruft vor Hunger sterben lassen!«

»Es wäre allerdings eine gerechte Strafe, Euch demselben Tode preiszugeben, den Ihr dem Onkel Jan zugedacht habt – aber diese Todesart ist für Euch noch zu gelinde. Man wird Euch alsbald heraus holen. Ich bin beim Bürgermeister gewesen; er wird den Feldwächter mit Gendarmen herschicken, die Euch erlösen werden – nur könnten sie Euch aus Vorsicht zuerst die Hände über dem Rücken zusammenbinden. Ja, Ihr müßt in’s Gefängniß und von da auf’s Schaffot, um mit Euerem Kopf die Missethat zu büßen. – Dann erscheint Ihr mit einem Mord beladen vor dem ewigen Richter, der wohl weiß, welch höllischer Schurke Ihr seid!«

Thys blieb wie versteinert an der Thür stehen und sah durch das Schlüsselloch, wie Kaet mit ihrem Lichte sich entfernte. Als auch der letzte Schimmer sich seinen Augen entzog, stürzte er, mit einem Schrei des Entsetzens, zusammen und rollte dann, wie eine leblose Masse, über die Treppe in den Keller hinunter.

IX

Der erste bläuliche Morgenschimmer drang in das Zimmer, in welchem Thys seinen Mordanschlag an dem kranken Greise verübt hatte.

Zwei Wachskerzen brannten auf dem Tische; dazwischen stand ein Crucifix und in einem Glase mit Weihwasser ein Palmzweig.

Der Körper des Alten lag auf dem Rücken ausgestreckt im Bette. Seine Unbeweglichkeit und die Blässe der Gesichtszüge hätten zu dem Gedanken führen können, daß der letzte Lebensfunke seit langem aus dieser Leiche gewichen. Nur ein Umstand bekämpfte diese Vermuthung: die Brust des Alten hob sich von Zeit zu Zeit, als ob er im letzten Ringen mit dem Tode begriffen wäre und seine Seele die Bande sprengen wollte, die sie noch an den Leib fesselten.

Ueber den Greis beugte sich ein Mädchen, das mit brennender Ungeduld jedes Lebenszeichen erspähte und, zwischen Schmerz und Hoffnung geheilt, bald weinte, bald bebte, je nachdem der Kranke starr blieb oder eine Althemzüge wieder vernehmlich wurden.

Es war Cäcilia; seit einer Stunde hatte die Ströme von Thränen vergossen, und durch ihre Leiden beinahe erschöpft, suchte sie doch mit liebevollen Küssen ihren armen alten Onkel zum Leben zurückzurufen.

Wanna stand an dem einen Ende des Bettes und war bereit, mit Cäcilien den verscheidenden Greis zu pflegen.

In einer Ecke des Zimmers lagen Bart und seine Mutter auf den Knieen; ihre Hände waren zu einem innigen Gebete gefaltet, das sich aus diesen reinen Herzen wohlgefällig zum Allvater erhob.

Der Pfarrer hatte den Kranken schon besucht und ihm die letzte Oelung gereicht; auch den Doktor hatte man kommen lassen, dessen erster Ausspruch dahin lautete, daß die Entkräftung des Alten wohl vom Hunger herrührte. Deßhalb verordnete er auch, nebst einer Medizin, etwas Fleischbrühe, die man ihm vorsichtig und löffelweise in den Mund flößen sollte. Ein Fläschchen und eine Taffe, die neben dem Bette fanden, enthielten die zwei Heilmittel.

Cäcilia hatte dem Onkel bereits viele Löffel von der Fleischbrühe eingegeben: sie meinte zu bemerken, daß sie ihm wohl bekomme und daß er sie bereits leichter verschlucke; es schien sich bei dem Alten sogar eine gewisse Begierde für diese Nahrung zu entwickeln.

Als sie nun wieder einen Löffel an seinen Mund brachte und ihn zurückziehen wollte, als er die Fleischbrühe zu sich genommen hatte, kam es ihr vor, als ob sich die Lippen des Alten bewegt hätten. Diese Entdeckung brachte sie zum Zittern, sie reichte ihm einen zweiten Löffel, den er mit sichtlichem Vergnügen genoß.

Durch den Erfolg ermuntert, gab ihm Cäcilia noch mehr Brühe und blickte dazu voll Aengstlichkeit in sein Gesicht.

Plötzlich kam ein Fieberfrost über seine Glieder; er streckte sich und blieb ohne alle Bewegung; selbst der Athem blieb ihm aus.

Cäcilia schrie so peinlich auf, daß Bart und seine Mutter erschreckt aufsprangen und an das Bett eilten.

Da hatte Cäcilia ihren Kopf über die Brust des Alten gelehnt; ihre warmen Thränen fielen auf einen Hals. Unendlicher Schmerz und zärtliche Liebe zeigten sich in den abgebrochenen Worten, die ihren Lippen entfielen; dazu küßte sie den armen Onkel, in dem sie schon einen Todten betrauerte.

Doch bald drängte ihr eine freudige Ueberraschung den zweiten Schrei ab: Onkel Jan regte die Lippen und machte den Mund auf und zu, als ob ihn sein Instinkt zum Essen antriebe.

Das Mädchen flößte ihm hinter einander zwei bis drei Löffel Brühe ein und hätte ihm in ihrem Freudentaumel die ganze Taffe eingegeben, wäre es ihr nicht eingefallen, daß die ausdrückliche Verordnung des Doktors dieß nicht zulasse.

Darum legte sie den Löffel zur Seite und wartete auf dem Gesichte des Alten die Wirkung ab, welche der Zuschuß von Nahrung hervorbringen würde.

Bald öffnete der Kranke die Augen und erblickte, seiner noch nicht recht bewußt, das freundliche Gesicht, das ihm entgegen lächelte.

»Onkel, Vater, Ihr lebt! Dafür danke ich dem Himmel, war die erste Aeußerung des guten Mädchens.

Der Kranke schloß die Augen wieder und blieb noch im Schlummer befangen. Als er den Blick dann aufschlug, maß er lange die Erscheinung vor sich und schien allmälig die Erinnerung wieder zu erlangen. Unvermerkt rührte sich ein Arm, schlang sich langsam um den Hals des Mädchens, zog ihren Kopf an sich und drückte ihm einen langen Kuß auf, während er kaum verständlich flüsterte:

»Cäcilia!«

Dieser Kuß der Liebe und dieses einzige Wort machten Cäcilia fast verrückt; sie rang sich los, zog die anderen Personen, die am Bett standen, mit sich und rief ihnen zu: Betet doch; sie selbst kniete vor dem Crucifix nieder und erhob die Hände dankend zum Bilde des Gekreuzigten.

»Wer ist da?« frug der Alte mit schwacher Stimme.

»Gott, er lebt, er spricht, er wird genesen, mein armer Onkel, mein guter Vater!« rief Cäcilia und drückte seine beiden Hände mit der innigsten Zärtlichkeit.

Der Alte lächelte und sah die knieenden Personen an.

»Es ist Bart, der für Euch betet, lieber Onkel,« sagte Cäcilia, »und seine Mutter, und Wanna, eine Schwester, die zu Gott flehen, daß er Euch die Gesundheit wiedergebe!«

»Bart,« wiederholte der Alte, der nicht verstanden zu haben schien – »Bart? Er fleht zu Gott? Für mich?«

»Kommt,« rief Cäcilia, »Bart, Mutter Anna, der Onkel ist wieder gesund und kennt seine arme Nichte – kommt doch!«

Sie standen Alle auf und nahten sich dem Bette.

Der Alte schaute sie Einen nach dem Andern an und verweilte mit besonderer Aufmerksamkeit an dem Jüngling, der dicht neben ihm stand und dem die hellen Thränen über die Backen rollten. Dann reichte er ihm seine magere Hand, zog ihn zu sich, bis er dessen Haupt an seine Lippen gebracht hatte, und gab ihm einen Kuß, den heiligen Kuß der Versöhnung!

Cäcilia fühlte die Beine unter sich zittern und mußte sich an den Tisch stützen, um nicht umzufallen. Die Liebesbezeigung ihres Onkels hatte sie dermaßen getroffen, daß sie an allen Gliedern bebte und sich nur mit Mühe einer Ohnmacht erwehren konnte. Die Andern waren gleichfalls gerührt; aus Aller Augen stürzten Thränen.

Da trat die Bettlerin in das Zimmer und rief:

»Cäcilia, Bart, Wanna, macht schnell! Kommt herunter!«

Sie ging bis zum Bett, sah mit Verwunderung, daß sich der Alte so wohl erholt hatte und bemerkte:

»Dafür sei dem Himmel gedankt! Ihr dürft hier bleiben, Mutter Anna, aber Bart, Cäcilia und Wanna müssen den Ausgang meines Werkes sehen. Kommt schnell mit mir herunter!«

Und da Niemand sie recht zu begreifen schien oder sich anschickte, um ihr zu folgen, nahm sie Bart und Cäcilien bei der Hand und zog sie fast mit Gewalt aus dem Zimmer.

Unten, vor dem Thor des Klosterhofes, stand ein Haufen von Menschen, der auf etwas wartete. Man sprach mit Abscheu und Entrüstung von dem Mord, den Thys an dem alten Manne versucht hatte, und freute sich, daß ihm jetzt die Belohnung für sein Verbrechen werden sollte. Schon waren die Gendarmen durch das Dorf gezogen; und die Neugierde hatte viele Leute vermocht, den Dienern der Gerechtigkeit bis zum Klosterhofe nachzugehen.

 

Cäcilia und Bart standen mit der Bettlerin im unteren Zimmer, ohne zu wissen, welches Schauspiel die erwartete.

Da hörten sie in einem Gange, der zum Hintergebäude führte, schwere Schritte und Säbelgeklirre.

Während sie voll Schreck und Staunen horchten, und die Bettlerin triumphierend lachte, traten zwei Gendarmen in das Zimmer, und dann wieder zwei, und zwischen diesen Thys, dem sie die Hände auf dem Rücken fest gebunden hatten; der Kopf hing ihm tief in die Brust; er sah bleich und verwirrt aus und bebte ganz vernichtet.

Cäcilia schlug sich die Hände vor die Augen und kehrte sich mit einem Schrei von der unangenehmen Scene ab; Bart beschaute wie versteinert den bösen Thys und sein unheilvolles Geleite.

»Seht,« frohlockte Kaet, »also straft Gott den Missethäter und wählt zum Werkzeuge einer Rache die verachtete Bettlerin!«

Und als die Gendarmen sich mit dem Gefangenen nahten, rief sie ihm noch entgegen:

»Scheinheiliger Bösewicht, elender Mörder! Beeilt Euch! Ihr müßt aufs Schaffot, unter das Beil der Guillotine, und nachher, zum Schlusse, in das ewige Höllenfeuer!«

Thys ward von den Gendarmen von dem Klosterhofe weggeführt. Als die versammelten Bauern und Bäuerinnen ihn gewahr wurden, erhob sich ein einstimmiges Rachegeschrei gegen ihn, so daß er den Kopf noch tiefer senkte und voll Angst seiner letzten Stunde entgegensah. Sein Gesicht war leichenblaß, sein Haar zerrauft, seine Kleider in Unordnung: an seinen Händen klebte getrocknetes Blut; denn in seinen verzweifelten Versuchen gegen die Kellerthür hatte er sich wund gerissen.

Doch die Dorfbewohner schrieben dem Blute natürlich einen andern Ursprung zu und wurden so bis zur Raserei erbittert.

So spornten sie sich wechselseitig durch allerlei Reden zur Rache an; schon wollten sie dem Gefangenen an den Leib rücken und hätten gewiß an ihm ein Beispiel der stürmischen Volksgerechtigkeit statuiert, wenn nicht die Gendarmen, in der Voraussicht der Gefahr, ihre Schwerter entblößt hätten, um zur Noth das Leben des Gefangenen zu vertheidigen.

Bei diesem Anblicke stutzte der wilde Haufe und gab die Selbstrache auf; doch zog er den Gendarmen nach und überhäufte den Mörder mit Schimpfworten und Verwünschungen, bis ihn, auf dem Steinwege, der zur Stadt führt, der beschleunigte Schritt seiner Wächter den Augen der empörten Menge entrückte.

*                   *
*

Seitdem sind zehn Jahre verflossen. Der Klosterhof ist in eine ausgedehnte Bauernwirthschaft umgewandelt. Im Stalle stehen drei Pferde und zwölf Kühe; Knechte und Mägde laufen über den freien Hof; munter schallt das Geräusch der Arbeit vom Morgen zum Abend. Die Fenster sind nach Außen grün bemalt, die Mauern hergestellt und sorgsam geweißt: Alles zeugt von Glück und Wohlstand.

Wenn die Sonne freundlich scheint, so läßt sich, auf der Bank neben dem Hausthor, ein steinalter Mann nieder, dessen Hände beständig zittern. Neben ihm strickt eine alte Frau. Der Greis spielt mit zwei kleinen Kindern, einem Knaben und einem Mädchen, und lobt ihnen die Sparsamkeit als die Quelle des Reichthums. Es sind die Kinder seiner Nichte Cäcilia, Bart ist ihr Vater, und sie nennen die alte Frau Großmutter Anna.

Der Alte hat dem Bart viel Geld geliehen – und bekommt dafür Zinsen – recht mäßige Zinsen. Diese geregelten Einkünfte legt er für den kleinen Jungen bei Seite, der eben auf einen Knieen spielt. Er hat den Knaben so gerne! Er hat ihn auch aus der Taufe gehoben und ihm den Namen Jan beigelegt. So ist der gute Onkel in seinen alten Tagen recht glücklich! Zuweilen findet er Gelegenheit über die zu reiche Kost des Gesindes und die Ausgaben aller Art zu schelten – aber Bart und Cäcilia lassen ihn plaudern und kehren sich nicht an seine Bemerkungen. So sind die beiderseits zufrieden.

Kaet, die arme Wittwe, lebt jetzt auf dem Kapellenhoefken; ihre Kinder sind groß geworden und arbeiten rüstig. Bart unterstützt sie, und mit der Zeit wird sie eine wohlhabende Pächterin werden.

Wanna hat den Schloßgärtner geheirathet; sie lebt mitten unter den lieben Blumen und wird von ihren reichen Herren gern gesehen. So ist sie auch zufrieden und glücklich.

Der Schurke allein leidet die verdiente Strafe; er sitzt in schwerer Haft, aus der er erst erlöst wird, wenn ihn Gott vor seinen Richterstuhl abruft.

– E n d e -