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»Ein Brief von Jan! ein Brief von Jan!«

Die zwei Wittwen nahten mit heiterm Erstaunen und hüpften vor Freude über die unerwartete Botschaft. Der Großvater, der sich so weit als möglich vorrücken wollte, wäre fast aus dem Bett gefallen.

Mit hastigen Worten erzählte das Mädchen, wie sie unterwegs dem Briefträger begegnet sei, und wie er ihr fünf und dreißig Cents abverlangt; doch unterbrach sie die Bitte der Frauen, die in einem fort riefen:

»Oh, Trien, lies uns den Brief doch vor!«

Trien setzte sich an den Tisch und las mit lauter Stimme. Da die Schrift nicht recht deutlich war, kam sie nur mühsam weiter und mußte manches wiederholen, um verstanden zu werden.

Der Brief lautete:

»Geliebte Eltern!

»Ich ergreife die Feder um zu erfahren, wie es mit Eurer Gesundheit steht, hoffentlich besser als mit der meinigen, denn ich habe böse Augen gekriegt und liege im Spital. Das kümmert mich sehr, liebe Eltern, denn viele Kameraden werden von derselben Krankheit ganz blind.«

Trien konnte nicht mehr sprechen; schluchzend ließ sie den Kopf auf das unglückliche Blatt fallen, wahrend die Frauen und der Großvater unter einem Strom von bittern Thränen sein Unglück bejammerten.

»Ach Gott, ach Gott! mein armer, armer Sohn!« rief die Mutter , indem sie ihre Hände gen Himmel erhob und im Zimmer wie wahnsinnig auf und ab lief: »Blind! Blind!«

Das Mädchen hob den Kopf wieder auf und sprach weinend:

»Um Gotteswillen, macht das Ding nicht ärger, es ist so schon peinlich genug; laßt mich fortfahren, vielleicht ist es besser als wir denken, haltet euch etwas stille und hört zu.

»Doch sagt meiner Mutter, daß sie sich nicht erschrecke, denn es geht mir besser, und so Gott will, werde ich wohl genesen. Das Schlimmste von Allem ist der Hunger, denn im Spital sind wir auf halbe Portionen angewiesen.

»Das Fleisch und Brod, das wir für einen ganzen Tag kriegen, können wir leicht auf einmal in den Mund stecken, dazu ein bischen Suppe ohne Salz und Pfeffer, und das ist Alles. Damit nähre sich ein guter Magen. Darum, liebe Eltern, schickt mir, wenn Ihr könnt, etwas Geld. Auch sitzen wir halbe Tage im Dunkeln, denn man giebt uns kein Licht.

»Meine Grüße an den Großvater und an Trien, und an ihre Mutter, und an Paulchen, und ich wünsche Euch allen zusammen gute Gesundheit und langes Leben.

»Kobe, des Gärtners Sohn, ist Korporal geworden. In der Kaserne haben die Ratten ein großes Loch in meinen Tornister gebissen, darauf hat man mir einen Neuen in die Masse angerechnet. Der kostet sieben Franken siebzig Centimes. Außerdem habe ich keine Schuld. Mit allen meinen Vorgesetzten stehe ich gut und mein Sergeant, der ein Wallone von Lüttich ist, hat mich recht gern.

»Der Schreiber dieses Briefes ist des Kartoffelbauers Karl und er liegt auch mit bösen Augen im Spital. Ihr müßt aber seinem Vater nichts davon sagen, denn er ist fast wieder gesund. Die andern Kameraden sind noch nicht krank. Und hiermit, liebe Eltern, haben wir alle zusammen die Ehre, Euch mit Händen und Füßen zu grüßen.

»Euer unterthänigster Sohn.«

Trien nahm ihre Schürze vor die Augen und weinte im Stillen; der Großvater war in der Bettstätte verschwunden; auch die beiden Wittwen weinten, ohne ein Wort zu wechseln.

Lange dauerte die peinlichste Stille, die nur von Zeit zu Zeit mit Schluchzen oder Seufzen unterbrochen wurde, bis Trien aufstand, eine Sichel von der Wand nahm und sich gegen die Thür wandte, indem sie sagte:

»Ueber die Traurigkeit vergesse ich ganz meine arme Scheckin! Ich will Futter auf dem Felde holen. Schöpft inzwischen etwas Muth und denkt daran, was hier zu thun ist.«

Niemand antwortete, das Mädchen nahm an der Thür einen Schubkarren und fuhr aus dem Haus fort. Doch hinter dem nächsten Gebüsch blieb sie stehen und setzte sich auf den Schubkarren. Dann machte sie mit bebender Hand den Mieder los und holte den Brief heraus; sie öffnete das Blatt und las mit lauter Stimme den Inhalt, während mehr als einmal ihr die Thränen in die Augen schossen und sie fast ohnmächtig geworden wäre.

»Diesen Brief hat Karl auch geschrieben, doch habe ich ihn Wort für Wort dictirt.

»Trien!

»Ich habe es meiner Mutter nicht zu schreiben gewagt, weil es doch zu schrecklich ist; Trien, ich bin blind, blind für meine Lebenszeit! Meine zwei Augen sind ausgeronnen! Das ist für mich schon schlimm genug; aber daß ich Euch auf dieser Welt nicht mehr sehen soll, weder die Mutter noch den Großvater, noch Jemanden von alle denen, die mich lieben – daran werde ich sterben, das fühle ich.

»Trien, seitdem ich blind bin, sehe ich Euch immer vor meinen Augen stehen, und das ist noch der einzige Trost, der mich noch am Leben hält, doch daran will ich nicht mehr denken und bitte Euch, es auch zu vergessen. Ach, liebe Freundin, geht nur auf die Kirmeß wie früher und benutzt Eure Jugendzeit, denn ich will noch lieber unter der Erde liegen als mir sagen, daß Ihr um meinetwillen Kummer leidet.

»Trien, ich habe dies für Euch allein geschrieben, auf daß Ihr meine arme Mutter allmählig darauf vorbereitet. Wenn ihr nur kein Unglück widerfährt.

»Bis in den Tod Euer unglücklicher Jan.«

Mit gespannten Nerven hatte das Mädchen den Brief bis zu den letzten Worten gelesen, da bedeckte Todtenblässe ihr Gesicht, ihre Arme fielen schlaff an ihre Seiten, ihre Augen schlossen sich und ihr Kopf fiel auf den Schubkarren. So lag sie bewußtlos in tiefer Ohnmacht.

In der Haide sauste der Wind durch das Eichenlaub und streute dürre Blätter auf ihre alabasterne Stirn; die Bienen flatterten und summten um sie her; gegen den Himmel zu schwebte die Lerche mit ihrem Lied. In der Ferne hörte man die Heimchen zirpen, und doch war Alles still. Nichts weckte das Mädchen aus ihrem Todesschlummer.

Doch die Sonne schritt allmählig auf ihrer Bahn fort, bis einer ihrer heißen Strahlen durch das Laub das Gesicht des Mädchens beschien.

Die Unglückliche öffnete langsam ihre Augen, während das Blut von Neuem in ihren Adern rollte. Sie hob den Kopf auf wie Jemand, der aus einem schweren Traum erwacht, und blickte mit Schrecken um sich, als ob sie ihren Zustand nicht begriff.

Der Brief, der offen zu ihren Füßen lag, erinnerte sie an das furchtbare Unglück. Sie faltete das Papier zusammen, steckte es in ihren Mieder, beugte ihr Haupt und versank in tiefe Betrachtung. Nach einiger Zeit richtete sie sich auf und führte den Schubkarren eiligst zu dem kleinen Felde, wo sie das Futter halb ausrupfte, halb mit der Sichel abschnitt. Bald war der Schubkarren voll geladen. Mit derselben Hast kehrte sie nach Haus zurück, warf das Futter vor die Kuh und trat dann in die Hütte, wo sie den Alten sagte:

»Morgen früh mit dem Aufbruche des Tages zieh ich zu Jan hin.«

»Aber Kind,« rief die Mutter, »es ist am anderen Ende vom Land, was sind das für Gedanken, du kommst in einem Jahre nicht hin.«

»Ich ziehe zu Jan hin, sage ich euch,« sprach das Mädchen entschlossen, »ich werde ihn finden, selbst wenn er hundert Meilen von hier wäre! Der Secretär unserer Gemeinde wird mir den Weg schon angeben, den ich einzuschlagen habe.«

Jans Mutter kam mit gefalteten Händen und bittenden Blicken auf das Mädchen zu und schluchzte:

»Trien, lieber Engel, willst du das für meinen Sohn thun? ich werde dich dafür noch auf meinem Sterbebette segnen.«

»Ja,« rief Trien, »der König selbst soll mich davon nicht abhalten. Ich werde Jan sehen und trösten oder selbst zu Grunde gehen.«

»O ich danke euch tausendmal, Trien,« rief Jans Mutter und schlang beide Arme um den Hals des Mädchens.

IV

Es ist erst sieben Uhr Morgens und doch ist die Hitze schon bedeutend, denn die Sonne steht glühend am tiefblauen Himmel.

Seht, dort auf der Chaussee, nicht weit von der schönen Maas, schreitet ein Bauernmädchen rüstig weiter. Ihre Kleidung beweist, daß sie hier fremd ist, denn die Limburgischen Frauen tragen diese gefalteten Hauben und diese Strohhüte. – Sie trägt ihre Schuhe in der Hand und geht baarfuß, der Schweiß trieft ihr von der Stirn. Obgleich fast bis zur Erschöpfung müde, hält sie ihre Augen mit unsäglicher Freude auf einige ferne Kirchtürme gerichtet. – Da liegt die Stadt Venloo, das Ziel ihrer langen Reise.

Arme Trien! schon seit vier Tagen wandert sie unter beständigem Fragen und vieler Mühseligkeit. Kaum gönnte sie sich einen kurzen Schlummer und spärliche Kost, doch Gott und ihre starke Natur unterstützten sie. Sie hat ihn gefunden, den Ort, wo ihr unglücklicher Freund, fern von den Seinen, leidet und schmachtet. All' ihr Weh ist vergessen, ihr Herz jubelt vor Freude und pocht vor Ungeduld. Hätte sie Flügel, so würde sie mit Blitzesschnelle nach jenen Thürmen fliegen, auf deren Dach die Sonne sich abspiegelt.

So ging das Mädchen mit wachsender Schnelligkeit weiter, bis sie die Festungswerke Venloo's vor sich sah. Hastig zog sie ihre Schuhe an, schüttelte den Staub ein wenig ab, machte ihre Kleider zurecht und trat dann muthig in die Festung ein.

Wie sie zwischen den Außenwerken einige Schritte weit gekommen war, sah sie einen Soldaten, das Gewehr in der Hand vor einem Schilderhäuschen auf- und abgehen. Schon aus einiger Entfernung lächelte sie der Schildwache freundlich entgegen, doch diese sah sie starr wie eine Bildsäule an. Trotzdem nahte sie entschlossen und frug mit gewinnender Miene:

»Freund, könnt ihr mir nicht sagen, wo ich Jan Braams finden kann? Er ist hier auch unter den Soldaten.«

Die Schildwache war ein Wallone aus Lüttich.

»Kann nicht verstehen!« murrte er und kehrte sich um, um,den Korporal zu rufen.

Dieser trat aus dem Posten und kam mit freundlicher Miene auf das Mädchen, die sich artig verbeugte und frug:

»Herr Officier, wolltet ihr mir gefälligst angeben, wo Jan Braams wol ist?«

 

Der Korporal machte ein verdrießliches Gesicht wie Jemand, der sich in seiner Erwartung getauscht sieht, dann wandte er sich zum Wachthaus und rief im Hennegau'sche n Dialect:

»He, Flamänder, komm heraus! Es giebt einen Schoppen zu verdienen!«

Ein junger Soldat sprang von der Pritsche und kam heraus, indem er sich noch halb schlafend die Augen rieb, doch der Anblick des Mädchens erhellte sein Gesicht.

»Nun, Mieken [Mieken, für Mariechen, ist der Name, mit dem man in Brabant alle Mädchen anspricht, die man nicht kennt.Die Soldaten heißen alle Mädchen Mieken: das Wort beweist freundliche Gesinnung.],« frug er, »was wollt ihr haben.«

»Ich komme her, um Jan Braams zu besuchen; könnt ihr mir nicht sagen, wo er ist?«

»Jan Braams? Den Namen habe ich noch nicht gehört.«

»Doch ist er Syldat in belgischem Dienste wie ihr.«

»Ja, doch steht er unter der Cavallerie oder unter der Infanterie?«

»Was wollt ihr damit sagen, Freund?«

»Nun, ob er beim Pferdevolk oder beim Fußvolk ist?«

»Das weiß ich nicht; er dient bei den grünen Jägern. Liegen die in der Stadt nicht?«

»Dann nimmt's mich nicht Wunder, daß ich ihn nicht kenne; wir sind vom Neunten!«

Während dieses Gespräches war der Korporal mit drei bis vier Soldaten, worunter die Schildwache selbst war, in die Nähe des Mädchens gekommen. Sie begriff nicht, warum man ihr so sonderbar in die Augen guckte, und dazu auf Wallonisch lachte und spöttelte. Doch wurde sie ganz roth und sagte dem Flamänder:

»Weist mir doch den Weg, Freund, ich bin so eilig.«

Dienstfertig antwortete ihr der Soldat:

»Wenn ihr zum Thore herein seid, so geht die erste Straße rechts, dann links, dann wieder links und dann rechts, bis ihr an eine Kapelle kommt, die laßt ihr zur Linken und geht dann bis zum großen Haus, wo ein Laden ist; nach einiger Zeit dreht ihr euch wieder, links, so kommt ihr auf den Markt. Dort erkundigt euch nach der Kaserne vom zweiten Jägerregiment; jedes Kind wird euch Auskunft geben.«

Trien war fast außer sich; der Kopf drehte sich ihr bei all' den Links und Rechts, denen sie Mühe hatte zu folgen. Sie verstand nichts davon und wollte eben um eine klarere Andeutung bitten, als die Schildwache aus voller Kehle schrie:

»Aux armes«!«

Alles lief auseinander und ins Wachthaus, um nach den Gewehren zu greifen. Der Soldat sagte hastig zum erschreckten Mädchen:

»Weg, weg, macht euch fort, oder wir kommen Alle ins Loch. Es ist der Platzcommandant.«

Das ließ sich das Mädchen nicht zweimal sagen. Am Stadtthor sah sie einen Officier zu Pferd, der so prächtig wie ein König angekleidet war und einen mächtigen Schnurrbart trug. Unwillig darüber, daß er die Wache mit einem Mädchen sprechend ertappt hatte, besah er die arme Bäuerin mit wilden Augen, als wollte er sie verschlingen. Doch ritt er vorbei ohne etwas zu sagen, aber sie hörte mit Zittern, wie er die armen Soldaten heruntermachte, ohne zu begreifen, woher dieser heftige Zorn rühren könnte.

Sie beeilte sich in die Stadt zu treten und fand endlich den Markt. Hier und da bemerkte sie Soldaten in verschiedener Uniform, doch der Vorfall mit der Wache hatte sie vorsichtig gemacht. Sie wandte sich also an eine Bürgersfrau:

»Versteht ihr Flämisch?«

»Ja, gewiß!«

»Könnt ihr mir gefälligst sagen, wo die Jäger liegen?«

»Sicher. Geht bis um die Ecke und dann gerade fort bis an das Ende der Straße. Dort wohnen die Jäger in der Kaserne.«

»Ich danke euch hundertmal,« sagte Trien und begab sich nach der bezeichneten Straße.

Vor die Kaserne gelangt, erkannte sie das Gebäude leicht, sowohl an den Soldaten, die hier aus- und eingingen, als am Getrommel, das darinnen zu hören war.

Freudig eilte sie auf das Thor, um in die Kaserne zu treten, aber die Schildwache rief ihr mit barscher Stimme zu:

»Halt! Zurück! Es darf Niemand herein!«

Und wie das Mädchen noch einen Schritt weiter that, trieb er sie rauh zurück.

»Aber, Freund,« schluchzte sie, »ich möchte nur mit Jemandem sprechen, der auch Soldat ist. Wie muß ich das anfangen?«

»In welchem Bataillon und in welcher Compagnie steht er?« frug die Schildwache.

»O, das weiß ich nicht,« antwortete das Mädchen traurig.

»Wartet nur ein halbes Stündchen,« sprach die Schildwache, »dann trommelt man für die Suppe, und gleich darnach geht der Appel zum Exerciren los. Da werdet ihr die sämtliche Mannschaft aus der Kaserne marschieren sehen, und wenn ihr gute Augen habt, so werdet ihr ihn wol erkennen. Geht, trinkt unterdessen ein Glas Bier nebenan im Falken . . . und laßt mich jetzt in Ruhe; der Fourier lauert hinter uns.«

Die Schildwache ließ nun Trien verblüfft stehen, schlug die rechte Hand mit Gewalt an den Kolben, warf seinen Kopf in die Höhe und begann mit militärischer Steifheit in geregeltem Schritt auf- und abzugehen, ohne sich nach der jungen Bäuerin umzusehen.

Trien blieb einen Augenblick in düstern Gedanken versunken und suchte zu fassen, wie es zum Verbrechen werden könne, einem Fremden den Weg zu weisen. Der Schmerz begann ihr Gemüth zu überwältigen. So ungeduldig sie auch war, so schien es ihr nicht zu lange, eine halbe Stunde zu warten. Bei dem Ausgang der Jäger wollte sie sich dicht am Thore der Kaserne halten, und gewiß konnte kein einziger Mann ihrer Aufmerksamkeit entgehen. Sie sollte ihren Jan sehen und erkennen; trotz dieses hoffnungsvollen Gedankens verdüsterten sich plötzlich ihre Züge: es kam ihr unwahrscheinlich vor, daß ein blinder Soldat mit seinen Kameraden ziehen sollte. Doch, was wußte sie davon? Alles war hier so sonderbar und befremdend. In ihrem Zweifel folgte sie dem Rathe der Schildwache und richtete sich mit langsamen Schritten gegen den Falken. In der Kneipe verlangte sie ein Glas Bier und setzte sich verschämt in einem Winkel an einen Tisch nieder.

In der Wirthstube befanden sich acht bis zehn Soldaten, die am Trinken waren und dazu mit lauter Stimme über Dienstangelegenheiten plauderten.

Sobald das Mädchen eingetreten war, hatten sich Alle gegen sie gekehrt und lachend ihre Bemerkungen mitgetheilt; doch da man französisch oder wallonisch sprach, verstand Trien nicht, was man von ihr sagte, und obgleich die frechen Blicke der Soldaten sie verlegen machten, lächelte sie doch und sprach:

»Ich wünsche euch Allen einen guten Tag, Freunde.«

Die Soldaten schienen ihr brave Leute zu sein bis auf einen einzigen , der älter war als die andern und mit einem gewissen Ansehen zu ihnen sprach. Er trug gemslederne Handschuhe; die Knöpfe seiner Jacke blinkten wie Gold; die Mütze saß ihm auf dem linken Ohr; sein Schnurrbart war schwarz gewichst und aufwärts gestriegelt; mit zurückgeworfenem Körper und die Hand in die Seite gestemmt sah er aus wie eine beständige Herausforderung zum Duell. Wahrhaftig , ein so trotziger Krieger mußte Profos oder Fechtmeister sein!

Doch waren es nicht dieses Aussehen und diese Haltung, die dem Mädchen Verdacht einflößten; doch ärgerte es sie, daß er seinen harten Blick so unverschämt auf sie richtete und argen Spott mit ihr trieb; auch verbarg sie dies Gefühl nicht und der kecke Jäger konnte wol an ihrem Gesichte merken, daß er bei ihr nicht zum Besten angeschrieben war.

Unterdessen brachte die Wirthin ein Glas Bier für das Mädchen. Ein junger Soldat, dessen Augen Sanftmuth verriethen, nahte sich ihr, bot ihr sein Glas an und sagte im Dialect der Campine:

»Mieken» wir wollen anstoßen. Ihr seid gewiß von Antwerpen her?«

»Nein, Kamerad, ich bin aus der Gegend von Sankt-Antonis, von Schilde oder Magerhalle, wie ihr wollt.

»Und ich bin aus Wechel-ter-Zande, so daß wir Nachbarn sind!«

Süße Freude leuchtete im Gesicht des Mädchens; sie warf auf den Soldaten einen liebevollen Blick, als ob sie in ihm einen Bruder gefunden hätte.

Die andern Jäger hatten sich inzwischen gleichfalls um denselben Tisch gestellt oder gesetzt, und der Soldat mit dem gewichsten Schnurrbart setzte sich so dicht an das Mädchen, daß er ihre Seite fast berührte.

Diese Frechheit war Trienen unausstehlich, sie zitterte vor Angst. Sie faßte ihren Landsmann bei der Hand und flehte mit süßer Stimme:

»Lieber Freund, ihr müßt schon so gut sein und bei mir sitzen bleiben; ich habe Furcht vor dem Wallonen. Wofür hält er mich denn?«

»Ei was,« antwortete der Andere, »es ist ein Windbeutel. Er soll euch nur anrühren, so will ich ihm die Faust unter den Schnurrbart rücken, trotzdem er Fechtmeister ist.«

Durch diese Worte ermuthigt, wandte sich Trien gegen den Spötter und sagte stolz:

»Herr Soldat, bleibt mir etwas vom Leibe. Ihr nehmt mich doch nicht für eine lose Dirne?«

Der Fechtmeister brach in ein langes Gelächter aus, doch schob er seinen Stuhl ein wenig zurück und riß dazu schlechte Witze, von denen Trien zum Glück nichts verstand.

»Sagt, Freund,« frug Trien ihren Beschützer, »wie heißt ihr, wenn man fragen darf?«

»Sus Caers.«

»Sus Caers! Da haben wir ja vor vierzehn Tagen ein Kalb an euren Vater verkauft! Das arme Thier war so schön gescheckt! Ich habe davon noch Geld in meiner Tasche!«

»Und wie geht es meinem Vater? Ist er gesund?«

»Ja wol, der Mann ist baumstark . . . und jetzt erinnere ich mich, daß er erzählte, ihr wäret auch beim Militär. Doch kennt ihr unsern Jan nicht?«

»Wie ist sein Zuname?«

»Braams.«

»Freilich kenne ich den Jan Braams; wir stehen ja in derselben Compagnie. Wir waren immer beisammen ehe er die bösen Augen kriegte.«

Mit tiefer Rührung ergriff das Mädchen seine beiden Hände:

»Nun, dann danke ich es dem lieben Herrgott, daß ich in diese Kneipe kam. Ihr werdet mir wol den Weg zu Jan zeigen, nicht wahr? Die Jungen aus unserer Gegend sind doch alle gute Leute.«

»Gewiß, ich will euch an's Spital bringen. Ihr wißt, daß er blind ist?«

»Ach ja,« seufzte Trien, »doch sei es in Gottes Namen! Wir haben darüber schon recht bitterlich geweint.«

Die Soldaten hatten neidisch zugesehen, wie zwischen dem Mädchen und dem Campiner die Freundschaft sich so innig geknüpft hatte. Besonders rückte der Fechtmeister auf seinem Stuhle hin und her und machte allerlei Geberden. Allmählich hatte er sich wieder dicht an das Mädchen gemacht und langte die Hand an ihr Kinn, wie sie eben nicht auf ihn Acht gab.

Der Flamänder brach in Drohworte aus; doch Trien sprang mit zornentflammten Augen auf und schlug den Fechtmeister mit der flachen Hand so kräftig ins Gesicht, daß ihm Hören und Sehen verging. [Diese allerdings etwas rauhe Vertheidigungsweise ist unter den Bauerstöchtern der Campine fast allgemeine Sitte und so zu sagen eine vom Anstandsgefühl auferlegte Pflicht.]

Sobald sich der Fechtmeister von der Betäubung erholt hatte, ging in der Kneipe eine wilde Kampfscene vor sich. Er griff nach einer Kanne und wollte damit dem Mädchen auf den Kopf schlagen; doch der junge Campiner, rüstiger als er, faßte ihn bei der Kehle und entwand ihm die Kanne. Die andern Kameraden sprangen dazwischen und zogen die Streitenden auseinander, indem sie ihnen zuriefen, daß bei Soldaten nicht Faustschläge, sondern Säbelhiebe einen Streit schlichten müßten.

Während Trien in der größten Seelenangst eine Fluth von Schimpfwörtern anhören mußte und die Soldaten sich herumbalgten, so daß die Wirthin mit der Wache drohte, hörte man plötzlich anhaltendes Trommeln in der Kaserne.

»Die Suppe! Die Suppe!« riefen Diejenigen, die nicht im Streite waren – und liefen, ohne sich um die Andern zu bekümmern, aus der Kneipe.

Auch der Fechtmeister entfernte sich mit einigen Flüchen und drohte dem Campiner:

»Um fünf Uhr auf dem Terrain! Ich hole euch ab!«

»Schon gut, Prahlhans!« antwortete höhnisch der aufgebrachte Jüngling.

»O, lieber Sus, was habe ich da ausgestanden?« wimmerte Trien, sobald sie mit ihrem Beschützer allein war. »Ist jetzt Alles aus?«

»Wie aus? Ich muß mich diesen Abend mit dem Eisenfresser auf Säbel schlagen.«

»Und das um meinetwillen!« rief das Mädchen, das dabei ganz bleich wurde und sichtbar zitterte.

»Ihr müßt euch deshalb nicht ängstigen, Mädchen; die Geschichte ist so ernsthaft nicht. Es wird wieder darauf hinauslaufen, daß wir Eins zusammen trinken; das ist für den Wallonen so eine Manier, um zu Branntwein zu kommen, wenn sein Sold um ist. Das geschieht ihm alle Wochen ein paar Male, es kennt ihn ein Jeder. Kommt jetzt mit; ich will euch ins Spital bringen, wo Jan Braams liegt.«

Trien bezahlte das Bier und ging mit dem Soldaten aus der Kneipe. Er brachte sie unter traulichem Gespräch zwei bis drei Straßen weiter und verließ sie mit den Worten:

»Seht ihr dort den Soldaten auf einer Bank vor dem Thor des großen Hauses sitzen? Das ist das Spital. Ihr müßt den Soldaten ansprechen; er wird euch hereinlassen, wenn es möglich ist. Gott behüte euch; grüßt meinen Vater bei Gelegenheit.«

 

»Tausend Dank, lieber Freund,« antwortete Trien, indem sie ihn verließ, um sich ins Spital zu begeben.

Sobald das Mädchen allein war, fühlte sie sich wieder sehr gedrückt und fand fast den Muth nicht, an den Soldaten, der auf der Bank saß, das Wort zu richten. Doch wie sie sich dem Spital näherte, wurde sie wieder fröhlich; sie meinte den Soldaten zu erkennen. Und wirklich rief sie ihn auf einige Schritte bei seinem Namen an: es war Kobe, des Gärtners Sohn, von dem Jan geschrieben hatte, daß er Korporal geworden, und der den Posten befehligte.

Wie er das Mädchen bemerkte, stand er schnell auf, kam auf sie gelaufen und rief mit froher Verwunderung:

»Nun, Trien, seid ihr es? Lieber Gott, was für eine Freude, euch hier zu sehen! Wie geht's allen Freunden im Dorfe? Ist meine Mutter wieder gesund? Ist Loken Verbaets wohl auf? Weiß man dort, daß ich Korporal geworden bin? Und was hat Loken dazu gesagt , als sie es vernommen?«

»Alles ist wohl,« antwortete Trien. »Eure Mutter war schon Sonntags im Hochamt; sie ist ihr Fieber los und man sieht ihr fast keine Spur von Krankheit mehr an. – Ich selbst habe es im Vorbeigehen der Loken gesagt, daß ihr Officier geworden seid.«

»Lachte sie nicht dazu?«

»Nein, sie wurde roth bis unter die Haare und war dabei doch so froh, daß sie nicht sprechen konnte: ich habe ihr das wol an den Augen angesehen.«

Kobe senkte den Kopf und blickte zum Boden; der Ausdruck seines Gesichts änderte sich plötzlich; auch er fühlte, daß seine Wangen schamroth wurden und sein Herz schneller pochte. Sein Geburtsdorf mit der Haide und den Feldern, der keusche Blick seiner Geliebten, das freundliche Lächeln seiner Mutter, die Sonntagsfreude nach der langen Arbeit; die Lieder unter der grünen Linde, das Geschnatter der Elstern, das Gebell des Hundes, das Rauschen der Blätter im Walde – das Alles stand frisch und lebendig vor seinen Augen, schallte verlockend in seine Ohren und ließ ihm sein jetziges Leben recht traurig erscheinen.

»Was habe ich euch denn gesagt, Kobe, das euch so betrüben kann?« frug Trien theilnahmsvoll.

»Ach, liebe Trien,« war die Antwort, »das weiß ich selbst nicht: es stand mit einem Male das Dorf vor meinen Augen, so deutlich, daß ich die Sonne auf unserm Thurme scheinen sah! Mein Vater war beschäftigt, die Stoppeln auf dem Felde umzupflügen, und meine Mutter stand dabei und ich, hörte, daß sie von mir sprachen . . . Ich war wie von Sinnen, doch jetzt ist es vorüber.«

»Kommt, Kobe,« sagte Trien, »führt mich schnell zu Jan, er wird so froh sein, mich zu sehen!«

»Ihr wißt doch von seinem Unglück?«

»Ach ja, ich komme mit ihm zu sprechen und ihn zu trösten, laßt mich nicht länger hier stehen und bringt mich gleich zu ihm.«

»Liebe Trien, was beklage ich euch,« antwortete Kobe ganz betrübt.

»Und warum,« rief Trien, »sagt es nur heraus, Kobe, ihr erschreckt mich.«

»Unglückliche Trien,« erwiederte Kobe, »es darf Niemand zu dein Blinden und den andern Augenkranken gelassen werden. Es ist uns bei schwerer Strafe verboten.«

Das Mädchen wimmerte schmerzlich, während sie die Schürze vor die Augen hob und sprach:

»O, du Herrgott! da gehe ich seit vier Tagen, so arm und elend, und darf ihn doch nicht sehen. Lebend gehe ich aber nicht von hier; darauf könnt ihr euch verlassen.«

»Doch müßt ihr nicht so auf der Straße weinen, Trien, die Leute werden uns angaffen; haltet euch lieber ruhig.«

Das Mädchen wischte mit dem Muthe der Verzweiflung die Thränen aus den Augen und rief:

»Und wenn ich in das Haus wie ein Dieb einbrechen müßte und mir ein Säbel durchs Herz dringen sollte, ich werde ihn doch sehen und sprechen . . . davon kann man mich nicht abhalten.«

»Hört liebe Trien,« sprach der Korporal besänftigend, »ich kann dabei meine Galons verlieren, aber ich will euch doch helfen. Bleibt ruhig und thut, als ob ihr von nichts wüßtet; – der Sergeant wird gleich den Rapport an den Platzcommandanten bringen; der Doctor hat seine Runde schon gemacht und der Director ist nicht wohl; die werden also nicht in den Saal kommen. Sobald der Sergeant fort ist, will ich euch in das Zimmer einschmuggeln, wo die Blinden liegen. – Aber Trien, wenn ich darüber ins Cachot komme und meine Galons verliere, so sagt meiner Mutter und meiner Geliebten wol, daß ich es aus Freundschaft und Barmherzigkeit gethan habe.«

»Seid überzeugt, Kobe,« antwortete das Mädchen mit feuchten Augen, »ich will euch mein Lebenlang dafür danken. Auch will ich dafür sorgen, daß Loken euch einen Brief schreibt, sobald ich wieder daheim bin.«

»Sie kann ja nicht schreiben, Trien,« bemerkte der Korporal.

»Ich kann es um so besser,« sagte das Mädchen, »und will es für sie thun, und ich will Dinge hinein schreiben, daß ihr vor Freude aufspringen sollt!«

»Seht Trien, ich bin hier nicht Schildwache, ich darf mit den Leuten sprechen; setzt euch auf die Bank und wartet bis der Sergeant herauskommt; ich will euch für meine Schwester ausgeben, sonst kommt er noch dazwischen, und jetzt plaudern wir etwas von den dortigen Freunden. Ist des Brauers Knecht schon mit der Kuhmagd des Pastor Dierickr getraut, und ist das Füllen, das wir dem Kronenwirth verkauften, ein schönes Pferd geworden?«

Sie setzten sich auf die Bank, nicht zu dicht an einander, und sprachen von den abwesenden Freunden Drinnen im Augenspital war eine abgesonderte Kammer, Schirme aus dunkelgrünem Papier schlossen deren Fenster und ließen keinen einzigen Sonnenstrahl herein. Für Menschen mit gesunden Augen war dies ein schlimmer Aufenthalt, denn der trübe Farbenton erregte unwillkürliche Angst. Es war weder licht noch dunkel, man mußte sich erst an den grünen Halbschimmer gewöhnen, ehe man einen Gegenstand erkennen konnte. Dazu herrschte hier eine tiefe Stille, trotzdem viele Leute darin lagen und unsäglich litten; nur von Zeit zu Zeit ließ sich eine Klage vernehmen, wenn der Höllenstein die kranken Augen des Einen oder Andern berührte.

Längs den Wänden saßen die Blinden auf hohen Bänken wie eine Reihe von Gespenstern, stumm und bewegungslos.

Ein Jeder hatte vor dem Kopf einen großen grünen Lichtschirm gebunden, der das Gesicht gänzlich verhüllte.

In der fernsten Ecke saß Jan Braams, den Kopf auf die Knie gebeugt, in schmerzlichen Träumen an Alle, die er liebte und nicht mehr sehen sollte. Seine Seele war nach den fernen Gegenden hingezogen, wo seine Eltern und Freunde lebten. Zuweilen zuckte um seinen Mund ein schmerzliches Lächeln und seine Lippen bewegten sich, als ob er mit unsichtbaren Personen ein Gespräch führte. Eben hatte er das Bild der Geliebten ins Gedächtniß zurückgerufen und sie dazu gebracht, das schüchterne Bekenntniß ihrer Liebe abermals in sein Ohr zu flüstern, als plötzlich ein leiser Lärm sich auf der Treppe vernehmen ließ. Es kam ihm vor, als hatte man seinen Namen genannt; bebend sprang der elende Jüngling auf, als hätte ihn ein electrischer Schlag gerührt, und er rief unwillkürlich: Trien, Trien!