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Wirklich öffnete sich die Thür und das Mädchen zeigte sich mit dem Korporal auf der Schwelle. Trien erschreckte, als ihre Augen in den dunkeln Saal fielen und sie die gespenstigen Gestalten, die durch die grünen Lichtschirme fast vermummt waren, dasitzen sah. Sie wich mit einem lauten Schrei zurück; doch hatte ihre Stimme Jans Ohr getroffen und er nahte sich ihr mit vorgestreckten Händen suchend und tastend. Sie erkannte den unglücklichen Freund, sprang wehklagend auf ihn zu und schlang ihre beiden Arme mit Heftigkeit um seinen Hals.

Zuerst hörte man Nichts als die Namen Trien, Jan, in verschiedenen Tönen der Liebe, des Mitleidens und der Traurigkeit ausgesprochen. Das Mädchen lag weinend an des Jünglings Brust und es schien fast als würde sie vor Rührung in Ohnmacht fallen; ihr Kopf hing zur Seite und ihre Arme fielen kraftlos über die Schultern ihres unglücklichen Freundes.

Unterdeß hatten sich auch die andern Blinden um das Mädchen gedrängt und betasteten es, als wollten sie es gleichfalls erkennen. Dies weckte Trien aus ihrer Betäubung. Sie zog Jan beiseits und sagte mit Schrecken:

»Gott, was soll das bedeuten, lieber Jan, sagt ihnen doch, daß sie mich in Ruhe lassen, sonst darf ich hier nicht bleiben.«

»Aergert euch nicht,« antwortete Jan, »es hat nichts auf sich. Die Blinoen sehen mit den Fingern. Sie fühlen nur an eure Kleider, um zu wissen, woher ihr seid. Es ist nichts Arges dabei.«

»O, die armen Jungen,« seufzte Trien, »wenn dem so ist, so vergebe ich ihnen, von Herzen gern; doch trotzdem stören sie uns, wir wollen uns lieber in den dunkeln Winkel auf die Bank setzen, Jan, ich habe euch noch so viel zu erzählen.«

Mit diesen Worten führte sie ihren Freund zur Bank und setzte sich neben ihn; seine Hände ruhten in den ihrigen.

Das Gespräch, das nun begann, mußte sehr rührend sein, obgleich nichts davon zu vernehmen war, denn auf Trien's Gesicht war bald Freude und Heiterkeit, bald Schmerz und Kummer zu lesen und von Zeit zu Zeit sah man sie Jan's Hände mit innigem Gefühle drücken. Gewiß war sie beschäftigt, den Balsam des Trostes in das Herz des Unglücklichen zu träufeln; denn die wenigen hörbaren Klänge ihrer Stimme waren so lieblich und zart wie die süßesten Noten eines Liebesgesanges. Jan hatte sich den Lichtschirm weiter hinauf geschoben und auf seinem Gesicht drückte sich zu gleicher Zeit tiefer Gram und träumerische Aufmerksamkeit aus, als wenn Jemand aus dem Abgrund des Schmerzes auf Worte lauschte, welche ihm zwar nicht sein Unglück in Vergessenheit bringen, aber für einen Moment Gaukelbilder der Freude vorhalten.

Um das gerührte Paar standen die Blinden still in einem Halbkreise, auch sie hörten mit Spannung zu, um Etwas von den tröstenden Klängen zu vernehmen.

Der Korporal war vor der Thür stehen geblieben und schritt auf und ab; zuweilen steckte er den Kopf in den Saal, um zu sehen ob Trien nicht daran dächte fortzugehen. Plötzlich erbleichte er, seine Augen verriethen einen großen Schrecken.

Denn er sah den Sergeanten die Treppe heraufstürmen! Ohne eine Bemerkung anzubringen, ließ er ihn in den Krankensaal eintreten und folgte ihm mit hängendem Kopfe wie ein Missethäter, der sein Urtheil erwartet.

Kaum hatte der Sergeant das Mädchen bemerkt, so brach er in eine ganze Fluth von Schimpfworten aus und rief endlich dem Korporal zu:

»So habt ihr Jemanden Fremdes hereingelassen und noch dazu ein Mädchen! Geschwind herunter! Ich will euch augenblicklich ablösen lassen und auf vierzehn Tage dem Profoßen empfehlen. Wenn ihr eure Korporal-Galons behaltet, soll es wahrhaftig meine Schuld nicht sein.«

Trien suchte den aufgebrachten Sergeanten zu besänftigen:

»O, Herr Officier, seid doch barmherzig! Ich allein bin Schuld daran: durch meine Thränen ließ er sich bewegen, mich hereinzulassen, laßt ihn die Gefälligkeit nicht so hart entgelten . . .«

Doch der Sergeant schüttelte ungeduldig das Haupt und rief spöttisch:

»Worein mischt ihr euch? Ich kenne meinen Dienst und weiß was ich zu thun habe . . . Ihr müßt augenblicklich vor die Thür, Mieken! Macht schnell!«

Dieser unerwartete Befehl überraschte das Mädchen schmerzlich; doch merkte sie, daß es Ernst war und flehte zum Sergeanten:

»Gönnt mir nur ein halbes Stündchen noch! Ich will sieben Vaterunser für euch beten und vor Freude eure Hand küssen . . . «

»Verlängert nicht das dumme Spiel,« schnauzte der Sergeant, »ich gebe keine Minute mehr!«

»Ums Himmels Willen, lieber Mann,« schrie Trien ganz traurig, »ich komme zu Fuß aus der fernsten Ecke des Landes, um unserem unglücklichen Jan etwas Trost zu bringen; und doch wollt ihr mich schon fortjagen! Ich hab' ihm fast noch Nichts gesagt!«

»Wollt ihr gehen oder nicht?« drohte der Sergeant, und begleitete die Drohung mit groben Worten vor denen das Mädchen zitterte.

Mit thränenden Augen und mit gefalteten Händen wandte sich dieses an den Sergeanten:

»Nur ein Viertelstündchen, um Gottes Willen! Laßt mich nicht vor Kummer vergehen; habt mit einem armen blinden Manne Mitleiden! Es kann euch auch noch begegnen! Würde euer Herz denn nicht brechen, wenn ihr eure Mutter oder Schwester wie einen Hund fortjagen sähet! Ach, Herr Offizier, erbarmt euch unser, ich will euch dafür mein Lebenlang segnen!«

Jan und die andern Minden murrten über die Hartherzigkeit des Sergeanten und unterstützten die Bitte des Mädchens. Der ganze Saal kam in Aufruhr, alle Blinden empörten sich gegen den unerbittlichen Sergeanten. Darüber noch mehr erbittert drohte er Alle auf Wasser und Brod zu setzen und faßte plötzlich das Mädchen beim Arm, um es mit Gewalt aus dem Zimmer zu führen; doch Trien, welches seine unwiderrufliche Absicht merkte, machte sich los, lief schluchzend auf Jan zu und umhalste ihn unter herzzerreißenden Klagen. Der Jüngling, der zwar traurig war, doch die Ueberzeugung hatte, daß Nichts den Entschluß ändern würde, suchte sie zu trösten und sagte ihr in der Eile viele Dinge, die sie in ihrem Gespräche vergessen hatten.

Doch bald hatte sie der Sergeant erhascht und hielt sie wieder fest. Er legte ihr die Hand auf die Schultern um sie von Jan zu entfernen; doch Trien schloß ihre Arme wie ein eisernes Band und widersetzte sich der Wuth des Sergeanten. Dieser rief zu Kobe, der traurig an der Thüre stand:

»Korporal, was bleibt ihr dort stehen? Hierher? Ich befehle euch selbst die Bäuerin vor die Thüre zu werfen, sonst soll es euch theuer zu stehen kommen! Und schnell gemacht!«

Kobe nahte dem Mädchen und faßte es bei dem Arm:

»Liebe Trien,« sagte er, »es thut mir weh, aber da kann euch nichts helfen. Geht nur ruhig fort, sonst werfen sie euch noch die Treppe hinunter. Die Consigne ist so; der Sergeant muß seinen Dienst thun.«

Trien ließ ihren Freund los, und ihren Kopf mit ruhiger Würde erhebend, ging sie unter bitteren Thranen auf den Sergeanten zu und sprach:

»Herr Offizier, ich will fortgehen, aber vergebt mir und vergebt dem Kobe auch; Gott wird es euch lohnen, denn es ist ein gutes Werk. Ihr habt doch auch ein Herz, und zuletzt sind alle Menschen Brüder. Nicht wahr, Herr Sergeant, ihr werdet es vergeben? Ich will eurer dafür in allen meinen Gebeten gedenken.«

Der Sergeant fühlte seinen Zorn vergehen, sobald sein Befehl erfüllt war, die sanfte Stimme und die ausdrucksvollen, blauen Augen des Mädchens hatten sein Gemüth erweicht und er antwortete fast gutmüthig:

»Nun, packt euch schnell fort – und wenn die Übertretung geheim bleibt, werde ich aus Mitleiden für euch die Sache verschweigen und vergessen.«

»O, ihr guter Mensch,« rief Trien, »ich wußte es wohl, ihr sprecht ja flämisch wie wir! Ich gehe gleich fort, und will nur noch einen guten Tag sagen.«

Sie umarmte noch einmal den unglücklichen Blinden, der ihren Scheidekuß sprachlos empfing, flüsterte ihm einige tröstende Worte ins Ohr, und wendete sich dann weinend und schluchzend nach der Thüre. Dort kehrte sie den Kopf um und wollte mit einem durchdringenden Schrei wieder in den Saal gehen, doch diesmal hielt sie der Sergeant mit Gewalt zurück. – In einer Ecke des Saals sah das Mädchen den elenden Geliebten, der auf einer Bank fast leblos zusammen gesunken war. Dieser Anblick erschütterte sie so sehr, daß sie vor Schmerz zitterte, und sich mit Wuth den Händen des Sergeanten zu entwinden suchte. Doch schob sie dieser hinaus und schloß die Saalthüre.

Ermattet und erschöpft vom Schmerz und fast ganz gefühllos ging Trien zwischen dem Sergeanten und dem Korporal die Treppe hinunter, und dann in den offenen Vorhof. Hier ließ sie sich bewußtlos fortschieben; denn ihre Füße verweigerten den Dienst, da es galt, sich von Jan zu entfernen. Doch sprach sie kein Wort; stille Thränen, die wie Bäche über ihre Wangen floßen, bezeugten allein ihren Kummer.

Auf der Schwelle einer der Thüren, die auf den Vorhof führten, stand eine Frau mit reichen Kleidern und vornehmen Gesicht; sie beschaute von Ferne das weinende Mädchen, und schien über den Vorfall neugierig; als man sich ihr nahte, um das Thor zu erreichen, war Mitleiden in ihren Augen zu lesen.

Trien bemerkte dies, ein Hoffnungsstrahl leuchtete ihr wieder auf, auch Kobe hatte es bemerkt, und flüsterte dem Mädchen in die Ohren:

»Es ist die Frau des Spitaldirektors, so eine gute Dame, sie ist aus Antwerpen.«

Schneller schritt das Mädchen weiter und schien nun selbst Eile zu haben, um vor das Thor zu kommen; doch sobald sie an die reichgekleidete Frau anlangte, fiel sie ihr weinend zu Füßen und rief mit aufgehobenen Armen:

»Gnädige Frau, Barmherzigkeit und Hilfe für einen armen Blinden!«

Die Frau schien über diese unerwartete Kniebeugung verlegen; während einer kurzen Weile sah sie mit Verwunderung die junge Bäuerin an, welche ihre schönen blauen Augen, wie ein Gebet der Seele zu ihr erhoben hielt, und zwischen ihren Thränen schon hoffnungsvoll lächelte, als ob sie bereits für eine empfangene Wohlthat zu danken hätte.

 

Sie faßte Trien bei beiden Händen, richtete sie auf und sprach mit Sanftmuth:

»Armes Mädchen! Komm herein, liebes Kind und erzähle mir, was dich so sehr betrübt.«

Mit diesen Worten und ohne auf den Sergeanten Acht zu geben, der ehrerbietig die Hand an die Stirne legte, führte sie das Mädchen in ihre Wohnung und ließ es dort auf einem Stuhle niedersetzen.

In dem Zimmer befand sich ein Jägeroffizier, der an einem Pulte schrieb; er hob den Kopf neugierig von der Arbeit weg und besah das weinende Mädchen; doch wartete er bewegungslos auf eine Erklärung.

Die Frau – es war seine Gattin ergriff das Mädchen bei der Hand und sagte:

»Kommt, kommt, Mädchen, tröstet euch; es soll euch nichts Schlimmes widerfahren. Vertraut mir was euch so sehr bekümmert; ich will euch wo möglich helfen.«

»Ach, gnädige Frau,« schluchzte Trien und küßte feurig die Hand ihrer Beschützerin, »Gott wird euch für euere Güte segnen! Ich bin ein armes Bauernkind aus der Lampine, zwischen Sankt-Antonis und Magerhal. Unser Jan hatte eine böse Nummer gezogen und mußte zum Militär. Vor vier Tagen schrieb er an seine Mutter einen Brief, daß er böse Augen hätte; mich allein ließ er wissen, daß er für sein Leben lang blind geworden. Bei dieser Nachricht blieb ich wohl zwei Stunden im Gebüsch zwischen Leben und Tod liegen; doch wollte ich seiner Mutter nichts davon sagen, der Kummer hätte sie ja getödtet. Den Tag darauf machte ich mich in aller Frühe baarfuß auf den Weg, ohne zu wissen, wie weit ich zu gehen hätte, um nach Venloo zu kommen. Oft mußte ich mich nach dem Wege erkundigen und verirrte mich mehr als ein Mal; stand auch genug Beschämung und Angst aus, ging aber Tag und Nacht weiter, fast ohne zu essen und zu trinken, bis ich mir die Füße wund gerissen. Nachdem ich so drei Tage, wie ein verlorenes Schaf mich umhergetrieben hatte, langte ich hier an; ein Junge aus unserm Dorfe, der Korporal ist, ließ mich aus Mitleiden herein; ich sehe unsern Jan mit ausgeronnenen Augen und will ihn trösten – da kommt der Sergeant und jagt mich fort. Nun darf ich Jan nicht mehr sehen und muß den Armen ohne Trost zurücklassen. Kann das nicht Anders sein, gnädige Frau? Bedenkt doch, was ich ausgestanden habe, um hierher zu kommen und habt Mitleiden mit dem unschuldigen Lamm, das dort im Dunkeln so peinlich klagt und sich abhärmt!«

»Ist es euer Bruder?« frug der Offizier hinter seinem Pulte.

Das Mädchen senkte den Kopf, um die Schamröthe zu verbergen, die bei diesen Worten seine Wangen färbte.

Nach kurzem Schweigen schlug sie die Augen wieder auf.

»Nein,« sagte sie, »ich bin seine Schwester nicht; aber von Kindesbeinen an wohnen wir unter demselben Dach; seine Eltern sind die meinigen auch; er liebt meine Mutter; sein Großvater trug mich auf den Händen, als ich noch nicht gehen konnte; Arbeit und Gewinn, Freud' und Leid, wir theilten Alles.«

Nach einer Pause setzte sie mit niedergeschlagenem Blicke hinzu:

»Seitdem er so elend ist, merke ich auch, daß ich seine Schwester nicht bin. . .«

Der Offizier, durch diese Worte des Mädchens gerührt, verließ sein Pult und kam langsam auf sie zu.

»Armes Kind,« sagte die Frau, »ihr müßt euch die Gedanken aus dem Kopfe schlagen und euch zu trösten suchen. Ein Blinder kann doch euer Geliebter nicht bleiben?«

Peinlich bebte Trien.

»Ihn verlassen?« rief sie aus, »ihn vergessen jetzt wo er blind und elend ist für Zeitlebens! Sagt das nicht mehr, gnädige Frau; es schneidet mich wie ein Messer in die Seele!«

Dabei sprang eine neue Thränenfluth aus ihren Augen.

Der Ofsizier fing an, auf französisch mit seiner Frau zu sprechen. Er sagte, daß der Minister eine Ordre erlassen hätte, welche den Obristen gestattete, die blinden Soldaten auf unbestimmten Urlaub in ihre Gemeinden zurückzuschicken, um dort auf ihren förmlichen Abschied zu warten. Obgleich diese Maßregel erst in einigen Wochen ausgeführt werden sollte, so wollte der Offizier doch Alles thun, um vom Obristen und wer sonst noch dabei ein Wort zu reden hatte, dem unglücklichen Freunde der Bäuerin, noch am selben Tage einen Urlaub zu erwirken. Trien, obgleich sie vom Gespräch nichts verstand, merkte doch, daß ihre Beschützerin auch ihren Mann gewonnen habe; halb getröstet nickte sie ihnen zu, um sie in ihrem menschenfreundlichen Vorhaben zu unterstützen.

Der Offizier wandte sich an das Mädchen und sprach:

»Würdet ihr recht froh sein, wenn euer Freund mit euch zurückkehren dürfte?«

Triens Gesicht zeigte hier einen unbeschreiblichen Ausdruck, worin Angst und Heiterkeit gepaart waren. Ihre großen blauen Augen schienen durch ihren starren Blick dem Offizier noch mehr Worte entlocken zu wollen.

»Ob ich darüber froh sein würde?« brach sie endlich aus. »Wie könnt ihr daran zweifeln? Oh, lieber Herr, macht mir keine falschen Hoffnungen vor! Aus Dank will ich euere Füße küssen!«

Der Ofsizier griff hastig nach dem Schacko, der auf dem Tische stand, gürtete sich den Säbel um, und ging mit den Worten fort:

»Faßt guten Muth, Mädchen; vielleicht gelingt es mir. Jedenfalls werdet ihr Jan morgen noch zu sehen bekommen; dafür will ich sorgen.«

Einige unvernehmbare Laute des Dankes folgten dem Offizier auf den Hof; dann begann Trien ihrer Wohlthäterin feurig zu danken, doch ließ ihr diese keine Zeit, Alles zu sagen, was ihr überströmendes Gefühl ihr eingab. Sie lief in die Küche, und kam kurz darauf mit einer Magd zurück, die ein Tischchen vor Trien schob, und ihr Fleisch, Brod und Bier vorsetzte, wahrend ihr die Frau Direktorin zurief:

»Eßt und trinkt, Mädchen; ich gönne es euch vom Herzen!«

»Das weiß ich wol, gnädige Frau,« schluchzte Trien, »doch wie habe ich das verdient? Ihr sorgt für mich wie eine Mutter; Gott wird euch dafür belohnen!«

»Ihr habt wol seit langem nichts gegessen?« frug die Frau.

»Seit drei Uhr des Morgens, gnädige Frau,« antwortete Trien, die mit Heißhunger die Speisen verzehrte, »nachher war ich sieben Stunden auf den Beinen; doch jetzt danke ich bei allem Kummer dem lieben Gott, der euch, gnädige Frau, so milde für mich stimmte.«

Lange noch bezeugte Trien ihren Dank, und lange sprach ihr die gute Frau sanfte Trostworte zu, wie eine Schwester; denn der Offizier blieb wol zwei Stunden aus. Trien erzählte ihr ihre ganze Geschichte, und sprach mit Begeisterung von der schönen, geliebten Campine, wo Geist und Herz so rein sind wie die Luft über der Sandfläche; wo jedes Gefühl einen süßen Duft von Einfalt und Redlichkeit in sich trägt, wie die Blümlein der Haide, die sich jeden Morgen im Thau baden. . .

Die Frau hörte mit Vergnügen dem Bauermädchen zu, dessen naive Reden doch einen scharfen Verstand und ein reich begabtes Herz verriethen. Mehr als ein Mal glänzten ihre Augen vor inniger Rührung.

Während sie so wartend da saßen, und vom unschuldigen Landleben sprachen, war der Offizier ins Spital zurückgekommen und mit dem Sergeanten in den Saal der Blinden gestiegen. Er blieb nur kurze Zeit bei den Unglücklichen und kam dann in den Hof zurück. Jan folgte ihm, den Tornister auf dem Rücken und einen Stock in der Hand; der Sergeant führte ihn bis an die Thüre des Offiziers. Hier nahm ihn dieser bei der Hand und sagte:

»Trien ist darinnen; sie wartet auf euch.«

Mit diesen Worten öffnete er die Thüre.

Jan hielt ein Stück Papier hoch in die Luft und rief vor Freude jauchzend:

»Trien, liebe Trien! Ich darf mit euch heimkehren! Ich brauche nicht mehr zu dienen; da ist mein Urlaub!«

»Er spricht die Wahrheit,« bekräftigte der Offizier, der sah, daß das Mädchen nicht recht glaubte.

Inzwischen trat Jan mit vorausgestreckten Händen in das Zimmer; doch sprang ihm Trien nicht entgegen. Tief erschüttert war sie von ihrem Stuhle bis zu ihrer Wohlthäterin auf den Knieen gerutscht, die auf einem Sopha war. Mit aufgehobenen Händen und dankendem Blick rief sie:

»Gnädige Frau, wenn ihr nicht in den Himmel kommt, wer soll denn selig werden! Ich kann nicht sprechen! Mein Herz bricht mir entzwei – ich vergehe vor Freude – Dank!«


Wirklich fiel ihr Haupt ohne Kraft auf den Schoß der Frau; und schweigend umarmte sie ihre Kniee. Doch erholte sie sich schnell, sprang auf und lief mit offenen Armen auf den Blinden; von ihren freudigen Lauten war der Name des Jünglings allein verständlich.

Als sich ihre Freude und Dankbarkeit vollständig geäußert hatten, zogen Trien und Jan durch das Thor des Spitals, die Glückwünsche ihrer Gönner begleiteten sie.

Es war ein eigener Anblick, wie das frische Bauermädchen den blinden Soldaten durch die Straßen von Venloo führte. Auch blieb ein jeder Vorübergehende stehen, und sah mit Staunen neben dem Kopf des Unglücklichen, der seinen Tornister trug und den grünen Lichtschirm vor den Augen hatte, das Gesicht der Bäuerin im schönen Glänze eines frohen Stolzes.

Die gute Trien war so glücklich, so gehoben durch den Erfolg ihrer Aufopferung, daß sie den Kopf in die Höhe gerichtet trug und die Augen vor den Blicken der neugierigen Bürger nicht niederschlug.

Sie hatte große Eile die Stadt zu verlassen und trieb den Blinden zu einem schnelleren Schritte an. Alles war so unerwartet gekommen, daß sie ihren Sinnen kaum traute, und von Zeit zu Zeit zusammenbebte, als wollte man ihr den Freund wieder entreißen.

Endlich erreichten sie das Stadtthor; sie sah das freie Feld und am Horizonte den Weg, der sie in ihren Geburtsort zurückführen sollte. Da erst fühlte sie sich vollkommen sicher; bekreuzte sich mit einem dankenden Blick zum Himmel und sprach voll Entzücken:

»Jetzt hab ich dich wieder, Jan! Wir sind frei!«