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Die blinde Rosa

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Indessen schritt der Reisende fort. Das ganze Dorf schien ihm von einem himmlischen Lichte, das Laub der Bäume von einem frischeren Grün umstrahlt; die niedrigen Häuschen lachten ihm entgegen, die Vögel sangen ihm bezaubernd schön, die Luft war erfüllt mit Lebensfeuer und Balsamduft . . .

Um diese neue Seligkeit zu genießen, hatte er seine Aufmerksamkeit von dem Kinde abgewandt. Sein Auge war in die Ferne gerichtet und sein Blick suchte die Bäume zu durchdringen, die am anderen Ende des Dorfes die Aussicht begrenzten.

Plötzlich zog ihn der Knabe heftig an der Hand und rief mit lauter Stimme:

– Da! Da! Unten kommt Rosa mit unserem Trientje!

In der That sah man eine alte, blinde Frau, von einem fünfjährigen Mädchen geführt, hinter einem Hause nach der breiten Dorfstraße zugehen.

Statt der Hast des Kindes zu entsprechen, blieb der Reisende stehen und betrachtete die arme blinde Frau, die in der Ferne langsam herankam, mit Schmerz und Wehmuth. War dies nun seine Rosa? Die schöne, minnigliche Maid, deren Bild, so frisch und jung, in seinem Herzen eingegraben war?

Aber diese Betrachtungen verschwanden augenblicklich; er zog das Kind mit sich fort und eilte seiner Freundin entgegen. Als er sich ihr vielleicht auf fünfzig Schritte genähert hoben mochte, da konnte er sich nicht mehr bezwingen: Der Name Rosa!i Rosa! drang mit begeisternder Kraft aus seiner Brust.

Als diese Stimme ihr Ohr traf, zog die blinde Rosa ihre Hand aus der ihrer Führerin, und zitterte, als wenn sie ein Nervenschlag getroffen hätte. Sie streckte die Arme suchend aus, und mit dem Rufe: Jan! o Jan! eilte sie auf ihn zu. Zugleich zog sie etwas aus ihrem Busen hervor, riß die Schnur, die ihr am Halse hing, in Stücken und mit unsicherer Geberde zeigte sie ein goldenes Kreuzchen.

So sank sie Jan Slaets in die Arme. Dieser wollte sie unter unverständlichen Worten umarmen. Die Blinde stieß ihn indessen mit den Händen sanft zurück und faßte dann die Hand des durch diese Weigerung peinlich Getroffenen.

– O, Jan, ich sterbe vor Glück . . . sagte sie; aber ich habe Gott ein Gelübde gethan . . . Komm, komm, führe mich nach dem Kirchhofe.

Jan Slaets begriff nicht, was Rosa beabsichtigte, aber der Ton ihrer Stimme ließ ihn fühlen, daß es sich hier um etwas Ernstes, etwas Heiliges vielleicht, handle, und gebot ihm den Wunsch seiner Freundin ohne Widerstreben zu erfüllen.

Ohne weiter auf die herbeigekommenen Landleute zu achten, die ihn umringten, führte er die Blinde nach dem Kirchhofe. Hier wandte sie sich nach der Betbank unter dem Kreuz und zwang ihn mit den Worten:

– »Bete! Bete, ich habe es Gott gelobt!« neben ihr nieder zu knieen.

Sie hob ihre Hände in die Höhe und eine Zeit lang betete sie leise. Dann schlang sie beide Arme um den Hals ihres Freundes und küßte ihn, bis ihre Kräfte sie verließen und sie sprachlos, doch lächelnd, mit dem Haupte auf seine Brust sank.

Peerken tanzte unterdessen zwischen den Dorfbewohnern hin, klatschte in die Hände und rief:

– Es ist der lange Jan! es ist der lange Jan!

* * *

An einem schönen Herbsttage des Jahres 1846 rollte die Diligence von Antwerpen nach Turnhout, wie gewöhnlich über den Steinweg . . . Plötzlich hielt der Kutscher unweit eines einsamen Wirthshaus es seine Pferde an und öffnete den Wagenschlag. Zwei junge Reisende sprangen lachend und jauchzend aus dem Wagen und bewegten die Arme wie zwei dem Käfig entflohene Vögel, die die Kraft ihrer Flügel wieder in voller Freiheit versuchen wollen. Sie blickten nach den Bäumen und in die schöne blaue Herbstluft hinaus, mit dem fröhlichen, heiteren Blicke von Leuten, die die Stadt verlassen haben und nun die weite, lachende Natur gleichsam mit dem Athem in sich einsaugen möchten. Plötzlich wandte der jüngere Gesell sein Gesicht dem Felde zu, während eine poetische Begeisterung sich in seinen Zügen spiegelte.


– Horcht horcht sagte er.

Hinter dem Tannengebüsche erklangen die unbestimmten Töne einer entfernten Musik. Der Takt der Musik war leicht und hüpfend, unwillkürlich mußte man dabei an das Getrappel des Tanzes denken.

Während der jüngere Gesell in schweigender Extase mit dem Finger nach dem Nadelgebüsch hinzeigte, sprach sein Kamerad, als wollte er spotten:

 
»Dort hinter der Linde klang Fiedel und Horn,
»Da wurde getanzt und gescherzt in der Nacht,
»Ein Jeder schöpft gierig aus der Freude Born,
»– An Leiden und Sterben hat keiner gedacht.«
 

—Komm, komm, Freund Jan, begeistert Dich nicht so frühe. Es ist wahrscheinlich der neue Bürgermeister, den matt einholt.

–—Nein, nein, das ist keine officielle Freude. Laß uns dahin gehen! die Bauerndirnen tanzen sehen . . . es ist doch so wunderschön!

Zuerst wollen wir bei Baas Joostens ein Glas Bier trinken und ihn fragen, was es im Dorfe eigentlich giebt. – Und den Zauberduft des Unerwarteten uns rauben, nicht wahr! Prosa!!

Die beiden Reisenden traten in das Wirthshaus und brachen, so bald sie nur den Kopf in das Zimmer gesteckt hatten, Beide in ein lautes Gelächter aus.

Baas Joostens stand, gerade wie ein Pfeil und steif wie eine Sparre am Kamine. Sein langer, brauner, faltenreicher – Sonntagsrock hing ihm fast bis auf die Füße herab. Er grüßte die ihm bekannten Gäste mit einem erzwungenen Lächeln, worin sich eine gewisse Verlegenheit erkennen ließ, denn er durfte sich nicht im Geringsten bewegen, weil sein hoher, steifer Hemdkragen ihn bei jeder Gelegenheit hinter den Ohren krabbelte.

Beim Eintritte der Reisenden rief er mit Ungeduld, ohne jedoch den Kopf umzuwenden:

– Zanna! Zanna! Ich höre die Musik. Habe ich nicht gesagt, daß Du zu spät kommen wirst?

Zanna kaut mit einem großen Korbe voll Blumen in‘s Zimmer gelaufen. O! sie war so schön, mit ihrer faltigen Spitzenmütze, ihrem Flausrock, dem großen goldenen Herz auf der Brust und den lieben Glöckchen in den Ohren!

Ihr Angesicht war roth von fröhlichem Verlangen, es glich einer Riesenblume, die eben im Begriffe steht ihre sattgefärbten Blätter zu entfalten.

– Eine majestätische Päonie, die an einem schönen Maitage ihren Kelch öffnet! flüsterte der jüngere Gesell.

Unterdessen hatte Zanna die beiden Gläser Bier geholt und eilte nun singend und lachend mit ihren Blumen zur Thüre hinaus.

In größter Ungeduld schrie jetzt der Wirth:

–– Beth!t Beth! wenn Du nicht gleich herunter kommst, so gehe ich allein, so wahr ich hier stehe.

Die alte Uhr, die an der Mauer hing, zeigte in diesem Augenblicke auf Neun und eine Vogelstimme rief in trübem Tone:

– Kuckuk! Kuckuk! Kuckuk! . . .

– Was soll das bedeuten? fragte einer der Reisenden, habt Ihr die schöne Uhr, die früher hier hing, vielleicht verkauft, um das ganze Jahr mit diesem abscheulichen Gesange geplagt zu sein?

– Ja, ja, sprach der Pachter mit listigem Lächeln, spottet nur über den Vogel, er bringt mir fünfzig holländische Gulden jährlich ein: ein Bunder1 gut Land . . . das ist mitzunehmen!

In der Ferne krachten vier Kanonenschüsse gleichzeitig los.

– Ach, Gott! schrie der Wirth, das Fest hat begonnen! Das Weib ärgert mir noch die Schwindsucht an den Hals, mit ihrem Zögern und Zaudern!

– Aber, Pachter Joostens, fragte der andere Gesell, was geht hier vor? Ist’s Kirmiß heute? Das wäre sonderbar, an einem Donnerstage! Oder kommt der König in das Dorf?

– Es sind merkwürdigere Dinge, antwortete der Wirth. Es ist unerhört! Wenn Ihr das wüßtet, dann brauchtet Ihr dies Mal den Leuten wenigstens keine Nasen zu drehen2 und Lügen zu ersinnen, um Eure Bücher voll zu kriegen. Und dieser alte Kuckuk da hängt auch etwas mit der Geschichte der blinden Rosa zusammen.

– Blinde Rosa! rief der jüngere Gesell in fröhlicher Ueberraschung was für einen schönen Titel! Das sollte ein guter Pendant zum Zieken jongeling ein!!!3

– Holla, so geht das nicht, antwortete der Andere. Sind wir zusammen ausgezogen, um Geschichten aufzusuchen, so muß der Fund auch ehrlich getheilt werden!

– Nun, nun, wir werden gleich loosen, murmelte der Jüngere halb schwermüthig.

– Trotz all Dem, rief der Andere, wissen wir noch Nichts. Nun, Baas Joris, thut diesen häßlichen Halskragen weg und erzählt uns das freundschaftlichst. Ihr bekommt das Buch umsonst, wenn es gedruckt ist.

 

– Ja, ich kann es Euch jetzt nicht auseinandersetzen, antwortete der Wirth. Da höre ich meine Frau die Treppe herunter kommen; aber geht mit nach dem Dorfe: unterwegs will ich erzählen, warum man heute Kanonen löst und Musik macht . . .

Die Frau trat in das Zimmer, mit einem Kleide angethan, das durch seine brennend rothe, blaue, gelbe und weiße Farbe sofort die Aufmerksamkeit des jüngeren Reisenden auf sich zog.

Sie lief auf ihren Mann zu, zog seinen Hemdkragen noch etwas höher hinauf, ergriff ihn am Arme und führte ihn hastig zur Thüre hinaus.

Die beiden Reisenden folgten ihnen. Baas Joostens erzählte seinen aufmerksam lauschenden Zuhörern unterwegs die ganze Geschichte vom langen Jan und der blinden Rosa, und obschon er sich fast ganz außer Athem gesprochen hatte, hörten die Reisenden nicht auf, ihn mit allerlei Fragen zu bestürmen.

Er erzählte nun auch wie Mynheer Slaets ihm den alten Kuckuk abgekauft und ihm jährlich fünfzig Gulden versprochen habe, wenn er die alte Uhr in seiner Wirthsstube aufhängen wolle, – wie der lange Jan vierunddreißig Jahre in Rußland gelebt und durch den Pelzhandel steinreich geworden sei; wie er das Landgut der alten Mevrouw gekauft habe und dasselbe mit Rosa und Nelis Familie, dessen Kinder er allesamt adoptiert, bewohnen wolle; – wie er den Todtengräber eine große Geldsumme geschenkt habe, und daß endlich heute Abend auf dem Hofe ein großes Bauernfest Statt finden würde, wozu ein ganzes Kalb gebraten und zwei große Kessel voll Reisbrei gekocht würden . . .

Baas Joostens war noch im besten Sprechen als sie auf die breite Dorfstraße gelangten.

Die Reisenden horchten nicht mehr auf das was er sagte; denn nun sahen sie sich die Augen aus dem Kopfe über all das Hübsche und Schöne was sich ihnen darbot.

Das ganze Dorf war längs den Häusern mit grünen Tannenbäumchen geschmückt, die durch schneeweiße Tücher oder prächtige Blumenkränze mit einander verbunden waren. Dazwischen, über den Köpfen der Zuschauer, bewegten sieh allerlei Inschriften in großen, rothen Lettern im Winde. Hier und da erhob sich ein prächtiger Maibaum mit hundert knitternden Fähnchen von Flittergold, Kränzen aus Vogeleiern und klingenden Glasstäbchen. Auf der Erde hatten die Knaben und Mädchen an silberweißem Haidesande Blumen gestreuet und mit denselben, wie gewöhnlich, die Anfangsbuchstaben der Namen Jesus und Maria nachgebildet. Daneben erblickte man ein verschlungenes J. R., aus Blumen gebildet, was Jan-Rosa bedeuten sollte, und vom Schulmeister erfunden war.

Zwischen allen diesen Schönheiten bewegte sich eine lebhafte Volksmenge, die von den benachbarten Dörfern herbei geströmt war, um dies seltsame Hochzeitsfest mit anzusehen.

Die jungen Reisenden gingen von einer Gruppe zur anderen um zu hören was die Leute sprächen. Als sich indessen der Zug, der durch die Felder kam, dem Dorfe näherte, da eilten sie nach dem Eingange des Kirchhofes hin und blieben dort auf einer Anhöhe stehen um Alles deutlich sehen zu können.

Mit einer gewissen Ehrfurcht blickten die Reisenden auf den Zug hin . . . und in der That, er war so schön und Eindruck erweckend, daß dem jüngern Reisenden voll dichterischer Begeisterung das Herz in der Brust klopfte.

Mehr als sechzig junge, zwischen fünf und zehn Jahr alte, weißgekleidete Mädchen, ein süßes Kinderlächeln im Angesicht, zogen daher wie Schaafwölkchen am blauen Himmel. Ueber ihren frischen Gesichtchen, auf ihren lose flatterndem Haar wiegte sich ein Kranz von Monatsrosen, die den lachenden Lippen der Kinder den Preis der Schönheit streitig machen zu wollen schienen.

1Bunder holl. Flächenmaaß. 240 Fuß lang und 120 Fuß breit. D. Uebs.
2Geene ooren aennaeijen heißt eigentlich: keine Ohren anheften. Die Uebersetzung durch »keine Nasen drehen,« giebt also zwar den Sinn nicht, aber den Wortlaut des Originals wieder. D. Uebs.
3Diese beiden Reisenden waren, wie sich aus dem Ganzen ergiebt, Hendrik Conscience, der Verfasser dieser Novelle, selbst, und Jan van Berrs, gegenwärtig unstreitig der beste unter den Iyrischen Dichtern der Flamänder. Er ist der Verfasser des Gedichtes: »de Zieke Jougeling.« D. Uebs.